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Schwerpunkt: BITCOIN - Blink

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POLITIK & FREISINN<strong>Schwerpunkt</strong>: <strong>BITCOIN</strong>Ausgabe 04 Winter 2012/13 www.blink.li


Dr. Münzmacher empfiehlt:ANZEIGE„Ze best vay to buy andsell Bitcoins is at bitcoin.de.“


100.000 € für zwei PizzasAm 22. Mai 2010 kaufte ein Nutzer desBitcoin-Forums namens Laszlo aus Jacksonville(Florida) zwei Pizzas für 10.000Bitcoins – eine der ersten Transaktionenin der noch jungen Währung. Zum damaligenKurs waren das etwa 35 Euro, esmüssen also recht üppig belegte Pizzas gewesensein. Doch seitdem ist der Bitcoinrasant im Wert gestiegen: wenn der Pizzalieferantseine Einnahmen behalten hat,sind sie heute über 100.000 Euro wert.Bitcoin ist eine der erstaunlichsten Erfolgsgeschichteder letzten Jahre. Aus demHirngespinst eines öffentlichkeitsscheuenHackers mit dem Pseudonym SatoshiNakamoto ist eine weltweite Bewegunggeworden. Man trifft sich in Foren undChatrooms, sowie live auf Konferenzenwie der Bitcoin 2012 in London, bei derauch das BLINK-Team zu Gast war.Daniel und Aaron essen ihre ersten mit Bitcoin bezahlten BurgerSchon in unserer Erstausgabe vom Oktober2011 gibt es einen Artikel über die neuedigitale Währung, die ohne Zentralbankund ohne Inflation auskommt. Seitdemist so viel passiert, dass wir dem ThemaBitcoin einen eigenen <strong>Schwerpunkt</strong> widmen.Dabei interessieren uns natürlichvorrangig die politischen und wirtschaftlichenAspekte des Bitcoins. Wir habenMitglieder des Bitcoin-Entwicklerteamsund zahlreiche andere Autoren gefunden,die sich mit Bitcoins gut auskennen.Wie immer bei BLINK mögen wir diepolarisierenden Artikel besonders, auchwenn sie nicht immer unsere persönlicheMeinung wiedergeben.Viel Spaß mit BLINK 04!Daniel Fallenstein & Aaron Koenig<strong>Blink</strong> ist ein freisinniges politisches Magazin und steht für• unantastbare Menschenrechte• freie Marktwirtschaft• Begrenzung staatlicher Macht• direkte Demokratie


04Inhalt<strong>Schwerpunkt</strong>: BitcoinSCHWERPUNKT POLITIK STIL GESCHICHTESind Bitcoins dasneue Gold?Einführung in Bitcoin fürLibertäre und „Austrians“von Erik Voorhees6Marktgeld 20statt MonopolyThorsten Polleit über diePrivatisierung des Geldwesens„Nur eine stabile 33Währung ist einegute Währung“Interview mit Bitcoin-Entwickler Gavin Andresen„And Zen Ve VillRule Ze Vorld!“Aaron Koenig über einensehr deutschen Bitcoin-Animationsfilm36Von Käsemessernund der AufklärungJoerg Platzer über dieVorteile von Bitcoin23BitPop ausÖsterreichInterview mit Max Min(„Alpaca Socks“)38Der Bitcoin-KiezEin Bitcoin-Bummeldurch Berlin-Kreuzberg26Unser Geldsystem 40und das „eine Prozent“Dominic Frisby über dieschädlichen Folgen desScheingeldsystemsSatoshis28GeniestreichMike Hearn über Anfängeund Zukunft von BitcoinDeflation – na und?Rick Falkvinge findetfallende Preiseunproblematisch45


Sind Bitcoinsdas neue Gold?Eine Einführung für Libertäre, „Österreicher“ undandere Skeptiker – von Erik VoorheesIn libertären Kreisen ist Bitcoin in letzter Zeitzu einem Buzzword geworden, über das vielgeredet wird. Wie alle neuen Dinge, die überraschendin der öffentlichen Wahrnehmungauftauchen, bleiben Aufregung, Spekulation,Gerüchte und Verwirrung nicht aus. Sicher,Bitcoin ist kompliziert. Es ist schließlich einkomplett neues globales Geldsystem. Mankann Bitcoin mit einem Fahrrad vergleichen:es ist relativ einfach und komfortabelzu benutzen, auch wenn man sich Jahre mitden physikalischen Grundlagen beschäftigenkönnte, auf denen seine Funktion beruht. Sotiefgehendes Wissen ist für den normalenRadfahrer jedoch gar nicht notwendig. Auchfür den Einstieg in die Bitcoin-Welt reichenein bisschen Neugier und Spaß am praktischenAusprobieren vollkommen aus.


SCHWERPUNKTDieser Artikel ist eine Einführung in Bitcoinaus der Sicht eines Libertären, der sich mehrfür die Auswirkungen des Bitcoins auf diemenschliche Freiheit interessiert, als für dietechnischen Details und die wissenschaftlichenGrundlagen.Was ist Bitcoin?Der Begriff Bitcoin bezeichnet eigentlich zweiDinge: einerseits eine digitale Währungseinheit,andererseits das weltweite Zahlungsnetzwerk,über das man diese Währung sendenund empfangen kann.genannt, doch wenn man es genau nimmt,müsste er eigentlich „Bitcoin-Buchprüfung“heißen. Je mehr Rechenleistung man einbringt,desto höher sind die Chancen, neueBitcoins zu erhalten.Die Menge an neuen Bitcoins erhöht sich jedochnie, im Gegenteil, sie wird immer kleiner,bis alle 21 Millionen Bitcoins in der Weltsind. Das Geldmengenwachstum ist genauvorherbestimmt und konvergiert gegen Null,wie man an dieser Grafik sehen kann:Man kann Bitcoin zunächst als Währungsehen wie viele andere: die Welt kennt Euros,Dollars, Yen, Gold- und Silberunzen, undneuerdings auch Bitcoins. Die Bitcoin-Währunghat die folgenden Eigenschaften:• Es wird nie mehr als 21 Millionen Bitcoinsgeben, und sie werden im Lauf der Zeit mitabnehmender Geschwindigkeit erzeugt. ZurZeit existieren etwa 10,5 Millionen Bitcoins.• Jeder Bitcoin ist durch Einhundert Millionenteilbar. Es ist also möglich, 0.00000001Bitcoins zu besitzen.• Es ist theoretisch unmöglich, einen Bitcoinzu fälschen. Um das voll zu verstehen, müssteman sich allerdings ausgiebig mit Kryptographieund recht forgeschrittener Mathematikbeschäftigen.• Neue Bitcoins werden nach einem festenZeitplan erzeugt und an diejenigen ausgegeben,die Rechenleistung zur Verfügung stellen,um die Zuverlässigkeit des Netzwerks zusichern. Dieser Prozess wird Bitcoin Mining• Der Wert des Bitcoins wird vom freienMarkt bestimmt. Zur Zeit wird ein Bitcoinfür ca. 10,50 Euro oder 13,50 US-Dollar gehandelt.Natürlich gibt es Marktpreise in allendenkbaren Währungen, vom japanischenYen bis zum brasilianischen Real.• Bitcoins werden wie andere Währungenauf speziellen Tauschplattformen gehandelt,so kommt der Marktpreis zustande. Die bekanntestedieser Plattformen ist Mtgox.comSehen wir uns nun den zweiten Aspekt vonBitcoin an: als Zahlungsnetzwerk ersetzt BitcoinZentralbanken, Geschäftsbanken, Interbanken-Zahlungssystemewie SWIFT oder


SCHWERPUNKTSEPA und Zahlungsdienstleister wie PayPaloder Western Union. Alle Funktionen dieserriesigen Wirtschaftszweige, die sich mit derSchöpfung, der Lagerung und der Versendungvon Geld beschäftigen, würden von Bitcoinübernommen werden. Wenn sich Bitcoindurchsetzt, werden Unternehmen wie PayPalund Western Union vom Markt verschwindenund alle Zentralbanken überflüssig. DasPotenzial von Bitcoin als weltverändernd zubezeichnen, wäre also eine Untertreibung.Wie funktioniert Bitcoin?Doch wie funktioniert dies alles? Wieso istBitcoin in der Lage, all diese Dinge zu ersetzen,für die wir uns so lange auf Regierungen,Banken und Zahlungsdienstleister verlassenhaben? Um Bitcoin zu nutzen, lädt man sichüblicherweise eine Wallet genannte Softwareauf seinen Computer. Diese Wallet-Softwareist so etwas wie IhrBank konto.Sobaldman eine Wallet hat, kann man Bitcoins anandere Wallet-Nutzer irgendwo auf der Weltschicken oder geschickt bekommen. Das gehtso schnell und einfach wie das Schicken einerE-Mail (sogar einfacher, weil man keinenNachrichtentext schreiben muss).Man muss keinen Namen, keine Adresse,keine Sozialversicherungsnummer oder sonstirgendetwas angeben. Niemand muss IhrKonto „freischalten“ oder „genehmigen“. DieSoftware ist kostenlos und open-source, manerhält sie bei Bitcoin.org.Überweisungen und Inhalt werden durch eineTechnologie gesichert, die Public-Key-Kryptographiegenannt wird. Jedes Bitcoin-Kontohat einen öffentlichen und einen privatenSchlüssel. Beide sind lange Zeichenketten, dieaus Buchstaben und Zahlen bestehen. IhreWallet-Software kennt Ihren privaten Schüsselund kann daher Geld überweisen. WennSie jemandem Geld überweisen möchten,müssen Sie nur seinen öffentlichen Schlüsselkennen, also seine Bitcoin-Kontonummer.Die Kombination aus Ihrem privaten Schüsselund dem öffentlichen Schlüssel des Empfängersgenügt, um das Geld von Ihrem Kontoabzubuchen und dem Konto des Empfängersgutzuschreiben, ohne das irgendwer sonstetwas mit diesem Prozess zu tun hat.Wie schon erwähnt, ist Ihr „Konto“ einfacheine lange Zeichenfolge aus Buchstabenund Zahlen, die zum Beispielso aussieht: 1PGFCtrJHUsc7fs4LGW-LmXUEwuKyDaHuRaEs trägt also keinerlei persönliche Informationen,und Sie brauchen auchkeinerlei Informationen über sichpreisgeben, um ein Bitcoin-Konto zu


Auf der Bitcoin-Konferenz 2012 in Londoneröffnen. Das bedeutet, dass man Bitcoins erhalten,speichern und ausgeben und dabei relativanonym bleiben kann. Die Anonymitätist relativ, denn wenn Sie Ihre Bitcoin-Adressean einem Ort veröffentlichen, den man mitIhnen in Verbindung bringen kann (zum BeispielIhre Facebook-Seite), kann man natürlichsehen, dass das Konto Ihnen gehört.Warum sind Bitcoins wertvoll?Dies ist wohl das wichtigste Thema überhaupt,denn wenn Bitcoin keinen Wert hätten, wärenalle anderen Vorteile hinfällig. Woher bekomenBitcoins ihren Wert? Ist es nicht eingroßer Fake? Eine herbeiphantasierte virtuelleWährung? Manche sagen: „Ich kann sie nichtanfassen, ich kann sie nicht sehen, Bitcoinssind künstlich und daher nicht wert, dass ichmich damit beschäftige.“ Eine solche Reaktionist verständlich, aber hält sie einer kritischenÜberprüfung stand? Lassen Sie michdemonstrieren, warum Bitcoins sehr wohlwertvoll sind – und warum man sich sehrwohl mit ihnen beschäftigen sollte.Das berühmte „Schweizer Bankkonto“ ist geradezuein Symbol für finanzielle Vertraulichkeit.Doch wer ein Konto bei einer SchweizerBank eröffnet, muss dafür immer noch dieserBank vertrauen, und wie wir in den letztenJahren gesehen haben, ist das Bankgeheimnisauch in der Schweiz mittlerweile nur noch einMythos. Schweizer Banken sind vor den US-Behörden eingeknickt und geben vertraulicheKundendaten an die US-Regierung weiter.Aber stellen Sie sich vor, Sie hätten ein geheimesSchweizer Nummernkonto, nur ohnestörende Bank. Das ist Bitcoin. Statt einerstaatlich regulierten Bank vertrauen zu müssen,die von fehlbaren Menschen geleitet wird,ermöglicht es Bitcoin, dass man sein Vertrauenin die Kryptografie legt, die von den unfehlbarenGesetzen der Mathematik regiertwird. Zwei plus zwei wird immer vier sein,ganz egal wie viele Pistolen die Regierung aufdie Gleichung richtet.Bitcoin ist daher die einzige Währung unddas einzige Geldsystem, in dem es keinerleiGegenpartei-Risko gibt. Das heißt: Sie müs-


SCHWERPUNKTsen sich dabei auf niemanden verlassen. Verfechtervon Gold als Wertanlage werden sagen,dass es bei physischem Gold ebenfalls keinGegenpartei-Risiko gibt, doch das stimmtnur, solange man es in seinem eigenen Hausaufbewahrt. Sobald man es im Tresor einerBank aufbewahrt, gibt es ein Gegenpartei-Risiko.Und wenn man es verschickt, muss manvielen verschiedenen Menschen vertrauen, umsein Gold von einem Ort der Welt an einenanderen transportieren zu lassen.Bitcoin bedeutet die vollständige Kontrolleüber das eigene Geld, sowohl bei der Lagerungals auch beim Transport. Niemand kannSie daran hindern, es zu besitzen. Niemandkann Sie daran hindern, es auszugeben. Selbstwenn Einbrecher in ihr Haus kommen oderdie Regierung einen Beschlagnahmungsbefehlausstellt (so geschehen mit Gold in denUSA 1933) sind die eigenen Bitcoins in Sicherheit.Versuchen Sie einmal, mit Gold imWert von einer Million Dollar aus dem Landzu fliehen, ohne dass die Regierung das herausfindet.Leichter gesagt als getan.Mit Bitcoins ist es hingegen leichter getan alsbeschrieben: man kann eine Million Bitcoinsauf einem USB-Stick speichern, sich den eigenenprivaten Schlüssel auf ein Stück Papierschreiben oder sich seine Wallet per E-Mailins Ausland schicken.Fängt der Nutzen von Bitcoins an, sich Ihnenzu erschließen? Niemals zuvor in der Weltgeschichtehatte ein Individuum derartige Möglichkeiten.Bitcoins sind beispiellos.Aber was macht den Bitcoin nun tatsächlichwertvoll? Wieso hat er einen Preis? Das isteine sehr gute Frage und selbst Ökonomenfällt es manchmal schwer, sie zu beantworten.Aber die Antwort ist ganz einfach. Bitcoinshaben deshalb einen Wert, weil sie a) nützlichund b) selten sind. Wenn man diese beidenEigenschaften an einem Gegenstand findet,wird er stets seinen Preis haben.Als das erste Bitcoin für etwas anderes aufdem Markt eingetauscht wurde, wurde einMarktpreis etabliert. Die nachfolgendenHandelnden stimmten diesem Marktpreis zu– oder auch nicht, und änderten ihn entsprechend.Der Bitcoin entwickelte seinenMarktpreis also auf spontane,natürliche Weise, so wie alleDinge dies auf einem freienMarkt tun, wenn sienützlich und seltensind.Man braucht sichnur Edelmetalleanzusehen, um zuverstehen, warumBitcoins einenWert haben. Edelmetallewerden ineinem offenen Marktals allgemeines Tauschmittelbenutzt, weil siebestimmte Eigenschaftenhaben, die sie dafür besondersqualifizieren. Gold und Silber eignensich gut als Geld, weil sie selten, teilbar,gleichförmig, transportabel, haltbar undleicht zu identifizieren sind. Außerdem ist derZuwachs an Gold und Silber relativ beständigund vorhersehbar.Wenn man dies mit anderen Gütern wie zumBeispiel Hühnern, Muscheln oder Sand vergleicht,erkennt man, dass diese nicht überEigenschaften verfügen, die sie zu gutem Geld10


SCHWERPUNKTmachen würden: Hühner kann man schlechtin zwei Hälften teilen und wieder zusammensetzen,Muscheln sind nicht gleichförmig,Sand ist zu leicht verfügbar. Und warumnicht andere Metalle? Warum hat sich Eisennicht als Geld durchgesetzt? Es ist nicht seltengenug. Man müsste mit Wagenladungen davonzum Einkaufen gehen.Aus Sicht der Österreichischen Schule derVolkswirtschaft ist Geld nichts weiter als einGut, das in einem offenen Marktdie besten Eigenschaften beweist,um dem Austauschzu dienen. Das warennormalerweise Goldund Silber, solangekeine Regierungdies mit Gewaltverhinderte. Aberdas bedeutetnicht, das Goldund Silber dasperfekte, unfehlbareGeld wären.Denn sie bringendurchaus einigepraktische Problememit sich. Man kannGold- und Silbermünzennicht einfach verkleinern, umWechselgeld herauszugeben. Mankann nicht einfach große Werte an Gold übereine Distanz schicken, es entstehen Kosten fürSicherheitspersonal und lange Wartezeiten.Man muss entweder Lagergebühren zahlenoder riskiert, dass es bei einem Einbruch inseigene Haus gestohlen wird. Und auch wennes schwierig ist, so ist es doch nicht unmöglich,Gold und Silber so gut zu fälschen, dassman damit einige Zeit auf dem Markt handelnkann.Auch wenn Gold und Silber zugegebenermaßendas beste Geld sind, das wir bisher hatten,kann die Menschheit durchaus etwas erfinden,das sich sogar noch besser eignet. Darumgeht es beim Bitcoin-Experiment: wird sichBitcoin mit seinen speziellen Eigenschaftenauf dem freien Markt als bessere Form desGeldes durchsetzen?Wenn die „Österreicher“ recht haben undsich auf einem freien Markt das beste Gelddurchsetzen wird, sollten die Eigenschaftendes Bitcoins im Laufe der Zeit dafür sorgen,dass er ganz automatisch mehr und mehr alsZahlungsmittel verwendet wird.Bitcoin ist noch ein Nischen-Produkt, dassich an Early Adopters wendet, doch es besetztimmer mehr dieser Nischen. Dies steigert denMarktpreis, was seine Besitzer darin bestätigt,dass sie ihren Wert behalten, was wiederumdazu führt, dass Bitcoins für immer mehrAnwendungen zum Zug kommen. Das istein organischer und manchmal chaotischerProzess, voll von Trial and Error, Schlaglöchern,brillianten Innovationen und grandiosscheiternden Projekten – wie es sich für einenoffenen Markt gehört. So entsteht Tag für Tageine immer belastbarere Bitcoin-Wirtschaft– nicht per Zwang oder Dekret der Regierungoder Zentralbank, sondern durch eine spontaneOrdnung, die auf Eigeninteresse und privatemUnternehmertum basiert.Oft hört man als Gegenargument, Bitcoin seidurch nichts gedeckt. Das stimmt. Bitcoinssind nicht an eine existierende Währung odereinen Sachwert gekoppelt. Doch das ist beiGold auch nicht der Fall. Gold ist ebenfallsdurch nichts „gedeckt“ – es ist wertvoll, weiles nützlich und knapp ist. Autos, Nahrungsmitteloder Computer sind durch nichts „ge-11


Wo kann man schon mit Bitcoins bezahlen?deckt“, sie erlangen ihren Wert dadurch, dasssie nützlich sind. Der Wert dieser Warenergibt sich aus ihrem Nutzen und ihrer Seltenheit.Seine Nützlichkeit ist es, die Bitcoineinen Preis auf dem Markt gibt – ohne dass esdurch eine Regierung oder ein Unternehmen„gedeckt“ sein müsste, ohne Koppelung aneine Staatswährung oder einen Sachwert.Wie kann man Bitcoins erwerben?Wenn man dies verstanden hat, möchte manvielleicht einige Bitcoins erwerben. Doch wiemacht man das? Nun, nicht anders als bei anderenWährungen auch. Es gibt zwei grundlegendeArten, an Geld einer bestimmten Währungzu kommen: entweder man bietet Warenoder Dienstleistungen dafür an oder mantauscht es gegen eine andere Währung ein.Für den Tausch von Bitcoins gegen anderesGeld gibt es im Internet spezielle Wechselbörsen.Dies sind Websites, auf denen sich Käuferund Verkäufer treffen, um eine Währunggegen eine andere zu tauschen. Man kanneinfach ein Konto bei so einer Tauschbörseaufmachen, darauf staatliches Scheingeld wieDollars oder Euros einzahlen, und schon kannman Bitcoins kaufen. Der Bitcoin-Markt istvoll liquide und 24 Stunden und sieben Tagein der Woche geöffnet, ohne Ferien. DieTauschbörsen sind aus jedem Land der Welterreichbar und akzeptieren alle wichtigen nationalenWährungen.Man kann auch an Bitcoins kommen, indemman Waren oder Dienstleitungen gegenBitcoins verkauft. Dafür ist nichts weiternötig als eine Bitcoin-Adresse, die manautomatisch bekommt, sobald man sich eineBitcoin-Wallet heruntergeladen hat. Manmuss dafür keinen „Antrag“ stellen, denirgendjemand „bewilligen“ müsste. Es istegal, wie alt man ist oder in welchem Landman wohnt. Man braucht sich nur die Wal-14


