Michael Milsch: Glück Seite 6 von 11verkauft. Die Grund-Idee, sich selber durch Autosuggestionen in das Glück zu reden,ist natürlich überaus reizvoll, und wir wollen niemanden belächeln, der es versucht. Esfunktioniert aber nicht, und das kann jeder unmittelbar einsehen.Ein kleines Beispiel: nehmen wir an, ich suggeriere mir mehrmals täglich "Es geht mirvon Tag zu Tag besser und besser". "Heute ist mein bester Tag". "Hurra, ich kannes!". O.K., es fühlt sich gut an. Ärger mit der Frau, weil man den Mülleimer nichtherausgebracht hat; Zurechtweisung vom Chef, weil man ihn nicht zurückgerufen hat- kein Problem. "Hurra - heute ist mein bester Tag". Jetzt stellen Sie sich aber bittemal ein richtiges Problem vor. Der Arzt teilt Ihnen eine niederschmetternde Diagnosemit. Unser Kind hatte einen schweren Unfall. Man wird betrogen und verliert Haus undHof. Ein guter Freund ist schwer erkrankt. Wer stellt sich da noch hin und sagt "Hurra!Alles kein Problem - Heute ist mein bester Tag!".Die Fiktion von der "Kraft des positiven Denkens" tut so, als wäre das Leben eineLostrommel, in der nur Gewinne liegen. Sie verbreitet die Illusion, man würde esdurch Auto-Suggestion bzw. durch Änderung seiner Sicht der Dinge hinbekommen,dass nur noch die Sonne scheint. Die Psychologen sprechen hier von "plattemPositivismus".Eine Illusion halt - wie jeder von uns schon dann und wann am eigenen Leib erfahrenhat.In unserem Ritual heißt es dazu:"Wer nie Schmerz erfährt, wen nie die Hand des Schicksals trifft,der kennt weder seine Kraft noch seinen Wert."Martin Silberman, einer der Begründer der "positiven Psychologie", propagiertstattdessen die "Kraft des nicht-negativen Denkens". Auch, wenn es auf denersten Blick nur aussieht, wie eine kleine sprachliche Manipulation: es ist ein völligandere Sichtweise, weil sie beinhaltet, dass wir auch bei noch so raffiniertemLebenswandel nicht vermeiden können, dass uns Negatives widerfahren wird.Ich möchte kurz den Ansatz des "nicht-negativen Denkens" vorstellen.Zunächst bleibt festzuhalten, dass jeder Mensch von Zeit zu Zeit in negativeSituationen gerät. Der Pessimist erlebt Negativ-Erlebnisse auf eine ganz spezielle Artund Weise. Er deutet Dauer, Geltungsbereich und persönliche Verantwortung in einerfür ihn negativen Art und Weise um und sagt:Immer passiert mir so etwas (Dauer).Alles, was ich anfasse, geht schief (Geltungsbereich).Ich bin schuld, ich habe es mal wieder vermasselt (persönliche Verantwortung).Es geht hierbei also nicht um unsere objektiven Erlebnisse, sondern um die Art undWeise, wie wir diese interpretieren, umdeuten. Mit anderen Worten: der Pessimistdeutet negative Erlebnisse auf der Basis seiner Einstellungen in einer für ihnnegativen Art und Weise um.Den Einstellungen, die wir - bewusst oder unbewusst - in uns tragen, kommt somiteine erhebliche Rolle für das Glück zu. Es ist nicht etwa nur so, dass wir aufgrund von
Michael Milsch: Glück Seite 7 von 11Erfahrungen bestimmte Einstellungen aufgebaut haben, sondern umgekehrt machtman auch aufgrund seiner Einstellungen ganz bestimmte Erfahrungen.Lasst mich kurz erläutern, was ich meine: nehmen wir an, man legt sich im Schulkind-Alter mit einem Stärkeren an und wird verprügelt. Daraus erwächst die Einstellung:"Man sollte ich nicht mit Stärkeren anlegen".Es macht aber auch umgekehrt Sinn: Einstellungen führen zu Erlebnissen.Auch dazu ein kleines Beispiel: stellen wir uns zwei junge Männer vor. Bei dem einenist schon der Vater Freimaurer. Oder er hat einen guten Freund, der ihn an das Themaherangeführt hat. Der junge Mann steht also der Freimaurerei wohlwollend gegenüber.Ein zweiter junger Mann ist Journalist und bekommt von seinem Chefredakteur denAuftrag, einen reißerischen, deftig negativen Hetzartikel über diesen Geheimbund zuschreiben. Er liest daraufhin allerlei Verschwörungs-Literatur. Beide junge Männergehen zum ersten Mal zum Gästeabend einer Freimaurerloge - und sie werden etwasvöllig unterschiedliches erleben, obwohl sie auf genau derselben Veranstaltung sind.Wir müssen davon ausgehen, dass die Gründerväter der Freimaurerei 1717 nicht überfundierte, psychologisches Wissen im eigentlichen Sinne verfügten, allein schondeshalb nicht, weil diese Begrifflichkeit erst knapp 200 Jahre später durch dasSchaffen von Sigmund Freud entstand. Aber sie wussten trotzdem - wohl ausErfahrung und Überlieferung -, wie wichtig dieses "Erkenne Dich selbst" für denMenschen ist. Das Erkennen und Bearbeiten von negativen Einstellungen, die unsdavon abhalten, glücklich zu sein, ist ist für mich nichts anderes als die Arbeit amrauen Stein - eine humanistische Veredelung im freimaurerischen Sinne.Charakter und GlückWas aber macht einen guten Charakter aus, in welcher Hinsicht wollen wir uns"veredeln"?Seligman und Peterson haben den Begriff des Charakters aus psychologischer Sichtsystematisiert. Sie haben sechs Tugenden herausgearbeitet und unter dieseninsgesamt 24 Wesensmerkmale identifiziert (VIA-IS = Values in Action, Inventory ofstrengths).I. Tugend der Weisheit und des Wissens01. Kreativität02. Neugier03. Geistige Aufgeschlossenheit (kritisches Denken, Urteilsvermögen)04. Liebe zum Lernen05. WeisheitII. Tugend der Tapferkeit06. Mut07. Beharrlichkeit (Ausdauer, Hartnäckigkeit, Fleiss)08. Prinzipientreue (Authentizität)09. Enthusiasmus (Vitalität)