06.06.2016 Aufrufe

De:Bug 177

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

11.2013<br />

Elektronische Lebensaspekte<br />

Musik, Medien, Kultur & Selbstbeherrschung<br />

#freshdeepsupersounds<br />

Jonsson & Alter, Omar<br />

Souleyman, Gesaffelstein, M.I.A.<br />

Netzkritik<br />

Warum das Internet<br />

lieber doch anbleiben soll<br />

Das Breakbeat-Revival<br />

Nostalgie mit Amen-Break: Om Unit,<br />

Special Request, Tessela, Pangaea<br />

<strong>177</strong><br />

D 4,- €<br />

AUT 4,- €<br />

CH 8,20 SFR<br />

B 4,40 €<br />

LUX 4,40 €<br />

E 5,10 €<br />

P (CONT) 5,10 €<br />

COVER: christian werner<br />

bring<br />

the<br />

toys!<br />

Spielzeug wird lebendig


ild casey richardson<br />

<strong>177</strong> — bug1<br />

LIEBE USERINNEN,<br />

LIEBE USER,<br />

in diesem Herbst haben wir gespielt. Ohne Pause, die<br />

ganze Zeit. Zwischendurch blickten wir auf, brüllten<br />

ein lautes "Uugah" mit Gesaffelstein. Oder folgten den<br />

steinalten Fährten der Drums. Wie immer eigentlich.<br />

Nur einer fragte sich: Was soll der ganze Scheiß eigentlich!?<br />

<strong>De</strong>r Kampf gegen die Hochkultur, das Nachdenken,<br />

die ewige Reflexion, die Suche nach dem tieferen Sinn<br />

und die verrückte Idee dem Contemporary auch heute<br />

wieder einen Schritt voraus zu sein. Die selbstausgebeutete<br />

Putzkolonne richtet nun einen mehr als zehn Jahre<br />

ver- und belebten Redaktionsschreibtisch neu her. Das<br />

Personalkarussell dreht sich und Thaddeus Herrmann<br />

sucht nach 88.873 Reviews und vielen tollen Texten das<br />

bessere Morgen an anderer Stelle. Wir verneigen uns<br />

und sagen Ahoi.<br />

Die Welt ist eine Scheibe,<br />

die Redaktion<br />

cargocollective.com/caseyrichardson 3


<strong>177</strong> — index<br />

Spielzeug<br />

10<br />

Spielen ist totale Freiheit. Das Playhard/Work-hard-Diktum<br />

haben wir<br />

beiseite geschoben, um klare Sicht<br />

auf das Spielzeug der Zukunft zu<br />

haben. Zwischen Konsole, Theorie<br />

und Gadget-News daddeln wir uns<br />

den Weg frei.<br />

28 Jonsson<br />

/Alter:<br />

Weitsicht,<br />

die zweite<br />

30 Omar<br />

Souleyman:<br />

syrien auf acid<br />

26 Computer<br />

Chess:<br />

check mate,<br />

du schaltkreis!<br />

Die Schweden haben endlich den Nachfolger zu ihrem<br />

fantastischen ersten Album fertig. Im Portrait geben<br />

Jonsson/Alter klarsichtige Statements zur Authentizitätsfalle<br />

in der elektronischen Musik.<br />

<strong>De</strong>r syrische Volkssänger als Hipster-Posterboy der<br />

Revolution? No way. Anlässlich Souleymans neuer Platte,<br />

die vom Engländer Four Tet produziert wurde, erzählen<br />

wir seine Geschichte.<br />

Kriegsschauplatz Schachbrett: Ein außergewöhnlicher<br />

Dokumentarfilm über den Kampf zwischen<br />

Mensch und Maschine. Nebenbei eine Charakterstudie<br />

des Nerds an sich.<br />

4


<strong>177</strong><br />

index<br />

STARTUP<br />

03 − <strong>Bug</strong> One: Editorial<br />

KRITIK<br />

08 − Zoff um Morozov: Mal wieder die Netzkritik<br />

SPIELZEUG<br />

12 − Claus Richter: "Supertoys"<br />

14 − Zwischen den Welten: Runter vom iPad!<br />

16 − Science-Fiction des Spielzeugs: Zukunft ohne Lego<br />

20 − Spielzeugsammlung: Gadget-Grabbel<br />

24 − Die neuen Konsolen: PS4 vs Xbox One<br />

FILM<br />

26 − Computer Chess: David Levy gegen CDC Cyber-176<br />

32 Re:BREAK<br />

Drums sind eine Urkraft der Menschheit. Grund genug 2013 das Breakbeat Revival<br />

Revue passieren zu lassen. Mit Om Unit, Special Request, Tessela, Pangaea und<br />

Zomby stellen wir wichtige Protagonisten vor und drehen Footwork, Trap, Jungle,<br />

Drum and Bass, HipHop, Dub, Step und <strong>De</strong>troit Techno durch die Zeitschleife.<br />

»Morozov spielt<br />

sich als der einzige<br />

Weise des Internets<br />

auf. Als ein<br />

Erleuchteter, der<br />

einem endlich erklÄrt,<br />

warum alle<br />

anderen unrecht<br />

haben.«<br />

Sascha Kösch, Seite 8<br />

RE:BREAK<br />

32 − Breakbeat Revival: Nostalgische <strong>De</strong>konstruktion<br />

36 − Special Request: Paul Woolford im Breakbeat-Kontinuum<br />

40 − Om Unit: Drums sind Nahrung<br />

MUSIK<br />

28 − Jonsson/Alter: Heimbesuch<br />

30 − Omar Souleyman: Das syrische Phantom<br />

42 − Kommentar: Gesaffelstein & M.I.A.<br />

68 − Mooryc: Kontrolliertes Fallen<br />

70 − Clara Moto: Melancholische Distanz<br />

80 − Musikhören mit: Múm<br />

BUCH<br />

44 − Jürgen Teipel: Techno-O-Ton<br />

45 − Literatur-Lizenzen: Fan-Fiction & Vampire<br />

58 − Berlinbücher: Sven Regener, Bettina Uzler und Ju Innerhofer waren dabei<br />

MODE<br />

46 − Digitaldruck: Inkjet ist der neue Standard<br />

48 − Modestrecke: Play Hard<br />

WARENKORB<br />

54 − Läuft: Nike Fuelband & Onitsuka<br />

56 − DVD & Buch: I Dream Of Wires, Dietmar Dath & Swantje Karich<br />

57 − Keyboard & Lautsprecher: Microsoft Sculpt, Jawone Mini Jambox<br />

MUSIKTECHNIK<br />

60 − NI Maschine Studio: Hardware neu, Software neu<br />

62 − Tracktion 4: Einsteiger-DAW frisch aufgelegt<br />

63 − Touchable 2: Neuer Controller-Standard auf dem iPad<br />

64 − Traktor S4 MK2: NIs endgültiger DJ-Controller-Wahnsinn<br />

SERVICE & REVIEWS<br />

68 − Reviews: Neue Alben und 12“s<br />

78 − Abo, Vorschau, Impressum<br />

79 − DE:BUG präsentiert: Die besten Events im November<br />

82 − A Better Tomorrow: Echtzeitverblödung ist der neue Normalfall<br />

5


6<br />

<strong>177</strong> — stream


<strong>177</strong><br />

Consollection / Digitalzocker-Porno<br />

Das sind 140 Spielkonsolen. Von prähistorisch bis neulich erst, akribisch zusammengefasst.<br />

Allerdings ist dieses Poster, die Essenz eines Bildbandes von 2010, aktuell ausverkauft. Aus gutem Grund.<br />

<strong>De</strong>r Fotograf Patrick Molnar und Sammler Phil (einfach nur Phil) arbeiten an einer neuen Version dieser<br />

"Consollection". Mit noch mehr Gear-Porno: Knöpfe, Schalter, Träume. Anfang 2014 kommt das Poster<br />

2.0 in den Handel. Und der Wälzer für den Coffee Table wird auch neu aufgelegt.<br />

www.consollection.de<br />

7


<strong>177</strong> — Netzkritik<br />

Text Sascha Kösch<br />

Befreit uns<br />

von Morozov<br />

Netzkritik 2013<br />

Evgeny Morozov hat sich in den letzten Jahre<br />

den Titel Netzchefkritiker in den deutschen<br />

Feuilletons erspielt. Kaum ein Internet-<br />

Erklärbär, der von ihm nicht ordentlich<br />

in der Zeit, der FAZ, der Süddeutschen<br />

abgewatscht werden darf (Ausnahme: Morozov-Fan Schirrmacher). Da bleibt kein Technik-<br />

Gigant verschont, keine miese Praxis der Silicon-Valley-Verbrecher unaufgedeckt. Und<br />

Morozov hat Fans. Kulturpessimisten sind dabei ebenso herzlich willkommen wie Ludditen<br />

aller Couleur. Und nicht selten muss man sich von einem neugeborenen Morozov-Fan Dinge<br />

anhören wie: Endlich traut sich mal einer was gegen die da oben im Technotopia zu sagen.<br />

Diesen Monat erscheint nun sein Buch "To Save Everything, Click Here: Technology,<br />

Solutionism, and the Urge to Fix Problems that Don't Exist" auf <strong>De</strong>utsch unter dem wuschig<br />

paraphrasierenden Titel "Smarte neue Welt: Digitale Technik und die Freiheit des Menschen".<br />

Mit dem Buch schwappt eine Welle von Interviews mit dem "Netz-Vordenker" über die<br />

Feuilletons. Aber wir lesen lieber Bücher, also ran an den Schinken.<br />

Nach circa 25 Seiten "Smarte neue Welt" denkt man sich: Gut, ich habe jetzt wirklich<br />

verstanden, worum es dir geht. Komm zur Sache, Evgeny! In Kürze: Laut Morozov werde<br />

dem Internet ständig unterstellt, dass es eine Essenz habe, eine wesentliche Eigenschaft.<br />

Diese gedachte Essenz (Freiheit, Gleichheit etc.) führe dazu, dass man mit dem Internet<br />

die Probleme der Welt lösen will (solutionism), und behauptet, es wäre unveränderlich.<br />

Diesen Gedanken sollten wir in bold setzen, er steht auch nach 50 Seiten im Zentrum des<br />

Buches und wird von Morozov mit immer neuen Beispielen und Variationen erklärt. An<br />

immer noch depperteren Aussagen von Leuten wie Carr oder Halbsätzen von Eric Schmidt<br />

nimmt Mozorov genüsslich eine gefährliche Ideologie "auseinander", man sollte eher sagen:<br />

Er zerrupft sie willenlos. Nach hundert Seiten denkt man sich: Gehirnwäsche?<br />

Keine Netzkritik<br />

Morovoz betreibt vielmehr eine Art uferlose Kritik an jedem, der etwas Gutes am Netz findet.<br />

Langatmig vielleicht, sicherlich legitim. Trotzdem überkommt einen nach einer ziellosen<br />

Litanei des Niedermachens irgendwann das Gefühl (nein, kaum ein Zitat wird mal mit einer<br />

Fußnote für die Herkunft bedacht), Morozov dreht auch Leuten, die man selbst noch nie<br />

leiden konnte, vielleicht das Wort im Mund herum.<br />

Die schwierige Aufgabe, an der Morozov scheitern muss, ist die Kritik an einem<br />

Gegenstand (das Internet), das kein Wesen haben darf. Morozovs Gegenstand sind<br />

also in Wirklichkeit die Leute, die das kritisieren, was ihm zufolge unkritisierbar ist. Eine<br />

leichtere Aufgabe wäre gewesen, Diskursanalyse zu betreiben, etwa anhand der vielen<br />

widersprüchlichen Aussagen zum Internet in Zeitraum X, Beobachtung globaler Tendenzen<br />

und Ideologien, die Rolle des Netzes als Machtinstrument, also eine Bestandaufnahme<br />

der dominanten Diskursströme, und wie man gegen sie vorgehen könnte. Stattdessen:<br />

Witze über die Befreiung durch Katzenbildchen und nahezu keinerlei konkrete Erwähnung<br />

anderer Aussagen über das Netz als diejenigen, die sein Gegenargument stützen. Das<br />

Buch ist ein Essay, der die Verve auf endlosen Seiten des Widerkäuens gnadenlos verliert.<br />

Wenn das alles wäre, man würde das Buch einfach irgendwann erschöpft beiseite legen.<br />

Aber man spürt hinter all dem irgendwie mehr. Morozov spielt sich als der einzige Weise<br />

<strong>De</strong>r Tod des Internets ist für Chef-Netzkritiker Evgeny Morozov<br />

beschlossene Sache. Je früher, desto besser.<br />

DE:BUG-Chef-Netzkritiker Sascha Kösch sieht das anders und<br />

hat sich auf die Suche nach Halbwahrheiten<br />

in Morozovs aktuellem Buch "Smarte neue Welt" gemacht.<br />

des Internets auf. Als jemand, der einem<br />

endlich erklärt, warum alle anderen<br />

Unrecht haben. Diese "alle anderen"<br />

existieren aber erstens nicht, zweitens sind<br />

die Aussagen von Morozov alles andere als<br />

neu. Wir blicken kurz zurück in die Geschichte der Netzkritik: 1996 kam mit "The Californian<br />

Ideology" der erste große Schwung an Kritik an den Utopisten, den Yuppie-Grundlagen,<br />

dem Neoliberalismus, der Idee, das Internet würde alle unsere Probleme lösen können und<br />

eine Welle der Befreiung und <strong>De</strong>mokratisierung durch die Welt schicken. Es bildeten sich<br />

Mailinglisten, die den kritischen Diskurs des Netzes sehr stark beeinflussten. Eine davon<br />

war Nettime, deren Protagonisten endlose Konferenzen gefüllt haben. Die Internet-Kritik,<br />

Netzkritik, war geboren; Gingrich, Wired mitsamt seiner Long-Boom-Idee etc. standen da<br />

schon auf der intellektuellen Abschussliste.<br />

Science and Technology Studies, Actor Network Theory, die Medien-Theoretiker und<br />

Klassiker der Postmoderne wurden zu komplexeren Theorien des Netzes herbeigezogen.<br />

Theorien, die längst das Soziale, das Politische, das Netzwerk Internet und die in diesem<br />

komplexen Amalgam handelnden Akteure (selbst jenseits klassischer Handlungstheorien)<br />

unter die Lupe nahmen. Gleichzeitig entwickelte sich eine endlose Reihe semiwissenschaftlicher<br />

Abhandlungen über Potentiale und Gefahren des Digitalen. Die<br />

Sekundärliteratur zum Internet füllt (gefühlt) mittlerweile ganze Bibliotheken.<br />

Solution gegen Solutionism<br />

Eine der Hauptthesen des Buches von Morozov - das gibt er an einer der wenigen Stellen en<br />

passant mal zu - ist, dass das Netz nicht essentialistisch zu betrachten ist, kein Wesen hat.<br />

Diese These stammt aus Lawrence Lessigs Buch "Code Is Law" von 1999, der diesem Thema<br />

damals ein ganzes Kapitel widmete. Lessig führte damals schon zum gleichen Schluss: "If<br />

there is any place that is constructed, cyberspace is it... the rhetoric of 'essence' hides this<br />

constructedness. It misleads our intuitions in dangerous ways." Nur machte Lessig damals<br />

nicht den Fehler, sämtlichen Diskurs über das Netz unter diesem Teilaspekt zu subsumieren,<br />

nur um eine größere Angriffsfläche zu haben.<br />

Dass man sich nicht leicht von beherrschenden diskursiven Grundzügen lösen kann,<br />

würde man gerne als Rechtfertigung des Morozov-Rundumschlags anführen. <strong>De</strong>r kämpft<br />

halt so lange gegen die Windmühlen, bis einem so schwindlig ist, dass das Argument zu<br />

Brain-Body-Memory geworden ist. Lassen wir einmal beiseite, dass es möglicherweise<br />

Episteme nach Foucault'scher <strong>De</strong>finition geben könnte, aus denen man sich eh nicht<br />

herausbewegen könne. Dann würde man zumindest von Morozov erwarten, dass er sich<br />

von diesem verfluchten Essentialismus selber reingewaschen hat. Mitnichten.<br />

Geht Morozov nun eigentlich wenigstens den Auswirkungen dieser einen These im<br />

<strong>De</strong>tail nach? Es ist jedenfalls keine Entwicklung einer Begrifflichkeit zu entdecken, die<br />

zum Beispiel die unterschiedlichen Facetten von "solutionism" (auch das ein geborgtes<br />

Konzept) fassbar macht oder erklären würde. Es gibt auch keine Untersuchung (jenseits<br />

von endlosen Anekdoten), die einem die Wirkungsweise dieser Ideologie auf Bereiche der<br />

Politik, der Lobbyarbeit, technologischer Entwicklung etc. näher erklären würde, geschweige<br />

denn eine Struktur sichtbar machen würde, die eine Solution gegen Solutionism erahnen<br />

8


<strong>177</strong><br />

lassen könnte. Auch wenn Morozov dafür<br />

natürlich eine Lösung parat hat. Doch einen<br />

Schritt zurück. Es gibt in philosophischen<br />

Archiven meterweise Bände über Teleologie<br />

(das letztlich beschreibt die Haltung von<br />

Solutionism), das Verhältnis von Teleologie<br />

zu den Wissenschaften, zur Technik, zum<br />

Diskurs, zur Aporie, Apokalypse, etc. Nein,<br />

wie erwartet tauchen die nicht auf bei<br />

Morozov. Es ist nahezu ein Grundcharakter<br />

des Buches, für nichts eine Basis,<br />

Vorgänger, wissenschaftliche Grundlagen<br />

oder ähnliches zu bieten. Bodenlose<br />

Schwammigkeit als Unterstützung der<br />

eigenen These ist hier Programm.<br />

Zukunft? Unklar.<br />

Sehr deutlich wird das zum Beispiel<br />

beim gerne seitenweise ausgebreiteten<br />

Topos "Gibt es ein Nach-dem-Internet?"<br />

<strong>De</strong>njenigen, die Dinge sagen wie "Das<br />

Internet wird bleiben" wird nahezu<br />

Hirnlosigkeit vorgeworfen. Da es aber<br />

keinerlei <strong>De</strong>finition des Internets gibt, auf<br />

die sich diese oft eher vermutete Ewigkeit<br />

des Netzes stützen könnte, wird die Kritik<br />

zum Scheindiskurs. Weder Morozov noch<br />

die von ihm Kritisierten sagen eigentlich<br />

genau, was sie damit meinen. Wird es auch in Zukunft ein Netzwerk geben, auf dem Daten<br />

verbreitet werden? Unwahrscheinlich ist das nicht, aber wir wissen ja nicht einmal, von<br />

welchem Zeitraum wir da reden, geschweige denn von welcher Welt.<br />

Zur Unterfütterung für die Hirnlosigkeit der vermeintlichen These der Ewigkeit des<br />

Netzes (die sich manchmal in sicherlich quietschigen, oft auch substanzlosen Reden vom<br />

neuem Zeitalter etc. ausdrückt) begeht Morozov dann, wie an anderen Stellen auch gerne,<br />

den Kardinalfehler: Er stellt das Internet in eine Reihe von Medien und schreibt damit dem<br />

Internet trotz vermeintlicher Essenzlosigkeit ganz natürlich die Essenz eines Mediums zu,<br />

statt es zum Beispiel mit dem Strom- oder Gasnetz zu vergleichen. In aller Banalität geht<br />

das Argument wirklich so: Man hätte sich damals auch nicht vorstellen können, dass das<br />

Radio abgelöst werden könnte, also müsste man es beim Internet eigentlich besser wissen.<br />

Und wer das nicht so sieht, ist schon verblendet von der Internet-Ideologie. <strong>De</strong>r Tod des<br />

Internets (das er aus Ekel vor dem Begriff durchgängig in Anführungszeichen setzt) ist für<br />

Morozov eigentlich beschlossene Sache. Wer das nicht sehen kann, gehört dem Club der<br />

Internet-Zentristen an. <strong>De</strong>ren perfide Agenda sei laut Morozov die Unveränderbarkeit und<br />

Unantastbarkeit des Netzes, das an sich für die Essentialisten ja befreiend ist, so dass<br />

Welche Lösung schlägt Morozov für das<br />

Problem der Totalverblödung, wenn nicht gar<br />

der Versklavung der Menschheit durch die<br />

Internet-Halbgötter vor? <strong>Bug</strong>s.<br />

jeder Eingriff ein Eingriff in die Freiheit der<br />

Menschheit und letztendlich die Lösung all<br />

unserer Probleme wäre. Dass das Gespür<br />

für die ständige Veränderung des Netzes<br />

geradezu ein Einstellungskriterium für<br />

Tech-Firmen ist, beziehungsweise die<br />

oberheiligste Aufgabe eines CEOs, der<br />

seine Firma länger als eine Welle bis zum<br />

nächsten Dotcom-Crash melken will,<br />

entgeht ihm dabei vermutlich nicht einmal.<br />

Er lässt es einfach unter den Tisch fallen,<br />

weil es - wie so viele andere - nicht in sein<br />

Argumentationsschema passt.<br />

Future-Shock-Starre<br />

Welche Lösung schlägt Morozov<br />

nun für dieses dämliche Problem<br />

der Totalverblödung, wenn nicht gar<br />

Versklavung der Menschheit durch<br />

die Internet-Halbgötter vor? <strong>Bug</strong>s.<br />

Konsequente Fehler in Technik, die Technik<br />

immer wieder mit Brüchen versieht,<br />

an deren Aufscheinen den Menschen<br />

bewusst wird, dass sie Bürger sind, denen<br />

Gesellschaftspolitik wichtiger ist, als das<br />

neuste Gadget, die Totaldurchleuchtung<br />

jeder noch so minimalen menschlichen<br />

Ausdrucks- oder Handlungsweise. Und<br />

wenn <strong>Bug</strong>s nicht helfen, dann Technik, die die Bösheit von Technologie vermittelt. All das<br />

übrigens ein in Netart-Kreisen absolut beliebtes Thema seit nun fast zwei Jahrzehnten.<br />

Nur jetzt ganz neu. Weil: Morozov.<br />

Gefährlich an Morozov ist - solange man glauben mag, dass ein Feuilleton-Hype<br />

gefährlich sein kann - aber genau das: Viele Dinge im Netz sind das reine Grauen, für all<br />

diese Dinge gibt es komplexe Lösungen, teils im Netz, teils von "außen" (wenn man das<br />

Netz wirklich mal provisorisch zur Vereinfachung auf einen Raum beschränken will, der es<br />

eigentlich längst nicht mehr ist). Nach der Lektüre von "Smarte neue Welt" ist man aber<br />

entweder so einäugig voll des Hasses auf die Internet-Verbrecher, oder so ermüdet von<br />

den Argumenten, schlimmstenfalls so plattgeredet von deren Eindimensionalität, dass<br />

man sich die Mühe schon gar nicht mehr machen möchte, nach ernsthafter Netzkritik zu<br />

suchen. Geschweige denn, sie selbst zu entwickeln, ihre Notwendigkeit in den Momenten<br />

zu erkennen, in denen man vielleicht wieder ein Mal vom Netz manipuliert wird - und dort,<br />

wo man es nicht wird, nicht gleich in Future-Shock-Starre zu hyperventilieren.<br />