SCHWERPUNKTlet-Software kostenlos herunterzuladen (z.B.von bitcoin.org) oder man richtet sich einee-Wallet im Netz ein, z.B. bei Paytunia.cominstawallet.com oder easywallet.com. Jeder,der Ihre Bitcoin-Adresse kennt – weil er siez.B. auf ihrer Website gesehen hat – kann Ihnensofort Bitcoins überweisen.Für Unternehmen gibt es einige gute Software-Lösungen, mit denen man Bitcoin-Zahlungenempfangen und weiterverarbeiten kann. Diederzeit beste heißt Paysius.com. Man bauteinfach das Paysius-Plug-In, das es für diemeisten handelsüblichen Shopping-Lösungengibt, in seine Website ein. Damit können dieKunden direkt im Shop die ZahlungsweiseBitcoin auwählen. Übliche Zahlungsweisenwie Kreditkarte, PayPal etc. werden jedochnicht ersetzt, die Kunden erhalten einfacheine weitere Option. Paysius ermöglicht es außerdem,die Bitcoin-Einnahmen automatischin Euros oder Dollars umzutauschen und aufdas eigene Bankkonto überweisen zu lassen– solange es noch nicht üblich ist, die Gehälterseiner Angestellten und die Rechnungenseiner Lieferanten in Bitcoins zu zahlen, istdas praktisch. Die Gebühren sind sehr vielniedriger als bei Kreditkartenanbietern oderPayPal. Bei Bitcoin-Zahlungen gibt es keineStornierungen oder „Chargebacks“, man kannalso aus jedem Land Zahlungen entgegennehmen,ohne betrügerische Zahlungsausfälle zuriskieren, die bei Kreditkarten oder PayPalschon viel Schaden angerichtet haben.Was kann man mit Bitcoins tun?Im Prinzip alles, aber es kann sein, dass manes selbst aufbauen muss. Bitcoin kann jedeArt von Geschäft möglich machen, das mansich vorstellen kann, aber es ist so neu, dassvieles, was man sich vorstellen kann, nochnicht realisiert ist. Unternehmer haben sichseit ein paar Jahren mit dem Bitcoin-Systembeschäftigt, aber nur ein winziger Teil seinesPotenzials ist bisher erschlossen. Jeder Unternehmermit einer freiheitlichen Einstellungsollte sich das also einmal näher ansehen.Zur Zeit gibt es rund 2000 Waren undDienstleistungen, die man für Bitcoins kaufenkann, und täglich kommen neue hinzu.Eine nicht vollständige Liste findet sich hier:https://de.bitcoin.it/wiki/TradeSpenden können mit Bitcoin auf sehr effizienteWeise überwiesen werden. Von Wikileaksüber unabhängige Filmproduktionenbis hin zu Tierheimen gibt es bereits vieleOrganisationen, die Spenden in Form vonBitcoins akzeptieren. Besonders interessant istes, dass durch Bitcoin auch kleinste Spendenmöglich sind. Es macht keinen Sinn, zehnCent per PayPal zu spenden, weil bereits dieGebühren mehr als zehn Cent betragen, dochmit Bitcoin ist das kein Problem. Wenn SieSpenden für ein nützliches Projekt sammelnwollen, veröffentlichen Sie einfach Ihre Bitcoin-Adresseauf Ihrer Homepage. Kosten:keine.Mögen Sie Glücksspiele? Sogar US-Bürger,denen das Pokerspielen verboten ist, könnenmit Bitcoin online Poker spielen. Wie solltedie Regierung auch die Zahlungen unterbinden?Poker-Websites wie SealsWithClubs.euwerden immer beliebter, und noch größereOnline-Casinos werden gerade gebaut.Sie möchten Geld an Freunde oder Verwandtein Übersee schicken? Nutzen Sie Bitcoins!Während Western Union für einen Geldtransferins Ausland rund 40 US-Dollar anGebühren kassiert, kann man Bitcoins ko-15


SCHWERPUNKTFür Bitcoins erhältlich: Alpaca-Sockenstenlos versenden. Bei den Überweisungenvon Gastarbeitern in ihre Heimatländer hatBitcoin seine wohl offensichtlichste Stärke,weil es Grenzen problemlos überschreitenkann – ohne die Möglichkeit, dagegen regulatorischeinzuschreiten. Dies ist auch einVorteil, wenn man in einem Land mit strengenFinanzkontrollen wie Weißrussland oderChina lebt: mit Bitcoins kann man problemlosGeld ins Ausland überweisen und dann inandere Währungen umtauschen.Sie möchten Gold oder Silber gegen Bitcoinstauschen? Probieren Sie Websites wie Coinabul.comoder BitcoinCommodities.com.Sie arbeiten mit Freelancern oder haben sonstigeMitarbeiter in anderen Ländern? NutzenSie Bitcoins! Einen Mitarbeiter in Indien zubezahlen, ist jetzt so leicht wie das Versendeneiner E-Mail.Sie möchten Ihr Vermögen schützen oderes auf vertrauliche Weise bewegen? Bitcoinsüberwinden mühelos alle Grenzen. Man musssein Geld nicht mehr auf ein Konto überweisen,das beschlagnahmt oder eingefroren werdenkönnte.Wenn Sie eine Idee für ein neues Unternehmenauf Bitcoin-Basis haben, gründen Sie es!Nur wenige haben in den frühen Neunzigerjahrendie Macht des Internets vorausgesehenund ähnlich verhält es sich mit Bitcoin. Doches werden mehr und mehr kreative Unternehmer,die sich mit Bitcoin beschäftigen.Bitcoin und der StaatNun kommen wir zum interessantesten Teil,insbesondere für Libertäre. Sehen wir uns an,wie Bitcoin sich über jede staatliche Kontrolle16


SCHWERPUNKThinwegsetzt. „Okay“, sagen manche, „Bitcoinist noch neu und wird daher noch nicht vomStaat reguliert, aber früher oder später wirddas passieren.“ Doch zum Leidwesen derStaatsmacht ist das ausgeschlossen. Niemandkann sich den Gesetzen der Mathematik widersetzen,auf denen Bitcoin basiert.Schauen wir uns an, wie der Staat versuchenkönnte, in das Bitcoin-System einzugreifen.Websites, die auf Servern gehostet werden,können von Regierungen gesperrt werden.Dies wurde sehr deutlich im Fall von MegaUpload, deren Server gesperrt wurden, bevores zu einer Gerichtsverhandlung kam oderden Betreibern irgendeine kriminelle Handlungnachgewiesen werden konnte.Man kann annehmen, dass die Regierungjeden Webserver nach Belieben sperren kann,ob mit einem legalen Deckmantel wie SOPAoder PIPA oder ohne. Jede Website, die mitBitcoins zu tun hat, könnte gesperrt werden,und die Tauschbörsen könnte es als erste treffen.Doch Websites können leicht gespiegelt,kopiert und versteckt werden. Bitcoin-Serverzu sperren, käme dem Abschneiden der Köpfeder Hydra gleich: für jeden erfolgreichen gesperrentenServer würden viele neue auftauchen.Zur Erinnerung: wie viele File-Sharing-Websites gibt es außer MegaUpload?Einige Websites haben bereits bewiesen, dasses für die Regierungen unmöglich ist, sie zusperren, denn sie existieren nur im so genanntenDark Web – auf Servern, die mittels Kryptografieversteckt werden. Wenn die „oberirdischen“Bitcoin-Websites gesperrt werden,dürften solche „unterirdischen“ um so mehrflorieren. Jedesmal, wenn eine bekannte Websitegesperrt würde, wäre das nichts weiter alskostenlose Werbung für Bitcoin.Websites zu sperren ist also eine inadäquateStrategie, wenn eine Regierung etwas gegenBitcoin unternehmen möchte. Was sonstkönnte sie tun?Innerhalb eines Landes könnte eine RegierungIndividuen und Unternehmen verbieten,Bitcoins zu akzeptieren. Nehmen wir an, dieUS-Regierung würde dies tun. Das würde bedeuten,dass Bitcoin nur noch im Geheimenangenommen werden könnten. Dies würdeder Bitcoin-Wirtschaft zwar sehr schaden,wäre aber weit davon entfernt, Bitcoin zustoppen. Und wenn nicht jede Regierungder Welt dasselbe täte, würde dies zu einerKapitalflucht in die Länder führen, in denenBitcoins weiter offen gehandelt werden – wasRegierungen dazu bewegen dürfte, auf solcheVerbote besser zu verzichten.Aber wie sieht es mit der wohl offensichtlichstenAngriffsmethode aus? Kann dieRegierung nicht einfach alle Bitcoin-Überweisungensperren? Erstaunlicherweise nein.Zentralisierte Systeme wie PayPal oder Visasind durch einen wütenden Staat leicht angreifbar.Die Gangster müssten einfach dieTür aufbrechen, die Server beschlagnahmenund die Eigentümer ins Gefängnis werfen.Darum wird sich jedes Unternehmen, das einzentralisiertes Zahlungssystem betreibt, unweigerlichdem Willen der Regierung beugen.Es muss Geldwäsche- und Steuergesetze beachten,private Informationen seiner Kundenherausgeben und Zahlungen verhindern, diedie Regierung als problematisch ansieht. Tutes das nicht, wird es dichtgemacht.Bitcoin ist jedoch gegen dieses Risiko gefeit,weil es keinen zentralen Angriffspunkt bietet.Es gibt kein Bitcoin-Büro. Es gibt keine17


SCHWERPUNKTzentralen Bitcoin-Server. Es gibt keinen Geschäftsführerund keine Angestellten. Bitcoinhat kein Usprungsland und ist nirgendwo lizensiert.Es ist ein verteiltes Netzwerk und einProtokoll, das so lange funktioniert, wie esdas Internet gibt. Transaktionen laufen nachdem Peer-to-Peer-Prinzip, es gibt keine zentraleOrganisation, die sie absegnen müsste.Bitcoin kann daher unmöglich abgestellt werden.Es ist wie ein gutartiger Virus, der sichendlos weiterverbreiten kann.Technologie des UmbruchsWenn man begreift, dass Staaten gegen Bitcoinmachtlos sind, werden einem auch einpaar mögliche Auswirkungen klar. WennBitcoin erfolgreich ist, wird es einige der Institutionenersetzen, die der Menschheit eineMenge Ärger eingebrockt haben.Die ersten, die daran glauben müssen, sindUnternehmen, die mit Bitcoin im internationalenZahlungsverkehr konkurrieren. RiesigeKonzerne wie PayPal oder Western Unionwerden feststellen, dass sie sich mit einemSystem im Wettbewerb befinden, das Geldpraktisch kostenlos transferieren kann. Die„Dienstleistung“, die diese Firmen bisher angebotenhaben, wird dadurch überflüssig. Sowie die meisten Hersteller von Pferdekutschennach der Erfindung des Automobilsihr Geschäft einstellen mussten, werden dieseUnternehmen feststellen, dass sie nicht mehrgebraucht werden.Die Menschheit wäre ein paar Milliarden imJahr reicher, wenn eine Dienstleistung, diebisher von diesen Unternehmen für teuresGeld angeboten wurde, nun kostenlos zurVerfügung steht. Autos haben die Menschheitreicher gemacht, weil sie die Transportkostengesenkt haben. E-Mail hat die Menschheitreicher gemacht, weil sie die Kommunikationskostengesenkt hat. Auf die gleiche Weisemacht Bitcoin die Welt reicher, weil es die Kostenfür Finanztransfers senkt.Die ganze Arbeit, Geld zu speichern undzu buchen und es zwischen Menschen undUnternehmen hin- und herzutransferieren,die zur Zeit noch von Banken erledigt wird,kann von Bitcoin übernommen werden. DerBankensektor würde dann auf die Bereicheschrumpfen, in denen er tatsächlich nochnützliche Dienste leistet.Auch in einer Bitcoin-Welt würde es nochBanken geben. Nicht jeder möchte zum Beispielsein Geld auf seinem Heimcomputerspeichern. Eine Bank mit Sicherheitspersonalund gut abgesicherten Servern könnte alsofür viele User nützlich sein, wäre aber nichtverpflichtend, sondern müsste sich auf einemfreien Markt durchsetzen.Außerdem wird es in einem marktwirtschaftlichenSystem immer eine Nachfrage nachKrediten und Zinsen auf Einlagen geben.Banken könnten dies auch mit Bitcoin anbieten,wenn sie effizient arbeiten und in einemoffenen Wettbewerb mithalten können.Wenn sich Bitcoin weiter durchsetzt, werdenstaatliche Währungen ebenfalls überflüssig.Warum sollte irgendjemand noch ein Interessedaran haben, Euros zu besitzen, die ständig anWert verlieren, wenn es eine alternative Währunggibt, deren Wert nicht von der EuropäischenZentralbank vermindert werden kann?Vielleicht ist man weiterhin verpflichtet, seineSteuern in Euros zu zahlen. Doch auch dannkönnte man alle Geschäfte in Bitcoin tätigen18


und erst kurz bevor die Steuern fällig werden,seine Bitcoins in Euros umtauschen.Der letzte Dominostein, der fallen würde, wäredie Macht, die der Staat über die Bevölkerungdurch die Schöpfung, Regulierung und Kontrolledes Geldes ausübt. Pressekonferenzenvon Zentralbankern wie Ben Bernanke oderMario Draghi würden immer weniger wichtigwerden, weil das Geld, das sie drucken, vonimmer weniger Menschen benutzt wird. Stattgegen die Regierungen zu kämpfen, machtBitcoin es möglich, sie zu umgehen und weitestgehendzu ignorieren.Welchen Grund würde es noch in Griechenlanddafür geben, gegen die EZB zu rebellieren,wenn die Menschen den Euro einfachverlassen und auf Geld umsteigen würden,das jeder selbst unter Kontrolle hat? Wie würdendie USA ihre Kriege und Wohlfahrtsprogrammefinanzieren, wenn sie nicht mehr dieMöglichkeit hätten, Geld zu drucken undihre Schulden mit einer immer weiter abgewertenenWährung zu bezahlen?Wie ein Goldstandard beschränkt Bitcoin dieMacht der Regierungen und zwingt sie, sichausschließlich über demokratisch legitimierteSteuern und freiwillige Anleihen zu finanzieren.Doch im Unterschied zum Goldstandardbenötigt Bitcoin keinen offiziellen Status, umals Standard anerkannt zu werden. Der Marktkann sich auf diesen Standard einigen, ohneAbsegnung durch eineRegierung.Statt zu versuchen, Regierungen durch Wahlenzu verändern, schwächen wir einfach dieMachtbasis der Regierungen – ihre Kontrolleüber das Geld. Erik Voorhees ist Unternehmer undBlogger. Zur Zeit arbeitet er für dasBitcoin-Start-Up BitInstant.19


Marktgeld statt MonopolyEine Privatisierung des Geldwesens ist gutgegen Finanzkrisen – von Thorsten PolleitDie Österreichische Schule der Nationalökonomieplädiert für eine Neuordnung desGeld- und Währungssystems nach marktwirtschaftlichenPrinzipien. Aus den ökonomisch-ethischenErkenntnissen ihres Wissenschaftsprogrammsfolgern die „Österreicher“:Das staatliche Geldangebotsmonopol solldurch eine privatisierte Geldproduktion – einSystem des freien Marktgeldes – ersetzt werden.Wie erklärt sich die Empfehlung derÖsterreicher, die der herrschenden Lehre derMainstream-Ökonomik diametral und unvereinbargegenübersteht?Aus Sicht der Österreicher gibt es keine belastbarewirtschaftliche, rechtliche und ethischeLegitimierung für die staatliche Hoheit überdie Geldproduktion. Sie zeigen zudem, dasssolch ein Arrangement sich als Störfaktor imSystem freier Märkte erweist. Ein Staatsgeldmonopolsteht nicht nur einem produktivenWährungswettbewerb entgegen, sondern eserlaubt, Geld durch Kreditvergabe zu produzieren.Die Geldmenge wird aufgrund politischerErwägungen ausgeweitet, ohne dassdabei echte Ersparnisse für zusätzliche Investitionenverfügbar wären. Die Geldprodukti-20


SCHWERPUNKTon durch Kreditvergabe senkt den Marktzinsunter den, wie Knut Wicksell (1851 bis 1926)ihn nannte, ,,natürlichen Zins“ – also denZins, der im Markt bestehen würde, wenn dieGeldmenge nicht künstlich durch Kreditvergabeausgeweitet worden wäre. Die Zinssenkungführt zu einem Scheinaufschwung. DieGeldmengenausweitung aus dem Nichts sorgtdafür, dass die Volkswirtschaft im wahrstenSinne des Wortes über ihre Verhältnisse lebt:Der Konsum steigt zu Lasten der Ersparnis,und gleichzeitig nehmen die Investitionen zu.Die Verminderung des Zinses verzerrt zudemdie gesamtwirtschaftliche Produktionsstruktur.Die Umwegsproduktion, wie Eugen vonBöhm-Bawerk sie bezeichnete, nimmt zu, dieProduktionswege werden zeitlich aufwändiger.Der wirtschaftliche Erfolg der Produktionsstrukturhängt nun davon ab, dass derZins niedrig bleibt, und dazu ist es erforderlichdie Kredit- und Geldmengen noch mehrauszuweiten. Geschieht das nicht, steigt derMarktzins auf sein Ursprungsniveau an – dennatürlichen Zins – und Investitionen und Arbeitsplätze,die durch die Zinssenkung angeregtwurden, erweisen sich als unrentabel.Es kommt zur Rezession (,,Bust“). Angesichtseines drohenden Busts werden in der ÖffentlichkeitRufe laut, die Krise zu ,,bekämpfen“.Im Bestreben, einen Produktionsrückgangabzuwenden, senkt die Zentralbank die Zinsenund sorgt für eine Vermehrung von Kreditund Geld. Der neue Einschuss von Kreditund Geld, bereitgestellt zu noch niedrigerenZinsen, kann zwar temporär dafür sorgen,dass der Abschwung in einen neuen (Schein)-Aufschwung umgemünzt wird. Doch auchdieser neue Boom bricht früher oder späteraus denselben Gründen wie der vorangegangenein sich zusammen.Die resultierenden Boom-Bust-Zyklen erlaubenes nun den Schuldnern, fällig werdendeKredite, die für eigentlich unrentable Investitionenaufgenommen wurden, mit niedrigenZinsen zu refinanzieren; zudem provozierensie weitere kreditfinanzierte Ausgaben. EineLiquidation von Fehlinvestitionen findet folglichnicht statt. Die Schu1denstände wachsenso über die Zyklen immer stärker an, als dieEinkommen zunehmen – sodass die Politikdes Bekämpfens der Boom-Bust-Zyklen mitmehr Kredit und Geld zu immer niedrigerenZinsen die Volkswirtschaft in die Überschuldungführt.Ein politisch-ökonomischer Aspekt, den dieÖsterreicher in diesem Zusammenhang herausarbeiten,ist, dass ein staatliches Geldsystem– das sie auch als Papier-, Fiat- oderSchein-Geldsystem bezeichnen – das Ausweitender Staatsaktivität zu Lasten der Privatwirtschaftbefördert. Zum einen werden dieKrisen, für die das Papiergeldsystem sorgt, inder Öffentlichkeit dem freien Marktsystemangelastet, und das leistet interventionistischenPolitiken Vorschub (wie zum BeispielRegulierung, Preiskontrollen etc.).Zum anderen erlaubt die politisch induzierteGeldvermehrung dem Staat, seine Ausgabentätigkeitmitunter erheblich über seine regulärenSteuereinnahmen hinaus auszuweiten.Beides untergräbt aus Sicht der Österreichernach und nach die Fundamente des freienMarktgeschehens: Vor allem aber beschwörenimmer weiter steigende Schuldenstände relativzum Einkommen eine Belastungssituationherauf, aus der sich die Gesellschaften durcheine kostenträchtige Hyperinflation zu befreiensuchen, weil sich in der Stunde der Not nurallzu leicht die Inflation als die Politik deskleinsten Übels erweist.21


SCHWERPUNKTUm solch eine Entwicklung zu vermeidenund das Geldsystem auf eine wirtschaftlichethischeGrundlage zurückzuführen, habendie Österreicher Lösungsvorschlage erarbeitet.Ludwig von Mises etwa empfahl bereits zuBeginn der fünfziger Jahre des vergangenenJahrhunderts, das Ausweiten der US-Dollar-Ge1dmenge durch Kreditvergabe zu stoppen,den Goldmarkt von jedweder staatlichenEinflussnahme zu befreien und dieUS-Dollar-Geldmenge auf Basisdes dann herrschenden Goldmarktpreiseseintauschbar zumachen. In ähnlicher Weiseargumentierte Murray N.Rothbard Anfang der Achtzigerjahre.Er empfahl, denDollar durch die Goldreserven,die noch in den Kellernder US-Zentralbank lagern,zu 100 Prozent zu decken. Diessollte die Basis zur Privatisierung derGeldproduktion legen, wie es FriedrichAugust v. Hayek (siehe Bild) empfahl.Verglichen mit der Verbreitung und Akzeptanzder Mainstream-Ökonomik neoklassischer,keynesianischer und monetaristischerPrägung in Lehre und Po1itikberatung, führtdie Lehre der Österreichischen Schule derNationalökonomie ein Randdasein. Der zusehendsstaatsgeförderte und -bejahende (Wirtschafts-)Wissenschaftsbetriebist nicht geradeförderlich für die Verbreitungsmöglichkeitender österreichischen Lehre mit ihrer ökonomisch-ethischenLegitimation des freienMarktes und ihrer Warnung vor sich immerweiter ausdehnenden Staatsinterventionen.Ökonomen, die sich dieser Lehre widmen,scheinen nur beschränkte Karrieremöglichkeitenoffenzustehen.Dies sollte jedoch nicht als Indiz für eineminderwertige Güte der Prognose und inhaltlicheKonsistenz des österreichischenWissenschaftsprogramms gewertet werden.Im Gegenteil: Zahlreiche Österreicher habenfrühzeitig auf die jüngste Kreditmarktkrisehingewiesen, weil ihre Theorie – anders alsdas herrschende Lehrprogramm – eine umfassendeErklärung für die Krisenursache bereitstellt.Skepsis oder gar Ablehnunggegenüber ihrer Empfehlung,die Geldproduktionzu privatisieren, also Geldüber die freien Marktkräftezu organisieren,mag viele Gründe haben– einer überzeugendenökonomisch-ethischen Herkunftsind sie jedoch nicht.Als Friedrich August von Hayek 1976in seinem Buch The De-Nationalisation ofMoney die Privatisierung des Geldwesens forderte,wusste er noch nichts vom Internet, vonKryptographie und Open-Source-Software.Bitcoin scheint viele der Forderungen zu erfüllen,die die Österreicher an gutes Geld stellen.Während viele Open-Source-Fans über dieBeschäftigung mit Bitcoin zum ersten Malauf die Schriften der großen Österreicher stoßen,verfolgen Vertreter der ÖsterreichischenSchule die Entwicklung des neuen digitalenMarktgeldes mit kritischem Interesse undskeptischem Wohlwollen. Thorsten Polleit ist Chef-Volkswirt derDegussa Goldhandel AG und Co-Autordes Buches Geldreform – vom schlechtenStaatsgeld zum guten Marktgeld.(Lichtschlag, 2010)22


