09.11.2012 Aufrufe

Untitled - Polenplus

Untitled - Polenplus

Untitled - Polenplus

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

p heft N 12 musik p heft N 12 musik<br />

ür Thomas Mann war die Musik eine der »weichsten Künste«, unfassbar<br />

und gefährlich, weil sie sich dem Rigor des sprachlichen<br />

Denkens wendig entzieht. universale sprache ohne Bedeutung?<br />

Diese Ausgabe fächert die musiken mittelosteuropas zu überraschend<br />

bunter Vielfalt auf und zeigt anschaulich, wie konkret diese<br />

universalsprache jeweils mit der entstehungsgesellschaft verflochten<br />

ist. Bei den Nationalhymnen liegt das auf der Hand. Nicht nur<br />

die Texte, auch die Melodien unterliegen ganz handfesten Einflüssen<br />

ihrer epoche. [s.4]<br />

Bedeutsam wurde die Verschränkung von musik und Gesellschaft in<br />

der jüngsten Geschichte. Die tradition der sängerfeste in den baltischen<br />

staaten manifestierte sich 1989 in der singenden Revolution.<br />

man kann erahnen, wie sehr diese tradition die sanfte Revolution gestützt<br />

hat. Bis heute wird die musik im Baltikum geachtet und geehrt,<br />

ist berühmt für ihre hohe Qualität. [s.94]<br />

In anderen Ländern flieht die Musik die politische Realität. In Belarus<br />

zaubert sie — aus schierer Ohnmacht — mit stolz, Zirkus, extravaganz<br />

und Verkleidungsspielen eine eigene Wirklichkeit, die politisches oder<br />

soziales engagement verblassen lässt. [s.86] tschechien zeigt einen trend<br />

zum Abschalten und zum Amüsement, der jeden tiefgang in der musik<br />

übertönt. manchmal muss eben auch Zeit fürs unernste sein. [s.72] Rumäniens<br />

klänge scheinen auf den ersten Lauscher vor allem laut zu sein.<br />

hört man genauer hin, wird man jenseits der Dauerbeschallung durch<br />

eurovision-superstars belohnt mit Juwelen wie der originellen, kühnen<br />

und politischen Ada Milea oder dem Musiker Alex Bălănescu, der passioniert<br />

fremde Einflüsse adaptiert. [s.78]<br />

und in polen — dem Land, dem wir das »P« in unserem Namen verdanken?<br />

Was bedeutet die musik im Chopin-Jahr? [s.54] Reich ist dieses<br />

Land an großer und kleiner popmusik, an musikalischen und textlichen<br />

schätzen, die sich über Jahre hinweg behauptet haben. einen spannenden<br />

Überblick über das »Who ist who« auf den polnischen Hitlisten gibt<br />

es auf s. 104.<br />

Doch wir graben tiefer. Die Geschichte der Orgeln in polen ist zugleich<br />

eine Aufarbeitung der kommunistischen Zeit, die nicht spurlos an wertvollen<br />