Evgeny Morozov,<br />

Smarte neue Welt - Digitale Technik<br />

und die Freiheit des Menschen,<br />

ist im Karl Blessing Verlag erschienen.<br />

9


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Special<br />

Spielzeugtheorie von Claus<br />

Richter, rasende Roboter, klobige<br />

Konsolen, ganz viel Science-<br />

Fiction und der Kampf zwischen<br />

Mensch und Maschine am<br />

Schachbrett<br />

10


text & bild claus richter <strong>177</strong><br />

Super<br />

-Toys<br />

spIElzeug<br />

dER zukunft<br />

"Es gibt kaum einen<br />

köstlicheren Freiraum als das<br />

Spielen. Wer spielt, tritt aus<br />

der konsensuellen Realität<br />

heraus und erschafft für sich<br />

eine Welt voller Möglichkeitsformen.<br />

In einer Spielwelt<br />

kann erst einmal Alles mit<br />

Allem kombiniert werden<br />

und, noch besser."<br />

Alles kann Alles.<br />

11


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

w<br />

Wie oft fragt man sich in Anbetracht eines neuen<br />

Geräts: "Was kann das denn?" Im Spiel stellt sich<br />

diese Frage nicht. Steine können sprechen, Häuser<br />

können fliegen, ein Stock ist ein Löwe und kann unter<br />

Wasser atmen solange er will. Kein Problem. Alles<br />

geht im freien Spiel ohne feste Regeln. Das sind die<br />

Basics. Man braucht dafür nicht einmal eine PS3-3D-<br />

Holodeck-Supercloud-Konsole und muss auch nicht<br />

zum Toys"R"Us. Diese ursprüngliche Form des Spiels<br />

kann man immer und überall betreiben. Sie lässt sich<br />

zudem nur schwer verbieten und regulieren. <strong>De</strong>nn<br />

zumindest gedanklich kann man auch dann spielen,<br />

wenn man eigentlich so aussehen sollte als bearbeite<br />

man eine unheimlich erwachsene Excel-Datei.<br />

Kinder haben es leichter mit dem Spielen. J.M. Barrie<br />

schreibt in "Peter Pan", dass mit dem beginnenden Wissen<br />

über die Zwangsläufigkeit des Erwachsen-werden-Müssens<br />

ab dem zweiten Lebensjahr das Leben mehr oder minder<br />

fix den Bach runter geht. "You always know after you are<br />

two. Two is the beginning of the end", heißt es dort. Da ist<br />

was dran. Kinder haben eine andere Wahrnehmung als<br />

Erwachsene. Sie erleben wahnsinnig viel zum ersten Mal,<br />

sind ziemlich egozentrisch und empfinden die Welt als<br />

grundlegend beseelt. Ein Kindergehirn lebt in einem bedeutend<br />

intensiveren Gegenwartsfenster als das von uns<br />

Erwachsenen. Kinder sind ständig im "Jetzt". Ziemlich toll<br />

sowas. Und so können Kinder wirklich gut im Spiel versinken,<br />

"Polarisation der Aufmerksamkeit" nannte die legendäre<br />

Pädagogin Maria Montessori das.<br />

Bis die Pizza kommt<br />

Wer seine Kindheit nicht in der Hölle verbracht hat, wird<br />

sich vage und wahrscheinlich nostalgisch verklärt an diese<br />

seltsam magische Dauergegenwart voller belebter Dinge<br />

erinnern können. Als ich ein Kind war, war mein größter<br />

Traum, einen Roboter zum Freund zu haben. Die 1970er<br />

waren voll von Raumschiffen und Robotern, in jeder zweiten<br />

Kindersendung gab es einen freundlichen Roboter, nur<br />

nicht in meinem Kinderzimmer. Seit die Mikroelektronik und<br />

Claus Richter (*1971) lebt und<br />

arbeitet in Köln. Als Künstler und Autor<br />

beschäftigt er sich mit Fluchtwelten,<br />

Kulissen, Themeparks und den köstlichen<br />

Versprechungen der Konsumkultur.<br />

Seine umfangreiche Spielzeugsammlung<br />

ist vom 31.10.2013 bis zum 19.1.2014 in<br />

der Ausstellung "Forever Young" in der<br />

Kunsthalle Nürnberg zu sehen.<br />

12


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Spielzeughersteller und Entwickler<br />

versuchen die "Willing<br />

Suspension of Disbelieve" unnötig<br />

werden zu lassen. Das Spielzeug<br />

soll nun endlich lebendig<br />

werden.<br />

Elektromechanik Einzug in die Spielzeugproduktion gefunden<br />

hat, hat sich einiges getan. Mark Tilden von Wowwee<br />

brachte beispielsweise mit dem Robosapien und seinen unzähligen<br />

Varianten in den frühen 2000ern einen Roboter in<br />

die Kinderzimmer, der auf den ersten Blick ein bisschen mehr<br />

kann als die Anstoß-Wendeautomatik-Roboterchen meiner<br />

Kindheit. Schade nur, dass Wowwee unter "Persönlichkeit"<br />

hauptsächlich eine unangenehm übergriffige Mischung<br />

aus Castingshow-Tanzvorführung und Sprücheklopfer-<br />

Idiotie versteht. Rülps, Furz, Schlapplach. Caleb Chung, der<br />

uns schon die herrlich nervigen Furbys brachte, entwickelte<br />

2007 für Ugobe das elektromechanische Dinosaurierbaby<br />

"Pleo", voll mit Sensoren und Servos, doch der recht steile<br />

Preis und der weiterhin begrenzte Aktionsradius des kleinen<br />

Dinos ließ Pleo floppen. Tomy, ein Hersteller der schon<br />

in den 1980er-Jahren mit seiner Linie von Omnibot-Robotern<br />

futuristische Spielzeugträume in die Kinderzimmer brachte,<br />

entwickelte ebenfalls 2007 mit dem "I Sobot" einen winzigen<br />

aber fast vollprogrammierbaren Roboter, der dieses Jahr<br />

mit dem "I Sodog" einen Sonys "Aibo" nicht unähnlichen<br />

Hund als Kollegen bekommt. Doch all diese Roboter sind<br />

empfindliche, fragile Kunstwerke, man kann mit ihnen nicht<br />

durch Wälder streifen, in Pfützen spielen oder Plätzchen backen.<br />

Ein Roboterspielzeug, dass mir gefiele, wäre "Teddy"<br />

aus Steven Spielbergs "A.I.": voller Güte, leicht naiv und immer<br />

für einen da. Ein real existierender imaginärer Freund.<br />

Wird es das jemals geben? Braucht es eine K.I.? Wie viele<br />

Servos und Algorithmen braucht ein Roboter-Teddy um lebendig<br />

zu werden? Wie viel Rechenpower und Fotorealismus<br />

braucht ein Videospiel, um über die übliche Immersion hinaus<br />

wirklich real zu werden? Spielen findet immer in einem<br />

unsichtbaren Zwischenraum statt, den der Psychoanalytiker<br />

Donald Winnicott als "Intermediären Raum" bezeichnete.<br />

Wie aber könnte man all die Dinge, die dort geschehen in die<br />

Welt treten lassen? Es ist der alte und wundervolle Traum,<br />

die Fiktion in die Realität zu holen. Samuel Taylor Coleridge<br />

schrieb schon 1817 von der "Willing suspension of disbelief"<br />

um zu erklären, wie wir Menschen das machen, dieses<br />

Abtauchen in die fiktive Welt der Prosa, der Poesie, des<br />

Theaters, des Films, des Spielens. Man lässt sich ein, begibt<br />

sich in eine Zwischenwelt, in der man willentlich jeden<br />

Zweifel am Fantastischen ausblendet. Klingelt es an der Tür,<br />

ist der Film zu Ende, man verlässt diesen flirrenden Zustand<br />

und nimmt doch immer etwas daraus mit. Manchmal ist es<br />

auch der eigene Körper, der einem die Grenzen der Welten<br />

deutlich macht. Wer jemals stundenlang in einem Videospiel<br />

abtauchte, merkt spätestens wenn der Magen knurrt, dass<br />

es Zeit ist, wenigstens für zehn Minuten "auszusteigen"<br />

und den Pizzadienst zu rufen. Was Spielzeughersteller und<br />

Entwickler nun seit einiger Zeit versuchen, ist diese "Willing<br />

Suspension of Disbelieve" unnötig werden zu lassen. Das<br />

Spielzeug soll nun endlich lebendig werden.<br />

Lebendige Toys<br />

Wenn eine Spielwelt wirklich die Grenze übertreten soll,<br />

müssen die Charaktere ein eigenes, autonomes Leben<br />

haben, sie müssen in unserer komplett irren Welt überleben<br />

können. Und das ist schwer. Siehe "Pinocchio", siehe<br />

auch "David" in Spielbergs "A.I.". In Neal Stephensons<br />

Buch "Diamond Age" wird die elektronische "illustrierte<br />

Fibel für die junge Dame" daher auch trotz vorherrschender<br />

Nanotechnologie von einem ganzen ausgelagerten<br />

Team aus Erzählern, Pädagogen und Fachleuten gesteuert.<br />

Nur so ist es möglich, ein wirklich kommunizierendes<br />

Buch zu erschaffen, dem es dann sogar gelingt die kleine<br />

unterprivilegierte Nell, der diese Fibel in die Hände fällt, zu<br />

einer selbstbestimmten jungen Frau werden zu lassen. Und<br />

doch sagt meine eigene Spielerfahrung mir, dass so etwas<br />

auch mit einem "normalen" Buch geht, dass jemand, der<br />

ganz im Spiel mit einem geliebten Stofftier versinkt, durch<br />

sein eigenes Zutun eine lebendigere Figur erschafft als jedes<br />

noch so advancte Spielzeug und Videogame es heute<br />

beherrscht. Ich spreche viel mit Stofftieren, ich weiß in diesem<br />

Fall wirklich, wovon ich rede.<br />

Aber die Entwicklung ist und bleibt spannend.<br />

Spielzeuge sind wundervolle Dinge, und Spielen vielleicht<br />

der schönste Freiraum im Leben. Ich bin nun fast<br />

100 Jahre alt, habe von Bauklötzen, Lego, Playmobil, YPS-<br />

Gimmicks, absurden Brettspielen, dem ersten mit Datasette<br />

hochgeladenen "Frogger" auf dem ZX 81 über all die gerippten<br />

C64-Spiele, die langen Atari-Pitfall-Tage mit Chips<br />

und Cola bei Doerings im Keller und die sehnsüchtig in<br />

der Spielzeugladenvitrine begafften Game&Watch-Spiele<br />

den Aufbruch des elektronischen Spielzeugs tatsächlich<br />

und leibhaftig als Kind erlebt. Und immer noch sehne ich<br />

mich nach einem kleinen freundlichen Roboter, der mit mir<br />

durch Wälder streift und in Pfützen springt. Also bitte: Go,<br />

Spielzeugindustrie, Go!<br />

13


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Zwischen<br />

den Welten<br />

14


Text Sascha Kösch <strong>177</strong><br />

d<br />

Die Videospiele entgleiten ihren<br />

Behältern. Sie kriechen in die Realtwelt<br />

hinein, beseelen totes Spielzeug<br />

und lösen Versprechen ein, die kein<br />

Heimautomations-Kühlschrank bisher<br />

zu erfüllen vermochte: die vom entgrenzten<br />

Zusammenspiel. Ich gegen<br />

den Computer gegen die Welt.<br />

Minicomputer. Das Spiel dabei ist so offen<br />

wie nur möglich. Egal ob einem Sphero einfach<br />

nur hinterherläuft, Lichtspiele mit einem<br />

veranstaltet, Bowling oder Bürogolf amüsanter<br />

macht, oder auf dem Screen in virtuelle<br />

Spiele eingebettet wird: <strong>De</strong>r Bildschirm ist<br />

nur noch ein Teil der digitalen Realität. Wir<br />

haben sie in die reale Welt entlassen.<br />

Anki machte das auf der iOS-Präsentation<br />

noch klarer: Eine Art Carrerabahn mit Freilauf,<br />

auf der nicht nur das iPad im Hintergrund<br />

mitdenkt, sondern auch die Autos selber,<br />

die mit Sensoren für Unfallvermeidung und<br />

Positionsbestimmung, Kameras und so weiter<br />

ausgestattet sind. Das sind Videogames<br />

in der realen Welt. Nicht nur mit überlagerten<br />

Screens, sondern mit nichtmenschlichen<br />

Mitspielern, Gegenständen, die eigenständig<br />

ins Spiel eingebunden werden können.<br />

Am Ende ist für Anki eine neumodische<br />

Spielzeug-Rennbahn herausgekommen, bei<br />

der man eben auch gegen autonome Autos<br />

spielen und unsichtbare Waffen einsetzen<br />

kann, die in der realen Welt Auswirkungen<br />

haben. Wer hätte gedacht, dass sich eine<br />

AI- und Robotics-Firma irgendwann als der<br />

hippste Scheiß unter dem Weihnachtsbaum<br />

als ausgerechnet Autorennen entpuppt?<br />

Die Ansätze dafür sind noch<br />

älter. Sie folgen alle einer klaren Leerstelle<br />

in der Spieleindustrie: Videogame- und<br />

Filmemarken überfluten mit Merchandise<br />

schon lange den Spielzeugmarkt. Allein die<br />

"Star Wars"-Lizenzen füllen mit unzähligen<br />

Branding-Produkten ganze Regale. Aber dieses<br />

Spielzeug ist dumm wie 'ne Socke. Ihnen<br />

entgegen stehen Spielzeug-Electronics,<br />

die im schlimmsten Fall Lerncomputer<br />

mit Grusel-LEDs sind, im besten Fall Lego<br />

Mindstorm. Nicht selten landen solche Spiele<br />

nach einer Woche Begeisterung über die<br />

erfüllten Markenwünsche dann irgendwo<br />

in der Ecke, weil die Versprechen (z.B.<br />

Laserschwert-Kämpfe wie im Film) nicht<br />

eingelöst werden.<br />

Die Verschmelzung von Mobiles und realen<br />

Dingen aus der Spielzeug-Welt ist hingegen<br />

noch sehr neu und dürfte diese beiden<br />

Märkte - Mobiles & Toys - dennoch in Kürze<br />

unter sich begraben. Nicht, weil Videogames<br />

eh längst der größte Entertainment-Faktor<br />

unter der Sonne sind, oder Kids alle zu digitalen<br />

Junkies geworden sind. Sondern weil<br />

dieses Zusammenwachsen in den Köpfen<br />

der Kinder eh längst als Fantasie stattgefunden<br />

hat und an dieser Fantasie sich<br />

die Industrie wird messen müssen. Viele<br />

Produkte dieser Umbruchsgeneration sind<br />

banal. Bestseller Angry Bird hat die Zeichen<br />

der Zeit schnell erkannt und für seine "Star<br />

Wars 2"-Edition Telepods eingeführt. Das<br />

sind reale Spielfiguren, die man - denkbar<br />

mono-interaktiv eigentlich - ins Spiel teleportieren<br />

kann. Das stärkt natürlich die AddOn-<br />

Verkäufe, auch wenn es dem Spiel nichts<br />

wesentliches hinzuzufügen hat, ist aber über<br />

die Beamen-Metapher ganz gut integriert.<br />

Die Richtung ist klar:<br />

weg von der Simulation<br />

von Spielen auf iPads,<br />

weg von exotischen<br />

Game-Controllern für<br />

Tablets, hin zur umfassenden<br />

Integration der<br />

Sensoren, mit denen<br />

ein mobiles Gerät<br />

vollgepfropft ist.<br />

Lego hatte mit "Life Of George" auch schon<br />

sehr früh eine einfache Kombination von<br />

Tablet und Real-Life im Portfolio, bei der die<br />

App aber eher instruktives Begleitmaterial<br />

und Gamification-Kontrolle war. Zunächst<br />

für Ältere gedacht, musste Lego das aber<br />

dennoch schnell für Kids umbranden.<br />

Natürlich wird es noch eine Weile dauern,<br />

bis wir Konzepte wie BotSee von Wowwee<br />

überwinden. Das Spiel als Tablet-Dock, das<br />

in einen putzigen Roboter integriert wird<br />

und mit kleinen Klötzen interagiert, die auf<br />

dem Screen irgendwelche Aktionen auslösen.<br />

Oder GameChanger Board-Games<br />

mit Tablet-Dock in der Mitte. Aber die<br />

Richtung ist klar: weg von der Simulation<br />

von Spielen auf iPads, weg von exotischen<br />

Game-Controllern für Tablets, weg von dem<br />

Screen als Zusatz und Bonusanimation<br />

für Spiele hin zu einer tiefen Integration<br />

der Sensoren, mit denen ein Mobile heutzutage<br />

vollgepfropft ist. Also genau den<br />

Sensoren, über die intelligentes Spielzeug<br />

in eine Interaktion treten können, bei denen<br />

die Welt da draußen nicht mehr länger der<br />

dumpfe Gegenpart ursprünglicher Haptik<br />

ist, sondern ebenso "intelligent" auf die<br />

Geheimnisse hinter dem Screen antwortet.<br />

Und nicht ohne Grund sind die letzten<br />

Projekte des Massachusetts Institute of<br />

Technology (MIT) zur Entwicklung modularer<br />

Roboter kleine Würfelchen, die aussehen,<br />

als wären sie Spielzeug. Sie in die<br />

gleiche, neue Richtung: weg vom Roboter<br />

in seinen diversen anthropomorphen oder<br />

tierischen Fantasien, hin zu den "building<br />

blocks" von Spielen. Intelligente Dinge für<br />

Kids werden wohl längst Alltag sein, wenn<br />

irgendwelche intelligente Kühlschränke<br />

sich heimautomatisiert im Internet Brause<br />

kaufen gehen.<br />

Wer sich noch an die Vorstellung von iOS 7<br />

erinnert, genauer an die <strong>De</strong>monstration von<br />

Anki mit ferngesteuerten Autos, der hat einen<br />

Eindruck davon, wohin die Verschmelzung<br />

von Tablets mit Spielzeug führt. Robotics,<br />

Artificial Intelligence, Tablet-Kollaboration<br />

von Hardware und Software.<br />

Doch einen Schritt zurück. Wir hören<br />

schon lange, dass Tablets etablierte Hardware<br />

verdrängen wird. Die PC-Verkäufe schlummern<br />

langsam ein, Tablets und Steve Jobs<br />

Post-PC-Generation haben übernommen.<br />

Doch warum sollte man einen kleineren<br />

Screen gegen einen größeren mit obendrein<br />

freierer Software und halb so knebelndem<br />

Ökosystem eintauschen wollen? Die<br />

Antwort, fürchten wir, ist komplex - und da<br />

kommen endlich auch die Spiele ins Spiel.<br />

Die Grenze zwischen dem Screen und<br />

der Realität droht nicht nur für Unkenrufer<br />

aus dem digitalen Kulturpessimismus zu<br />

verschwinden, oder den nie ganz aus dem<br />

Sonderling-Status herauswachsenden AR-<br />

Welten, sondern ganz banal bei den Kids.<br />

Die sehen nämlich konzeptionell erst mal keinen<br />

Unterschied zwischen einem normalen<br />

Spielzeug und einem iPad. Die Konzentration<br />

liegt auf dem Spiel. Nicht auf der Gadget-<br />

Gattung. Und Aufgabe der intelligenten Spiele<br />

in diesem Zwischenraum wird vor allem sein,<br />

diese Grenzen verschwimmen zu lassen.<br />

Eines der ersten Produkte dieser<br />

Generation ist dabei so enigmatisch wie<br />

es aussieht: Sphero, ein kleiner Ball, durch<br />

ein Smartphone oder Tablet ferngesteuert.<br />

Ein kleiner Roboter ist das Teil obendrein.<br />

Leuchtend, perfekt um Katzen zu<br />

ärgern, ein erster, runder Ausblick auf die<br />

Steuerung der Welt durch die selbst zum intelligenten<br />

Controller gewordenen tragbaren 15


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Text Felix Knoke<br />

bild b flickr.com/dinkydivas, lord_dane<br />

d<br />

Das Spielzeug der Zukunft, wie es derzeit auf<br />

Messen und Konferenzen vorgeführt wird, besteht<br />

aus exotischen Materialien, ist programmierbar oder<br />

verbindet mediale Ebenen. Was hingegen fehlt, sind<br />

echte Visionen, wie wir in 20, 30 Jahren, geschweige<br />

denn in 5.000 spielen werden. Aber wie könnte so<br />

eine Science-Fiction des Spielzeugs aussehen - und<br />

warum gibt es sie nicht längst? Wir sprachen mit dem<br />

Scifi-Experten Bernd Flessner.<br />

Spiel ist das Gegenteil von Arbeit, Spielzeug das Gegenteil<br />

von Werkzeug. Waffen jedoch sind Zwischenwesen. Sie erfüllen<br />

einen Zweck, aber den mit einer geradezu naturalistischen<br />

Vehemenz. Sie sind ein mörderischer, spielerischer<br />

Ausdruck der natürlichen Grundlage des Menschseins.<br />

Waffentechnik spielt in den Zukunftsentwürfen der<br />

Science-Fiction-Literatur eine wichtige Rolle. Sie ist eine<br />

Technik, die ganz einfach in die Zukunft extrapoliert werden<br />

kann, immerhin steht ihr Zweck ja fest: Vernichtung, möglichst<br />

effektiv und effektvoll. Spielzeug ist in der Science-<br />

Fiction hingegen reichlich unterrepräsentiert. Dabei müssten<br />

sich diese "Grundlagen eines Spiels" doch wie auch<br />

Waffentechnik hervorragend weiterspinnen lassen. Wenn<br />

Spielzeug in der Science-Fiction auftaucht, dann als Trope.<br />

Sie sind nicht Selbstzweck, sondern sollen "Freizeit"<br />

signalisieren: Hier lässt es sich gerade jemand gutgehen;<br />

ein Protagonist existiert nicht nur als Funktion ("Captain<br />

Picard"), sondern auch als Privatperson ("Jean-Luc").<br />

Dass aber Spiele und Spielzeug eine eigene Rolle spielen,<br />

dass an dieser Hardware die Zukunft entwickelt wird,<br />

ist reichlich selten. Ian Banks schrieb mit "The Player of<br />

Games" zwar einen ganzen Roman über einen intergalaktischen<br />

Zocker, der in einem aufwändigen Brettspiel zwei<br />

Gesellschaftssysteme kollidieren lässt. Das Spiel an sich<br />

und sein Spielzeug, die Figuren und Spielfelder aber, sind<br />

reichlich analog. "Risiko" in riesig.<br />

Beliebt ist auch eine Gesellschaftskritik anhand<br />

von "Lebensspielen", bei denen Kandidaten<br />

ihr Leben vor Kameras in einem Wettkampf auf dem<br />

Spielplatz Welt auf's Spiel setzen. "Battle Royal",<br />

"The Hunger Games" oder "Das Millionenspiel" machen<br />

damit nichts anderes, als aktuelle Normen der<br />

Gesellschaft in Spielregeln zu übersetzen und diese<br />

16<br />

dort quasi als Idealtypus vorzuführen. Einer der spannenderen<br />

Ansätze ist da noch Hannu Rajaniemis<br />

"The Quantum Thief", in dem sich eine Gesellschaft<br />

selbst als Spiel gebiert. Gamification-Blödsinn als<br />

Gesellschaftsgrundlage.<br />

Lego der Zukunft? Fehlanzeige!<br />

Aber Spielzeug, die Essenz von Spiel, das Zusammenfallen<br />

von Regelsystem und Werkzeug? Da sieht es düster aus.<br />

Es gibt animierte Kuscheltiere, beseelte Puppen und<br />

Zukunftsversionen von Druckern, die Lebewesen und<br />

Gegenstände "backen" können. Es gibt Waffen, unendlich<br />

viele Scifi-Waffen und passende Schutzsysteme, es<br />

gibt Unsichtbarkeits-Gadgets und seltsame Hyperräume.<br />

Und es gibt Sexspielzeug, das Konventionen umwirft, unterläuft<br />

oder ersetzt. Aber was es nicht gibt, ist das Lego,<br />

der Kreisel, der Stock der Zukunft. Und die Frage ist natürlich,<br />

ob es das überhaupt geben könnte.<br />

Die Zukunft des Spiels passiert derzeit im<br />

Computerspiel. Die Vorstellung ist, dass im Computer<br />

Dinge jenseits dieser Welt entstehen können und - quasi<br />

durch Bildschirm und Controller übersetzt - manipuliert<br />

und also auch gespielt werden können. Aber das<br />

Computerspiel an sich ist kein Spielzeug, und erst recht<br />

nicht eine Spielkonsole oder Computer. Mithilfe des<br />

Computers können Spielzeuge erschaffen werden, die<br />

aber nur innerhalb des Computers mit Computermitteln<br />

benutzt werden können. Das Computerspiel wiederum<br />

ist so ein System, ein Meta-Spielzeug, innerhalb dessen<br />

"virtuelle" Spielzeuge benutzt werden können.<br />

Solche Beschreibung sind freilich unbefriedigend. Aber<br />

sie machen klar, warum eine theoretische Entwicklung von<br />

Spielzeugen der Zukunft so schwierig ist: Was ein Spielzeug<br />

ist, ist einfach schwer zu fassen. Wichtige Kennzeichen<br />

sind Reduktion und Abstraktion. Eine Puppe ist ein<br />

reduzierter, abstrahierter Mensch. Alle Gegenstände<br />

können ein Spielzeug werden, wenn man ihnen eine<br />

reduzierte, abstrahierte Funktion gibt: Aus einem Stock<br />

wird ein Schwert oder ein Pferd, aus einem Stein ein<br />

Berg oder Teil eines Musters. Spielzeuge entstehen durch<br />

diese Funktionszuweisung und spiegeln damit - in ihrer<br />

Verwendung, nicht in sich! - immer gesellschaftliche<br />

Zustände wieder. Eine Waffe kann ein Spielzeug sein, eine<br />

Gesellschaft kann ein Spielzeug sein. Mit Spielzeug kann<br />

man Spiele spielen, also Regelsysteme ausspielen - aber<br />

sie funktionieren auch nach viel einfacheren Mustern: als<br />

Balanceakt, als Hindernis, als Stellvertreter. Dieses Prinzip<br />

nun in die Zukunft zu holen, ist nicht sonderlich spannend<br />

Roboter sind in der Science-<br />

Fiction ein Universalspielzeug,<br />

das alle anderen ersetzt, ein finales<br />

Spielzeug. Soziale Prothese und<br />

Spielzeug in einem. Ein Trend, der<br />

längst auch in der Gegenwart zu<br />

beobachten ist.<br />

- es zu erkennen sogar schwer, erklärt der Erlanger<br />

Science-Fiction-Experte Bernd Flessner: "Die Zukunft ist<br />

von verschiedenen Konvergenzen geprägt, etwa der von<br />

Mensch und Maschine. Spielzeug ist in der Science-Fiction<br />

kaum oder gar nicht von anderen sozialen/kulturellen<br />

Errungenschaften zu unterscheiden. Auch die Übergänge<br />

zwischen Kinder- und Erwachsenenspielzeug sind ausgesprochen<br />

fließend. Man könnte auch sagen, das Spielzeug<br />

emanzipiert sich in der Science-Fiction von seiner klassischen<br />

Funktion, ähnlich, wie sich die Kindheit emanzipiert."<br />

Diese These kann Flessner mit einer der spannendsten und<br />

ältesten Science-Fiction-Figuren untermauern: Pinocchio,<br />

dem Spielzeug, das keines mehr sein will. Die moderne<br />

Fassung des Pinocchios ist der Enterprise-Androide Data:<br />

"Data ist Spielzeug, Spieler, Puppe und Offizier in einem<br />

und definiert so das Spielzeug neu" - irgendwo zwischen<br />

Mensch, Spielzeug und Werkzeug, eine Parabel auf den<br />

modernen Menschen. Klar ist: was Spielzeug, was Kreatur<br />

ist, bestimmt der Mensch, Data/Pinocchio bleibt nur die<br />

Strategie des Sich-möglichst-menschlich-Gebens - und<br />

so Verdächtig-Bleibens.<br />

Für Zukunftsforscher Flessner zählt der Roboter zu den<br />

beliebtesten Spielzeugen für Kinder und Erwachsene in<br />

der Science-Fiction - ein Spielzeug, das mehr ist, wie Ray<br />

Bradbury in "Ich singe den Leib, den elektrischen" eine<br />

Roboter-Oma bewerben lässt. "Das trifft den Nagel auf den<br />

Kopf," sagt Flessner, "denn auch in unzähligen Science-<br />

Fiction-Storys sind Roboter und Androiden nichts anderes<br />

als humanoide Kinder- und Erwachsenenspielzeuge.<br />

Roboter sind gewissermaßen das Universalspielzeug, das<br />

alle anderen ersetzt, also ein finales Spielzeug. In fast allen<br />

Storys sind Roboter soziale Prothesen und Spielzeug<br />

in einem. Ein Trend, der längst auch in der Gegenwart zu<br />

beobachten ist."


