von oben winzige punkte
Lyrik, Verlag Früher Vogel, Bochum
Lyrik, Verlag Früher Vogel, Bochum
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<strong>von</strong><br />
<strong>oben</strong><br />
<strong>winzige</strong><br />
<strong>punkte</strong><br />
1
michael starcke<br />
<strong>von</strong> <strong>oben</strong> <strong>winzige</strong> <strong>punkte</strong><br />
© 2014 Früher Vogel Verlag, Bochum<br />
Alle Rechte vorbehalten<br />
Umschlaggestaltung: C. Lammert, Bochum<br />
Typografie: Früher Vogel Verlag<br />
Gesetzt aus der Minion und der Myriad<br />
Fotografie: Jörg Parsick-Mathieu, Moers<br />
Titelbild: Atelier Christoph Lammert, Bochum,<br />
»Aus dem Reisetagebuch des Topografen II«,<br />
Acryl,Wachskreide, Graphit auf Leinwand, 160 x 120 cm<br />
Druck und Bindung: CPIbooks, Birkach<br />
Printed in Germany<br />
www.frueher-vogel.de<br />
www.michael-starcke.de<br />
www.christoph-lammert.de<br />
ISBN 978-3-937463-15-5<br />
2
michael starcke<br />
<strong>von</strong><br />
<strong>oben</strong><br />
<strong>winzige</strong><br />
<strong>punkte</strong><br />
gedichte<br />
FRÜHER VOGEL<br />
3
vielleicht ist es die liebe,<br />
die üppig und reif<br />
an einen augenblick<br />
inneren friedens glaubt,<br />
vom kupferlicht<br />
gemünzt<br />
wie der vogelbeerbaum,<br />
ein kleinod<br />
am straßenrand<br />
aus zartem, müdem stoff.<br />
5
am rand der straße<br />
kriechend das efeu<br />
am rand der straße,<br />
ranken dunkelgrüner<br />
gedankenblätter,<br />
in denen der wind<br />
wie mäuse raschelt.<br />
abgestellte automobile<br />
zwischen kahlen bäumen,<br />
leere träume<br />
gestoppter geschwindigkeit.<br />
ein verschlossener wohnwagen<br />
zurückgelassen<br />
auf der suche<br />
nach dem ursprung der zeit,<br />
der dringende wunsch,<br />
in sein inneres<br />
wie an bord einer insel zu gehen,<br />
ohne sich sputen zu müssen.<br />
ein zeitungsblatt,<br />
hingeweht und zertreten<br />
ein verzweifeltes notat,<br />
nichts und alles wird gut.<br />
7
auch heute<br />
auch heute<br />
werden briefe geschrieben,<br />
die schweigen verbreiten.<br />
auch heute<br />
wird ein regenschirm überschnappen<br />
und einkerbungen entdeckt werden,<br />
in balken geschnitten.<br />
auch heute<br />
wird eine behörde<br />
menschen überlisten,<br />
die naiv genug sind<br />
und zwischen wachen<br />
und traum wünschen,<br />
ein olivenbaum sein zu wollen<br />
im nächsten leben.<br />
auch heute<br />
werden wir gewahr werden,<br />
dass selbst<br />
das unbedeutendste ereignis<br />
niemanden vergisst.<br />
8
an den randgebieten<br />
all die gelebten tage<br />
in gesellschaft mit jenen,<br />
die wie ich<br />
die luft anhalten<br />
vor so vielen<br />
ungelösten rätseln.<br />
oft sind sie schlaflos<br />
bei nacht,<br />
mir ähnlich<br />
ratlos enttäuscht,<br />
<strong>von</strong> <strong>oben</strong> gesehen<br />
<strong>winzige</strong> <strong>punkte</strong><br />
auf einer landkarte,<br />
die zu verschwinden drohen,<br />
darin erzählern ähnlich,<br />
die mit den herztönen<br />
der sprache<br />
hypnotisieren wollen.<br />
9
aus den gärten<br />
aus den gärten<br />
ein stilles rufen,<br />
womöglich<br />
nach einer geschickten,<br />
ordnenden hand.<br />
es ist,<br />
als spüre man<br />
die konzentration der bäume<br />
hin zur altmodischen vorstellung<br />
jungen grüns,<br />
ein sanftes musizieren.<br />
es ist,<br />
als wollten sich ansichten<br />
und anliegen ändern<br />
mit jedem schritt,<br />
mit langen schritten<br />
und als wolle niemand<br />
sein lachen verbergen<br />
hinter vorgehaltener hand.<br />
10
das ende eines romans<br />
man blickt<br />
in die heraufdämmernde nacht,<br />
sprachlos <strong>von</strong> dingen,<br />
die noch zu tun sind.<br />
fest eingenäht ins dunkel<br />
blitzen lichter auf<br />
in den fenstern<br />
wie eine lichtung im wald,<br />
die einsicht verspricht<br />
ohne hinterhalt.<br />
man liest, wandernd<br />
aus einer anderen ähnlichen<br />
zurück in seine persönliche welt<br />
und weiß, wie es ist, ein<br />
dauerhaft findender zu werden.<br />
11
der augenblick<br />
du denkst,<br />
ich werde es tun,<br />
besucht <strong>von</strong> der reise,<br />
die ich antreten muss,<br />
treulich getragen.<br />
ich werde es tun,<br />
genauer hinschauen,<br />
genauer hören,<br />
bis es endet,<br />
vielleicht<br />
