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Meeting Chuck – Sex & Gewalt - Rosa Design

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Rave hinter<br />

geschlossenen Türen<br />

Vom Schwarzwald an die amerikanische<br />

Westküste: Die Musikerin und Künstlerin<br />

michaela melian weiß, dass es<br />

manchmal nur ein kleiner Schritt von<br />

»Baden Baden« nach »Los Angeles« ist<br />

text, interview: nina scholz<br />

Los Angeles ist ein mythischer Ort. Vielleicht wie bei keiner<br />

anderen Stadt, schießen einem sofort Bilder in den<br />

Kopf: glitzernde Metropole, heiße Sonne, braungebrannte<br />

Bikinimädchen, aber auch düstere Motels, alternde Filmstars,<br />

Gangs. Um diese Klischees und Wahrheiten zu kennen,<br />

muss man nicht dort gewesen sein. »Los Angeles«<br />

heißt auch das zweite Album von Michaela Melian, und<br />

das hat mit dem Vorgänger »Baden Baden« mehr gemein<br />

als zwei Städte im Titel, deren offensichtlichste Bilder sich<br />

um Glam und Trash drehen. »Los Angeles« ist kein raues,<br />

hartes, lautes Album geworden. Zwar verhandelt es Orte,<br />

die mit Schmerz, Wissen, Traurigkeit, Exzessen, Versprechungen<br />

und Hoffnungen durchzogen sind, die Tracks<br />

sind aber, selbst dort wo sie tanzbar sind, sanfte Einladungen<br />

zum Zu- und Wiederhören. Das zentrale Stück<br />

»Föhrenwald«, das genau wie alle Musikstücke Michaela<br />

Melians zu ihren Ausstellungsstücken produziert wurde,<br />

loopt ein Stück traditionelle, jüdische Musik, dass sie im<br />

Archiv Föhrenwald bei ihren Recherchen gefunden hatte.<br />

Am Anfang hätte sie gar nicht gewusst, dass »Föhrenwald«<br />

so groß wird, erzählt sie im Gespräch. Aber dann sei ihr die<br />

Monstrosität des Themas immer mehr bewusst geworden.<br />

Föhrenwald, das nah an ihrem Wohnort Wolfratshausen<br />

liegt, ist eine Ende der 1930er gebaute Siedlung, die erst<br />

als Lager für Zwangsarbeiter, nach dem Krieg als exterritoriale<br />

Siedlung für jüdische displaced persons, später<br />

dann zur Unterbringung heimatvertriebener Familien<br />

genutzt wurde. »Ich dachte, ich kenne mich mit Nachkriegsgeschichte<br />

aus, vieles weiß man ja auch, aber da liegt auch<br />

noch einiges vergraben.« Und so begann sie zu suchen,<br />

zu recherchieren und Beteiligte in sensiblen Gesprächen<br />

auf Tonbänder aufzunehmen. Es entstanden die Bilder,<br />

bei denen sie Schemen der Gebäude erst nachzeichnete,<br />

dann abnähte, um diese dann per Projektor an eine Wand<br />

werfen zu lassen. Der gleichförmige Loop des jüdischen<br />

Stückes mit dem ruhigen Basslauf, die beunruhigenden,<br />

sich überlagernden Tonbandstimmen, das Klicken des Diaprojektors<br />

ziehen den Betrachter an, lassen ihn nicht los,<br />

verstören. Die Installation lädt ein, aber erklärt und tröstet<br />

nicht. »›Föhrenwald‹ war das schwierigste Stück. Egal wen<br />

ich gefragt habe – von den Holocaustüberlebenden bis hin zu<br />

den Vertriebenen – alle haben schlimme Geschichten erlebt,<br />

genauso wie die Leute, die dort gelebt haben. Die Tragweiten<br />

kann man natürlich nicht vergleichen, deswegen habe ich die<br />

jüdischen Personen absichtlich ins Zentrum gestellt.« Dass<br />

der Track auf der Platte melancholisch und beruhigend<br />

klingt, einer ihrer schönsten ist, stört sie nicht weiter: Ihre<br />

Musikstücke lässt sie noch viel mehr los als ihre Kunstwerke<br />

in Ausstellungen. Auf der einen Seite sind ihre Arbeiten<br />

