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"Arbeitslos - nicht hoffnungslos ..."

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BISCHÖFLICHE ARBEITSLOSENSTIFTUNG<br />

4020 Linz, Kapuzinerstr. 38, 2. Stock<br />

Tel: 0732 / 781370, Fax: 0732 / 781370-4<br />

e-mail: arbeitslosenstiftung@dioezese-linz.at<br />

www.dioezese-linz.at/arbeitslosenstiftung<br />

Konto: 10.653.210, VKB-Bank, BLZ 18.600<br />

20 Jahre „Bischöfliche <strong>Arbeitslos</strong>enstiftung“ Linz - 18. Oktober 2007<br />

„ARBEITSLOS – NICHT HOFFNUNGSLOS....“<br />

Paul Schobel, Betriebsseelsorger, Stuttgart<br />

Es ist schon einige Jahre her: wir saßen mit Erwerbslosen Menschen am Karfreitag-Nachmittag um<br />

einen großen Scherbenhaufen herum. Ich lud die Anwesenden ein, eine Scherbe in die Hand zu<br />

nehmen und ihr sozusagen einen Namen zu geben: „Leere“, „Sinnlosigkeit“, „Hoffnungslosigkeit.“ „Ich<br />

falle andern nur noch zur Last“, „für mich ist eine Welt zusammengebrochen.“ „Ich mag mir selber<br />

<strong>nicht</strong> mehr...“ „Mein Tag ist ein einziger grauer Brei“ So stand nachher auf den Scherben zu lesen.<br />

So also klingt das, wenn Menschen die Arbeit aus der Hand geschlagen wird. Das ist, wie wenn man<br />

kostbares Porzellan zerdeppert und Lebensentwürfe mit Füßen tritt. Zorn lag auf den Gesichtern und<br />

eine unendliche Trauer, die bei manchen schon in Bitterkeit überging.<br />

20 Jahre lang haben mutige Frauen und Männer, haupt- und ehrenamtliche BeraterInnen in der Bischöflichen<br />

<strong>Arbeitslos</strong>enstiftung wahrscheinlich auch <strong>nicht</strong>s anderes gehört. Haben sich solchen Nöten<br />

ausgeliefert, sich gestellt. Ein Knochenjob! Sage niemand, man würde sich solche Erfahrungen<br />

einfach abschminken und sich die eigene, sorgenvolle Stirn wieder glatt streichen können. Da heißt<br />

es vielmehr, auszuhalten, standzuhalten, <strong>nicht</strong> davon zu laufen, sich zu konfrontieren. Denn in einem<br />

Fall springt einem die Wut ja selbst ins Gesicht, die Trauer treibt einem selbst die Tränen in die Augen.<br />

Schnell könnte die Resignation auch jene lähmen, die eigentlich helfen wollen. Vor allem dann,<br />

wenn wieder neue Entlassungswellen und Betriebsschließungen übers Land rollen...<br />

Dank und Anerkennung aus dem Nachbarland daher all denen, die dieses große Werk damals aus<br />

der Taufe hoben und all denen, die über all die Jahre hinweg aktiv waren oder geblieben sind. Was<br />

Ihr an Trost – <strong>nicht</strong> Vertröstung – aufgeboten habt, wie viel Menschen Ihr aufgerichtet habt und getragen<br />

oder einfach nur begleitet habt, lässt sich <strong>nicht</strong> ermessen.<br />

Kirche bietet über diese Stiftung den Betroffenen eine Klagemauer, einen Ort zum Fluchen und Weinen.<br />

Einen Ort aber auch, um sich abzustützen, wie wir es von der Klagemauer in Jerusalem kennen.<br />

Wo verzweifelte Menschen die letzten Reserven an Mut und Hoffnung aus ihrem Glauben heraus<br />

mobilisieren und getröstet weggehen. So wie hier auch. Denn ich bin mir sicher: Erwerbslose Frauen,<br />

Männer, Jugendiche haben hier doch ein wenig erfahren können, was wir in der Betriebsseelsorge<br />

seit Jahrzehnten als „Label“, als Markenzeichen vor uns hertragen: „<strong>Arbeitslos</strong> – <strong>nicht</strong> <strong>hoffnungslos</strong>.“<br />

