34. Jahrgang ISSN 0939-3099 1/2 2002 AUS DEM INHALT
34. Jahrgang ISSN 0939-3099 1/2 2002 AUS DEM INHALT
34. Jahrgang ISSN 0939-3099 1/2 2002 AUS DEM INHALT
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
als die andere! Riga ist berühmt für seinen<br />
Jugendstil.<br />
Doch ich war dafür noch viel zu aufgeregt und<br />
konnte es kaum fassen, dass ich mich bereits im<br />
bisher größten Abenteuer meines Lebens befand.<br />
Wir wohnten außerhalb von Riga. Die ersten<br />
Tage in meiner Gastfamilie waren sehr<br />
aufregend. Ich hatte vier Gastschwestern und<br />
besonders die jüngeren ließen mich nicht einen<br />
Moment aus den Augen. Und es gab ja so viel<br />
Neues für mich zu entdecken! Da war als erstes<br />
die Sprache, von der ich kein Wörtchen verstand.<br />
Übergangsweise unterhielten wir uns auf<br />
Englisch. Die lettische Sprachmelodie klang für<br />
mein Ohr fast wie ein beleidigtes Maulen. Es ist<br />
mir anfangs richtig schwer gefallen, nicht<br />
ständig zu denken, dass man böse auf mich ist,<br />
wenn man mit mir sprach.<br />
Es gab aber noch so viele andere Sachen, an die<br />
ich mich erst gewöhnen musste. Zum Beispiel<br />
das Essen. Das Essen spielt für die Letten eine<br />
sehr wichtige Rolle. Vor allem wird in viel<br />
größeren Mengen und viel fettiger gegessen. Das<br />
heißt, dass es mitunter drei bis vier warme<br />
Mahlzeiten am Tag gibt! Mit der Zeit sah ich<br />
einer Kugel immer ähnlicher.<br />
Die verwendeten Lebensmittel sind dieselben<br />
wie in Deutschland. Es wird aber viel Suppe<br />
gegessen und das Gemüse in alle unerdenklichen<br />
Varianten zubereitet. In der ersten Zeit<br />
fand ich die lettische Küche überhaupt nicht<br />
schmackhaft. Viel zu salzig oder zu süß für die<br />
deutsche Zunge! Eine Ausnahme allerdings<br />
bildeten von Anfang an die sagenumwobenen<br />
„pankñkas“, die lettischen Pfannkuchen. Sie sind<br />
einfach das Leckerste, was ich je in meinem<br />
Leben gegessen habe!!! Der Teig basiert auf<br />
Hefe und irgendwie hat meine Gastmutter damit<br />
bei mir genau ins Schwarze getroffen.<br />
Allmählich gewöhnte ich mich auch an die<br />
anderen Speisen - und es ist bis heute das Essen,<br />
was ich am meisten vermisse. Nach einigen<br />
aufregenden Wochen fing für mich die Schule<br />
an. Es war eine kleine Schule und dort kannten<br />
mich bereits alle, bevor ich überhaupt das Haus<br />
betreten hatte! Wo ich mich auch gerade befand,<br />
überall begrüßten mich lächelnde Gesichter. Ich<br />
35<br />
kam mir dabei recht ungewöhn-lich vor, denn<br />
dass ich schon vor meinem ersten Tag so<br />
berühmt bin, hatte ich nicht erwartet.<br />
In Lettland beginnt das Schuljahr immer am 1.<br />
September. Die ganze Schule trifft sich dann im<br />
Schulhof. Es wird die Nationalhymne<br />
gesungen, der/die Schulleiter/in hält eine Rede,<br />
Schüler haben etwas vorbereitet usw. Das erste<br />
Mal hörte ich die lettische Hymne, die an jedem<br />
Nationalfeiertag nicht fehlen darf. Damals<br />
konnte ich natürlich noch nicht mitsingen, aber<br />
mit der Zeit habe auch ich sie gelernt.<br />
Später gingen wir in unsere Klassenzimmer. Ich<br />
lernte nun meine Klasse und meine Klassenleiterin<br />
Anita kennen. Anita hat in Deutschland<br />
studiert und sprach daher deutsch. Sie war das<br />
ganze Jahr über wie meine beste Freundin. Sie<br />
half mir vor allem in der Anfangszeit, mich<br />
zurecht zu finden. Sie wies mich in die<br />
„Verrücktheiten“ und „Macken“ des lettischen<br />
Alltags ein und hatte immer ein offenes Ohr für<br />
mich.<br />
Auf meiner Schule gab es auch Russen.<br />
Meistens sind die Schulen nach lettisch/russisch<br />
getrennt. Es wird dann in der jeweiligen<br />
Sprache unterrichtet. An den russischen<br />
Schulen wird nun auch intensiv lettisch gelehrt,<br />
damit es die Russen später einfacher haben.<br />
Nur wer der lettischen Sprache mächtig ist,<br />
bekommt auch die lettische Staatsbürgerschaft.<br />
Da die Schule die einzige in der Umgebung<br />
war, gingen beide Nationalitäten gemeinsam<br />
hier her. Daher hatte ich bald nicht nur<br />
lettische, sondern auch russische Freunde<br />
gefunden. Es ist wirklich erstaunlich, wie<br />
unterschiedlich diese beiden Völker sind,<br />
obwohl sie schon lange „zusammen“ leben. Mit<br />
„zusammen“ meine ich im selben Land, denn<br />
im Allgemeinen meiden sie sich. Geschichtlich<br />
bedingt ist die Sympathie für den Anderen nicht<br />
sonderlich groß. Glücklicherweise bekriegen<br />
sie sich höchstens mal mit Worten (meist auf<br />
Russisch, da es in dieser Sprache mehr<br />
treffende Schimpfwörter gibt). Sonst bleiben<br />
sie eher unter sich.<br />
Die Letten sind den nordeuropäischen Völkern<br />
sehr ähnlich. Es ist zwar nicht jeder Lette