Jimmy Hartwig
Jimmy Hartwig
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Das alles war gemeint, wenn jemand entsetzt fragte: „Was?<br />
Du kommst aus der Kirchenallee ...!?“<br />
Es war ein seltsames Zusammenleben in dieser Siedlung.<br />
Allesamt gehörten wir nicht zur besseren Gesellschaft, alle<br />
waren wir Outsider – ein Vielvölkergemisch. Aber untereinander<br />
ließ sich doch noch etwas hermachen. Gegenüber<br />
den ganz Armen und den Zigeunern ging es uns ja noch relativ<br />
gut, waren wir sozusagen privilegiert.<br />
Es herrschte in der Kirchenallee – manchmal unterschwellig,<br />
manchmal offen – eine Hackordnung. Jeder versuchte,<br />
sich nach unten abzugrenzen, überall sagten die Eltern<br />
zu ihren Kindern, die Männer zu den Frauen: „Da<br />
kannst du doch nicht hingehen!“ Überall war Futterneid zu<br />
spüren, keiner gönnte dem anderen mehr, als er selbst hatte.<br />
Trotzdem bemühte man sich nach außen, seine Nachbarn<br />
zu tolerieren. Es gab sogar hin und wieder gemeinsame<br />
Feste, zur Faschingszeit zum Beispiel. Und selbstverständlich<br />
schloss man sich jederzeit gegen den Rest der Welt zusammen,<br />
gegen die reichen Pinkel draußen, die Etepetete-<br />
Fritzen, oder gegen die Polizei, die oft genug bei uns<br />
vorgefahren kam. Dann galt sofort: „Wer hier wohnt, in der<br />
Kirchenallee, der gehört zu uns. Basta.“<br />
Sekunden später konnte aber schon wieder diese tiefe Rivalität<br />
untereinander durchblitzen, und jemand brüllte in<br />
breitestem Hessisch die Straße herunter: „Gugge mal, die<br />
Drecksäck‘, die habbe digge Auddos, un‘ unsereins hat ka<br />
Auddo! Und mir bezahle‘ Steuern ...!“<br />
Direkt vor unserem Haus lag ein Kinderspielplatz. Unter<br />
zwei riesigen, uralten Trauerweiden standen Schaukeln; es<br />
gab einen Sandkasten und Bänke, auf denen im Sommer die<br />
Leute saßen. Dort ging es oft zu wie auf einem Marktplatz<br />
irgendwo in Italien. Die Nachbarn trafen sich und palaverten,<br />
Alte, Junge, Kinder, alles durcheinander.<br />
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