Enharmonische und chromatische Modulation in Chopin-Nocturnes ...
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Hans Peter Reutter: Harmonielehre –<strong>Modulation</strong> bei Chop<strong>in</strong><br />
6<br />
www.satzlehre.de/themen.html<br />
S. 5 Mitte: Sehr beliebt bei Chop<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d die chromatisch schweifenden Parallelführungen – bekanntestes<br />
Beispiel ist das Prélude op. 28 Nr. 4 e-Moll. In diesem Nocturne f<strong>in</strong>den sich dafür<br />
e<strong>in</strong>ige Stellen, so der fauxbourdon-artige Übergang <strong>in</strong> das „Quasi-Trio“ (Anführungsstriche, denn<br />
es hat ke<strong>in</strong> geschlossenes Thema <strong>und</strong> ke<strong>in</strong>e stabile Tonart). Auch hier erkl<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e <strong>chromatische</strong><br />
Manipulation: In T. 27 würden wir leitereigen Es-Dur-Sextakkord erwarten, stattdessen erkl<strong>in</strong>gt<br />
e<strong>in</strong> hoch<strong>chromatische</strong>s e-Moll.<br />
S. 5 unten: Ab T. 44 f<strong>in</strong>den wir e<strong>in</strong>e auf- <strong>und</strong> abwärts kreisende Fauxbourdon-Textur mit abgewandelten<br />
5-6-Konsekutiven <strong>und</strong> 7-6-Vorhalten. In T. 49 würden wir diatonisch e<strong>in</strong>en e-Moll-<br />
Sextakkord erwarten, hier kommt dann (quasi die Stelle von T. 27 umkehrend) e<strong>in</strong> Es-Dur-<br />
Septakkord.<br />
Wie zuvor an den anderen <strong>Nocturnes</strong> aufgezeigt, wird e<strong>in</strong>e derart labile Harmonik <strong>in</strong> der Coda<br />
reflektiert: In op. 37 Nr. 2 durchmisst e<strong>in</strong>e reale Qu<strong>in</strong>tfallsequenz alle 12 Stufen von G-Dur bis<br />
D-Dur (tatsächlich ab fis auch immer <strong>in</strong> fallenden Qu<strong>in</strong>ten bis h<strong>in</strong>unter <strong>in</strong> den Kontra-Bereich).<br />
Aufgefangen wird diese modulatorische Rutschbahn durch e<strong>in</strong>en D D<br />
v . Die abschließende Kadenz<br />
nach G-Dur h<strong>in</strong>terlässt den Hörer etwas unbefriedigt: Ist das wirklich unsere Tonika? Warum<br />
fühlen wir uns nicht zu Hause?<br />
Die Antwort liegt me<strong>in</strong>es Erachtens <strong>in</strong> zweierlei: zum e<strong>in</strong>en fehlt ausgerechnet nach dieser<br />
letzten Ausweichung die charakteristische Dissonanz des D 46 <strong>und</strong> zum anderen „schwächelt“ die<br />
plagale Kadenz T. 137f auch ziemlich.<br />
Das hat natürlich mit kompositorischem Unvermögen nichts zu tun, e<strong>in</strong> derart offener<br />
Schluss ist für e<strong>in</strong> solches Stück der e<strong>in</strong>zig richtige – es ist die romantische Erfahrung des Fremdse<strong>in</strong>s,<br />
des Unaussprechlichen. Robert Schumann wurde davon besonders angesprochen. Er stellt<br />
die <strong>Nocturnes</strong> op. 37 noch höher als frühere Werke <strong>und</strong> schreibt:<br />
„…dabei br<strong>in</strong>gt er auch e<strong>in</strong>e Fülle neuer Formen, die <strong>in</strong> ihrer Zartheit <strong>und</strong> Kühnheit<br />
zugleich Bew<strong>und</strong>erung verdienen. […] noch liebt er den Schmuck, aber es<br />
ist der s<strong>in</strong>nigere, h<strong>in</strong>ter dem der Adel der Dichtung um so liebenswürdiger<br />
durchschimmert; ja Geschmack, fe<strong>in</strong>sten, muß man ihm lassen, – für Generalbassisten<br />
ist das freilich nicht, die suchen nur nach Qu<strong>in</strong>ten, <strong>und</strong> jede fehlende<br />
kann sie erboßen. Aber manches könnten sie von Chop<strong>in</strong> lernen, <strong>und</strong> das<br />
Qu<strong>in</strong>tenmachen vor Allem.“ 5 <br />
5 Neue Zeitschrift für Musik, Jahrgang 1841, Band 15, S. 141