Sie haben erfahren, dass sie selber zu sich stehen dürfen, aber auch müssen. Dass sie sich <strong>nicht</strong><br />

hängen lassen dürfen. Dass es schrecklicher Anstrengungen bedarf, um Passivität und Resignation<br />

das Ende zu überwinden und den nächsten Schritt zu tun. Dass auch erwerbslose Menschen Würde<br />

haben und es auch für sie nur eine angemessene Haltung gibt: Den aufrechten Gang!<br />

<strong>Arbeitslos</strong>enberatung ist Schwerstarbeit. Weil man ständig auf Grenzen stößt. Grenzen im Arbeitsmarkt,<br />

der <strong>nicht</strong> mehr aufnahmefähig ist. Grenzen bei den Betroffenen, die oft in sich zusammensinken<br />

wie ein Häufchen Elend, ihren Frust ausleiden und ausstreiten in den Binnenräumen ihrer Beziehungen.<br />

Die sich manchmal hängen lassen und einfach ihren Part in der Partitur <strong>nicht</strong> spielen wollen.<br />

Schwerstarbeit. Und doch ist <strong>Arbeitslos</strong>enberatung <strong>nicht</strong> nur Mühe und Schweiß oder nur Enttäuschung.<br />

Sie bedeutet ein Geben und Nehmen. Ich möchte <strong>nicht</strong> missen, was ich an Mut und Zuversicht,<br />

an Dank und Anerkennung, an Freundschaft und Vertrauen von erwerblosen Menschen zugespielt<br />

bekam.<br />

Es ist Oktober, aber in Deutschland zwitschern immer noch die Schwalben von den Dächern: die<br />

Konjunkturschwalben. Es wird hier in der Alpen-Republik <strong>nicht</strong> anders sein. Erstaunliche Wachs-<br />

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tumsraten über erstaunlich lange Zeit, sinkende <strong>Arbeitslos</strong>en-Zahlen, Facharbeitermangel, Zehntausend<br />

von offenen Stellen. Ein einziges Frühlingserwachen. Manche Mythologen reden schon wieder<br />

von „Vollbeschäftigung“. Würde man diesem Gezwitscher trauen, könnten wir heute dieses Fest zum<br />

opulenten Leichenschmaus umfunktionieren. Die Stiftung hat ihre Schuldigkeit getan, wir haben uns<br />

überflüssig gemacht. Vielen Dank! Die Party ist zu Ende. Nichts lieber als das!<br />

Damit wir uns <strong>nicht</strong> missverstehen: Keine und keiner hier, der sich <strong>nicht</strong> um und mit jedem <strong>Arbeitslos</strong>en<br />

freut, der im Zuge der konjunkturellen Belebung wieder in Arbeit kam. Rein statistisch sind das<br />

bei uns von über vier Millionen registrierten Erwerbslosen etwa 1, 2 Millionen, die nun wieder Licht<br />

sehen am Ende des Tunnels, die sich wieder über Arbeit – frag <strong>nicht</strong> welche! – in die Gesellschaft<br />

einbringen und über Einkommen an ihr teilhaben können.<br />

Doch wir müssen auf dem Teppich bleiben: ein solch anhaltendes Wirtschaftswachstum hätte früher<br />

am Arbeitsmarkt ganz anders eingeschlagen, hätte die Agenturen der AMS leer gefegt und weit mehr<br />

Erwerbslose in Lohn und Brot gebracht. Statt dessen haben wir nun den Beweis, dass herkömmliches<br />

Wirtschaftswachstum am Arbeitsmarkt nur ganz bescheiden ankommt. Und wie in der Natur hat nun<br />

der Herbst Einzug gehalten. Die Konjunktur wird sich, da sind sich die Meteorologen einig, in Bälde<br />

eintrüben. Denn das Auf und Ab ist ja geradezu das makabre Markenzeichen kapitalistischer Wirtschaftsweise.<br />

Und dann müssen wir uns wieder warm anziehen....<br />

An diesem Abend ist kein Platz für Miesepeterei. Es rennen ja genug Unglücks-Propheten übers<br />