Von Käsemessernund der AufklärungWarum säkulares Geld wie Bitcoin für das Informationszeitaltergut geeignet ist – von Joerg PlatzerWenn wir aufhören an Gott zu glauben, dannhört er auf zu existieren und wenn wir aufhörenan den Euro zu glauben, tut er dasselbe.Nicht nur von daher ist unser Schuld(!)geldeine zutiefst religiöse, auf Glauben beruhendeAngelegenheit.Die Akzeptanz eines jeden Geldes basiert aufVertrauen. Vertrauen darauf, dass dieses Geldseinen Wert beibehalten wird und Vertrauendarauf, dass Andere das auch so sehen und deshalbdieses Geld wiederum von uns selbst imTausch gegen Produkte oder Dienstleistungenakzeptieren werden: der Glaube daran, dasssich in unserem Geld die quantifizierte moralischeSchuld der Gesellschaft uns gegenübermanifestiert und dass die Gesellschaft dieseSchuld einlösen wird.Wir haben gelernt, dass der Bitcoin oderKryptowährungen im Allgemeinen uns sehrviel weniger Vertrauen abverlangen als unsergewohntes Geld. Dem Euro kann ich nurglauben, wenn ich grundsätzlich Vertrauen inZentralbanker, Regierungen, deren Rationalitätund in die postulierten heilenden, unsichtbarenHände hochgradig manipulierter Märktehabe. Das alles brauche ich nicht, um dem23


Fiat Money: Wie Schrauben mit dem Käsemesser anziehen.Bitcoin zu vertrauen. Die Regeln, nach denendieses Geld funktioniert, sind in Quellcodegemeisselt, für jeden einsehbar und von niemandemmanipulierbar. Woher aber kommtdie grundsätzliche Glaubensbereitschaft, dasVertrauen darauf, dass Bitcoin zukünftig auchnoch für andere einen Wert darstellt, sodassman es als Zahlungsmittel einsetzen könnenwird? Also das, was bei Regierungsgeld durchden mit Waffengewalt durchgesetzten Zwangentsteht, es zu akzeptieren?Wer anfängt, Bitcoin als Zahlungsmittel zuverstehen und zu erleben, der macht eineerstaunliche Feststellung. Nämlich die, wieunglaublich untauglich unser bestehendes Finanzsystemund Geld überhaupt für das ist,was wir Informationsgesellschaft und globalisierteÖkonomie nennen.InformationsgesellschaftMan kann mit unserem Finanzsystem keinemBlogger auf einem anderen Kontinent 50 Eurocentschicken, weil einem sein Artikel gefallenhat, oder einem Programmierer in Bangladeshzehn Euro für seinen Bugfix, ohne einVielfaches davon an Transaktionsgebühren zubezahlen. Bitcoin ermöglicht solche Transaktionen,ohne die eine wirkliche Informationsgesellschaftnicht funktionieren kann.Globalisierte ÖkonomieMan kann als billiger Lohnarbeiter aus derdritten Welt, der in Europa hart arbeitet, seinenLohn nur nach Hause an seine Familieschicken, wenn man finsteren Geldinstitutenbis zu zwanzig Prozent Gebühren abgibt, dieFamilie zuhause also zwanzig Prozent wenigerzu essen bekommt. Das sind zwanzig ProzentWegezoll an staatlich autorisierte Wegelagerer.Bitcoin beendet ein solches unverschämtesAbzocken der ärmsten Mitglieder unserer globalisiertenGesellschaft.Macht man diese und andere Erfahrungen,bekommt man das Gefühl, als hätte man seinLeben lang versucht, Kreuzschlitz-Schraubenmit Käsemessern anzuziehen und zu lösen24


SCHWERPUNKTund auf einmal präsentiert einem jemandeinen Schraubenzieher. Oder vielmehr einenAkku-Schrauber mit auswechselbaren Edelstahl-Bits.Erst jetzt merkt man, was für einunbrauchbares Werkzeug man die ganze Zeitbenutzt hat.Unser gewohntes Fiat-Geld wurde gemachtim Zeitalter der industriellen Revolution undzwar für eine Industriegesellschaft. Es istmonopolistisch gesteuertes Geld von monopolistischenStrukturen für monopolistischeStrukturen. Bitcoin aber ist dezentralisiertesGeld, gemacht von Individuen für Individuen,entwickelt im Internet für das Internet.In der Bitcoin-Community erlebt man, wiedie Finanzwirtschaft in diesem Jahrhundertaussehen könnte. Gleichzeitig wird einem klar,wie absurd unfähig unsere Wirtschafts- undFinanzelite tatsächlich ist. Sie prügelt dasZentralbank-System mit der gleichen inbrünstigenVerzweiflung und mit den gleichenChancen auf Erfolg, wie ein verdurstenderCowboy in der Wüste sein totes Pferd prügelt,während hundert Meter weiter schon die Eisenbahnfährt, was er aber nicht gemerkt hat– oder nicht merken wollte.Bitcoin aber ist gemacht, um die Anforderungenan das Finanzsystem der Zukunft zuerfüllen. Und hier kommt die andere Vertrauensebeneins Spiel, die es braucht, um einMedium zum Zahlungsmittel werden zu lassen,nämlich das Vertrauen, dass auch andereMenschen dieses Geld akzeptieren werden.In der Zukunft Bitcoin den herkömmlichenZahlungsmitteln gegenüber zu bevorzugen,ist nämlich so vernünftig, wie den Akkuschrauberdem Käsemesser vorzuziehen, umeine Schraube zu lösen.Die österreichische Schule der Ökonomie sagtuns, dass jede Gesellschaft, in der ein freierMarkt von Währungen herrscht, sich immerfür das Medium entscheiden wird, welchesdie besten Eigenschaften hat, als Geld eingesetztzu werden. Hier schlägt Bitcoin allebekannten Optionen um Längen. Seinenfreien Markt bringt Bitcoin ganz automatischmit sich, da Regierungen oder sonstige Institutionenauf ein Verbot nur ein kryptoanarchistischesLächeln der Bitcoin-Nutzer erntenwerden. Die zugrundeliegende technologischeErrungenschaft kann genausowenig kollektivvergessen gemacht werden kann wie die derDruckerpresse, die Könige und Päpste damalsgenauso doof fanden wie Banker und Präsidentenden Bitcoin heute.Dem Bitcoin als Zahlungsmittel und Finanzinstrumentder Zukunft zu vertrauen unddavon auszugehen, dass andere dies genausosehen, braucht also keinen Glauben an staatlicheGewalt, sondern ist ganz einfach die naheliegendstelogische Schlussfolgerung.Das für die Akzeptanz und Durchsetzung einerWährung notwendige Vertrauen basiertbei Bitcoin also nicht auf Glaube, sondernauf Vernunft, nicht auf Zwang, sondern aufFreiwilligkeit und somit nicht auf religiösen,sondern auf Werten der Aufklärung. Bitcoinist wirklich säkulares Geld. Und somit ist mitBitcoin erst die Aufklärung in der Finanzwirtschaftangekommen.Es wurde auch höchste Zeit.Joerg Platzer ist Mitgründer der CryptoEconomics Consulting Group und betreibtin Berlin die Bar Room 77, in derman mit Bitcoins bezahlen kann.25


Der Bitcoin-Der Graefe-Kiez in Berlin-Kreuzberg hat vermutlich dieDichte an Orten, an denen man reale Waren für BitcoinEs begann mit der Bar Room 77, die Bitcoin-Fans mit Bversorgt. Mittlerweile sind ein Plattenladen, ein italienisCocktailbar und ein Hotel hinzugekommen – und das AAlso: auf nach Kreuzberg!Leckereien für BitcoinsPlattenladen LongplayerRagtime Band im Room 7726


Kiezweltweit höchstes kaufen kann.ier, Burgern und Burritosches Restaurant, einengebot wächst weiter.Bitcoin-Stammtisch im Room 77Fabelhaft BarRestaurant Primo Maggio27Burger im Room 77


28 Wer ist Satoshi Nakamoto?


SCHWERPUNKTSatoshis GeniestreichWie Bitcoin begann und was man damit in Zukunftnoch alles machen kann – von Mike HearnBitcoin, eines der faszinierendsten Software-Projekte der letzten Zeit, wurde zum Höhepunktder globalen Rezession veröffentlicht.Der Gründer des Projekts, der das PseudonymSatoshi Nakamoto benutzt, hatte denGedankenblitz, der alles ins Leben rief, imJahr 2007. Dann gestaltete er das System fürdie nächsten zwei Jahre im Stillen.Bitcoin wurde in fast vollendeter Form in denersten Tagen des Jahres 2009 veröffentlicht,als sich die meisten Leute noch von ihremNeujahrskater erholten. Um das Datum desSystemstarts belegen zu können, versteckteSatoshi im Programm-Code eine Nachricht:„The Times 03/Jan/2009 Kanzler erwägtzweites Banken-Rettungspaket“, eine Anspielungauf den britischen Umgang mit derFinanzkrise. Er betreute das Projekt noch füretwas mehr als zwei Jahre, bevor er davon abließ,mit der Begründung, er widme sich nunanderen Dingen.Wie alle anderen aus dem aktuellen Bitcoin-Entwickler-Team habe auch ich Satoshi niepersönlich getroffen. Wir haben nur per E-Mail kommuniziert. Aber ich weiß, dass erein erstaunliches Maß an Aufwand, Talentund Voraussicht in dieses Projekt investierthat. Ich programmiere seit über zwanzig Jahrenund bin immer wieder begeistert darüber,wie wohldurchdacht dieses Sytem ist. LassenSie mich versuchen zu erklären, warum ichdas denke.Was ist Bitcoin? Nun, eine internationaleWährung, sicher. Außerdem eine Möglichkeit,Zahlungen so schnell und günstig zu versendenwie E-Mails. Aber auch ein radikalesNeudenken der Makroökonomie. Anders alsalle anderen Währungen der Welt behandeltBitcoin die „willkürliche Inflation durch Notenbanken“(um es mit Satoshis Worten zusagen) wie einen Softwarefehler, den es zubeheben gilt.Neu geschaffene Bitcoins werden nach demZufallsprinzip an jeden ausgegeben, der hilft,die Sicherheit des Netzwerkes zu verstärken.Die Vermehrungsrate sinkt mit der Zeit, bisirgendwann keine neuen Bitcoins mehr geschaffenwerden. Dieser Systemaufbau räumtmit dem gesamten Konzept der Geldpolitikauf und widerspricht den Gedanken derMainstream-Ökonomie. Allerdings bewertenim Angesicht der Finanzkrise viele Menschendie traditionelle Ökonomie neu.Aber die Antwort auf die Frage „Was ist Bitcoin?“geht noch weiter. Bitcoin bietet eineLösung für eines der schwierigsten Problemeder Informatik – das Erreichen einer Konsenslösungtrotz böswilliger Teilnehmer. Indemeine Einigung darüber erreicht wird, wem wasgehört, ohne dass eine zentrale Autorität benötigtwird, können wir die Kernfunktionenvon Banken ersetzen: die Überweisung vonZahlungen und die Verwahrung von Werten.29


SCHWERPUNKTTrotz all diesen Potenzials fristete Bitcoin fürweitere anderthalb Jahre ein Schattendasein.Es hatte keine richtigen Nutzer. Aus Spielereischuf ich selbst ein paar Bitcoins durchdie Teilnahme am Mining – dem Vorgang,der das System sicher macht. Am sechzehntenApril 2009 erhielt ich 50 Bitcoins. Dannsendete ich 32,51 Bitcoins an Satoshi, der mirmeine vielen Fragen beantwortet hatte. Erschickte sie mir mit 50 weiteren Bitcoins zurück.Es war ein Tag vor meinem Geburtstag– wenn ich das Geld behalten hätte, wäre esheute 1200 Dollar wert. Ein nettes Geschenk!Habe ich aber nicht. Ich schickte Satoshi seine50 Bitcoins wieder zurück und wir warenquitt. Als meine Fragen beantwortet waren -keine Nutzer, keine Märkte, keine Wirtschaft– verlor ich zunächst das Interesse an Bitcoin.Der digitale Geldbeutel, in dem die Bitcoinslagerten, entschwand, der Wert, den sie trugen,war zerstört.ビットコFür die Zukunft gestaltetHinterher ist man immer schlauer, sagt man,und nichts macht das so deutlich wie der Aufstiegvon Bitcoin. Was heute unvermeidlichaussieht, schien vor drei Jahren lächerlich. SatoshisVoraussicht war phänomenal. Er nutzteeine vielschichtige Kryptografie um ein Problemzu lösen, an das nur wenige überhauptgedacht haben – und damit noch nicht genug.Schon 2009 spielte er die Weiterentwicklungdes Systems für viele Jahre im Voraus durch.noch beim Projekt dabei war. Er sagte bloß,dass „wenn Bitcoin zur großen Nummer wird,sind dies Dinge, die wir in der Zukunft erkundenwollen. Aber sie mussten alle zu Beginneingebaut sein, um sicherzustellen, dasssie später umsetzbar sind.“Eines der einfachsten und gleichzeitig wichtigstenZukunftsmodule von Bitcoin istStreitschlichtung. In seiner Standardversionbietet Bitcoin unwiderrufliche Zahlungenan. Man muss dem Verkäufer also vertrauen.Doch nicht immer hat man es mit Verkäufernzu tun, denen man vertrauen kann. Ohne jemanden,den man zur Verantwortung ziehenkann, gibt es auch niemanden, bei dem mansich beschweren kann, wenn man vom Verkäuferbetrogen wird. Das hat Satoshi erkanntund eine Unterstützung für Mehrbenutzer-Konten eingebaut. Das bedeutet: mehrereLeute müssen zustimmen, damit Bitcoinsüberwiesen werden. Die Muster der Vereinbarungensind flexibel: Man kann zum Beispielvereinbaren, dass zwei von drei Leutenzustimmen müssen. Wenn diese Leute du, derVerkäufer und ein Mittler sind, auf den sichbeide Parteien vorher geeinigt haben, danngibt es eine Möglichkeit, Konflikte zu lösen.Aber anders als bei üblichen Treuhandgeschäftenkann der Mittler das Geld nicht selberan sich nehmen. Das führt zu einem vielwettbewerbsfähigeren Markt. Unternehmenkönnen zum Beispiel Fonds halten, die vonjedem Vorstandsmitglied in gleichem Maßekontrolliert werden können.Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Bitcoin-Quellcode birgt ruhende, ungenutzte Bestandteile,die von der aktuellen Version nochgar nicht gebraucht werden. Satoshi vermerktekeines davon in seinen Gestaltungspapierenund erwähnte sie höchstens am Rande, als erBankgeschäfte ohne BankerUm ein neues Finanzsystem aufzubauen, daskeine Banken benötigt, brauchen wir noch etwas:Wir brauchen einen Weg, um Kredite zu30


SCHWERPUNKTvergeben und zu handhaben. Dies ist tatsächlicheines der wenigen Dinge, die Satoshi nichtbedacht hat. Doch wir haben Möglichkeitengefunden, es dennoch zu tun. Sowohl mitSicherheiten hinterlegte als auch nicht hinterlegteDarlehen sind möglich. Anleihe- undAktienmärkte können mit Peer-to-Peer-Netzwerkenumgesetzt werden, die schnellen undgünstigen Zugang zu Finanzinstrumenten ermöglichen,wie sie normalerweise nur großenOrganisationen zur Verfügung stehen. Warumsollte jemand für ein Darlehen zur Unternehmensgründungzu einer örtlichen Bankgehen, wenn man Kredite aus der gesamtenWelt aufnehmen könnte und das wahrscheinlichauch noch zu besseren Zinssätzen?Selbst Menschen, deren Kreditwürdigkeitnicht als besonders hoch eingestuft wird,haben Zugang zu einem ganzen Planetenvon Verleihern mit intelligentem Eigentum– physische Objekte wie Autos oder gar Häu-インser, die elektronisch verschließbar sind undderen System mit der Bitcoin-Software kommunizierenkann. Solche Objekte könnenohne Betrugsrisiko ge- und verkauft werden,oder auch als Sicherheiten für Kredite dienen.Wenn ein Darlehen nicht zurückgezahlt wird,startet einfach der Motor nicht mehr. Wenndas Darlehen zurückgezahlt wurde, brauchtman nicht erst die Erlaubnis des Kreditgebers,um den Wagen wiederzubekommen; mankann einfach dem Bordcomputer nachweisen,dass die Zahlung erfolgt ist.Internet für selbstverständlich halten. Wannhat man das letzte Mal von einer größerenInnovation im Finanzbereich gehört, die voneinem Typen in seinem Schlafzimmer ausging?Dies ist wohl bisher nie dagewesen. Inder Software-Industrie ist dies jedoch immernoch der gängige Gründungsmythos. Bitcoinüberwindet Grenzen und macht die Gestaltungvon Finanzgeschäften jedem zugänglich,der einen Heimcomputer hat.Stellen Sie sich vor: eigenständige künstlicheIntelligenzen, die ihre eigenen Geschäfte betreiben,bringen Kinder hervor, deren Überlebenvon dem von ihnen erwirtschaftetenGewinn abhängt. Oder WLAN-Zugänge, diedadurch geöffnet werden, dass es den Besitzernmöglich ist, kleinste Zahlungen von externenNutzern zu erhalten. Oder Nutzer vonWebsites, die kollektiv Geld beisteuern, umdie Übersetzung der Webseite zu finanzieren,die sie sich angucken. Oder Videospiele, in denendurch jede Bewegung deiner Figur kleineZahlungen in einen gemeinsamen Geldtopfübermittelt werden, der an den Gewinnerausgeschüttet wird. Jede Idee wird umsetzbar,sobald Zahlungsanwendungen so einfach zuerstellen sind wie Internetanwendungen. Alldies ermöglicht Bitcoin.Ich kann es kaum erwarten, zu sehen, was sichdie Menschen mit Bitcoin alles einfallen lassenund ich hoffe, Ihnen geht es genauso! Eine Welt voller MöglichkeitenFür mich ist das Spannendste an Bitcoin nichteine besondere Idee oder Anwendung, sondern,dass zum ersten Mal die Finanzwelt derArt von Innovation geöffnet wird, die wir imMike Hearn arbeitet hauptberuflich alsSoftware-Entwickler bei Google undist im Bitcoin-Entwickler-Team für dieJava-Library bitcoinj verantwortlich.31


The Future of PaymentsIncluding:Keynote SpeakerPanel DiscussionsHackathonPresented by:


„Nur eine stabile Währungist eine gute Währung“Interview mit Bitcoin-Chefentwickler Gavin AndresenBLINK: Gavin, wie bist du mit Bitcoin inVerbindung gekommen?Gavin Andresen: Ich habe das erste Malim Mai 2010 darüber in einem Artikel inInfoWorld gelesen, der von innovativen Open-Source-Projekten handelte. Bitcoin wardamals etwas mehr als ein Jahr alt.Ich interessiere mich für Wirtschaft, Peer-to-Peer-Technologien und Kryptografie, daherweckte der Artikel meine Aufmerksamkeit.Ich war erst sehr skeptisch und habe dannalles darüber gelesen hatte, was ich konnte– damals gab es im Bitcoin-Forum nur rund100 Beiträge, so dass ich mir alle durchgelesenhabe. Ich sah mir auch den Source Codegenau an und kam zu dem Schluss, dasses sich bei Bitcoin weder um ein verrücktesKomplott noch um ein Forschungsprojekt fürdie Mülltonne handelt.Das erste und einfachste Projekt, das ichumsetzen konnte, war eine Website, bei derman Bitcoins umsonst bekommen konnte.Ich habe 50 Dollar investiert, um dafür ca.10 000 Bitcoins zu kaufen und gab jedemBesucher, der auf meine Website The BitcoinFaucet („Der Bitcoin-Zapfhahn“) kam, fünfBitcoins. Dann wurde ich mehr und mehrin das Projekt hineingezogen: ich habeam Kerncode mitgearbeitet, mitgeholfen,33


