disputa
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<strong>disputa</strong><br />
Wider die<br />
Klerikalisierung<br />
der Laien<br />
Ihr Ort soll der Alltag sein,<br />
nicht der Altar<br />
Gläubige verlassen<br />
die Kathedrale<br />
von Nôtre<br />
Dame in Paris.<br />
Gemälde von Sir<br />
Lawrence Alma-<br />
Tadema, um 1864.<br />
Privatsammlung.<br />
„Wir dürfen weder die Laien klerikalisieren, noch dürfen sie<br />
darum bitten. Der Laie ist Laie und soll als Laie leben – mit<br />
der Kraft der Taufe, die ihn dazu ermächtigt, Sauerteig der<br />
Liebe Gottes in der Gesellschaft zu sein, um Hoffnung zu<br />
wecken und zu säen, um den Glauben zu verkünden, nicht<br />
von der Kanzel, sondern von seinem alltäglichen Leben aus.<br />
Um das tägliche Kreuz zu tragen, wie wir es alle tragen. Allerdings<br />
das Kreuz des Laien, nicht das des Priesters.“<br />
(Kardinal Jorge Mario Bergoglio, 2011)<br />
foto: dpa<br />
vatican 8-9|2014 37
<strong>disputa</strong><br />
Kirchen<br />
ohne Altäre<br />
und Herden<br />
ohne Hirten?<br />
Die Pastoral ist im Umbruch. In vielen Diözesen nördlich der Alpen erhält<br />
die „klassische“ Pfarrei ein neues Erscheinungsbild. Doch ändert sich damit<br />
auch ihr Wesen? Ein Beitrag zur Unterscheidung der Geister<br />
von christoph sperling<br />
Wir sollen umdenken! Und wie es vor vier Jahren<br />
ein Magdeburger Ordinariatsrat ausdrückte,<br />
soll sich „keiner beziehungsweise keine diesen<br />
Umdenkprozessen einfach entziehen“. Dafür wird zurzeit<br />
vieles getan.<br />
In der Schule haben wir gelernt, dass es bei einem Organismus<br />
einen Genotyp und einen Phänotyp gibt. Der Genotyp<br />
bezeichnet die genetische Identität eines Lebewesens,<br />
der Phänotyp das Erscheinungsbild, das sich im Laufe eines<br />
Lebens in erstaunlichem Maße ändern kann, ohne dass das<br />
Lebewesen nicht mehr mit sich selbst identisch wäre beziehungsweise<br />
sein spezifisches Wesen eingebüßt hätte.<br />
Ich habe schon in vielen Kirchen und Kapellen die heilige<br />
Messe gefeiert. Ich war in den Vereinigten Staaten, in<br />
Kolumbien und Afrika. Ich habe die byzantinische Liturgie<br />
in der Ukraine erlebt und auch schon an der Feier der heiligen<br />
Eucharistie im syro-malabarischen Ritus teilgenommen.<br />
Ich habe schon viele und die verschiedensten Kirchen<br />
gesehen. Die romanische Abteikirche, die Tiroler Bergkapelle,<br />
die Kathedralen von Cincinnati und Ouagadougou, die<br />
Kirche von Nowa Huta, die italienische Vorstadtpfarrkirche<br />
und die ärmliche Holzkirche der kolumbianischen Zuckerrohrplantagenarbeiter.<br />
In jedem Gotteshaus habe ich einen<br />
Altar gefunden: einen großen aus Stein oder einen provisorischen<br />
Holzaltar. Aber immer einen Altar. Der Phänotyp<br />
war sehr verschieden. Aber immer wusste ich: Ich bin in<br />
einer katholischen Kirche. Einmal war ich auch in der anglikanischen<br />
Kathedrale von Washington. Es wurde gerade<br />
eine anglikanische Bischofsweihe gefeiert. Der Phänotyp<br />
(Architektur, Gewänder, Gesänge) war auf den ersten Blick<br />
ganz katholisch. Aber schnell war klar: Der Genotyp ist hier<br />
ein anderer.<br />
Der Altar in unseren Kirchen ist der Ort des eucharistischen<br />
Opfers. Er stellt Christus dar, den wahren Hohepries-<br />
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<strong>disputa</strong><br />
Petrus Canisius, der erste deutsche Jesuit, predigt,<br />
unter den Zuhörern sind unter anderen<br />
Papst Gregor XIII. und Kaiser Rudolf II. Das<br />
