Leitthema<strong>Manuelle</strong> <strong>Medizin</strong> 2011 · 49:449–454DOI 10.1007/s00337-011-0873-4Online publiziert: 17. November 2011© Springer-Verlag 2011A. MengWienAkupunktur in der Therapieund Prävention beimalternden BewegungssystemAkupunktur und Tuina-Therapie sindFormen der chinesischen Reflextherapie.Diesen Therapien liegt eine gemeinsameTheorie zugrunde, der modifizierte Lehrsatznach de la Fuyé, einem Lehrer vonJ. Bischko, welcher lautet:Die Akupunktur, die Tuina und anderechinesische manuelle Reflextherapien verwendendie Hand oder Nadel zur mechanischenReizung an genau festgelegten Körperregionen,die spontan <strong>dr</strong>uckempfindlichsein können, bei funktionellen, reversiblenErkrankungen oder bei Störungen zu diagnostischenund therapeutischen Zwecken.Das beste Outcome wird oft erzielt miteiner Kombination aus:F medikamentöser Therapie,F Physiotherapie,F Reflextherapie,F Psychotherapie undF der Förderung der Eigenaktivität undSelbstkompetenz.Akupunktur – aber auch Tuina, die chinesischeMassage – ist eine Reflextherapie,die das gestörte Gleichgewicht des Organismuswiederherstellen soll. Es handeltsich also um eine Regulationstherapie, die,wie auch die Tuina, als adjuvante Therapieeingesetzt wird [3], z. B. bei:F Schmerzen,F Durchblutungsproblemen,F Muskeltonusstörungen,F vegetativer Dysfunktion undF psychosomatischer Dysregulation.Die Erweiterung der Indikation zur Akupunktur,sowie zu anderen Maßnahmender traditionellen chinesischen <strong>Medizin</strong>(TCM), die im Westen stattgefunden hat,ist eine chronologische Erfolgsgeschichte:Funktionelle, reversible Störungen. Um1950 entstanden die meisten ärztlichenGesellschaften der Akupunktur.Schmerzstörungen. 1972 war das Gründungsjahrdes Ludwig-Boltzmann-Institutsfür Akupunktur (LBIA), dessenSchwerpunkt die Schmerztherapie ist.Psychosomatische Störungen. Um 1990entstand die Johannes-Bischko-Institutfür-Akupunktur(JBIA)-AmbulanzamKaiserin-Elisabeth-Spital in Wien. Ärztemit einem Diplom für Akupuntur der ÖsterreichischemÄrztekammer begannen,in ihren Praxen vermehrt psychosomatischeIndikationen zu therapieren.„Subhealth“, Prävention, Neurasthenieund chronisches Erschöpfungssyn<strong>dr</strong>om(CFS). Im Jahr 2007 fand das 2. InternationaleJohannes Bischko Symposium inWien zum Thema „Psychosomatik zwischenOst und West“ statt. Mitte der1990er-Jahre konzentrierte sich die TCMin China auf die Gesundheitsvorsorge.Traditionelle chinesische<strong>Medizin</strong> und westlicheGesundheitsversorgungDie Lebenserwartung in Österreich lag 2010für Männer bei 77,7 Jahren und für Frauenbei 83,2 Jahren [6]. Die Früherkennung undBehandlung von Krankheiten sowie weitereVorsorgemaßnahmen für einen gesundenLebensstil verursachen hohe Kosten für denStaat. Die TCM ist im Vergleich zur modernen<strong>Medizin</strong> i. Allg. wenig kostenintensiv,daher ist ihre Anwendung für mehr als 90%der Bevölkerung Chinas wichtig. Im Westenkönnen wir mit TCM-Konzepten densubjektiven Gesundheitszustand der Bevölkerungoptimieren. In diesem Beitrag sollenEinsatzfelder der TCM im Rahmen derwestlichen Gesundheitsversorgung vorgestelltwerden.E Die TCM betrachtet das Nichtbefolgender Regeln des Gesundbleibensals Vorstufe zur Erkrankung.Ein solcher Zustand besteht etwa, wennein Leben nicht im Rhythmus der Naturgeführt wird, beispielsweise, wenn die Bekleidungoder Ernährung nicht der Jahreszeitentspricht. Im Falle einer akuten oderchronischen Erkrankung müssen der Körperdes Menschen, seine Psyche und auchsein Unterbewusstsein in der Therapie alsGanzheit berücksichtigt werden. Die spezielleBefunderhebung, Differenzialdiagnosenund die Erfahrungen der diversenTCM-Techniken bereichern uns inder täglichen Praxis. Die Integration derTCM in die Manualmedizin, Physiotherapieund Psychotherapie ist eine Bereicherungfür die moderne westliche <strong>Medizin</strong>.Das Konzept und die Verfahren der TCMdienen uns in der Praxis. Daher ist eineeingehende Ausbildung, z. B. bei der ÖsterreichischenGesellschaft für Akupunktur(ÖGA), für eine erfolgreiche Anwen-Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag aufdem Kongress der Österreichischen Ärztegesellschaftfür <strong>Manuelle</strong> <strong>Medizin</strong> (ÖÄGMM) vom15. bis 17. Juli 2011 in Pörtschach am Wörthersee.Der Kongress stand unter dem Thema „Deralternde Bewegungsapparat“.