SCHWERPUNKTFehler zu beheben und neue Funktionenmitentwickelt.Was fasziniert dich so sehr an Bitcoin,dass du einen Großteil deiner Zeit damitverbringst?Ich liebe es, an Projekten zu arbeiten, dieeinen Vorreitercharakter haben, und dasPotenzial, die Welt zu verändern. Und ichliebe Technologien, die es Menschen überallauf der Welt ermöglichen, miteinander inKontakt zu kommen, ohne dass dies voneiner Regierung oder einer Firma kontrolliertwerden kann. Man sieht diesen Trend weg vonzentralisierter, kontrollierter Kommunikationhin zu schnelleren, günstigeren, dezentralenLösungen zum Beispiel bei der Entwicklungvon Briefpost und Telefonie mit ihrennationalen Monopolen hin zu E-Mail, Blogsund Social Media.Bitcoin macht das Gleiche für den Geldverkehr.Es ist ebenso eine günstigere, schnellere unddezentralisierte Methode, mit der Menschenüberall auf der Welt miteinander interagierenkönnen, und es fasziniert mich mitzuerleben,welche Veränderungen das bringen wird.Was sind die wichtigsten Aufgaben, andenen du zur Zeit arbeitest?Ich arbeite an Protokollen für Transaktionenmit mehrfachen Bestätigungen. Das Bitcoin-System unterstützt solche Transaktionen,die durch mehr als eine Person oder durchmehr als ein Endgerät bestätigt werdenmüssen. Aber wir brauchen übergeordnete,nutzerfreundliche Protokolle, die es fürdie Menschen leicht machen, zum Beispieleine Bitcoin-Wallet auf ihrem Computeraufzusetzen, bei der jeder Zahlungsvorgangerst per Handy bestätigt werden muss.Dadurch wird es so gut wie unmöglich, dassHacker die Inhalte von Wallets stehlen – dennsie müssten dafür ja sowohl den Rechner alsauch das Handy ihres Opfers hacken.Welches sind die nächsten großenHerausforderungen für den Bitcoin?Ich bin ganz schlecht darin, die Zukunftvorauszusagen. Aber ich glaube, die wichtigsteHerausforderung in naher und mittlererZukunft ist es, Bitcoin wirklich stabil zumachen. Nur eine stabile Währung ist einegute Währung. Unser Geld soll langweiligund vorhersehbar sein.Allerdings ist jede neue Technologie, dievon neuen, unerfahrenen Start-Up-Firmenverwendet wird, in gewisser Weise instabil.Einige Unternehmen werden scheitern, esbraucht mutige Early Adopters, die mit denRisiken leben können, bis sich die Technologiein etwas Stabiles, Reifes und Langweiligesentwickelt hat. Bitcoin ist so konzipiert,dass es langfristig sehr stabil sein kann, abernoch befinden wir uns in der riskanten Early-Adopter-Phase.Du hast Bitcoin auf einer Konferenz derCIA präsentiert – wie war deren Reaktiondarauf?Insgesamt war die Reaktion recht positiv,auch wenn das keine besonders gesprächigenLeute sind. Einer der Teilnehmer warein Wirtschaftswissenschaftler von derFederal Reserve, und ich war überrascht,wie aufgeschlossen er der Idee von Bitcoingegenüberstand. Aus seinem Vortrag habe ichgelernt, dass die Zentralbanken überall auf derWelt an Macht über das Geldvolumen verlieren,34


SCHWERPUNKTweil eine Reihe von Geldersatzprodukten – wiedie Finanzderivate des Schattenbankensystems– immer einflussreicher werden.Du warst einer der Mitgründer der Bitcoin-Stiftung – welche Aufgaben hat sie?Die Bitcoin-Stiftung soll dazu beitragen,dass Bitcoin standardisiert, geschützt undverbreitet wird. Dabei werden wir uns ananderen erfolgreichen Open-Source-Projektenwie Linux oder Apache orientieren, um dieseZiele zu erreichen.Manche Leute sagen, dass Bitcoin garnicht erst versuchen sollte, sich mitRegierungen und Banken zu arrangieren.Sie wollen Bitcoin für die Gegenwirtschaftnutzen und sicherstellen, dass es einVerbot durch die Regierenden überlebt.Was hältst du davon?Das ist sicher ein sinnvolles Vorhabenund sie sollten es tun. Ich glaube aber,dass die meisten Regierungen einsehenwerden, dass ein weltweites Bargeld fürsInternet nicht zu verhindern ist, so wieVerschlüsselungstechnologien nicht zu verhindernwaren.Es ergibt jedoch wenig Sinn für mich, Bitcoinauf eine Gegenwirtschaft im Untergrundbeschränken, bevor wir überhaupt wissen, wiedie Regierungen darauf reagieren. Warumsollten wir die Ziele so niedrig ansetzen? Durchdie Netzwerkeffekte macht jede neue Person,die an der Bitcoin-Wirtschaft teilnimmt, diesewertvoller als die vorigen. Daher macht manBitcoin am besten dadurch stark, in dem mandafür sorgt, dass es sicher, stabil und bequemfür jedermann zu nutzen ist.Was macht eigentlich Satoshi Nakamoto?Keine Ahnung. Er sagte uns vor etwa einemJahr, dass er erst einmal mit anderen nichtnäher beschriebenen Projekten beschäftigtsei, seitdem haben wir nichts mehr von ihmgehört. Gavin Andresen ist Software-Entwickler,Princeton-Absolvent und Mitgliedim Vorstand der Bitcoin Foundation.35


vimeo.com/48742216„And Zen Ve Vill Rule Ze Vorld!“Ein sehr deutscher Animationsfilm über Bitcoin,made in India – von Aaron KoenigJeder in der Bitcoin-Welt kennt wohl dengroßartigen Animationsfilm What is Bitcoin?,der von einem Studenten der FilmakademieLudwigsburg gemacht und allein bei YouTuberund 1,4 Millionen mal angesehen wurde.Die Messlatte lag also sehr hoch, als uns dieBitcoin Deutschland GmbH den Auftraggab, ein Werbevideo für ihre Tauschplattformbitcoin.de zu produzieren. Auch dieser Filmmusste natürlich zunächst einmal erklären,was Bitcoin überhaupt ist, bevor man näherauf das Produkt bitcoin.de eingeht. Die Kunstlag also darin, den Bitcoin-Anfänger abzuholen,ohne alte Bitcoin-Hasen zu langweilenoder gar What is Bitcoin? zu kopieren. So beschlossenwir, die „Germanness“ des Kundenzum Thema zu machen und alle möglichenKlischees über Deutsche auf die Schippe zu


Aus dem StoryboardErste Entwürfe für die Hauptfiguren.nehmen. Die Protagonisten des Films, Dr.Münzmacher und sein Roboter Herrmann,erklären in dem Film die Vorzüge Bitcoins mitso starkem deutschen Akzent, dass selbst dertypische deutsche Bahnschaffner dagegen wieein Oxford-Absolvent wirkt. Herrmann hindertDr. Münzmacher erfolgreich daran, mitdeutscher Gründlichkeit sein Publikum zuTode zu langweilen, sein Chef hält ihn dafürmit einem kräftigen Schlag auf den Blechkopfdavon ab, wieder einmal die Weltherrschaftübernehmen zu wollen („And Zen Ve Vill RuleZe Vorld!“).Der Film ist allerdings nicht wirklich Madein Germany, sondern das Produkt einerdeutsch-indischen Zusammenarbeit. FleißigeAnimationsexperten in Bangalore erwecktendie beiden teutonischen Gestalten zum Lebenund ließen sogar das Berlin der Inflationszeitwiederentstehen. Ohne den Einsatz indischerFreelancer wäre die Realisierung eines zweiminütigenAnimationsfilms für ein recht bescheidenesBudget gar nicht möglich gewesen.Und natürlich haben wir unsere indischenAnimationskünstler in Bitcoins bezahlt, wiesonst? BLINK-Chefredakteur Aaron Koenigist im Hauptberuf Geschäftsführer derFilmproduktion Bitfilm www.bitfilm.com


„We mine for our coinsDeep inside the blocksWe‘re spending our cashOn Alpaca socks“38


SCHWERPUNKTBitPop aus ÖsterreichAlpaca Socks ist wohl der erste Popsong über Bitcoin.BLINK hat den Songwriter Max Min interviewt.Was fasziniert dich so sehr an Bitcoin,dass du einen eigenen Song darüber geschriebenhast?Die Einfachheit des Systems und dieTatsache, dass man von keinemMittelsmann abhängig ist, umGeld von A nach B zu transferieren.Das Peer-to-Peer-Prinzipist es, was Bitcoin für michso großartig macht.Abgesehen davon ist Bitcoin inwirtschaftstheoretischer Hinsichtsehr interessant. Wie entwickelnsich z.B. Dinge wie Inflation in einemBitcoin-Universum?Wie würdest du den Song jemandem beschreiben,der ihn noch nicht kennt? Wiewürdest du deine Art von Musik allgemeinbeschreiben?Ich würde sagen, ich mache Minimal-Indie-Pop. Auf das Wesentliche reduzieren, das istmeine Devise.Wie ist der Song entstanden?Bei mir kommt der Text meistens erst alsletztes Element dazu. Melodie und Arrangementsind oft schon da und ich versuche dann,eine Art Geschichte um den Song zu schreiben.Nachdem mich das Thema Bitcoin zudiesem Zeitpunkt sehr interessiert hat, habeich die passenden Lyrics dazu geschrieben.Wie oft wurde der Song bisher heruntergeladenund wieviel Bitcoinswurden dafür gespendet?Offiziell von meiner Websitewurde der Song bisher 2965Mal heruntergeladen. Nachdemich den Track auch aufzahlreichen Torrent-Trackerngefunden habe, ist die inofizielleStatistik aber wahrscheinlichhöher...Die direkten Einnahmen via Bitcoin-Donationsliegen bisher bei ca. 25 Bitcoins.Wovon handeln deine anderen Lieder?Meistens geht es um aktuelle Themen diemich beschäftigen, „Anonymous“ z.B. handeltvon den Angriffen der gleichnamigen Gruppeauf globale Institutionen. „When we‘re gone“handelt von einer Welt ohne Menschen unddavon, wie sich die Dinge dort entwickelnkönnten.Wann kann man dich mal live erleben?2013 wird es mit Erscheinen meines neuenAlbums eine kleine Tour geben. Die Detailsdazu gibt es dann auf hellomaxmin.com 39


Unser Geldsystem unddas „eine Prozent“Warum Inflation die Armen ärmer und die Reichenreicher macht – von Dominic FrisbyIch stimme mit George Orwells Ansicht überein,dass „Menschen im Allgemeinen gut seinmöchten, aber nicht zu gut und nicht die ganzeZeit“. Aber wenn die Menschen meistensgut sind, frage ich mich, wieso es so vieles aufder Welt gibt, das offensichtlich falsch läuft?Kriege, Umweltverschmutzung, Hunger inder einen Hälfte der Welt, Fettsucht in deranderen, übermäßiger Konsum, ein Finanzsystem,das außer Rand und Band geraten ist– und so weiter.Ein besonderer Dorn im Auge ist für mich dieungleiche Verteilung des Wohlstands, die sichauf ganz unterschiedliche Weise ausdrückt.Wir sehen es zwischen Generationen: zumersten Mal in der Geschichte ist meine unddie nächste Generation ärmer als die unsererEltern. Wie kann das sein, obwohl der technischeFortschritt weitergeht? Die meistenMenschen in London unter 30 glauben, dasssie niemals im Leben ein Haus ihr Eigentumnennen werden – das ist entsetzlich.40


SCHWERPUNKTWir sehen es zwischen den Nationen: diereichsten 400 Menschen haben soviel Vermögenwie die ärmsten 140 Millionen.Wir sehen es auch innerhalb der Nationen: dasreichste Prozent der Amerikaner kassiert einViertel der Einkommen des Landes. Betrachtetman sowohl Sachwerte und Bankkontenals auch Investments und Kunst, verfügen sieüber rund die Hälfte aller Vermögenswerte inden USA. Dieser Anteil hat sich in den letztenvier Jahrzehnten verdoppelt.Wir sehen es sogar innerhalb von Organisationen,wo zum Beispiel der Vorstand einerBank das Tausendfache von dem verdient,was einer seiner kleinen Angestellten erhält.Wenn der Mensch, wie Orwell sagt, „überwiegendgut“ ist, wieso gibt es bei der Verteilungdes Wohlstands dann eine solche Schieflage?Ich bin der Auffassung, dass unsere Systemedaran Schuld sind. Und der größte Schurkevon allen ist das Geldsystem.Viele Menschen machen sich eine Menge Gedankendarüber, wie sie mehr Geld verdienenkönnen. Doch nur wenige machen sich Gedankendarüber, wie unser Geldsystem überhauptfunktioniert.Als Gold und Silber noch offiziell als Geldverwendet wurden, waren die Preise konstant.Wenn man den Index der Großhandelspreisebetrachtet, fielen sie im 19. Jahrhundert sogar,in einer Zeit, in der die westliche Zivilisationein hohes Wirtschaftswachstum und einensteigenden Wohlstand genoss. Die Preiseblieben konstant bis zum Beginn des ErstenWeltkriegs, als die kriegführenden Staatenden Goldstandard aussetzten, um den Kriegmit ungedecktem Papiergeld zu finanzierten.1971 wurde der Goldstandard dann von PresidentNixon endgültig abgeschafft. Bis dahinwar zumindest der Dollar als Leitwährungnoch durch Gold gedeckt. Das aktuelle Systemstaatlichen Fiat-Geldes (nach lateinisch:Fiat, „es werde“) wurde zur weltweiten Norm.Das war nicht unbedingt so geplant, es passierteeinfach aus politischer Zweckmäßigkeit.Die USA hatten, um den Vietnamkrieg zufinanzieren, mehr Dollars ausgegeben als sieGold zur Deckung besaßen, und befürchteteneinen Ansturm auf ihr Gold.Wie haben sich die Preise seitdem verändert?Wenn ich 1971 mit meinem Sohn zum Fußball-Pokalfinalegegangen wäre, hätte michdas zwei Pfund gekostet – heute sind es über100 Pfund. Der Schokoriegel in der Halbzeithätte mich zwei Pence gekostet – jetzt sind es60 Pence. Ein Bier für mich selbst hätte damalself Pence gekostet – heute verlangt manin Wembley für ein Bier fünf Pfund. Die GalloneBenzin, die ich gebraucht hätte, um hinundzurückzufahren, hätte mich 33 Pence gekostet– heute: sieben Pfund. Und das Haus,in das wir zurückgekehrt wären, hätte etwazwei Prozent seines heutigen Preises gekostet.Man vergisst leicht, in welchem Umfang manberaubt wird!Die Durchschnittseinkommen sind seitdemzwar auch gestiegen, aber nicht im selbenMaße. Sie haben sich von etwa 1.500 bis2.000 Pfund pro Jahr auf etwa 25.000 Pfunderhöht. Die Differenz wird durch mehr Schulden,längere Arbeitszeiten, mehr Frauenarbeit(also: zwei Verdiener pro Haushalt) gedeckt.Warum wird alles – außer massenproduzierteWaren – auf so unerbittliche Weise teurer? Esliegt am System des Fiat-Geldes. Es gibt sogut wie keine Grenze, wieviel davon geschaf-41


SCHWERPUNKTfen werden kann. Und je mehr Geld es gibt,desto mehr wird seine Kaufkraft verwässert,desto mehr steigen die Preise.Einige wenige profitieren sehr stark von diesemGeldsystem: diejenigen, die es kontrollieren,sich am Ausgabepunkt des Geldes odersehr nah daran befinden. Mit anderen Worten:Regierungen und Banken. Sie haben ein Monopoldarauf, Geld aus dem Nichts entstehenzu lassen – entweder durch das Drucken vonGeld oder durch die Vergabe von Krediten,für die sie sogar Zinsen kassieren können. Siekönnen für ihr neu geschaffenes Geld Sachwertekaufen, und zwar noch zu günstigenPreisen, bevor diese durch die verminderteKaufkraft steigen, die wiederum durch daszusätzliche Geld verursacht wird.Kosten der großen Mehrheit. Darum sind derStaat und der Finanzsektor so unverhältnismäßigstark gewachsen.Dies hat zu der horrenden Lücke zwischenden sogenannten „einen Prozent“ (den Superreichen)und allen anderen geführt. Es ist veranwortlichfür den abnehmenden Wohlstandin unserer Generation. Und es ist die Ursachefür unsere Wirtschaftskultur, die auf Schuldenund Konsum setzt, statt auf Sparen undInvestitionen. Und es wird immer schlimmer,je öfter sich dieser Teufelskreis von Umverteilungvon Reichtum wiederholt. Weil dies soeklatant und doch unsichtbar ist, ist für michder Prozess der Geldschöpfung die heimtückischteKraft in der heutigen Welt. Das istein starkes Statement, aber ich stehe dazu.Währenddessen können wir Normalbürgeruns für unsere Ersparnisse und Löhne immerweniger kaufen. Wir müssen Schuldenaufnehmen und dafür Zinsen bezahlen, umdie Dinge zu kaufen, die sich unsere Elterneinfach so leisten konnten.So findet eine ständige Umverteilung vonReichtum statt, die sich mit der Zeit verschlimmert.Einige wenige profitieren aufEs scheint, dass wir keine Wahl haben, diesesGeldsystem zu akzeptieren und davon ausgeraubtzu werden. Aber wie wäre es, wenn wirdas ändern würden? Stellen Sie sich einmalFolgendes vor: Unabhängiges Geld.Gold und Silber sind eine Form von unabhängigemGeld – wenn auch bei weitem nichtdie einzige. Einen Goldstandard (bei demPapiergeld durch Gold gedeckt ist) kann man42


SCHWERPUNKTals teilweise, aber doch nicht vollständig unabhängigbezeichnen.Ich gebe Ihnen ein Beispiel: 1914, als Goldnoch offizielles Geld war, hatten weder Großbritanniennoch Deutschland genug davon,um sich den Krieg leisten zu können. DerKrieg wäre vorbeigewesen, sobald sie allesGold ausgegeben hätten. Beide Regierungenschafften den Goldstandard ab, türmten hoheSchulden auf und bezahlten diese mit Papiergeld.Doch damit reichten sie die Rechnungnur an ihre Bürger weiter. Dies war nichts andereseine betrügerische Handlung, die alleinpolitischen Interessen diente.Das Monopol der Regierungen und Bankenauf Geld gibt ihnen zu viel Macht. Es ist unvermeidlich,dass diese Macht missbraucht wird,ob durch Inkompetenz oder noch schlimmereGründe. Der beste Weg, um Machtmissbrauchzu verhindern, ist es, Macht so breitund dünn wie möglich zu verteilen.Regierungen und Banken sollten nachdenselben Regeln spielen wie wir alle: keine„Bail-outs“ kein „Deficit spending“, sonderndie Notwendigkeit, mit den eigenen Mittelnauszukommen, ein echtes Risiko zu scheitern,so dass man sich vorsichtig verhält – all dieseeigentlich selbstverständlichen Dinge.Über 16 Millionen Menschen wurden in diesemKrieg getötet, weitere 20 Millionen verwundet.Dann kam eine Welle von Folgewirkungen:die deutschen Reparationszahlungen,die Hyperinflation der Weimarer Republik,der Aufstieg Hitlers, der zweite Weltkrieg.Würden Regierungen nicht über ein Monopolüber das Geld verfügen, wäre nichts vonalledem passiert – und es war wirklich eineabscheuliche Fehlinvestition!In meiner „Schönen neuen Welt“ gibt es keinMonopol auf Geld. Wir kehren zu Wahlfreiheitzurück. Und zu Transparenz. Wir nutzendas Geld unserer Wahl. Wir haben unabhängigesGeld.Was würden Sie gern nutzen, Sir? Gold, Silber,Bitcoins, Wertpapiere, die ein Farmerdurch Getreide in seiner Scheune deckt, BrixtonPounds, Dominic Frisby‘s Währung (ichglaube, ich werde sie Dominus nennen, fallses Sie interessiert), Pfunde, Dollars? Was im-43


SCHWERPUNKTmer Sie möchten, nutzen Sie es einfach. DieBezahlung in diesen alternativen Währungenist nicht schwerer als den Button „Bezahlen“auf einer Smartphone-App oder einer Websiteanzuklicken.Regierungen können von mir aus gern weiterhinGeld herausgeben und es abwerten. Siekönnen machen, was sie wollen, solange wirNormalsterblichen andere Optionen haben.In einem solchen befreiten Markt würde abersehr bald eine Flucht in besser organisierteWährungen einsetzen. Der wahre Wert desstaatlichen Scheingeldes würde zum Vorscheinkommen und bessere Lösungen würdensich durchsetzen.Parallelwährungen können im täglichen Lebensehr gut funktionieren. Ich war geradein Instanbul. Die Händler auf dem GroßenBasar akzeptieren Dollars, Euros, TürkischeLira, Pfund, Russische Rubel – alles, was ihnenein Geschäft bringt. Kompliziert wird eserst, wenn es an die Bezahlung von Steuerngeht – aber das ist ein anderes Thema.Und wenn Sie bei Ihrem Ausflug in die Weltdes freien Marktes merken, dass Sie Vermögennicht so gern in Bitcoins, Domini oderFarmer Giles‘ Getreidegurscheine anlegenwollen, dann bleiben Sie einfach bei demStaatsgeld, das sie gewohnt sind. Oder nochbesser: legen Sie es in etwas reelles an, etwas,das tatsächlich da ist, so wie Gold oder Silber.Ich denke, die meisten Menschen werden sichfür Letzteres entscheiden.Es ist gar nicht so schwer, die Art und Weise,wie Geld funktioniert, zu verändern. Mankönnte es dem Wähler leicht schmackhaftmachen. Und es würde eine riesige Verbesserungdes Lebens für uns alle bedeuten. Inflation(von lateinisch inflare: „aufblasen“)bedeutet im eigentlichen Sinne dasAnwachsen der Geldmenge. Steigt dieGeldmenge schneller als die Menge derGüter, so führt dies zum Absinken derKaufkraft des Geldes und einer allgemeinenPreissteigerung. Umgangssprachlichwird als Inflation vor allemdiese Preissteigerung bezeichnet.Oft wird fälschlich der Preisindex eines„Warenkorbs“ mit der Inflationsrategleichgesetzt. Dieses Messverfahren istjedoch willkürlich und lässt wichtigeWerte (z.B. Immobilien, Aktien) außerAcht. Es wird daher gern als Verschleierungsmethodeeingesetzt, um die wirklicheInflation zu beschönigen.Im Unterschied zu Fiat Money, das beliebigvermehrt werden kann, ist dasAnwachsen der Menge an Bitcoinsdurch die Software vorgeschriebenund kann nicht verändert werden. DasTempo, in dem neue Bitcoins erzeugtwerden können, nimmt mit der Zeit abund konvergiert gegen Null. Der Bitcoininflationiert also auf kontrollierteWeise. Eine Inflation im umgangssprachlichenSinne, also eine galoppierendePreissteigerung, ist beim Bitcoindaher ausgeschlossen.Dominic Frisby ist Autor, Schauspieler,Comedian und Filmemacher.SeinBuch Life after the State erscheint inKürze bei Unbound: http://unbound.co.uk/books/life-after-the-state44


