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Petra otte - Willi-Bleicher-Preis

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der mitarbeiter<br />

Ivo Vidovic arbeitet seit 16 Jahren für die heutige<br />

Takeda/nycomed. In dieser Zelt ging es<br />

dem „Forschungs-Mitarbeiter nicht darum,<br />

die Karriereleiter hochzusteigen – vielmehr<br />

hat er an seinem Arbeitgeber die menschliche<br />

Seite geschätzt. Zum Beispiel, dass die<br />

frühere Altana ihm und seiner ebenfalls dort<br />

beschäftigten Frau eine sehr flexible Betreuung<br />

ihrer Drillinge ermöglicht hat. oder dass<br />

dem Konzern Weiterbildung wichtig war und<br />

er den Mitarbeitern englischkurse spendiert<br />

hat. „Die Personalabteilung ist uns immer entgegengekommen,<br />

wir haben uns nie nach etwas<br />

anderem umgesehen“ , sagt der 49-Jährige.<br />

Auch nicht, als Takeda 2011 den Zuschlag<br />

für nycomed bekommen hat. nach Jahren im<br />

Besitz eines Finanzinvestors empfand die Belegschaft<br />

den Aufkauf durch ein Pharmaunternehmen<br />

als Glücksfall. „Damals dachte ich,<br />

etwas Besseres kann uns nicht passieren“,<br />

sagt der vierfache Familienvater.<br />

Inzwischen schreibt das ehepaar jeden Abend<br />

Bewerbungen, bis heute begreift Vidovic<br />

nicht, „dass alle Arbeitsplätze plötzlich wertlos<br />

sein sollen. In der Forschungsausstattung<br />

ist der Standort Konstanz doch top.“ Der<br />

49-Jährige trägt einen Dreitagebart über seinem<br />

Karohemd, er spricht leise und gehört<br />

nicht zu den Menschen, die andere für ihr<br />

Schicksal verantwortlich machen. Viel mehr<br />

als die eigene interessiert ihn die Zukunft seiner<br />

Kinder: „Wenn schon die Arbeitsplätze in<br />

der Forschung wegfallen – wo sollen sie dann<br />

einmal arbeiten?“ es heiße doch immer, der<br />

Vorsprung Deutschlands bestehe im Wissen<br />

seiner qualifizierten Arbeitskräfte. Für Vidovic<br />

sind die mit einem Mal zu Konkurrenten geworden.<br />

„Ich weiß, dass sich drei Kollegen mit<br />

mir auf die gleiche Stelle bewerben“, sagt er,<br />

das sei kein gutes Gefühl. Vidovic weiß auch,<br />

dass es in der nähe keine vergleichbare Arbeit<br />

gibt, „um so viele Menschen aufzufangen“.<br />

der Betriebsrat<br />

Rolf Benz schläft wenig zurzeit. oft sitzt er<br />

schon kurz nach 6 Uhr früh im Büro, auch um<br />

20 Uhr hat er noch Termine. Dazwischen beantwortet<br />

der nycomed-Betriebsratschef Dutzende<br />

e-Mails von Beschäftigten, telefoniert<br />

mit der Arbeitsagentur, berät im Betriebsrat<br />

die weitere Verhandlungstaktik und gibt der<br />

Presse Interviews. Die mehr als zwölfstündigen<br />

Arbeitstage nimmt der 54-Jährige klaglos<br />

hin, sein Ziel heißt, der Geschäftsführung einen<br />

möglichst würdevollen Abschied für die<br />

Beschäftigten abzuringen.<br />

Zwar gilt für die Konstanzer Belegschaft noch<br />

ein früherer Sozialplan – doch den will Benz<br />

„an möglichst vielen Stellen verbessern“. Das<br />

heißt: eine höhere Abfindung und die Möglichkeit<br />

zum Wechsel in eine Transfergesellschaft,<br />

zudem eine fünfjährige Jobsicherung für verbleibende<br />

Beschäftigte. Dem Betriebsrat ist<br />

klar: nachdem schon 2007 beim Übergang<br />

von Altana zu nycomed 800 Menschen ihren<br />

Arbeitsplatz verloren haben, wird die Jobsuche<br />

dieses Mal für viele deutlich schwieriger.<br />

In 30 Jahren als Betriebsrat hat Benz die meisten<br />

seiner Haare verloren, der Schnauzer ist<br />

grau geworden. Und die „sicherlich härteste<br />

Auseinandersetzung“ mit der Geschäftsführung<br />

steht erst noch bevor: Denn dieses Mal<br />

kämpft Benz nicht nur für eine bessere Zukunft<br />

der Belegschaft, sondern auch gegen<br />

ihr Vergessen – je mehr sich der japanische<br />

Takeda-Chef vom Schicksal der Menschen in<br />

Konstanz abwendet, umso lauter trommelt<br />

der Betriebsrat für ihre Interessen. Yasuchika<br />

