Plock! Ausgabe Juli 2006 - 25net
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GESCHICHTEN St. Pauli Golfclub<br />
Der Kiezclub<br />
Wie man auf die Idee kommt, ausgerechnet in Deutschlands bekanntestem<br />
Amüsierviertel einen Golfclub zu gründen? PLOCK! hat mit jenen drei Hamburger<br />
Jungs gesprochen, die unserem Sport jetzt auf St. Pauli zu durchschlagendem<br />
Erfolg verhelfen wollen. Von Michael Specht (Text) und Achim Multhaupt (Fotos)<br />
Aua! Zehn Nadeln stechen bis zu 50-mal in der Sekunde in<br />
die Haut. Wer den Tattoo- und Piercing-Laden »Endless Pain«<br />
in der Hamburger Erichstraße betritt, hat seine guten Gründe.<br />
Entweder er hat eine Wette verloren oder ist halt ein bisschen<br />
anders als die anderen. Schließlich dauert solch eine<br />
Tortur in Tinte schon mal mehrere Stunden. Aber hier auf<br />
St. Pauli ist vieles normal, was andernorts als unnormal gilt.<br />
Hier ist die Nacht der Tag, und der Spaß beginnt nach Sonnenuntergang.<br />
St. Pauli ist nicht irgendein Stadtteil von Hamburg. St. Pauli<br />
ist der berühmteste. St. Pauli kennt man in Köln, in Kapstadt<br />
und in Kasachstan. St. Pauli ist Kult, ist Kiez, ist – auch<br />
klar – Klischee, ist Reeperbahn, ist Große Freiheit und, nicht<br />
zu vergessen: St. Pauli ist die Heimat eines unvergleichlichen<br />
Fußballclubs.<br />
Seit kurzem hat der Stadtteil auch einen unvergleichlichen<br />
Golfclub. Richtig gelesen. Einen Golfclub, genauer: den Golfclub<br />
St. Pauli e. V. – eingetragen im Vereinsregister der Hansestadt<br />
seit dem 8. April <strong>2006</strong>. Spinnen die jetzt völlig? Ein<br />
Golfclub auf dem Kiez? Das passt doch etwa so gut zusammen<br />
wie Huren und Jehovas Zeugen. Wo bitte ist der Platz,<br />
wo die Driving-Range, wo das Clubhaus? Und überhaupt:<br />
Wer hat sich das alles ausgedacht?<br />
Das sind Fragen, die sich Konstantin Mirliauntas, 38, Andreas<br />
Clausen, 41, und Hanjo Nehl, 37, in den letzten Tagen<br />
und Wochen schon hundertfach haben anhören müssen. Sie<br />
bilden den Vorstand des Clubs und sind drei von insgesamt<br />
neun Gründungsmitgliedern, unter ihnen Rechtsanwälte, Unternehmer,<br />
Investmentbanker, Ärzte, Leute aus der Tourismus-<br />
und Medienbranche.<br />
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»Die Idee zum Golfclub St. Pauli kam uns am Elbstrand unten<br />
am Hafen«, erzählt Hanjo Nehl, Inhaber einer Firma, die<br />
Veranstaltungen rund um den Golfsport organisiert und mit<br />
exklusiven Golfartikeln handelt. »Ein toller Stadtteil, die Amüsiermeile,<br />
der FC, der Dom, da fehlte einfach etwas.« Drei<br />
Tage später saßen die drei golfbesessenen Hamburger Jungs<br />
schon beim Notar. Alles sollte schnell gehen, bevor ein anderer<br />
auf die gleiche Idee kommt.<br />
In geradezu atemberaubender Geschwindigkeit verbreitete<br />
sich die Kunde von der Neugründung weit über die Grenzen<br />
der Hansestadt hinaus. »Es liegen«, so Nehl, »bereits Anfragen<br />
aus dem europäischen Ausland und sogar aus den USA<br />
vor. St. Pauli ist einfach weltweit bekannt.« Das wohl coolste<br />
Clubhaus der Golfszene ist auch längst gefunden: die<br />
angesagte Designherberge East Hotel in der Simon-von-<br />
Utrecht-Straße, einer Parallelstraße zur Reeperbahn.<br />
»Unser Clubhaus kennt keine Sperrstunde, und eine<br />
Lady kannst du hier schließlich Tag und Nacht schießen.«<br />
Andreas Clausen, der Dritte Vorsitzende, lacht.<br />
Das East verfügt über eine eigene Golflounge inklusive<br />
Simulator mit vier 18-Loch-Kursen im Computermenü und<br />
einem Outdoor-Putting-Grün im Innenhof. Platz ist sogar<br />
noch für ein kurzes Par-3-Loch oder zumindest für eine Abschlagmatte<br />
mit Auffangnetz. Hier im East sollen Mitglieder,<br />
Freunde, Golfverrückte und Einsteiger in Zukunft eine Plattform<br />
für unvergessene Stunden, außergewöhnliche Events<br />