Deflation – na und?Es ist kein Problem ist, dass Bitcoin ohne Inflationauskommt – von Rick FalkvingeWenn ich mit Journalisten und Wirtschaftswissenschaftlernüber Bitcoin diskutiere, wirdmir regelmäßig die Frage gestellt, ob eine„deflationäre Währung“ denn wirklich überlebensfähigsei.Wir haben uns so daran gewöhnt, in einer inflationärenWirtschaft zu leben, in der Geldständig an Wert verliert, dass wir uns einWirtschaftssystem schwer vorstellen können,in der das Geld allmählich immer wertvollerwird und die Preise fallen.Weil wir nur inflationäre (und hyperinflationäre)Wirtschaftssysteme erlebt haben, treffenwir allerlei Annahmen, warum eine deflationäreWirtschaft nicht funktionieren kann.Am stärksten wird beanstandet, dass niemandheute mehr etwas kaufen würde, weil das gleicheProdukt morgen schon billiger zu habenwäre. Und dann würde man es ebenfalls nichtkaufen, sondern auf den nächsten Tag warten.Und so weiter: niemand würde je etwas kaufen,wir würden alle bis in die Ewigkeit aufweiter fallende Preise warten.45


SCHWERPUNKTJa, tatsächlich: es gibt Leute, die dies als absoluternst gemeintes Argument benutzen, alseine unstrittige Tatsache.Im Umkehrschluss wäre der einzige Grund,irgendetwas zu kaufen, der, dass es morgenmehr kostet und übermorgen noch mehr. Wirmüssten uns beeilen, unser Geld auszugeben.Offensichtlich ist dies aber nicht der einzigeGrund, warum wir etwas kaufen. Wenn wirdas Argument umdrehen, sehen wir seine– höflich gesagt – beschränkte Tauglichkeit.Aber die Annahmen gehen schon an einemfrüheren Punkt fehl, nämlich bei der Prämisse,wir hätten noch nie in deflationären Zeitengelebt. Auch wenn die Wirtschaft als Ganzesnicht deflationär ist, so trifft dies auf gewisseUnterbereiche seit Jahrzehnten zu. Sehen wiruns die Preisentwicklung bei elektronischenGeräten seit den 1970er Jahren an. Ein Gadgetmit einer bestimmten Leistung kann bereitsein paar Monate später zu einem geringerenPreis gekauft werden, innerhalb von zwei Jahrengeht sein Preis gegen Null. Dies ist nichtsanderes als Deflation: die Preise sinken unddie Kaufkraft unseres Geldes steigt. Und zwarso sehr, dass wir im Elektronik-Bereich voneiner Hyperdeflation sprechen könnten.Wäre das oben genannte Argument gültigso würde unter diesen Umständen niemandelektronische Geräte kaufen, weil sie kurzdarauf billiger zu haben wären. Und, kaufenSie elektronische Geräte? Womit haben Siedas PDF mit diesem Artikel heruntergeladen?In der Realität ist Apple einesder wertvollsten Unternehmender Welt, obwohl es in einemdeflationären Sektor der Wirtschaftoperiert.Bitcoin mag seine Nachteilehaben, aber sein deflationärerCharakter gehört definitivnicht dazu. Das Argumentgegen Deflation ist allerdingsin einem Punkt korrekt: ineiner deflationären Wirtschaftkaufen die Leute – wie manim Elektronikbereich feststellenkann – nicht mehr alsdas, was sie in diesem Momentbenötigen. Sie wissen, dass imnächsten Jahr alles billiger wird, sodass sie dieBedürfnisse des nächsten Jahres erst dann befriedigen.Aber wenn die Leute nur das kaufen würden,was sie wirklich brauchen – wäre das wirklichso schlimm? Rick Falkvinge ist IT-Experte, Gründerder Ur-Piratenpartei in Schweden undbloggt auf www.falkvinge.net.46


La Revolución BitcoinistaFallstudie Argentinien: Wie man eine Finanztyranneiüberwinden kann – von Oscar Fonseca GómesArgentinien ist schon seit Langem ein Paradebeispielfür eine verfehlte Wirtschaftspolitik.Im 19. Jahrhundert war es eines der reichstenLänder der Welt, doch dann verschleudertedas „Silberland” (das bedeutet „Argentinien“auf Spanisch) langsam aber sicher sein ökonomischesund politisches Kapital. Zunächstgeschah dies im frühen 20. Jahrhundert untereinem schleichenden Sozialismus, dann unterverschiedenen faschistischen Diktatoren vonJuan Perón bis zum Falkland-Krieg, schließlichin den letzten 25 Jahren durch wechselndehyperinflationäre und deflationäre Krisen.Als Argentinier möchte ich mit diesem Artikelfreiheitsliebenden Menschen in anderenLändern eine Ahnung davon geben, was fürweitreichende finanzielle Repressionen Politikeraushecken können. Gleichzeitig möchteich Lösungen aufzeigen, wie man seine harterarbeiteten Ersparnisse davor schützen kann,konfisziert zu werden. Für die Bewohner relativstabiler Länder der „ersten Welt” mag eszunächst amüsant oder belanglos erscheinen,von den Possen solcher „Bananenrepubliken”wie Argentinien oder Venezuela zu hören.Doch es wäre ein Fehler, sich nicht damit zu47


SCHWERPUNKTKultfiguren in Buenos Aires: Tango-Legende Carlos Gardel, Evita Perón, Diego Maradonabeschäftigen, wie Gesellschaften verwahrlosenkönnen, wenn Politiker eine wirtschaftlicheSchreckensherrschaft einführen.Die Menschen sind im Prinzip in allen Länderngleich und politische Maßnahmen inKrisenzeiten sind meistens ähnlich, unabhängigvom ethnischen oder kulturellen Hintergrund.Wenn man etwas aus der Geschichtelernen kann, dann, dassLänder sich sehr schnell aufvorher undenkbaren Pfadenabwärts bewegen können.Die Gefahr restriktiverFinanzkontrollen in Westeuropaoder den USA istmeiner Ansicht nach sehrwahrscheinlich, wenn mansich die staatlichen Rentenversicherungenund Geldsystemevieler Länder ansieht, die an Schneeballsystemeerinnern.Auch wenn Argentiniens Verfassung sich ursprünglichan den Vereinigten Staaten orientierte,mit einer strengen Gewaltenteilung, republikanischenEinschränkungen gegen eineHerrschaft des Pöbels und gut geschütztenEigentumsrechten, sind die meisten dieserTugenden in den letzten zwei Jahrhundertenverlorengegangen. Parallel dazu ist ein wirtschaftlicherVerfall zu beobachten, der ohneZweifel zu einem Großteil durch den Verlusteiner gesunden politischen Struktur ausgelöstwurde. Das derzeitige politischeSystem kann man am besten alseine Präsidentialdiktatur ohneChecks und Balances beschreiben.Die Judikative und Legislativesind kastriert, derPräsident regiert per Verordnung.Auch absolute Herrschaftkann in Ausnahmefällen funktionieren,manchmal wird sie aufintelligente Weise eingesetzt, um positivewirtschaftliche Rahmenbedingungenzu schaffen, wie es Lee Kwan Yew in Singapurgezeigt hat. Doch zum Pech der Argentinierist die aktuelle „gewählte Diktatorin” CristinaFernández de Kirchner (Bild links) eine48


SCHWERPUNKTEgomanin, die wild entschlossen scheint, denletzten Rest wirtschaftlichen Wohlstands inArgentinien zu zerstören. Sie sät eine Mengeschlechter Samen, die für die nahe Zukunfteine erneute hyperinflationäre Krise unvermeidlichmachen. Die meisten Aktivitäten derRegierung dienen dazu, Stimmen zu kaufenoder die persönliche Bereicherung von Spezisund Sponsoren zu sichern.Gleichzeitig sorgt eine überregulierte Wirtschaftmit Preiskontrollen und knallhartemProtektionismus dafür, dass die heimischeWirtschaft stagniert und nicht wettbewerbsfähigist. Dem einzigen erfolgreichen Exportsektor,der Agrarwirtschaft, wird ein Großteilseiner Erlöse durch willkürliche Zölle geraubt,die das immer stärker wachsende Haushaltsdefizitder Regierung lindern sollen.Die Bilanz der Regierung wird immer schlechterund insbesondere seit ihrer Wiederwahl2011 nutzt Frau Kirchner finanzelle und politischeRepressionen, um Argentiniens wirtschaftlichenNiedergang zu verschleiern undunter Kontrolle zu halten. Zu diesem Zwecksind allein seit Oktober 2011 23 (verfassungswidrige)politische Maßnahmen eingeführtworden, die die Kontrollen des Geldverkehrsim ohnehin schon überregulierten privatenSektor noch weiter verschärfen.Um diese Maßnahmen zu rechtfertigen, wirdöffentlich gelogen, dass es um die Vermeidungvon Spekulation ginge und um den Wunschder Argentinier, in ihrer lokalen Währungzu zahlen. Doch das wirkliche Ziel ist es, dieKapitalflucht zu stoppen und die Menschenund Unternehmen daran zu hindern, ihre Ersparnissevor einer Inflation zu retten, die beiknapp dreißig Prozent im Jahr liegt.In Argentinien sind Edelmetalle nicht leichtzu erwerben, sodass der US-Dollar und derEuro als vergleichsweise harte Währungendienen, in die man in Inflationszeiten flieht.Um eine Idee davon zu bekommen, wie diePolitiker den Frosch so langsam kochen, dasser nicht aus dem Topf springt, hier ein Überblicküber nur einige der repressiven Highlightsder letzten zwölf Monate:31. Oktober 2011Alle privaten Währungsgeschäfte müssen vonder argentinischen Steuerbehörde Agencia FederalImpositiva (AFIP) genehmigt werden.13. Dezember 2011Alle Banken müssen den Kauf von US-Dollarszehn Tage im Voraus ankündigen.9. Februar 2012Alle Unternehmen brauchen eine Genehmigungvon der Zentralbank, um US-Dollarsfür Auslandsüberweisungen zu erhalten.3. April 2012Argentinier müssen ein in US-Dollar geführtesBankkonto haben, um von Geldautomatenim Ausland Geld abheben zu können.9. Mai 2012Die AFIP reduziert die maximale Mengean US-Dollars, die man erwerben kann, auf25% des versteuerten Einkommens.29. Mai 2012Der Kauf von Fremdwährungen für Auslandsreisenmuss bei der AFIP beantragt undvon ihr genehmigt werden.49


SCHWERPUNKT15. Juni 2012Die AFIP beseitigt die Option, US-Dollars zuSparzwecken zu erwerben.14. Juli 2012Ausländische Pensionszahlungen müssen inArgentinische Peso umgetauscht werden.7. August 2012Supermärkte müssen alle Einkäufe über 1000Pesos (ca. 150 US-Dollar) der AFIP melden.30. August 2012US-Dollar für Auslandsreisen müssen siebenTage im Voraus erworben werden, Reisendemüssen durch das Vorzeigen eines Ticketsbeweisen, dass sie wirklich reisen, es gibt eineHöchstmenge pro Reisetag.1. September 2012Alle Zahlungen per Kreditkarte werden vonder AFIP verfolgt und registriert. Käufe imAusland werden überprüft, um sicherzustellen,dass sie mit dem versteuernden Einkommenübereinstimmen.Die Umwandlung der AFIP in eine Art Stasioder KGB ist schlimm genug, aber es gabnoch eine Reihe anderer Repressionsmaßnahmenin den letzten zwölf Monaten, diein einem kurzen Artikel wie diesem nichtalle abgehandelt werden können. Zu den ungeheuerlichstengehören die Enteignung dergrößten Öl- und Luftfahrt-Unternehmen unddie Vorschrift, dass kein Unternehmen mehrGüter ein- als ausführen darf – was den Teilder lokalen Wirtschaft zerstört hat, der Zulieferungenaus dem Ausland benötigt.Und so kommen wir zum Kernpunkt: wennman in einem Land lebt, das sich auf eine finanzielleund politische Tyrannei zubewegt– was kann man tun, um sein Vermögen zuschützen, bevor es zu spät ist? Wie kann manAn argentinischen Flughäfen und Grenzstationen werden Hunde eingesetzt, um Bargeld aufzuspüren50


SCHWERPUNKTsich ein diversifiziertes Portfolio zulegen, dasEntwertungen und Eingriffen in die Privatsphäre,wie sie derzeit in Argentinien geschehen,widersteht?Traditionell haben Argentinierin instabilen Zeitenihr Geld in US-Dollarsoder europäi schenWährungen angelegt.Doch dies ist auszweierlei Gründenheute riskant: erstensläuft man Gefahr,eingesperrt zu werden,denn der Erwerbvon Auslandwährungauf dem Schwarzmarktist illegal; und zweitens kanndie derzeitige politische und wirtschaftlicheInstabilität in den USA undder Eurozone den Wert ihrer Währungenebenso in wenigen Jahren zerstören.In Europa und den USA wurde historisch Goldals Schutz gegen Unsicherheit verwendet, wasmeistens gut funktioniert hat, um privatesVermögen zu schützen, doch auch nicht ohneProbleme. Die berüchtigte Executive Order6102 die von Roosevelt 1933 verfügt wurde,verbot den Besitz von Gold in den USA fürfast 50 Jahre. Es ist nicht unwahrscheinlich,dass es im Zug der Dollar- und Eurokrise wiederzu solchen Goldverboten kommt.In einem extremen Krisenszenario, wenn dieBedingungen so schlimm werden, dass manüber eine Grenze fliehen muss, können großeMengen Edelmetall oder Papiergeld schwertransportiert und leicht aufgespürt werden.Auf argentinischen Flughäfen und an Grenzstationenwerden mittlerweile Hunde eingesetzt,um Bargeld zu erschnüffeln. In Verbindungmit Röntgengeräten, die angeblich derVerhinderung von Terroranschlägendienen, muss man sich daraufeinstellen, dass es bald unmöglichsein wird, Bargeldoder Edelmetalleaus seinem Landherauszubringen,falls von der RegierungeineGeldsperre verhängtwird – sowie in Argentinienim Jahr 2001,als alle Bankkontenüber Nacht eingefrorenund für rund zwölfMonate gesperrt wurden.Jetzt kommt Bitcoin ins Spiel. Auchwenn Goldfans wie ich grundsätzlich skeptischgegenüber jeder Währung sind, dienicht durch Sachwerte gedeckt ist, liegt derFall hier anders als bei den experimentellenWährungen der Vergangenheit.Bitcoin ist im Prinzip nichts weiter als eindezentrales, verteiltes System von „Bankkonten”.Es ist durch die Gesetze der Mathematikgedeckt, die Geldmenge ist auf eine so todsichereWeise eingeschränkt, das nicht einmalGold (das ja theoretisch eines Tages künstlichhergestellt werden könnte) an Knappheit dabeimithalten kann.Bitcoins verhalten sich genau wie Gold, wasihre Teilbarkeit, Privatheit, Übertragbarkeit,beschränkte Inflation und Wertdichte betrifft,doch sie sind frei von den Nachteilendes Goldes in einem Szenario der Durchsuchungund Beschlagnahmung. Gerade die51


SCHWERPUNKTTatsache, dass sie kein physisches Gut sind, istihr großer Vorteil, wenn wir Vermögen transferierenoder verstecken wollen, ohne die Beschlagnahmungoder Verhaftung zu riskieren.Bitcoins im Wert von Milliarden von Dollarskönnen auf einer SD-Karte, einem USB-Stick oder einem Stück Papier gespeichertwerden – und sogar im Kopf, wenn man sicheine “Eselsbrücke” baut, um seinen privatenSchlüssel auswendigzulernen.Die Bitcoin-Technologie befindet sich natürlichnoch in einem frühen Experimentalstadium.Nur ein Spieler oder ein Narr würdeall sein Gold oder Silber verkaufen, um allesin Bitcoins anzulegen. Doch wie die ErfahrungArgentiniens zeigt, müsste man auch einSpieler oder ein Narr sein, um sein Vermögenkomplett in Gold oder gar Bargeld anzulegenund keine Bitcoins zu besitzen. Bitcoins sindpraktisch im täglichen Leben, insbesonderebei internationalen Überweisungen, weil manmit ihnen sehr schnell und quasi anonym bezahlenkann.Doch darüber hinaus sind Bitcoins das Yinzum Yang des Goldes: sie ergänzen Gold alsWertanlage perfekt, wenn die UnaufspürbarkeitVorrang hat. Gold und Bitcoins in Kombinationsind die beste Versicherung gegenfinanzelle Tyrannei. So wie man eine Versicherunggegen Feuer- und eine gegen Wasserschädenabschließt, schützen einen Goldund Bitcoins gegen verschiedene Risiken. WoGold versagt (Metalldetektoren, Tragbarkeitetc.) bewährt sich Bitcoin; und wo BitcoinSchwächen hat (fehlender Internet-Zugang,Hacker etc.) kommt Gold, das sich seit über6000 Jahren bewährt hat, zum Einsatz.Viele Menschen in Argentinien leiden darunter,dass ihr Einkommen und ihre Ersparnissevon der Inflation aufgefressen werden. Siesind unfähig, etwas dagegen zu unternehmen,weil sie sich nicht auf eine eigentlich voraussehbareSituation vorbereitet haben. Sie habennoch nicht realisiert, dass das Digitalzeitalterzwar viele neue Methoden der Überwachungund der Repression bietet, als noch vor zehnoder zwanzig Jahren, aber auch die passendenGegenmittel. Gold in seinem Garten zu vergraben,mag in den letzen 6000 Jahren ausgereichthaben, um sein Vermögen zu schützen,doch heute muss man neue Methoden anwenden,um den Tyrannen immer einen Schrittvoraus zu sein.Seien Sie vorbereitet. Investieren Sie in Gold.Investieren Sie in Bitcoins! 52Oscar Fonseca Gómes ist freier Journalistund lebt in Buenos Aires.


