Tobias Hochscherf - Routes Into Languages

Das Wunder von Bern (2003)
Study Guide written by Tobias Hochscherf
Aufgabe 6: Presse Echo – Pressestimmen zum WM Sieg 1954
Inwiefern unterscheiden sich die Pressestimmen im In- und Ausland? Woran mag dies liegen?
General-Anzeiger (Bonn):
„Erinnern wir uns an die Zeit vor neun Jahren.
Ein großer Teil der deutschen Soldaten, die über
fünf Jahre an vielen Fronten gekämpft hatten,
brüteten in riesigen Gefangenenlagern darüber,
welches ihre Zukunft sein würde.
Auf Kohlenzügen, Lastwagen und mit anderen
abenteuerlichen Mitteln begann die deutsche
Bevölkerung nach Ende des Krieges in ihre
Heimat zurückzukehren - in eine Heimat, in der
die Straßen von Trümmerschutt gefüllt und die
Wohnungen zerstört waren, in der Hunger und
Arbeitslosigkeit den Blick in die Zukunft
verdüsterten.
Neun Jahre später ist dieses geschundene und in
der Welt verachtete deutsche Volk wieder in der
Lage, an großen internationalen Sportwettbewerben
teilzunehmen – und zu siegen.“
Schweizer National-Zeitung:
„Einen solchen Jubel hat die lebende Generation
in Deutschland noch nie erlebt. „Siegesfeiern“
gab es zwar schon viele, aber es waren die
organisierten Feiern nach den Blitzkriegen und
Schlachten. Sie waren zugleich auch die
Trauerfeiern für die Toten, die Trauer aber durfte
niemand zeigen.
Nur wer weiß, wie hier befreiende Begeisterung
seit Jahrzehnten unterdrückt wurde, kann
verstehen, was in Deutschland passiert ist,
seitdem der Schiedsrichter das Fußballfinale im
Berner Wankdorfstadion abgepfiffen hat.
(...) Dass man sich in Deutschland noch mehr
von einem Spiel als von Militärmärschen
begeistern lassen kann, zeigt eigentlich einen
natürlichen, gesunden Kern.“
Fortschritt (BRD):
„Gewiss, unsere Anstrengungen im
internationalen Sport sind auch
Ausdruck des deutschen
Selbstbehauptungswillens. Aber sie
bewegen sich auf einem Gebiet, das
frei bleiben soll von jeder Politik. (...)
Unsere Fußballer haben in Bern (...)
eine Leistung vollbracht, die uns mit
der Zuversicht erfüllt, dass wir
Deutschen im friedlichen Wettbewerb
der Nationen die Schatten der
Nachkriegszeit überwunden haben
und dass wir wieder ‚da sind’.“
Le Monde (Paris):
„Achtung! Achtung! Die Zehntausende
von Deutschen stehen still. Die
Aufschreie enden. Die Musik intoniert
„Deutschland, Deutschland über
alles“. Die Menge singt mit. Die Erde
zittert. Es regnet. Es regnet, und mir
ist kalt. Schon bald, während die
60.000 Deutschen schreien, durchläuft
mich ein Schaudern.“
Information
(Kopenhagen):
„Überall in Europa lief es
Tausenden von Radiohörern
und Fernsehern kalt den
Rücken hinunter bei der
Auswirkung, die der Sieg
sofort hatte. Es fehlte nur
ein „Sieg Heil“. Die Deutschen
sangen „Deutschland,
Deutschland über alles“,
dass es .. Und es sah aus,
als ob dieser Sieg den
aufwog, der 1940 bis 1945
ausgeblieben war.“
Quelle: Arthur Heinrich: Tooor! Toor! Tor! – Vierzig Jahre 3:2, Rotbuch Verlag Berlin 1994, S. 149
über etwas brüten: sehr stark über etwas nachdenken
der Trümmerschutt: debris
verdüstern: verdunkeln
jmdn. schinden: to mistreat so
jmdn. verachten: to despise so
der Selbstbehauptungswille: will for self-assertion
eine (große) Leistung vollbringen: to achieve sth.
die Zuversicht: confidence
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etwas überwinden: to get over sth., to overcome
jmdn./etw. unterdrücken: oppress so/sth
ein Spiel abpfeifen: to blow the final whistle
jmdm. läuft es kalt den Rücken hinunter: to send shivers
down one’s spine
die Auswirkung: der Effekt
dröhnen: to drone
etwas aufwiegen: etwas kompensieren
das Schaudern: a shudder