<strong>177</strong><br />

Zukunft<br />

ohne Spielzeug<br />

17


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Das Computerspiel an sich ist<br />

kein Spielzeug. Spielkonsolen und<br />

Computer können jedoch Spielzeuge<br />

erschaffen, die aber nur innerhalb<br />

des Computers mit Computermitteln<br />

benutzt werden können.<br />

Das Computerspiel wiederum ist<br />

so ein System, ein Meta-Spielzeug,<br />

innerhalb dessen "virtuelle" Spielzeuge<br />

benutzt werden können.<br />

Fremde Planeten, alte Bekannte<br />

In der Gegenwart heißt der Roboter noch Computer: eine<br />

Hülle, die mit Geist gefüllt werden kann, oder zumindest<br />

mit Sinn. Dieser Sinn kann auch einfach ein Mensch<br />

sein - die Hülle heißt dann Cyberspace, Virtual Reality,<br />

Holodeck. "Die erste Schilderung so eines Holodecks findet<br />

sich in dem Roman 'Ich lebte im Jahr 3000', den Werner<br />

Wehr (Heinz Gartmann) 1959 veröffentlichte. Dort heißt es<br />

'Cinerama', ähnliche Einrichtungen gibt es auch bei Lem<br />

('Transfer') und anderen Autoren; meist werden in ihnen<br />

Rollenspieler aller Art in realistischer Umgebung veranstaltet";<br />

bei Crichton in Form eines magischen Erlebnisparks<br />

voller Dinosaurier. "Die umfassendste Form dieses Spiels<br />

und eines der größten Spielzeuge der Science-Fiction ist der<br />

Synchronstrahl aus dem Roman '<strong>De</strong>r Orchideenkäfig' von<br />

Herbert W. Franke", sagt Flessner. "Mit Hilfe dieses Strahls<br />

können sich die Teilnehmer des Spiels als Avatare auf andere<br />

Planeten versetzen lassen. <strong>De</strong>r fremde Planet mit der<br />

dortigen Zivilisation wird so zum Riesenspielzeug. Ein anderes<br />

Interesse an fremden Kulturen haben die Menschen<br />

18<br />

dieser Zukunft übrigens nicht. Sie forschen also nicht oder<br />

suchen den Kontakt. Sie wollen nur spielen, die fremden<br />

Kulturen sind nur Schauplatz und Kulisse. Gewissermaßen<br />

die reale Variante des Computerspiels."<br />

Aber Spielzeug im herkömmlichen Sinne? Magische<br />

Gegenstände? Davon hat auch der Experte nur selten gelesen.<br />

"Entweder ist das Spielzeug ein weitgehend bedeutungsloses<br />

Accessoire - oder es hat eine bestimmte<br />

Aufgabe. Zum Beispiel in Philip K. Dicks 'Zur Zeit der<br />

Perky Pat'. Ferne Zukunft, zerstörte Erde. Es gibt nur noch<br />

einige unterirdische Siedlungen. Doch statt sich mit wirklich<br />

relevanten Dingen und Zielen zu befassen, spielen die<br />

Menschen mit einer Art Barbie-Puppe, der Perky Pat. Die<br />

verschiedenen Siedlungen wetteifern untereinander, wer<br />

die beste Puppe und die beste dazugehörige Puppenstube<br />

hat. Für diesen Wettbewerb opfern sie fast alles und setzen<br />

ihr Leben aufs Spiel. Zwar versuchen intelligente<br />

Marsianer, den Menschen zu helfen, aber bei dieser <strong>De</strong>nke<br />

der Menschen haben sie keine Chance."<br />

Sich die Zukunft verdaddeln, für solche Dystopien<br />

braucht es keine Marsianer. Spielen ist immer auch die<br />

Abwesenheit von Arbeit, "gamifizierte" Arbeit noch immer<br />

Arbeit. In einer Zeit aber, in der die Arbeit knapp wird, wird<br />

sich das Spielen verbreiten. In der Zukunft wird man sich<br />

noch ordentlich die Zeit vertreiben müssen, hoffentlich<br />

nicht nur mit nach Selbstoptimierungsnormen gestrickter<br />

Spiel-Pädagogik. Dann wird auch die Pinocchio-<br />

Fantasie des Computerspiel-<strong>De</strong>signers Peter Molyneux<br />

aus DE:BUG 79 nicht mehr fern sein: "Ich wage die kühne<br />

Behauptung – und dabei müssen Sie berücksichtigen,<br />

dass ich der Geek der Geeks bin, ich liebe Computerspiele<br />

über alles –, dass mein bester Freund ein KI-Charakter sein<br />

wird, den ich in einem Spiel treffe. Dieser beste Freund<br />

wird wissen, was ich mag, wir werden gemeinsame<br />

Interessen haben. Ich werde mit ihm reden können, er wird<br />

von meinem Leben fasziniert sein. Wenn wir ein paar Jahre<br />

in die Zukunft blicken, dann sollte man in der Lage sein,<br />

einen persönlichen Freund innerhalb des Computerspiels<br />

zu haben. Er wird etwas ganz Besonderes sein, ein Freund,<br />

der einen durch viele Spiele begleiten wird." Doch je weiter<br />

so eine künstliche Intelligenz reift, desto mehr wird sie die<br />

Eigenschaften eines Spielzeugs abstreifen und sich so fast<br />

zwangsläufig emanzipieren. Das Spielzeug könnte sich gegen<br />

den Spieler stellen, verrückt werden, krank sein - und<br />

dem Spieler eine Entscheidung aufdrängen: Will ich spielen,<br />

oder erwachsen werden? In so einer Zukunft wird es<br />

keine Spielzeuge der Zukunft geben. Das Spielzeug wäre<br />

die Vergangenheit, eine Erinnerung an eine un-smarte<br />

Zeit, in der die Funktion eines Gegenstandes nur von dem<br />

Benutzer, dem Spieler festgelegt wurde.


FACEBOOK.COM/PHILIPSSOUND<br />

TWITTER.COM/YNTHT_DE<br />

PLAY.SPOTIFY.COM/USER/YNTHT<br />

MACHT SCHÖN ...<br />

MACHT LAUT ...<br />

... WEIL DU MIT DEM KOMPAKTEN,<br />

FALTBAREN DESIGN NICHT NUR DEINE<br />

KOPFHÖRER IN DIE TASCHE STECKST.<br />

... WEIL DIR DIE CITISCAPE FRAMES MIT<br />

IHREN WEICHEN ONEAR-POLSTERN<br />

EXZELLENTEN SOUND LIEFERN.<br />

SHL 5705<br />

MACHT SPASS …<br />

... WEIL DU DANK DES INTEGRIERTEN<br />

MIKROFONS JEDERZEIT ZWISCHEN MUSIK<br />

UND TELEFONIE WECHSELN KANNST.<br />

ERLEBE MUSIK WIE NOCH NIE ZUVOR<br />

WWW.YOUNEEDTOHEARTHIS.COM<br />

ENTDECKE DIE KOMPLETTE RANGE UNTER<br />

WWW.PHILIPS.DE/HEADPHONES


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

<strong>De</strong>r Geist und<br />

die Maschine<br />

Smarte Würfel: Für sich<br />

allein sind sie bessere<br />

Pokemons, bringt man sie<br />

zusammen, entwickeln sie<br />

ein Eigenleben.<br />

sifteo.com<br />

Es gibt eine neue Art von Spielzeug: programmierbare<br />

Roboter & Drag-'n'-Drop-Bots. Die Idee ist ganz<br />

einfach: Das Spielzeug ist eine leere Hülle, ein Haufen<br />

Sensoren, eine Schublade voller Aktore.<br />

Wie die zusammenarbeiten, aufeinander und auf die<br />

Welt reagieren, das bestimmen die Spieler durch etwas<br />

Programmierarbeit. Das Spiel ist das Basteln mit diesen<br />

Regeln - und der Moment, wenn man die Kreatur auf die<br />

Welt oder andere Roboter loslässt. "Wenn du vor dir Licht<br />

siehst, dreh dich nach links" lauten solche Regeln. Oder:<br />

"Fahr im Zufallsmuster durch's Zimmer, bis du an ein<br />

Hindernis stößt. Dann rufe um Hilfe." Oder: "Wenn du einen<br />

Hilferuf eines anderen Roboters hörst, fahre dem Ruf<br />

hinterher."<br />

Dieser Ansatz ist natürlich nicht neu. Mit den Tit-for-<br />

Tat-Experimenten der frühen Spieltheorie, Conways Game<br />

of Life, den "AI Challenge"-Programmierspielen und den<br />

Konfliktsimulationen im Kalten Krieg hat die Akademia<br />

schon lange mit einfachen Regeln komplexes Verhalten<br />

simuliert. Doch als Spielzeug steht ihm nun eine neue<br />

Zukunft bevor. Einfache Regeln beherrschen auch Kinder.<br />

Durch ihre Kombination entstehen "emergente" Muster,<br />

so etwas wie Leben. Mit einfacher Drag-'n'-Drop-Arbeit<br />

kann blechernen Hüllen ein Geist eingehaucht werden,<br />

die Puppe erwacht. Kinder sollen programmieren lernen,<br />

das kann man so gelten lassen. Tatsächlich dürften viele<br />

Aspekte der zukünftigen Welt wohl durch verschleierte<br />

Kommandozeilen ("Siri") gesteuert werden, also durch<br />

Aneinanderreihung und Verknüpfung von Befehlen,<br />

Auslösern und Bedingungen. Für so einen Umgang mit der<br />

kybernetischen Welt soll das Spiel mit den Regeln ausbilden.<br />

Aber es funktioniert eben auch einfach als Spiel - weil<br />

solche Roboter viel mehr mit herkömmlichem Spielzeug gemein<br />

haben, als etwa mit Computerspielen. Die Spieler weisen<br />

einem Gegenstand eine abstrakte, reduzierte Funktion<br />

zu und machen es so erst zum Spielzeug. Und so, wie ein<br />

Stück Plastik in der Fantasie zum Raumschiff wird, wird ein<br />

Stück Schaltkreis mit Rädern durch Code zur Puppe. Die<br />

Zuschreibung "das lebt, das reagiert", entsteht im Kopf der<br />

Spieler. <strong>De</strong>r Geist in der Maschine ist in einem wie im anderen<br />

Fall die kreative Schöpfung jenseits der Vorgaben des<br />

Spielzeugs. Das Spiel entsteht im Geist - und durch Geist.<br />

Kinetisches Spielzeug mit Modul-Funktion:<br />

Die Apparate von Yuichiro Katsumoto loten<br />

die Grenze zwischen einfach und komplex,<br />

intelligent und primitiv.haptisch aus.<br />

yuichirock.com<br />

20


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Klassiker der Heimrobotik: Lego-Mindstorms<br />

zur Verteidigung des Kinderzimmers<br />

mindstorms.lego.com<br />

Plug & Play aus dem Elektro-Baukasten.<br />

Vom Putzroboter bis zum Erdbebenlausche ist<br />

damit all das denkbar, was auf Sensoren und<br />

Aktoren angewiesen ist.<br />

atoms-express.com<br />

Diese Gelenke haben ein kinetisches<br />

Gedächtnis und sind programmierbar.<br />

Sie zeichen Bewegungen auf und führen<br />

sie danach immer wieder aus.<br />

topobo.com<br />

Zwischen Spielzeug und Musikinstrument<br />

schweben viele Projekte von Yuri Suzuki, hier<br />

beim Töne zum Auf-den-Tisch-Malen.<br />

yurisuzuki.com/works/looks-like-music<br />

21


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Tablet & Spielbrett, die neuste Form von<br />

transmedialem Spielzeug<br />

hasbrozapped.de<br />

2013 kehrte mit der Oculus-Rift-Datenbrille<br />

das VR-Versprechen zurück.<br />

oculusvr.com<br />

Game-Controller zum Selberbasteln<br />

arduino.cc/en/Main/ArduinoBoardEsplora<br />

Alte Formen und neue Inhalte: Elektrifiziertes<br />

Holzspielzeug reizt ganz clever Anachronismusund<br />

Ökotrigger gegeneinander aus.<br />

hikaruimamura.sakura.ne.jp/watashi/novel-toys-2<br />

22


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Dieses Schaltkreis-Puzzle ist nur eine der<br />

vielen tollen Ideen von Yuri Suzuki.<br />

yurisuzuki.com/works/denki-puzzle<br />

Erst basteln, dann<br />

Spielen mit dem Open-<br />

Source-Baukasten<br />

littlebits.com<br />

Mini-Trend Custom-Spielzeug: Makies sind<br />

Wunschpuppen aus dem Internet-Baukasten.<br />

makie.me<br />

23


<strong>177</strong> — spielzeug<br />

Text Florian Brauer<br />

Battle unterm<br />

WeihnachTsbaum<br />

Die neuen Spielmaschinen<br />

m<br />

Microsoft und Sony aktualisieren Ende November<br />

ihre Spielkonsolen Xbox und PlayStation. Wer am<br />

ersten Verkaufstag eine ergattern will, wird vorm<br />

Elektrosupermarkt Schlange stehen müssen - die<br />

Vorbestellungskontingente sind längst ausverkauft.<br />

Aber muss das überhaupt sein, Xbox One oder<br />

PlayStation 4?<br />

24<br />

<strong>De</strong>r Begriff Spielkonsole trifft die Sache ja längst nicht<br />

mehr: Wer sich zwischen Xbox und PlayStation entscheidet,<br />

entscheidet sich für ein ganzes Ökosystem mit<br />

Entertainment-Kanälen, Community, Video-Streaming,<br />

Musik, einem Bezahl- und Belohnungssystem, Basis- und<br />

Exklusivangeboten und nicht zuletzt den "perfektesten<br />

Videogames", die es "je zu spielen gab".<br />

Man muss hervorheben, dass für Sony und Microsoft<br />

einiges auf den Spiel steht, denn der geneigte Konsument<br />

entscheidet sich zunächst nur für ein Gerät und damit sind<br />

die Anteile des Kuchens vorerst klar verteilt. Fehltritte im heiß<br />

umkämpften Marktsegment der Videospielkonsolen und den<br />

inzwischen zugehörigen Anteilen der digitalen Unterhaltung<br />

hätten für beide Konzerne schwerwiegende Folgen.<br />

Selbst bei Nintendo, wo man sich bisher immer eindeutig<br />

als Spielzeughersteller definiert hat, ist man mit der Wii<br />

U, die seit etwa einem Jahr auf dem Markt ist, mit verbesserten<br />

Grafikprozessoren und einer Öffnung für Spiele von<br />

Dritthersteller einen weiteren Schritt in Richtung Konsolen-<br />

Mainstream gegangen. Hier verhält man sich aber antizyklisch<br />

und hofft, im richtigen Moment mit einem genialen<br />

Coup die Branche umzukrempeln, wie damals, mit der<br />

Wii und den inzwischen überall standardmäßig zugehörigen<br />

Motion Controllern.<br />

Im Vorfeld des fast gleichzeitigen Launch von Xbox One<br />

und PS4 analysierte die Games-Szene jede Pressemitteilung<br />

kritisch, um herauszufinden, auf welches Pferd man<br />

setzen sollte. Einige Ankündigungen Microsofts zu strengerem<br />

DRM von gebrauchten Spielen und die Diskussion<br />

um den Online-Zwang der Xbox One sind inzwischen vom<br />

Tisch, wohl auch, weil diese Themen bei Sony ganz ähnlich<br />

gehandhabt werden. Auch in Fragen der monatlich gebührenpflichtigen<br />

Mitgliedschaft im Playstation-Plus-Netzwerk,<br />

beziehungsweise bei Xbox Live Gold, verfolgen beide die<br />

gleiche Preis-Leistungs-Politik. Überhaupt ist es schwierig,<br />

grundsätzliche Unterscheidungen der beiden Konsolen herauszustellen.<br />

Beide nutzen gleiche Prozessoren, haben die<br />

selben Festplatten und auch sonst bezüglich der Leistung<br />

und unterstützten Formate keine endgültig überzeugenden<br />

Kaufargumente.


<strong>177</strong><br />

ElEctronic BEats<br />

FEstival<br />

Xbox und Playstation nutzen gleiche Prozessoren, haben die selben Festplatten<br />

und auch sonst bezüglich der Leistung und unterstützten Formate<br />

keine endgültig überzeugenden Alleinstellungsmerkmale. Das Ökosystem<br />

und dessen Flair entscheidet - und der Preis.<br />

Das Ökosystem entscheidet<br />

Community vorgestellt werden. Diese Möglichkeit der<br />

Und der Preis: Die PS4 wird 400 Euro kosten, die Xbox Teilhabe anderer am eigenen Spiel könnte vor allem<br />

Trends wie Machinimas, Alternative-Gaming und<br />

One hundert Euro mehr. Dafür ist bei Microsoft der Kinect-<br />

Sensor enthalten, die technisch beeindruckende Gesten- Challenge Runs verstärken und Wege aufzeigen, auf<br />

und Sprachsteuerung, mit der sich viele Funktionen der welche Arten sich die Grenzen von Spielwelten ausloten<br />

lassen und wie mit User Generated Content die<br />

Konsole bedienen lassen und in die man bei Microsoft<br />

große Hoffnungen setzt. Außer Tanz- und Sportspielen Spiele-Communities lebendig bleiben. Für den wichtigen<br />

Impuls frischer und innovativer Spielkonzepte soll<br />

sind aber innovative Konzepte für Kinect wegen spürbarer<br />

Latenz immer noch rar gesät. Das Sony-Äquivalent, das die von allen Konsolenherstellern betonte Öffnung für<br />

Playstation Eye, kann separat erworben werden.<br />

unabhängige Entwickler sein. Wie genau aber eine solche<br />

Implementierung in die ansonsten hermetisch abge-<br />

Neue Horizonte in Hinsicht auf Hardware eröffnen<br />

vor allem die Möglichkeiten des Cross Plattform Gaming schlossenen Systeme vonstatten gehen soll und welche<br />

und der "Companion-Apps". Auch das hat sich in der Werkzeuge unabhängigen Entwicklern an die Hand gegeben<br />

werden, darüber ist noch nichts bekannt.<br />

Vergangenheit mit der PS Vita und Nintendos Tablet-<br />

Controller, wo man von asynchronem Gameplay spricht,<br />

Welche Konsole soll es also sein? Auch die<br />

schon angedeutet. Die Spiele und Anwendungen verlassen<br />

die Konsole als stationäres Games-Center und Entscheidungshilfe. Weiß man doch schon länger, dass<br />

Exklusivtitel zum Launch geben hier keine eindeutige<br />

können jetzt mitgenommen werden. Vor allem verspricht<br />

Microsofts Smart-Glass-Applikation für mobile Entwickler die gegebenen Möglichkeiten besser nut-<br />

sich die Qualität einer neuen Konsole erst zeigt, wenn<br />

Geräte interessante Erweiterungen der Spielperspektiven zen können. Zwar gibt es die altbekannten Namen, wie<br />

und Bedienmöglichkeiten. Ein gutes Beispiel für eine<br />

Companion-App liefert der Überwachungs-Thriller One, aber die echten Gewinner im Battle der Konsolen<br />

Killzone bei Sony und auch eine neues Halo für die Xbox<br />

Watchdogs, bei dem Mitspieler von außen über ihr sind erstmal die großen Publisher Ubisoft, Activision oder<br />

Tablet mit der zugehörigen App ins Spiel von Freunden EA, die entweder mit Exklusivverträgen oder sowieso<br />

eingreifen können und beispielsweise Kameras und plattformübergreifend ihre Dauerbrenner FIFA, Call of<br />

Hubschrauber ansteuern. Ein anderes Beispiel sieht man Duty, oder Assassins Creed herausbringen.<br />

bei Sony in der plattformübergreifenden Marke Invizimals,<br />

Für mich klingt das trotzdem nach einem vielversprechenden<br />

Konsolen-Zyklus. Wahrscheinlich macht<br />

einer sammel- und erweiterbaren Figurenwelt, die sowohl<br />

im Kinderzimmer, als auch auf Handheld, Konsole und man mit keiner der beiden Konsolen irgendwas falsch.<br />

über eine Fernsehserie transmedial miteinander verknüpft Es bietet sich aber gerade ein Wechsel des Ökosystems<br />

wird.<br />

an, um das Gefühl der freien Entscheidung genießen zu<br />

Aufgrund größerer Leistung und verbesserter Online- können. Auch wenn man auf seiner bisherigen Konsole<br />