Produkte sehr genauer Recherche und Überlegungen, auf<br />

der anderen Seite vertraut sie ihnen und den Freiräumen,<br />

die sie lassen. »Ich finde das macht nichts. Man kann das<br />

Stück ohne das Wissen hören. Vieles kann man trotzdem dadurch<br />

erfahren und vielleicht macht es ja auch neugierig.«<br />

Oft sind die Stücke für das Album von ihr noch einmal<br />

umprogrammiert und neu gestaltet worden. Teilweise, um<br />

die Effekte in den Ausstellungen, ohne deren Exponate die<br />

Tracks auskommen müssen, deutlicher hervorzuheben,<br />

teilweise aber auch einfach, weil sie sonst in dem Konzept<br />

des Albums störend und nicht stimmig gewirkt hätten.<br />

»Convention« war zuerst eine Installation im Hamburger<br />

Club The Better Days Project, wurde dann nachgebaut<br />

und in der Gender-Ausstellung »Das achte Feld« im Kölner<br />

Museum Ludwig gezeigt. Hinter einer Tür hört man<br />

Technomusik, der Pawlow’sche Rave-Effekt ist schon nach<br />

wenigen Sekunden erreicht: Man möchte hinter diese Tür<br />

gelangen und all die Versprechungen einlösen lassen, die<br />

der Club impliziert. Der Track »Convention« erfüllt genau<br />

dies, aber dafür musste er umgeschrieben und aus seiner<br />

Monotonie erlöst werden: Was wie ein klassischer Einspieler<br />

eines Filmsoundtracks beginnt, sich erstmal den<br />

ruhigeren Stücken auf »Los Angeles« anschließt, zieht nach<br />

und nach an, bis das Discoversprechen deutlich hervortritt<br />

und ein Dancefloorstück ausbricht, man das erste und einzige<br />

Mal zu wippen, ja zu tanzen beginnt. »Convention«<br />

ist, genau wie das Nico-Cover »Manifesto«, welches das<br />

Album beschließt, ein Bekenntnis zu Pop, Glam und Disco.<br />

Michaela Melian ist sich der Schönheiten, Abgründe und<br />

Komplexitäten bewusst. Sie verdeutlicht und beleuchtet<br />

die Situation, um im nächsten Augenblick wieder den Vorhang<br />

herunterzulassen. Um all das zu transportieren, muss<br />

Michaela Melian keine schweren Geschütze auffahren. Die<br />

Reduktion der Produktionsmittel reflektieren, kontrastieren<br />

und verdeutlichen das sogar noch. Besonders klar wird<br />

das bei »Stift«, das durch wenige Loops, die übereinander<br />

gelegt wurden, den Hörer in eine positive Gefangenschaft<br />

nimmt, nicht mehr loslässt, aber auch nie in eine Melodie,<br />

einen Refrain entlässt. Die Spannung entsteht durch die<br />

leisen Widersprüche in ihrer Musik, genau wie in ihrer<br />

Kunst gestaltenden Arbeit. So wachsen kleine und große<br />

Fragezeichen, die den Betrachter und Hörer binden. »Es<br />

wird einem ja erstmal nicht viel geboten, es schreit ja keiner<br />

rum, wie das sonst öfter der Fall ist. Aber natürlich soll es<br />

neugierig machen, ohne einen einzulullen.« Das hat sie in<br />

jeder Hinsicht erreicht: »Los Angeles« ist eine komplexes<br />

und großartiges Popalbum.<br />

»Los Angeles« von Michaela Melian ist<br />

bereits bei Monika/Indigo erschienen<br />

Zeit zum Erinnern<br />

Manchmal ist das Paradox nicht weit:<br />

feu thérèse erschaffen Neues aus<br />

ihrer Erinnerung<br />

text, interview: sebastian hinz<br />

Längst ist es so, dass die zeitgenössische Musik in<br />

ihren Grundzügen festgelegt ist: Folk, Rock, Pop,<br />

HipHop, Techno, Jazz. Selbst eine Verfeinerung<br />

dieser Musikstile bis in die kleinsten Differenzierungen<br />

hat stattgefunden. Es gibt scheinbar<br />

nichts mehr, was es nicht gibt. Und wo die Neuerfindung<br />