mit der stille<br />
eines sonnenuntergangs<br />
oder einer stimme<br />
am anderen ende der leitung,<br />
die fragt, ob ich für etwas<br />
auf die straße ginge,<br />
was mir heilig ist,<br />
während ich antworte,<br />
unwiderruflich.<br />
12
der wegeplan<br />
bei sonnenschein<br />
die straße hinauf<br />
der wegeplan<br />
länger werdender schatten.<br />
heidekraut<br />
sucht seinen weg<br />
in die balkonkästen,<br />
memoriert den sand<br />
der friedhöfe<br />
winterfest.<br />
was geht zu ende,<br />
was beginnt?<br />
laub fällt, als werde<br />
ein karusell gedreht,<br />
ach, in unserem gedächtnis.<br />
13
die straße hinunter<br />
nass glitzert asphalt,<br />
wie eine achtlos<br />
geworfene münze.<br />
schritte folgen<br />
dem faden<br />
einer erinnerung,<br />
vielleicht der<br />
eines kummers,<br />
vielleicht der<br />
einer weihnacht am meer.<br />
die bäume,<br />
schwarze gestalten,<br />
teilen raum und zeit,<br />
leicht wie das gewicht<br />
eines kindes,<br />
das schläft.<br />
14
ein kleinod<br />
rauscht man im auto<br />
an wäldern vorbei<br />
im nachmittagsdunst,<br />
könnte man meinen,<br />
sie wanderten,<br />
ohne dass man sie<br />
hinter sich lässt.<br />
ebenso wie die ruinen,<br />
die auf den bergen<br />
trotzig<br />
in den himmel ragen,<br />
wiederkehrende kampfgedanken<br />
veralteter ritterspiele.<br />
vielleicht ist es die liebe,<br />
die üppig und reif<br />
an einen augenblick<br />
inneren friedens glaubt,<br />
vom kupferlicht<br />
gemünzt<br />
wie der vogelbeerbaum,<br />
ein kleinod<br />
am straßenrand<br />
aus zartem, müdem stoff.<br />
15
novembersonne<br />
die langen schatten der alltagsdinge<br />
sind‘s, die goldtönung des dunkels<br />
im gedächtnis der kalender,<br />
die einsicht des verlassens, wenn<br />
stille sich neu erfindet und novembersonne<br />
beschaulich wacht.<br />
66
letzte momente<br />
dem mächtigen baum,<br />
einer buche,<br />
merkt man nicht an,<br />
dass er,<br />
krankgeworden,<br />
gefällt werden soll.<br />
bisher ist er nicht<br />
in sich<br />
zusammengesackt,<br />
vom schultern<br />
des winterhimmels<br />
zermürbt.<br />
bisher steht er<br />
wie eine eins,<br />
<strong>von</strong> letzten<br />
momenten verschont,<br />
in denen es genügen<br />
könnte,<br />
dass eine schneeflocke<br />
ihn berührt.<br />
67
michael starcke<br />
dem himmel<br />
ins blaue herz<br />
© 2006<br />
ISBN: 978-3-937463-07-0<br />
»Da steht kein Wort zuviel, da stimmen Form und<br />
Inhalt bruchlos überein. Vielleicht sind ein paar Verse<br />
darunter, die zu den ganz wenigen gehören, die einen<br />
Autor überdauern … Also: Scheinwerfer an, gerichtet<br />
auf ein bedeutendes lyrisches Werk, unspektakulär<br />
entstanden in vielen Jahren in einer Stadt mitten im<br />
Ruhrgebiet, in einer Region, die mit vielfältiger literarischer<br />
Tradition nicht allzu reich gesegnet ist.«<br />
Hugo Ernst Käufer<br />
michael starcke<br />
ich schreibe<br />
wörter mensch<br />
© 2009<br />
ISBN: 978-3-937463-12-4<br />
»Michael Starckes Dichtung geschieht Aug\‘ in Aug\‘<br />
mit der Vergänglichkeit allen Lebens. Tastend, vorfragend<br />
- Frage nie als wissen-wollender Zugriff -,<br />
immer vulnerabel, bereit, jede mögliche Verletzung<br />
hinzunehmen, weil sie nur aus dem stammen kann,<br />
was vorgängig geliebt ist.«<br />
Johannes Fischer<br />
70
michael starcke<br />
tröstlich die grüne decke<br />
© 2012<br />
ISBN: 978-3-937463-13-1<br />
»Die (neuen) Arbeiten Michael Starckes veranschaulichen,<br />
wie es ist, wenn einer sich seiner Mit- und<br />
Umwelt ganz öffnet, den An-Drang der Wirklichkeit<br />
zur Gänze zulässt und dabei nichts <strong>von</strong> sich zurückbehält,<br />
also schutzlos steht. Auf der Kreuzung <strong>von</strong><br />
vertikaler und horizon taler Zeitachse stehend, faltet<br />
das lyrische Ich alles in sich ein und be-wahrt es im<br />
Modus der Er-Innerung.<br />
Michael Starcke geht es um diejenigen Daseins weisen,<br />
in welchen das Dasein dichterisch faßbar wird: neben<br />
ande ren sind dies in ausgezeichneter Weise Erin nerung,<br />
Sehnsucht, Gebet.«<br />
Johannes Fischer<br />
Alle Titel sind auch direkt zu beziehen über<br />
www.frueher-vogel.de<br />
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72<br />
... später wird man sich fragen,<br />
woher das buch gelangte,<br />
das unterm kopfkissen ruht?