Gemälde wird Pierre Wuilleret (um 1580-1643)<br />
zugeschrieben. College Saint-Michel, Fribourg.<br />
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<strong>disputa</strong><br />
ter. Der Altar gehört unverzichtbar zum Genotyp des Organismus<br />
Kirche. In der Osterpräfation V heißt es von Christus:<br />
„...er selbst ist der Priester, der Altar und das Opferlamm“.<br />
Aus der Eucharistie lebt die Kirche. Für die Feier<br />
des eucharistischen Opfers sind unsere Kirchen gebaut und<br />
geweiht.<br />
Der Pressesprecher des Zentralkomitees der deutschen<br />
Katholiken teilte vor einiger Zeit (27. Juni 2014) mit, dass<br />
dessen Präsident, der Politiker Alois Glück, das von der<br />
Diözese Würzburg gestartete Projekt begrüße, Laien an der<br />
Gemeindeleitung zu beteiligen. „Hier zeichnet sich ein Mentalitätswandel<br />
ab, der auf die gemeinsame Verantwortung<br />
von Priestern und Laien für die Gestaltung des Gemeindelebens<br />
setzt und das Erscheinungsbild unserer Kirche nachhaltig<br />
verändert“, so Glück.<br />
Wir halten also fest: Das Erscheinungsbild, der Phänotyp<br />
unserer Kirche, soll sich nachhaltig verändern. Wir sollen<br />
uns einem Umdenkprozess nicht entziehen können. Die<br />
entscheidende Frage ist, ob damit auch der Genotyp der<br />
Kirche betroffen ist. Es geht bei dieser Frage um zwei miteinander<br />
tief zusammenhängende Wahrheiten: um die Wahrheit<br />
der Eucharistie und um die Wahrheit des katholischen<br />
Weihepriestertums und Hirtenamtes.<br />
Priester und von der Kirche bezahlte Laien werden in<br />
den einen Topf „Hauptamtliche“ geworfen. Ein Bischof<br />
beginnt eine Predigt mit: „Liebe Hauptamtliche und liebe<br />
Laien“. Er hätte auch sagen können: „Liebe bezahlte und<br />
liebe unbezahlte Christen“, damit aber ist die wesenhafte<br />
hierarchischsakramentale Struktur der katholischen Kirche<br />
aus dem Blick geraten, und wir verstehen uns selbst<br />
nach weltlichen Kategorien. Der Organismus Kirche mit seinem<br />
übernatürlichen Wesen, das mit rein soziologischen<br />
Kategorien nicht erfasst werden kann, wird verkannt und<br />
in ihm nicht angemessene Begriffe gepresst. In der Kirchenzeitung<br />
wird gemeldet: „Seelsorger dachten über das Miteinander<br />
von Hauptamtlichen und den (sogenannten) Laien<br />
nach“ (Tag des Herrn, 13. November 2011). Durch die<br />
Änderung der Sprache soll die Wirklichkeit geändert werden.<br />
Denn tatsächlich unterscheiden sich, wie auch das letzte<br />
Konzil bekannte, das allgemeine und das Weihepriestertum<br />
(das heißt Laien und Priester) nicht nur dem Grade,<br />
sondern dem Wesen nach (Lumen Gentium 10). Der Standesunterschied<br />
kommt nicht durch Bezahlung oder Nichtbezahlung,<br />
sondern durch die übernatürliche Wirklichkeit<br />
der Weihe zustande. Wenn wir um „geistliche Berufun-<br />
gen“ beten, dann beten wir eben nicht um Küster, Organisten<br />
und Gemeindereferenten, sondern um Priester und<br />
Ordensleute. Aber in den Flyern zur „Berufungspastoral“<br />
wird seit Jahren – auch gegen Protest – die geistliche Berufung<br />
zum Priestertum oder gottgeweihten Leben im Orden<br />
munter mit den verschiedensten Berufen durcheinandergebracht,<br />
die die kirchensteueralimentierte Kirche in Deutschland<br />
anzubieten hat. Dies geschieht absichtlich und planmäßig.<br />
Berufung aber und Beruf sind zwei verschiedene Dinge.<br />
Laut Hans Urs von Balthasar gibt es „echte“ und „forcierte<br />
Laien“. „Während die echten mit Selbstverständlichkeit<br />
ihren Dienst an ihrem Platz versehen – einen heute<br />
