Porträt Michael Ballhaus
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Durch seine Arbeit mit Rainer Werner<br />
Fassbinder und Martin Scorsese hat <strong>Michael</strong><br />
<strong>Ballhaus</strong> ein halbes Jahrhundert<br />
Kino geprägt wie kaum ein anderer<br />
Filmschaffender. Vor Kurzem ist er von<br />
Los Angeles nach Berlin zurückgezogen.<br />
Wir haben den Kameramann, den manche<br />
das Auge Hollywoods nennen, zu<br />
Hause besucht.<br />
Fotos: Heiko Richard<br />
Fotoassistent: Lennart Etsiwah<br />
Text: Ruben Donsbach und Hendrik Lakeberg<br />
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Die Tür geht auf und <strong>Michael</strong> <strong>Ballhaus</strong> strahlt mit dem Licht eines<br />
alten Filmprojektors ins Treppenhaus des Jahrhundertwendemehrfamilienhauses<br />
in Berlin-Zehlendorf. Mit einem Licht also,<br />
welches – nicht zu hitzig und grell – angenehm wärmt. Mit dem<br />
Licht beginnt die Schöpfung und das Kino, hat Martin Scorsese<br />
gesagt. <strong>Ballhaus</strong> nickt, stimmt also. „Auf neue Fragen bekommen<br />
Sie neue Antworten“, brummt der große Kameramann dann, der<br />
Grandseigneur – so einen gibt es ja selten in Deutschland. Neue<br />
Fragen. Wie stellt man die dem fast 80-Jährigen, der pro Lebensjahr<br />
mindestens einen Film, auf Zelluloid und dann HD, fixiert<br />
hat?<br />
<strong>Ballhaus</strong> lebt umgeben von einer entspannten, klassischen<br />
Moderne. Eames Chair (sitzt er nicht so gerne drauf, weil zu<br />
tief). Eames Liege von Vitra ehemals für Billy Wilder gestaltet<br />
und dann in Serie gegangen (liegt er gerne drauf, weil gut zum<br />
Nachdenken). Stuhl Wassily von Breuer in den Eingangsbereich<br />
verbannt (sieht gut aus, ist aber unbequem). Im Buchregal steht<br />
Zadek, daneben seine große Classic-CD-Sammlung, viel Jazz,<br />
mehr Miles Davis als Coltrane. Bei den DVDs Godard, klar, aber<br />
auch Unterhaltsames. Er muss niemandem was beweisen. <strong>Michael</strong><br />
<strong>Ballhaus</strong>: bekannt geworden als Kameramann vom wahnsinnigen<br />
Regie-Genie Rainer-Werner Fassbinder. Mit ihm drehte<br />
er 17 Filme. Das muss man erst mal überleben! Und dann sieben<br />
mit Scorsese, weiter mit Francis Ford Coppola, Mike Nichols,<br />
Robert Redford, Paul Newman – den großen Hollywood-Figuren<br />
des 20. Jahrhunderts also. Dreimal für den Oscar nominiert.<br />
Als erster Deutscher den International Achievement Award der<br />
American Society of Cinematographers bekommen. In der Ecke<br />
steht die Lola, die er als Ehrenpreis für sein Lebenswerk erhalten<br />
hat. „Den nehme ich als Hantel zum Trainieren.“ Seine anderen<br />
Preise hat er an die Kinemathek Berlin gegeben.<br />
Nichts ist zu viel in seiner Wohnung und nichts zu wenig. Nach<br />
Ost, Süd und West gehen die Fenster. <strong>Ballhaus</strong> lebt immer im<br />
Licht, im Westberliner. Dann geht draußen ein Sturzbach nieder.<br />
Und er schaut einen an aus ganz unergründlich tiefen Augen.<br />
Das Kino ist älter als der Projektor und der Vorführungsraum,<br />
schreibt Alexander Kluge in den „Geschichten vom Kino“ und<br />
<strong>Ballhaus</strong> scheint diese ganze Geschichte mit sich zu tragen. Sie<br />
findet in seinem wachen Blick einen guten Resonanzraum.<br />
Neue Fragen also. „Zadek.“ Er schaut ungerührt. Ein Versuch,<br />
mit Filmwissen zu punkten. „Ihr letzter Film mit Fassbinder<br />
,Die Ehe der Maria Braun‘ ist Zadek gewidmet. Es steht im<br />
Vorspann.“ Draußen knallen fette Tropfen auf den Asphalt wie<br />
ein Bombenhagel. „War Zadek ihre Verbindung zu Fassbinder<br />
und damit zum Kino?“<br />
<strong>Ballhaus</strong> atmet unmerklich ein, spricht über Fassbinder, als<br />
wäre der vor Kurzem noch unter den Normalsterblichen gewesen.<br />
„Als Regisseur war er der beste. Als Mensch schwierig!“<br />
Und dazu noch immer so eifersüchtig. Aber sie haben geredet,<br />
Stunden lang. Über das Kino, Politik, den Tod, die Liebe. „Über<br />
