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Free and Lost<br />

in Cybermedia<br />

Die Freie Klasse berichtet<br />

von einer Jagd<br />

Text : Sarah Lehn : : Foto : Arthur van Balen<br />

Du sitzt mit sieben weiteren Studierenden unterschiedlicher<br />

Fakultäten, Hochschulen, Interessen und unterschiedlichen<br />

Alters auf Teppichen in der Eingangshalle<br />

des Hauptgebäudes der Universität der Künste Berlin.<br />

Es gibt Kekse, Tee und Kaffee, es ist kalter Novemberbeginn,<br />

man spricht englisch, denn es sprechen nicht alle<br />

deutsch und Du fragst Dich: WAS MACHE ICH HIER?<br />

Keine Zeit, der Frage nachzuhängen, denn in einer Woche<br />

kommt eine uns nahezu unbekannte Gruppe Genfer<br />

Studierender der Postgraduate-Fakultät Critical Curatorial<br />

Cybermedia. Sie reisen im Rahmen eines Projektes der<br />

NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) nach Berlin;<br />

ihr wahres Ziel ist jedoch die Freie Klasse.<br />

WAS WOLLEN DIE VON UNS?<br />

Sie kennen die letzte Generation der Freiklässler, sind<br />

beeindruckt, sie halten uns für Helden im Kampf gegen<br />

die Institutionsmühlen. Selbstorganisation, was dort<br />

Programm des Studiums ist, soll hier von selbst passieren!<br />

Innerhalb einer Woche soll ein gemeinsames Projekt<br />

entstehen.<br />

Unter dem Druck, sich den Besuchern irgendwie zu<br />

präsentieren, geht es also noch viel konkreter darum,<br />

uns zu defi nieren. Kein Konsens in Sicht! WAS UND WER<br />

SIND WIR? oder hilft die Frage weiter: WAS WOLLEN WIR<br />

ÜBERHAUPT?<br />

Jede Idee endet am selben Punkt: erstmal Kennenlernen,<br />

Sehen. Ohne für irgendwen irgendetwas zusammenfassen<br />

zu müssen. Präsentation, Mindmap, Digital – wir fi nden<br />

alles Nonsens. Wir entscheiden uns für eine Sammlung<br />

unserer Interessen, Bilder, Texte, Recherchen... jeder<br />

sucht, dann wird getauscht. Zunächst konfus.<br />

Den Gästen wird ein Diner in Wedding gekocht. Schüleraustauschfeeling!<br />

- keiner wagt es auszusprechen. Aber<br />

in dieser Woche gibt es ein neues „Wir“. Dieses stellt bei<br />

erstem Glühwein fest, dass nebst Berliner Alltag und<br />

Genfer NGBK- Programm kaum Zeit für unsere Zusammentreffen<br />

bleibt. Gegenseitiges Kennenlernen und<br />

gemeinsames Projekt-Erfi nden, Umsetzen, Dokumentieren<br />

wird auf eine Unit reduziert. Aus einem langen<br />

Treffen werden viele kleine, Schnitzeljagd, die Kamera<br />

ist Staffelholz. Deadline: 72 Stunden später, Abfl ug der<br />

Gäste.<br />

>>berlin-geneva.wikispaces.com.> Alina-Maria (Gruppenkomposition Webfehler)<br />