und gemeinsame Golftrips finden. Und natürlich auch an<br />
clubeigenen Turnieren teilnehmen können. Die entsprechenden<br />
Kooperationsgespräche mit Golfplätzen in und um Hamburg<br />
sind bereits in vollem Gange, die beiden bekanntesten<br />
9-Loch-Anlagen-Anbieter der Region haben ihr Mittun<br />
bereits zugesichert. DGV-Mitgliedsausweise will der Golfclub<br />
St. Pauli in Verbindung mit der eigenen Clubkarte künftig<br />
ebenfalls über ausgewählte Partneranlagen anbieten.<br />
St. Pauli ist zwar ein Stadtteil von Hamburg, aber eben ein<br />
ganz besonderer. Entsprechend verstehen auch die drei<br />
Gründungsväter ihren Club, der alles andere als ein konventionelles,<br />
ländlich gediegenes Clubleben pflegt. »Unser Clubhaus<br />
kennt keine Sperrstunde, und eine Lady kannst du hier<br />
schließlich Tag und Nacht schießen.« Andreas Clausen, der<br />
Dritte Vorsitzende, lacht. Im wirklichen Leben ist »AC«<br />
Moderator beim Privatsender Alsterradio, er hat über<br />
20 Jahre auf dem Kiez gelebt und kennt das Milieu hier wie<br />
nur wenige.<br />
Der St. Pauli Golfclub soll den Spaß am grünen Sport mit<br />
urbanem Entertainment und der Liebe zum Stadtviertel verbinden.<br />
Das ist die Idee der Gründer. Konstantin Mirliauntas,<br />
Geschäftsführer eines Golfreiseveranstalters: »Unser<br />
Club sieht sich als Heimathafen sowohl für Nichtgolfer, die<br />
in entspannter Atmosphäre den Einstieg in die Welt des Golfsports<br />
finden wollen, als auch für diejenigen, die bereits Mitglied<br />
in einem konventionellen Golfclub sind, bei uns jedoch<br />
das ganz Spezielle erleben wollen.« Was dem Ersten Vorsitzenden<br />
besonders am Herzen liegt: Sein Club soll weder
Endless Pain: Konstantin Mirliauntas lässt sich das Vereinsemblem tätowieren, die Kollegen Nehls und Clausen schauen zu<br />
eine sich abgrenzende elitäre Veranstaltung sein noch als<br />
Sammelbecken für jene Crossgolfer dienen, die im weitläufigen<br />
Areal des Hafens und gelegentlich auch auf dem Kiez<br />
ihre Bälle durch die Gegend jagen. »Wir sind irgendwo dazwischen«,<br />
sagt Mirliauntas. »Unser Club ist grundsätzlich<br />
offen für alle, die unsere Philosophie mittragen wollen. Warum<br />
sollten wir uns nur auf eine bestimmte Golfergruppe<br />
als Mitglieder unseres Clubs festlegen? Das würde auch<br />
nicht zu St. Pauli passen.«<br />
Neben aller Geselligkeit hat sich der St. Pauli Golfclub vor<br />
allem der Nachwuchsförderung verschrieben. Er will ein Förderclub<br />
sein, besonders für Jugendliche und besonders für<br />
jene aus sozialen Brennpunkten. Sie sollen über den Golfsport<br />
neue Perspektiven aufgezeigt bekommen. Ähnlich der<br />
Einrichtung »Clean Winners« unter der Schirmherrschaft von<br />
Ex-Tennisprofi Carl-Uwe Steeb, die gesellschaftlich benachteiligte<br />
Kinder und Jugendliche an den Sport heranführt. Der<br />
Hamburger Medienunternehmer Frank Otto hat bereits seine<br />
finanzielle Unterstützung für das Förderprogramm des<br />
St. Pauli Golfclubs zugesagt.<br />
Die Fördermitgliedschaft im Club gibt es bereits für 30 Euro<br />
pro Jahr. Dafür bekommt das neue Mitglied die Clubcard<br />
»Kleine Freiheit«, wird vorab über alle Clubaktivitäten informiert<br />
und erhält zugleich eine Reihe von Vergünstigungen.<br />
Hierzu gehören auch Rabatte bei Partnern des Golfclubs sowie<br />
für Drinks und Übernachtungen im eigenen Clubhaus,<br />
dem East Hotel.<br />
Wer mehr will, dem bietet die Karte »Große Freiheit« für jährlich<br />
55 Euro ein Paket an, an dem selbst aktive Golfer nur<br />
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Schon wieder WM? Keine Sorge, das sind »Patternbälle«<br />
Nachgehakt<br />
schwer vorbeikommen. Momentan sitzt die Gründungsgruppe<br />
an einem innovativen Greenfee-Package, das deutlich<br />
mehr beinhaltet als eine prozentuale Ermäßigung für eine<br />