Frei wie ein VogelschwarmPlädoyer für eine freie Wirtschaftsordnung aufBitcoin-Basis – von Juraj BednarStellen wir uns einen Schwarm Vögel vor,eines der wohl schönsten Beispiele für EmergentesVerhalten. Darunter versteht man einVerhalten eines Systems, das sich nicht einfachaus dem Verhalten jedes einzelnen Elementsableiten lässt. Jeder Vogel weiss genau, was erzu tun hat. Es sind die Entscheidungen jedeseinzelnen Vogels, die die Form des Schwarmsbestimmen. Doch es ist unmöglich, diesesSchwarmverhalten zentral zu planen. Ebensounmöglich ist es, den Handel zwischenMillionen von Menschen zentral zu planen.Schauen wir auf den Schatten des Schwarmsund versuchen wir, von ihm auf die Form desSchwarms zu schließen. Man kann schätzen,wie hoch der Schwarm fliegt und wie großdie Vögel sind, um auf den Schwarm rückzuschließen.Aber man weiß nichts über dieindividuellen Vögel, wie hoch sie fliegen oderwie schnell sie sind. Was man sieht, ist lediglichein großer, sich verändernder Schatten:ein Aggregat der einzelnen Handlungen.Wir brauchen einen freiwilligen und freienMarkt, weil es unmöglich ist, gute Entscheidungenauf der Grundlage aggregierter Datenzu fällen. Die Regierung sieht lediglichden Schatten jeder Transaktion, nachdem siestattgefunden hat. Sie arbeitet mit Aggregatenwie Bruttosozialprodukt, Arbeitslosenquote53


SCHWERPUNKTund Durchschnittseinkommen. Sie hat Statistiken.Aber sie hat keine Kenntnis darüber,wie Individuen handeln, was sie wollen,was sie sich kaufen würden, wenn sie genugGeld besäßen. Politiker wissen nicht, wofürMenschen sparen. Selbst wenn sie die größtenGenies auf der ganzen Welt wären und versuchenwürden, „die Probleme des Marktes zubeheben“, es wäre ihnen nicht möglich. Sie seheneinen Schatten unseres Schwarms, nämlichausschließlich die Dinge, die wir ihnenerzählen (also z.B. nichts über den riesigenSchwarzmarkt).Auf der einen Seite haben wir Politiker mitunzureichenden Informationen, die versuchen,Entscheidungen für alle zu fällen. Aufder anderen Seite haben wir unser derzeitigesSystem, das viele mit einem freien Markt verwechseln.Unsere Krankenversicherungenoperieren zum Beispiel nicht auf einem freienMarkt. Selbst in den USA, wo die Menschenangeblich zwischen Krankenversicherungenwählen können, ist das nicht der Fall: derMarkt der Großunternehmen, die Krankenversicherungenanbieten, ist vollständig vomStaat durchreguliert, was dazu führt, dass diePreise in die Höhe schießen und der Markteintrittneuer Unternehmen erschwert wird.Das Bankensystem ist wahrscheinlich einesder am meisten regulierten (nur Polizei, Justizund Gesundheitssystem sind noch stärker reguliert).Diejenigen, die über die Schwächendes Marktes diskutieren und ihn für die derzeitigeKrise verantwortlich machen, übersehen,dass die Geldmenge zentral geplant wird.Diese Planung führte zur Immobilienblaseund setzt nun ihren Weg über die Staatsanleihenkrise,Studentenkreditblase und eine weitereImmobilienblase in den USA fort.Die Wirtschaft verhält sich wie ein Organismus.Wir sind Handelnde, die auf freiwilligerBasis Güter und Dienstleistungen tauschen.Die Wirtschaft fußt auf einer einfachenIdee: dass unsere Ressourcen (insbesondereRohstoffe und unsere Zeit) knapp sind. Wirbrauchen ein Verfahren, um diese Ressourcenentsprechend unserer Bedürfnisse und Wünschezu verteilen. Wenn die meisten unsererBedürfnisse und Wünsche befriedigt sind,sind wir eher in der Lage, ein zufriedenesLeben zu führen.Zwei wichtige Grundgedankenspielen hier eineRolle. Erstens: Wennder Tausch freiwilligerfolgt, dannwerden beide Seiteneinen Nutzendavontragen.Wenn zwei MenschenEier undMilch tauschen,dann ist ihreW a h r n e h m u n gvom jeweiligen Wertdieser Güter unterschiedlich.Die eine Seitebewertet die Milch höherals die Menge von Eiern, die siedafür hergeben muss. Für die andereSeite ist die Wertschätzung genau umgekehrt.Wenn ich hungrig bin, fünf Euro in meinemPortemonnaie habe und mir davon einenDönerkaufe, dann bedeutet das, dass ich denDöner in meinem Magen den fünf Euro inmeinem Portemonnaie vorziehe.Der zweite wichtige Aspekt findet auf einerMakroebene statt: Wenn die Ressourcen begrenztsind, dann ist das Beste, was man tun54


SCHWERPUNKTkann, die Menschen freiwillig wählen zu lassen,welche Ressourcen sie hinsichtlich ihrerVerfügbarkeit (widergespiegelt in ihrem Preis)und der Wertschöpfung der jeweiligen Personfür die Gesellschaft bevorzugen.Stellen Sie sich vor, Ihre Großmutter würdegerne einen Suppenstand eröffnen. Sie würdeeine Suppe pro Tag für sich selbst zum Verzehrkochen und den Rest an andere Leute verkaufen.Das wäre eine vollkommen legitimeVorgehensweise, ein Einkommenzu schaffen und gleichzeitiganderen Menschen zu helfen,die keine Zeit habenzu kochen.Zumindest siehtes so aus, bevorman feststellt,dass Ihre Großmutterzunächsteine Gewerbeanmeldungbeantragenmüsste.Der Standort fürihr Gewerbe müsstegenehmigt werden, sowohlvom Gewerbe- alsauch vom Hygieneamt. Siemüsste Buchhaltung lernen oderjemanden dafür bezahlen. Sie müssteeine elektronische Registrierkasse kaufen. Siemüsste die zahllosen Lebensmittelauflagender EU einhalten, die niemand, der bei klarenVerstand ist, überhaupt nur lesen würde.Sollte sie erfolgreich sein und Hilfe brauchen,würde sie erfahren, wie schwierig es ist, jemandeneinzustellen. Ihre Großmutter wirdwahrscheinlich aufgeben, bevor sie ihren Suppenstanderöffnet hat, denn die derzeitigenGesetze bevorzugen größere Unternehmen.Was wir hier sehen, nennt man RegulatoryCapture – also die Vereinnahmung des Regulierungsakteursdurch die zu regulierendeBranche. Regulatory Capture bedeutet, dassLobbyisten behördliche Beschränkungendurchsetzen, die ihren eigenen Interesse dienen.Üblicherweise werden diese Beschränkungenals Verbraucherschutz an die Öffentlichkeitverkauft: Sicherheitsmaßnahmen,Energieeffizienz oder Preiskontrollen zur„Einschränkung der Gier“.Es wurde nachgewiesen, dass amerikanischeMaßnahmen zur Erhöhung der Energieeffizienzbei Waschmaschinen von den Herstellernselbst gefordert wurden. Warum? Niemandkaufte ihre teuren energieeffizienten Maschinen.Auf diese Weise schlossen sie ausgerechnetdiejenigen Produkte aus, die von den Konsumentenam meisten nachgefragt wurden– was bedeutet, dass Haushalte mit geringemEinkommen sich keine Waschmaschine mehrleisten können.Dies ist ein noch größeres Problem in hochgradigorganisierten Industrien wie Pharma,Automobile, Energie und Banken. RegulatoryCapture bedeutet, dass die Markteintrittsbarriereerhöht wird. Es wird zunehmend schwieriger,die steigende Zahl behördlicher Auflagenzu erfüllen. Eigentlich ineffiziente großeOrganisationen wie Großunternehmen, Behördenoder Staatsbetriebe sind dadurch imVorteil, da der Markteintritt für Neueinsteigerzu kostspielig ist: zunächst müssen die vonBehörden geschaffenen Hürden überwundenwerden, bevor sie ihre eigentlichen Produkteund Dienstleistungen anbieten können.Keine Industrie in Europa operiert mehr aufeinem freien Markt. Wenn man große, böse,gierige Unternehmen kritisiert, dann muss55


Korrelation zwischen wirtschaftlicher Freiheitund Pro-Kopf-Einkommen (Fraser Institute)man gleichzeitig sehen, wie der Staat ihnengeholfen haben, so groß zu werden und ihreMacht zu erhalten. Bitcoin ist hingegen derVersuch, einen wirklich freien Markt im Internetzu etablieren – mit dezentralisiertemGeld und ohne behördliche Auflagen. Wirkönnen endlich nachweisen, dass ein wahrhaftfreier Markt besser funktioniert, indemwir ihn selbst etablieren und nutzen.Das Fraser Institute untersuchte die Beziehungzwischen Lebensqualität und wirtschaftlicherFreiheit. Es fand heraus, dass in den Ländern,in denen die Wirtschaft am freiesten ist, dieMenschen im Schnitt ein achtmal höheresreales Einkommen haben. Besonders interessantist, dass die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerungin diesen Ländern zehnmal mehrverdienen als Menschen in Ländern, derenWirtschaft am wenigsten frei ist. Gemessenwurde dabei die internationale Kaufkraftparität,also nicht das nominelle Einkommen,sondern das, was sich die Menschen dafürtatsächlich leisten können.Der Life Satisfaction Index, der die Zufriedenheitmit dem eigenen Leben ausdrückt, undwirtschaftliche Freiheit sind ebenfalls starkpositiv korreliert. Wir können daraus folgern:Wirtschaftliche Freiheit, also geringerebehördliche Auflagen, niedrige Steuern undein wirksames Rechtssystem, erzeugt höheresEinkommen und ein zufriedeneres Leben,auch und gerade bei den so genannten „sozialSchwächeren“.Dies wird einige überraschen. Die allgemeineAnnahme ist ja, dass Großunternehmendas Ergebnis unkontrollierten Kapitalismussind und dass die Regierung dieses Problemmit ihren Gesetzen löst, zum Beispiel durchKartellgesetze. Fakt ist jedoch, dass der Staatdiese Unternehmen geschaffen oder ihnen zumindesterheblich geholfen hat, indem er dieMarkteintrittsbarriere für andere Unternehmenerhöht hat. Dies zu erreichen ist der eigentlicheZweck aller Lobbyarbeit. Wenn Siemir nicht glauben, dann versuchen Sie einmal,eine Bank, ein Krankenhaus oder einen Internet-Service-Providerzu gründen. Nachdemder Staat diese Großunternehmen hochgezüchtethat, werden sie plötzlich zu groß, umbankrott gehen zu dürfen („too big to fail“).56


SCHWERPUNKTZurück zum emergenten Verhalten unserenVogelschwarms. Es ist sehr schwierig (selbstfür Experten) zu erkennen, welches Verhaltenaus einem System erwächst, das aus Millionenvon Tauschhandlungen an jedem Tag besteht.Behörden versuchen, den Markt zu beeinflussen,indem sie bestimmte Handlungen fürillegal erklären. Sie übersehen aber, dass diewirtschaftlich Handelnden diese Beschränkungenumgehen können. Wenn man Alkoholverbietet, wird das nicht dazu führen, dass dieMenschen aufhören, ihn zu trinken. Es wirdlediglich dazu führen, dass die Menschen ihnin einer Art und Weise trinken werden, dasssie nicht dabei erwischt werden.Viele Dinge, die heute der Staat übernommenhat, würden auch auf einem freien Marktangeboten werden. Wenn Menschen ein Problemhaben, dann finden sie auch eine Lösung.Wenn sie sich nicht sicher fühlen, könnten siezum Beispiel einen privaten Sicherheitsdienstbeauftragen, um ihr Eigentum zu schützen.Auch Bitcoin wurde erfunden, weil einigeMenschen die Probleme des Geldsystems erkanntenund etwas dagegen tun wollten.Wie kann Bitcoin dazu beitragen, einen wirklichfreien Markt zu schaffen? Nun, geradeder Markt der Zahlungen ist offensichtlichüberreguliert. Es ist für neue Firmen schwer,Geld für ihre Leistungen zu erhalten. Um einPayPal-Händlerkonto zu eröffnen, erfordertes eine Menge Papierkram, bei Kreditkartenfirmenist es noch schwieriger. Gerade alsStart-Up-Company, die noch keine hohenUmsätze macht, ist dieser Aufwand oft viel zuhoch. Zahlungen in Bitcoin zu empfangen isthingegen einfach. Wenn man ein Unternehmengründet, braucht man nichts weiter alseine Bitcoin-Wallet. Man erzeugt mit einemMausklick eine Bitcoin-Adresse und schonkann man Geld für seine Dienstleistungenerhalten. Als Start-Up ist es oft wichtig, soschnell wie möglich am Markt zu sein, wasoft im Widerspruch zu staatlichen Verpflichtungensteht. Das Gesetz FACTA zum Beispieldient hauptsächlich dazu, es US-Bürgernzu erschweren, Steuern zu sparen. Dochselbst, wer damit nichts zu tun hat, ist von soeinem Gesetz betroffen, denn wenn BankenGeschäfte mit US-Bürgern machen wollen,müssen sie sich daran halten und aufwändigeÜberprüfungen durchführen.Bei Bitcoin stellt sich die Frage, ob man offiziellenVorschriften entspricht, gar nicht erst,man kann einfach loslegen. Bitcoin kenntkeine Grenzen, keine Vorschriften von außenund keine Beschränkungen. Man kann weitereZahlungsverfahren hinzufügen, wenn dasGeschäft wächst, doch gerade in der Anfangszeit,wenn man sein Unternehmen gründet,muss man sich darüber keine Sorgen machen.Ich bin überzeugt davon, dass Bitcoin eine besondereBedeutung bei der Befreiung unsererMärkte bekommen wird. Es wird anonymeUnternehmen geben, die von Offshore-Inselnaus operieren und ihre Zahlungen in Bitcoinserhalten. Sie brauchen keine Banken mehrund kommen ohne behördliche Auflagen aus.Mehr und mehr Menschen sagen heute: Wirwollen nicht länger eingesperrt sein. Wir wissenselbst, was gut für uns ist. Danke, Apparatschiksund Bürokraten, ihr seid überflüssig.Tretet ab! Juraj Bednar ist IT-Unternehmer undMitgründer und Betreiber des HackerspacesProgressbar in Bratislava.57


Keine Kompromisse!Drei Thesen über den langfristigen Erfolg Bitcoins– von Frank BraunWelches sind die Voraussetzungen, um Bitcoinlangfristig zu einem Erfolg zu machen?Bevor wir dieser Frage nachgehen, sehen wiruns zunächst Bitcoin im Zusammenhang mitder Gegenwirtschaft an.Bitcoin und die GegenwirtschaftUnter Gegenwirtschaft verstehen wir allewirtschaftlichen Aktivitäten, die nicht vomStaat reguliert, besteuert und kontrolliertwerden. In ihrer einfachsten Form findetman sie bei einem Limonadenstand auf derStraße, der ohne Lizenz arbeitet; man kannsie bei einem Tante-Emma-Laden beobachten,der einen Teil seiner Umsätze außerhalbder Bücher laufen lässt, um Steuern zu sparen;in ihrer dunklen Extremform besteht sie auskomplett abgeschotteten Marktplätzen im Internet,auf denen man illegale Dinge wie Drogenkaufen kann (etwa bei Silk Road).Die Größe der Gegenwirtschaft ist nicht zuunterschätzen: zählt man alle Schwarzmärkteder Welt zusammen, so kommt man auf einMarktvolumen von rund 10 Billionen Dollar– nur die Wirtschaft der USA ist größer. Invielen Ländern umfasst sie große Teile derVolkswirtschaft, oft wächst sie schneller alsdas offizielle Bruttoinlandsprodukt.Der Begriff Gegenwirtschaft in einer speziellerenBedeutung wird auch vom Krypto-58


SCHWERPUNKTAnarchismus (siehe Artikel auf Seite 69) undvom Agorismus verwendet. Der Agorismus istein revolutionärer Markt-Anarchismus. In einermarktanarchistischen Gesellschaft wärenauch für Justiz und Sicherheit Marktteilnehmerund nicht staatliche Institutionen verantwortlich.Agoristen sind der Ansicht, dasseine solche Situation nicht durch politischeReformen entstehen kann, sehr wohl aber alsdas Resultat von Marktprozessen.Welche Rolle spielt Bitcoin nun in diesem Zusammenhang?Eine freie Gesellschaft brauchtfreie Märkte und freie Märkte brauchenstabiles Geld. Bitcoin hat als Geld gute Eigentschaften:es ist pseudonym, es gibt keine„eingefrorenen Konten“ und keine Rückbuchungen(ein großes Problem für Händler, dieKreditkarten akzeptieren), Überweisungenper Bitcoin sind schnell und kostengünstig.Bitcoin bietet gegenüber einer Tausch- oderBargeldwirtschaft viele Vorteile, und Überweisungensind für entwickelte Wirtschaftssystemeunverzichtbar, zumindest für denZahlungsverkehr zwischen Unternehmen.Was benötigt Bitcoin, um auf Dauer erfolgreichzu sein? In aller Kürze: keinen Staat, keineBanken und ein funktionierendes Over-the-Counter-System. Hier meine drei Hypothesenin voll ausformulierter Form:1. Die Bitcoin-Community sollte keinen legalenStatus für Bitcoin anstreben und möglicheKonflikte nicht vom Staat regeln lassen.2. Die Bitcoin-Community sollte nicht anstreben,dass Bitcoin mit dem traditionellenBankensystem kompatibel wird.3. Überall verfügbare Over-the-Counter-Anbieterfür Bitcoins sind ausschlaggebend fürden langfristigen Erfolg von Bitcoin.Lassen Sie mich diese Hypothesen erklären.Die Public-Choice-Theorie besagt, dass dieMenschen nach ihren Eigeninteressen handeln– etwas, das der gesunde Menschenverstandbestätigt. Dies schließt Politiker, Banker undPolizisten ein. Es ist sehr wichtig, sich dieseeinfache Wahrheit vor Augen zu halten: alleMenschen tun, was in ihrem eigenen Interesseliegt. Man kann nicht davon ausgehen, dassdiese mit unseren Interessen übereinstimmen.In den meisten Fällen tun sie dies nicht.Es gibt keine Menschen, die „für das Gemeinwohlarbeiten“. Selbst Menschen, die scheinbarselbstlos anderen helfen, tun dies tatsächlich,um in Übereinstimmung mit ihrem eigenen(oft religiösen) Wertesystem zu leben.Bitcoin braucht keinen StaatDer Staat ist ein regionales Gewaltmonopol,das Ressourcen (normalerweise Geld) aus seinenBürgern presst. Diese nutzt er hauptsächlich,um sich selbst, seine Kriege und seinenÜberwachungsapparat zu finanzieren. DenRest nutzt er, um Dienstleistungen für seineBürger bereitzustellen, die von einem freienMarkt besser und billiger angeboten werdenkönnten. Diese Dienstleistungen werden benutzt,um die Existenz des Staates zu rechtfertigen,doch der wirkliche Grund dafür ist dasleichte Geld, dass die Machthaber durch denStaat bekommen können.Dieses Geld wird den produktiven Bürgernauf zweierlei Weise weggenommen: einerseitsdurch direkte Besteuerung, andererseits durchdas Staatsmonopol auf die Geldversorgung– durch Inflation nimmt die Kaufkraft desungedecken Staatsgeldes ständig ab. Dabei istdie zweitgenannte Methode effektiver, weil sie59


SCHWERPUNKTvon der unwissenden Masse viel schwerer zudurchschauen ist.Die Eigeninteressen der vom Staat Profitierenden,die Schlussfolgerungen aus der Public-Choice-Theorieund die EigenschaftenBitcoins bilden zusammen das Potenzial füreine Menge Ärger. Bitcoin verhindert Inflation,denn es gibt keine Inflation im Bitcoin-System, sobald alle Münzen geschürft sind.Bitcoin erleichert Steuerumgehung, denn esist kaum zu regulieren und zu kontrollieren.Bitcoin ist somit lebensbedrohlich für denStaat, denn es zielt direkt auf die Wurzel seinerFinanzierung.Daraus folgt, dass der Staat Bitcoin mit allenMitteln bekämpfen wird, sobald seine Vertretersich der Gefährdung ihrer Interessendurch Bitcoin bewusst werden.Nach meiner Ansicht ist es absolut lächerlichzu glauben, dass der Staat Bitcoin begeistertannehmen wird. Das wahrscheinlichste Szenarioist es, dass der Staat versuchen wird, Bitcoinkomplett außer Betrieb zu setzen. Wenndies nicht möglich ist – und seine dezentraleNatur macht es in der Tat schwierig – wird erBitcoin so verändern wollen, dass es Regulierungenzur Identifizierung der Nutzer („Knowyour Customer“) ermöglicht.Warten wir mal die Diskussionen in der Bitcoin-Communityab, wenn der Staat mehrund mehr Bitcoin-Tauschbörsen und -Unternehmenin die Knie zwingt. Akteure wie dieBitcoin Foundation werden dann versuchen,die Situation in Ordnung zu bringen, indemsie mit staatlichen Stellen zusammenarbeitenum Bitcoin an die Vorschriften anzupassen.Die Gegenwirrschaft floriert60


SCHWERPUNKTDie Bitcoin-Community sollte es daher garnicht erst versuchen, einen legalen Status zu erreichenund den Staat nicht nutzen, um Konflikteinnerhalb der Community zu schlichten.Dies würde nur ungewollte Aufmerksamkeitauf das Bitcoin-Ökosystem lenken. Die Eigeninteressender Staatsvertreter stehen einerLegalität und Regulierung Bitcoins in seineraktuellen Form diametral entgegen.Bitcoin braucht keine BankenBanken sind die Hauptprofiteure des Teildeckungssystems:sie können sich für geringeZinsen Geld von der Zentralbank leihen undfür jeden bei der Zentralbank geliehenen Euro50 Euro an Krediten vergeben und dafür Zinsenkassieren. Sie operieren in einer der amstärksten vom Staat regulierten Branche, washohe Markteintrittsbarrieren und damit einegeringere Konkurrenz bedeutet. Dies führt zuhohen Profiten, zum Beispiel durch Transaktions-und Kreditkartengebühren.Finanzdienstleister wie PayPal, Western Unionoder Money Gram verlangen ebenfallshohe Gebühren, weil die regulatorischenHürden die Konkurrenz reduzieren und hoheKosten verursachen. Ihre wichtigsten Kundensind Arbeitnehmer aus dem Ausland, dieGeld nach Hause schicken und von denen siehorrende Gebühren verlangen, die wie eineExtrasteuer für Arme wirken.Bitcoin bedroht ihr Geschäftsmodell undstellt für sie ein Risiko dar. Daher werden Bitcoin-Tauschbörsenvon mit ihnen im Wettbewerbstehenden Finanzinstituten angegriffenwerden. Ein erfolgreiches Bitcoin-Systemläuft den Eigeninteressen der etablierten Finanzbranchezuwider. Es ergibt für sie keinenAus der Geschichte lernen:der Fall E-GoldDer Fall E-Gold lehrt uns eine wichtigeLektion der Kategorie „Wer sich nichtan die Vergangenheit erinnert, ist verdammt,sie zu wiederholen“ (GeorgeSantayana). E-Gold war eine digitale,goldgedeckte Währung, die von 1996bis 2009 existierte und es ermöglichte,Eigentumsrechte an Gold elektronischzu übertragen. 2008 verzeichnete dasUnternehmen über fünf Millionen registrierteNutzer. Um E-Gold war einflorierendes Ökosystem entstanden.Doch schließlich wurden die Händlerattackiert und gezwungen, den Handeleinzustellen, angeblich wegen Verstößengegen Regulierungsvorschriften.Die Firma E-Gold wurde wegen Geldwäscheund Betrieb eines unlizensiertenFinanzgeschäftes angeklagt. Dies geschah,obwohl E-Gold vorher versuchthatte, eine solche Lizenz zu erhaltenund zur Antwort bekam, dies sei nichtnotwendig. Klingt dies nicht sehr nachder Situation von Bitcoin heute?Dieses Spiel wird manipuliert, Freunde!Man kann es nicht gewinnen, wennman sich an die Regeln hält!61


