Scheinehe, romantische Liebe, häusliche Gewalt: Ein paar Gedanken zum Umgang mit GrundrechtenWirksamstes Mittel gegen DiskriminierungGegen Frauenhandel, Zwangsheirat, Kopftuch, Burka, Klitorisbeschneidung,Verbot der Teilnahme am Schwimmunterricht:Medien und PolitikerInnen von links bis rechts geben sichengagiert im Kampf gegen patriarchale Unterdrückung der Frau.Aber wie sieht es in der Praxis aus?Es ist Aufgabe des Staates, Menschen auf seinem Staatsgebietvor Ausbeutung und Zwang zu schützen. In vielen Ländern versagtdieser Schutz. Seit Jahrzehnten wird deshalb die Anerkennung vonAsylsuchenden gefordert, die private Gewalt an Orten erfahrenhaben, wo der Staat sie davor nicht schützte. Unentwegt gefordertwerden auch Massnahmen zur Bekämpfung des Frauenhandels.Trotz der Bemühungen von NGOs und obwohl Frauenhandel seitJahrzehnten in den Medien als frauenverachtend beklagt wird, gibtes kaum Verurteilungen deswegen. Hingegen enden Strafverfahrenim Prostitutionsbereich nicht selten mit einer Bestrafungwegen Verstössen gegen das Aufenthaltsrecht.Das eidgenössische Justizdepartement beschäftigt sich nunöffentlichkeitswirksam mit dem Burkaverbot und bemüht dabeiimmer wieder Argumente gegen Frauenunterdrückung. Gleichzeitigaber verfolgt das diesem Departement unterstellte Amt fürMigration eine harte Praxis, wenn es um den Aufenthalt vongewaltbetroffenen Migrantinnen geht.Die Schweiz hat den Völkerrechtsvertrag zum Schutz von Frauengegen Diskriminierung ratifiziert. An der Tagung des eidgenössischenGleichstellungsbüros vom 27. Mai 2010 in Bern zur Frage«Wie wird diese Frauenkonvention angewendet?» zeigte sich,dass schweizerische Behörden und Gerichte diesen Vertrag in derRegel ignorieren. Beschwerden wegen Verletzung internationalenRechts lassen sie meist unbeantwortet.Das Gleichstellungsengagement von Behörden und GerichtenAuch der Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung findetkaum Beachtung. Dazu ein Beispiel aus dem Bundesverwaltungsgericht.Dabei ging es um die Frage, ob eine Frau, die von ihremMann geschlagen wurde und sich deshalb von ihm trennte, in derSchweiz bleiben darf: «Es trifft auch zu, dass Frauen viel häufigervon häuslicher Gewalt betroffen sind als Männer. Diese Ausführungen(gemeint sind die Argumente der Anwältin zur Frageder Frauendiskriminierung durch häusliche Gewalt) gehenindessen an der ausländerrechtlichen Fragestellung vorbei. Abgesehendavon, dass schwer eruierbar sein dürfte, ob die GewaltanwendungFolge oder Ursache des Scheiterns der ehelichenGemeinschaft war, ist mit deren definitivem Scheitern der einzigeGrund, der eine Bewilligungserneuerung der Beschwerdeführerinrechtfertigte, dahingefallen.»6 <strong>augenauf</strong>-<strong>Bulletin</strong> <strong>65</strong> l Juni 2010
von Migrantinnen ist der sichere AufenthaltEine Scheidung kann das Aufenthaltsrecht von Migrantinneninfrage stellen. Von häuslicher Gewalt betroffene Frauen müssendaher wählen, ob sie in der diskriminierenden Ehe verharren oderdie Schweiz verlassen wollen. Politisch gefordert wurde deshalb,dass in solchen Fällen der weitergehende Aufenthalt zugesichertwird, damit Frauen ohne weitere Nachteile solche Ehen verlassenkönnen. Die ganze Diskussion hat das Bundesverwaltungsgerichtoffensichtlich nicht mitbekommen, obwohl inzwischen sogar dasAusländerInnengesetz (AuG) eine entsprechende Regelung kennt.Doch die Migrationsbehörden haben eine neue Hürde aufgebaut.Sie verlangen von den Frauen nachzuweisen, dass sie inihrem Heimatland nicht mehr integriert sind. Nur dann sollen sieweiterhin in der Schweiz bleiben dürfen. Oft ist es aber unmöglich,einen solchen Nachweis zu erbringen.Diesem Vorgehen hat das Bundesgericht nun aber hoffentlichfür immer einen Riegel geschoben. Das höchste SchweizerGericht hielt in einem Entscheid kürzlich fest, dass bei Auflösungeiner Ehe aufgrund häuslicher Gewalt die betroffene Person nichtauch noch Schwierigkeiten bei der Rückkehr ins Heimatlandnachweisen müsse.Und