Land. Aber wir müssen realistisch bleiben. Die Ursachen, die Auslöser der Massen-<strong>Arbeitslos</strong>igkeit<br />

der vergangenen Jahre sind nämlich keineswegs gebrochen, sondern haben sich allenfalls noch verschärft.<br />

Die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt ist leider vorübergehend, aber <strong>nicht</strong> nachhaltig, sie ist<br />

konjunkturbedingt und – zumindest in Deutschland – rein exportorientiert. Womit haben wir es auf<br />

lange Sicht zu tun? Womit werden wir weiterhin rechnen müssen?<br />

• Die Rationalisierung, der sog. Produktivitätsfortschritt kommt Jahr für Jahr weiter voran und kostet<br />

Arbeitsplätze. Computer, Roboter, intelligente Technik schafft mit immer weniger Arbeit immer<br />

mehr an Gütern und Dienstleistungen. Das müsste ja eigentlich kein Unglück sein. Es gibt Schöneres<br />

als die Erwerbsarbeit. Aber natürlich nur dann, wenn diese neu und anders verteilt würde<br />

und vor allem, wenn die Erträge aus dieser Arbeit allen zugute kämen. Statt dessen sind die Rationalisierungsgewinne<br />

nur den Aktionären zugeflossen. „Neue Technik“ wird den einen zum Segen,<br />

den andern zum Fluch!<br />

• Dasselbe gilt für die Globalisierung, sie muss heute ohnehin an allem schuld sein! Kein Zweifel,<br />

sie kommt voran und führt zu noch stärkerer Internationaler Arbeitsteilung, Ausgründungen, Verlagerungen,<br />

gerade hier im grenznahen Gebiet. Das Kapital nützt jedes Gefälle: geringere Löhne,<br />

Steuervergünstigungen, fehlende Umweltstandards. Man braucht nur einen Namen zu nennen,<br />

und schon läuft es allen kalt über den Buckel: China! Eine Entspannung wäre erst in Sicht, wenn<br />

die Völkergemeinschaft endlich die Kernarbeitsnormen der ILO einführen und Arbeit weltweit<br />

standardisieren und etwa gleich behandeln würde. Doch das wäre ein Sündenfall im kapitalistischen<br />

System mit seiner Markt-Ideologie. „Der Markt wird’s schon richten, der Markt schafft Gerechtigkeit“<br />

– das Credo der Neo-Liberalen. Solange dieses <strong>nicht</strong> verstummt, werden wir mit <strong>Arbeitslos</strong>igkeit<br />

rechnen müssen.<br />

• Vergessen wir <strong>nicht</strong>, dass in der betriebswirtschaftlichen Rechnung Arbeit als „Kostenfaktor“ gehandelt<br />

und behandelt wird. Wo man sie noch braucht, wird sie bedrückt und bedrängt: geringere<br />

Löhne, weniger Rechte, weniger Würde, Prekarität. Wo man sie <strong>nicht</strong> mehr braucht: ab damit! Die<br />

Folgelasten werden der Gesellschaft vorgeworfen. Die Unternehmensziele sind auf ein einziges<br />

eingedampft: sofortige und dauerhafte Rendite. Die Wirtschaft ist zu einem einzigen Jahrmarkt<br />

entartet: Kaufen und verkaufen. In der Jagd nach Renditen fallen Heuschreckenschwärme über<br />

gesunde Unternehmen her und fressen alles ratzekahl. Und wenn sie investieren, dann nur, um<br />

später noch lukrativer verkaufen zu können. Abgesehen davon: Wo man Renditen <strong>nicht</strong> mehr oder<br />

nur noch schwer über Investitionen und anständige Arbeit, über Märkte und solide Produkte erzielt,<br />

weicht man gleich auf die Kapitalmärkte aus. Im „Kasino-Kapitalismus“ von heute winken<br />

ganz andere Renditen, wenn auch mit hohem Risiko. Tagtäglich wird um fast 2 Billionen US-<br />

Dollars gepokert, nur ein Bruchteil dieser gigantischen Summe deckt wirkliche Leistungen ab, alles<br />

andere ist die reinste Lotterie. In dieser Abzockerei bleibt die Arbeit auf der Strecke!<br />