SCHWERPUNKTSinn, sich langfristig mit den regulatorischenHerausforderungen auseinanderzusetzen, diedurch Bitcoin entstehen.Wenn die Bitcoin-Wirtschaft sich in Abhängigkeitvom traditionellen Bankensystembringt, wird sie scheitern. Stellen Sie sich nurvor, was passiert, wenn die Tauschbörse Mt.Gox, über die zur Zeit rund 80 Prozent allerBitcoin-Tauschgeschäfte laufen, plötzlichschließen müsste. Diese Überlegungen bestätigenmeine zweite Hypothese: dass die Bitcoin-Communitysich nicht darum bemühensollte, Bitcoin mit dem herkömmlichen Bankensystemkompatibel zu machen.Bitcoin braucht OTC-HändlerWir haben nachgewiesen, dass wegen derdifferierenden Eigeninteressen sowohl derStaat als auch der traditionelle Finanzsektornatürliche Gegner für den Bitcoin sind. Umseine langfristige Stabilität und seinen dauerhaftenErfolg zu sichern, brauchen wir daherein komplett eigenständiges Tauschnetzwerk,und zwar ein Netzwerk von Over-the-Counter(OTC)-Händlern.Von einem OTC-Tausch spricht man, wennsich zwei Menschen an einem realen Ort treffenund Bitcoins gegen Bargeld, Gold oderSilber tauschen. OTC bedeutet, dass das Bargeldnicht per Post oder per Banküberweisunggeschickt wird. Ein weitverbreitetes Netzwerkvon OTC-Händlern ist am widerstandsfähigstengegen staatliche Angriffe, weil es starkdezentralisiert ist und das klassische Bankensystemkomplett umgeht.Meiner Ansicht nach ist eine möglichst umfassendeVerfügbarkeit von OTC-Bitcoin-Händlerndas A und O für den langfristigen Erfolgvon Bitcoin und den dadurch möglichen Zugewinnan Freiheit.Wer an praktischen Tipps interessiert ist, wieman Bitcoin-OTC-Handel betreibt, kannsich meinen Guide Secure and professionalBitcoin OTC exchanges (in englischer Sprache)auf www.blink.li kostenlos herunterladen. Frank Braun ist Software-Entwicklerund schreibt für das Online-Magazinshadowlife.cc.62


KUNSTPAUSEDavid Nakamoto(nicht verwandt mit Satoshi) malt digitale Bilder, die er für Bitcoins verkauft.Das Werk Love, Gold & Cryptocode (siehe folgende Doppelseite) hat erextra für BLINK angefertigt. Goldsponsoren erhalten es als Teil ihres Pakets,alle anderen können es hier erwerben: www.blink.li/david_nakamoto/lgc63


Logo der Wahlalternative 2013„Ein Staatsbankrott ist unangenehm,aber keine Katastrophe“Interview mit Prof. Bernd Lucke, dem Sprecherder Wahlalternative 2013Herr Lucke, seit ein paar Wochen bietenSie eine Alternative für die in einem Jahranstehende Bundestagswahl. Die Wahlalternative2013 ist jedoch keine Partei. Wosoll der Wähler sein Kreuz machen?Bernd Lucke: Wir wollen mit einer Parteizusammenarbeiten, vermutlich mit den FreienWählern. Viele von uns haben lange Bindungenan eine der etablierten Parteien hintersich und finden, dass man Parteien nichtwechseln sollte wie das tägliche Hemd. Vielefühlen sich ja auch den Grundsätzen ihrer altenParteien noch verpflichtet, nur dass sie dasGefühl haben, die Partei habe diese Grundsätzeaufgegeben. Deshalb ist es sinnvoll, eineInitiative zu schaffen, in der man sich als Parteiloserengagieren kann.Sie sind also wirklich der Meinung, dassmit den Freien Wählern eine Alternativezu CDU, SPD, FDP & Co. existiert? Die66


POLITIKFreien Wähler gibt es ja nicht erst seitgestern, warum waren sie das also nichtschon früher?Haben Sie jemals bei einer Bundestagswahl dieFreien Wähler auf dem Wahlzettel gesehen?Die Freien Wähler gibt es zwar schon lange alslose zusammenhängende, kommunalpolitischaktive Gruppen. Aber eine bundesweite Parteientsteht erst seit kurzem. Diese Partei wächstvon den Graswurzeln her. Das geschieht ähnlichwie bei den Grünen, die in den 1970erJahren aus vielen kleinen Initiativen zusammenwuchsen.Und angesichts des Versagensund der Gesichtslosigkeit der Regierungsparteienist es doch sehr erfreulich, dass eineKraft mit bürgerlicher Prägung entsteht.Auf Ihrer Webseite bieten Sie gezieltArgumente für Ex-SPD/Grünen-Wählersowie für Ex-Unions/FDP-Wähler an.Letzteren wollen Sie eine neue „politischeZuflucht“ bieten, für die ersteren diewahre „linke Politik“ machen. Wie soll dasdenn zusammenpassen?Wir setzen uns nicht für rechte oder linkePolitik ein, sondern schlicht für die sachlichrichtige. Das mag abgedroschen klingen, deshalbhier die Konkretion: Wir sind für eineEntschuldung der insolventen Staaten. Dasist nicht links oder rechts, das ist die Anerkennungdes Faktischen: Wer pleite ist, kannnicht mehr zahlen.Zweitens wollen wir, dass die Kosten der Entschuldungvorrangig von den Privatgläubigerngetragen werden, die ja aus freien Stücken dasRisiko eingegangen sind. Das ist auch wederlinks noch rechts, sondern schlicht die korrektemarktwirtschaftliche Lösung. Aber weres gewohnt ist, in Klassengegensätzen zu denken,kann das natürlich links interpretieren:Der Klassenkampf zwischen armen Griechenund kapitalistischen Banken wird zugunstender Griechen gelöst. Meinetwegen.Mir geht es um die Sache, nicht um die Interpretation.Aber ich habe mir erlaubt, daraufhinzuweisen, dass man die gegenwärtigePolitik, die von SPD und Grünen unterstütztwird, definitiv nicht links interpretieren kann.Denn da dürfen die Banken ihre Risiken aufden Steuerzahler abwälzen und die Griechenverbleiben in der Schuldknechtschaft.Inhaltlich distanziert sich die Wahlalternative2013 von den im Bundestag vertretenenParteien vor allem durch eine andereEuro-Politik: Statt ESM eine flexibleWährungsunion ohne Schuldentransfer.Wie stellen Sie sich das vor?Wollen Sie das nicht lieber Theo Waigel undHelmut Kohl fragen? Wir wollen genau das,was die uns damals versprochen haben: KeinStaat haftet für die Schulden anderer Staaten.Warum soll denn das nicht gehen? Staatsbankrottesind in der Wirtschaftsgeschichte immerwieder vorgekommen, auch kürzlich und inEuropa: In Russland z. B., in der Ukraineund in Moldawien. Das ist unangenehm, aberkeine Katastrophe. Zumal es durchaus Wegegibt, das geordnet durchzuführen, also einenKollaps des Finanzsystems zu verhindern.Und was bedeutet das konkret fürDeutschland? Zurück zur D-Mark?Nein. Wenn es nur um die Staatsschuldenkriseginge, wäre es noch nicht einmal zwingend,dass der bankrotte Staat aus dem Euro ausscheidet.Das eigentliche Euro-Problem liegtin der Wettbewerbsfähigkeit des Privatsektors67


dieser Staaten begründet. Wenn die Privatwirtschaftmit dem Euro klarkommt, wie dasin Irland vielleicht der Fall ist, dann brauchtman keine neue Währung. Aber die meistenMittelmehrstaaten kommen eben nicht mitdem Euro klar. Dann sollte man ihnen dieMöglichkeit zum Ausscheiden geben.Bei welchen anderen Themenwill die WA2013eine echte Alternativesein? Politische Baustellengibt es jagenug…Wir sind keine Politiker,die auf alleseine Antwort zuhaben glauben. Wirhaben ein Thema,das wir für so wichtighalten, dass wir unsdafür engagieren wollen– trotz meist hoher zeitlicherBelastung durch unsere Berufe.Wir müssen nicht gleichzeitig noch einenKampf für eine schwachsinnige Mehrwertsteuerbefreiungfür Hoteliers führen oder unsdafür ins Zeug legen, dass im Internet nur jakeine kinderpornographischen Seiten gesperrtwerden oder dass die Daten von Steuerhinterziehernbei Schweizer Banken geschützt bleibenoder was sonst unseren politischen Gegnerneben am Herzen liegt.Für uns ist die Euro-Rettungspolitik vordringlich,Punkt. Dazu wird unser Parteipartnerwahrscheinlich noch zwei oder drei Kernthemenbenennen, Bildung, Energie oder Wirtschaftvielleicht. Aber das ist es dann auch.Sie haben ja eine sehr beeindruckendeErstzeichner-Listez u s a m m e n b e k o m -men. Wie soll sichdie Wahlalternative2013 beiall diesen politischenundwir tschaf t-lichen „Alphatieren“z u k ü n f t i gnach innenorganisieren?Bislang ist mirbei uns noch keinAlphatier störend aufgefallen.Aber wenn wirwelche hätten, fände ich das eigentlichganz erfrischend. In CDU, CSU undFDP scheint mir die Rasse nämlich ausgestorbenzu sein. Bernd Lucke ist Professor für Volkswirtschaftslehrean der UniversitätHamburg und einer der Gründer derWahlalternative 2013. Das Interviewführte Felix Strüning von Citizen Times(www.citizentimes.eu)68


Ist Anarchie machbar?Eine Einführung in die Krypto-Anarchie– von Jonathan Logan„Ein Gespenst geht um in der modernenWelt, das Gespenst der Krypto-Anarchie!“Mit diesen kühnen Worten beginnt das Krypto-Anarchistische-Manifest,einer der bekannterenunter den Texten, die Cyberpunks,Krypto-Anarchisten und andere Bewohnerunbekannter Ecken der digitalen Welt inspirierten.Als es vor über zwanzig Jahren vonTimothy May geschrieben wurde, sagte diesersehr präzise voraus, was tatsächlich kommenwürde – auch wenn sich die Dinge nicht ganzso schnell und einfach entwickelten wie damalserwartet.Heute ist die Krypto-Anarchie jedenfalls da,und sie könnte unsere Art zu leben für immerverändern. Der Begriff Krypto-Anarchiesteht für die Verwirklichung des Anarcho-Kapitalismus durch die Benutzung kryptografischerVerfahren. Deren Verwendung indigitalen Netzwerken wie dem Internet wirdeine fundamentale Veränderung unserer sozialen,wirtschaftlichen und politischen Beziehungenbewirken.Voraussetzung für Krypto-Anarchie ist eineTechnologie, die echte Anonymität ermöglicht.Durch die Verwendung von Werkzeugenwie TOR, I2P oder eine Vielzahl von anderenVPN-Anonymisierungsdiensten kannheute jeder seine wahre Identität vollständigvon seinen Aktivitäten im Netz entkoppeln.69


POLITIKDiese Anonymität ist einer der Eckpfeiler derKrypto-Anarchie. Ohne eine rückverfolgbarelegalisierte Identität lösen sich Strafverfolgungund Zwangsandrohungen in nichts auf.Die Androhung physischer Gewalt, auf diesich jede bekannte Regierung und eine Großzahlvon Kriminellen stützen, verliert seineMacht. Mit der Anonymität ist kein Gesetzmehr verpflichtend und kein Vertrag mehrbindend, es sei denn, die beteiligten Parteienhätten sich selbstbestimmt und freiwillig aufandere Möglichkeiten geeinigt, wie man Verbindlichkeitgewährleisten möchte.Es gibt verschiedene Methoden alternativerVerbindlichkeit, von denen die meisten aufdigitalen Signaturen gründen. Mit ihrer Hilfekönnen Pseudonyme geschaffen werden dielangfristige Reputation aufbauen könnenoder Treuhandsysteme, die Vertrauen beikommerziellen Transaktionen vermitteln.Digitale Netzwerke, Anonymisierung unddigitale Signaturen – diese drei Technologiensind bereits ausreichend, um eine vollständigneue Welt zu erschaffen: Cipherspace, eineautonome Zone, in der Krypto-Anarchie verwirklichtist und Regierungen nichts zu bestimmenhaben.Normalerweise kommt man beim Surfenim Internet nicht in Kontakt mit dem Cipherspace,weil sich die Mehrheit der kryptoanarchistischenAktivitäten auf die Nutzungsogenannter Darknets beschränkt. Das sindüberlagerte Netzwerke, die das Internet alsTräger und Transportmittel benutzen, zu denenman aber nur mit Hilfe spezieller SoftwareZugang bekommt, bei der alle Teilnehmeranonym sind –wie zum Beispiel die schonerwähnten VPN-Werkzeuge.Der Cipherspace ist der Raum in dem Krypto-Anarchistenkommunizieren und Geschäfteabwickeln, Bündnisse schmieden undKontakte knüpfen. Hier kann man Plätzewie „#agora“ finden, die im Cipherspace dasÄquivalent zur Eckkneipe sind. Dort treffensich Krypto-Anarchisten, um zusammen anProjekten zu arbeiten, neues Großartiges zuersinnen oder auch einfach nur abzuhängen.Man wird auch eine Seidenstraße finden, dieSilk Road, wo Leute aus aller Welt hauptsächlichillegale Dinge kaufen und verkaufen undum die ganze Welt versenden – mit einemgeschätzten Monatsumsatz von mehrerenMillionen Euro. Die angesagte Währung imCipherspace ist natürlich nicht der Euro, sondernder Bitcoin. Diese dezentralisierte, vonHerausgabestellen unabhängige Währungmit täglichen Transaktionen im Wert von 12Millionen Euro gründet ausschließlich aufKryptografie – das heißt: auf Mathematik.Die angebliche Anonymität eines „SchweizerNummernkontos“ ist durch den Bitcoin imCipherspace real geworden. Wenn Sie überBitcoins im Cipherspace verfügen, ist ihreLiquidität gesichert und ihre Identität einfachzu schützen. Transaktionen benötigenkeinen Namen, der mit ihnen verbunden ist,oder eine Bank, die diese autorisiert, odergar einen inflationshungrigen Staat, der dasGeld herausgibt. Tausende Produkte undDienstleistungen sind bereits gegen Bitcoinserhältlich: von Büchern bis zu Kaffee, von Bilanzierungs-und Internetdiensten, bis hin zuleckeren Hamburgern.Die Gefahr des virtuellen Identitätsdiebstahlsgeht mit digitalen Währungen wie Bitcoinsgegen Null, einfach weil diese gar keine Identitätenbeinhalten, die zu stehlen wären.70


POLITIKAber die Krypto-Anarchie ist nicht allein aufden Cipherspace beschränkt. In den letztenJahren begannen Krypto-Anarchisten Partnerschaftenmit Aktivisten der Counter-Economyeinzugehen. Diese beziehen sich auf denAgorismus, ein libertäres Konzept der Unterwanderungder Wirtschaft oder wenigstensihrer Befreiung aus dem Griff des Staates.Geschäfte werden hier jenseits der überreguliertenund ausgetrampelten Pfade getätigt,die an Wirtschaftsschulen gelehrt werden.Auch schufen sie zusammen mit Hackern undTüftlern ein Netzwerk, wo es Orte gibt, andenen Menschen mit neuen Technologienexperimentieren, lernen oder neue Produkteentwicklen können. Bis heute sind mehr alstausend solcher Orte von Downtown SanFrancisco bis in die Vororte Bratislavas entstanden.Man kann hier mit Fug und Rechtvon einer Bewegung reden.Einige werden Krypto-Anarchie als ein reindigitales Phänomen missverstehen, das keinenoder wenig Einfluss auf unser physisches Lebenhat. Schließlich kann man Bits und Bytesnicht essen und auch unsere Körper befindensich immer noch in einer physischen Welt.Doch das ist eine Welt, die auch Polizisten,Soldaten und Gefängnisse für uns bereithält.Dies übersieht aber grundlegende technischeEntwicklungen, die im 21. Jahrhundert langsamaber sicher Wirklichkeit wurden. DieKrypto-Anarchie verbindet sich rückwirkendmit ihrem Vorgänger, der Techno-Anarchie– der Gebrauch von Technik im Allgemeinenum Anarchie zu verwirklichen.In den letzten Jahren begannen Aktivisten ausder ganzen Welt mit autonomen Drohnen zurphysischen Warenzustellung zu experimentieren,die, unabhängig von staatlich kontrollierbarenMail-Systemen, die Verfolgung der Betreiberverhindern. Zugleich haben 3D-Druckund die automatisierte Mikro-Landwirtschaftneue Möglichkeiten für kleine, mobile undunabhängige Produktionseinheiten geschaffen.Diese ebnen den Weg für tragfähigeGemeinschaften, die jede Verbindung zurherkömmlichen Wirtschaft kappen und sichzum ihre Schusswaffen zur Selbstverteidigungselbst per 3D-Drucker herstellen.Anonymisierte Kommunikation, Pseudonymeauf der Grundlage digitaler Signaturen,anonymes Geld, der Cipherspace mit seinenautonomen Zonen – dies sind umwälzendeTechnologien die man nicht ungeschehenmachen kann. Sie sind hier und werden hierbleiben. Und sie haben das Potential, unserLeben zu veränden.Was passiert, wenn mehr Leute entdecken,dass es eine Wirtschaft gibt, in der sie einerealistische Chance haben, Geschäftsideenzu verwirklichen ohne den ganzen Papierkram,der heute das Unternehmertum in entwickeltenLändern behindert? Was passiert,wenn Menschen ihre Geschäfte und ihr sozialesLeben an Orten gestalten können, wodie einzigen Gesetze diejenigen sind, die siefür sich selbst gewählt haben? Wie verändertes die Art, uns politisch zu organisieren, wennprofitorientierte Steuern nicht mehr erhobenwerden können?Bedingt durch die Verfügbarkeit der Technik,angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzenund der steigenden Unzufriedenheitmit den politischen Strukturen entdeckenheute mehr und mehr Menschen die Krypto-Anarchie.Nicht als Ideologie, sondernals kluge Wahl für ihr eigenes Leben. Krypto-Anarchieist weniger eine Zukunftsvision71


SCHWERPUNKTdenn reale Gegenwart geworden, ein Unruhestiftender Game Changer, wie die Erfindungdes Buchdrucks oder des Schießpulvers.Es sei denn, Regierungen und andere Interessengruppenversuchen, den Geist in dieFlasche zurückzubekommen. In seinem TextCiphernomicon, bezieht sich Timothy May(der auch das Krypto-Anarchistische Manifestverfasste) auf die „große Entscheidung“:die Wahl, die Gesellschaften angesichts vonAnonymisierungstechnologien treffen müssen:Entweder lassen sie solche Technologienin Ruhe (und riskieren damit eine unumkehrbareVeränderung von Politik und Gesellschaft)oder sie benutzen totalitäre Macht, umrückwirkend eine Technologie zu kontrollieren,die längst breit gestreut verfügbar ist.Diese Richtungsentscheidungen sind in denletzten Jahren in der Internetpolitik klar zuTage getreten. Gesetze mit bisher unvorstellbarerReichweite wie die Vorratsdatenspeicherungoder ACTA sind vorgeschlagen undsogar eingeführt worden. Internet-Kollektivewie Anonymous greifen VISA an, Hacker-Brigadender CIA oder NSA greifen angeblichden Iran an, Exportbeschränkungen für Unruhestiftende Technologien sind eingeführt,radikale Änderungen am Flugrecht sind vorgenommenworden. All dies sind kleine Wellen,die einen großen Sturm ankündigen.Zwei grundsätzlich mögliche Entwicklungenstehen uns bevor:1. Die Technik wird die Institutionen und Regelnder letzten Generation verstärken. Privatsphäre,Anonymität, autonome Drohnen undunabhängiges Geld werden nur für diejenigen,die an den Schaltstellen der Macht sitzen, verfügbarsein.2. Die Technik wird alle diejenigen erstarkenlassen, die bereit sind zu lernen und sich diesezu erschließen, auch unter dem Risiko, dassdie alten Insitutionen und Lebensweisen damitlangsam zu Geschichte werden.Die einzige Alternative zu diesen beidenMöglichkeiten scheint ein kontinuierlicherKampf zwischen den alten Systemen undneuen Gruppen wie den Krypto-Anarchistenzu sein. Und dieser Kampf wird womöglichan Schärfe gewinnen. Letztlich hört sich dasaber nicht nach einer akzeptablen Lösung an– zu einer Zeit, in der die Technik den individuellenMenschen mit so machtvollen Möglichkeitenausstattet wie nie zuvor. Krypto-Anarchie mag eine gewisse Unwägbarkeit mitsich bringen, doch eine Welt, in der kryptoanarchistischeTechnologien für den Einzelnenverboten sind und von totalitären Staatenaggressiv monopolisiert werden, ist genau dieunterdrückende Herrschaft, der viele von unsvor gar nicht so vielen Jahren entkamen.Die Bewohner des Cipherspace experimentierenmit neuen Wegen, Recht zu schaffen unddurchzusetzen, sich gegenseitig zu helfen undsich miteinander zu entwicklen. Sie verbindensich aufgrund ihrer gemeinsamer Mentalitätoder Spiritualität und ersetzen mit diesen„neuen Nationen“ die Zwangsgemeinschaften,die sich aufgrund zufälliger Gegebenheitenwie Geburt oder geografischer Herkunft gebildethaben. Sie nennen sich Nations of Mindoder Crypto Tribes, sind weder von „Blut undBoden“ noch von „Fleisch und Stahl“ geprägt– und sie stehen für die Zukunft, in die wiruns bewegen.Jonathan Logan ist Software-Entwicklerund Mitinhaber der IT-SicherheitsfirmaCryptohippie mit Sitz in Panama.72


