Nr. 3/4 2012-13 - s-hb.de VIRTUAL CLASSROOM
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WEST-OST-REPORT<br />
Religiöse I<strong>de</strong>ntität in West- und Osteuropa aus Sicht <strong>de</strong>s<br />
Metropoliten Augoustinos<br />
Prof. Dr. Alexan<strong>de</strong>r Krylov<br />
Ein Expertengespräch mit <strong>de</strong>m Metropoliten Dr. h.c. Augoustinos von Deutschland, <strong>de</strong>m<br />
Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD). Der Fragenkomplex<br />
ist im Rahmen einer Studie zur religiösen I<strong>de</strong>ntität im postindustriellen Raum entstan<strong>de</strong>n<br />
und analysiert. Das Gespräch fand im März <strong>2012</strong> statt.<br />
Es wird sehr oft über religiöse I<strong>de</strong>ntität<br />
gesprochen, wie verstehen Sie diesen<br />
Begriff? Haben alle Menschen eine religiöse<br />
I<strong>de</strong>ntität, auch Atheisten?<br />
Für mich ist religiöse I<strong>de</strong>ntität ein Begriff,<br />
<strong>de</strong>r zwei Komponenten umfasst: da ist zum<br />
einen die religiöse Sozialisation und zum<br />
an<strong>de</strong>ren etwas, das ich einmal die „religiöse<br />
Parökie“ genannt habe. Was meine ich<br />
damit? Was Sozialisation ist, ist sicherlich<br />
schnell beschrieben, es ist die Art und<br />
Weise, wie wir in unsere Religion eingeführt<br />
wer<strong>de</strong>n. Gleichzeitig umfasst sie ja<br />
auch die Personen, die uns religiös sozialisieren,<br />
zumeist die eigene Familie u.a.m.<br />
Parökie ist dagegen ein Begriff, <strong>de</strong>r zum<br />
Ausdruck bringen möchte, dass Religion,<br />
in diesem Fall Kirche, immer einen historischen,<br />
geographischen und zeitlichen „Sitz<br />
im Leben“ hat. Schon in <strong>de</strong>m frühchristlichen<br />
1. Clemensbrief, aber auch in <strong>de</strong>n<br />
neutestamentlichen Episteln ist die die Kirche<br />
als „paroikousa en to kosmo“ („verweilend<br />
in <strong>de</strong>r Welt“) o<strong>de</strong>r eben auch<br />
„verweilend an einem bestimmten Ort“<br />
beschrieben. Zwar sind die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Kirche nach <strong>de</strong>m Hebräerbrief „Frem<strong>de</strong><br />
und Gäste auf Er<strong>de</strong>n“ (vgl. Hebr 11,<strong>13</strong>)<br />
und doch realisiert sich auch Religion immer<br />
in einem konkreten gesellschaftlichen,<br />
religiösen und historischen Kontext. Nehmen<br />
Sie etwa die Angehörigen <strong>de</strong>r Griechisch-Orthodoxen<br />
Metropolie von<br />
Deutschland, die in ihrer ersten Generation<br />
in Griechenland aufgewachsen und dort im<br />
Glauben ihrer Vorfahren aufgewachsen<br />
sind und sozialisiert wur<strong>de</strong>n. Jetzt leben sie<br />
in Deutschland in einer multikonfessionellen,<br />
ja multireligiösen Gesellschaft, die<br />
völlig an<strong>de</strong>rs ist als das Griechenland zu<br />
Zeiten ihrer religiösen Sozialisation. Obwohl<br />
sie dogmatisch natürlich keine Glaubensunterschie<strong>de</strong><br />
etwa zu ihren in Griechenland<br />
verbliebenen Verwandten aufweisen,<br />
ist durch ihre Parökie in Deutschland<br />
natürlich ihr Glaube, was die äußere<br />
Form o<strong>de</strong>r gewisse Prioritäten betrifft, an<strong>de</strong>rs<br />
gewor<strong>de</strong>n und unterschie<strong>de</strong>t sich von<br />
<strong>de</strong>m ihrer Angehörigen. Bei<strong>de</strong>s, Sozialisation<br />
und Parökie, ist also Teil <strong>de</strong>r religiösen<br />
I<strong>de</strong>ntität. Was die Orthodoxen betrifft,<br />
gibt es im Übrigen noch eine Beson<strong>de</strong>rheit,<br />
was diese religiöse I<strong>de</strong>ntität betrifft; es ist<br />
ja kein Zufall, dass aus <strong>de</strong>m griechischen<br />
„paroikia“ sich (über das lateinische parochia)<br />
auch das <strong>de</strong>utsche Wort „Pfarrei“ ableitet.<br />
Für <strong>de</strong>n orthodoxen Christen ist die<br />
örtliche Kirchengemein<strong>de</strong> üblicherweise<br />
sein religiöser I<strong>de</strong>ntifikationsfaktor, nicht<br />
die Diözese, nicht <strong>de</strong>r Metropolit (das sage<br />
ich, nach<strong>de</strong>m ich nunmehr genau 40 Jahre<br />
in bischöflichem Dienst stehe…) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Patriarch. In an<strong>de</strong>ren christlichen Kirchen<br />
mag dies eine „confessio“ o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Papst<br />
sein, bei uns ist es an<strong>de</strong>rs. Dies ist zumin<strong>de</strong>st<br />
meine Beobachtung.<br />
Der zweite Teil Ihrer Frage nach <strong>de</strong>r religiösen<br />
I<strong>de</strong>ntität eines Atheisten lässt sich<br />
<strong>de</strong>mentsprechend folgen<strong>de</strong>rmaßen beantworten:<br />
häufig ist ja einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n so-<br />
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