12.07.2015 Aufrufe

Die Kirche - RPG

Die Kirche - RPG

Die Kirche - RPG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Jockel Kreuzmaler (Erzählung)In Wirklichkeit heisst Jockel mit dem Nachnamen garnicht Kreuzmaler. <strong>Die</strong> Leute im Dorf nennen ihn so, weildamit eine ganz besondere Geschichte verbunden ist.Als Jockel sechs Jahre alt war, bekam er eine kleineSchwes ter. Sie wurde auf den Namen Rosa getauft. Jockelfand den Namen passend, denn das kleine Mädchen sahgenau so aus – rosa von der Stupsnase bis zu den winzigenZehen. Er hatte seine kleine Schwester sehr lieb undnannte sie Rosi.Als Rosi drei Jahre alt war, wurde sie sehr krank und starbnach kurzer Zeit.Jockel erlebte, wie seine kleine Rosi in einen Sarg gelegtund auf dem Friedhof in die Erde gebettet wurde. Nachder Beerdigung ging Jockel fast jeden Tag auf den Friedhofund legte frische Blumen, schöne Steine, Zweige,Äste oder Moos auf das kleine Grab. Er wollte Rosi mitseinen kleinen Geschenken eine Freude machen, denn ervermisste seine Schwester sehr.Am Kopfende jedes Grabs stand ein dunkles Kreuz. Aufdem Kreuz konnte man den Namen des Verstorbenenund den Geburts- und den Todestag lesen. Jockel war oftsehr traurig über das dunkle Kreuz auf dem Grab seinerkleinen Schwester. Warum, fragte er sich, hatten die Erwachsenenfür die kleine lustige Rosi ein so düsteresKreuz errichtet?An einem Herbsttag entschloss er sich, die Sache mitdem düsteren Kreuz zu ändern. Er zerschlug sein Sparschweinund nahm genügend Geld, um Pinsel und Farbezu kaufen. Kein Mensch bemerkte ihn, als er mit Pinselund Farbbüchse auf dem Friedhof auftauchte. Er hattesich bald eingerichtet und begann leise summend RosisGrabkreuz mit rosaroter Farbe anzumalen. Ganz langsamarbeitete er, und beim Malen kamen ihm viele schöneErinnerungen an Rosi. Zufrieden betrachtete er sein Werkund fand, dass das Grab nun viel schöner aussehe.In der Reihe von Rosis Grab waren noch andere Kinderbegraben. Auch ihre Gräber waren mit düsteren Grabkreuzengeschmückt.Jockel hatte die Kinder gekannt. Er erinnerte sich an sie,dachte angestrengt nach, welche Farbe zu welchem Kindpassen würde. Kurzentschlossen kaufte er mit seinemGeld weitere Farben.Er kehrte zurück auf den Friedhof und malte eifrig weiter.Plötzlich stand der Pfarrer hinter ihm, hielt ihn am Armund fragte aufgebracht: «Jockel, was machst du da?»Erschrocken sah Jockel auf und sagte: «<strong>Die</strong> Gräber sahenalle so traurig aus, und das ist doch ganz falsch.» DerPfarrer schaute Jockel erstaunt an und fragte: «Was istdenn falsch?»Jockel deutete mit seinem farbigen Pinsel auf die buntenGrabkreuze und sagte: «Zuerst wollte ich nur Rosis Grabkreuzanmalen. An Rosis Beerdigung sagten Sie dochselbst, dass sie wie eine Blütenknospe gewesen sei. Unddann fiel mir ein, dass die anderen Kinder sicher auchFreude an einem farbigen Kreuz hätten. Peter mochteblaue Sachen so gern, und bei Konrad musste immer allesrot sein, Anna liebte die gelben Blumen beim Bach, deshalbhabe ich ihr Kreuz gelb angemalt. Und Angela waroft mit ihrem Vater im Wald unterwegs, brachte uns immerMoos mit in die Schule für die Osternester, deshalbist ihr Kreuz grün geworden.»Während Jockel von jedem der Kinder etwas erzählte,ging der Pfarrer mit ihm von Grab zu Grab. Jockel redetevon den Kindern, als ob sie gar nicht gestorben wären.Seine Erinnerungen waren voller Freude und sprudeltennur so aus ihm heraus.«Also, dann male jetzt das letzte Kreuz noch fertig, damitdir die Farbe nicht eintrocknet. Ich werde deiner Familieund den anderen von deinen Gedanken erzählen, damitsie nicht zu sehr erschrecken, wenn sie das nächste Malauf den Friedhof kommen.» Daran hatte Jockel nicht gedacht,und er erschrak nun selbst. Der Pfarrer aber beruhigteihn: «Du brauchst keine Angst zu haben, es werdensich alle darüber freuen, dass du so farbige Erinnerungenan die Kinder hast.»Es sind viele Jahre vergangen seit dieser Geschichte. JederBesucher, der auf dem Friedhof die bunten Kreuze erblickt,wundert sich. Fragt er, von wem denn diese Ideestamme, bekommt er die Antwort: «Von Jockel Kreuzmaler.»Jockel Kreuzmaler ist heute ein alter Mann. <strong>Die</strong> Geschich tegeschah, als er ein Junge in eurem Alter war. Damals starbenauch in unserer Gegend viele Menschen schon imKindesalter, weil die Ernährung dürftiger war als heuteund man für manche Krankheiten keine Heilung kannte.Nach: Eva Rechlin. Jockel Kreuzmaler. In: Elsbeth Bihler. 4 2002.Symbole des Lebens – Symbole des Glaubens. Wasser, Kreuz.Bd. 2. Lahn-Verlag, Limburg. S. 243–246.AH2 / 2 <strong>Die</strong> <strong>Kirche</strong>© Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!