Berliner Zustände - Mbr
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schen Homodiktatur« (Gegenstimme) verantwortlich<br />
gemacht. Gegen progressive Reformen wurden<br />
antikommunistische Haltungen geäußert, eine weitere<br />
Spielart konservativer Einstellungen. Einzelne<br />
fürchteten, dass es »(um) die gezielte Beseitigung<br />
unserer zivilisierten Kultur der bürgerlichen Ordnung<br />
sowie des Christlichen Leitbildes (geht). Seit<br />
den 68ern arbeitet die ganze linke Meinungsdiktatur<br />
in diesem Land daran.« (Brief an Queerformat).<br />
Antimuslimische und rechtspopulistische<br />
Kommentare<br />
An derlei Argumentationsweisen konnten rechtspopulistische<br />
und antimuslimische Meinungen nahtlos<br />
anschließen. Auch hier wurde die Zerstörung<br />
der Werte und Grundlagen Deutschlands mittels<br />
des Medienkoffers durch eine Ȇberbetonung sogenannter<br />
alternativer Lebensentwürfe […], die letztlich<br />
wenig bis nichts zum Erhalt dieser Gesellschaft<br />
durch Reproduktion beitragen.« (FAZ-User_in) befürchtet.<br />
Überwiegend wurden haarsträubende, islamophobe<br />
Vergleiche angestellt, wie dieser auf der<br />
rechtskonservativen Website Freiewelt.net von Gabriele<br />
Kuby, die als konservative<br />
und christlich-fundamentalistische<br />
Publizistin bekannt ist:<br />
»Im 14. Jahrhundert hatten die<br />
osmanischen Türken die Angewohnheit<br />
der Knabenlese:<br />
Sie verschleppten […] Jungen<br />
aus den christlichen Familien,<br />
erzogen sie zu fanatischen<br />
Muslimen und rekrutierten so<br />
ihre Elite-Kampftruppe [...]. Die rot-roten Kulturrevolutionäre<br />
in Berlin [...] tun eben dies: Durch<br />
schamlosen Missbrauch der staatlichen Macht über<br />
Schulcurricula werden Kinder und Jugendliche in ihrer<br />
Identität als Mädchen und Jungen verunsichert,<br />
sie werden […] sexuell aktiviert und in die die ganze<br />
›Vielfalt‹ jenseits der Heterosexualität praktisch eingeführt.«<br />
Christlich-fundamentalistisch<br />
motivierte Argumente<br />
Das christliche Weltbild schien in Gefahr: »Hier geschieht<br />
nichts anderes als eine Gehirnwäsche, um<br />
bei den Kindern die christliche Sicht von Mann,<br />
Frau und Familie auszulöschen.« (DVCK) Martin<br />
Lohmann, Vorsitzender des AK Engagierte Katholiken in<br />
der CDU, sprach auf Freiewelt.net davon, dass von<br />
staatlicher Seite das »christliche Menschenbild diskriminiert«<br />
werde, weil »der Familie nicht gleichwertige<br />
Lebensformen faktisch gleichgestellt werden<br />
sollen«. Laut der Piusbruderschaft sei u.a. »das<br />
Propagieren von Homosexualität als Normalität, der<br />
menschenverachtenden Multikulti-Gesellschaft als<br />
Idealzustand« Ziel des Medienkoffers. In allen Foren<br />
wurden Bibelstellen zitiert, in denen Homosexualität<br />
als Sünde dargestellt wird.<br />
Einschüchterungsversuche und<br />
Gewaltandrohungen<br />
»Durch ›Aufklärung‹<br />
in Schulen<br />
würde die Freiheit<br />
der Eltern<br />
beschnitten.«<br />
Immer wieder wurde den Argumenten mit Drohungen<br />
Nachdruck verliehen, unter anderem in persönlicher<br />
Post an Queerformat. In einem Brief wurden die<br />
