Langzeitfolgen der Atombombenauf die Menschen8Bis heute erkranken Überlebende derAtombombenabwürfe an Krebs und sterbendaran – obwohl seit ihrer Strahlenexpositionüber ein halbes Jahrhundertvergangen ist. Trotzdem ist nur wenigüber die Opfer, ihre exakte Anzahl undihre Erkrankungen bekannt. So sind dieschweren Strahlenverletzungen, dieunmittelbar zum Tode führten, bisheute nicht erforscht. Die meisten Menschensind in den ersten 5 Jahrengestorben, darunter viele Kleinkinder.Über diese Menschen wurde keine Statistikgeführt.Erst ab 1950 wurden die Opfer von<strong>Hiroshima</strong> und Nagasaki von der ABCC(Atomic Bomb Casualty Commission,einer gemeinsamen Agentur der USAund Japans), seit 1975 RERF (RadiationEffects Research Foundation, unter derSchirmherrschaft der US National Academyof Sciences), untersucht. DieErgebnisse dieser Untersuchungen sindim Hinblick auf die Spätfolgen vonStrahlenbelastungen und die Niedrigstrahlungjedoch sehr umstritten.Die RERF berichtete zwischen 1950 und1954 über eine erhöhte Rate von Leukämiefallen,die bis 1978 anhielt. Für dieMenschen in <strong>Hiroshima</strong> lag die Leukämieratefünfzehnfach, für die in Nagasakisiebenfach höher <strong>als</strong> für die Menscheneiner vergleichbaren japanischenPopulation. Das Auftreten andererKrebsarten wurde erst später dokumentiert.Seit 1955 erhöhte Schilddrüsenkrebsraten,seit 1965 Brust- und Lungenkrebserhöhungenund seit 1975 einvermehrtes Auftreten von Magen- undDarmkrebs.Die genetischen Schäden und allgemeinenGesundheitsbeschwerden untersuchtedie RERF nicht. Sie stellte nurfest, dass die Krebsrate bei den Opfernerhöht war, die starker Strahlung ausgesetztwaren. Der weitaus größere Teilder Menschen war allerdings niedrigenStrahlendosen ausgesetzt. Bei ihnenbestünde, so glaubte die RERF, keinerhöhtes Krankheitsrisiko. Inzwischenhäufen sich jedoch die Berichte, dassauch kleine Strahlendosen Krebs verursachenkönnen. Wissenschaftler habenin ihren Untersuchungen einen Zusammenhangzwischen allgemeinen Krankheitenwie Anämie, bestimmten Blutkrankheiten,Grauer Star und der Strahlenexpositiongefunden. Vor allem nachden Erfahrungen mit dem Gau vonTschernobyl glauben sie, dass Strahlenexpositiondas Immunsystem angreiftund den Menschen für andere Krankheitenanfällig macht.Wieviel Strahlung Föten im Mutterleibaufnahmen, ist nicht bekannt. In derFolge der Abwürfe kam es zu einer nichtgenau bekannten hohen Zahl von Fehl-und Todgeburten. Ein Indiz dafür, dassgenetische Defekte oder eine zu hoheStrahlenbelastung für die Föten vorgelegenhaben. Viele im Mutterleib bestrahlteSäuglinge wiesen Mikrozephalie,mentale Retardierung und einelangsamere Entwicklung <strong>als</strong> andere Kinderauf.Keloiden lähmen diese Handgelenke,trotz 13 Operationen, 1957Verbrannt und halbblind, Hibakusha Masi Sakita,Foto von Haruo Kurosaki, 1970Akihiro Takahashi, „Obwohl ich den Atombombenabwurfüberlebt habe, bekam ich 1971 chronische Hepatitis,<strong>als</strong> Nachwirkung der radioaktiven Strahlung.Schon 14mal war ich deswegen im Krankenhaus undnoch immer brauche ich 3-4 Injektionen pro Woche.Außerdem leide ich an vielen anderen Krankheiten. MitAusnahme des Frauenarztes, des Kinderarztes und desPsychiaters habe ich sicher deswegen bereits alleFachärzte konsultieren müssen. Und ich habe nochimmer Angst vor weiteren Erkrankungen. Die Last unddie Qualen des Lebens empfinde ich sehr tief, dass ichmanchmal schier daran verzweifle.