geprüft wird, wer sich ewig bindetEine spezielle Rolle in der Debatte rund um das Schicksal voneingewanderten Frauen spielt die sogenannte Scheinehe. DieFrau, die das Institut der Ehe «zweckentfremdet», schlüpft offenbaraus der weiblichen Opferrolle heraus und wird quasi zurTäterin. Seit dem 1. Januar 2008 gilt der neue Artikel 97a ZGB:dass irgendjemand des Schutzes bedarf. Denn selbst eine Ehe,die nie gelebt werden soll (und nur um diese kann es ja gehen),schadet grundsätzlich niemandem, im Gegenteil, in der Scheidungspraxissind die sogenannten Scheinehen die unproblematischsten.Warum also schränkt der Staat das Recht auf Ehe ein? Warumverletzt er die persönlichen Freiheitsrechte der Menschen in sogravierender Weise? Die Schweiz tut dies nur, weil sie ihrerinternationalen Verpflichtung, den Familiennachzug zu gewähren,nicht nachkommen will. Das ist aber kein legitimer Grund fürden schweren Eingriff in die Verfassung. Warum jemand heiratenwill, geht den Staat nichts an.Neben der Einschränkung des Verfassungs- und Völkerrechtsmasst sich der Staat hier eine seltsame Rolle an. Genau dieKräfte, die solche obrigkeitlichen Eingriffe in die Persönlichkeitsrechteund damit den Ausbau staatlicher Macht durchsetzen, verlangenim neoliberalen Staat den Abbau staatlichen Einflusses imWirtschaftsbereich. Der Staat verstärkt sich somit im polizeilichenund baut sich ab im Leistungsbereich.Wenn sich der Staat anmasst abzuklären, warum jemand heiratenwill, geht er von einem Bild der romantischen Ehe aus.Dieses wird auf Migrantinnen projiziert und ist ein Idealbild, dasauch in der Schweizer Gesellschaft nicht Realität ist. Reichtumoder bessere soziale Stellung sind seit längerer Zeit wichtigeGründe für eine Heirat. Unklar ist deshalb, weshalb nicht auchandere Statusvorteile - beispielsweise ein Aufenthaltsrecht - zurHeirat motivieren sollen.A bi s . Umgehung des Ausländerrechts1Die Zivilstandsbeamtin oder der Zivilstandsbeamte tritt aufdas Gesuch (das Gesuch um Eheschluss, Anm. der Autorin)nicht ein, wenn die Braut oder der Bräutigam offensichtlichkeine Lebensgemeinschaft begründen, sondern die Bestimmungenüber Zulassung und Aufenthalt von Ausländerinnenund Ausländern umgehen will.2Die Zivilstandsbeamtin oder der Zivilstandsbeamte hört dieBrautleute an und kann bei anderen Behörden oder bei DrittpersonenAuskünfte einholen.Vor dem 1. Januar 2008 galt die Ehe als Grundrecht. Die Gründe,warum jemand nicht heiraten durfte, waren abschliessend aufgezählt,nämlich: Mangelnde Urteilsfähigkeit, Verwandtschaft,noch bestehende Ehe und Eheschluss durch Irrtum, Drohungoder Täuschung.Das Grundrecht der Ehe wurde also immer nur zum Schutz derMenschen eingeschränkt. Neu will nun der Staat dieses Grundrechtsozusagen aus Eigeninteresse einschränken können, ohneEin gesicherter Aufenthaltsstatus schützt vor DiskriminierungDer Schutz von Migrantinnen vor Diskriminierung ist wichtig.Ganz wesentlich für viele Frauen ist aber, dass ihr Aufenthaltgesichert ist, weil daran ganz viele Rechte wie auch die wirtschaftlicheExistenz geknüpft sind. Der sichere Aufenthalt machtFrauen unabhängig und ermöglicht ihnen, sich aus unterdrückendenVerhältnissen wie zum Beispiel einer gewalttätigen Ehezu befreien. Die Einschränkung ihrer Rechte treibt sie in dieAbhängigkeit und die Ausbeutbarkeit.Wenn PolitikerInnen etwas für Frauen tun wollen, dannsollten sie ihre Energie darauf verwenden, von Behörden undGerichten zu verlangen, die geschlechterdiskriminierendenAspekte rund um das Aufenthaltsrecht besser und kompetenterunter die Lupe zu nehmen. Sie sollten dafür kämpfen, dassMigrantinnen vor Geschlechterdiskriminierung bei aufenthaltsrechtlichenFragen geschützt werden. Diese Fragen sind für dieGleichstellung, das Wohlbefinden und manchmal gar die Existenzvon Migrantinnen viel entscheidender als ein scheinheilig diskutiertesBurkaverbot.Susanne Bertschi, Anwältin in Basel<strong>augenauf</strong>-<strong>Bulletin</strong> <strong>65</strong> l Juni 2010 7