mehr als je wirklich unentbehrlichen Dienst –, müssen die<br />
‚forcierten Laien‘ immerfort ihr Laientum betonen und kirchenideologisch<br />
untermauern.“ (Neue Klarstellungen, 1979,<br />
S. 116)<br />
Ein damaliger hoher Mitarbeiter unseres Ordinariats<br />
äußerte 1997 zur vatikanischen Instruktion zur Mitarbeit<br />
der Laien am Dienst der Priester öffentlich: „Der Papst<br />
macht die Kirche kaputt.“ In einer Aussendung meines Bistums<br />
siebzehn Jahre später heißt es: „Bei ‚Geistlichen‘ denken<br />
wir zuerst an Priester. Doch auch andere Hauptberufliche<br />
in Seelsorge, Schule und Caritas stellen sich in den<br />
Dienst für das Leben und den Glauben anderer.“ (Zukunftsbilder<br />
Bistum Magdeburg 2019). Diese Formulierungen<br />
sind nichts anderes als Nebelbomben. Der Neusprech<br />
soll das „Umdenken“ festmauern, dem sich keiner entziehen<br />
können soll. Immer wieder wird beteuert: Wir wollen<br />
ja keine Kirche ohne Eucharistie, wir wollen ja keine Kirche<br />
ohne Priester. Aber gleichzeitig werden diesem Bekenntnis<br />
widersprechende Fakten gesetzt. Die Taten widersprechen<br />
den Worten. In ein und derselben Kleinstadt werden<br />
an einem Vormittag in zwei nicht weit voneinander entfernten<br />
Kirchen Gottesdienste gefeiert: der eine ist eine heilige<br />
Messe, der andere eine so genannte Wortgottesfeier. Solche<br />
Zustände sind im deutschsprachigen Raum Legion. Die<br />
Gläubigen und die Gottesdienstleiter selbst werden nicht<br />
darauf aufmerksam gemacht, dass sie durch die Teilnahme<br />
an der Wortgottesfeier ihrer Sonntagspflicht nicht nachkommen.<br />
Das eucharistische Opfer, das Christus das Leben<br />
kostet, ist uns keine zehn Minuten Fußweg oder fünf Minuten<br />
Autofahrt mehr wert. Diese Situation, die angeblich die<br />
zentrale Bedeutung der Eucharistie nicht schmälert, wird<br />
euphemistisch als „liturgische Vielfalt“ bezeichnet. In manchen<br />
Bistümern wird heute sogar offiziell dazu aufgefordert,<br />
40 vatican 8-9|2014
<strong>disputa</strong><br />
Paulus predigt in Athen. Von Giovanni<br />
Paolo Pannini (1691-1764). Museum<br />
der Schönen Künste, Budapest.<br />
nicht zu einer heiligen Messe in die benachbarte Kirche zu<br />
fahren, sondern durch die Teilnahme am Wortgottesdienst<br />
der eigenen Gemeinde treu zu bleiben. Pensionierte Priester<br />
werden an der Zelebration gehindert. Das Ortsprinzip<br />
wird über die Treue zum eucharistischen Opfer des Herrn<br />
gestellt. Die „Gemeinde“ ist wichtiger als der eucharistische<br />
Christus. Der Altar als Ort des Opfers wird zum Tisch<br />
der Kommunionspendung. Damit ist er aber auf die Dauer<br />
im Bewusstsein der Gläubigen kein Altar mehr und könnte<br />
letztlich auch abgeschafft werden.<br />
Im Juli 2013 warnte Papst Franziskus vor der Klerikalisierung<br />
der Laien: „Der Klerikalismus ist ebenfalls eine sehr<br />
aktuelle Versuchung in Lateinamerika. Seltsamerweise handelt<br />
es sich in der Mehrheit der Fälle um eine sündige Komplizenschaft:<br />
Der Pfarrer klerikalisiert, und der Laie bittet<br />
ihn höflich, ihn zu klerikalisieren, weil es sich im Grunde<br />
für ihn als bequemer erweist.“ Noch als Kardinal hatte<br />
Jorge Mario Bergoglio bereits 2011 formuliert: „Wir dürfen<br />
weder die Laien klerikalisieren, noch dürfen sie darum bitten.<br />
Der Laie ist Laie und soll als Laie leben – mit der Kraft<br />
der Taufe, die ihn dazu ermächtigt, Sauerteig der Liebe Gottes<br />
in der Gesellschaft zu sein, um Hoffnung zu wecken und<br />