Gewisse Fragen - Dichte, Dramaturgie, Pausen, Takte entschieden<br />

wir dann wirklich zusammen. Kompositorisch bedeutete die<br />

Arbeit sicherlich für jeden, Kompromisse zu machen - eben "nur<br />

ein Teil" zu sein und nicht "das Ganze". Gleichzeitig hatte man<br />

aber einen tieferen Einblick in das musikalische Denken des anderen.<br />

Als besonders bereichernd empfand ich speziell auch die<br />

gemeinsame Probe mit Snezana und dem Ensemble "adapter":<br />

Worauf achtet Snezana? Was ist ihr wichtig? Wie probt sie? Natürlich<br />

war es wie immer ein besonderer Moment, die eigene Musik<br />

das erste Mal "live" - im Raum - und nicht im Kopf zu hören.<br />

Ich bin generell eher ein Einzelgänger, schon dem alltäglichen<br />

Kollektiv in der U-Bahn versuche ich per Fahrrad möglichst zu<br />

entgehen. Ich schätze das Individuelle und denke, dass es im<br />

Künstlerischen die Möglichkeit zu etwas Unverwechselbarem<br />

gibt. Ein Zusammenwirken und -arbeiten würde ich mir für die<br />

Komposition eher generell als Austausch vorstellen: und zwar<br />

genreübergreifend! >>Sarah (Gruppenkomposition 3+x)<br />

Ich würde sagen, dass es eine ganze Menge Mut braucht, mit deinen<br />

eigenen ästhetischen Vorlieben locker umzugehen, um dem<br />

Stück zu gestatten, zu etwas zu wachsen, das wir nur kollektiv<br />

kontrollieren können. So wie es Jahre dauert, ein ästhetisches<br />

Vokabular für seine eigene Arbeit aufzubauen, glaube ich, dass<br />

es genau so schwer ist, diese Ideen zu Seite zu stellen, um eine<br />

gemeinsame Sprache zwischen vier verschiedenen Komponisten<br />

zu fi nden. Dies war die Achillesferse unserer Gruppe, welche<br />

wir versuchen in unseren zukünftigen Rengakompositionen zu<br />

überwinden. >>Vince (Rengakomposition Blossom, Moon)<br />

In gewissem Maße gibt es das Thema von multiplen, individuellen<br />

“View Points”, “Styles”, “Egos” etc., was stark kollidiert<br />

mit der Zusammenarbeit für ein gemeinsames überindividuelles<br />

Ziel. Ich kann nicht für die anderen Kollektive sprechen,<br />

aber bei der Renga-Gruppe glaube ich, dass wir alle vier eine<br />

Materialen zum Projekt und zum Entstehungsprozess der Stücke sind auf der Website zu fi nden: www.kollektiv.klangnetz.org.<br />

irgendwie ähnliche Perspektive auf Komposition haben und<br />

deswegen war es leichter, zusammen zu arbeiten.<br />

Nochmal, ich kann nicht für die anderen Gruppen sprechen,<br />

aber während der Aufführung von “Moon” gab es Momente, wo<br />

ich nicht sagen konnte, wer die betreffende Sequenz geschrieben<br />

hat. Weil die Sequenzen ziemlich kurz waren und auch die<br />

Methode, die wir zum Komponieren benutzten (oder ist es nur<br />

mein schlechtes Gedächtnis?), konnte ich das Stück manchmal<br />

genießen, als wenn ich nichts damit zu tun gehabt hätte<br />

(was ich gut fi nde). Aber ich schweife ab... >>Kyle (Rengakomposition<br />

Blossom, Moon)<br />

Das Konzept der Gruppenkomposition ist für mich eng verwandt<br />

mit aleatorischer Kompositionsorganisation, wo Offenheit<br />

als Teil der inneren Struktur des Stückes eingegliedert ist.<br />

Mit diesen offenen Einheiten können Parameter des Stückes<br />

von anderen intelligenten Quellen kontrolliert werden und<br />

somit als erkenntliche Variablen behandelt werden.<br />

Ich denke, es gibt noch eine Menge zu entdecken in der Gruppenkomposition.<br />

Vielleicht können wir in Gruppenkomposition<br />

eher die Organistation von Gruppensystemen erkennen,<br />

wie bei Cages formalen Designs oder in dem Werk des Komponisten<br />

und Improvisators Radu Malfatti oder dem von Cardew,<br />

als den "Willen-des-Indiviums"-Ansatz. >>Rama (Rengakomposition<br />

Blossom, Moon)<br />

Ich stand auch unter dem Eindruck, dass es eine generelle,<br />

durchgeführte Charakteristik dieser Stücke war, die sich in diesem<br />

Projekt zeigte, dass ihnen die Konzentration fehlte, die ein<br />

gut geschriebenes, individuelles Stück normalerweise hat. Mit<br />

Konzentration meine ich die Einheit innerhalb einer gewissen<br />

logisch aufgebauten Welt, in der das Stück funktioniert. Das<br />

heißt, sich nicht zu verzweigen, sondern eher ein ausgewogenes<br />

Maß von Intensität beizubehalten, um die Aufmerksamkeit des<br />

Zuhörers zu behalten.<br />

Ich schätze, dass der offenbarste Grund für die Diskrepanz<br />

zwischen dem Prozess und dem Ergebnis unser gemeinsamer<br />

Mangel an Erfahrung mit solch einer Kompositionsmethode<br />

ist. Im Falle der Renga-Gruppe haben wir ein kleines Regelwerk<br />

angenommen, welches gleichzeitig zur Orientierung, als Leitlinie<br />

und Beschränkung diente. Das einzige Konstrukt, das diese<br />

rigiden Regeln überschritt, war ein vages ästhetisches Gefühl,<br />

das wir anstrebten.<br />

P.S.: Was ist mit dem Monster? >>Yoaf (Rengakomposition Blossom, Moon)<br />

Die Komponisten, Studierende und Absolventen der HfM Hans<br />

Eisler und UdK, brachten das Projekt "kollektiv" am 15. November<br />

2007 innerhalb der Konzertreihe des Vereins Klangnetz mit<br />

dem Ensemble adapter auf die Bühne.

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