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• Kommt noch ein hausgemachtes Problem in Deutschland dazu: die Binnennachfrage kommt <strong>nicht</strong><br />

in Gang. Das ist die Folge einer maroden Einkommensentwicklung: sinkende Löhne, Richtsätze á<br />

la „Hartz IV“ – damit sind keine Zuwachsraten zu gewinnen. Null-Runden in der Rente, Zuzahlungen<br />

im Gesundheitswesen – die „Reformen“ der letzten Jahre haben die Kaufkraft gerade bedürftiger<br />

Bevölkerungsschichten nachhaltig beschädigt. Auch das kostet Arbeitsplätze.<br />

• Bleibt noch der Verweis auf die Öffentliche Hand: Sie hat sich durch die Steuerpolitik der letzten<br />

Jahre selbst ins Knie geschossen und sich handlungsunfähig gemacht. Dabei wären gerade die<br />

Kommunen Arbeitsplatzbeschaffer Nummer eins: Sach-Investitionen in marode Schulen und Hallenbäder,<br />

Personal-Investitionen in Infrastruktur, Sozialwesen und Kultur.<br />

Nun haben wir angesichts dieser Analyse einen schweren Klimmzug zu bewältigen: „<strong>Arbeitslos</strong> –<br />

<strong>nicht</strong> <strong>hoffnungslos</strong>...“ Ist das angesichts dieser Prognose <strong>nicht</strong> nur eine fromme Sprechblase zum<br />

Jubiläum? „Die Hoffnung stirbt zuletzt?“ – Ein viel strapaziertes Zitat!<br />

Solange wir den Kapitalismus ungehindert und nun auch global schalten und walten lassen, solange<br />

wir die Geschicke dieses Globus und der Weltgesellschaft allein der Marktsteuerung überlassen, sitzt<br />

die Arbeit auf der Verliererbank. „Unsere Aufgabe ist es doch <strong>nicht</strong>, Arbeitsplätze zu schaffen oder zu<br />

erhalten“, sagen mir Konzernleute unverfroren ins Gesicht. Arbeit ist allenfalls ein notwendiges Übel,<br />

von dem man sich lieber heute als morgen trennt.<br />

Gewiss – wir dürfen viele klein- und mittelständische Unternehmen <strong>nicht</strong> übersehen, die sich – in<br />

Augenhöhe mit ihrer Belegschaft - krumm machen, um Aufträge zu ordern und Arbeitsplätze zu sichern.<br />

Sie verdienen unseren Respekt und unsere Anerkennung. Ein Hoffnungssignal! Der weltweite,<br />

„primitive Kapitalismus“ (Johannes Paul II.) aber ist <strong>nicht</strong> zukunftsfähig.<br />

Unsere Hoffnung bekommt erst Hand und Fuß, wenn wir die Politik „ins Gebet nehmen“ und sie auf<br />

ihre ureigene Aufgabe verweisen: sie hat das Sagen, sie ist verantwortlich für den Ausgleich, für das<br />

Allgemeinwohl. Im nationalen Alleingang wird dies <strong>nicht</strong> mehr möglich sein. Wohl aber wäre ein soziales<br />

Europa zu schaffen. Und ebenso könnte man endlich die Kern-Arbeitsnormen der ILO weltweit<br />

standardisieren. Doch davon war in Heiligendamm kein Sterbenswörtchen zu hören. Die Politik muss<br />

vorgehen gegen die Dominanz der Kapitalmärkte, die sich frivol die Weltherrschaft angeeignet haben,<br />

die die Politik vor sich her treiben und sich als Schicksalsgöttin gebärden, der man zur Besänftigung<br />

Opfer bringt. Es geht um <strong>nicht</strong> mehr, aber auch um <strong>nicht</strong> weniger, als die wilden Rösser, die entfesselten<br />

Kapitalmärkte, wieder an die Deichsel des Gemeinwohls zu spannen. Gemeinnutz vor Eigennutz.<br />

Beteiligung aller oder doch möglichst vieler an der Gesellschaft über Arbeit und Einkommen.<br />

