Die Neue Hochschule Heft 5/2015
Zeitschrift des hlb Hochschullehrerbund e.V. Themenschwerpunkt: Citizen Science - Wissenschaft mitten in der Gesellschaft
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Themenschwerpunkt: Citizen Science - Wissenschaft mitten in der Gesellschaft
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158 SEIBT<br />
Auf Stufe 8 werden Projekte, die häufig<br />
aus Eigeninitiative und aus eigener<br />
Betroffenheit heraus entstanden sind,<br />
auch von anderen außerhalb der Zielgruppe<br />
begleitet, evaluiert und/oder<br />
betreut. <strong>Die</strong> Entscheidungen werden<br />
jedoch von der Zielgruppe eigenständig<br />
und eigenverantwortlich getroffen.<br />
Stufe 9 entspricht der Selbst-Organisation.<br />
<strong>Die</strong> Verantwortung zu allen Aspekten<br />
der Planung und Durchführung<br />
liegt in den Händen der Zielgruppe.<br />
Ausprägungen für diese Stufe sind z. B.<br />
die Bürgerinitiativen im sozialen und<br />
Umweltbereich oder die Selbsthilfegruppen,<br />
z. B. Anonyme Alkoholiker, deren<br />
12-Schritte-Programm auf andere Süchte<br />
und Probleme übertragen wurde.<br />
Im Mittelpunkt steht das Grundprinzip,<br />
dass Partizipation Entscheidungsmacht<br />
bedeutet. Je größer die Entscheidungsmacht<br />
einer Gruppe, desto größer der<br />
Grad an Partizipation. <strong>Die</strong> Erkenntnis<br />
stammt aus den US-amerikanischen<br />
Stadtentwicklungsprogrammen der<br />
1960er-Jahre (Arnstein, 1969).<br />
Projektplanung mit Bürgerinnenbeteiligung<br />
– das Precede/Proceed-Modell<br />
Zu Beginn der modellgeleiteten Planungsphase<br />
wird die Aufmerksamkeit<br />
auf das übergeordnete und gewünschte<br />
(End-)Ergebnis eines Programm gerichtet.<br />
Nicht das „Wie machen wir’s?“<br />
(Stra tegie) oder „Was machen wir?“<br />
(Vorgehen), sondern das umfassend formulierte<br />
„Warum kann und soll das<br />
Programm dazu beitragen, die Gesundheit<br />
einer Population zu verbessern?“ ist<br />
dabei die Ausgangsfrage. Nach der Formulierung<br />
der gewünschten Ergebnisse<br />
wird planmäßig zu den originären Ursachen<br />
zurückgearbeitet, die jeweiligen<br />
Einflüsse systematisch abgeleitet und<br />
detailliert ausformuliert.<br />
Somit macht diese Phase 1 die Soziale<br />
Diagnose aus. Ihr Fokus sind die von<br />
Community-Mitgliedern subjektiv be -<br />
schriebenen Problematiken, die diese<br />
als Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität<br />
benennen. Mögliche – oft sehr vielfältige<br />
– Themen sind z. B. schwierige<br />
Wohn-, Arbeits- und Lebensverhältnisse,<br />
Kriminalität, strukturelle Diskriminierung,<br />
Analphabetismus, Arbeitslosig-<br />
keit, soziale Infrastruktur. Methoden der<br />
Erhebung sind Fokusgruppen, Befragungen,<br />
teilnehmende oder nicht beeinflussende<br />
Beobachtungen etc. In dieser<br />
Phase wird die allgemeine Lebensqualität<br />
erhoben und neben den Problemen<br />
auch die Ressourcen und Prioritäten<br />
erfasst.<br />
In Phase 2, der Epidemiologischen Diagnose,<br />
werden Statistiken und Daten der<br />
Stadtteil- und Gesundheitsberichterstattung<br />
herangezogen, die mit den in<br />
Phase 1 genannten Themen in Verbindung<br />
stehen (könnten). Beispiele sind<br />
Mortalitäts- und Morbiditätsraten, Prävalenzen<br />
und Inzidenzen von Risikofaktoren<br />
oder auch soziale Kosten. Ein<br />
Abgleich der Ergebnisse von Phase 1<br />
und 2 verhindert, dass Projekte entwickelt<br />
werden, die von den Betroffenen<br />
als unwichtig angesehen werden.<br />
Als Modell zur systematischen Entwicklung<br />
und Evaluation von Programmen<br />
der Gesundheitsförderung soll hier beispielhaft<br />
das Precede/Proceed-Modell<br />
vorgestellt werden. Es bietet den strukturellen<br />
Rahmen für eine partizipative<br />
Bedarfs- sowie ergebnisorientierte Planung<br />
und Durchführung, wofür es eine<br />
Beteiligung braucht. Precede steht als<br />
Acronym der englischen Begriffe „Predisposing,<br />
Reinforcing and Enabling<br />
Causes in Educational Diagnosis and<br />
Evaluation“, was so viel bedeutet wie in<br />
Zeit- oder Reihenfolge vorangehen. Das<br />
Modell sieht für jedes Interventionsprojekt<br />
zunächst eine Diagnose der Ausgangslage<br />
vor. In diesen mehrphasigen<br />
Diagnoseprozess werden die Betroffenen<br />
aktiv einbezogen. Damit ist Precede/Proceed<br />
ein explizit partizipatorisches<br />
Planungsmodell.<br />
U, gesprochen: You (= DU) bist Teil der Community, und ohne DICH geht gar nichts! Seit 1995 ist in den<br />
USA jeweils Anfang April die Public Health-Week, während der Gesundheitsthemen auf die oberste Agenda<br />
der Medien und Institutionen gesetzt werden. <strong>Die</strong>ses Bild symbolisiert die unbedingte Teilnahme und Teil -<br />
habe der einzelnen Bürgerinnen und Bürger an diesen Events. Quelle: aus einem Stadtteilmagazin von<br />
Houston, Texas, ca. Mitte der 90er-Jahre, ausgeschnitten von der Autorin.<br />
DNH 5 ❘ <strong>2015</strong>