20 Jahre Contrapunkt
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Spiegelplatte im Parterre des Kunsthauses Bregenz<br />
Kunst? Sind die «Simpsons», Armanis Kreationen,<br />
Kreuzlingen’s Kreisel, elektromagnetische Wellen, vertonte<br />
Quartzuhren Kunst? Und Inez van Lamsweerde’s<br />
Modekataloge für Joop? Damien Hirst’s halber Hai in<br />
Formalyn? Das fragen die Konsumenten, die Konzertund<br />
Museumsbesucher, die Katalogkäufer und Programmleser.<br />
Obwohl ununterbrochen Museumsdirektoren,<br />
Kuratoren, Intendanten und Generaldirektoren,<br />
aber auch Kunsthändler und Kunstvermittler damit beschäftigt<br />
sind, Kunstwerke zu bewerten und einzuschätzen!<br />
Und obwohl ein pausenloser Regen von mehr<br />
oder weniger verständlichen Kritiken, Rezensionen,<br />
Konzertbesprechungen auf uns nieder geht und angestrengt<br />
Kriterien und Massstäbe praktiziert werden?<br />
Ganz offensichtlich stösst jeder Versuch, das Wesen<br />
der zeitgenössischen Kunst in einem ontologischen,<br />
d.h. auf das Wesen der Dinge zielenden Versuch, dingfest<br />
zu machen, auf einleuchtende Schwierigkeiten.<br />
Nicht nur, weil sich die Kunst in allen ihren Ausdrucksformen<br />
andauernd wandelt und verwandelt. Und nicht<br />
nur, weil sich die Kunst um immer neue Elemente erweitert,<br />
ununterbrochen anbaut. Immer neue Praktiken<br />
erfindet, Kunst zu machen und sich in immer neue Operationsräume<br />
hineinwagt. An der Documenta dieses<br />
<strong>Jahre</strong>s beispielsweise in die Reisfelder chinesischer<br />
Bauern, die dann von Sakarin Krue-On zur Kunst deklariert,<br />
in Kassel, auf der Wilhelmshöhe, echt imitiert<br />
werden und durch leibhaftige 1001 chinesische Bürgerinnen<br />
und Bürger komplettiert, globales Bewusstsein<br />
schaffen sollen. Auch immer neue Inhalte und Phänomene<br />
aus dem Universum der Gegenstände und<br />
Klänge, aus den Welten von Haptik, Akustik, Optik, aus<br />
der Welt der Kultur und des Alltags werden der Kunst<br />
und Musik inkorporiert und tauchen in Ausstellungen<br />
und Galerien, in Konzertsälen und Studios wie mit<br />
einem Zauberstab als Kunstobjekte verwandelt wieder<br />
auf: Kunststoffmännchen, Schreibmaschinengeklapper,<br />
Waschschüsseln, Ferienschnappschüsse, Geräuschaufnahmen,<br />
Koniferen, Schnitzel, was auch immer.<br />
Geben wir zu: für viele mag die Frage nach einer Wesensbestimmung<br />
zeitgenössischer Kunst auch ephemer<br />
und ohne Bedeutung sein. Sie sind zufrieden mit<br />
ihren Vorstellungen von Kunst, wenn sie Hansi Hinterseer<br />
hören und die Kastelruther Spatzen pfeifen und<br />
Hundertwasser und die Sonnenblumen in ihren Fluren<br />
hängen. Sie finden sich damit ab, dass eine ausgestopfte<br />
Giraffe quer auf zwei Stühlen in einer Ausstellung<br />
für zeitgenössische Kunst, eben Kunst ist und damit<br />
basta. Und sie lassen auch die sogenannte moderne<br />
Musik in Ruhe, wenn diese sie in Ruhe lässt. Vermutlich<br />
ist für nicht wenige Kunstfreunde und Kunstliebhaber<br />
die Frage nach einer Wesensbestimmung der<br />
Kunst auch unwichtig. Sie halten es mit dem gläubigen<br />
Kirchgänger: Entweder man glaubt oder man redet<br />
über den Glauben. Eine Sinndeutung der Kunst bringe<br />
dem Kunstwerk und seinem Geniesser dementsprechend<br />
nichts, es werde so nur zerredet.<br />
Das Interesse, sich über die moderne Kunst und Musik<br />
Gedanken zu machen, ist indes selber ein modernes<br />
Phänomen. Nichts mehr ist Vorgabe, alles ist Aufgabe.<br />
Denn die zeitgenössische Musik und Kunst versteht<br />
sich nun einmal nicht mehr von selbst. Das gilt für<br />
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