“aus: „…auf keinem Auge blind! Atomwaffenfreibis 2020“, Augenzeugenbericht des Atombombenabwurfsüber <strong>Hiroshima</strong>Häufigkeit der Neuerkrankungenan einer Leukämiebei Überlebenden von <strong>Hiroshima</strong>,die sich weniger <strong>als</strong> 2000 m vomHypozentrum entfernt aufhielten,und Erkrankungszeitpunkt.Quelle: Ohkita, Takeshi:Medizinische Spätfolgen in <strong>Hiroshima</strong>und Nagasaki,in: Chivian, Eric/IPPNW: Last Aid –Letzte Hilfe – Die medizinischenAuswirkungen eines Atomkrieges,Jungjohann, Neckarsulm 1985Anzahl 2018161412108642Akute LeukämienChronische Leukämien01945 1950 1955 1960 1965 1970 1975
9Die HibakushaSeit Jahrzehnten leiden die Überlebenden,die „Hibakusha“, wie sie auf japanischgenannt werden, an ihren Verletzungen,an Folgekrankheiten undseelischen Nöten. Viele Überlebendeverfielen bei dem Anblick der Toten undder verwüsteten Stadt in eine teilnahmsloseHaltung. Die meisten verlorenihre komplette Familie an einemTag, andere mussten zusehen, wie ihreEltern, Geschwister oder Kinder in denWochen nach der Bombardierung qualvollihren schweren Verletzungen erlagen.Viele Überlebende wurden vonSchuldgefühlen gequält, etwa, weil sieihre Kinder nicht rechtzeitig vor demFeuer aus den Trümmern befreien konnten.Später, bei der Gründung einer eigenenFamilie standen die Hibakusha tausendÄngste durch, fragten sich, ob ihreKinder gesund zur Welt kommen würdenoder ob sie selbst <strong>als</strong> Eltern an denSpätfolgen erkranken würden und sieihre Kinder nicht versorgen könnten.Dazu kam die gesellschaftliche Ausgrenzungder Opfer – aufgrund von Arbeitslosigkeit,Krankheit, Behinderung undihrem Sonderstatus <strong>als</strong> Hibakusha.Ein Gesetz über die Behandlung derAtombombenopfer wurde erst im Jahre1957 beschlossen. Zwölf Jahre vergingen<strong>als</strong>o, bis erste Versorgungsregelungenfür die Hibakusha durchgesetztwerden konnten. Bis 1968 mussten dieÜberlebenden warten, um eine unentgeltlicheärztliche Betreuung zu bekommen.Trotz allem ist die materielle Situationder Hibakusha auch heute nochmehr<strong>als</strong> unbefriedigend. Alljährlichsterben viele, denen es bis heute nichtgelang, eine bescheidene Rente zuerhalten.Auch etwa 40.000 koreanische Zwangsarbeiterhaben die Atombomben überlebt.Die meisten kehrten nach Koreazurück. Sie erhielten keinerlei Reparationszahlungen,weil Südkorea im Normalisierungsvertragmit Japan 1965 auflinks: Hatsue Tominaga, <strong>Hiroshima</strong>, erblindete 1977 an den Spätfolgen des Atombombenabwurfs.rechts: Yoshiko Nishimoto war 18 Jahre alt, <strong>als</strong> die Bombe fiel.Sie verbrachte 14 Jahre im Krankenhaus und hatte 65 Operationen.Fotos von Ihetsu Morishita im September 1977alle Ansprüche verzichtete. Im Januar2005 wurde die japanische Regierungzu Entschädigungszahlungen für vierzigSüdkoreaner verurteilt. Bisher hattenjapanische Gerichte die meisten Forderungenvon koreanischen Opfern zurückgewiesen.Asae Miyakoshi „Heute noch habe ich ab undzu Alpträume und sehe meine Kinder aufschreienin den Flammen. Haben sie sehrgelitten? Ich hatte nicht einmal denen, diemich um Hilfe anflehten, etwas Wassergereicht. Gab es je schrecklicheres Leid <strong>als</strong>dieses? Wie sehr ich mich auch bemühe, diese Erinnerungen zu verdrängen,die Schreie verfolgen mich immer noch immer. Ich habe nach demKrieg wieder geheiratet; aber ich bin kräftemäßig schwächer geworden,und heute kann ich bestenfalls am Stock ums Haus humpeln“.aus: Hibakusha, Wir haben überlebt,Augenzeugen aus <strong>Hiroshima</strong> und Nagasaki berichten