Funktionalitäten werden die Spielwelten komplexer und schon Community- und Spielerfolge gesammelt hat, bietet<br />

sich nun eine Gelegenheit die Konkurrenz anzutesten,<br />

noch mehr auf Multiplayer ausgerichtet sein. Die sogenannten<br />

Massive Multiplayer Online Games (MMOG), um dann beim nächsten Mal sagen zu können, wo es einem<br />

besser gefallen hat.<br />

die bisher hauptsächlich über PC gespielt wurden, finden<br />

ihren Platz nun auf den Konsolen und entwickeln<br />

da ein Eigenleben, auch wenn man selbst gerade nicht<br />

mitspielt. Viele dieser Welten sind free to play, also erstmal<br />

umsonst, bis man tiefer einsteigen will. Mit dem<br />

Trend der nachhaltigeren Spielwelten werden wir wohl<br />

Xbox One erscheint am 22. November,<br />

auch das bereits prophezeite Verschwinden des physischen<br />

Datenträgers erleben. Zukünftig werden Spiele ge-<br />

für ca 500 respektive 400 Euro.<br />

PlayStation 4 am 29. November<br />

streamt, in der Cloud gespielt und mit ständigen Updates<br />

erweitert.<br />

Ein sehr positiv aufgenommenes Feature der neuen<br />

Konsolen betrifft das Gameplay-Recording. Interessante<br />

Spielszenen können jetzt aufgezeichnet und in der 25<br />

DrEsDEn<br />

Alter<br />

SChlAChthof<br />

10.11.2013<br />

WooDkiD<br />

Mount KiMbie<br />

sizarr<br />

ElEctronicBEats.nEt


<strong>177</strong> — film<br />

bild b flickr.com/jdhancock<br />

Computer<br />

Chess<br />

Die Welt ist kein<br />

Schachbrett<br />

26


text Christian Blumberg <strong>177</strong><br />

i<br />

Indie-Filmemacher Andrew Bujalski<br />

beobachtet Nerds, die in den frühen<br />

Achtzigerjahren ein Schachcomputer-Turnier<br />

ausrichten. "Computer Chess" stellt in erster<br />

Linie die eigenen technischen Parameter aus,<br />

erzählt deshalb aber umso subtiler von ganz<br />

menschlichen Angelegenheiten.<br />

1979 übertrug das ZDF eine Schachpartie zwischen dem<br />

schottischen Meister David Levy und dem Großrechner<br />

CDC Cyber-176. Die Partie endete unentschieden. Levy<br />

e rneuerte danach ein Wette um einen mittleren Geldbetrag:<br />

Für zehn weitere Jahren erklärte er sich im Duell gegen einen<br />

Computer für unschlagbar. Die Wette ging selbstverständlich<br />

verloren, wenn auch nur knapp: Erst 1988 unterlag<br />

Levy einer Software.<br />

Ein ähnlicher Wettabschluss steht am Beginn von<br />

Andrew Bujalskis "Computer Chess". Das Ausmessen<br />

der Kräfteverhältnisse zwischen Mensch und Maschine<br />

soll im Film der Höhepunkt einer Konferenz werden, die<br />

in erster Linie aus einem Turnier besteht, auf dem zuvor<br />

der beste Schachcomputer der USA ausgespielt wird.<br />

Programmierer, Experimentalpsychologen, Nerds sowie<br />

das universitäre Informatik-Team des MIT haben deshalb<br />

unförmige Rechner in ein Hotel verfrachtet, es ist ungefähr<br />

1980. Eine der partizipierenden Crews tritt mit dem neuesten<br />

Modell aus Compaqs PDP-11-Reihe an. Stolz verweist<br />

man auf die Portabilität des Geräts: bei ebenerdigen<br />

Verhältnissen lässt es sich auf einem Rolltisch von nur zwei<br />

Personen herumschieben.<br />

Die Abdrücke, die ein solcher Transport im flauschigen<br />

70er-Jahre-Teppich der Mittelklasse-Hotelanlage<br />

hinterlässt, kann man nur erahnen.<br />

<strong>De</strong>nn Bujalski nimmt seinen Retro-<br />

Auftrag überaus ernst. Waren seine<br />

bisherigen Filme auf 16mm gedreht,<br />

der Kamera des amerikanischen<br />

Underground-Kinos, hat er<br />

für "Computer Chess" alte, analoge<br />

Videokameras benutzt. <strong>De</strong>ren<br />

schwarzweiße Bilder sind nicht<br />

bloß kontrastarm, sondern von<br />

einer regelrechten flatness. <strong>De</strong>r<br />

Einsatz von Video birgt im Kino<br />

gewisse Gefahren, bleibt doch ein<br />

Versprechen der Leinwand unerfüllt,<br />

die <strong>De</strong>tailfülle. Bujalkis Film<br />

bedient sich daher eines einfachen<br />

Kniffs: Er macht die Videokamera<br />

zu einem seiner Hauptdarsteller.<br />

Sie bekommt eine eigene Einführungsszene, und die von ihr<br />

produzierten Bildfehler – das Einbrennen heller Bildpunkte,<br />

durchlaufende Störstreifen etc. – sind die optischen<br />

Attraktionen von "Computer Chess". Visuelles Rauschen<br />

soll im Kino meistens einen ästhetischen Bruch herbei -<br />

führen. Bei Bujalski hingegen ist der Einsatz von Video keine<br />

bloße Retrostrategie, sondern die mediale Beglaubigung<br />

des historischen Kosmos. Seit Videokassetten o utmodet<br />

sind, wirkt die feh lende Taktilität ihrer Bilder ein wenig unheimlich.<br />

Es ist ganz s icher kein Zufall, dass gerade der<br />

fantastische Film oft auf VHS zurückgriff, wenn er vom<br />

Auftauchen geisterhafter Existenzen erzählte. Von den<br />

Gesichtern der Protagonisten in "Computer Chess" bleiben<br />

oft nur Schemen, weshalb sie mitunter eben auch ganz<br />

geisterhaft anmuten. Vielleicht so, wie Programmierer vor<br />

mehr als 30 Jahren wohl auch auf Teile ihrer Mitmenschen<br />

gewirkt haben müssen.<br />

Als Nerds noch Nerds waren<br />

Oder wie Aliens mit naturwissenschaftlichem Diplom, einer<br />

geheimen Sprache und Gadgets aus der Zukunft. Bujalskis<br />

period piece versteht sich in erster Linie als ver gnügliches<br />

Stück Zeitgeschichte, wobei das Vergnügen anfangs aus<br />

Stereotypen gezogen wird: ein sa me Typen mit schweren<br />

Hornbrillen und äußerst ungelenkem Auftreten bei der<br />

Partnersuche, diskutieren über die Grenzen der künstlichen<br />

Intelligenz und vermuten hinter dem Versagen eines<br />

Schachcomputers mindestens das Pentagon, beziehungsweise<br />

den "militärisch-industriellen Komplex".<br />

Bipolare Welt, Binärcodes, Schachbretter: Zunächst inszeniert<br />

Bujalski dies unter Zuhilfenahme authentischer<br />

Strategien, etwa solchen der Mockumentary und des<br />

Von den Gesichtern der<br />

Protagonisten bleiben oft<br />

nur Schemen. Fast geisterhaft<br />

muten sie an. So wie<br />

Programmierer vor<br />

30 Jahren auf ihre<br />

Mitmenschen wirkten.<br />

Cinéma Vérité – die Bilder des<br />

Films werden i mmer an die diegetische<br />

Anwesenheit dokumentierender<br />

Kameramänner zurückgebunden.<br />

Nun verfügt Bujalski<br />

2013 über einen Blick der technologischen<br />

Überlegenheit. Doch<br />

dankenswerterweise, sonst wäre<br />

Computer Chess wohl recht<br />

stumpfe Comedy geworden, spielt<br />

er diese Position nicht gegen seine<br />

Figuren aus. Stattdessen kippt<br />

der Film nicht nur formal in einen<br />

zunehmend erzählenden<br />

Modus, fortlaufend werden kleine<br />

Nebenschauplätze eröffnet:<br />

Eine Gruppe Esoteriker trifft sich<br />

zu einer Art Erkenntnistherapie<br />

im Hotel. Von den Programmierern werden sie zunächst<br />

argwöhnisch begutachtet, die Unterschiede scheinen zumindest<br />

in Fragen von Ideologie und Gebaren (sie wühlen<br />

ihre Hände in Weißbrotlaiben und stöhnen vor Wonne) unüberwindbar.<br />

Später checkt, noch myste riöser!, eine Horde<br />

Katzen ein. Und natürlich entwickelt einer der Computer ein<br />

widerspenstiges Eigenleben. Es verwundert kaum, dass<br />

das Mensch-Maschine-Duell, auf das hier doch alles hinauslaufen<br />

sollte, weder den Erwartungen der Figuren,<br />

noch denen des Zuschauers entsprechen wird. "Computer<br />

Chess" ist kein Film über Nerds und ihre Computer, eher<br />

einer über Kommunikationsprobleme. Über das Handeln<br />

und Nichthandeln in Situationen, in denen die eigenen<br />

Strategien nicht weiterhelfen. Die Welt ist kein Schachbrett<br />

– wäre dies allein Bujalskis menschelnde Lektion, die beleidigte<br />

Zuschauerintelligenz würde ihm eine kleben wollen.<br />

Sein zeit- und ideengeschichtliches Spiel aber ist zu<br />

kontrastarm und zu klug zum Moralisieren, auch zu leise.<br />

Es wird derzeit viel von einer Renaissance des USamerikanischen<br />

Indie-Kinos gesprochen. "Computer<br />

Chess" darf als weiterer Zeuge dafür gelten. Auch weil den<br />

Film eine Aura des Glaubhaften umgibt, was weniger mit<br />

dem Videomaterial als mit der Tatsache zu tun hat, dass<br />

Bujalski beispielsweise einen Informatikprofessor einfach<br />

von einem Informatikprofessor spielen lässt. So schön und<br />

einfach ist es.<br />

COMPUTER CHESS (USA, 2013)<br />

Regie: Andrew Bujalski<br />

Kinostart: 07.11.2013<br />

Verleih: Rapid Eye Movies<br />

piano+ konzerte<br />

27.–29.II. täglich ab 20 uhr<br />

27.ll.—30.ll. 20l3<br />

festival elektronischer musik<br />

www.zkm.de/musik<br />

giga-hertz-preis für<br />

– elektronische musik<br />

– sound art<br />

preisverleihung mit konzerten<br />

30.II. ab 19 uhr 30<br />

kooperationspartner von giga-hertz-preis:<br />

medienpartner:


Text Thaddeus Herrmann<br />

Jonsson<br />

/Alter<br />

"Das Echte liegt in der<br />

Zukunft und nicht im Kauf<br />

einer überteuerten Drum<br />

Machine von 1982"<br />

Die beste HiHat der Welt klingt exakt wie<br />

das Schnarren einer Fahrradkette, die an der<br />

Abdeckung schleift, meinen Jonsson/Alter.<br />

Zum lang erwarteten zweiten Album stellen<br />

wir mit den Schweden die dringlichen Fragen<br />

nach der Authentizität.<br />

Bei Joel Alter brummt es. Laut und ausdauernd. Die<br />

Gegensprechanlage bespielt das frühabendliche Chaos<br />

in Berlin-Neukölln; die Eckfrequenz ist deep. Sanft blendet<br />

sich der Wahnsinn aus. Wir steigen hinauf gen nicht-ausgebautes<br />

Dachgeschoss; hinter der Wohnungstür ist sein<br />

Studio im Auto-Modus. Dort, wo andere Mieter ihre Mäntel<br />

aufhängen würden, in der Diele ganz rechts, ist das spärliche<br />

Equipment verkabelt. Alter schaltet um, beugt sich<br />

über die Plattenkiste, greift blind hinein, legt auf und drückt<br />

auf Play. Es duftet nach Abendessen, Henrik Jonsson positioniert<br />

die Weingläser, gießt ein. Alter nimmt Platz, steht<br />

sofort wieder auf und holt ein paar Pflanzen vom Balkon<br />

ins Warme: jetzt aber.<br />

"Das neue Album ist ein pulsierendes Rechteck", sagt<br />

Jonsson. So hätte ihm ein Bekannter "2" beschrieben, nachdem<br />

er ihm es vorgespielt habe, und da habe er dann doch<br />

die Basecap abnehmen und sich am Kopf kratzen müssen.<br />

Aber, erläuterte der Bekannte weiter, rechteckig im Sinne<br />

von klar strukturiert und sehr funktional. Und innerhalb der<br />

definierten Fläche, da vibriere es. Wir stoßen an. Auf den<br />

g efundenen Dancefloor. <strong>De</strong>nn ihr gemeinsames <strong>De</strong>büt,<br />

"Mod" von 2011, beschrieb eine Graswurzel-Tanzfläche, die<br />

verteidigt werden will, die genau das behandelt, worum es<br />

in der Dancemusic immer ging: um die dire kte und kompromisslose<br />

Konfrontation von Maschinen und den Händen,<br />

die sie bedienen. Es war aber auch eine LP, die vor allem<br />

zu Hause die Diskokugel anknippste, die jenen Rumms<br />

feierte und perfektionierte, den kaum jemand mehr wagt<br />

aufzulegen. Von dem man träumt, der aber vielleicht doch<br />

zu persönlich und ursprünglich spröde daherkommt. "2"<br />

klingt anders. Ist direkter. Steigt schneller ein. Und stellt<br />

die Kickdrum auf einen Thron, den man bei Jonsson/Alter<br />

zwar immer erahnte, den die beiden Berliner Schweden so<br />

aber noch nie in Tracks gegossen haben. "Live natürlich<br />

schon", sagt Alter. "Aber die Produktion der neuen Platte<br />

28<br />

lief anders ab. Wir haben mehr Zeit damit verbracht, in die<br />

Tracks hineinzuhören, versucht, die Essenz auszumachen.<br />

Was ist die beste Richtung, die die Skizze nehmen könnte?"<br />

"Shaking out the kicks!", sagt Jonsson und lacht. "Ist das<br />

Drumprogramming der wichtigste Faktor in diesem Track?<br />

Dann haben wir daran gefeilt. Und wenn es eher die Chords<br />

und Flächen waren, die die Grundidee ausmachten, dann<br />

haben wir uns darauf konzentriert", fährt Alter fort. "Dadurch<br />

sind die Stücke für sich genommen besser ausbalanciert<br />

und haben einen schärferen Fokus."<br />

Synth. Kick. HiHat. Fertig.<br />

Es ist immer noch ein sanftes Herantasten aneinander.<br />

Irgendwann sind Jonsson und Alter in Berlin übereinander<br />

gestolpert. Alter der DJ und Produzent, Jonsson der,<br />

der vor allem mit seinen Releases als Porn Sword Tobacco<br />

Eindruck hinterlassen hat, einem Projekt, das eine Art<br />

Ventil bildete, um mehr als zehn Jahre erfolgreiche Arbeit<br />

in der Techno-Welt abzustreifen. "Ich hatte wirklich vergessen,<br />

welche Dynamiken den Club bestimmen. Was wie<br />

funktioniert und was eben auch nicht. Als wir dann nach<br />

der ersten LP anfingen, live zu spielen, kam das schrittweise<br />

zurück. So bin ich auch die Produktion von '2' angegangen.<br />

Raus mit dem ganzen Ballast, dem Rauschen,<br />

das ja auch auf der ersten LP ein tragender Bestandteil war.<br />

Komplette Reduktion. Synth. Kick. HiHat. Fertig."<br />

Die beste HiHat der Welt klingt laut Jonsson dann<br />

auch nicht einfach wie eine HiHat, sondern eher wie das<br />

Schnarren einer Fahrradkette, die an der Abdeckung schleift.<br />

Auf "Tribunen", einem darken Einton-Monster der neuen<br />

LP, kann man das exakt nachhören. Dabei ist die Platte<br />

überhaupt alles andere als eine berechenbare und exakte<br />

Wissenschaft, ein kalkulierter Kontrapunkt zum frei schwebenden<br />

und doch dringlichen Erstling. <strong>De</strong>nn "2" verbindet<br />

zwei Welten, die heute selten, viel zu selten auf Produktionen<br />

zusammen gedacht werden. Da ist das klar definierte, anschlussfähige<br />

Beat-Skelett, das überdeckt wird von einem so<br />

noch nie umgesetzten kompositorischen Feingefühl. Arsch<br />

auf Eimer? Eher Rose in der perfekten Vase.<br />

"Ich empfinde die Arbeit an unserem Projekt eher als<br />

Songwriting und nicht als Produktion von Tracks", sagt<br />

Alter. "Und es ist doch ein großes Missverständnis, dass<br />

Songs sich über Vocals definieren. Eine kleine Melodie<br />

kann das Persönliche, das Wiedererkennbare genau so<br />

gut widerspiegeln, wie Gesang. So entstehen in der Regel<br />

auch die Stücke. Wir sprechen miteinander. Über Bücher,<br />

Filme, Erinnerungen, die wir beide an Schweden haben


»<br />

Jonsson/Alter,<br />

das ist etwas sehr<br />

persönliches. Ich brauche<br />

keine komplexen<br />

Beat-Arrangements,<br />

um anders<br />

zu sein. Ich bin<br />

einfach ich.<br />

«<br />

und dann fängt einer von uns beiden einfach an. Jonsson/<br />

Alter, das ist etwas sehr Persönliches. Ich brauche keine<br />

komplexen Beat-Arrangements, um anders zu sein. Ich bin<br />

einfach ich." "Das entwickelt sich auch stetig weiter", sagt<br />

Jonsson, "der Prozess ist noch längst nicht beendet."<br />

Ne touche pas mon 808<br />

Ganz ohne Vocals kommt "2" dann aber doch nicht aus.<br />

"Brevet Hem" ist mit der japanischen Sängerin Kazumi entstanden,<br />

die sich nur alle paar Jahre wirklich dazu überreden<br />

lässt, ihren einzigartigen Gesang aus erfundenen Lauten<br />

und Versatzstücken gleich mehrerer Sprachen freizugeben.<br />

Ein Track, pardon, Song, der auch von Trevor Horn stammen<br />

könnte. Mit fokussiertem Slap Bass wie aus einem 12"-<br />

Mix von Art Of Noise, weichen Chords und "diesem gewissen<br />

Extra an Emotion, was ich in Musik immer suche", sagt<br />

Jonsson. "Das ist natürlich vermessen, so etwas über ein<br />

eigenes Stück zu sagen, aber es sticht heraus". "Wir haben<br />

sogar einen Radio Edit davon gemacht. Mein erster überhaupt",<br />

sagt Alter. "<strong>De</strong>r erscheint<br />

als 7." Haben Radiosender heute<br />

überhaupt noch Plattenspieler?<br />

Heutzutage ist sowieso<br />

alles anders. In den Clubs haben<br />

Jonsson/Alter bislang eher<br />

indirekt Spuren hinterlassen.<br />

"Mod" ist eine der wichtigsten<br />

Inspirationsquellen der letzten<br />

zwei Jahre. Ideen und Sounds<br />

dieser Platte wurden von vielen<br />

Produzenten aufgegriffen und in<br />

ihren eigenen Tracks verarbeitet.<br />

Ein unbeachteter Ritterschlag in<br />

einem Business, "in dem immer<br />

weniger gewagt wird. So empfinde<br />

ich das jedenfalls", sagt Alter.<br />

Und plötzlich sind wir mittendrin<br />

in der alten Diskussion über<br />

oldschool und newschool, Laptop<br />

vs. Hardware, die überrissenen<br />

Preise für Rolands alte Maschinen-<br />

Garde und der auch 2013 noch<br />

dringlichen Frage nach Authentizität. "Die liegt doch in der<br />

Zukunft und nicht im Kauf einer überteuerten Drum Machine<br />

von 1982", sagt Alter. "Ich muss meine 808 jetzt wirklich in<br />

Schutz nehmen", sagt Jonsson. "Die kann nämlich rein<br />

gar nichts für die Gebrauchtmarktpreise." "Es geht doch<br />

auch darum, so viel unterschiedliche Einflüsse in sich<br />

aufzusaugen wie möglich, wenn man selber Musik macht",<br />

setzt Alter fort. "<strong>De</strong>shalb finde ich es auch überhaupt nicht<br />

