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Zilkenat: Das Jahr 1931 - workerscontrol.net

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Koalition, entschieden sich der Parteivorstand und die Reichstagsfraktion zu einer Politik der„Tolerierung“ des Kabi<strong>net</strong>ts Brüning. 53 Die Geburtsstunde dieses verhängnisvollen Kursesschlug nach den parlamentarischen Sommerferien und den Neuwahlen zum Reichstag imSeptember 1930. In der Privatwohnung des Staatssekretärs in der Reichskanzlei, HermannPünder, fand das entscheidende, unter konspirativen Umständen zustande gekommeneGespräch zwischen den sozialdemokratischen Parteiführern Otto Wels (Parteivorsitzendervon 1919 bis 1939) und Hermann Müller (Reichskanzler vom Juni 1928 bis März 1930)sowie Heinrich Brüning und seinem Staatssekretär statt, bei dem der Pakt zwischen demNotverordnungskanzler und der SPD-Führung besiegelt wurde. Pünder schildert dasZusammentreffen und seine Vorgeschichte mit folgenden Worten:„Eine Ergänzung des Kabi<strong>net</strong>ts durch Eintritt von Sozialdemokraten wird leider unmöglichsein, da es rechts nicht geduldet und von links nicht erbeten wird. Was aber vielleicht möglichwäre, ist eine Unterstützung des Kabi<strong>net</strong>ts und seiner Arbeit durch die Sozialdemokratie.Hierzu hatte ich dem Herrn Reichskanzler vorgeschlagen, eine Besprechung mit denbeiden...Parteiführern Wels und Müller ganz unauffällig bei mir in der Gärtnerstraße inLichterfelde herbeizuführen. Dr. Brüning war sehr einverstanden, und ich habe dann beideheimlich eingeladen. Wir waren nur zu viert zum Kaffee und nachher zum Glas Wein mitZigarren. Es war eine zweifellos sehr wertvolle Aussprache. Ich hatte das Gefühl, dass es sichum historische Augenblicke handelt.“ 54Der Sinn der „Tolerierungspolitik“ bestand nicht darin, die Regierung Brüning bei jedereinzelnen Abstimmung zu unterstützen, wohl aber zu verhindern, dass Misstrauensanträgeoder Anträge auf Rücknahme von Notverordnungen eine Mehrheit bekommen konnten. Mitanderen Worten: Immer dann, wenn für das Kabi<strong>net</strong>t Brüning die Existenz auf dem Spielestand, verschaffte ihr die Reichstagsfraktion der SPD eine parlamentarische Mehrheit. Die„Deutschen Führerbriefe“, ein in kleiner Auflage herausgegebener, streng vertraulicherInformationsdienst, vornehmlich für Industrielle, formulierte diesen Sachverhalt im Oktober1930 dahingehend, es habe sich unter Brüning „ein Regierungskurs herausgebildet undvorläufig durchgesetzt, der die Sozialdemokratie à la suite hat“ 55 . Kurz darauf verhöhnte diesePublikation die Reichstagsabgeord<strong>net</strong>en der SPD mit den Worten: „Man merkt ihnen dieparlamentarische Sattheit und Routine an und die Statistenrolle, die sie unter diesemRegierungskurs spielen.“ 56Den Parteimitgliedern wurde mit diesen Verhaltensweisen ihrer Reichstagsfraktion vielzugemutet. Deshalb begann die Parteizeitung „Vorwärts“ im Oktober 1930, eine wahre Flutvon Artikeln und Kommentaren zu veröffentlichen, die um Verständnis für den„Tolerierungs“-Kurs warben. Eine zentrale Rolle spielten dabei der Abdruck der Rede desehemaligen Finanzministers der Großen Koalition, Rudolf Hilferding, vor den Delegierten desBerliner SPD-Parteitages vom 4. Oktober 1930 57 und der Artikel des preußischenMinisterpräsidenten Otto Braun vom 12. Oktober 1930 unter der Überschrift „Um was es53Vgl. die ausführliche Darstellung bei Heinrich August Winkler, Der Weg in die Katastrophe, a.a.O., S. 207ff.u. Gerhard Schulz, Von Brüning bis Hitler, a.a.O., S. 202ff.54Hermann Pünder, Politik in der Reichskanzlei. Aufzeichnungen aus den <strong>Jahr</strong>en 1929-1932, hrsg. v. ThiloVogelsang, Stuttgart 1961, S. 62 (Aufzeichnung v. 30.9.1930).55Deutsche Führerbriefe. Politisch-wirtschaftliche Privatkorrespondenz, 3. Jg., Nr. 83, 24.10.1930, S. 2, Bilanzder Brüning-Regierung.56Ebenda, Nr. 97, 12.12.1930, S. 3f., Zur Physiognomie des Reichstags. Bereits 1929 hieß es in den„Führerbriefen“: „Die Sozialdemokratie hat von der Macht des Staates gekostet, aus den Fleischtöpfen derVerwaltung gegessen, sie ist auf den Appetit gekommen. Sie hat mehr Nacken und mehr Sitzfleisch bekommen,die Phantasie ist dabei eingeschrumpft, der revolutionäre Elan in die Schublade gelegt worden, aus der er beiErinnerungsfesten und gelegentlichen Paradereden herausgeholt und aufgeputzt wird.“ Ebenda, 2. Jg., Nr. 43,7.6.1929, S. 2f., Wandlungen in der Sozialdemokratie.57Vgl. Vorwärts, Nr. 467, 5.10.1930, Berliner Bezirksparteitag. Hervorhebungen von mir-R.Z.14

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