12.07.2015 Aufrufe

Du côté de chez Ceausescu

Du côté de chez Ceausescu

Du côté de chez Ceausescu

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN
  • Keine Tags gefunden...

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Stadtleben April 22.3.2009 19:36 Uhr Seite 35Fallschirmjäger Dorin Carlan: Elena <strong>Ceausescu</strong> habe sogar nach <strong>de</strong>r Erschiessung noch bösartig gezuckt.aussichtslosen Lage erschossen hatte, machte ihn<strong>Ceausescu</strong> zum Oberbefehlshaber <strong>de</strong>r Armee.General Stanculescu – «das allergrösste Arschloch»,wie ihn <strong>de</strong>r Regisseur Andrei Ujica unfreundlicherweisenennt, aber sicher kein <strong>Du</strong>mmkopfund mit einem gewissen Sinn für Slapstickbegabt – klebte sich, um nicht mit <strong>de</strong>n <strong>Ceausescu</strong>sfliehen zu müssen, einen falschen Gipsverbandans Bein. Dann arrangierte er sich mit Iliescu. Alser am Nachmittag <strong>de</strong>s 25. Dezember in Targovisteeintraf, um <strong>de</strong>n Prozess zu organisieren, soll<strong>Ceausescu</strong> aufgeatmet haben. Erst wenige Minutenvor seinem Tod erkannte er das Ausmass <strong>de</strong>sVerrats. Stanculescu selbst war die Sache sichtbarunangenehm. Auf <strong>de</strong>n Prozessaufnahmen siehtman, wie er konzentriert auf <strong>de</strong>n Tisch starrt undPapierschiffchen faltet.Frank Sinatra RumäniensDoch sein Verrat sollte sich für Stanculescu nurbedingt auszahlen. Sein Leben nach <strong>de</strong>r Revolutiongleicht einer jener amerikanischen High-Society-Serien aus <strong>de</strong>n Achtzigern. Je nach politischerLage war Stanculescu Minister, Konzernchef,Ölhändler o<strong>de</strong>r freiberuflicher Gigolo im IstanbulerExil. <strong>Du</strong>mmerweise hatte er, bevor er zu Iliescuübergelaufen war, noch einige <strong>Du</strong>tzend Demonstrantenerschiessen lassen – eine Tatsache, dieihm die auf Iliescu folgen<strong>de</strong> Regierung nicht zuverzeihen bereit war. Im letzten November wur<strong>de</strong>er schliesslich zu fünfzehn Jahren Gefängnis verurteiltund nach Jilava gebracht, <strong>de</strong>m berüchtigtenGefängnis ausserhalb Bukarests, in <strong>de</strong>m unteran<strong>de</strong>rem <strong>de</strong>r Hitler-Kollaborateur Antonescu hingerichtetwor<strong>de</strong>n war. Und obwohl seine Frau imVerlauf dieser Ereignisse Suizid begangen hatte,obwohl er «an allen Ecken und En<strong>de</strong>n krank»war, wie mir <strong>de</strong>r Gefängnisdirektor erzählte, warStanculescu nicht <strong>de</strong>r Mann, mit <strong>de</strong>m man Verständnishätte haben können.Trotz<strong>de</strong>m: Der Besuch bei General Stanculescuwar charmant. Wie üblich war eine Stun<strong>de</strong>geplant, aber es wur<strong>de</strong>n fast fünf daraus. Vielleichtlag es daran, dass ich es unter<strong>de</strong>ssen aufgegebenhatte, die Wahrheit zu erfahren, dass ichnur noch zuhören wollte. Hätte ein gnädiger Tontechnikereinen Soulsong eingespielt, so hätte manaus meinem Besuch in Jilava einen hübschen Clipproduzieren können. Da waren, als Opener, dieSicherheitsschleusen, die Passkontrollen, die bulligenPolizisten