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Hospizbote Nr 10 - Hospizbewegung Varel e.V.

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Das Märchen von der TraurigkeitEs war einmal eine alte Frau, die einen staubigen Feldweg entlang lief. Sie war offenbar schonsehr alt, doch ihr Gang war leicht und ihr Lächeln hatte den frischen Glanz eines unbekümmertenMädchens. Bei einer zusammengekauerten Gestalt, die am Wegrand saß, blieb sie stehenund sah hinunter. Das Wesen, das da im Staub saß, schien fast körperlos. Es erinnerte an einegraue Decke mit menschlichen Konturen. Die kleine Frau beugte sich zu der Gestalt hinunterund fragte:“Wer bist du?“ Zwei fast leblose Augen blickten müde auf. „ Ich? Ich bin die Traurigkeit,“flüsterte die Stimme stockend und so leise, dass sie kaum zu hören war.“ Ach, dieTraurigkeit“! rief die kleine Frau erfreut aus, als würde sie eine alte Bekannte grüßen. „Dukennst mich?“ fragte die Traurigkeit misstrauisch. „Natürlich kenne ich dich! Immer wiederhast du mich ein Stück des Weges begleitet.“„Ja aber ….“ argwöhnte die Traurigkeit,“ warum flüchtest du dann nicht vor mir? Hast dudenn keine Angst?“ „Warum sollte ich davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selbst nur zugut, dass du jeden Flüchtigen einholst. Aber, was ich dich fragen will: Warum siehst du so mutlosaus?! „Ich …, bin traurig“, sagte die graue Gestalt.Die kleine Frau setzte sich zu ihr. „Traurig bist du also“, sagte sie und blickte verständnisvoll mitdem Kopf. „ Erzähl mir doch, was dich so bedrückt.“ Die Traurigkeit seufzte tief.. „Ach, weißdu“, begann sie zögernd und auch verwundert darüber,dass tatsächlich jemand zu-hören wollte, „es ist so, dassmich einfach niemand mag.Es ist nun mal meine Bestimmung,unter die Menschenzu gehen und für eine gewisseZeit bei ihnen zu verweilen.Aber wenn ich zu ihnen kommeschrecken sie zurück. Siefürchten sich vor mir und meidenmich wie die Pest. DieTraurigkeit schluckte schwer.„Sie haben Sätze erfunden,mit denen sie mich bannenwollen. Sie sagen: „Papper-lapapp, das Leben ist heiter!Und ihr falsches Lachenführt zu Magenkrämpfen undAtemnot. Sie sagen „Gelobtsei, was hart macht“ und dannbekommen sie Herzschmer-zen. Sie sagen „Man muss sichnur zusammenreißen“ undsie spüren das Reißen in denSchultern und im Rücken.Sie sagen „Nur Schwächlingeweinen und die aufgestau-ten Tränen sprengen fast ihreKöpfe. Oder aber sie betäu-ben sich mit Alkohol und Drogen,damit sie nicht fühlenmüssen.“ „O ja“, bestätigtedie alte Frau, „solche Men-schen sind mir auch schon oftbegegnet…“ Die Traurigkeit sank noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Und dabei will ich denMenschen doch nur helfen. Wenn ich ganz nah bei ihnen bin, können sie sich selbst begegnen.Ich helfe ihnen, ein Nest zu bauen, um ihre Wunden zu pflegen. Wer traurig ist, hat eine besondersdünne Haut. Manches Leid bricht wieder auf wie eine schlecht verheilte Wunde und das tutweh. Aber nur wer die Trauer zulässt und all die ungeweinten Tränen weit, kann seine Wundenwirklich heilen. Doch die Menschen wollen gar nicht, dass ich ihnen dabei helfe. Stattdessenschminken sie sich ein grelles Lachen über ihre Narbe. Oder sie legen sich einen dicken Panzeraus Bitterkeit zu.“ Die Traurigkeit schwieg. Ihr Weinen war erst schwach und schließlich ganzverzweifelt.Die kleine alte Frau nahm die zusammengesunkene Gestalt tröstend in ihre Arme. Wie weichund wie sanft sie sich anfühlt, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel.„Weine nur Traurigkeit“, flüsterte sie liebevoll, “ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammelnkannst. Du sollst von nun an nicht mehr alleine wandern. Ich werde dich begleiten, damit dieMutlosigkeit nicht noch mehr Macht gewinnt.“Die Traurigkeit hörte auf zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete erstaunt ihre neueGefährtin: „Aber…, aber – wer bist du denn eigentlich?“ „Ich?“ sagte die kleine, alte Frauschmunzelnd, „ich bin die Hoffnung.“(Quelle: www. Zeitzuleben.de)22

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