Grafomotorik - ergotherapie-ravensburg.de
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ergopraxis 2/08<br />
1. Angela Nacke<br />
Befun<strong>de</strong>rhebung<br />
Im ersten Kontakt führe ich mit <strong>de</strong>r Mutter ein COPM [1] durch. Sie<br />
bestätigt dabei die Probleme, die <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rarzt bereits in <strong>de</strong>r<br />
Überweisung genannt hat. Der Arzt schließt eine zerebrale Bewegungsstörung<br />
aus. Er diagnostiziert bei David eine motorische<br />
Entwicklungsstörung nach F.82 ICD-10 [2].<br />
Als standardisiertes Testinstrument setze ich die neue Version<br />
<strong>de</strong>s Movement-ABC ein [3]. David hat Schwierigkeiten in allen drei<br />
Bereichen <strong>de</strong>s Assessments, das heißt bei <strong>de</strong>r Handgeschicklichkeit,<br />
bei <strong>de</strong>r Ballgeschicklichkeit und beim statischen Gleichgewicht.<br />
Nur beim dynamischen Gleichgewicht zeigt David Werte,<br />
die seinem Alter entsprechen.<br />
Wegen <strong>de</strong>r mangelhaften taktil-propriozeptiven Diskriminationsleistungen<br />
führe ich einzelne Untertests aus <strong>de</strong>m Sensory<br />
Integration and Praxis Test (SIPT) durch [4], und zwar „Manual<br />
Form Perception“ (MFP), „Fingeri<strong>de</strong>ntification“ (FI) sowie „Graphesthesia“<br />
(GRA). Die manuelle Formperzeption gelingt ihm, bei<br />
<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Untertests liegen auffällige Werte vor.<br />
Die Untertests „Position in Space“, „Copying“ und „Spatial Relations“<br />
aus <strong>de</strong>m DTVP-2 [5] zeigen, dass wahrscheinlich keine<br />
räumlich-visuellen Schwierigkeiten vorliegen. Allerdings fällt<br />
die mangelhafte Kopf-Rumpf-Kontrolle auf. Bei Papier und Bleistiftaufgaben<br />
liegt David fast mit <strong>de</strong>m Oberkörper auf <strong>de</strong>m Tisch.<br />
Ein großer Teil seines Körpergewichtes liegt auf <strong>de</strong>r Unterlage auf.<br />
Das verhin<strong>de</strong>rt einen flüssigen Hand-Arm-Transport. David hält<br />
<strong>de</strong>n Stift im Vierpunktgriff mit stark flektierten Fingern (a Abb. 1).<br />
Es sind keine isolierten Fingerbewegungen sichtbar. David schreibt<br />
mit <strong>de</strong>r ganzen Hand beziehungsweise <strong>de</strong>m ganzen Arm.<br />
Seine Handpräferenz ist laut Aussage <strong>de</strong>r Mutter ein<strong>de</strong>utig<br />
rechts. Auf eine weitere Abklärung verzichte ich darum und plane<br />
für die Befun<strong>de</strong>rhebung insgesamt zwei Sitzungen ein.<br />
Therapeutische Interventionen<br />
David zeigt beim M-ABC nicht nur in <strong>de</strong>r Fein-, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>r<br />
Grobmotorik Auffälligkeiten. Offensichtlich wirken sich diese in<br />
seinem Alltag jedoch nicht störend aus. Die vier im COPM genannten<br />
Betätigungen wer<strong>de</strong>n daher im Fokus meiner therapeutischen<br />
Bemühungen stehen: Schreiben, Schnei<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Schere, Schuhe<br />
bin<strong>de</strong>n und Knöpfen.<br />
> > Sitzhaltung: Eine optimale Sitzhaltung mit einer guten Kopfeinstellung<br />
ist eine wesentliche Voraussetzung für feinmotorische<br />
Leistungen. David lernt, sein Becken und somit seinen Schwerpunkt<br />
optimal einzustellen. Parallel dazu passen wir seinen<br />
Arbeitsplatz in <strong>de</strong>r Schule und zu Hause optimal an. Der Stuhl in<br />
<strong>de</strong>r Schule ist so eingestellt, dass Davids Füße gut auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n<br />