und langen Flure. Da war die Pressesprecherin,die mir zur Begrüssung erzählte, ihrName wür<strong>de</strong> auf Englisch «Ass» be<strong>de</strong>uten (ichnehme an, sie meinte «Ash»). Da war <strong>de</strong>r adretteGefängnisdirektor, <strong>de</strong>r uns auf die baulichen Verbesserungenseit Antonescus Tagen hinwies. Dawar <strong>de</strong>r «Club», scheinbar <strong>de</strong>r Freizeitraum <strong>de</strong>retwas besser gestellten Gefangenen, in <strong>de</strong>m wirunsere Kamera aufbauten. Und schliesslich warda <strong>de</strong>r General selber: Ein sorgfältig gekämmterHerr um die achtzig, <strong>de</strong>r gol<strong>de</strong>ne Bowlingschuhetrug. Ein Frank Sinatra Rumäniens.Vodka an WeihnachtenStanculescus Aussagen waren präzis, abgesehennatürlich von <strong>de</strong>r Sache mit <strong>de</strong>n toten Demonstranten.Er hörte sich meine Fragen geduldig an,es war sein erstes Fernsehinterview seit seiner Verurteilung,und doch konnte man sehen, dass ersein ganzes Leben lang von Aufmerksamkeit verwöhntwor<strong>de</strong>n war. Iliescu hatte er zum erstenMal auf einer künstlerischen Soirée im September1989 getroffen. An <strong>de</strong>m Abend trug Ion CaramitruGedichte <strong>de</strong>s rumänischen Nationalhel<strong>de</strong>nEminescu vor, sehr pathetisch und ein bisschen zulaut, wie es eben seine Art ist. Am En<strong>de</strong> schrieCaramitru «Help!» ins Publikum – «ein Weckrufan Rumänien», wie er mir erzählte – aber da flaniertenStanculescu und Iliescu bereits im Foyerund unterhielten sich über Organisatorisches.«Warum haben Sie später, im Dezember, dieMacht nicht selbst übernommen?»«Ich habe darüber nachgedacht. Aber dannsagte ich mir, dass die Rumänen wohl keine Lustauf eine Militärdiktatur hatten. Iliescu war <strong>de</strong>rrichtige Mann.»«Und wie sind Sie auf die lustige I<strong>de</strong>e mit <strong>de</strong>mGipsverband gekommen?»«Das war eine I<strong>de</strong>e meiner Frau. Ich sagte<strong>de</strong>m Arzt, er solle <strong>de</strong>n Verband bis übers Kniemachen, so sah es echter aus. <strong>Ceausescu</strong> war sehrbetrübt. Er sagte: Victor, gera<strong>de</strong> jetzt musst du dirdas Bein brechen! Er tat mir leid.»«Er tat Ihnen leid?»«Als Mensch, ja.»«Wie haben Sie sich in Targoviste gefühlt?»«Als ich in die Kaserne kam, ging ich zuerstins Zimmer <strong>de</strong>s Kommandanten. Sie müssen sichvorstellen, es war Weihnachten. Der Kommandanttrank gera<strong>de</strong> eine Flasche Vodka. Ich nahmdie Flasche und wusch mir damit die Hän<strong>de</strong>.»«Fühlten Sie sich schuldig?»«Nein. Das ist nur eine alte rumänische Weihnachts-Tradition.»«Und dann, im Prozessraum? War Ihnen dasunangenehm?»«Natürlich. Aber ich bitte Sie zu beachten,dass ich nur mit <strong>de</strong>r Organisation beauftragt war.Das Urteil haben an<strong>de</strong>re gefällt. So war es auchbei dieser an<strong>de</strong>ren Sache, die mir zur Last gelegtwird.»«Sind Sie zu Unrecht im Gefängnis?»Stanculescu lachte freundlich. «Ach, es istabsolut gleichgültig, ob ich hier bin o<strong>de</strong>r woan<strong>de</strong>rs.»Er legte <strong>de</strong>n Papierstapel beiseite, auf <strong>de</strong>mer Zitate und Daten aufgeschrieben hatte.