Bilderbücher sogar zu »Kinder-Porno-Büchern«.<br />
Die zuständige<br />
Mitarbeiterin in der<br />
Senatsverwaltung erhielt E-<br />
Mails mit Morddrohungen wie<br />
»Oslo kann auch in Berlin passieren!«.<br />
Auf einer österreichischen<br />
Internetseite wurde ein<br />
Eintrag gepostet, der zu blanker<br />
Gewalt aufruft: »Schreiben<br />
und protestieren hilft nichts! Sondern nur Sense<br />
gerade geschmiedet, Dreschflegel in der linken und<br />
deutsches Schwert in der Rechten. Und ein Schädel<br />
nach dem anderen gespalten! [...] Auch Demokraten<br />
machen sich ganz gut mit dem Kopf nach unten auf<br />
der Gaslaterne!!!« (Unzensiert.at-User_in)<br />
Wer sich gegen den Medienkoffer geäußert hat<br />
Nach den Artikeln in diversen bürgerlichen, konservativen<br />
aber auch rechten Zeitungen und Zeitschriften<br />
erlebte die Debatte dann im Vorfeld der<br />
<strong>Berliner</strong> Wahlen im September 2011 einen erneuten<br />
Höhepunkt. Die BIG Partei übernahm zum Teil wortgleich<br />
die B.Z.– Berichterstattung in einem Wahlkampf-Flyer.<br />
Auch ein NPD-Kandidat hetzte in einer<br />
parteieigenen Zeitschrift gegen den Medienkoffer<br />
und Homosexualität. Des weiteren wurden im Namen<br />
der »Initiative Familien-Schutz« vorgefertigte<br />
E-Mails, die die Einführung des Medienkoffers kritisierten,<br />
an die Abgeordneten im Wahlkampf verschickt.<br />
Besonders viele Kandidat_innen der CDU<br />
und rechtspopulistischer Parteien unterstützten in<br />
ihren Antworten die Kritik. Im Verlauf der Debatte<br />
engagierten sich auch christliche Organisationen,<br />
wie z.B. die katholische Piusbruderschaft und die<br />
DVCK, sowie rechtspopulistische und antimuslimische<br />
Meinungsmacher_innen auf den Webseiten<br />
»Politically Incorrect«, »Freie Welt« und »Gegenstimme«.<br />
Gemeinsam ist allen, dass progressive<br />
pädagogische Bildungsmaterialien für Kinder und<br />
Jugendliche instrumentalisiert werden, um eigene<br />
diskriminierende Meinungen zu verbreiten. Dabei<br />
wurden gezielt Überzeichnungen genutzt, um eine<br />
Diskussionen anzuheizen.<br />
Fazit<br />
Dass Themen wie vielfältige Lebensweisen heute<br />
noch so stark debattiert werden, zeigt umso mehr,<br />
wie wichtig es ist, diese adäquat zu vermitteln. Es<br />
geht um Anerkennung unterschiedlicher Lebensrealitäten,<br />
um demokratisches Lernen, um Diskriminierungsfreiheit<br />
und um sozialen Zusammenhalt.<br />
1 Pädophilie/Pädosexualität: bezeichnet das primäre sexuelle Interesse<br />
bzw. sexuelles Verhalten von Erwachsenen an Kindern.<br />
QUEERFORMAT bietet Beratung und Fortbildung für pädagogische<br />
Fachkräfte, um queere Themen und Lebensweisen in die<br />
pädagogische Arbeit zu integrieren. Wir unterstützen die fachliche<br />
Umsetzung der Initiative Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und<br />
Akzeptanz sexueller Vielfalt in den Bereichen Schule sowie Kinder- und<br />
Jugendhilfe. Das Projekt ist eine gemeinschaftliche Initiative von<br />
ABqueer e.V. – Aufklärung und Beratung zu queeren Lebensweisen und KomBi –<br />
Kommunikation und Bildung.<br />
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