zu säen, um den Glauben zu verkünden, nicht von der Kanzel,<br />
sondern von seinem alltäglichen Leben aus. Um das täg-<br />
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<strong>disputa</strong><br />
Der heilige Franz Xaver predigt.<br />
Gemälde von Peter Paul<br />
Rubens (1577-1640). Kunsthistorisches<br />
Museum, Wien.<br />
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<strong>disputa</strong><br />
liche Kreuz zu tragen, wie wir es alle tragen. Allerdings das<br />
Kreuz des Laien, nicht das des Priesters.“<br />
Bei uns sollen Laien – das heißt de facto aber nur einige<br />
wenige von ihnen – nun also an der „Leitung von Pfarreien“<br />
beteiligt werden. Es wird mitgeteilt: „Zukünftig wird<br />
nicht jede Pfarrei durch einen eigenen Pfarrer geleitet werden…[dies<br />
gilt offensichtlich als unabänderliches Schicksal].<br />
Zunehmend heißt das für Pfarreien: Leitung wird in<br />
gemeinschaftlichen Formen wahrgenommen. Die Aufgabe<br />
von hauptberuflichen Mitarbeiter/innen liegt dann vor<br />
allem in der Ermutigung und Begleitung von Menschen, die<br />
ehrenamtlich Verantwortung übernehmen“ (Zukunftsbilder<br />
Bistum Magdeburg 2019).<br />
Im „Aufruf zum Ungehorsam“ österreichischer Pfarrer<br />
hieß es 2011: „Wir werden uns dafür einsetzen, dass jede<br />
Pfarre einen eigenen Vorsteher hat: Mann oder Frau, verheiratet<br />
oder unverheiratet, hauptamtlich oder nebenamtlich.<br />
Das aber nicht durch Pfarrzusammenlegungen, sondern<br />
durch ein neues Priesterbild.“<br />
Im Bistum Magdeburg wird davon ausgegangen, dass<br />
für die 44 Pfarreien zukünftig nicht mehr genügend Priester<br />
als Pfarrer zur Verfügung stehen. Es sollen aber keine Pfarreien<br />
zusammengelegt werden. Zugrunde gelegt wird Canon<br />
517 § 2 CIC: „Wenn der Diözesanbischof wegen Priestermangels<br />
glaubt, einen Diakon oder eine andere Person, die<br />
nicht die Priesterweihe empfangen hat, oder eine Gemeinschaft<br />
von Personen an der Wahrnehmung der Seelsorgeaufgaben<br />
einer Pfarrei beteiligen zu müssen, hat er einen<br />
Priester zu bestimmen, der, mit den Vollmachten und<br />
Befugnissen eines Pfarrers ausgestattet, die Seelsorge leitet.“<br />
Darauf bezieht man sich nun mit zweifelhafter Berechtigung,<br />
wenn zukünftig mehr und mehr Pfarreien von Teams<br />
aus „Haupt- und Ehrenamtlichen“ geleitet werden sollen,<br />
wobei die Rolle des verantwortlichen Priesters unklar bleibt<br />
und nach Aussagen von Ordinariatsmitarbeitern der eines<br />
Spirituals oder Geistlichen Begleiters der Gemeinde entspricht.<br />
Diese Einrichtung wird anscheinend als Dauerlösung<br />
angestrebt. Hier ist auch die Frage zu stellen, wie das<br />
überhaupt gehen soll, Leitung als Gruppe beziehungsweise<br />
Team wahrzunehmen. In keiner demokratischen Regierung<br />
gibt es das. Nur im Kollektiv der Edelkommunisten und der<br />
68iger am Beginn der Studentenrevolution wurde dies proklamiert,<br />
allerdings ohne umgesetzt zu werden.<br />
Die Hoffnung auf ausreichend Priesternachwuchs aus<br />
dem eigenen Bistum beziehungsweise auf Priester fidei<br />
donum aus anderen Ortskirchen hat man offensichtlich auf-<br />
gegeben. Das Fatale ist, dass gerade der allen Beteuerungen<br />
zum Trotz erweckte Eindruck, man komme vor Ort<br />
auch ohne Priester ganz gut und vielleicht sogar noch besser<br />
aus, jede neue Priesterberufung für das Bistum in Keime<br />
zu ersticken droht. Wenn das, wofür der Priester lebt, die<br />
Feier des eucharistischen Opfers und das Hirtenamt in der<br />
Kirche, ersetzbar geworden ist, warum sollte ein junger<br />