«Wollen Sie die Wahrheit kennen?», fragte er.«Ja, gern.»«Einige Leute wollen mich dafür bestrafen,dass ich <strong>de</strong>n Prozess gegen die <strong>Ceausescu</strong>s organisierthabe. Das ist die Wahrheit. Alles an<strong>de</strong>re...»Er brach ab und machte eine kurze Pause. «Ichwer<strong>de</strong> ein Buch darüber schreiben.»Geschäftstüchtiger SchwiegersohnAls wir einige Stun<strong>de</strong>n später wie<strong>de</strong>r durch dieSicherheitsschleusen kamen und die Polizistenunseren Kofferraum öffneten, stellte ich mir vor,wie <strong>de</strong>r alte Mann zusammengekrümmt hintenlag, zwischen <strong>de</strong>m Warnkreuz und <strong>de</strong>m Sanitätskasten,immer noch in <strong>de</strong>n gol<strong>de</strong>nen Bowlingschuhen.Unwillkürlich musste ich lachen: Stanculescuhatte in einer Welt <strong>de</strong>r Wun<strong>de</strong>r gelebt, erhatte sich die Weltgeschichte durchs Haar blasenlassen, er hatte Ministern mit <strong>de</strong>r Pistole gedroht,er hatte <strong>Ceausescu</strong> verraten und seine Hän<strong>de</strong> inUnschuld geba<strong>de</strong>t. Aber jetzt war das Spiel aus.Rumänien war mit <strong>de</strong>m EU-Beitritt und <strong>de</strong>rImmobilienkrise beschäftigt. Der FallschirmjägerCarlan bewarb sich um <strong>de</strong>n Posten <strong>de</strong>s Staatssekretärsfür Revolutionsfragen. Iliescu war imRuhestand. Die Welt war nach wie vor korruptund grausam, aber sie wur<strong>de</strong> doch normaler,kapitalistischer, von Tag zu Tag. Es war nichtmehr nötig, mit Pistolen zu drohen o<strong>de</strong>r sich Gipsverbän<strong>de</strong>anzukleben.Wir waren schon fast wie<strong>de</strong>r in Bukarest, alseine Meldung im Radio kam. Ein Schwiegersohn<strong>Ceausescu</strong>s hatte sich, rechtzeitig zum zwanzigjährigenJubiläum, die Rechte am Namen seinesSchwiegervaters gesichert. Je<strong>de</strong> In-Bar, je<strong>de</strong>rT-Shirt-Hersteller, je<strong>de</strong>r Filmemacher, <strong>de</strong>r amdüsteren Ruhm <strong>de</strong>r <strong>Ceausescu</strong>s teilhaben will,muss in Zukunft Prozente an ihn zahlen. «Das istkein <strong>Du</strong>mmkopf», sagte mein Dolmetscher grosszügig.«Das ist ein wirklich intelligenter Mann. Erwird sehr reich wer<strong>de</strong>n.»Die Schlange war fort, jetzt wur<strong>de</strong>n die Häuteverkauft. Die Ziehharmonika spielte wie<strong>de</strong>r zumTanz auf, neue Lie<strong>de</strong>r für neue Karrieren. Tatsächlich,es war absolut gleichgültig, was aus GeneralStanculescu wur<strong>de</strong>.Milo Rau, 1977, ist in St.Gallen aufgewachsen und arbeitet in Berlinals Leiter <strong>de</strong>s «International Institute of Political Mur<strong>de</strong>r» an <strong>de</strong>r Theater-und Filmproduktion «The Last Hour of Elena and Nicolae <strong>Ceausescu</strong>».Sie wird im Winter 2009/10 in Deutschland, Rumänien und<strong>de</strong>r Schweiz zu sehen sein. Mehr Infos: www.international-institute.<strong>de</strong>35SAITEN 04/09

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!