Hasegawa kennen die Beschäftigten nur aus<br />

dem lnternet, Rolf Benz hat nach der Hiobsbotschaft<br />

jüngst einen Protestzug durch die<br />

Stadt angeführt.<br />

Mehr als 2000 Menschen sind mitmarschiert<br />

und haben die Firmenwerte von Takeda in<br />

japanischen Schriftzeichen anklagend vor<br />

Kameras gehalten. „ehrlichkeit“ gehört dazu,<br />

„Fairness“ auch. „Ich kann es nicht mehr hören“,<br />

sagt Benz. Genauso wenig wie aus seiner<br />

Sicht halbwahre Begründungen zur notwendigkeit<br />

des Jobabbaus. Zwar gebe es für forschende<br />

Pharmafirmen sicher bessere Bedingungen<br />

als in Deutschland – Takeda indes sei<br />

es von Anfang an nur um den Zugang von nycomed<br />

zu den aufstrebenden Märkten wie China,<br />

Südamerika oder Russland gegangen. Dort<br />

setzt der Pharmahersteller fast jeden zweiten<br />

euro um. Benz: „Takeda hat im Beipackzettel<br />

auch eine Forschungslandschaft vorgefunden,<br />

uns wollen die aber gar nicht haben.“<br />

Die erinnerung an eine solche Missachtung<br />

von jahrzehntelanger Leistung trägt der<br />

54-Jährige wie ein Mal auf seiner Brust - „Takeda<br />

braucht Deutschland“, steht auf einem<br />

Button. Das nycomed-Logo wird von einem<br />

Takeda-Schriftzug zur Hälfte verdeckt. „Ich<br />

fürchte, wir müssen bald einen neuen Button<br />

machen“, sagt Benz. ohne nycomed.<br />

die region<br />

Der Jobabbau ist Gesprächsstoff an Verkaufstresen<br />

und Stammtischen. „Dass ein<br />

lange Zeit so erfolgreiches Unternehmen<br />

zum Spekulationsobjekt wird, ist wirklich<br />

unschön“, sagt eine Mitarbeiterin in der<br />

Tiergarten-Apotheke. „Jeder kennt jemanden,<br />

der dort schon einmal gearbeitet hat.“ Wirtschaftsförderer<br />

Schaal glaubt, dass einzelhandel<br />

und Gastronomie den Schwund an Beschäftigten<br />

bald an nachlassenden Umsätzen<br />

spüren werden. Zudem fürchtet er, dass mit<br />

den Menschen wichtiges Wissen in der Pharma-Industrie<br />

abwandert. Zum Beispiel mit<br />

Mitarbeitern wie Ivo Vidovic. In seinem Wohnort,<br />

einer 3500-Seelen-Gemeinde nahe Konstanz,<br />

bieten sich die nachbarn inzwischen als<br />

Kinderbetreuer an, damit das ehepaar Zeit für<br />

Vorstellungsgespräche hat. Die Musikschule<br />

hat sich erkundigt, ob es Schwierigkeiten mit<br />

den Kursgebühren für die Kinder gibt, und<br />

Hilfe angeboten. „Das ist ein Paradies hier“,<br />

sagt Vidovic. nur der Arbeitsplatz gehört nicht<br />

mehr dazu.<br />

Hintergrund<br />

Von Byk Gulden zu takeda<br />

AUFSTIeG: 1873 hat Heinrich Byk die chemische<br />

Fabrik Byk Gulden gegründet. 1941<br />

übernahm die Familie Quandt die Mehrheit<br />

und siedelte die Firma 1946 nach Konstanz<br />

um. Von 1977 an gehörte Byk Gulden zu Altana<br />

und expandierte rasch. 2002 gliederte<br />

Altana die Pharmasparte aus, das Magenmittel<br />

Pantozol (Wirkstoff. Pantoprazol) brachte<br />

Milliardenumsätze.<br />

FALL: 2006 kaufte die dänische nycomed die<br />

Altana Pharma AG. Damit kamen fast 2000<br />

Stellen in Konstanz unter den Einfluss von<br />

Finanzinvestoren. 2007 wurden 800 Jobs gestrichen,<br />

der Firmensitz nach Zürich verlegt.<br />

Branchenkenner sehen den Fall des Konzerns<br />

darin begründet, dass sich Altana zu stark<br />

auf Pantozol fokussiert hat. 2009 ist der Patentschutz<br />

ausgelaufen, ein vergleichbares<br />

nachfolge-Medikament fehlt. 2010 setzte nycomed<br />

weltweit 3,2 Milliarden euro um und<br />

erwirtschaftete 850 Millionen.<br />

BRAnCHe: Seit 2011 gehört nycomed zur<br />

japanischen Takeda. Insgesamt sollen weltweit<br />

2800 Beschäftigte gehen, davon 1200 in<br />

Deutschland und allein 700 in Konstanz. Die<br />

Pharmabranche in Deutschland leidet unter<br />

dem Auslaufen von Patenten, internationaler<br />

Konkurrenz und Gewinnbeschränkungen<br />

durch die Gesundheitsreform.<br />

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