Wir Schlafwandler
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transatlantischen Reichweiten. Heutzutage, ein halbes Jahrhundert später, hat sich<br />
die Zahl der Atommächte verdoppelt. Alle haben sich sogar weitgehend eine<br />
Zweitschlagsfähigkeit zugelegt oder sind im Begriff, dies zu tun. Inzwischen stehen<br />
zusätzlich mindestens zwei weitere Staaten im Verdacht, sich mit atomaren Raketen<br />
zu bewaffnen. Gleichwohl hat seit der Kuba-Krise keiner der vielen Kriege – von<br />
Vietnam und Kambodscha über Afghanistan bis zum Irak und zu Syrien oder den<br />
mehreren Kriegen zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn – die nuklearstrategische<br />
Qualität der Kuba-Krise erreicht. Wohl aber hat die gegenseitige<br />
Auslöschungsfähigkeit die Epoche des Kalten Krieges herbeigeführt. Sie scheint sich<br />
im Jahre 2014 fortzusetzen.<br />
Der Kalte Krieg war keineswegs eine lange Epoche des Nichtkriegs, vielmehr haben<br />
viele Kriege seit der Kuba-Krise Millionen ziviler und militärischer Kriegstoter<br />
gekostet. Und auch heute noch kosten Kriege ungezählte Opfer, ob in Gaza oder<br />
Israel, ob in Syrien oder dem Irak, ob im Osten der Ukraine oder immer noch auch in<br />
Afghanistan. Und zum ersten Mal seit dem scheinbaren Ende des Kalten Krieges<br />
taucht an Europas Horizont die Möglichkeit eines Krieges auf. Jedenfalls sind die<br />
gegenwärtigen Handlungen sowohl Wladimir Putins als auch der Europäischen<br />
Union und der Nato geeignet, die Sicherheit beider Seiten erheblich zu gefährden.<br />
Noch vor Jahresfrist schien die Situation normal. Aber im November 2013 erklärte<br />
Viktor Janukowitsch, damals Präsident der Ukraine, der EU, er wolle das fertig<br />
ausgehandelte <strong>Wir</strong>tschaftsabkommen mit der Europäischen Union nicht mehr – und<br />
akzeptierte zugleich ein finanzielles Gegenangebot der Russen. Dieser abrupte<br />
Meinungswechsel führte in großen Teilen der Ukraine zu regierungsfeindlichen<br />
Demonstrationen. Sie kulminierten auf dem Maidan in Kiew, es gab an die<br />
einhundert Tote. Am 22. Februar 2014 floh Janukowitsch nach Russland, seine<br />
Regierung wurde durch die prowestliche und antirussische Regierung unter<br />
Ministerpräsident Arseni Jazenjuk ersetzt. Und im Mai 2014 wurde der erfolgreiche<br />
Unternehmer Petro Poroschenko zum Präsidenten gewählt – seither ist er der<br />
international anerkannte Sprecher der Ukraine. Doch schon Monate vorher hatte<br />
Putin die Halbinsel Krim annektiert und sie Russland angegliedert.<br />
Seit dem Februar 2014 folgte sowohl in Russland als auch im Westen eine Kette von<br />
sich gegenseitig steigernden Handlungen und Reden und Gesten. Von Woche zu<br />
Woche wechseln alarmierende und auch versöhnliche Nachrichten einander ab. Ich<br />
gestehe meine wachsende Besorgnis.<br />
Denn die Ukraine-Krise steht nicht allein. Sondern zugleich und bereits seit Jahren<br />
haben wir es zu tun mit einer Krise der Europäischen Union, die sich nicht nur<br />
militärisch, sondern auch außenpolitisch und ökonomisch als handlungsunfähig<br />
erweist. Die hochoptimistische und tatsächlich leichtfertige Verdoppelung der Zahl<br />
ihrer Mitglieder hat die Europäische Union zu einem zahnlosen Tiger werden lassen.<br />
Und in Euroland erleben wir die konjunkturelle Unwirksamkeit der Geldpolitik von