Christen heute Mai 2011 - Alt-katholisch.net
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Ansichtssache<br />
Walter<br />
Jungbauer<br />
ist Geistlicher<br />
mit<br />
Zivilberuf in<br />
Erfurt.<br />
hmt auch ihr mich nach,<br />
„AGeschwister, und achtet auf<br />
jene, die nach dem Vorbild leben, das<br />
ihr an uns habt“, so schreibt Paulus an<br />
die Gemeinde in Philippi (Phil 3,17)<br />
– etwas, das wir uns alle zu Herzen<br />
nehmen dürfen. Ausschau halten nach<br />
denen, die wir als Vorbilder im Glauben<br />
betrachten, und uns mit unserem Leben<br />
ein Beispiel an ihnen nehmen.<br />
Wir nennen solche Vorbilder in unserer<br />
kirchlichen Tradition „Heilige“.<br />
In meinem ganz persönlichen Kanon<br />
der Vorbilder findet sich zum Beispiel<br />
Ich denke, dass das 2005 verstorbene<br />
Oberhaupt der römisch-<strong>katholisch</strong>en<br />
Kirche, Johannes Paul II. / Karol Woj-<br />
Heilig und heilig und eilig heilig<br />
Was heißt „heilig“?<br />
Maria von Magdala, die den Jüngern<br />
Jesu als erste das Zeugnis von der<br />
Auferstehung Christi gebracht hat, und<br />
die deswegen Apostelin der Apostel<br />
genannt wird. Oder Franz von Assisi,<br />
der mir mit seiner Liebe zu Gottes<br />
Schöpfung und seiner Schlichtheit<br />
nachahmenswert ist. Oder der Protestant<br />
Dietrich Bonhoeffer, der sich vor<br />
dem Hintergrund seines christlichen<br />
Glaubens im Dritten Reich gegen die<br />
Nazis eingesetzt hat und diesen Widerstand<br />
mit seinem Leben bezahlen<br />
musste. Oder der Baptist Martin Luther<br />
King, der für die Menschenrechte der<br />
Schwarzen in Amerika eingetreten ist.<br />
Oder der römisch-<strong>katholisch</strong>e Erzbischof<br />
Oskar Romero, der sich in El<br />
Salvador für die Armen eingesetzt hat,<br />
und deswegen ermordet wurde. Oder<br />
auch Frère Roger von Taizé, der die<br />
ökumenische Gemeinschaft in Taizé<br />
gegründet hat, und der mich mit seiner<br />
Spiritualität und dem Geist von Taizé<br />
immer wieder begeistert.<br />
All das sind Menschen, die das Verhältnis<br />
der Menschen untereinander und<br />
das Verhältnis der Menschen zu Gott für<br />
sich selber und oft auch für andere in ein<br />
heileres Verhältnis gebracht haben als<br />
vorher. So wie Jesus selbst das Heil der<br />
Welt wurde und uns den Wunsch Gottes<br />
nach Heil in dieser Welt und zwischen<br />
Gott und den Menschen nahe gebracht<br />
hat. In unserem alt-<strong>katholisch</strong>en „Heiligenkalender“<br />
– dem Liturgischen<br />
Kalender – stehen viele dieser Namen<br />
drin – quer durch die konfessionelle<br />
Zugehörigkeit, die für den Vorbildcharakter<br />
vollkommen irrelevant ist. Sie<br />
alle sind für mich nachahmenswert in<br />
dem, wie sie ihren christlichen Glauben<br />
gelebt haben.<br />
tyla, für viele Menschen auch solch<br />
ein Vorbild im Glauben ist. Einer,<br />
der zur Heilung so mancher Wunden<br />
beigetragen hat. Man denke nur an<br />
seine Rolle bei der friedlichen Revolution<br />
Ende der 80er Jahre des letzten<br />