Fassbinders Liebe zu den Männern<br />
und meine Liebe zu meiner<br />
Frau“, sagt <strong>Ballhaus</strong>. Jetzt lächelt<br />
er, aber sehr subtil und hintergründig,<br />
gar nicht ironisch. Dafür<br />
ist er viel zu fein. Der „Goodfellas“<br />
seinen „Dirty Mafia Film“<br />
nennt, der sagt, „Schönheit spielt<br />
immer eine Rolle, besonders aber<br />
bei den Frauen.“ Und was denn<br />
eigentlich das Kino sei? „24-mal<br />
Lüge die Sekunde!“<br />
Dieser Lüge ist aber Wahrheit<br />
abzutrotzen. Nach seinen Lehrlingsjahren<br />
beim Fernsehen in<br />
Baden Baden kommt <strong>Ballhaus</strong><br />
1968 an die Deutsche Film und<br />
Fernsehakademie (DFFB) nach<br />
Berlin. Auf einmal ist alles politisch.<br />
Auch das Private. Vor allem<br />
aber: das Kino! Auf einmal<br />
geht es nicht mehr um Drama<br />
und Ästhetik, sondern darum,<br />
einen „Unternehmer in Nahaufnahme<br />
böse aussehen zu lassen“.<br />
Ende der Sechziger ist <strong>Michael</strong><br />
<strong>Ballhaus</strong> selbst erst Anfang 30.<br />
Aber zu seinen Studenten gehören<br />
später so tragische wie<br />
berühmte Figuren der Zeitund<br />
Kinogeschichte wie der in<br />
Stammheim verhungerte RAF-<br />
Terrorist Holger Meins („er war<br />
ganz still und zurückhaltend“),<br />
der großartige politische Experimentalfilmer<br />
Harun Farocki („der<br />
gehörte zu den Wortführern“)<br />
und der deutsche Hollywood-<br />
Export Wolfgang Petersen („der<br />
wollte nur Filme machen und<br />
alles darüber lernen“), für den<br />
<strong>Ballhaus</strong> bei dem patriotischen<br />
Action-Kracher „Air Force One“<br />
die Kamera übernommen hat<br />
(wofür er in Deutschland beschimpft<br />
wurde).<br />
Sogar Ulrike Meinhof bat<br />
ihn, die Kamera bei ihrem<br />
„Bambule“-Projekt zu übernehmen, einem Film über Unterdrückungskulturen<br />
in deutschen Kinderheimen. Das Projekt<br />
kam zunächst nicht zustande. Meinhof ging in der Untergrund<br />
und nahm sich später in Stammheim das Leben. <strong>Ballhaus</strong> bedauert<br />
das, steht aber zu diesem Leben. Er nennt sich „links“. Ein<br />
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„links“, welches heute kaum mehr vorkommt. Ein ausgeruhtes,<br />
intellektuelles, linkes Denken, das es in den selbstzentrierten<br />
Planspielen der jungen deutschen Filmemacher so gar nicht mehr<br />
gibt. Ist heute alles wirklich unpolitisch, Herr <strong>Ballhaus</strong>? „Ich mag<br />
Dresen“, sagt er, steht auf und holt sich einen Earl Grey Tee.<br />
Obwohl <strong>Michael</strong> <strong>Ballhaus</strong><br />
nicht mehr wie ein 20-Jähriger<br />
durch seine Wohnung tänzelt,<br />
scheint dieser Mann mit seinen<br />
77 Jahren zu schweben. Das liegt<br />
an seinem weichen Gesicht und<br />
dem jungenhaften Lächeln, mit<br />
dem er die feinen Falten zum<br />
Schwingen bringt. Vor einem<br />
italienischen Originalplakat von<br />
Godards „Die Verachtung“ (ein<br />
Geschenk von Martin Scorsese)<br />
beißt er für das Foto in einen<br />
Apfel. Man kann ihn dann nicht<br />
mehr groß was fragen, dann ist<br />
er ganz im Moment, in der Pose.<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Ballhaus</strong>, das Model,<br />
der verkappte Schauspieler? Er<br />
hat sich nie ablenken lassen, ist<br />
nicht größenwahnsinnig geworden<br />
oder über seine Ambitionen<br />
gestolpert. Es zog ihn nur sehr<br />
selten in den Regiestuhl. Das<br />
Auge Hollywoods wollte nie die<br />
Gesamtverantwortung für einen<br />
Film, sondern immer Bilder<br />
machen. Also das, worum es im<br />
Film eigentlich geht.<br />
Und jetzt? Jetzt ist <strong>Ballhaus</strong><br />
aus LA endgültig zurück nach<br />
Hause gekommen. Hat seinen<br />
Lebensmittelpunkt wieder in<br />
Berlin Zehlendorf. Schlendert in<br />
schönen Sommeranzügen über<br />
den Mexikoplatz, gibt charmante<br />
Interviews für die Lokalpresse<br />
und hört obsessiv Hörbücher.<br />
Stundenlang. Gerade „Krieg und<br />
Frieden“ von Tolstoi. Nach dem<br />
