Medienexperte Bernhard Pörksen
Medienexperte Bernhard Pörksen
Medienexperte Bernhard Pörksen
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ein, daß Print aussterben wird?<br />
Liegt die Zukunft nur noch in<br />
Online-Medien?<br />
Prof. <strong>Bernhard</strong> <strong>Pörksen</strong>:<br />
Ich bin, wie gesagt, kein Prophet<br />
– unter manchen Medienwissenschaftlern<br />
ist es<br />
durchaus ein peinliches Hobby,<br />
den Abgesang der klassischen<br />
Printmedien anzustimmen<br />
und konkrete Sterbedaten<br />
zu nennen. Der<br />
zentrale Punkt: die Refinanzierung<br />
des Qualitätsjournalismus<br />
muß gesichert sein –<br />
es ist egal, auf welcher Plattform,<br />
auf welchem Trägermedium<br />
dies dann letzten<br />
Endes geschieht. Wir haben<br />
in Deutschland großartige<br />
Medien, die wichtig für den<br />
demokratischen Zusammenhalt<br />
in unserer Gesellschaft<br />
sind. Ob Zeit, Süddeutsche,<br />
FAZ, Spiegel oder – als es sie<br />
noch in der alten Form gab –<br />
die Frankfurter Rundschau.<br />
Qualitativ hochwertige Inhalte<br />
wird es für den Leser hoffentlich<br />
auch in der Zukunft<br />
geben.<br />
Beim Gladbecker Geiseldrama<br />
(1988) setzten sich Journalisten<br />
zu den Entführern ins Auto<br />
und führten Interviews durch –<br />
quasi Sensationsjournalismus<br />
in Reinkultur. Auch der Enthüllungsjournalismus<br />
wird gerne<br />
eingesetzt wie die Debatten<br />
um zu Guttenberg, Wulff,<br />
Schavan oder zuletzt Brüderle<br />
zeigen. Ob guttenborgen oder<br />
wulffen – die Schadenfreude<br />
in der Öffentlichkeit ist groß.<br />
Wie finden Sie als <strong>Medienexperte</strong><br />
diese mediale Berichterstattung?<br />
Prof. <strong>Bernhard</strong> <strong>Pörksen</strong>:<br />
Erst einmal ist es wichtig,<br />
daß Medien die Mächtigen<br />
der Welt kontrollieren und<br />
auf potenzielles bzw. eindeutiges<br />
Fehlverhalten der einzelnen<br />
Akteure hinweisen.<br />
Das ist eine wichtige Aufgabe<br />
im Journalismus. Zu Guttenburg<br />
war eben ein Blender,<br />
der sich seine Doktorarbeit<br />
erschlichen hat. Seine<br />
Taktik, den Plagiatsvorwurf<br />
in der Öffentlichkeit herunterzuspielen,<br />
hat logischerweise<br />
nicht funktioniert. Die<br />
Skandalisierung ist zunächst<br />
einmal ein legitimes Mittel bei<br />
der Berichterstattung. Allerdings<br />
werden heutzutage zunehmend<br />
auch Nichtigkeiten<br />
skandalisiert. Skandale lassen<br />
sich eben gut verkaufen und<br />
helfen im härter werdenden<br />
Kampf um Aufmerksamkeit.<br />
Diese rasante Entwicklung<br />
muß man nicht immer gutheißen.<br />
Wer erinnert sich denn<br />
z.B. morgen noch an die Bonusmeilen-Skandälchen<br />
von<br />
Politikern oder an die Dienstreiseaffäre<br />
von Ulla Schmidt<br />
bzw. an die Diskussion um<br />
die Bundestagsabgeordneten-Bahncard<br />
von Peer Steinbrück,<br />
die dieser für Fahrten<br />
zu hochbezahlten Vorträgen<br />
einsetzte?<br />
Es vergeht bei Klatsch-TV-<br />
Sendungen kaum eine Stunde<br />
ohne Gaga-Meldungen wie<br />
»Das Ballkleid der US-Schauspielerin<br />
in Cannes war ein absolutes<br />
No-go« oder »Erwischt:<br />
Nachwuchs-Model von Heidi<br />
Klum ißt im Straßencafé Zitroneneis<br />
mit Sahne«. Zusätzlich<br />
gibt es inzwischen mehr<br />
als genug qualitativ fragwürdige<br />
Sendeformate wie Reality-Dokus,<br />
Casting-Shows oder<br />
Prominenten-Camps. Den Casting-Wahn<br />
beschreiben Sie in<br />
Ihrem Buch »Die Casting-Gesellschaft«.<br />
Ist bei den Sendern<br />
kein Platz mehr für bildungsrelevante<br />
Inhalte bzw. zeitlose<br />
Geschichten?<br />
Prof. <strong>Bernhard</strong> <strong>Pörksen</strong>:<br />
Es geht bei derartigen Sendungen,<br />
das muß man ganz<br />
kühl konstatieren, schlicht<br />
um Geld. Eine Casting-Show<br />
dient dazu, eine relevante<br />
Zielgruppe an die Werbeindustrie<br />
zu verschachern – und<br />
nicht dazu, irgendein Sängertalent<br />
zu entdecken. Das ist ja<br />
grundsätzlich nicht verwerflich.<br />