18-Loch-Runde auf fremden Plätzen. Hanjo Nehl: »Dieses<br />
Paket wird zugleich auch Basis für eine eigene Ranglistenwertung,<br />
die weit über die Grenzen Hamburgs hinausgehen<br />
wird.« Genaueres dazu soll in den nächsten Wochen publik<br />
gemacht werden.<br />
Die Topkarte soll den Namen »Reeperbahn« tragen und beinhaltet<br />
obendrein noch die Mitgliedschaft im Deutschen<br />
Golf Verband (DGV). Doch egal, ob Kleine Freiheit, Große<br />
Fünf Fragen an Konstantin Mirliauntas,<br />
Erster Vorsitzender des St. Pauli Golfclubs<br />
1. Für mich ist Golf ...<br />
Mirliauntas: ... Endless Pain. Ich quäle<br />
mich seit Jahren mit Handicap 54 herum.<br />
2. Warum passen Golf und St. Pauli so gut zusammen?<br />
Mirliauntas: Gegensätze ziehen sich an. Schmidt’s Tivoli und Dollhouse,<br />
Herzblut und Silbersack, East-Hotel und Herbertstraße machen<br />
das Viertel schrill und bunt. Das ist der Reiz.<br />
3. Weshalb muss man in Ihrem Club Mitglied werden?<br />
Mirliauntas: Nichts muss, alles kann.<br />
4. Wen hätten Sie in Ihrem Club gerne als Ehrenmitglied?<br />
Mirliauntas: John Daly, der kann viel schlucken und trotzdem noch<br />
einen niedrigen Score spielen.<br />
5. Wann wird der erste vereinseigene Golfplatz im Viertel gebaut?<br />
Mirliauntas: Hier im Viertel? Keine Chance. Ist auch nicht erforderlich.<br />
Aber wir haben da was in der Schublade, ganz in der Nähe.<br />
Freiheit oder Reeperbahn, pro Karte gehen zum einen mindestens<br />
fünf Euro direkt in das Jugendförderprogramm des<br />
Clubs, zum anderen erhält das neue Mitglied ein Starter-Kit,<br />
in dem nicht nur der Button mit dem St.-Pauli-Clublogo enthalten<br />
ist (man will sich schließlich untereinander erkennen),<br />
sondern auch der spezielle Spielball des Clubs, der »Patternball«<br />
(www.thepatternball.com). Das runde Ding hat ein weltweit<br />
patentiertes Druckmuster, gleicht optisch einem Minifußball<br />
und ist sogar offiziell für Turniere zugelassen.<br />
Spielen wird damit auch der in Hamburg lebende Playing Pro<br />
Gary Birch jr. Birch ist mehrfacher internationaler Amateur<br />
Champion, war Elfter der Challenge Tour »Order of Merit«<br />
2002 und sicherte sich damit die Teilnahme an der European<br />
Tour im darauf folgenden Jahr. Der inzwischen 27-jährige<br />
EPD-Tour-Spieler steht dem Golfclub St. Pauli insbesondere<br />
für das Jugendförderprogramm zur Verfügung.<br />
Mag die Intention dieses ungewöhnlichen Clubs im Herzen<br />
Hamburgs zurzeit auch mehr auf Jugendförderung, Kooperationen,<br />
Events und Spaß rund um den Golfsport liegen, die<br />
Vorsitzenden Mirliauntas, Nehl und Clausen (Handicaps 54,<br />
15 und 20) sind mit ihren Gedanken bereits ein Paar Löcher<br />
weiter. Sie träumen bisweilen von einem eigenen Golfplatz,<br />
am besten nur einige Drives entfernt. Clausen: »Hamburg<br />
hat noch ein paar interessante Ecken, auf die es sich lohnt,<br />
ein Auge zu werfen. Wir bleiben da am Ball.«<br />
Die drei lieben ihr schmuddelig-buntes Szeneviertel, schlendern<br />
die jüngst renovierte Reeperbahn (mit gestützten Neuanpflanzungen)<br />
entlang, vorbei an Table-Dance, Café Keese,<br />
Silbersack, Herzblut und Dönerbuden. Für diesen Abend endet<br />
der Trip in der Erichstraße, bei »Endless Pain«. Nehl und<br />
Clausen haben ad hoc beschlossen, dass sich ihr Erster Vorsitzender<br />
als Zeichen der Verbundenheit mit dem Club doch<br />
bitte schön das Logo auf den Oberarm tätowieren lassen<br />
muss. Und hecken sogleich eine weitere Idee aus: Neumitglieder,<br />
die das Gleiche über sich ergehen lassen, brauchen<br />
im ersten Jahr keinen Beitrag (Kleine Freiheit) zu bezahlen.<br />
Mindestgröße des Tattoos: acht Zentimeter.<br />
So können Sie Kontakt aufnehmen:<br />
Golfclub St. Pauli, c/o East Hotel, Simonvon-Utrecht-Straße<br />
31, 20359 Hamburg<br />
www.golfclub-stpauli.de