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ME 285-Heft - Berliner MieterGemeinschaft eV

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BERLIN<br />

Bunte Utopien und die<br />

graue Wirklichkeit<br />

Das Bethanien in Berlin – Kreuzbergs Turm zu Babel<br />

Claudia Kessel<br />

„Wieder einmal genossen Ali, Fatma und andere Schüler/innen aus Kreuzberger<br />

Grundschulen klassische Musik und trafen Künstler aus New York, Moskau und<br />

Paris bei einer Veranstaltung im Künstlerhaus Bethanien.“ So könnte eine<br />

Überschrift im Lokalteil des Tagesspiegels lauten, wenn es denn so wäre.<br />

Stattdessen hören und lesen wir zur Zeit viel über die „deutsche Leitkultur“ (oder<br />

eher „Leidkultur“), das Scheitern der Multikulti-Gesellschaft sowie über „Kultur“<br />

und „Integration“ – zwei Begriffe, die in einem engen, inhaltlichen Zusammenhang<br />

stehen. Will man sich ihnen nähern, gibt es viele Möglichkeiten: Hochkultur,<br />

Bildungskultur, Sozialkultur, Multikultur, Kiezkultur … Aber zum Begriff Integration<br />

lässt sich nur fragen: Wer muss, soll oder darf sich worin integrieren?<br />

Dieser Artikel beschäftigt sich leider nicht mit<br />

Beispielen für eine gelungene Verbindung von<br />

Kultur und Integration, sondern mit einer<br />

Kommunalpolitik, bei der die oben genannten<br />

Begriffe zwar eine große Rolle spielen sollten,<br />

es aber nicht tun: Es geht um den Verkauf des<br />

Bethanien-Hauptgebäudes im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.<br />

Die zurzeit laufenden<br />

Verkaufsverhandlungen sollten nicht vor dem<br />

Sommer abgeschlossen sein und im Gespräch<br />

sind die M+R Arend GmbH aus Bad Homburg<br />

und auch „Kulturschaffende“ aus Bremen. Ob<br />

auch ihnen zugesichert wird, ihre Unkosten für<br />

die Sanierung des Gebäudes vom Kaufpreis<br />

abziehen zu können, wie dies laut Bezirksbürgermeisterin<br />

Frau Cornelia Reinauer<br />

(PDS) bei früheren Favoriten geschah, bleibt im<br />

Dunkeln.<br />

Vom Krankenhaus zum Künstlerhaus ...<br />

Das Bethanien wurde 1843 von König Friedrich-Wilhelm<br />

IV gestiftet und als Diakonissenkrankenhaus<br />

in den Jahren 1845-47<br />

errichtet. Der damalige Träger war ein „Freier<br />

Orden“, eine „Vereinigung von Männern und<br />

Frauen ohne Ansehen des Standes und<br />

Bekenntnisses“. Als Krankenhaus mit ange-<br />

Haupteingang des Bethanienkomplexes am Kreuzberger Mariannenplatz. Das Bethanien wurde als<br />

Diakonissenkrankenhaus mit angeschlossenem Kinderheim in den Jahren 1845-47 gebaut.<br />

Der Name Bethanien bezeichnet im Neuen Testament einen Ort, heute El-Azarjeh in Palästina. Foto: <strong>ME</strong><br />

schlossenem Kinderheim und Kindergärten<br />

diente das Bethanien von Anbeginn sozialen<br />

Zwecken. 1933 widersetzte sich die damalige<br />

Leitung der Forderung der Nationalsozialisten,<br />

die Führungsstellen mit Nazis zu besetzen. Auf<br />

Veranlassung der Gestapo wurde das Haus<br />

1941 beschlagnahmt. Ende der 1960er Jahre<br />

gelangte das Bethanien in die Medien, als es<br />

durch die <strong>Berliner</strong> Hausbesetzerszene und<br />

durch die Proteste engagierter Künstler, des<br />

„Bundes deutscher Architekten“ und vor allem<br />

zahlreicher Eltern-Kind-Initiativen sowie unmittelbarer<br />

Anwohner vor dem Abriss gerettet<br />

wurde und entgegen den Plänen der<br />

damaligen Stadtplaner erhalten blieb. Das<br />

klingt noch heute in dem Ton-Steine-Scherben<br />

Song von 1968 nach: „Der Mariannenplatz<br />

war blau, soviel Bullen waren da.“<br />

Nachdem die grotesken Abrisspläne vom Tisch<br />

waren, wurde das Bethanien 1969 unter<br />

Denkmalschutz gestellt und 1970 für 10,5<br />

Mio. DM von der Kirche an das Land Berlin<br />

verkauft. Damit wurde Berlin stolzer –<br />

jedenfalls sollte man doch darauf stolz sein –<br />

Eigentümer eines 58 ha großen Grundstücks<br />

mit sechs historisch wertvollen Gebäuden.<br />

Eines der Nebengebäude heißt noch heute<br />

„Georg-von-Rauch-Haus“ und erinnert damit<br />

an die Zeit der Besetzung.<br />

... und zur sozio-kulturellen Institution<br />

In das ehemalige „Feierabendhaus“ der<br />

Diakonissen konnten 1972 drei vom Senat für<br />

Familie, Jugend und Sport geförderte „Sonderprojekte<br />

zur Betreuung von Kindern aus<br />

sozial schwachen Familien“ einziehen, nämlich<br />

„Florian“, „Pipin“ und „Kreuzberg Nord“,<br />

die bis auf „Pipin“ auch heute noch als Kitas<br />

und Horteinrichtungen existieren. Frau Hilda<br />

Heinemann, die Ehefrau des damaligen<br />

Bundespräsidenten, besuchte die Einrichtungen<br />

und setzte sich massiv dafür ein, dass diese<br />

Gebäude für eine Kinder- und Elternarbeit<br />

erhalten blieben, als es 1973 Pläne gab, dort<br />

<strong>Berliner</strong> Behörden unterzubringen. „Ämter<br />

AG „ZUKUNFT BETHANIEN“<br />

Die Autorin Claudia Kessel ist Mitglied der AG<br />

„Zukunft Bethanien“. Die AG plant, den Verkaufsplänen<br />

ein gemeinsames Nutzungskonzept, den<br />

Erhalt als öffentlichen Raum und evtl. auch alternative<br />

Finanzierungsmöglichkeiten entgegenzusetzen.<br />

Jeden 2. und 4. Donnerstag im Monat um<br />

19 Uhr trifft sich die AG „Zukunft Bethanien“ in<br />

den Räumen des KKN e.V. (Kindergruppe Kreuzberg-Nord),<br />

Mariannenplatz 1-2, 10999 Berlin.<br />

22 <strong>ME</strong> 308/2005

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