Und obwohl ich persönlich<br />
solche Shows oft ziemlich<br />
widerlich finde, darf es<br />
natürlich keine Geschmackszensur<br />
geben. Manche betäuben<br />
sich nach Feierabend<br />
eben lieber mit unterhaltsamen<br />
TV-Shows als z.B. mit<br />
aufwühlenden TV-Dokumentationen<br />
aus Krisengebieten.<br />
Das ist dann auch in Ordnung.<br />
Jeder hat seinen eigenen<br />
Geschmack und darf ihn<br />
auch haben.<br />
Als Medienethiker beschäftigen<br />
Sie sich mit der Inszenierung<br />
in Politik und Medien. Bei politischen<br />
Talkshows regen wir<br />
uns Zuschauer oft auf. Können<br />
Sie uns erklären, welche Motive<br />
sich hinter der Auswahl der<br />
Talkshow-Gäste verstecken?<br />
Prof. <strong>Bernhard</strong> <strong>Pörksen</strong>:<br />
Natürlich will jede Talkshow<br />
vor allem respektable Einschaltquoten<br />
erzielen. Auch<br />
bei den Talkshows greift oft<br />
das »Casting-Prinzip«. Die<br />
Gäste schlüpfen in unterschiedliche<br />
Rollen, bedienen<br />
unterschiedliche Klischees<br />
und erfüllen unterschiedliche<br />
Aufgaben innerhalb der<br />
Talkshow. Das Rollen-Modell<br />
bzw. die Auswahl der Gäste<br />
hängt ab vom Grad der Prominenz,<br />
der Medienkompetenz<br />
und der Werbebotschaft<br />
(ein Talkshow-Gast hat z.B.<br />
aktuell ein Buch geschrieben<br />
oder stellt seine neue CD<br />
vor).<br />
Die Hinterbühne wird in<br />
den seltensten Fällen für den<br />
Fernsehzuschauer sichtbar.<br />
Er sieht nur die Vorderbühne.<br />
Ich mag Talkshows, weil<br />
sie sich – so würde ich es nennen<br />
– hervorragend für die investigative<br />
Medienforschung<br />
eignen. Ich gehe oft der Frage<br />
nach: was zeigt mir die<br />
Vorderbühne, und was spielt<br />
sich in der Hinterbühne ab?<br />
Für unsere wissenschaftliche<br />
Nachbearbeitung befragen<br />
wir dann einzelne Gäste<br />
(Journalisten, Prominente),<br />
die teilgenommen haben.<br />
Welche Erfahrungen habt ihr<br />
auf der Vorder- und vor allem<br />
auf der Hinterbühne der<br />
Talkshow gesammelt? Die<br />
Antworten sind oft außerordentlich<br />
erhellend.<br />
Zeigt sich in solchen Forschungsarbeiten<br />
die gesellschaftliche<br />
Relevanz der Medienwissenschaft?<br />
Prof. <strong>Bernhard</strong> <strong>Pörksen</strong>:<br />
Das würde ich sagen, ja. Es<br />
geht, im Grunde genommen,<br />
um eine Art Selbstaufklärung<br />
der Mediengesellschaft – und<br />
dies mit wissenschaftlichen<br />
Methoden, z. B. in Form von<br />
Inhaltsanalysen, Befragungen,<br />
Tiefeninterviews. Ziel ist es<br />
auch, die Inszenierungsstrategien<br />
durchschaubar zu machen<br />
und die Hinterbühne<br />
auszuleuchten.<br />
Die moderne Medienwelt erzeugt<br />
neue Sprachfetzen wie<br />
»lol – laughing-out-loud«<br />
(engl.: großes Gelächter), Phänomene<br />
wie »information overload«<br />
(engl.: Reizüberflutung)<br />
oder Syndrome wie »lost in<br />
hyperspace« (engl.: der Leser<br />
»verirrt« sich in den unendlichen<br />
Tiefen und verknüpften<br />
Textstrukturen des Internets).<br />
Welche Medienphänomene untersuchen<br />
Sie gerade?<br />
Prof. <strong>Bernhard</strong> <strong>Pörksen</strong>:<br />
Wie verändern sich Skandale<br />
im digitalen Zeitalter? – das<br />
ist die Frage, die mich gegenwärtig<br />
sehr beschäftigt. Es hat<br />
sich einiges geändert. Früher<br />
waren meist nur die Mächtigen<br />
von Skandalen betroffen.<br />
Im Web 2.0-Zeitalter kann es<br />
dagegen jeden treffen. Die Erfahrung<br />
des Kontrollverlusts<br />
ist längst zu einer Alltagserfahrung<br />
geworden. Wir wissen<br />
doch alle, daß von den<br />
meisten Menschen irgendwo<br />
im Netz eine peinliche Information<br />
– z.B. in sozialen<br />
Netzwerken – abgespeichert<br />
ist. Es ist fast unmöglich, im<br />
Netz keine Spuren zu hinterlassen<br />
– das ist für viele Menschen<br />
eine neue und manchmal<br />
auch schmerzliche Erfahrung.<br />
Faktisch kann heute<br />
Interview<br />
naturscheck sommer 2013<br />
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