Und sage bloß keiner, es gäbe in Österreich <strong>nicht</strong>s zu tun. Der Markt ist bekanntlich sozial und ökologisch<br />

blind. Solange wir uns ausschließlich seiner Steuerung überlassen, werden wichtige Aufgaben<br />

<strong>nicht</strong> erledigt:<br />

• Im Sozialen Ausbau winken massenhaft Arbeitsplätze in der Pflege, in sozialen Netzwerken, im<br />

Umgang mit Jugend, mit Randgruppen. Man könne sie <strong>nicht</strong> finanzieren, behauptet man bei uns.<br />

Man will sie <strong>nicht</strong> finanzieren – das kommt der Wahrheit schon näher! Statt dessen finanziert man<br />

lieber die <strong>Arbeitslos</strong>igkeit.<br />

• An zweiter Stelle schlummert jede Menge Arbeit im ökologischen Umbau einer Verschleuderungswirtschaft:<br />

andere Energie, andere Mobilität, Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft.<br />

• Ein eminenter Arbeitsmarkt versteckt sich auch in Bildung und Kultur. Es gilt, unseren einzigen<br />

Reichtum zu heben, zu fördern, das „Gold in den Köpfen.“<br />

• Und schließlich: wann kommen wir endlich auf die gloriose Idee, Haus- und Familienarbeit, Erziehungs-<br />

und Beziehungsarbeit für Frauen und Männer als Arbeit auszugestalten und zu bezahlen?<br />

Und darüber hinaus die kostbare Arbeit so vieler Menschen im bürgerschaftlichen Engagement?<br />

In Vereinen, Gewerkschaften, Parteien, in Sport und Kultur, in Politik und Bildung. Natürlich geschieht<br />

vieles davon – und hoffentlich – aus Liebe! Bedeutet dies, dass man diese Aufgaben deswegen<br />

<strong>nicht</strong> gerecht honorieren darf?<br />

Ich bin nach wie vor überzeugt von dem, was im „Sozialwort“ der Kirchen vor 10 Jahren geschrieben<br />

wurde, dass wir Arbeit noch einmal neu buchstabieren, definieren müssen. Dann wäre „<strong>Arbeitslos</strong>igkeit<br />

ist kein unabwendbares Schicksal“.<br />

Unsere Hoffnung bekommt Hand und Fuß, wenn sich die Kirchen auf ihre ureigenste Aufgabe zurückbesinnen,<br />

nämlich Anwaltschaft für die Schwachen zu übernehmen, so wie es hier im Ansatz in<br />

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dieser Stiftung ja auch geschieht. Sie hat gar keine andere Wahl, wenn sie den solidarischen Gott der<br />

Bibel bezeugen will, der sich an die Seite der Arbeitssklaven in Ägypten stellt. Sie muss um dieses<br />

Gottes willen jegliche Versklavung in Arbeit und <strong>Arbeitslos</strong>igkeit bekämpfen. Sie hat gar keine andere<br />

Wahl, wenn sie Jesus Christus bezeugt, den menschgewordenen Gottessohn, der sich einließ in die<br />

Knechtsgestalten seiner Zeit. Anwaltschaft für die Bedrängten ist <strong>nicht</strong> eine hübsche Zutat unseres<br />

Glaubens, sondern zählt zu seiner Substanz.<br />

Darum ist mit der Anwaltschaft automatisch die Prophetie verbunden. Liebe und Gerechtigkeit – zwei<br />

Seiten ein- und derselben Medaille. Gerechtigkeit ist einer der Namen Gottes. Gerechtigkeitdienst<br />

steht für die Propheten auf derselben Ebene wie der Gottesdienst. Die Kirchen sollten den „Roten<br />

Faden“ ihrer Kapitalismuskritik endlich wieder aufnehmen und sorgsam weiterspinnen. Sie dürfen sich<br />

<strong>nicht</strong> verlieren in ständiger, lauwarmer Rücksichtnahme. Sie muss am helllichten Tag wahrgenommen<br />

werden an der Seite der Bedrängten, sie muss Farbe bekennen – <strong>nicht</strong> nur im Leitungsamt, sondern<br />

in all ihren Gliedern. Das verunsichert die Akteure, das bestärkt die Betroffenen.<br />