schlimm, wenn Produzenten unsere Idee weiterentwickeln.<br />

Ich lebe jetzt schon eine ganze Weile in Berlin. Hier gibt es<br />

eine ganze Generation, die ausschließlich mit Techno und<br />

House aufgewachsen ist. Ich finde das problematisch, zu<br />

eingleisig. Aber es ist möglich, weil es die Clubszene gibt. In<br />

Schweden wäre das vollkommen undenkbar. Die paar Partys<br />

am Wochenende, die nimmt man zwar dankbar auf und mit.<br />

Man ist aber immer auch mit anderer Musik konfrontiert, die<br />

dann auch eine Rolle spielt. Je mehr Musik man hört, desto<br />

besser und einzigartiger wird man selbst. Wie man das dann<br />

produziert, ist vollkommen egal."<br />

"2" erzählt genau diese Geschichte in den schillernsten<br />

Farben.<br />

Jonsson/Alter, 2,<br />

ist auf Kontra-Musik Records/<br />

Clone erschienen.<br />

<strong>177</strong> — musik<br />

29<br />

NILS PETTER MOLVAER<br />

MORITZ VON OSWALD<br />

1/1<br />

Nils Petter Molvaer - trumpet<br />

Moritz von Oswald - electronics<br />

„Fantastisch unkonventionell“<br />

DIE ZEIT<br />

„Hier haben sich zwei Künstler gefunden“<br />

JAZZPODIUM<br />

„Diese Musik hat Kraftwerk genauso viel zu<br />

verdanken wie Miles Davis“<br />

FAZ<br />

„Molvaer als lyrisches Element und von Oswald<br />

als Architekt synthetisch-dissonanter Stimmungen<br />

addieren sich zu einem überzeugenden Ganzen“<br />

NEWS.CH<br />

Emarcy 06025 3743670<br />

Auch als Download<br />

und Doppel-Vinyl<br />

www.nils-petter-molvaer.de<br />

www.jazzecho.de<br />

www.facebook.com/jazzecho


Text Jan Wehn<br />

Syrischer Volksheld, Hochzeits-<br />

Sänger in traditioneller Kutte!<br />

Hipper Gegenentwurf zum<br />

verwestlichten Ethno-Pop?<br />

Wir fragen uns: Wie sollen wir<br />

eigentlich den hiesigen Hype um<br />

jemanden werten, dem Michael<br />

Jackson und die Beatles angeblich<br />

unbekannt sind und dessen neue<br />

Platte von Four Tet produziert<br />

wurde? Was steckt hinter Omar<br />

Souleyman?<br />

Durchsucht man das Internet nach Videos<br />

von Omar Souleymans Auftritten, sieht<br />

man zweierlei. Einmal sind es Aufnahmen<br />

vom Glastonbury Festival aus dem Jahr<br />

2011. <strong>De</strong>r Sänger schreitet von links nach<br />

rechts und wieder zurück über die Bühne,<br />

auf der Oberlippe einen Schnurrbart,<br />

auf der Nase eine Sonnenbrille wie sie<br />

Kampfpiloten tragen und auf dem Kopf eine<br />

mit Kordeln fixierte Kufiya, die traditionelle<br />

arabisch e Kopfbedeckung. Die Besucher<br />

kreischen frenetisch und versuchen sich<br />

im Ausdruckstanz. Die anderen Bilder sind<br />

verwackelte Aufnahmen von Hobbyfilmern.<br />

Sie zeigen prunkvoll geschmückte Räume,<br />

in denen Hochzeitsgesellschaften<br />

Kreistänze vollführen. In ihrer Mitte: Omar<br />

Souleyman, der andächtig umherschreitet<br />

und zur Melodie der hypnotisch hin- und<br />

herhüpfenden Zithern klagend ins Mikrofon<br />

singt. Zwischen den Aufnahmen liegen nur<br />

ein paar Wochen.<br />

Kassetten-Shop<br />

Wenn man das Phänomen Omar<br />

Souleyman verstehen will, muss man sich<br />

zuerst mit Mark Gergis beschäftigten. Unter<br />

dem Namen Porest ist der Amerikaner<br />

eine multimedial werkelnde Ein-Mann-<br />

Armee, als hyperaktiver Collagist der<br />

Popkultur und als Mitgründer des Labels<br />

Sublime Frequencies. Hier sammelt und<br />

veröffentlicht er - genau wie bei seiner<br />

eigenen kleinen Plattenfirma Sham Palace<br />

- Musik, Film und Field Recordings, die<br />

er auf ausgedehnten Reisen durch Asien<br />

und den Nahen Osten entdeckte. "Choubi<br />

Choubi! Folk & Pop Songs from Iraq" oder<br />

"Shadow Music from Thailand" sind nur<br />

einige von Gergis zahlreichen Compilations<br />

und Reissues.<br />

Während der stundenlangen Autofahrten<br />

auf seiner ersten Reise nach Syrien im Jahr<br />

1997 lauschte Gergis ständig der gleichen,<br />

treibenden traditionellen syrischen Musik,<br />

die immer wieder in Richtung Elektronika<br />

ausschritt. Auf Nachfrage verwiesen die<br />

Syrer ihm zufolge stets auf das Werk<br />

von Omar Souleyman: einem 1966 in der<br />

nordsyrischen Stadt Ra's al-'Ayn geborenen<br />

30<br />

Sänger, der mit seiner Musik in seinem<br />

Heimatland und der gesamten arabischen<br />

Welt Heldenstatus erlangte - angeblich.<br />

Für Souleymans Ruhm gibt es im Netz<br />

nur wenige Beweise, aber so geht nun mal<br />

die Geschichte, die Mark Gergis erzählt:<br />

Er kaufte so viele Kassetten und CDs von<br />

Souleyman zusammen wie er nur konnte.<br />

Wieder daheim reifte mit seinem Label-<br />

Partner Alan Bishop die Idee, dem syrischen<br />

Superstar auch in Amerika und Europa ein<br />

Outlet zu bieten. 2006 fand der Sublime-<br />

Frequencies-Gesandte in einem Kassetten-<br />

Shop in der Stadt Aleppo endlich jemanden,<br />

der die Nummer von jemandem besaß,<br />

der wiederum die Nummer von Omar<br />

Souleyman hatte.<br />

Fremdartiger Kitsch<br />

Nach einem Treffen unterbreitete Gergis<br />

Souleyman das Angebot, seine Musik zu<br />

veröffentlichten. Trotz der vergleichsweise<br />

bescheidenen Reichweite eines auf<br />

Nischenmusik spezialisierten Labels machte<br />

das erste Release "Highway To Hassake"<br />

bald die Runde. Es folgte "I Remember<br />

Syria", die Videos griffen ordentlich YouTube-<br />

Klicks ab, Björk listete zwei Songs von<br />

Souleyman in ihrer NPR-Playlist für das<br />

Jahr 2012, orderte Remixe für ihre Serie<br />

von "Crystaline"-Neuinterpretationen und<br />

die Kollaboration mit Blur verpasste laut<br />

Frontmann Damon Albarn nur knapp eine<br />

Platzierung auf deren Album "Plastic Beach".<br />

<strong>De</strong>r Hype kommt nicht von ungefähr.<br />

Mit seinen rumpelnden und rauschenden<br />

Lo-Fi-Aufnahmen, den flimmernden<br />

Konzertmitschnitten von syrischen<br />

Hochzeiten und seinem Kleidungsstil<br />

fernab vom Urban-Outfitters-Diktum<br />

passt Souleyman, der Orient und Okzident<br />

mithilfe von arabisch interpretierter New-<br />

Wave-Musik einander näher bringt, ganz<br />

wunderbar ins Bild der Weltmusik-Jünger<br />

zwischen Leipzig und London - liefert er<br />

mit ungekannter Theatralik, fremdartigem<br />

Kitsch und einer Affinität zum "westlichen"<br />

Rhythmus doch eine willkommene<br />

Alternative zum inflationären Aufkommen<br />

von Mottoparty-tauglich getrimmten<br />

Ethnomusik-Trends wie Gipsy Jazz, Klezmer<br />

Pop oder Balkanbeats.<br />

Das minutenlange Scheppern<br />

<strong>De</strong>nn es ist doch leider nun mal so: Egal,<br />

ob es sich um die Bhangra-Blödeleien von<br />

Panjabi MC oder die Tamil-Tigers-Koketterie<br />

einer M.I.A handelt: Jede Abweichung<br />

(die gerade genau richtig eben auch nicht<br />

abweicht) von der Mainstream-Norm<br />

wird als eierlegende Wollmilchsau durchs<br />

Dorf getrieben. Freilich hat Souleyman<br />

Mit seinen rumpelnden und<br />

rauschenden Lo-Fi-Aufnahmen,<br />

den flimmernden Konzertmitschnitten<br />

von syrischen Hochzeiten und<br />

seinem Kleidungsstil fernab vom<br />

Urban-Outfitters-Diktum passt<br />

Souleyman ganz wunderbar ins Bild<br />

der Weltmusik-Jünger zwischen<br />

Leipzig und London.<br />

in den letzten Jahren erfolgreich die<br />

großen Hipster-Symposien von SXSW<br />

bis Glastonbury abgeklappert. Aber<br />

Souleymans Siegeszug wurde auch<br />

kritisch beäugt, ist er doch weit mehr als<br />

jemand, der mit unkundigen Folklorezitaten<br />

herumhantiert.<br />

Die Musik, die er gemeinsam mit<br />

seinem Keyboarder Rizan Sa’id macht,<br />

ist die Begleitung zu dem orientalischen<br />

Reihentanz Dabke, der auf Hochzeiten und<br />

Festen im arabischen Raum getanzt wird.<br />

<strong>De</strong>r Sound von Souleyman lebt von der<br />

Präzision ebenso wie von sympathischen<br />

Schlampereien. Das minutenlange<br />

Scheppern von akzentuierten Flöten und<br />

gezupften Saiten verquirlt sich mit der<br />

Schmerzenslyrik Souleymans zu einem<br />

hypnotischen Strudel futuristischer<br />

Folkmusik.<br />

<strong>De</strong>n treibenden Tanzrhythmus versieht<br />

Souleyman mit Texten über gebrochene<br />

Herzen, Liebeserklärungen an die eigene<br />

Mutter und Zwangsehen. Die zum<br />

konkreten Verständnis von der Plattenfirma<br />

ausgehändigten Übersetzungen kann man<br />

getrost beiseite legen. Souleymans Stimme,<br />

die mal voller Schmerz, mal beinahe in<br />

flachsender MC-Manier daherkommt,<br />

sagt mit ihrem schwülstig-opulenten<br />

Subtext immer genau das Richtige. Zu<br />

der Andersartigkeit gesellt sich auch eine<br />

Einzigartigkeit: Omar Souleyman hat nie von<br />

einem Michael Jackson gehört, die Beatles<br />

oder Elvis Presley sind ihm ebenso fremd,<br />

hat Mark Gergis einmal in einem Interview<br />

erzählt. Und als er Souleyman die Musik<br />

von Porest vorspielte, brach der Sänger in<br />

schallendes Gelächter aus, erinnerte sie<br />

ihn doch an die Geräusche von Insekten.<br />

Dann aber kommt Produzent Four Tet.<br />

Gemeinsam mit dem Folktronic-Vielwerker<br />

hat Souleyman in einer gemeinsamen, nur<br />

vierstündigen Session in Brooklyn sein<br />

erstes Studioalbum aufgenommen. Es heißt<br />

"Wenu Wenu", was so viel wie "Wo ist sie?"<br />

bedeutet. Schön: Four Tet hat in keinem<br />

Moment auch nur daran gedacht, in das<br />

Souleyman’sche Handwerk einzugreifen. Es<br />

gibt keine durch den Kompressor gejagte<br />

Kickdrum, keine zurechtgesampleten<br />

Library-Music-Extrakte. Natürlich klingt<br />

alles etwas klarer, ausproduzierter.<br />

Ansonsten ist jedoch alles wie immer:<br />

untenherum schnurgerade Vierviertel-<br />

Didaktik, nur von ein paar Trommeln<br />

unterbrochen, obenrum Trance evozierende<br />

Freidreher aus rhythmisch gezupften Lauten<br />

und geflöteten Kapriolen. Es liegt nahe,<br />

die Musik eines syrischen Musikers mit<br />

Monopol auf dem westlichen Markt als<br />

rebellischen Report aus krisengeschüttelten<br />

Gebieten, als eine Art hochkulturelle<br />

Kriegsaufbereitung zu deuten. Souleyman<br />

hat in Interviews aber immer wieder betont,<br />

kein politischer Musiker zu sein. Wenngleich<br />

er mit seiner Familie mittlerweile im<br />

türkischen Şanlıurfa lebt, sind weder seine<br />

blümeranten Texte als codierte Botschaften<br />

aus dem Epizentrum des Konfliktes zu<br />

verstehen, noch machen die ungelenken<br />

Versuche mancher Journalisten Sinn,<br />

Souleymans Band als multiethnisches und<br />

–religiöses Konglomerat und somit eine<br />

gelungene Form der Völkerverständigung<br />

und Forschungsprojekt für langfristige<br />

Konfliktlösungen im nahen Osten zu<br />

interpretieren.<br />

Tausende bejubeln den syrischen<br />

Sänger bei seinen Konzerten, die<br />

arabischen Communities hüben wie drüben<br />

freuen sich über hiesige Auftritte ihres<br />

Helden. All das hat nichts mit Politik zu<br />

tun. Oder anders und ganz platt gesagt:<br />

Omar Souleyman unterscheidet sich rein<br />

äußerlich nicht groß von Yassir Arafat oder<br />

Saddam Hussein. Man muss so dumm<br />

denken, um im Umkehrschluss festhalten<br />

zu können: Dass Omar Souleyman mit<br />

Hilfe von Mark Gergis die syrische und<br />

arabische Kultur und ihre Erscheinung in<br />

der sogenannten westlichen Welt in ein<br />

gutes Licht rückt, ist viel wert.


<strong>177</strong> — musik<br />

Omar<br />

sOuleyman<br />

Hochzeit in Syrien<br />

Omar Souleyman & Four Tet, Wenu Wenu,<br />

ist auf Domino/Good To Go erschienen. 31


<strong>177</strong> — breakbeat revival<br />

re:<br />

break<br />

Nostalgische<br />

<strong>De</strong>konstruktionen<br />

32<br />

"Hast du jemals<br />

zwischen Stroboskop-<br />

Strahlen und dichtem<br />

orangefarbenen Dunst<br />

gestanden, auf einer<br />

endlosen Welle von<br />

Musik dahintreibend?<br />

Auf der es für einen<br />

kurzen Moment ganz<br />

egal ist, wer du bist,<br />

was du machst oder<br />

wie du aussiehst?"


Text Philipp Rhensius <strong>177</strong><br />

Tessela<br />

A<br />

Die Sehnsucht nach einer vergangenen<br />

Clubmusik-Ära, die im Soundcloud-<br />

Auftritt des Produzentenkollektivs R-Zone<br />

anklingt, erzählt von einer neuen Tendenz<br />

in der aktuellen Dancemusic: dem Trend,<br />

beziehungsweise weniger hochstapelnd,<br />

dem Comeback des Breakbeats. Eine<br />

Renaissance von Samples aus dem<br />

Archiv des britischen Hardcore und<br />

Jungle: retrofuturistische Alarmsirenen,<br />

schrille Klangfarben, hochgepitchte<br />

Vocals, 808-Sounds und immer wieder der<br />

Amen-Break. Klänge und Beats, die in den<br />

90ern einst die Körper hunderttausender<br />

Clubgänger umprogrammierten.<br />

Während die akustischen Referenzen<br />

von Künstlern wie R-Zone ("Romijn<br />

Ravine"), Special Request ("Lockjaw"),<br />

Pangaea ("Hex") oder Tessela ("Helter<br />

Skelter") sehr direkt sind, werden sie bei<br />

Om Unit ("Governer's Bay"), dem Bristoler<br />

Kollektiv Livity Sound oder in der jüngst<br />

erschienenen "Test Pressings"-Reihe von<br />

<strong>De</strong>mdike Stare eher subtil eingesetzt.<br />

Besonders populär ist dabei der Amen- <strong>De</strong>r neue Breakbeat-Sound ist mal<br />

Break, der sich als sechssekündiges Drum-<br />

Sample aus dem Song "Amen, Brother" der<br />

ideologiefreies Recycling zur Erschaffung<br />

Soulband The Winstons von 1969 zunächst einer Retro-Atmosphäre, mal kulturkritische<br />

über amerikanischen HipHop und dann<br />

durch den britischen Jungle ins kollektive Spiegelung einer Utopie-losen Gegenwart,<br />

Hörbewusstsein einprägte. Heute ist der<br />

Amen-Break das akustische Totem einer<br />

mal das Füllen einer kreativen Leerstelle.<br />

gealterten Subkultur, das zersetzend auf die<br />

ohnehin brüchig gewordenen Stilgrenzen<br />

wirkt. Während es bei Special Request oder<br />

Tessela im Zentrum der Komposition steht,<br />

unterwirft Andy Stott es in "Up The Box"<br />

einer radikalen Zeitraffung und entzieht<br />

ihm damit jegliche Energie.<br />

Tessela - dessen in britischen Clubs hoch<br />

gehandelter Hit "Hackney Parrot" mit<br />

seinen überdrehten Diven-Vocals und dem<br />

gecutteten Amen-Break klingt wie eine<br />

verhalf. Zwei Jahre später setzte Zomby<br />

mit dem Album "Where were you in<br />

1992?" einen Meilenstein auf dem Gebiet<br />

der retrospektiven Aneignung eines<br />

Dass bestimmte Klänge zu Track-gewordene Verdichtung der frühen zwanzig Jahre alten Lebensgefühls.<br />

unterschiedlichen Zeiten neu aufgegriffen<br />

werden, ist eine Konstante der<br />

Musikgeschichte. So wurde das aus der<br />

Barockmusik stam mende Seufzermotiv<br />

besonders in der Klassik neu entdeckt, um<br />

etwa Trauer darzustellen. Was sich heute<br />

jedoch grundlegend geändert hat, sind,<br />

neben dem hohen Tempo, in dem sich neue<br />

Ideen verbreiten, die Aneignungsstrategien.<br />

So scheint der neue Breakbeat-Sound<br />

zwischen verschiedenen Modi zu<br />

changieren: dem ideologiefreien Recycling<br />

zur Erschaffung einer Retro-Atmosphäre,<br />

der kulturkritischen Spiegelung einer<br />

Utopie-losen Gegenwart oder schlicht dem<br />

Füllen einer kreativen Leerstelle, die heute<br />

aufgrund der unendlichen Möglichkeiten<br />

der digitalen Musikproduktion besteht.<br />

britischen Clubmusikgeschichte - geht es<br />

vor allem darum, ein verloren geglaubtes<br />

Gefühl zu konservieren: "Nostalgie hin oder<br />

her: Wenn ich mir die Dokumentationen aus<br />

der Rave-Zeit anschaue, vermisse ich diese<br />

Zeit", erzählt er im Interview mit Resident<br />

Advisor, bevor der nächste Satz alles auf<br />

den Kopf stellt: "Auch wenn ich damals erst<br />

ein oder zwei Jahre alt war." Eine Tatsache,<br />

die er mit vielen Protagonisten der Post-<br />

Jungle-Welle teilt und die man bereits aus<br />

dem legendären Gespräch zwischen dem<br />

Musikjournalisten Martin Clark und Burial<br />

kennt, in dem letzterer von den alten Jungle-<br />

Tapes des älteren Bruders schwärmt, die er<br />

im Londoner Kinderzimmer hörte.<br />

Burial war es dann auch, der 2006 dem<br />

Mythos Jungle zur neuen Salonfähigkeit<br />

Doch der wahre Ursprung der heutigen<br />

Breakbeat-Renaissance liegt im London<br />

der frühen 2000er-Jahre, als Drum and<br />

Bass längst zu einer Testosteron-geladenen<br />

Karikatur seiner selbst und UK Garage zum<br />

Soundtrack für Champagner trinkende<br />

Wohlstands-Clubber verkam. Mit Dubstep<br />

entstand ein Stil, der dem Bedürfnis nach<br />

rhythmischer Komplexität und kathartischen<br />

Subbässen vorausging und sich mit seiner<br />

radikalen Entschleunigung bei einer maximal<br />

reduzierten Ereignisdichte als akustische<br />

Opposition gegen eine übersättigte<br />

33


<strong>177</strong> — breakbeat revival<br />

und daueraffirmative Popmusik<br />

positionierte. Kurz danach folgten UK Funky,<br />

die technoideren Dubstep-Hybride der<br />

Bristol-Berlin-Achse und nicht zuletzt das<br />

aus den USA importierte Footwork. So war<br />

Dubstep wie ein transzendentales sonisches<br />

Tor in die Vergangenheit, durch das junge<br />

Produzenten und Clubgänger retrospektiv<br />

die Ursprünge des Stils kennenlernten<br />

und neue Labels gründeten, wie etwa<br />

Pearson Sound, Pangaea und Ben UFO<br />

mit ihrem Label Hessle Audio. Aktuell sind<br />

das 2012 gestartete Houndstooth (Special<br />

Request, Akkord), aber auch das Drumand-Bass-Flaggschiff<br />

Metalheadz wichtige<br />

Petrischalen eines neuen Breakbeat-<br />

Verständnisses, indem sie einen hybriden<br />

Sound zwischen Techno, Jungle und frühem<br />

Dubstep prägen.<br />

Als zentrale Kompositionspraxis<br />

hat sich das Prinzip der Gleichzeitigkeit<br />

verschiedener Geschwindigkeiten innerhalb<br />

eines Tracks durchgesetzt, die durch einen<br />

im halben Tempo stehenden Backbeat<br />

(Bassdrum und Snare) und in doppelter<br />

Geschwindigkeit stehende Percussion<br />

erzeugt werden. Die Dubstep-typischen<br />

70 beziehungsweise 140 Bpm haben<br />

sich inzwischen bei 80 beziehungsweise<br />

160 eingependelt, wobei Künstler wie<br />

Pangaea, Akkord und Tessela mit Tracks<br />

rund um 130 Bpm die Anschlussfähigkeit<br />

an House- oder Technosets bewahren und<br />

so ein größeres Publikum erreichen. Die<br />

wichtigste Eigenschaft dieses Slowfast-<br />

Prinzips besteht in der Wirkung auf den<br />

Körper. Durch die Parallelität zweier<br />

rhythmischer Muster, also der Betonung<br />

auf der zweiten und vierten Zählzeit und<br />

des darüber liegenden, doppelt oder sogar<br />

viermal so schnellen Beats, entsteht eine<br />

Spannung, die, mithilfe der von reduzierten<br />

Klangereignisse erzeugten Leerstellen, zum<br />

körperlichen Mitvollzug geradezu auffordert.<br />

Die neuen Breakbeat-Vertreter liefern<br />

also keine Kopien, sondern zeitgemäße<br />

Updates aus der Vergangenheit. Letztere<br />

bleibt dennoch relevant. Während es Tessela<br />

oder Special Request auch um die, durch<br />

nostalgische Flashbacks erzeugte Euphorie<br />

geht, betreiben Andy Stott oder <strong>De</strong>mdike<br />

Stare eine akustische <strong>De</strong>konstruktion<br />

von Jungle, indem sie die kathartische<br />

Düsterheit und Entfremdung, die der Musik<br />

seit jeher innewohnt, priorisieren.<br />

Neben einer gestiegenen Akzeptanz<br />

für eine größere rhythmische Vielfalt auf<br />

den Tanzflächen dieser Welt geht es also<br />

auch um die Faszination für eine Ära, in der<br />

die Zukunft noch mit der Hoffnung auf eine<br />

bessere Welt verbunden war. Ob man<br />

sich 1992 auf einer mit Kunstnebel verhangenen<br />

Tanzfläche, im Kinderzimmer oder<br />

gar im Mutterbauch befand, scheint dabei<br />

egal zu sein. In einer Zeit, in der die Zukunft<br />

nur noch eine "optimierte Gegenwart" ist,<br />

wie es der Philosoph Byung-Chul Han beschreibt,<br />

geht auch der Vergangenheit ihre<br />

einstige Lebendigkeit verloren.<br />

Doch die neuen Breakbeats sind<br />

das perfekte Gegenmittel für so einen<br />

Kulturpessimismus. <strong>De</strong>nn nichts könnte<br />

dem Jetzt-und-Hier stärker zu einer<br />

unmittelbaren Präsenz verhelfen als die<br />

durch Amen-Breaks und grelle Alarmsirenen<br />

erzeugte akustische Überwältigung. So<br />

lassen nostalgische<br />

Samples die<br />

Utopie einer durch<br />

Clubkultur emanzipierten<br />

Gesellschaft<br />

wiederauferstehen,<br />

nicht ohne gleichzeitig<br />

Soundtrack<br />

der Gegenwart<br />

zu sein. Es ist<br />

kein Geheimniss,<br />

dass die stetige<br />

Innovation, ob mit<br />

"neuen" oder alten<br />

Mitteln, kaum<br />

aufzuhalten ist. So<br />

beantwortete der<br />

Clubmusik-Avantgardist Zomby die Frage,<br />

ob ihn Nostalgie antreibe: "I don’t want to<br />

end up in an antique shop for music. We<br />

should try to keep it moving forward.”<br />

Die neuen Breakbeats sind das perfekte Gegenmittel<br />

für den Kulturpessimismus. Nichts könnte dem Jetztund-Hier<br />

stärker zu einer unmittelbaren Präsenz verhelfen<br />

als die durch Amen-Breaks und grelle Alarmsirenen<br />

erzeugte akustische Überwältigung.<br />

Pangaea<br />

34


BEAT THESE.<br />

ist das neue Flaggschiff-Groove<br />

Production Studio mit noch direkterer Hardware-Kontrolle und brillanten, hochauflösenden<br />

Farb-Displays. Die fortschrittliche MASCHINE 2.0-Software bietet allen MASCHINE-Nutzern<br />

unzählige neue leistungsstarke Funktionen – ultra-schnelle und intuitive Workflows, flexibles<br />

Sampling und Slicing, einen brandneuen Mixer, einzigartige Drum-Synths, ein neues Level<br />

an KOMPLETE-Integration und mehr. <strong>De</strong>r ultimative Groove beginnt am 1. November 2013.<br />