so schwer fällt, setzt das (meist schlechte) Gedächtnis ein.<br />

Zitat, Sample, Remix oder Coverversion sind wesentlicher<br />

Teil der postmodernen Musikwelt. Doch so wichtig Montage,<br />

Collage und Kopie als Techniken für die Popmusik<br />

sind, ihnen obliegt es durch die kulturelle Revolution der<br />

neuen elektronischen Medien externer Speicherung (also:<br />

des künstlichen Gedächtnisses) stets etwas Vollendetes,<br />

oder eben leicht – per Mausklick – Verfügbares. Allerdings<br />

gibt es zunehmend Künstler, die dieses Zu-Ende-Gekommene<br />

als Gegenstand der Erinnerung und kommentierender<br />

Aufarbeitung weiterleben lassen; auch Feu Thérèse<br />

gehörten dazu.<br />

»To play with static sounds which are deconstructed by<br />

sounds in motion.«<br />

luc ferrari<br />

Die kanadischen Musiker Jonathan Parant, Alexandre St-<br />

Onge, Stephen Oliveira und Luc Paradis erinnerten sich<br />

zunächst an den französischen Komponisten Luc Ferrari,<br />

der am 22. August 200 , unmittelbar vor Beginn der Arbeit<br />

an ihrem selbst betitelten Debütalbum »Feu Thérèse«,<br />

im italienischen Arezzo gestorben ist. Luc Ferrari galt als<br />

einer der wichtigsten Repräsentanten der Musique concrète,<br />

einer Spielart der modernen Komposition, welche<br />

die Manipulation von Geräuschen aus Natur, Umwelt und<br />

Technologie in den Mittelpunkt stellt. Doch für das Quartett<br />

aus Montréal war es weniger Konkretes, nicht das Verwenden<br />

von Arbeitstechniken oder die Neuinterpretation<br />

von Stücken, sondern der Geist der Musik von Luc Ferrari,<br />

der sich dann auf dem Debüt nebst dem Eröffnungsstück<br />

»Ferrari en Feu« wiederfinden ließ. »Für jeden einzelnen<br />

von uns ist die Musik von Luc Ferrari sehr wichtig,<br />

allerdings auf sehr unterschiedliche, individuelle Art<br />

und Weise«, erklärt Schlagzeuger Luc Paradis. »So sehr uns<br />

seine Arbeit auch beeinflusst hat, ist er eher dahingehend eine<br />

Inspiration für uns, wie grenzenlos Musik sein kann.«<br />

»One thing is certain: even if they don’t know where<br />

they’re going they all go the same.«<br />

alexandre st-onge<br />

Aus neurowissenschaftlicher Sicht sei jede Erinnerung nur<br />

Erfindung, sagte der Hirnforscher Wolf Singer einmal,<br />

was auch als Charakterisierung der kreativen Prozesse<br />

von Feu Thérèse gut passen würde. Die vier Musiker, die<br />

auch bei Fly Pan Am, Et Sans oder Shalabi Effect spielen,<br />

beweisen auch auf ihrem zweiten Album »Ça va cogner«<br />

(engl: It’s gonna hit) eine stilistische Breite, die Krautrock<br />

und französischen Chanson, Musique concrète und Vierviertelpop<br />

umfasst. Es ist eine Erinnerung an einen Sound<br />

und eine Zeit, als Pop noch Subkultur war. Doch nicht als<br />

Nostalgie präsentiert, sondern als avancierter Vorschlag<br />

für die Gegenwart. Luc Paradis: »Es gibt eine Menge Bands,<br />

welche die Musik von den 1960er bis zu den 1980er Jahren<br />

recyceln, ohne dieser etwas ihnen Eigenes zu verleihen. Sie<br />

bevorzugen, diese zu imitieren. Feu Thérèse hingegen glauben<br />

an die Kraft der Rockmusik, Hemmnisse und Grenzen<br />

zu überwinden und machen daher Musik, welche bekannte<br />

Klänge in neue Klänge übersetzt. We are not afraid of sound<br />

and music!«<br />

»Ça Va Cogner« von Feu Thérèse ist bereits<br />

bei Constellation/Alive erschienen<br />

24 1 töne<br />

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