„<strong>Arbeitslos</strong> – <strong>nicht</strong> <strong>hoffnungslos</strong>“ – Am meisten bekommt unsere Hoffnung Hand und Fuß in jenem<br />

Hoffnungs-Potential, das die Erwerbslosen selber erbringen. In der Entschiedenheit, in ihrem festen<br />

Willen, sich in Gesellschaft einzubringen mit ihrem Können, ihrem Fleiß, ihrer Kreativität, ihrer Verantwortlichkeit.<br />

Sie werden dem Ausdruck verleihen. Sie müssen immer wieder lästig und aufdringlich<br />

werden und von sich reden machen. Sie legen den Finger in eine blutende, gesellschaftliche Wunde.<br />

Es geht <strong>nicht</strong> an, dass die einen sich dumm und dusslig schaffen und die andern leer ausgehen. Es<br />

geht <strong>nicht</strong> an, dass die einen sich ihre Arbeit mit Millionen vergüten und Arbeitsplätze abbauen und<br />

andere am Existenzminimum herumkratzen. Wo es alle Hände voll zu tun gibt, darf es keine <strong>Arbeitslos</strong>igkeit<br />

geben. Eine Gesellschaft kann <strong>nicht</strong> auf die Schaffenskraft, die Phantasie und Kreativität,<br />

den Fleiß und die Verantwortlichkeit von Millionen Menschen verzichten. Das können wir uns <strong>nicht</strong><br />

leisten! Das ist Misswirtschaft und ein Verbrechen an den Menschen. Wo ein Land vor privatem<br />

Reichtum strotzt, darf es keine öffentliche und also auch keine persönliche Armut geben. Das ist unverträglich,<br />

das wollen wir <strong>nicht</strong>. Dagegen gehen wir vor. Unsere christliche Botschaft an die Erwerbslosen<br />

ist eindeutig: Ihr seid von Gott geliebt und angenommen – auch ohne Erwerbsarbeit. Und daher<br />

treten wir in der Gesellschaft für Euch ein: Ihr seid vollwertige Glieder und habt ein Recht darauf, angenommen<br />

und verstanden zu werden – auch ohne Erwerbsarbeit!<br />

Wenn die Anzeichen <strong>nicht</strong> trügen – und <strong>nicht</strong>s wäre mir lieber als dass sie trügen! – wird die Bischöfliche<br />

<strong>Arbeitslos</strong>enstiftung auch in Zukunft noch eine Kleinigkeit zu tun haben. Dazu wünsche ich Euch<br />

viel Mut und Kraft. Mehr noch: Ich möchte euch Segen zusprechen! Und das ist in der Bibel ein starkes<br />

Stück: es wird gelingen, was anpacken und erstreben!<br />

Wir haben damals am Karfreitag die Scherben, die Bruchstücke aus dem Leben der Erwerbslosen in<br />

ein großes Kreuz eingearbeitet, das heute noch das Arbeiter-/<strong>Arbeitslos</strong>enzentrum in Böblingen ziert.<br />

Denn wir als Christinnen und Christen aller Konfessionen wissen auch das Leid der Erwerbslosigkeit<br />

gut aufgehoben im Kreuz und Leiden Jesu Christi. Aber wir verbinden es auch mit der Hoffnung auf<br />

die Auferstehung.<br />

Zum Schluss unserer Karfreitags-Feier haben die <strong>Arbeitslos</strong>en auch den Mut aufgebracht, dieses<br />

Kreuz mit Blumen zu schmücken und auch denen wieder einen Namen zu geben: „<strong>Arbeitslos</strong>- <strong>nicht</strong><br />

<strong>hoffnungslos</strong>“. „Ich fühle mich angenommen, verstanden, geliebt“. „Ich erfahre hier Nähe und Vertrauen“.<br />

„Ich habe gelernt, wieder an mich selber zu glauben“. „Bei euch fühle ich, dass ich <strong>nicht</strong> abgeschrieben<br />

bin..“ „Bei euch habe ich das Lachen wieder gelernt....“<br />

Wer lacht, der hat ins Leben zurückgefunden. Wer feiert, so wie wir heute Abend, der kann auch wieder<br />

kämpfen.<br />

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