Erfahren Sie mehr darüber, wie MASCHINE erneut Maßstäbe setzt.<br />

www.beat-these.com


<strong>177</strong> — breakbeat revival<br />

36


Text Sebastian Eberhard <strong>177</strong><br />

'Ardcore<br />

Special<br />

Request<br />

Paul Woolford wühlt als Special Request Dancefloors und Musikverständnisse<br />

auf: So hörte sich Breakbeat also neulich an, kein Wunder: alles wie<br />

von vorn, noch elegantere Ambosse. Unser Autor hat sich mit Woolford<br />

verabredet, um über Hier und Jetzt von Breakbeat zu reden: Ist das die<br />

Musik der Krise oder der Besinnung?<br />

Herbst 2012. Gerade hatte Lana <strong>De</strong>l Ray<br />

noch für eine große Modekette anklagend<br />

von den Werbeflächen der Stadt geblickt.<br />

Dann hatte irgendwer wieder mal Vocals<br />

von ihr benutzt. Benutzt, um damit diesen<br />

einen Jungle-Breakbeat-Track zu bauen.<br />

Neuartig, und doch mit allem, was<br />

früher schon dazu gehört hatte. Ein halbes<br />

Dutzend trocken und flott gechoppte<br />

Breaks, eine tiefer gelegte Reese Bassline,<br />

Gunshots, und dann geloopt und dann<br />

wieder geradeaus Lana, gesamplet darüber<br />

gelegt, unverkennbar leicht nörgelnd<br />

singend, ein Mal, zwei Mal: "Big dreams,<br />

Gangster, said you had to leave to start<br />

your life over." BOW. So schön kann Pop<br />

manchmal sein, wenn er ohne Emphase<br />

gemacht wird. Zusammen genommen eine<br />

kleine <strong>De</strong>tonation und umwerfend, weil<br />

es jemanden mit dem Track gelungen war,<br />

Breakbeat in einer neuen Art und Weise<br />

zurück an die eigenen Wurzeln zu führen.<br />

<strong>De</strong>m Weg des immer weiter und schneller<br />

der Breaks, dem zu oft gewählten, auswegslosen<br />

Heavy-Metal-Subkontext von<br />

Drum and Bass einen Haken zu schlagen,<br />

das Tempo runter oder auch zurück auf die<br />

leicht erhöhte House-Geschwindigkeit der<br />

Anfänge zu ziehen, und trotzdem mit den<br />

Beats und Sounds pure Magie eleganter<br />

Tanzmusik zu offenbaren. <strong>De</strong>r posthumane<br />

Drummer, er lebt.<br />

Ride V.I.P.<br />

"Ride", der Remix des Stücks von Lana <strong>De</strong>l<br />

Ray, der im letzten Herbst seine Runden<br />

zog, befand sich auf einer 12" mit Aufdruck<br />

"Special Request". Zwei Vinyl-Vorgänger<br />

hatte es schon gegeben, und so, als ob jemand<br />

die Gemeinde der Four-to-the-Floor-<br />

Fraktion auf dem Dancefloor gemächlich<br />

und historisch korrekt an das Thema Rave,<br />

Breakbeat und Jungle, oder vielleicht besser<br />

einfach HARDCORE heranführen wollte,<br />

hatte sich ihr Produzent auf ihnen mit<br />

vielen atemberaubenden Akzenten noch<br />

mehr an der technoiden Seite der britischen<br />

Tradition abgearbeitet. Schnell<br />

war zu erfahren, dass hinter dieser Serie<br />

Paul Woolford stand. Erstaunlich eigentlich.<br />

Woolford: einer der großen Techno-<br />

DJs Britanniens, Headliner riesiger Raves,<br />

Resident auf Ibiza und Gewinner zahlreicher<br />

britischer DJ-Leserpolls. Einer, der mit seinem<br />

Alias Bobby Peru als Producer sehr<br />

erfolgreich und als Remixer so gefragt war,<br />

dass er noch Amy Winehouse auf Elektronik<br />

trimmen durfte. <strong>De</strong>r seinen Adelsschlag<br />

spätestens vom Techno-Don Carl Craig bekam,<br />

der auf Planet E veröffentlichen konnte<br />

und gemeinsam anlässlich des zwanzigjährigen<br />

Jubiläums mit eben jener Posse durch<br />

die Staaten tourte. <strong>De</strong>r aber offensichtlich<br />

immer auch seinen eigenen musikalischen<br />

Plan verfolgte, danach zwei weitere 12"s<br />

"Soul Music" ist eine Art Best-Of aus<br />

über 70 Tracks. Woolford schmiss das Album<br />

zwei Mal komplett über den Haufen, bevor<br />

er zufrieden war.<br />

der "Special Request"-Serie veröffentlichte,<br />

um auf ihnen wieder die ganz eigene<br />

Verbindung zwischen heute und den<br />

Stilmitteln britischer Breakbeatmusic der<br />

ersten Hälfte der Neunzigerjahre zu knüpfen.<br />

Woolford, der nun mit "Soul Music"<br />

seine moderne Vision von basslastiger<br />

Dancemusic mit ihren zahleichen Verweisen<br />

zwischen Techno, UK Hardcore und Jungle<br />

auf Albumlänge veröffentlicht.<br />

Ein lang gehegter Plan<br />

Auf die Frage, wie es überhaupt zu seinem<br />

"Special Request"-Projekt kam, erfahren<br />

wir, dass er diese Idee schon ziemlich lange<br />

mit sich herumgetragen hatte und dann<br />

vor ein paar Jahren anfing, die ersten Tracks<br />

im Studio zusammen zu bauen. Zunächst<br />

habe er ein wenig Zeit gebraucht, um die<br />

passende Sound-Ästhetik zu finden, aber<br />

dann hätten sich die Tracks fast wie von<br />

selbst ergeben. Für ihn wären das einige<br />

sehr große Momente gewesen, Momente<br />

der künstlerischen Freiheit, weil er ohne<br />

lange zu überlegen, fast unbewusst und<br />

beinahe instinktiv seine Tracks machen<br />

konnte. Zwei Mal hatte er vorher schon ein<br />

ganzes Album zusammengestellt, um diese<br />

Versionen doch wieder zu verwerfen.<br />

So kommt es, dass er mittlerweile ungefähr<br />

70 Tracks auf Tasche hat, einen komfortablen<br />

Materialberg, aus dem er unbeschwert<br />

die passenden Tracks für "Soul<br />

Music" auswählen konnte. Trotzdem bleibt<br />

bei uns etwas Verwunderung darüber, wie<br />

es dazu kommen konnte, dass ein arrivierter<br />

Techno-DJ ein so umfassendes, so viele<br />

Einflüsse bündelndes Album veröffentlicht.<br />

Nein, entgegnet Woolford, die Musik<br />

37


<strong>177</strong> — breakbeat revival<br />

sei genau die, die er gerade machen<br />

möchte, es wäre immer nur ein Problem<br />

der Medien, die einen in eine bestimmte<br />

Ecke stellen und mit einem bestimmten<br />

Label abstempeln. Es wäre deswegen für<br />

Künstler oft schwer zu zeigen, gerade wenn<br />

sie davon leben möchten, woher sie wirklich<br />

kommen und was sie gerade bewegt.<br />

Und daher wäre es umso wichtiger, hartnäckig<br />

an der eigenen Vision festzuhalten<br />

und die Dinge klarzustellen. Für ihn, der in<br />

Leeds im Norden Englands groß geworden<br />

ist, dort seine DJ- Karriere gestartet<br />

hat und dort auch immer noch lebt, waren<br />

die damaligen lokalen Piratensender Ende<br />

der Achtziger, Anfang der Neunziger der eine<br />

große, vieles bestimmende Einfluss auf<br />

sein Kunstschaffen. "Schon als Teenager<br />

habe ich die hiesigen Piratensender gehört,<br />

auf denen ich Musik von Labels wie<br />

NuGroove, Network, R&S, Bonesbreaks,<br />

DFC und hunderten von White Labels gehört<br />

habe. Musik, die so neu und verboten<br />

klang, dass sie mich für den Rest meines<br />

Lebens inspiriert."<br />

Forget back in the days<br />

Wir fragen daraufhin, ob er denn, wenn die<br />

Zeiten der Piratenstationen für ihn und auch<br />

das Album so einschneidend gewesen ist,<br />

gerne etwas an der heutigen Situation der<br />

Musikszene ändern möchte. "Überhaupt<br />

nichts", sagt Woolford, "ich möchte nichts<br />

ändern. Leute, die sich der Idee verschrieben<br />

haben, irgendwas wäre früher besser<br />

gewesen, führen sich doch selbst an der<br />

Nase herum. Die Zeit schreitet voran, wir<br />

existieren im Hier und Jetzt." Sein Album<br />

habe deswegen auch absolut nichts mit<br />

einem Hang zur Vergangenheit zu tun:<br />

"Vergiss das Gerede von den alten Zeiten.<br />

Die Jungle-Produzenten wie Dillinja, Photek,<br />

Goldie, Source Direct, 4 Hero, Doc Scott<br />

oder Bizzy B. sind immer noch meine absoluten<br />

All-Time-Favoriten. Genauso wie Shep<br />

Pettibone, Teddy Riley, Carl Craig, Trevor<br />

Horn, <strong>De</strong>rrick May, Anthony Shakir, Matt<br />

Cogger, Baby Ford - es ist eine niemals endende<br />

Liste." Und damit wird die simple aber<br />

großartige Idee hinter dem Album deutlich,<br />

auf dem sich zusätzlich auch gleich eine<br />

Handvoll großartiger Remixe von Kassem<br />

»Dillinja, Photek, Goldie, Source Direct, Doc<br />

Scott und Bizzy B: Das sind noch immer<br />

meine Helden.«<br />

Mosse, Anthony Shakir oder Hieroglyphic<br />

Being finden. Für Woolford geht es einfach<br />

um die Musik, um die, die man selber spürt:<br />

"Es gibt diesen Moment, in dem man versteht,<br />

dass bestimmte Sounds in einem<br />

viel größeren Kontext stehen als im zyklischen<br />

Wesen der Kultur. Sich genau das<br />

klarzumachen ist für jeden Künstler sehr<br />

wichtig. Wichtiger ist aber noch, dass man<br />

wirklich macht, was man fühlt."<br />

Culture reflects the times<br />

Einer der ausschlaggebenden Gründe<br />

für die einmalige Entwicklung britischer<br />

Ravemusic in ihrer Verschmelzung von<br />

jamaikanischen und anderen kulturellen<br />

Einflüssen war sicherlich die offene britische<br />

Immigrationspolitik. Ein anderer der düstere<br />

Humor und der Gemeinschaftsgedanke,<br />

mit dem sich die Szene in ihren Ursprüngen<br />

und vielleicht bis Mitte der 90er-Jahre gegen<br />

die unerbittlichen Härten der unsäglichen,<br />

bis heute nicht wieder reparierten,<br />

neoliberalen Politik Thatchers zu Wehr<br />

setzte. Musikalisch reagierte man auf die<br />

damals von der Politik so bewusst in Kauf<br />

genommenen Kollateralschäden mit überspitzter,<br />

abstrakter Härte und düsteren,<br />

spukhaften Jungletracks mit der nächsten<br />

beeindruckenden Bassline. Auch beim<br />

Hören von "Soul Music" trifft man an einigen<br />

Stellen auf kompromisslose Härte, die<br />

vielleicht zum Teil auf die Anlehnung der<br />

Tracks an die frühere Ravemusic zurückzuführen<br />

ist, aber auch auf eine sehr saubere<br />

Produktionsästhetik. <strong>De</strong>n besonderen Kniff<br />

machen aber auch die – ohne wuchtig zu<br />

klingen - in ihrer Geschwindigkeit zurückgenommenen<br />

Drumbreaks, die dadurch eine<br />

fast schon geisterhafte Wirkung erzielen,<br />

die so vielleicht auch den Ausnahmestatus<br />

von "Soul Music" erzielen. Auf den Eindruck<br />

einer ziemlich düsteren Atmosphäre angesprochen<br />

und die Frage, ob der Sound<br />

auch eine Antwort auf krisengeschüttelte<br />

Zeiten in England und Europa sind, antwortet<br />

Woolford: "Mach keinen Fehler:<br />

Wir leben in düsteren Zeiten. Schnapp<br />

dir eine Zeitung und lese zwischen den<br />

Zeilen. Analysiere den Subtext von dem,<br />

was uns jeden Tag erklärt wird. Kultur<br />

reflektiert die Zeit."<br />

Special Request, Soul Music,<br />

ist auf Houndstooth erschienen.<br />

38


istock<br />

fotocontest<br />

Zeige uns den Herbst vor <strong>De</strong>iner Tür<br />

<strong>De</strong>in Blick - Erleben. Festhalten. Teilen.<br />

Wie sieht dein persönlicher Herbst aus? Ob bunte Blätter<br />

sammeln, Herbstfeuer anzünden, Drachen steigen lassen<br />

oder sich zu Helloween so richtig gruseln – wir suchen lebendige,<br />

authentische Bildern, die zeigen, was den speziellen<br />

Zauber dieser Jahreszeit ausmacht.<br />

Einfach ab 21. Oktober anmelden und Foto(s) einsenden.<br />

<strong>De</strong>n Gewinnern winkt eine Canon EOS 6D<br />

und weitere tolle Preise.<br />

Twitter-Hashtag<br />

iStock-Fotocontest #<strong>De</strong>inBlick<br />

Die Jury des iSTOCk-FOTOwettbewerbs<br />

Mike Owen (European Professional Marketing<br />

Manager, Professional Imaging Group, Canon<br />

Europe), Adam Pretty (Professional sports photographer,<br />

Getty Images), Oliver Clausen (Editorial<br />

Content Specialist, Getty Images), Tom Hind<br />

(Director Creative Content, Getty Images), Nico<br />

Damm (Redakteur, Pictures Magazin), Hagen<br />

Klie (Geschäftsführer Photopresse), Dr. Stefan<br />

Hartmann (Chefredakteur Pictorial), Timo Feldhaus<br />

(Mode- und Lifestyle Redakteur DE:BUG)<br />

Ablauf<br />

Pre-Registration: 21.10. bis 25.10.<br />

Wettbewerb: 28.10. bis 28.11<br />

Jury-Entscheidung: 1. <strong>De</strong>zemberwoche<br />

Ausstellung der Gewinnerarbeiten im Januar


Text Wenzel Burmeier<br />

Om<br />

Unit<br />

Trommeln ist<br />

wie Essen<br />

"Slow on the bottom, fast on the top." <strong>De</strong>r 33-jährige Jim Coles ist ein Kind<br />

des Breakbeat-Kontinuums. Mit seinem <strong>De</strong>bütalbum als Om Unit gelingt<br />

ihm eine Synthese aus schleppenden, Bass-schwangeren Backbeats<br />

und hyperaktiver Percussion. Umhüllt von düsteren Synth-Flächen, die<br />

retrofuturistisch den Visionen des Drum and Bass früher Tage frönen.<br />

Hardcore und Jungle liegen während seiner<br />

Jugend auf den Plattentellern, die<br />

mit Anbruch der 2000er plötzlich dem<br />

Turntablism dienen. Im Handumdrehen<br />

werden die Breaks entschleunigt und Coles<br />

produziert drei ganze HipHop-Platten unter<br />

dem Pseudonym 2Tall. Bis 2010 die spirituelle<br />

Sinneswandlung einsetzt: Aus 2Tall<br />

wird Om Unit, langsame und schnelle Breaks<br />

verlaufen ab sofort parallel zueinander. Als<br />

"slow-fast" bezeichnet Coles seine Musik:<br />

Damit ist aber kein Genre gemeint, mehr<br />

ein Produktionsstil. Kategorien strich Jim<br />

eh längst aus seinem Regelwerk. Seine<br />

Releases auf Metalheadz, Exit Records,<br />

All City, Planet Mu und dem eigenen Label<br />

Cosmic Bridge bewegen sich spielerisch<br />

zwischen HipHop, Jungle und Dubstep. Mit<br />

seinem Philip-D.-Kick-Alias und der anschließenden<br />

Machinedrum-Kollaboration<br />

Dream Continuum löste er vor zwei Jahren<br />

schließlich auch die Grenzen zwischen<br />

Jungle und Footwork auf. "Threads", das<br />

neue Album, fasst diese Entwicklung kongenial<br />

zusammen.<br />

Du hast als 2Tall HipHop produziert und<br />

früher auch Jungle aufgelegt. Diese beiden<br />

Phänomene, die man auch auf deinem<br />

Album wiederfindet, haben den gleichen<br />

Ursprung, nämlich Breaks von Funk-<br />

Platten. Trotzdem sind sie in UK eher parallel<br />

zueinander verlaufen. Es gab da nie<br />

wirklich viel Berührungen, oder?<br />

Nicht wirklich. Es stimmt schon, dass die<br />

Wurzeln die selben sind, gerade wenn wir<br />

40<br />

über die Produktionen sprechen. Es wurden<br />

ja bei Jungle die gleichen Breaks benutzt,<br />

nur enorm beschleunigt. Und mit Sicherheit<br />

haben die ersten Jungle-Produzenten<br />

früher auch Rap gehört. HipHop war Ende<br />

der 80er schließlich auch in England<br />

ziemlich erfolgreich. Hey, es gab sogar<br />

Breakdance-Battles auf dem Leicester<br />

Square! Allerdings muss man in England<br />

dann den direkten Einfluss von westindischer<br />

und karibischer Kultur berücksichtigen.<br />

Rap in den USA war natürlich auch<br />

beeinflusst von DJs, die auf Dancehall-<br />

Partys getostet haben. Aber in England<br />

gab es eine Generation, die den direkten<br />

Einfluss von Reggae und Ragga mitgebracht<br />

hat. Das war also bei uns noch viel näher<br />

an der karibischen Kultur als in Amerika.<br />

Und Jungle hat sich schließlich auch als<br />

Ausdruck einer britischen Identität entwickelt,<br />

das konnte HipHop in England so<br />

nicht erfüllen, weil das schon immer ein<br />

amerikanisches Ding war.<br />

Es ging um eine britische Identität?<br />

Jungle wird oft als "London Thing"<br />

beschrieben, aber da wäre ich vorsichtig.<br />

Es gab ja auch Anfang der Neunziger schon<br />

Leute in Leeds, zum Beispiel DJ SS und<br />

Formation Records. Aber ja, es ging damals<br />

definitiv um eine britische Identität ... (denkt<br />

nach) ..., die natürlich total hybrid war. Die ersten<br />

Produzenten waren offensichtlich beeinflusst<br />

von ihrem familiären Background, der<br />

karibischen Kultur, gleichzeitig reagierten sie<br />

aber auch auf das, was um sie herum passierte.<br />

<strong>De</strong>troit-Techno spielt da eine große<br />

Rolle, das hört man in vielen frühen Jungle-<br />

Tracks. Von Ragga bis Techno hat Jungle also<br />

diese ganzen verschiedenen Einflüsse in<br />

einem Entwurf von britischer Kultur vereint.


<strong>177</strong> — breakbeat revival<br />

Om Unit, Threads,<br />

ist auf Civil Music erschienen.<br />

Gibt es ein Breakbeat-Kontinuum?<br />

Meinst du im Reynold'schen Sinne, so<br />

wie das Hardcore-Kontinuum? <strong>De</strong>finitiv.<br />

Breakbeats sind natürlich ein wesentlicher<br />

Bestandteil dessen. Aber ich glaube,<br />

das geht auch noch viel weiter zurück<br />

in der Geschichte. Die Idee von Breakbeats<br />

beruht ja letztlich auf Drums. Und Drums<br />

sind eine Urkraft der Menschheit - die erste<br />

Musik überhaupt basierte mit Sicherheit auf<br />

Drums. Rhythmus ist ein Grundbedürfnis<br />

des Menschen, so wie Essen.<br />

Siehst du denn gerade so etwas wie ein<br />

Breakbeat-Comeback?<br />

Jungle und Drum and Bass waren für<br />

mich immer präsent. Das ist doch genauso<br />

»Drum and Bass, Footwork, HipHop, Dub,<br />

Ambient, Breakbeats, Dubstep, <strong>De</strong>troit<br />

Techno. Aus diesen Einflüssen fädele ich<br />

meine persönliche Story zusammen.«<br />

wie mit Dubstep. Als das neu war, haben<br />

alle davon geredet und plötzlich kommt der<br />

big money sound auf. Dann wird es schnell<br />

langweilig und das große Geld zieht weiter<br />

- heute liegt es bei Trap, Jersey-Club-Musik<br />

oder sonst wo. Aber dieser Entwicklung liegen<br />

großteils mediale Trends zugrunde. Die<br />

eigentlichen musikalischen Bewegungen<br />

waren immer schon da und das sind sie<br />

auch heute noch. Sie sind nur nicht mehr<br />

so eine Geldmaschine. Als Comeback kann<br />

man es heute bezeichnen, weil Künstler auf<br />

Jungle und Drum and Bass zurückblicken<br />

und die Musik als Einfluss in ihrem eigenen<br />

Sound aufgreifen. Da hat mit Sicherheit<br />

auch Footwork zu beigetragen. Ich glaube,<br />

dass Footwork eine neue Sensibilisierung<br />

für komplexere Rhythmik geschaffen hat.<br />

Apropos Footwork: Als Phillip D. Kick<br />

hast du britische Jungle-Klassiker in<br />

Chicago'scher Footwork-Ästhetik geremixt.<br />

Wie kam es dazu?<br />

Ich habe Footwork durch Mike Paradinas<br />

von Planet Mu entdeckt und war total fasziniert<br />

von dieser Polyrhythmik. Das ist<br />

fast schon ein "tribal thing", unglaublich<br />

raw. Außerdem wurde die 808 zum ersten<br />

Mal ganz anders programmiert als im<br />

gewohnten 4/4-Schema, das war völlig irre.<br />

Dieses Drum-Programming hat sich ja<br />

auch in der ganzen UK-Bass-Musik - oder<br />

wie man die nennen möchte - niedergeschlagen.<br />

Da braucht man sich nur einmal<br />

ein paar Night-Slugs-Releases anhören.<br />

Mein Phillip-D.-Kick-Projekt ist eigentlich<br />

durchs Auflegen entstanden. Tempo<br />

und Kadenz von Footwork erinnern stark<br />

an Jungle, also habe ich in einem Set damit<br />

experimentiert und bin bei diesen Edits<br />

von Jungle- und Drum-and-Bass-Klassikern<br />

gelandet. Als DJ-Tool scheint das für viele<br />

funktioniert zu haben, ich kriege jedenfalls<br />

heute noch Anfragen für Phillip-D.-<br />

Kick-Remixe. Dabei war das wirklich als<br />

einmaliges Experiment gedacht, ich habe<br />

die Tracks ja am Anfang auch nur anonym<br />

und als kostenlosen Download hochgeladen.<br />

Sprechen wir also lieber über dein aktuelles<br />

Projekt: "Threads" ist dein<br />

Albumdebüt als Om Unit.<br />

"Threads" ist quasi das Follow-up zu<br />

meinen EPs auf Civil Music. Eine Sammlung<br />

von Tracks, die als Reise funktionieren sollen.<br />

Eine Reise durch meine bisherigen<br />

HipHop-Produktionen als 2Tall, durch<br />

Veröffentlichungen auf meinem Label<br />

Cosmic Bridge und jede Menge Musik,<br />

die mich persönlich interessiert: Drum and<br />

Bass, Footwork, HipHop, Dub, Ambient<br />

Synthies, Breakbeats, Dubstep, <strong>De</strong>troit<br />

Techno und so weiter. Ich versuche aus<br />

diesen verschiedenen Einflüssen meine<br />

persönliche Story zusammen zu fädeln.<br />

Daher auch der Albumtitel. I'm weaving<br />

threads together.<br />

Womit wir wieder bei Jungle wären, oder?<br />

Ganz genau. Letztlich ist doch eh alle<br />

originelle Musik eine Synthese verschiedener<br />

Einflüsse. Das zeigt sich bei Jungle<br />

eben ziemlich deutlich. Und in dem Sinne<br />

spiegelt das Album auch diesen offensichtlich<br />

hybriden Charakter von Jungle wider.<br />

Zum Ende des Albums wird es ziemlich<br />

düster. Da baut sich meh rere Tracks lang<br />

eine dystopische Stimmung auf, die im<br />

letzten Titel, "The Road", ihren Höhepunkt<br />

erreicht, einer Kollaboration mit dem<br />

Blacktronica-Veranstalter Charlie Dark.<br />

Ich musste an Science-Fiction denken.<br />

Ich lebe im Süden von London, in der<br />

Nähe von Brixton, da hat man die Dystopie<br />

direkt vor sich, jeden Tag. Science-Fiction<br />

braucht man da kaum noch, um auf dystopische<br />

Gedanken zu kommen. Das spiegelt<br />

sich auch auf dem Album wider. Was natürlich<br />

wieder Assoziationen zu Drum and<br />

Bass weckt, wo Science-Fiction ja ein zentrales<br />

Motiv ist. Vielleicht liegt diese düstere<br />

Stimmung aber auch generell in elektronischer<br />

Musik. Vieles wird schließlich im<br />

Alleingang produziert und die Musik scheint<br />

dadurch oft so einen einsamen, introspektiven<br />

Charakter zu haben. Ich würde "Threads"<br />

jedenfalls nicht als politische Platte bezeichnen.<br />

Mit Sicherheit hat sie aber einen soziologischen<br />

Aspekt.<br />

41


<strong>177</strong> — Kommentar — Christian Blumberg<br />

Gesaffelstein<br />

Schwarz ist das neue<br />

sChwarz<br />

Fick dich, Skrillex, Gesaffelstein ist viel geiler. Komprimiertes<br />

Testosteron mit einer gigantischen lila Moschuswolke muss man eben<br />

wollen.<br />

"Ich finde es zugleich scheiße und toll, es ist wie eine richtig gute Werbung für Männerparfum, das<br />

mag man an dem Gesaffelstein." So sucht Kollege Timo Feldhaus der glamourösen Entdeckung<br />

beizukommen. Gesaffelstein, das klingt so schön teutonisch, nach einer Burg im Rheinischen oder<br />

wenigstens nach deutschem Bier. Ist aber der Künstlername des jungen französischen Produzenten<br />

Mike Levy. Fun Fact: Gesaffelstein ist eine Wortschöpfung aus Gesamtkunstwerk und Einstein.<br />

Fact: <strong>De</strong>r Mann hat an Kanye Wests Album mitgeschraubt und noch populärer als seine Maxis<br />

auf Tigas Turbo-Label sind seine Remixe für Lana <strong>De</strong>l Rey oder Moby. Gesaffelstein ist ein elektronischer<br />

Lebensaspekt. Oder er wird jetzt zumindest einer, vorgenommen hat er sich das wohl,<br />

sonst würde er sein Album ja kaum "Aleph" nennen. Wo anfangen? Bei den Bildern natürlich.<br />

Im Video zu "Pursuit" morphen Rokoko-Schlösser zu Hangars, in denen Wissenschaftler an<br />

einem in der Luft hängenden, schwarz glänzenden Kampfjet bauen. Asiatische Paramilitärs<br />

laufen auf, anämische Kinder tragen Hemden, so weiß wie ihre Gesichter. Wie ein gefrorener<br />

Meteoritenregen schwebt eine Wolke aus Maschinenpistolen vorbei. Irgendwann fährt die<br />

Kamera durch den Innenraum eines Jaguars, ein aufgebrachtes Model läuft in den Bildausschnitt,<br />

der Kamera hinterher, sie spuckt in ihre (also in unsere) Richtung. Die Kamera ist das gesamte<br />

Video über in einer steten Rückfahrt, als sei sie auf dem Rückzug. Das ist eine verwirrende<br />

Bewegung, schließlich läuft dazu gewaltige Musik, angereichert mit seltsam martialischem<br />

Kriegsgebrüll. Man kann die Musik gar nicht anders als mit diesem militärischen Techno-<br />

Vokabular beschreiben: Die Beats marschieren, alles will "nach vorne". Killertracks und so fort.<br />

"Aleph" ist nur bedingt die Fortführung des fröhlich eklektischen Ed-Banger/New-Rave-<br />

Kosmos, der vor ein paar Jahren auch Indie-Floors in hedonistisches Neon tauchte. Die Tanzfläche,<br />

für die "Aleph" geschaffen scheint, ist eher eine filmische: <strong>De</strong>nk an Clubszenen aus 90er-Jahre-<br />

Blockbustern, riesige Technohallen, die sich US-Regisseure ausdachten, als es in den USA eigentlich<br />

nur HipHop gab; wo sich Goth-Kids mit Stachelfrisuren in industriellen Anlagen zu ebenso<br />

industriellen Rhythmen in Trance tanzten. So einen Club müsste man dem Gesaffelstein eigentlich<br />

errichten, einen dunklen Großraum mit monolithischem DJ-Pult und Pyrotechnik.<br />

Gesaffelsteins Album ist selbst ein Blockbuster: Jeden Sound auf "Aleph" hat man schon gehört.<br />

Auf Platten aus den Achtzigern, auf Platten aus den mittleren 00ern, in irgendwelchen Sound-<br />

Librarys. Aber eben noch nicht so. Hier knallt immer auch eine gewisse Eleganz, selbst noch<br />

aus den Laptop-Speakern. Aber Gesaffelstein ist auch ein Freund des Stumpfen: Er betitelt einen<br />

Track "Hellifornia" und erklärt, es ginge in seiner Musik um die "schwarze Seite des Daseins".<br />

Er sagt dann Sachen wie: "Erst ist es schwarz. Und dann wird es noch schwärzer." Seine Musik<br />

nennt er "Dance Metal". Aua. Er sagt aber auch, er mache Electronic Body Music. Das brutalistisch-monotone<br />

von DAF oder Nitzer Ebb, das in diesem Album tatsächlich drinsteckt – aber nur<br />

als Soundsignatur, als "Zeichen eines Zeichens" – das wird bei Gesaffelstein in etwas technoides,<br />

zugleich super-poppiges kanalisiert. Da funktioniert er mehr wie Skrillex: von EBM zu EDM.<br />

Gesaffelsteins hochglänzende Brachialität tut weder weh noch ist sie ungestüm. "Aleph" ist<br />

geil kalkulierte Pubertätsrockmusik mit unerhört viel Feinschliff und Gesaffelstein so eine Art Trent<br />

Reznor für 2013. Auf den stilisierten Pressefotos schaut er aus traurigen, lidschattierten Augen.<br />

Bei Reznor war das Androgyne immer nur ein Bild, nur ein Teil einer Pose, musikalisch blieben die<br />

Nine Inch Nails hetero-hetero. Das ist bei Gesaffelstein genauso, seine Sounds sind komprimiertes<br />

Testosteron. Reznor schrie "Kill Me!", meinte aber das Gegenteil: Reznor wollte lieber selbst killen.<br />

Dafür ist Gesaffelstein viel zu fein. Sein düster eingefärbter Überwältigungssound adressiert nichts<br />

Existentielles, dafür dunstet über jeder Spur eine lila Moschuswolke.<br />

42<br />

Gesaffelstein, Aleph,<br />

ist auf Warner erschienen.