kulturgütern vorbei ging und nach 1945 zu deutsch-polnischer Geschichte<br />

wurde. [s.28]<br />

Zwei texte dieser Ausgabe sind elementar für die polnische zeitgenössische<br />

musik und gehen weiter zurück: der erste in die Zeit der Besatzung<br />

polens und die systematische Vernichtung der polnischen künstlereliten<br />

durch die Nazis. eine unbedingt sehenswerte Ausstellung zeigt<br />

erschütternde musikerschicksale. Auch 65 Jahre nach kriegsende sind<br />

längst nicht alle Opfer genannt, nicht alle Geschichten erzählt. Diese<br />

Ausstellung trägt dazu bei, die Leerstellen zu füllen. [s.62]<br />

ein zweiter Grundsatztext behandelt die polnische musikgeschichte im<br />

exil. hier werden europäische Zusammenhänge deutlich. musiker wie<br />

Szymon Laks, Zygmunt Stojowski, Zygmunt Noskowski oder Władysław<br />

Zieleński sind auch in Polen wenigen bekannt; ihr Werk birgt unentdeckte<br />

schätze. [s.46]<br />

f<br />

Gibt es trotz dieser unterschiedlichen trends so etwas wie eine gemeinsame<br />

musikidentität mittelosteuropas? möglicherweise lässt sich als<br />

gemeinsames merkmal dieser Region festhalten, dass man sie auch<br />

nach zwanzig Jahren nicht losgelöst vom kontext der politischen Wende<br />

betrachten kann. Die folkmusik polens und der ukraine versucht die<br />

Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln und eigene identität. [s.82] Noch<br />

weiter geht diese Bewegung in der Region schlesien; hier hinterfragen<br />

melodien die Geschichtsschreibung, sind forscher schockiert über ihre<br />

funde: bruchstückhafte kleinode der osteuropäischen Volksmusik,<br />

die sich zwar über Jahrhunderte erhalten, aber unter der europäischen<br />

Geschichte so stark gelitten haben, dass sie nicht gegen das Vergessen<br />

gefeit sind. [s.18]<br />

Anders die moderne Folkmusik, die sich per definitionem als Melange<br />

versteht: man nehme folklore und schüttele sie kräftig. musiziert man<br />

mit musikern aus anderen kulturen, ist der Zauber perfekt. Das tun die<br />

goralische traditionsband trebunie tutki und die jamaikanische Reggaeband<br />

twinkle Brothers, kroke und Nigel kennedy. [s.42] Das stete<br />

Wechselspiel zwischen der Adaption fremder Einflüsse und der Besinnung<br />

auf die eigenen Wurzeln kennzeichnet diese mitteleuropäische<br />

musik.<br />

Der Rock, der Jazz, ganz gewiss aber der punk, waren früher vor allem<br />

auch politische haltungen. filme wie Beats of freedom und fala.Jarocin<br />

85 arbeiten diese engagierte Zeit auf. Damals war die Rebellion authentisch.<br />

heute wirkt der punk etabliert. Begehrt er noch auf, und wogegen?<br />

Wie gelebter punk wirkt der Warschauer musikverlag LADO<br />

ABC, nicht in erster Linie der musik wegen, die er verlegt, sondern w i e<br />

er sie verlegt: Jenseits von eingefahrenen Vertriebswegen und plattenverträgen.<br />

Die Jungs haben ein eigenes kleines und äußerst feines musikuniversum<br />

für die alternativen Bands von Warschau aufgebaut. Alles<br />

ist hier selbstgemacht im besten sinne dieses Wortes: produktion,<br />

mastering, Artwork und Design liegen in eigener hand. [s.12] markenzeichen<br />

der alternativen musik Warschaus ist, dass sie sich nicht eindeutig<br />

ihrem herkunftsland zuordnen lässt. für echte independent-music<br />

ist das Nationale nebensächlich, hier musizieren musiker um der musik<br />

willen, finden eine »Universalsprache«, die auch der Komponist Krzysztof<br />

penderecki benennt. [s.58]<br />

Oft muss sich das Ohr erst gewöhnen an die »fremden« Klänge der<br />

Nachbarn, muss der kopf die tradition verstehen, der Bauch sich öffnen,<br />

saiten in sich anklingen lassen. manchmal wird er unerwartet mitgerissen<br />

von einer fremden melodie, als schlummere tief in ihm altes Wissen,<br />

dass dieses ferne Lied doch zu ihm ge h ö r t .<br />

für den kontrapunkt in diesem text-kaleidoskop über die musik sorgt<br />

die Bildstrecke. splitter der erinnerung aus familienalben — abgebildet<br />

in Originalgröße — ergänzen diese Ausgabe um das, was man den sozialen<br />

Aspekt der musik nennen könnte.<br />

Antje Ritter-Jasińska [Chefredakteurin]

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!