Jahrhunderts. Nur sechs Jahre nach<br />
seinem Tod will ihn sein Nachfolger,<br />
Benedikt XVI. / Josef Ratzinger nun<br />
in einer feierlichen Messe am 1. <strong>Mai</strong><br />
selig sprechen. Das Verfahren dazu<br />
war ungewöhnlich rasch bereits zwei<br />
Monate nach dem Tod Johannes Pauls<br />
II. eingeleitet worden.<br />
Eilig heilig<br />
Doch neben der Tatsache, dass er auch<br />
so mache tiefe Wunde geschlagen<br />
hat – es seien nur die Stichworte „Befreiungstheologie“<br />
oder „Hans Küng“<br />
genannt – irritiert mich immer wieder<br />
das Prozedere, mit dem bei der großen<br />
<strong>katholisch</strong>en Schwesterkirche das<br />
Selig- und Heiligsprechungsverfahren<br />
abläuft. Nicht nur, dass in diesen Status<br />
selbstverständlich nur ein römisch<strong>katholisch</strong>es<br />
Mitglied der <strong>Christen</strong>heit<br />
gelangen kann, sondern vor allem auch<br />
die absolute Notwendigkeit eines vom<br />
Vatikan approbierten Wunders – bei<br />
Johannes Paul II. mittlerweile zu finden<br />
bei einer französischen Nonne,<br />
die auf unerklärliche Weise von einer<br />
Parkinson-Erkrankung genesen sein<br />
soll, nachdem sie den verstorbenen<br />
Papst im Gebet angerufen habe.<br />
Angesichts der Tatsache, dass die (römisch-<strong>katholisch</strong>e)<br />
Kirche ansonsten<br />
ja eher in Jahrhunderten denkt, hat sie<br />
mit der kurzen Frist von sechs Jahren<br />
seit Wojtylas Tod direkt auf Turbo<br />
geschaltet.<br />
Ich würde mir wünschen, dass sie und<br />
alle anderen Kirchen eher in Sachen<br />
„Ökumene“ auf Turbo schalten. Denn<br />
wir Kirchen sind aufgerufen, die<br />
Botschaft von Gottes Heilswillen in<br />
dieser Welt zu verkünden und diesen<br />
vorzuleben. Und das unversöhnte<br />
Nebeneinander der Kirchen legt gegenüber<br />
der Welt nicht gerade ein<br />
Zeugnis dieses Heils ab. Wie sollte uns<br />
jemand glauben, wenn wir nicht mal<br />
die Heilung innerhalb der <strong>Christen</strong>heit<br />
bewerkstelligen können?<br />
Kirchen sind Zeugen<br />
der Heil(ig)ung<br />
Dazu aber müssten alle Kirchen akzeptieren,<br />
dass sich die Kirche von Anfang<br />
an vielfältig entwickelt hat. Und dass<br />
es zahlreiche Konfessionen gibt, in<br />
denen Menschen die Botschaft Jesu<br />
auf die jeweils ihnen am meisten nahe<br />
kommende Weise hören und verstehen<br />
können. Für mich kein Schaden, sondern<br />
eher Zeichen göttlicher Weisheit.<br />
Die christliche Kirche ist eine Einheit,<br />
aber eine Einheit in geschwisterlicher<br />
Verschiedenheit – vielleicht müsste<br />
man ja eigentlich sogar als Zielformulierung<br />
noch besser von „verliebter<br />
Verschiedenheit“ reden. Das macht es<br />
noch viel deutlicher: Einander so stehen<br />
lassen, wie man ist. Sich gegenseitig als<br />
Bereicherung annehmen. Den anderen<br />
voll Liebe betrachten. Das Gegenüber<br />
nicht nach dem eigenen Bilde verändern<br />
wollen. Voneinander lernen.<br />
Miteinander gehen.<br />
Das wäre ein wunderbares Wunder.<br />
Auch ohne vatikanische Approbation.<br />
Walter Jungbauer