aufstehen. Die Tischkante <strong>de</strong>s Pultes befin<strong>de</strong>t sich auf <strong>de</strong>r Höhe<br />
<strong>de</strong>r unteren Brustbeinspitze.<br />
> > Taktil-propriozeptive Diskriminationsfähigkeit: Davids Mutter<br />
erhält För<strong>de</strong>ranregungen für zu Hause (zum Beispiel Arbeiten<br />
mit Knete, Ton, Teig o<strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Stempeln).<br />
> > Kraftdosierung: Das dosierte Einsetzen <strong>de</strong>r Kraft steht in engem<br />
Zusammenhang mit einer differenzierten Verarbeitung von<br />
Ergotherapie<br />
Abb. 1 Flektierte Fingergelenke: Das Kind schreibt mit <strong>de</strong>r ganzen Hand.<br />
propriozeptiven Sinneseindrücken. In <strong>de</strong>r Therapieeinheit steht<br />
David am Tisch und macht zunächst Handabdrücke mit Fingerfarbe,<br />
Faust und geöffnete Hand im Wechsel. Bei <strong>de</strong>r nächsten<br />
Aufgabe sitzt David am Tisch. Er arbeitet mit großen festen bis<br />
hin zu kleinen weichen Stempeln, dicken Filzstiften mit Motiven<br />
an <strong>de</strong>r Spitze und zuletzt mit dünnen Filzstiften. David erhält<br />
eine Punktierungsaufgabe. Er muss jeweils einen Punkt in ein<br />
vorgegebenes Feld setzen und dabei seine Kraft dosieren. Diese<br />
Aufgabe erfor<strong>de</strong>rt feinmotorische Differenzierungsleistungen<br />
und eine gute Auge-Hand-Koordination.<br />
> > Selektive Fingerbewegungen und Oppositionsstellung <strong>de</strong>s Daumens:<br />
Wir streben einen Dreipunkt- o<strong>de</strong>r unverkrampften Vierpunktgriff<br />
an. Schon am Anfang <strong>de</strong>r Therapie suchen David und<br />
ich gemeinsam einen passen<strong>de</strong>n Stift. David wählt einen dreieckigen<br />
Bleistift mit Antirutschpunkten. Mit <strong>de</strong>r Lehrerin vereinbare<br />
ich, dass David mit <strong>de</strong>m Bleistift schreiben darf. Auf zusätzliche<br />
Stifthilfen, die am Stift angebracht wer<strong>de</strong>n, verzichte ich<br />
bewusst, weil diese die taktil-propriozeptive Rückmeldung<br />
zusätzlich erschweren. David erhält eine rutschfeste Unterlage,<br />
die er unter sein Schreibheft legt.<br />
> > Feinmotorische Leistungen: David schnei<strong>de</strong>t zunächst entlang<br />
gera<strong>de</strong>r Linien auf Papier, das ihm einen adäquaten Wi<strong>de</strong>rstand<br />
entgegengesetzt. Er erweitert seine Kompetenzen, in<strong>de</strong>m er mit<br />
an<strong>de</strong>ren Papierarten Erfahrungen sammelt und zunehmend<br />
anspruchsvollere Formen ausschnei<strong>de</strong>t. Die Mutter übernimmt<br />
entsprechen<strong>de</strong> Anregungen im Alltag. Knöpfen und Schleife bin-<br />
<strong>de</strong>n stellen komplexe feinmotorische Herausfor<strong>de</strong>rungen dar.<br />
Deshalb verschiebe ich Übungen dazu ans En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Therapie.<br />
Vorerst bitte ich die Mutter, für David Kleidung ohne Verschlüsse<br />
auszuwählen, zum Beispiel Schuhe mit Klettverschluss.<br />
Ausblick<br />
Davids Mutter ist in die För<strong>de</strong>rung durch konkrete Hausaufgaben<br />
intensiv einbezogen. Vater und Sohn werken am Wochenen<strong>de</strong><br />
gemeinsam. Nach einem halben Jahr Ergotherapie zeigen sich bereits<br />
<strong>de</strong>utliche Fortschritte. Voraussichtlich ist die Therapie nach<br />
insgesamt einem Jahr abgeschlossen.<br />
Foto: A. Nacke<br />
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