KB Nr. 17 Aufbruch
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© W. Zielonkowski<br />
Schein und Sein<br />
Der Bildhauer<br />
Andreas Kuhnlein<br />
Bildende Kunst 07<br />
„<strong>Aufbruch</strong>“, so nennt Andreas Kuhnlein seinen<br />
Katalog und <strong>Aufbruch</strong> zieht sich durch sein gesamtes<br />
Leben und Werk. Denn er hätte sowohl<br />
Landwirt, als auch Schreiner, als auch beim<br />
Bundesgrenzschutz bleiben können, der drahtige<br />
Mann aus Unterwössen. Aber er brach auf<br />
und wurde Künstler und dabei brach etwas in<br />
ihm auf, etwas, was seine Jahre als Beamter in<br />
Stuttgart-Stammheim oder in Brockdorf in ihm<br />
eingeschlossen hatten. „Da geht es um Sein<br />
oder Nicht-Sein und all die Brutalität und Verletzbarkeit<br />
und Vergänglichkeit, das ist jetzt drin<br />
in den Arbeiten.“<br />
Leicht war der <strong>Aufbruch</strong> vom gut bestallten<br />
Beamten nicht, seine Frau und die vier Töchter<br />
mussten entbehrungsreiche Jahre durchleben.<br />
Obwohl Kuhnlein Tag und Nacht arbeitete und<br />
rund 600 Bewerbungen für Ausstellungen abschickte,<br />
der Erfolg ließ auf sich warten. Eine<br />
Ausstellung mit Rahmenprogramm auf seinem<br />
Hof im Jahre 1994 war das Sprungbrett und<br />
brachte ihm 1500 Besucher.<br />
Heute kann der Holzbildhauer auf 300 Ausstellungen<br />
in 15 Ländern zurückschauen, seine<br />
Werke sind von China bis in die USA begehrt<br />
und im kommenden Jahr wird er seine erste Einzelausstellung<br />
im Landkreis Miesbach im Waitzinger<br />
Keller haben.<br />
Wir treffen uns auf seinem Hof in Traumlage am<br />
Berg und sind massiv beeindruckt von der Fülle<br />
der Skulpturen und ihrer schlichten und gerade<br />
deshalb so berührenden Aussage.<br />
Andreas Kuhnlein arbeitet mit der Kettensäge.<br />
Seine Skulpturen sind zerklüftet und zeugen<br />
von der Verletzlichkeit und Vergänglichkeit des<br />
Menschen. Im Gespräch mit einem 80-Jährigen<br />
sei ihm klar geworden, wie kurz das Leben sei<br />
und wie wichtig, es sinnvoll zu gestalten, erzählt<br />
er, „so ein zerfurchtes Gesicht hat eine große<br />
Würde.“<br />
Seine wichtigste Erfahrung machte der Künstler<br />
in einer Münchner Psychiatrischen Klinik, wo er<br />
für 15 verschiedene Krankheitsbilder Skulpturen<br />
schuf. Jeden Tag habe er Briefe von Patienten<br />
und Angehörigen beantworten müssen, das<br />
könne ihm kein Galerist bieten.<br />
Die Figuren einer Ausstellung, die am Münchner<br />
Flughafen zu sehen waren, sind jeweils doppelt.<br />
„Schein und Sein“ heißt die Serie, wo Kuhnlein<br />
den Feldherren vor und nach der Schlacht zeigt<br />
oder den Kirchenmann von allem Schein entblößt.<br />
Wie die Fassade den Menschen verändert, das<br />
fasziniere ihn und so interessiert sich der Bildhauer<br />
insbesondere für historische Personen.<br />
Ganz in der Vorzeit hat er den Zyklus Evolution<br />
begonnen, die Menschwerdung des Affen<br />
nachempfunden. Mit dem dreißigteiligen Zyklus<br />
„Otto der Große“ als Herrscher und im Alltagsleben,<br />
war er vier Jahre lang unterwegs und wird<br />
in diesem Jahr in Brüssel erwartet. Unzählig sind<br />
die Werke, die wir in der großen Scheune sehen<br />
dürfen, mir gefällt am besten der Bischof, der<br />
seine Mitra abgenommen hat und nachdenkt.<br />
Aber der Höhepunkt erwartet uns im Freien, als<br />
wir den Berg hinan gehen und an einem Baum<br />
Kuhnleins Christus begegnen. Da werden wir<br />
still und schauen nur noch.<br />
Und reden dann lieber über die Technik. Ausschließlich<br />
Sturmhölzer verwendet Kuhnlein<br />
und ausschließlich Hartholz. „Ich brauche den<br />
Widerstand“, erklärt er. Mit Bronze kann er<br />
nicht arbeiten, weil er die Vergänglichkeit einfangen<br />
will. Holz aber verdeutlicht den Prozess:<br />
„Ich zähle die Jahresringe und sehe die Falten.“<br />
Und noch etwas, „meine Arbeiten sind Unikate“,<br />
jede ist ein Individuum und jede lebt,<br />
denn das Holz hat noch Feuchtigkeit.<br />
Über die gesellschaftliche Aufgabe der Kunst redet<br />
der Künstler beim Kaffee in der Bauernstube.<br />
„In der Demokratie und den Privilegien, die<br />
wir haben, hat die Kunst Verpflichtung und Auftrag.“<br />
Deshalb gehe er in Schulen und Kindergärten,<br />
habe schon 40 Projekte in der Region<br />
gemacht. Und er bekommt etwas zurück. „Ein<br />
Bub fragte, woher hat der Mann gewusst, dass<br />
in dem Holz ein Mann drin ist.“ Wenn man so<br />
etwas höre, könne man jegliches hochtrabende<br />
Kunstgeschwätz vergessen.<br />
MG<br />
www.kuhnlein-bildhauer.de<br />
Narziss, 2009