<strong>177</strong> — Kommentar — Bianca Heuser<br />

M.I.A.<br />

und die Terroristen<br />

Am fünften November erscheint M.I.A.s viertes Studioalbum<br />

"Matangi". Die Künstlerin hat derweil ganz andere Probleme.<br />

"You need to darken it up a bit." Und wie die Rapperin weiter paraphrasiert: "We just built<br />

you up as the Public Enemy No. 1, and now you’re coming out with all this positive stuff." Das<br />

klingt erst absurd und dann nach Kalkül. Besonders im Zusammenhang mit Interscopes<br />

Umgang mit dem Dokumentarfilm, an dem M.I.A. mit dem Regisseur Steve Loveridge arbeitet:<br />

In dem Film, der "Maganti" begleiten sollte, geht es um sie als Künstlerin, ihr politisches<br />

Engagement, den Bürgerkrieg in Sri Lanka, die Rolle ihres Vaters darin als Mitglied<br />

der Rebellengruppe Tamil Tigers und die Auswirkungen auf das Familienleben. <strong>De</strong>n<br />

Trailer leakte der Regisseur aus Frustration über den lahmen Verlauf der Produktion und<br />

Veröffentlichung. Das Plattenlabel zog ihn umgehend mit einem Copyright-Claim wieder zurück.<br />

In dem Film soll es vor allem auch um Zensur und M.I.A.s Verhältnis zu den Medien gehen.<br />

Im Trailer sagt sie: "Wo ist die Meinungsfreiheit? Wo ist die <strong>De</strong>mokratie? Wenn es die gibt,<br />

will ich das sehen. Bei mir angefangen." In der Vergangenheit weigerte sich MTV ihr Video zu<br />

"Sunshowers" zu zeigen, solang es die Textzeile "You wanna go? You wanna win a war? Like<br />

the PLO, I don’t surrender" enthielt (2004). <strong>De</strong>r Sender editierte außerdem die Gewehrschüsse<br />

aus dem Refrain ihres Charterfolgs "Paper Planes" (2007); YouTube sperrte Romain Gavras<br />

Video zu "Born Free" vom letzten Album der Sängerin (2010). Seit ihrem Auftritt mit Madonna<br />

und Nicki Minaj in der Halbzeitpause des Superbowl 2012 hat die Sängerin außerdem eine<br />

1,5-Millionen-Dollar-Klage der NFL am Hals wegen ihres unerwünschten Mittelfingers.<br />

So wie ihr Dasein als Künstlerin und Privatperson engst verknüpft sind, bewegen sich M.I.A.s<br />

Tiraden, ob es um die NFL oder Sri Lanka geht, vom Politischen ins Private und wieder zurück.<br />

Um Neutralität bemüht sich die Britin dabei nicht: "Ich möchte keine Politikerin sein. Ich<br />

möchte die Leute ermutigen, sie selbst zu sein und Dinge in Frage zu stellen", erklärt sie im<br />

Trailer des aufgeschobenen Films. Obwohl drastische Formulierungen - wie die Geschehnisse<br />

in Sri Lanka einen Genozid zu nennen - mit Sicherheit Aufmerksamkeit erregen und polarisieren<br />

(und damit ihr Ziel ja schon halbwegs erreichen), macht ihre Rhetorik M.I.A. angreifbar. Ihr<br />

ehemaliger Freund und Produzent Diplo warf ihr vor, auf dem Album "Maya" den Terrorismus<br />

zu verherrlichen. Die Journalistin Lynn Hirschberg machte in ihrem extensiven Portrait im<br />

New York Times Magazine 2010 klar, für wie fake sie den Popstar hielt. Zu dieser Kritik an der<br />

Glaubwürdigkeit des Popstars trägt ihr mit der Zeit erworbener Wohlstand genauso bei wie ihr<br />

ausgeprägtes Modebewusstsein. Laut Hirschberg nutzt die Britin ihren ethnischen Hintergrund<br />

für ihren Erfolg aus und steckt sich den sogenannten Radical Chic an wie eine Feder an den Hut.<br />

So unproduktiv und banal diese Kritik ist, adressiert sie doch die Bildsprache, derer sich M.I.A.<br />

beständig bedient. Das Video ihrer aktuellen Single "Bring The Noize" adaptiert in einer einzigen<br />

Clubszene den Trend Seapunk lässiger als der durchschnittliche Tumblr-User, durchsprenkelt mit<br />

hinduistischen Symbolen: Das Aum-Symbol leuchtet an der Wand, eine Kuh stolpert auf die Party.<br />

<strong>De</strong>ren Besucher tragen ausschließlich strahlendes Weiß im Schwarzlicht und vollziehen ihre rituelle<br />

Reinigung über Diskonebel. Das sieht alles recht kultisch aus und ist damit auch typisch M.I.A.:<br />

Seit Beginn ihrer Karriere weiß sie die Coolness von Subversion für sich zu nutzen. Subversion ist<br />

sexy, verkauft sich und Provokation garantiert maximale Aufmerksamkeit. Ihre Glaubwürdigkeit<br />

scheint der Sängerin dabei erst mal Schnuppe zu sein. Um des Pops Willen. Zum Glück. Im eingangs<br />

erwähnten Trailer bringt sie es wie gewohnt nonchalant auf den Punkt: "I could be a genius.<br />

I could be a cheat. It’s a thin line, and I’m fucking with it."<br />

M.I.A., Matangi,<br />

ist auf Universal erschienen.<br />

43


<strong>177</strong> — buch<br />

Text Lea Becker<br />

Lasst uns<br />

Über Parties<br />

reden<br />

Techno-Geschichte<br />

im O-Ton<br />

bild b flickr.com/seeminglee, scragz, pagedooley<br />

Jürgen Teipel, Autor von "Verschwende deine Jugend", hat ein<br />

neues Buch geschrieben. In "Mehr als laut" plaudern Techno-Größen<br />

aus dem Nähkästchen. Das ist mitunter sehr lustig, muss am Ende aber<br />

scheitern.<br />

<strong>De</strong>utschland, Mitte der Achtzigerjahre: In<br />

Mannheim, Köln und München richten die<br />

Clubs, die damals noch Discos heißen, die<br />

ersten kleinen Slots für elektronische Musik<br />

ein, vornehmlich Italo-Disco. Hier beginnen<br />

nicht nur die Karrieren von Michael Mayer,<br />

DJ Hell und dem Party-Veranstalter Dirk<br />

Mantei, hier beginnt auch Jürgen Teipels<br />

neues Buch "Mehr als laut".<br />

Formell knüpft Teipel damit an seinen<br />

vor zwölf Jahren erschienenen Oral-History-<br />

Klassiker "Verschwende deine Jugend" an.<br />

Zitate der einzelnen Protagonisten werden<br />

hintereinander montiert, um so ein<br />

Gesamtbild zu erzeugen. Bei "Verschwende<br />

deine Jugend" war das die Geschichte von<br />

Punk in <strong>De</strong>utschland. In "Mehr als laut"<br />

nimmt sich Teipel nun den Techno vor. Es<br />

sei diesmal, so schreibt er im Vorwort, nicht<br />

sein Anspruch gewesen, die Geschichte einer<br />

Generation zu erzählen. <strong>De</strong>nnoch sei<br />

diese "zumindest im Ansatz und wie nebenbei"<br />

entstanden.<br />

Neben Mayer, Hell und Mantei erinnern<br />

sich im ersten Kapitel auch Inga Humpe,<br />

Hans Nieswandt, Acid Maria und Kristian<br />

Beyer an ihre ersten Begegnungen mit elektronischer<br />

Musik und Clubkultur. "Es war<br />

einfach nur laut, massiv, Nebel, Strobo. Und<br />

alle voll oberkörperfrei und am Tanzen. Nach<br />

einer Stunde habe ich gedacht: 'Vergiss die<br />

andere Musik! Die ist scheiße!' Mir war klar,<br />

dass ich alle meine Indie-Platten verkaufe<br />

und ich das nicht mehr hören will", erinnert<br />

sich Kristian Beyer an seinen ersten<br />

Besuch im Mannheimer Club milk!.<br />

Milk!-Besitzer Dirk Mantei beschreibt<br />

seine Stammkundschaft Anfang der<br />

Neunziger: "Ein Typ zum Beispiel kam immer<br />

in gelbem Ölzeug – auf allen Vieren. <strong>De</strong>r ist<br />

44<br />

auf allen Vieren die Treppe runter und die<br />

ganze Nacht auf allen Vieren gegangen. Ein<br />

anderer Typ ist fast nackig, Kung-Fu-mäßig,<br />

in die Auslage der Kaufhaus-Passage oben<br />

gesprungen. Einfach durch die Scheibe.<br />

Und stand da blutend im Schaufenster drin.<br />

Neben den Schaufensterpuppen. Nur in<br />

der Unterhose. Und total so: 'Hach! Geil!'"<br />

Geschichte einer Generation?<br />

So beginnt das Buch als unterhaltsame<br />

Anekdotensammlung aus der deutschen<br />

Techno-Vorzeit. Dabei bleibt es allerdings<br />

nicht. Die Gespräche, aus denen "Mehr als<br />

laut" zusammengesetzt ist, führte Teipel<br />

zur Vorbereitung für seinen DJ-Roman<br />

"Ich weiß nicht". Über zwei Jahre hinweg<br />

traf er dafür auch internationale Größen<br />

wie DJ Koze, Richie Hawtin, Miss Kittin,<br />

Lawrence, Andi Teichmann, Corvin Dalek<br />

und Mark Reeder. Da er letztlich jedoch nur<br />

einen Bruchteil dieser Gespräche in seinen<br />

Roman einfließen ließ, entschloss er sich,<br />

sie gesondert als Buch zu veröffentlichen.<br />

Dass diese Idee erst nachträglich<br />

entstand und die Interviews lediglich<br />

Abfallprodukte einer gänzlich anders<br />

motivierten Recherche sind, merkt man<br />

dem Buch deutlich an. Nach dem kurzen<br />

Abriss über die Frühphase von Techno in der<br />

BRD geht es vor allem um den DJ-Alltag zur<br />

Jahrtausendwende. Auch hier gibt es einige<br />

lesenswerte Anekdoten und aufschlussreiche<br />

Einblicke. Häufig jedoch werden die<br />

Interviewten allzu persönlich, erzählen von<br />

Trennungsschmerz, Beziehungsalltag und<br />

Partnerschaftsidealen. Auch Leben und Tod<br />

werden abgehandelt, neben Plattenläden,<br />

Geschlechterrollen, Drogen, Jetset-Leben,<br />

Utopien, Parties in der Panoramabar und<br />

in Mexiko. Das mag zur Recherche für einen<br />

Roman durchaus dienlich sein, lässt<br />

die Lektüre jedoch mit der Zeit immer zäher<br />

werden. Alle paar Seiten drängt sich die<br />

Frage auf, was Teipel da eigentlich wissen<br />

will – und warum.<br />

Dass "Mehr als laut" mehr sein will<br />

als ein Geschichtsbuch, dass der Versuch<br />

unternommen wird, das Phänomen Techno,<br />

die Musik und die vornehmlich physischen<br />

Erfahrungen mit dieser zu verbalisieren,<br />

lässt das Buch notwendigerweise scheitern.<br />

Im Gegensatz zu "Verschwende deine<br />

Jugend" vermag "Mehr als laut" es nicht,<br />

»Es war einfach nur<br />

laut, massiv, Nebel,<br />

Strobo. Und alle voll<br />

oberkörperfrei und<br />

am Tanzen. Nach<br />

einer Stunde habe<br />

ich gedacht: 'Vergiss<br />

die andere Musik!<br />

Die ist scheiße!'«<br />

ein stimmiges Gesamtbild zu erzeugen,<br />

das über die bloße Aneinanderreihung von<br />

Anekdoten hinausgeht. Die Geschichte<br />

einer Generation lässt sich eben nicht bloß<br />

im Ansatz erzählen. Und schon gar nicht<br />

nebenbei.<br />

Jürgen Teipel, Mehr als laut,<br />

ist bei Suhrkamp erschienen.


Text Sascha Kösch <strong>177</strong><br />

Fan-Fiction<br />

Ich schreib' mir die Welt<br />

so wie sie mir gefällt<br />

In der Musikwelt gelten Remixe als oft teuer bezahlte Prestige-<br />

Projekte, in der Literatur übernehmen die Fans den Job gleich selbst.<br />

E-Books machen es möglich. Und Amazon und Co. lassen alle daran<br />

mitverdienen.<br />

Bei Büchern denkt man zunächst mal an statische<br />

Klötze von Text. Das letzte Bollwerk<br />

gegen den Wahn des schnellen Slogans,<br />

gegen die Welt im digitalen Remix-Tsunami<br />

von Memes und Viralem. Egal wie sehr die<br />

Branche auch im Umbruch steckt und wie<br />

oft man sich selbst auf der Buchmesse<br />

über die neuen Businessmodelle, die<br />

Disruption, die Zukunft der Distribution und<br />

des Schreibens unterhält, am Ende geht es<br />

immer um Text, Autoren, Werke. Die werden<br />

lizenziert, raubkopiert, kompiliert, in DRM-<br />

Distributionskanäle von E-Book-Readern<br />

gepfropft. Aber das Produkt am Ende, bei<br />

allem Krampf zwischen den Zeilen, bleibt<br />

gleich: die Story. Daran ändern auch Kindle<br />

Singles nichts.<br />

Amazon - ein<br />

Monster, aber alles<br />

andere als blöd.<br />

Welten ihrer Bücher, Filme und so weiter und<br />

machen aus den Charakteren die Storys, die<br />

sie immer schon lesen wollten. Sie beleben<br />

die Stars mit eigenen Geschichten, trennen<br />

säuberlich die Fiktion der Fiktion von dem<br />

Skelett einer ihrer Strukturen und patchen<br />

sich so eine Frankensteinstory zusammen.<br />

Amazon - ein Monster, aber alles andere<br />

als blöd - hat diesen Wildwuchs losgelöster<br />

Plots als erstes begriffen und fängt<br />

den Strom der "freien" Kreativität von Fans<br />

in neuen Lizenzmodellen auf. Kindle Worlds<br />

heißt das Kind und lässt Fans jetzt nicht<br />

nur neue Episoden der CW-Serien (Pretty<br />

Little Liars, Vampire Diaries, Gossip Girl etc.)<br />

schreiben und (Win-Win statt Fair-Use) sowohl<br />

die Fan-Fiction-SchreiberInnen als<br />

auch die AutorInnen (vermutlich eher die<br />

Verlage) der Ur-Welten daran mitverdienen.<br />

Und natürlich sind auch Comics im<br />

Boot (Valiant mit Bloodshot, Shadowmen,<br />

etc.) aber auch Sci-Fi-Autoren (Stephenson,<br />

Bear mit ihrer Foreworld-Saga) und folgerichtig<br />

auch verstorbene Autoren werden als<br />

Fan-Untote wiederbelebt, zum Beispiel Kurt<br />

Vonnegut. <strong>De</strong>r Plot, der Ur-Text, wird, wie<br />

schon zu Zeiten vor dem Buchdruck plötzlich<br />

wieder flüssig - und geht auf im Meer<br />

der derivativ wuselnden fiktiven Add-Ons,<br />

PlugIns. Natürlich legt Amazon der Fan-<br />

Fiction neue Fesseln an. Pornography, nope!<br />

Böse, fiese, miese, brutale Sprache,<br />

nope! Crossbreeding von Welten, nene!<br />

Und ein Cameo von Stephenson in einer<br />

Foreworld-Saga ist natürlich auch nicht<br />

drin. Sind die Fans mit der Verlockung des<br />

Geldes jetzt schon von Amazon in einer restriktiven<br />

Kindle World gebändigt?<br />

Alle Marketing-Buzzwords<br />

Das noch etwas wackelige Format steht<br />

erst am Anfang und Amazon sind nicht<br />

die Einzigen. Beispielsweise Stan Lee<br />

(Macher von Spiderman, Hulk, Iron<br />

Man, X-Men etc.) verkauft seine neuen<br />

Superhelden gleich komplett ohne Story.<br />

Eine Welt aus leeren Seiten. Er liefert das<br />

<strong>De</strong>sign, die schwedische Firma Plotagon<br />

die Software, mit der man aus den neuen<br />

blanken Helden dann Videos zaubern<br />

kann. Vorausgesetzt, man hat das Stan-<br />

Lee-Helden-Erweiterungspaket gekauft.<br />

Und als nächsten Dreh verkauft Skit (eine<br />

Animations-App) jetzt die Fan-Fiction-<br />

Rechte von Pacific Rim, mit denen man<br />

sich selbst auch noch als Charakter in<br />

die eigene Version der persönlichen<br />

Dystopie einbauen kann. Als Opfer oder<br />

Held? Die Grenze ist längst verschwommen.<br />

Fan-Fiction in all seinen Facetten<br />

neuer Lizenzierungen jedenfalls verspricht<br />

der neue heilige Gral des Merchandising<br />

zu werden, indem es aus jedem Herzblut<br />

der Fan-Kreativität eine Tupperware-<br />

Party mit vergoldeten Strömen viraler<br />

Mitverdiener macht. Mitverdiener, die,<br />

wie Vampire mit umgekehrten Vorzeichen,<br />

aus den Herzblutströmen kübelweise<br />

Geschäftsmodelle in die Öffentlichkeit<br />

spritzen. Alle Marketing-Buzzwords der<br />

Stunde sind eh mit im Boot. Activation?<br />

Aber wie! Content-Marketing? Sogar ohne<br />

selbst den Finger zu krümmen! Wann<br />

und ob eins dieser Modelle den Durchbruch<br />

erlebt, steht noch aus. Die schöne neue<br />

Welt der Remixe ist aber definitiv schon<br />

jetzt ein paar Ecken komplexer geworden.<br />

Von der Kindle World<br />

gebändigt?<br />

Aber einen Umbruch gibt es, der die Welt der<br />

Bücher - und auch des Films, der Comics<br />

und so weiter - dann doch wieder radikal verändern<br />

könnte. Fan-Fiction. Irgendwem ist<br />

aufgefallen: Das boomt, das wuchert. Völlig<br />

unkontrolliert in den Grauzonen von Fair-Use<br />

rhizomisieren tippend-hyperaktive Kids die 45


<strong>177</strong> — mode<br />

Text Oliver Tepel<br />

Tinte<br />

auf<br />

Textil<br />

digitaldruck 2013<br />

Wer Inkjet-Printer für längst vergangene Relikte<br />

hält, sollte mal in der Modeindustrie nachfragen.<br />

Nach Anläufen kleinerer Labels greift mittlerweile<br />

auch die Haute Couture neben Digitalauch<br />

auf klassischen Tintenstrahldruck zurück.<br />

Unser Autor spekuliert über das ästhetische<br />

Resultat des Textildrucks der Zukunft.<br />

Gezeitenrechenmaschine, Thomsonsche Lotmaschine,<br />

Trockenkompass, Spiegel-Galvanometer - Lord Kelvin war<br />

nicht nur ein epochaler Theoretiker, sondern auch unentwegter<br />

Erfinder. Ein Aufzeichnungsgerät, das Linien und<br />

Kurven mittels aus einer Hohlnadel tropfenden Tinte auf<br />

Papierstreifen zeichnete, war eines seiner Patente im Jahr<br />

1867. Die Geburt des Inkjet-Druckers. Zugegeben, es dauerte<br />

noch ein wenig bis zu den rappelnden Plastikkisten, die<br />

sich in einer zusehends papierlosen Welt nun auch langsam<br />

wieder aus dem Alltag verabschieden. Wobei, verschwinden<br />

sie wirklich? Was macht der Inkjet, wenn er<br />

nicht Papier bedruckt?<br />

2004 zeigen der Brasilianer Bruno Basso und sein<br />

britischer Companion Chris Brooke in London die erste<br />

46<br />

Modekollektion aus komplett digital bedruckten Stoffen.<br />

Enorm primärfarbenreiche Muster, die von Jahr zu Jahr<br />

verschlungenere und wagemutigere Strukturen ergaben.<br />

2010 sampleten sie Jeff Koons Arbeiten und machten sie<br />

zu Mustern. Diese Muster verhalten sich ganz analog zum<br />

Track: Weit wichtiger als das Zitat ist der Effekt, der durchaus<br />

enorm formverliebt und vielfältig sein kann. Tatsächlich<br />

ist das Kreieren von Stoffmotiven und Mustern weit näher<br />

an der Entwicklung eines Tracks als an Zeichnung und<br />

Malerei. Zuerst griffen weitere britische <strong>De</strong>signer die Inkjet-<br />

Idee auf, dann brachen die Dämme zur Haute Couture<br />

bei Valentino und Givenchy, wo Riccardo Tiscis digitale<br />

Malerei eines Dobermanns in der aktuellen Kollektion für<br />

Aufsehen sorgte. Seine Koketterie mit Airbrush-Ästhetik<br />

erinnert an die Currywust mit Blattgold: ein dekadenter<br />

Spannungseffekt zwischen ultrasophisticated Druck und<br />

Motiv. Mary Katrantzou, Star der zweiten Generation, die<br />

längst unter ihrem "Queen of Prints"-Titel ächzt, präsentierte<br />

für ihre aktuelle Herbst/Winter-Kollektion Fotoprints als<br />

Gegenthese in schimmerndem schwarz und grau mit metallischen<br />

Tönen und nur schemenhaft gesprühten Farben.<br />

Wir sind nun also mitten in der Verfeinerungsstufe des Hypes<br />

um Inkjet- und Digitaldruck. Im Rennen um Ideen und technische<br />

Neuerungen gilt es genauer hinzusehen: Während<br />

viele der Printexperimente, die technisch erst ab 2009 und<br />

dann auch nur bei wirklich teurer Kleidung überzeugten, an<br />

späte Realisationen von Trash-Pop-Träumen der Achtziger<br />

Übergroße Motive<br />

und farbintensive Drucke<br />

berühren Geschmacksgrenzen<br />

und kreieren eine<br />

Ästhetik, von der man<br />

schon beobachten kann,<br />

wie sie über <strong>De</strong>sigual bald<br />

die Kaufhäuser füllt.<br />

Bis vor kurzem füllten diese virtuellen Sweater die tumblr-Blogs,<br />

mittlerweile gibt es sie auch IRL zu kaufen. <strong>De</strong>m neuen<br />

Digitaldruckern sei dank. sexy-sweaters.com


<strong>177</strong><br />

und Neunziger erinnerten, werden die Drucke nun nicht nur<br />

dunkler, sondern auch kleinteiliger und noch filigraner. So<br />

zeigt Valentino seit drei Kollektionen ein Reenactment antiker,<br />

medialer und barocker Elemente.<br />

In der kommenden Sommerkollektion des Berliner<br />

Teams Vonschwanenflügelpupke wird hingegen ein<br />

Problem großflächiger Prints thematisiert. Sie begrenzen<br />

die Möglichkeiten der Silhouette, Abnäher können kaum<br />

gesetzt werden ohne das Muster zu irritieren, verschiedene<br />

Lagen von Stoff funktionieren ebenfalls schwerlich. Warum<br />

also nicht gleich den Klassiker des Aufdrucks, das T-Shirt,<br />

bemühen? Dass Christopher Kane mit Shirts begann, spürt<br />

man auch noch in seiner aktuellen Winterkollektion. Dabei<br />

scheinen seine Muster reduzierter, überzeugen mit einem<br />

3D-Effekt aus parallelen Linien. Doch auch im aktuellen,<br />

dunklen Blumentrend spielt er mit, ebenso wie Thakoon<br />

oder N21 in morbidem Schwarz-Weiß. Diese beiden Farben<br />

weisen aber unmittelbar auf ein weiteres Inkjet-Problem:<br />

Wer auf Schwarz drucken will, kommt nicht mit den üblichen<br />

vier Farbpatronen (Cyan, Magenta, Yellow und<br />

Schwarz) aus, sondern benötigt eine weitere in Weiß.<br />

Jenseits der High Fashion erreichen die Fünfton-<br />

Drucker nun auch den Direct-to-Garment-Bereich (DTG).<br />

<strong>De</strong>r boomt im Internet, seit er vor gut zehn Jahren mit<br />

den entsprechenden Druckern von Mimaki & U.S. Screen<br />

begann. "<strong>De</strong>sign Dir <strong>De</strong>in Shirt" birgt zwar unendliche<br />