Drama kommt das Epos. Auch<br />
das eine schöne Aussicht auf das<br />
Älterwerden. „Dabei entstehen<br />
so viele Bilder bei mir im Kopf.“<br />
Man denkt: was sonst?<br />
<strong>Michael</strong> <strong>Ballhaus</strong> findet nach einer<br />
atemlosen Karriere langsam<br />
Ruhe. Er verbringt viel Zeit zu<br />
Hause mit seiner zweiten Frau,<br />
der Regisseurin Sherry Hormann,<br />
für deren Film „3096 Tage“ über das Leben von Natascha<br />
Kampusch er noch einmal die Kamera übernommen hat. Freunde<br />
hatten davon abgeraten. Damit belastet ihr eure Ehe, hieß es.<br />
Aber er ist natürlich Profi. Die Ehe hielt. Die Kritiken fielen aufgrund<br />
des Stoffes gemischt aus. „Das war der bestmögliche Film<br />
über das Thema“, sagt <strong>Ballhaus</strong>. Glaubt man sofort. Ein Fehler<br />
war es also nicht, aber das war definitiv sein letzter Film. Er freut<br />
sich, in Zukunft an der Arbeit seiner Frau teilhaben zu dürfen.<br />
„Als freundlicher Gast.“ Wird Studenten unterrichten und Hof<br />
halten in Zehlendorf. Es war ein Glück für ihn, dass eine so<br />
wunderbare, aktive Frau bereit war, in seinem Alter ihr Leben<br />
mit ihm zu teilen, sagt er.<br />
Was bleibt, sind nicht nur die Filme, sondern die vielen<br />
Freunde eines langen Kino-Lebens. Es ist nämlich ein Vorurteil,<br />
dass es in Hollywood keine Freundschaften gibt. Dustin Hoffman<br />
hat <strong>Ballhaus</strong> sogar mal das Leben gerettet. „Ich hatte einen<br />
Magendurchbruch und er war im Schneideraum für den Film,<br />
na, wie hieß der noch mal? Ich habe zu viele Filme gedreht!“ <strong>Ballhaus</strong><br />
lacht. „,Outbreak‘! Genau! Dustin war eine halbe Stunde<br />
später im Krankenhaus und hat den Laden aufgemischt.“ Wenn<br />
ihr auf den nicht aufpasst, dann bekommt ihr großen Ärger, soll<br />
Hoffman gesagt haben. <strong>Ballhaus</strong> kam durch.<br />
Das sind Anekdoten. Doch sie machen ein Leben erfühlbar.<br />
Er sei als der bestangezogene Kameramann in Hollywood<br />
bekannt gewesen, sagt er dann mit offensichtlich guter Laune.<br />
Locker zwar, aber mit Stil! So wie seine Kamera, die immer dynamisch<br />
den Raum vermessen hat, ohne jemals an eine Handkamera<br />
zu erinnern. Aber sein Markenzeichen sind natürlich<br />
seine Hosenträger. Die hat er vor über 30 Jahren zu sammeln<br />
angefangen. Anfangs immer rot, dann bekam er immer wieder<br />
neue geschenkt. Von Will Smith oder Emma Thompson, „sehr<br />
schöne mit Vögeln darauf“. Er liebt sie, „weil Gürtel einengen“<br />
und schlägt en passant einen Overall für Männer vor. Giorgio<br />
Armani sollte sich da was einfallen lassen. Mit dem hat er mal einen<br />
Werbefilm gedreht. Regisseur war natürlich Martin Scorsese.<br />
Kann man ihn denn gar nicht mehr aus der Reserve locken?<br />
Auf der Internetplattform imdb.com ist noch ein großes Projekt<br />
mit Scorsese angekündigt. Der Titel „Sinatra“ klingt ultimativ.<br />
New Hollywood-Cineasten lässt er schwelgen. Doch <strong>Ballhaus</strong><br />
winkt ab. Nein, das Projekt sei schon länger im Gespräch, aber<br />
die Musikrechte wären teurer als der ganze Film gewesen.<br />
Was ihn denn noch bewegt? „In meinem Alter denkt man öfter<br />
an den Tod. Aber das ist kein schrecklicher Gedanke“, sagt <strong>Ballhaus</strong>,<br />
der sich sogar intensiv mit dem Dalai Lama beschäftigt hat.<br />
„Ich glaube an die Wiedergeburt. Dass die Seele nicht verloren<br />
geht.“ Eine junge Seele hat <strong>Michael</strong> <strong>Ballhaus</strong> und es sieht so aus,<br />
als würde dies so bleiben. Auch in den nächsten Leben. Aber<br />
das Nirwana, in dem der Geist von <strong>Michael</strong> <strong>Ballhaus</strong> unsterblich<br />
bleibt, das gibt es ja schon längst. Und es ist ganz irdisch. Es<br />
heißt „das Kino“ und ist der wunderbarste Zauberraum. Auch<br />
dank ihm, <strong>Michael</strong> <strong>Ballhaus</strong>, Bilder-Schöpfer, Lichtgestalt.<br />
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