Mann sich dann auf diesen an Konsequenzen reichen Weg<br />
machen? Und wenn wirklich wieder mehr Priester aus uns<br />
oder auch zu uns kommen, werden solche „Pfarreien neuen<br />
Typs“ diese überhaupt noch als ihre eigene Hirten an- und<br />
aufnehmen können? Wird hier eine irreversible Umgestaltung<br />
angestrebt?<br />
Hans Urs von Balthasar schrieb: „Das biblische durchgehend<br />
gebrauchte Bild vom Hirten zeigt dies klar: der<br />
Hirte ist nicht unterteilbar, nicht durch Schafe zu ersetzen“<br />
(a.a.O., S. 117). Das Kirchenrecht sagt: „Die Pfarrei<br />
ist eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen, die in<br />
einer Teilkirche auf Dauer errichtet ist und deren Seelsorge<br />
unter der Autorität des Diözesanbischofs einem Pfarrer als<br />
ihrem eigenen Hirten (proprio eiusdem pastori) anvertraut<br />
wird.“ (Canon 515 §1 CIC) Eine Pfarrei kann also dementsprechend<br />
nicht auf Dauer ohne Pfarrer konzipiert werden<br />
(„Pfarrei“ und „Pfarrer“ stehen allein begrifflich in einem<br />
untrennbaren und unersetzbaren Zusammenhang!), analog<br />
zu einem Bistum, das zwar jahrelang vakant sein, aber<br />
nicht dauerhaft ohne Bischof gedacht werden oder leben<br />
kann (mit dem „Bistum“ und dem „Bischof“ verhält es<br />
sich sprachlich ebenso). Der Hirte heiligt, leitet und lehrt.<br />
Keine Gemeinde kann sich selbst heiligen, leiten und lehren,<br />
wenn uns auch schon vor Jahren gesagt wurde, heute sei die<br />
Gemeinde „Subjekt der Seelsorge“.<br />
„Wortgottesfeiern“, zu deren Leitung so eifrig gutwillige<br />
und opferbereite ehrenamtliche Helfer ausgebildet werden,<br />
die dann natürlich das Erlernte auch einmal anwenden wollen,<br />
sind kein und können kein Ersatz für die sonntägliche<br />
Feier des eucharistischen Opfers sein. Dieser Eindruck wird<br />
aber immer mehr und offensichtlich absichtlich erweckt.<br />
Sollte wirklich kein Priester für die Messfeier zur Verfügung<br />
stehen und sollte der Weg zur nächsten Messe tatsächlich<br />
zu weit sein, dann empfiehlt es sich, dass die Gläubigen<br />
sich zum Hören auf das Wort Gottes, zum Bitt- und Lobgebet<br />
versammeln und dass ihnen gegebenenfalls auch die heilige<br />
Kommunion gespendet wird. Auf Französisch gibt es<br />
dafür den schönen Ausdruck „Assemblées dominicales en<br />
attente de prêtre“, das heißt „Sonntägliche Versammlungen<br />
vatican 8-9|2014 43
<strong>disputa</strong><br />
Die Bergpredigt Jesu von<br />
Wladimir Jegorowitsch (1846-<br />
1920). Staatliches Russisches<br />
Museum, Sankt Petersburg.<br />
fotos: dpa<br />
44 vatican 8-9|2014
<strong>disputa</strong><br />
in Erwartung eines Priesters“. Was nun mehr und mehr im<br />
deutschsprachigen Raum eingeführt wird, ist jedoch allen<br />
Bekräftigungen zum Trotz de facto etwas anderes. Jeder<br />
kann sich davon überzeugen.<br />
Es drängt sich der Eindruck auf: Nicht nur der Phänotyp<br />
der Kirche soll sich ändern, sondern der Genotyp, in ihre<br />
vom Herrn eingestiftete Wesensstruktur soll eingegriffen<br />
werden. Für dieses Werk aber dürfen wir weder als Priester<br />
noch als Laien zur Verfügung stehen. Seien wir wachsam!<br />
Als christgläubige Laien müssen wir jeden zumutbaren<br />
Weg auf uns nehmen, um möglichst gemeinsam eine heilige<br />
Messe am Sonntag zu erreichen. Das „Zusammenkommen<br />
an einem gemeinsamen Ort“ war schon in der alten<br />
Kirche der erste Akt der sonntäglichen Eucharistie (vgl. die<br />
Beschreibung des hl. Justin um 155). Dabei gilt es, Fahrgemeinschaften<br />