<strong>Manuelle</strong> <strong>Medizin</strong> 6 · 2011 |449
LeitthemaDer Springer <strong>Medizin</strong> Verlag besitzt keine Rechte für dieOnline-Veröffentlichung dieser Abbildung. Sie ist aber in der Druckfassungwiedergegeben.Springer <strong>Medizin</strong> Verlag has not received permission to publish thisfigure in the online version of the article. Please refer to the printversionAbb. 1 8 Nierenmeridian, muskuläre Bezugssituation und Triggerpunkte (Tp). a Nierenmeridian b Blasenmeridian (Aus [7],mit freundl. Genehmigung)dung unabdingbar. Im Folgenden werdeneinige wichtige Arbeitsmodelle derTCM kurz dargestellt [4, 7, 8]. A. Stacher,J. Bischko, O. Bergsmann, M. Eder, H. Tilscher,F. Hopfer und A. Pischinger sind diebekanntesten Pioniere Österreichs auf diesemGebiet [1].Meridiansystem und OrganlehreDas Meridiansystem (. Abb. 1) unddie Organlehre bilden das Kernstück derTCM-Morphologie und Physiologie. Esbeinhaltet das Blut- und Lymphgefäßsystem,das periphere Nervensystem, periphereStrukturen des vegetativen Nervensystemswie den Sympathikus, die Muskelketteals funktionelle Einheit (O. Bergsmann,A. Meng) und das interstitielle Bindegewebeals unspezifisches Regulationssystemnach Pischinger [1, 4, 7, 8]. Schmerzen,Durchblutungsstörungen und Bewegungseinschränkungenkönnen als Folgezuständeeiner Meridianzirkulationsstörungaufgefasst werden. Beispiele sind:F das Schulterarmsyn<strong>dr</strong>om,F der Tennis- oder Golferarm (Trigger-Punkte) undF pseudoradikuläre Schmerzen.Auch die vegetativen Funktionen werdenin der Organ- und Meridianlehre zusam<strong>meng</strong>efasst.Ein nervöser Magen kannauf dem Reflexweg eine Verspannung derim selben Segment liegenden Muskulaturhervorrufen. Die Behandlung dieser Reflexzone(wie die Projektion in die Head-Zonen) kann in vielen Fällen die Eingeweidepositiv beeinflussen.Der gute Arzt behandelt eine Krankheitpräventiv, d. h., schon im Keimstadium,der weniger fähige behandelt erstdas Vollbild einer Krankheit. Die Präventionund Früherkennung einer eventuellenErkrankung gilt es anzustreben.Therapie und Präventionin Kombination„Wir warten als ,aufgeklärte‘ Abendländerauf den Ausbruch einer Krankheit, die wirmit einer Diagnose abstempeln, um dannmit technischen, pharmakologischen oderchirurgischen Maßnahmen darauf los zugehen, ohne zu bedenken, dass alle Organsystemeund medizinischen Fachgebieteengstens miteinander verbunden sind.“(C.C. Schnorrenberger, [5])Beim alten Menschen liegt oft eine Schwächean verschiedenen Organen vor, dieTherapie wirkt nicht so rasch wie bei einemjungen Patienten. Drastische Maßnahmenschaden dann oft mehr, als keine Maßnahmenzu ergreifen, Tonisierung steht imVordergrund. Im Alter findet man oft dieSyn<strong>dr</strong>ome der Nieren- und Leberschwäche.Nach der TCM basieren alle Symptome beiälteren Menschen auf einer Nierenschwäche.Nicht alles, was im Alter auftritt, ist reversibel,nicht alles kann aufgehalten oderzumindest verlangsamt werden [3, 4].Die Basisbehandlung bewirkt eine allgemeineVerbesserung vieler psychosomatischerBeschwerden sowie die Vorbeugungvon Infarkten. Im Folgendenwerden die praxisnahen, geeigneten Indikationennach Differenzialdiagnosen derTCM und Diagnose der modernen <strong>Medizin</strong>besprochen.450 | <strong>Manuelle</strong> <strong>Medizin</strong> 6 · 2011