Impressum<strong>Blink</strong> c/o Berlin Manhattan InstitutStubenrauchstraße 10, 12161 BerlinHerausgeber und Chefredakteure:Daniel Fallenstein / Aaron Koenig (V.i.s.d.P.)Redaktionelle Mitarbeit:J.F. Gallas, Norbert Klinke, Andreas Pokladek,Alexander MengdenSchlussredaktion:Marie Helena Harder, Elisabeth BeckerAutoren dieser Ausgabe: Erik Voorhees,Torsten Polleit, Joerg Platzer, Mike Hearn,Dominic Frisby, Rick Falkvinge, Oscar FonsecaGomes, Juraj Bednar, Frank Braun,Jonathan Logan, Steffen KrugArt Director: Jordi PalauBildnachweisS. 5: Anke PetersS. 6, 10: PcChipS. 8: CasasciusS. 9: Bitcoin ConferenceS. 12: Romero/Palacio/WalkerS. 16: ZX1WitchS. 20: Bitfilm FestivalS. 23: RosinoS. 26, 27: Anke Peters, J.F. GallasS. 36: Bitfilm Networks GmbHS. 38: Max MinS. 40-43: Dominic Frisby, Pola GruszkaS. 48: Adam JonesS. 56: Fraser Institutealle anderen: Wiki Commons


Heute das kleine Schwarze!Zwei Privatsphäristen über ihre Maskierung<strong>Blink</strong>: Wir sind hier in London auf derBitcoin-Konferenz, und ihr habt viel Aufmerksamkeiterregt, weil ihr maskiert herumlauft.Warum tragt ihr diese Masken?Privatsphärist A: Aus Selbstschutz und alsStatement. Selbstschutz gegen die immerstärker werdende Überwachung jedes Einzelnendurch Kameras und Gesichtserkennung.Momentan werden weltweit Methoden entwickeltum große Netzwerke von Kamerasfür biometrisches Tracking zu benutzen undVerknüpfungen mit zusätzlichen Sensorenund Datenquellen zu erstellen. Für Gegnerdieser Maßnahmen gibt es nur vier Möglichkeiten:Der demokratische Prozess, Sachbeschädigung,Selbstaufgabe oder Selbstschutz.Da ich meinen Willen anderen Menschennicht aufzwingen will, ist weder Politik nochSachbeschädigung eine Option für mich. AlsPrivatsphären-Extremist ist Selbstaufgabeausgeschlossen – Individualität, Freiheit undSelbstentfaltung, die auf Privatsphäe beruhen,sind zu wichtig. Daher bleibt nur der Selbstschutz– in diesem Falle die Maskierung – umdie Datensammlung zu behindern, zu verfälschenoder ihr sogar partiell zu entgehen. Esist also eine selbst auferlegte Methode, umDatensparsamkeit zu fördern.Privatsphärist B: Meiner Meinung nach istPrivatsphäre eine notwendige Vorraussetzungfür Freiheit. Und genau wie Freiheit wirdeinem Privatsphäre nicht gegeben, sondernMurray N. Rothbard:Ohne „Mascherl kaum vorstellbar74


STILman muss sie sich nehmen und immer verteidigen.Zeiten extremer Überwachung erfordernleider extreme Gegenmaßnahmen. Deswegenbin ich zum Privacy Exremist gewordenund trage eine Maske in der Öffentlichkeit.A: Privatheit bedeutet für mich daher auchwählen zu dürfen, unter wessen Beobachtung,Beurteilung und soziale Erinnerung ich michstelle – und wen ich aus nicht-flüchtigen Begegnungenausschließen möchte. Das ist keinenegative Ausgestaltung von Beziehungen– ganz im Gegenteil. Es eröffnet mir neueMöglichkeiten besondere Beziehungen, Wertschätzungund Offenheit selektiv zu betonenund von der Masse zu trennen – und damitsowohl mich selbst als auch mein Gegenüberaus der Massengesellschaft herauszuheben.Auch wenn ich kein Anhänger von Ayn Randbin, so zitiere ich sie gerne, wenn sie sagt: „Zivilisierungist die Entwicklung zu einer Gesellschaftder Privatheit. Die gesamte Existenzdes ‚Barbaren‘ ist öffentlich, beherrscht vonden Gesetzen seines Stammes. Zivilisierungist der Prozess der Befreiung des Menschenvom Menschen.“Welche Arten von Masken bevorzugt ihr?B: Bisher habe ich ganz gute Erfahrungen mitOP-Masken gemacht. Die sind sehr günstig,lassen sich lange bequem tragen und mankann auch mal eine an Interessierte verschenken.A: Ich bevorzuge so genannte Schlauchtücher.Sie sind einfach zu benutzen, einfach zu waschen,man kann sehr gut durch sie atmenund man kann sie sehr schnell auf- und absetzen.Dazu noch eine gute Sonnenbrille unddie Maskierung ist vollständig!Worauf muss man bei Masken achten?B: In erster Linie auf den Komfort und dasseinem das Design gefällt.A: Eine Maske mit Nasenbügel ist insbesonderefür Brillenträger vorteilhaft, auch wennman eine Sonnenbrille als zusätzlichen Schutztragen möchte. Ansonsten sind Masken auchimmer eine individualistische Aussage, alsosollte man sich selbst Gedanken machen undeinen eigenen Stil entwickeln.<strong>Blink</strong>: Wo kauft ihr eure Masken?A: Im Motorrad- oder Outdoorshop.B: Meistens bestelle ich mir die Masken imInternet, dort gibt es die größte Auswahl anunterschiedlichen Modellen.Was müsste geschehen, damit ihr dieMasken abnehmt?B: Die Kameraüberwachung des öffentlichenRaums müsste abgeschafft werden.Auf Konferenzen wie der Bitcoin-Konferenzmüsste eine No-Photo-Policy eingeführt unddurchgesetzt werden. Aber da wir natürlichniemanden dazu zwingen können und wollen,werden wir wohl noch eine Weile bei derselbstverantwortlichen Lösung des Maskentragensbleiben.A: Hier auf der Konferenz befinden sich vielzu viele Menschen, die mit Kameras bewaffnetsind, aber ich trage meine Maske z.B. nicht zuHause oder in sicherer Gesellschaft. Bei denMasken geht es ja nicht darum, sie niemalsabzunehmen, sondern die Datenmenge übersich selber zu reduzieren – also um Datensparsamkeit,nicht um Datengeiz.75


Hamburger Speicherstadt ca. 1895Aufstieg und Fall des„Ehrbaren Kaufmanns“und der Hamburger Mark Banco (Teil 2)*– von Steffen KrugHamburgs Aufstieg zur größtenStadt des deutschen ReichsObwohl durch den Wendischen Münzvereindie Hamburgischen Münzen einen immergrößer werdenden Geltungsbereich erlangten,stand Hamburg im 15. Jahrhundert immernoch deutlich im Schatten von Lübeck. Dasänderte sich im 16. Jahrhundert mit demVerfall der Hanse und der Verlagerung derHandelswege in Richtung Amerika. Vorallem aber bescherten die vor der spanischenGegenreformation fliehendenden Niederländerund sephardischen Juden Hamburgeinen bemerkenswerten Aufschwung. Unterden Glaubensflüchtlingen waren nicht nurHandwerker, sondern auch sehr viele reicheKaufleute, die ihr Geld und ihre weltweitenGeschäftsverbindungen mitbrachten.Die Hamburgische Kaufmannschaft gründete1558 die Börse und 1567 wurde den englischenKaufleuten (den Merchant Adventurers)erstmalig genehmigt, eine Niederlassungeinzurichten. Im Jahr 1583 wurde dann dasvon einem holländischen Baumeister entworfeneBörsengebäude neben dem Rathaus fertiggestellt,wobei das Geld von der vornehmlichaus Niederländern bestehenden Gilde derGewandschneider kam.76*Teil 1 erschien in BLINK Nr. 02


GESCHICHTEBereits im Jahr 1600 war Hamburg mit mehrals 40.000 Einwohnern die größte Stadt imHeiligen Römischen Reich Deutscher Nation.Immer mehr Kaufleute waren in der Lage, sichprunkvolle Häuser und Kontore zu bauen. Abdem Jahr 1611 waren alle Straßen gepflastertund die Gelehrtenschule hatte 1.100 Schüler.1613 wurde ein akademisches Gymnasiumgegründet und ab 1616 das erste Nachrichtenblattin Hamburg verlegt - die „WöchentlicheZeitung“. Der Wohlstand war so groß,dass der Rat eine Verordnung gegen die übertriebeneKleiderpracht der Bürger und gegenunangemessen hohe Ausgaben bei Familienfestenund Begräbnissen erließ. Außerdemwurden für die Armen ein Waisen- und Pesthauserrichtet und für die Erwerbsunfähigenmehrere hundert „Gotteswohnungen“ gebaut.Das Geld für ein modernes Werk- und Zuchthauswurde nach holländischem Muster übereine Lotterie aufgebracht.Innovationen im GeldwesenIn den Anfangszeiten der Hanse war es nochder Kaufmann selbst, der sich um den Warenumlaufkümmerte. Er kaufte und verkaufte,fuhr auf eigenes Risiko zur See und setzte nebenden Waren auch immer das eigene Lebenaufs Spiel. Insbesondere war es für die HamburgerKaufleute bis ins 16. Jahrhundert außerordentlichriskant, größere Geldmengen inForm von Gold- und Silbermünzen über erheblicheEntfernungen zu transportieren. Erstdie Entwicklung der doppelten Buchführungmit Soll und Haben schafften die Grundlagenfür die Verschriftlichung und Entmaterialisierungdes Geld- und Warenverkehrs.Darauf basierend erfanden norditalienischeKaufleute zu Beginn des 15. Jahrhunderts denWechsel und Anweisungen als bargeldloseZahlmittel (Wechsel- und Giroverkehr) undgründeten die ersten städtischen Girobanken.Die Hamburger Kaufmannschaft allerdingsschloss erst im 16. Jahrhundert durch dasKnow-How der Einwanderer in den Technikender doppelten Buchführung und desRechnungswesens an den Stand der Italienerund Niederländer an.Die Schrift wurde ein unerlässliches Hilfsmittelund das Schreiben und Rechnen nahmim Tagesgeschäft des Hamburger Kaufmannseine immer größere Rolle ein, sodass mehrund mehr Kaufleute im Kontor arbeitetenund den Warentransport durch Vertreter ausführenließen.Gründung der Hamburger BankErst eine weitere Phase der exzessiven Falschmünzereidurch die Landesherren währendder „Kipper- und Wipperzeit“ veranlasste denHamburger Rat im Jahr 1619 zur Gründungeiner Girobank – der Hamburger Bank. DasZiel war die Etablierung einer stabilen Währung,um die Hamburger Kaufmannschaftgegen Schwankungen der Münzwerte undMünzverschlechterungen abzusichern.Die Mark Banco, oder auch Banco-Mark, wurdeals wertstabile Verrechnungseinheit mit einervollständigen Silberdeckung geschaffen. InGegensatz zur Courantmark wurde die MarkBanco nicht ausgeprägt. Die Kunden musstenbei der Hamburger Bank eine Einlage invollgewichtigen Reichstalern (später in Silberbarren)leisten und bekamen pro 8,33 GrammSilber eine Mark Banco gutgeschrieben. DieRechnungseinheit Mark Banco wurde nunzu allen anderen Währungen in Beziehunggesetzt. In der Banco-Währung konnten im77


GESCHICHTEGroßhandel Zahlungen durch Anweisungenauf das Konto des entsprechenden Geschäftspartnersam Ort oder im internationalen Zahlungsverkehrdurch Wechsel erfolgen.Damit entstand das erste deutsche Girosystemnach dem Vorbild der Girobanken inItalien und Amsterdam. Bei der Gründungwaren noch zwei Drittel der Inhaber der größtenBankkonten Niederländer (u.a. Amsinck,Berenberg, de Greve, Verpoorten). Die HamburgerBank entwickelte sich im 17. und 18.Jahrhundert zum zentralen Ort des kaufmännischenLebens in Hamburg. Ein Konto beider Hamburger Bank stand für Solidität undAnsehen. Daher war es das Bestreben allereuropäischen Kaufleute, die in Hamburg Geschäftetätigten, ein solches zu eröffnen.Aus Kaufleuten werden BankerBis zu Beginn des 18. Jahrhunderts finanziertendie großen hamburgischen Kaufleuteihre Unternehmungen aus Eigenkapital bzw.liehen sich das Geld untereinander. Erst in derzweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kristallisiertesich aus der Kaufmannschaft verstärktder sogenannte Merchant Banker heraus, dergleichzeitig Bankfunktionen für den Außenhandelwahrnahm. Das Hauptgeschäft desMerchant Bankers war die Finanzierung desWarenhandels durch Akzepte (Wechsel) aufBasis seines persönlichen Kredits. Der Verkäuferzog einen Wechsel für die Rechnungdes Käufers. Während der Laufzeit des Wechsels,zumeist 90 Tage, gab der Merchant Bankersein Akzept, das der Verkäufer verkaufenkonnte.Die Basis eines solchen Geschäftes war alsodas Vertrauen (und die Hoffnung) des MerchantBankers, dass der Käufer rechtzeitigDeckung in bar oder per Handelswechselschaffen konnte. Den Handelswechsel wiederumkonnte der Merchant Banker absetzen.Solange der Käufer oder seine Abnehmer solventblieben, war ein solches Transitgeschäftrisikoarm und das Wechselgeschäft war indiesen Phasen profitabler als das reine Warengeschäft.Stockte jedoch der Absatz, sodasssich kein Gegenwert für das Akzept ergab, gerietdie Wirtschaft in erhebliche Turbulenzen,weil der Gegenwert des Wechselkredits reinauf dem Vertrauen in die Bonität des Akzeptantenberuhte.Die erste europäische FinanzkriseWie verheerend die Auswirkungen der ungedecktenWechselkreditgewährung auf die realeWirtschaftsstruktur bereits damals waren,zeigt die erste große europäische Finanzkriseim Jahr 1763. Nur wenige Monate nach Endedes Siebenjährigen Krieges begann Preußenneue Münzen zu prägen und setzte damit voneinem Tag auf den anderen die alte Währungaußer Kraft. Diese Währungsabwertung wardas Epizentrum einer dann große Teile Europaserschütternden Wirtschaftskrise. Amwichtigsten Finanzplatz in Amsterdam gerieteneinige Handelshäuser, die preußischeKriegskredite finanziert hatten, in großeSchwierigkeiten. Die exzessive Wechselkreditgewährungund die daraus resultierendenWechselketten hatten in Amsterdam zu einerungedeckten Kreditgeldschöpfung geführt,die etwa das Fünfzehnfache des gedecktenBargeldumlaufs ausmachte.Die durch die preußische Währungsabwertungverursachte Vertrauenskrise in denAmsterdamer Finanzplatz ließ dann das dor-78


St. Pauli Landungsbrücken ca. 1900Darüber hinaus blühte auch das Geschäft mitungedeckten Wechselkrediten und im Zugedes globalen Booms spekulierten Bankenund Handelshäuser überall auf der Welt mitimmer risikoreicheren Wechselketten. Diedarauffolgende amerikanische Krise riss somitzwangsläufig auch die europäischen Handelspartnermit in den Abgrund. Die Welterlebte die erste globale Wirtschaftskrise. InHamburg dauerte diese Finanzkrise drei Monatelang, kein einziges Handelsunternehmenblieb davon verschont. In den Speichern stapeltensich die Waren, in den Büchern standengroßartige Gewinne auf Termin, ohnedass jedoch Geschäfte getätigt wurden, in denSchubladen der Kontore lagen die Wechsel inBündeln.Der Wechseldiskontsatz überstieg am 4.Dezember 1857 die Rekordhöhe von zehnProzent. Danach wurde seine Notierungausgesetzt. Wechsel in gedecktes Geld zu verwandeln,war unmöglich geworden. Am 10.Dezember kam es schließlich zum Bankensturmauf die Sparkasse. Die Auszahlung derGuthaben in Höhe von 70.000 Courantmarkmusste unter Polizeischutz erfolgen.Jeden Tag meldeten mehr Firmen ihren Bankrottan. Der Präses eines Hamburger Bankhausessagte: „Die grauenvolle Brandzeit vor 15Jahren war im Vergleich zu den letzten Tageneine höchst gemütliche.“ In dieser Endzeitstimmungwurde der Druck der Kaufmannschaftauf den Hamburger Rat so immens,dass dieser nach mehrfachem Zögern erstmaliggegen jahrhundertealte Ordnungsprinzipienverstieß und schließlich Österreich umHilfe für seine Kaufmannschaft bat. Am 15.Dezember trafen 13 Eisenbahnwaggons mitSilber im Wert von 10 Millionen Mark Bancoaus Wien ein. Der Ökonom Adolph Wagnerkritisierte diesen Tabubruch des HamburgerRates aufs Heftigste:. „Man mag im übrigendarüber denken wie man will, einen höchstgefährlichen Präcedenzfall wird dieses Einstehender Staatscasse für die Verluste und Sündender Einzelnen immer bleiben.“Wie aber konnte es in Hamburg zu einer solchtiefgreifenden Finanzkrise kommen, obwohles in der Hansestadt im Gegensatz zu denanderen Städten und Regionen kein Staatspapiergeldgab und die Kaufmannschaft mitder Hamburger Mark Banco über die stabilste81


GESCHICHTEWährung der Welt verfügte? Entscheidendwar, dass mit Ausbruch der Krise für jede Artvon Handelsgeschäft, wenn es nicht in Goldoder Silber abgewickelt werden konnte, plötzlichjedwedes Vertrauen fehlte. Und genau wiebereits zu Zeiten der Finanzkrise von 1763zirkulierten in den Hamburger Handelshäuserndie ungedeckten Drei-Monats-Wechselkreditemit immer höherer Umlaufgeschwindigkeitund zu immer höheren Summen.Betrug deren Umlauf im Jahre 1855 noch 162Millionen Mark Banco, so stieg dieser Wertim ersten Quartal 1857 bereits auf 225 Millionenan und machte im Herbst desselben Jahresmindestens 340 Millionen Mark Bancoaus. Angesichts dieser massiven ungedecktenWechselkreditexpansion war der Kollaps nureine Frage der Zeit und bereits im Frühjahr1857 gab es in Hamburg kritische Stimmen,die - unabhängig von den Aktienmarktspekulationenan der Wall Street – vor dem Platzendieser Wechselblase warnten.Das Ende der Hamburger Kaufmannsrepublikund des „EhrbarenKaufmanns“Glücklicherweise lehnte der Hamburger Ratdamals noch – außer der Haftung durch dieSilbersicherheiten aus Wien – weitere wirtschaftspolitischeInterventionen ab und sokonnte sich die Hamburger Wirtschaft innerhalbvon nur wenigen Monaten erholen.Bereits Mitte 1858 konnte der Kredit an Österreichzurückgezahlt werden. Der Wechseldiskontsatz,der im Jahr 1857 im Schnitt bei6,5 Prozent lag, pendelte sich bis zum Jahr1860 wieder auf knapp 2 Prozent ein. Trotzdemmarkierte die Krise von 1857 eine tiefeZäsur. Von nun an waren es vor allem nationalistischeund sozialistische Ideen, die dieklassisch-liberalen Tugenden des „EhrbarenKaufmanns“ mehr und mehr in Vergessenheitgeraten ließen. Aus den traditionell „EhrbarenHamburger Kaufleuten“ wurden zumEnde des 19. Jahrhunderts Staatssozialisten,Nationalisten und Sozialdemokraten.1867 wurde Hamburg Mitglied des von Ottovon Bismarck initiierten NorddeutschenBundes und war somit ab 1871 auch Teildes Deutschen Reiches. Otto von Bismarckbegann in Hamburg mit dem Aufbau einesMilitär- und Wohlfahrtsstaates, ließ Silberdemonetisieren und die Konten der HamburgerBank zum 15. Februar 1873 schließen.Die seit 250 Jahren stabilste Währung Europaswurde durch die zu lediglich 30 Prozentgedeckte Deutsche Reichsmark ersetzt. Mitdem Ende der Hamburger Kaufmannsrepublikund insbesondere seit der Urkatastrophedes Ersten Weltkriegs begann die politischgewollte Transformation des ursprünglichklassisch-liberalen Hamburger Rechtsstaatsmit freiem Marktgeld zu einem nationalenSozialstaat mit ungedecktem Zwangsgeld.Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird dieHamburger Kaufmannschaft mit der bereitsdritten Währungsreform innerhalb von nichteinmal hundert Jahren konfrontiert.Ohne eine Rückbesinnung auf die Erfolgsgeschichtedes klassisch-liberalen Rechtsstaatsder Hamburger Kaufmannsrepublik inklusiveseiner vollgedeckten Mark-Banco-Währungwird sich auch zukünftig am weiterenzivilisatorischen Niedergang der westlichenWelt nichts ändern. Steffen Krug ist Vermögensberaterund Leiter des Institute for AustrianAsset Management (www.iaaf.de) mitSitz in Hamburg.82


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