zu organisieren und niemals das Ortsprinzip<br />
über die Einladung des Herrn zu seinem eucharistischen<br />
Opfer zu stellen. Und als Priester dürfen wir nicht zulassen,<br />
dass in unserem Verantwortungsbereich die sonntägliche<br />
Eucharistie oder das Hirtenamt durch Surrogate ersetzt werden.<br />
Alle noch so frommen Gebetsinitiativen um Priesternachwuchs<br />
laufen ins Leere, wenn sie durch unser tatsächliches<br />
Handeln ad absurdum geführt werden.<br />
Eine wahre Erneuerung und ein wirklicher Aufbruch<br />
sind von diesem „Umdenken, dem sich keiner entziehen<br />
kann“, und von den damit angestrebten und schon längst<br />
begonnenen Umstrukturierungen nicht zu erwarten. Vor<br />
über 110 Jahren schrieb Wilhelm von Keppler, Bischof von<br />
Rottenburg, Worte, die uns auch heute noch den Weg zur<br />
wahren Reform zeigen können: „Eine Reform des Katholizismus<br />
muss selbstverständlich vor allem eine religiöse<br />
Reform sein. Ihre primären Triebkräfte und Hilfskräfte sind<br />
daher religiöse, die übernatürlichen Heilskräfte und Gnadenmittel,<br />
der Glaube, die Sakramente, das Messopfer, das<br />
Gebet, die Beichte. Das Sakrament der Buße ist das eigentliche<br />
Reformsakrament… Hat man jemals gehört, dass einer<br />
der heutigen Reformer die Katholiken auch zum Gebet, zur<br />
Buße, zur Beichte ermahnt hätte? Und doch ist dies die Vorbedingung<br />
jedes Heils. Man soll das Pferd nicht hinter den<br />
Wagen spannen. Die falschen Reformer aller Zeiten sind<br />
daran zu erkennen, dass in ihren Plänen gerade die religiösen,<br />
übernatürlichen Kräfte keine Rolle spielen…“ Auf diese<br />
übernatürlichen Kräfte, die uns vor allem durch die Sakramente<br />
vermittelt werden, dürfen und müssen wir uns als<br />
katholische Laienchristen und Priester auch heute verlassen.<br />
Denn der Herr hat versprochen, bei Seiner Kirche zu bleiben.<br />
Bleiben wir aber auch bei Ihm!<br />
Der Autor ist Pfarrer in Oschersleben in der Magdeburger Börde.<br />
VORSICHT DÁVILA!<br />
Revolution ist die Periode, in der es Mode ist,<br />
die Handlungen „idealistisch“ zu nennen, die<br />
jedes Strafgesetzbuch ahndet.<br />
Wenn die religiöse Flut sinkt, breitet sich der<br />
Gestank der Seelen aus.<br />
Kunstwerk ist heute jedes Ding, das sich teuer<br />
verkauft.<br />
Wer von der Kultur erwartet, was nur die<br />
Ethik zu geben vermag, oder von der Ethik,<br />
was nur die Religion bietet, wird unangenehm<br />
überrascht werden.<br />
Die Menschen unterteilen sich in solche, die<br />
sich das Leben schwermachen, um die Seele<br />
zu gewinnen, und die, welche die Seele verschleißen,<br />
um sich das Leben zu erleichtern.<br />
Der Mensch wurde geschaffen, um als wohlhabender<br />
Bauer zu leben. Weder als gutbezahlter<br />
Fachmann noch als reicher Industrieller.<br />
Nur für Gott sind wir unersetzlich.<br />
Das Christentum ist eine Unverschämtheit,<br />
die wir nicht als Liebenswürdigkeit tarnen<br />
dürfen.<br />
Die moderne Welt wird nicht bestraft werden.<br />
Sie ist die Strafe.<br />
Wenn die Kirche darauf besteht, profane<br />
Ideen zu übernehmen, bitten wir sie, nicht<br />
die albernen zu übernehmen.<br />
Wer sich „ohne Vorurteile“ irgendeinem Thema<br />
stellt, redet Unsinn.<br />
Niemand und nichts verzeiht am Ende. Außer<br />
Christus.<br />
Aphorismen aus den Werken des kolumbianischen<br />
Philosophen Nicolás Gómez Dávila<br />
Aus: Scholien zu einem inbegriffenen Text, Karolinger<br />
Verlag, Wien und Leipzig 2006<br />
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