Ressourcen kommender Tristesse durch mitteleinfallsreiche<br />

Eigenentwürfe auf genormten Schnitten, aber sicher auch<br />

weit bessere Band-T-Shirts als gewohnt. Doch nicht nur<br />

die Kleinstserienproduktion profitiert von der Entwicklung<br />

der Drucker, sondern insbesondere der Massenmarkt.<br />

Zwischen 2011 und 2012 erreichten Geräte wie Stork Prints<br />

Sphene, Reggiani ReNOIR oder MS JPK den Markt. Sie<br />

arbeiten mit bis zu 24 Farbköpfen und vier verschiedenen<br />

Tropfengrößen und sollen bis 7200 qm in der Stunde bei<br />

300 x 600 DPI bedrucken, im Topmodus von 1200 x 2400<br />

DPI immer noch so viel wie frühere Topgeräte in der gröbsten<br />

Auflösung. Diese Möglichkeiten erreichten dieses Jahr<br />

die Kollektionen, insbesondere die für den Massenmarkt.<br />

Übergroße Motive und farbintensive Drucke berühren<br />

Geschmacksgrenzen und schaffen eine Ästhetik, von der<br />

man schon beobachten kann, wie sie über <strong>De</strong>sigual den<br />

breiten Markt erobert und in verwässerter Form, sprich geringster<br />

DPI-Auflösung, bald die Kaufhäuser füllt. Doch das<br />

futuristische Element dieser Drucke, jene seltsam technoide<br />

Psychedelia, verführt nun umso mehr zu einem genauen<br />

Blick oder dem Gespür alternder Stofffreunde, welche die<br />

Textilien prüfend durch die Hand gleiten lassen.<br />

Erkenne die feinen Unterschiede<br />

Interessanterweise haben diese Innovationen auch einen<br />

Einfluss auf die Weiterentwicklung konventioneller<br />

Textildruck-Techniken. Insbesondere der Laserdruck erzielt<br />

dabei noch weit präzisere Ergebnisse, ist aber auch teurer.<br />

Es sind zwar die ultrafeinen Linien und Farbverläufe der<br />

"laser exposing technology", die die Farbpunkte, anders<br />

als ein Inkjet, mit grafischer Präzision aneinanderreihen<br />

und den eingewöhnten Blick am nachhaltigsten zu beeindrucken<br />

verstehen. Gleichzeitig ist der entsprechende<br />

Prozess des Druckens vom Einfärben, über das Abtragen<br />

der Farbschichten mit dem extrem schwachen und präzisen<br />

Laser sowie dem Auswaschen der überschüssigen<br />

Farbe sehr aufwändig.<br />

Und der nächste Schritt? Auf der Paris Fashion Week<br />

debütierte Iris van Herpen in ihrer "Voltage"-Collection<br />

mit 3D-Prints. Eigentümlich plastische Outfits, ein an<br />

ein Gigersches Geschöpf oder Art-Nouveau-Linien erinnerndes<br />

Kleid und eine Kombination aus Rock und Stola,<br />

gleich einem Vorhang aus Muscheln oder rundgewaschenen<br />

Kieseln. Kreationen, die in Zusammenarbeit mit dem<br />

3D-Druckerhersteller Stratasys der jungen Technik huldigten.<br />

Noch scheinen es mehr Skulpturen als tragbare<br />

Kleider, doch ihr beeindruckendes Aussehen weist in die<br />

Zukunft.<br />

47


<strong>177</strong> — mode<br />

48


<strong>177</strong><br />

linke Seite:<br />

Aanisa:<br />

Beanie und Steppjacke_ Carhartt /<br />

Tribal-Shirt_ Nhu Duong<br />

Jeanne-Salomé:<br />

Jacke_ adidas Originals<br />

by Jeremy Scott<br />

diese Seite:<br />

Kind:<br />

Shirt_ adidas Originals<br />

by Opening Ceremony<br />

Mascha:<br />

Jacke_ Adidas Slvr /<br />

Rock_ Nhu Duong /<br />

Slipper_ adidas by Tom Dixon<br />

49


<strong>177</strong> — mode<br />

Anna:<br />

Jacke_ Nhu Duong /<br />

Leggins_ Nike /<br />

Chelsea Boots_ Pointer<br />

Ellie:<br />

Top und Leggins_ Puma /<br />

Sneaker_ adidas Slvr<br />

Aanisa:<br />

Top_ Nhu Duong /<br />

Hose_ Weekday<br />

Jeanne-Salomé:<br />

Top_ Model's own /<br />

Hosen_ Nhu Duong<br />

über adidas Originals<br />

by Jeremy Scott<br />

50


<strong>177</strong><br />

Vater:<br />

Hose & Weste_ Hien Le /<br />

Jacke_ Nhu Duong<br />

Mutter:<br />

Jacke_ Nhu Duong<br />

Kind:<br />

Kids own<br />

Sofa:<br />

Redesign Mikael Mikael<br />

für RLF<br />

51


<strong>177</strong> — mode<br />

Pablo:<br />

Sweater_ NX-2 by Nik Kosmas /<br />

Hose_ adidas Y-3 /<br />

Sneaker_ New Balance<br />

Jeanne-Salomé:<br />

Overall_ Kostas Murkudis<br />

für RLF /<br />

Schuhe_ adidas Y-3<br />

52


<strong>177</strong><br />

Mascha:<br />

Sweater und Trainingshose_ NX-2<br />

by Nik Kosmas /<br />

Schuhe_ Boxfresh<br />

Katzenbaum:<br />

blaue Schuhe_ adidas<br />

by Tom Dixon /<br />

Chelsea Boots_ Pointer /<br />

Bernhard Wilhelm für Camper<br />

Fotografie: Maja Cule<br />

Styling: Timo Feldhaus<br />

Braids: Sara Mathiasson<br />

Make Up: Franka Frankenstein<br />

Produktion: Maja Cule & Timo Feldhaus<br />

Vielen Dank an Mascha, Aanisa,<br />

Lars, Jeanne-Salomé, Nina, Mila,<br />

Pablo, Ellie, Anna, Silke, Manon,<br />

Judith, Tom, Christoph, R50,<br />

Winston Chmielinski, Nhu Duong,<br />

Nik Kosmas und Jan Joswig<br />

53


<strong>177</strong> — warenkorb<br />

Neue Standfestigkeit<br />

Onitsuka Tiger<br />

COLORADO EIGHTY-FIVE<br />

Nike+ FuelBand SE<br />

Update & erstmals in<br />

<strong>De</strong>utschland<br />

Nach der großen Geschichte zum "Quantified<br />

Self“-Movement im letzten Heft<br />

kommt nun passend die Antwort von<br />

Nike. Die zweite Version des NikeFuel.<br />

Die erste Version, die im Januar 2012 in<br />

den USA (ein bisschen später in England)<br />

präsentiert wurde, markierte im Blick auf<br />

Vermessung des Körpers einen Wendepunkt<br />

im <strong>De</strong>nken der Selbstoptimierer.<br />

Hier in <strong>De</strong>utschland musste man bisher<br />

mit dem Jawbone Up vorlieb nehmen -<br />

was bis heute keine schlechte Wahl ist -<br />

aber das tolle Digitaluhr-Feature des Nike-<br />

Fuel vermisste man doch. Killerfeatures?<br />

Das neue Fuelband SE integriert einen<br />

Bluetooth-4.0-Sensor, der den Energieverbrauch<br />

des Armbandes und vor allem<br />

des Smartphones reduziert und dadurch<br />

die Lebensdauer der Akkus verlängert.<br />

Neben dem gewohnten Schwarz wird es<br />

die Auswahl von mehreren Farben (z.B.<br />

Rot, Pink, oder auch Gelb) geben. Darüber<br />

hinaus wird es dauerhaft mit dem Smartphone<br />

verbunden, Synchronisierung ist<br />

nicht mehr nötig. Außerdem versprechen<br />

die Macher, das FuelBand SE solle die Bewegungen<br />

von unterschiedlichen Sportarten<br />

noch besser tracken. Natürlich auch<br />

drin: Ihr könnt Gruppen von Freunden<br />

kreieren, um sich gemeinsam zu fordern<br />

und dazu zu motivieren, gegeneinander<br />

und miteinander Ziele zu erreichen. Abgeschaut:<br />

Vom Jawbone Up haben sie den<br />

"Schlaf-Sensor“ geklaut - guter Klau, so<br />

kann auch im Schlaf mitgezählt werden.<br />

Nicht gut: Die entsprechende App gibt es<br />

nur für iOS.<br />

Es wird jetzt wieder brutaler, brachialer,<br />

bolleriger. Die Zeit der eleganten, freien<br />

Barfuss-Sneaker ist vorbei, der Lauf<br />

der Mode will es so. Uns dürstet (zumal<br />

im Herbst und Winter) nun wieder nach<br />

Standfestigkeit, etwas mehr Rahmung,<br />

letztlich: Umarmung. Onitsuka Tiger<br />

geht einen Schritt in die richtige Richtung.<br />

Zwar immer noch leicht und relativ<br />

schmal den Fuß umfassend, sorgt besonders<br />

die charakteristisch grob profilierten<br />

Stollensohle für ein gut austariertes Outdoorfeeling<br />

auf der Straße. Das Original<br />

entsprang dem Jogging- und Fitnesshype<br />

der 80er-Jahre, geschaffen als leichtgewichtiger<br />

Trailrunningschuh für ausgedehnte<br />

Draußenaktivitäten. <strong>De</strong>r Suede/<br />

Nylon-Tec-Allrounder verstärkt das Gefühl<br />

des Haltes und des Schutzes noch in der<br />

Midcut-Version, durch ausgeprägte Flexkerben<br />

sowie das nach oben gezogene<br />

Profil an der Schuhspitze.<br />

Colorado Eighty-Five<br />

Kostet: 100 €<br />

Das Band ist ab dem 6. November im Handel<br />

und kann bereits auf Nike.com vorbestellt<br />

werden. Kosten: 139 €<br />

54


<strong>177</strong> — warenkorb<br />

DVD: I Dream Of Wires<br />

Modularsynthies,<br />

inside out<br />

Kann jemand bitte mal das Gefiepe ausmachen?<br />

Nach vier Stunden "I Dream Of<br />

Wires" - so lang dauert der Director's Cut<br />

der Dokumentation zur Geschichte der<br />

modularen Synthesizer - wünscht man<br />

sich zunächst ganz schnell einen digitalen<br />

Preset-Sound. Für ganz doll lange. Es<br />

fiept. Andauernd. Und knirscht und wobbelt.<br />

Filter auf, Filter zu. Resonanz rein, Resonanz<br />

raus. Das ist dann aber auch schon<br />

das einzige, was man dem Film vorwerfen<br />

kann. Die Gespräche mit Musikern, Technikern<br />

und Sammlern stehen im Mittelpunkt<br />

des Films von Robert Fantinatto<br />

und Jason Amm, den wir seit langem von<br />

seinem eigenen Projekt Solvent kennen.<br />

Daniel Miller, John Foxx, Vince Clarke, Carl<br />

Craig, Trent Reznor, Morton Subotnick und<br />

Chris Carter kommen genauso zu Wort,<br />

wie Techniker und generelle Auskenner.<br />

<strong>De</strong>nn neben einem sehr fein aufbereiteten<br />

historischen Teil, der die technische<br />

Entwicklung im Allgemeinen und die ganz<br />

unterschiedlichen Ansätze in der Entwicklung<br />

der modularen Synthesizer an Ost-<br />

(Moog) und Westküste (Buchla) der USA<br />

skizziert, widmet sich die Dokumentation<br />

vor allem der Jetztzeit. <strong>De</strong>n Nerds, die die<br />

wachsende Szene von Liebhabern der<br />

Steckverbindungen mit neuen Modulen<br />

und Ideen versorgen.<br />

"I Dream Of Wires" ist auch für Nicht-<br />

Synth-Fans eine Augen öffnende Freude.<br />

Es ist den beiden Machern des Films<br />

hoch anzurechnen, dass es eben nicht<br />

ausschließlich um die "reine Lehre" der<br />

Schaltkreise geht. Man lernt auch einfach<br />

unglaublich skurrile und interessante<br />

Menschen und ihre Projekte kennen. Etwa<br />

das Mädchen aus Brooklyn, das in jahrelanger<br />

Arbeit einen Synth in einer alten<br />

Telefonvermittlungsanlage einbaut. Und<br />

wir steigen hinab in die Untiefen der NYU-<br />

Keller, wo immer noch der RCA MKII, der<br />

erste echte Synth der Welt, vor sich hinrostet.<br />

Was man immer sieht, ist der Glanz<br />

in den Augen der Interviewten, wenn es<br />

um Synthesizer geht. Und dieser Glanz<br />

inspiriert so sehr, dass man den Wunsch<br />

nach dem digitalen Preset ganz schnell<br />

wieder vergisst.<br />

56<br />

Lichtmächte<br />

Dietmar Dath & Swantje<br />

Karich zu den neuen<br />

Machtverhältnissen<br />

der Bilderwelten<br />

Crashkurs in visueller Mündigkeit: Die<br />

Beschreibung ist recht plump, zugegeben<br />

- im Gegensatz zur Poesie der<br />

Lichtmächte. Vor einem solchen Bild<br />

lassen sich die 270 vorliegenden Seiten<br />

immerhin aber im Ansatz durchdringen.<br />

Swantje Karich (u.a. Feuilleton FAZ) und<br />

Dietmar Dath schreiben eine “Kritik an<br />

den Bildregimes der Gegenwart“, fordern<br />

auf zu einem “neuen“ Sehen, und<br />

überfordern mit einem Referenzrahmen,<br />

der von Guy <strong>De</strong>bord bis Marina<br />

Abramović reicht, von Identitätsfindung<br />

durch Selfies bis zum Fantastischen<br />

in der Science-Fiction, von Netflix bis<br />

zur Bundeskulturstiftung. In all den<br />

Essays, Anekdoten, Parabeln (Karich<br />

fährt scheinbar viel mit dem Zug),<br />

Dialogen, lauten und wilden Monologen,<br />

und immer wieder Analysen von Film,<br />

Fotografie, Malerei, Kino und Museum,<br />

geht es aber doch grundsätzlich um<br />

Phänomene, die noch mitten in ihrem<br />

eigenen Umbruch stecken, in einer pubertären<br />

Phase der Orientierung beziehungsweise<br />

der Orientierungslosigkeit.<br />

Projekt: kritisches Sehen, visuelle Mündigkeit,<br />

informationelle Selbstverwaltung<br />

(“eine enteignete Instagram- oder<br />

Flickr-Nutzerin fühlt sich so schlecht<br />

behandelt wie der ungerecht besteuerte<br />

Kleinproduzent im Ständestaat.“), ein<br />

Sich-Behaupten und Nicht-Untergehen<br />

im trüben Bilderfluss. Weil sich Karich<br />

und Dath aber ihrer vagen Gegenstände<br />

bewusst sind, wird statt aufklärerischer<br />

Analyse “lediglich“ ein erstes reflexives<br />

Fährtenlesen skizziert. Die gesellschaftlichen<br />

Umbrüche zeigen sich in ihrer<br />

historischen Dimension an den Veränderungen<br />

im Kino und Museum: “Die Kunst<br />

flimmert, wo der Gegenstand sich noch<br />

sucht, den das Bild feiern oder bannen<br />

soll.“ Dieses Buch ist gleichzeitig Beobachtung<br />

gegenwärtiger Machtverschiebungen,<br />

Medien- und Kunsttheorie,<br />

Gesellschaftskritik, Institutionskritik, politisches<br />

Manifest, Hoffnung auf gerechtere<br />

und selbstbestimmte Orte.<br />

MALTE KOBEL<br />

Dietmar Dath / Swantje Karich,<br />

Lichtmächte, ist im diaphanes Verlag<br />

erschienen.


<strong>177</strong><br />

Jawbox Mini Jambox<br />

Bluetooth strikes back<br />

Microsoft Sculpt<br />

Comfort & Ergonomic<br />

Das "Natural Ergonomic Keyboard<br />

4000" war lange eines der wenigen wirklich<br />

praktischen Keyboards für beschädigte<br />

Handgelenke. Jetzt legt Microsoft<br />

mit der "ergonomisch" geschwungenen<br />

Sculpt-Reihe nach. Ich habe beide Modelle<br />

ausprobiert, die "Comfort" und<br />

die "Ergonomic" - mit gemischten Gefühlen.<br />

Das eine ist ein grundsätzliches<br />

Problem: Microsofts Tastaturen arbeiten<br />

nicht sauber mit OS X zusammen,<br />

manche Sondertasten wollen nicht, wie<br />

ich will. Programmierbar ist hier gar nix.<br />

Dann der USB-Dongle-Zwang, keine<br />

Hintergrundbeleuchtung - und nicht einmal<br />

ein USB-Hub! Dann sind die Sculpts,<br />

wie schon ihr Vorgänger, noch immer arg<br />

Plastik, für 80 respektive 130 Euro erwarte<br />

ich mir mehr (auch wenn eine Plastik-<br />

Funkmaus dabei liegt). Die "Ergonomic"<br />

wackelt auf einer glatten Oberfläche<br />

sogar ein wenig. Hervorragend hingegen<br />

ist das Schreibgefühl, ein knuspriger Anschlag<br />

fast ohne Klick, butterweich und<br />

trotzdem präzise. Die Tasten selbst sind<br />

griffig, leicht konkav. Die ergonomische<br />

Variante macht einen solideren, wertigeren<br />

Eindruck. Kleine Innovation der<br />

"Comfort": Ihre Leertaste ist zweigeteilt,<br />

die linke Seite funktioniert auf Wunsch<br />

auch als Backspace-Taste.<br />

Ob man nun eine "Ergonomic" haben<br />

will, muss jeder selbst herausfinden.<br />

Ich habe auch durch herbe Ganglion-<br />

Probleme zu dieser letzten Maßnahme<br />

gegriffen. Ohne klassisches Zehnfinger-<br />

System schreibt es sich auf so einer Tastatur<br />

aber ungelenk. Da die "Comfort"<br />

aber auch recht Handgelenks-schonend<br />

ausgelegt ist, werde ich zu ihr wechseln.<br />

Wer keine ergonomische Tastatur<br />

braucht, sondern ein massives Schreibwerkzeug,<br />

soll sich bei Ebay eine alte<br />

IBM Model M holen, etwas besseres gibt<br />

es eh nicht. Wer eine kleine, elegante,<br />

nicht sonderlich robuste Bürotastatur<br />

braucht, liegt bei einer der Sculpts richtig.<br />

Für mich sind sie hervorragende<br />

Weiterentwicklungen des alten "Natural<br />

Ergonomic Keyboard 4000" - übrigens<br />

auch was die Gaga-Namensgebung angeht.<br />

Das Thema des Sommers wird das Thema<br />

des Herbstes: Aber wenn Jawbone<br />

mit einem neuen Schalldruckhandschmeichler<br />

an den Start geht, lohnt ein<br />

Blick allemal. <strong>De</strong>nn da draußen an der<br />

Bluetooth-Front herrscht Krieg. Klein,<br />

groß, leicht, schwer, rund, eckig: Praktisch<br />

jede Firma, die auch nur im entferntesten<br />

etwas mit Audio zu tun hat,<br />

macht Bluetooth-Lautsprecher. Und die<br />

neue Mini Jambox ist Jawbones D-Day.<br />

<strong>De</strong>nn die Mini Jambox ist nicht nur<br />

irre klein und leicht. In dem Unibody<br />

aus Aluminium (ein first für Jawbone)<br />

stecken zwei Neodym-Treiber und ein<br />

passiver Bassreflektor, die den anderen<br />

Mini-Lautsprechern erst in die Fresse<br />

hauen und dann Yeah! brüllen. Das<br />

Brüllen ist dabei dank kalifornischer<br />

Raketentechnik extrem fein austariert,<br />

sanft und doch druckvoll, fulminant und<br />

in allen Frequenzbereichen präsent. So<br />

klein und doch so groß. <strong>De</strong>r erste wirklich<br />

Handtaschen-kompatible Lautsprecher<br />

von Jawbone füllt mit seinem Output<br />

locker ein mittelgroßes Zimmer. Fühlt<br />

sich im Regal genauso wohl, wie auf<br />

dem Tisch. Dort kann man dann auch<br />

das Feature nutzen, mit dem Jawbone<br />

ebenfalls vorne dran war: den Freisprecher;<br />

jetzt auch in HD. Dank neuem<br />

Mikro und Bluetooth 4.0 LE klingen Konferenz-Telefonate<br />

noch klarer. Und auch<br />

auf andere gelernte Vorteile muss man<br />

nicht verzichten, etwa Software-Updates<br />

für neue Features und LiveAudio-Technik<br />

für mehr Räumlichkeit im Sound. Mit<br />

der Mini Jambox ist aber auch die App<br />

für iOS und Android endlich in <strong>De</strong>utschland<br />

erhältlich. Die hilft nicht nur beim<br />

Einrichten des Lautsprechers, sondern<br />

aggregiert auch sämtliche Musik-Apps<br />

auf dem Smartphone. Erst Rdio, dann<br />

iTunes und Spotify zwischendrin? Dass<br />

da noch niemand vorher dran gedacht<br />

hat! In gleich neun Farben kommt sie<br />

dieser Tage in den Handel. Das sind 180<br />

gut angelegte Euro.<br />

57


<strong>177</strong> — bücher<br />

Text Gerlinde Lang<br />

bassdrumschreiberei<br />

2 BerlinbÜcher<br />

Am Abgrund<br />

Sven Regener,<br />

Magical Mystery oder:<br />

Die Rückkehr des Karl Schmidt<br />

(Galiani-Berlin)<br />

Ju Innerhofer,<br />

Die Bar<br />

(Metrolit)<br />

Plötzlich will jeder dabei gewesen sein, als die Wessis den Ossis für ein paar<br />

Glasperlen Berlin abkauften, um darin Party zu machen. Oder, später, als man<br />

hinter dem Holzzaun der Bar 25 in der Sonne tanzte. Jetzt kommen die Nachzügler.<br />

Haben die uns gerade noch gefehlt?<br />

"Etwa so musste Bielefeld kurz nach dem Krieg ausgesehen<br />

haben. (...) Und eins war mal klar: Hier konnte jeder mitmachen.<br />

Sogar ein alter Psychozausel wie ich, der seit fünf Jahren<br />

im Trockendock lag und bis eben noch Hilfshausmeister gewesen<br />

war." Ausgerechnet "Element of Crime"-Gitarrenballadeur<br />

Sven Regener will in "Magical Mystery. Die Rückkehr des<br />

Karl Schmidt" vom Techno Mitte der 90er in Berlin erzählen.<br />

Seiner Ehefrau Charlotte Goltermann ist das Buch gewidmet,<br />

sie war damals u.a. für das Ladomat-Label zuständig<br />

(Whirlpool Productions, Egoexpress, Commercial Breakup,<br />

Lawrence). Aber es ist nicht die Story von Ladomat, die hier<br />

bis zur Unkenntlichkeit entstellt wird. Regener spinnt sein<br />

erfolgreiches "Herr Lehmann"-Universum weiter, charmant<br />

vertrottelte Markenzeichen-Dauerdialoge eingeschlossen.<br />

Oppa erzählt hier nicht einfach nur vom Krieg, er erlebt<br />

gleich einen ausgewachsenen Laberflash. Erstmals<br />

mit anwesendem Weibsvolk, nach frauenlosen Kasernen,<br />

Kneipen und besetzten Häusern in den vorigen Bänden.<br />

Die Crew des fiktiven Berlin-Mitte-Technolabels "BumBum<br />

Records" ist kommerziell erfolgreich, und hat dabei unversehens<br />

"faceless Techno" und andere Wertekinkerlitzchen<br />

geopfert. "BumBum" mit seinen Acts Frankie Highnoise,<br />

AFX & MFX und "Belinda mit dem Schlagerding" ist jedenfalls<br />

losest angelehnt an das deutsche Label Urban mit<br />

Signings wie Charlie Lownoise (& Mental Theo), 2XLC und<br />

Marusha. Jeden Freitag kommen die Charts per Fax, 5.000<br />

verkaufte Maxi-CDs!, und der Kühlschrank voll Champagner<br />

geht auf. Ins Zentrum stellt Regener den Sohn der Freien<br />

Hansestadt Bremen, Metallskulpturenzusammenschweißer<br />

und Ex-Speedfreak Karl. Nach fünf Jahren in der (natürlich<br />

charmant vertrottelten) Multitox-Drogenentwöhnungs-WG<br />

soll Karl nun als Nüchterner vom Dienst die (ebenfalls charmant<br />

vertrottelt angelegten) VertreterInnen von BumBum<br />

auf "Magical Mystery Tour" durch die deutsche Provinz<br />

chauffieren. Ziel der Reise: der Groß-Rave "Springtime",<br />

mit einem raren philosophischen Moment vom BumBum-<br />

Labelchef: "Ich will nicht, dass das irgendwann aufhört und<br />

dann bleibt nichts übrig, außer dass die sagen, das wäre<br />

so, was weiß ich, Hedonismus oder so ein Scheiß gewesen<br />

und das ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass das<br />

irgendwann aufhört, weil demnächst kommt dann der neue<br />

heiße Scheiß um die Ecke und dann sind wir alle nur noch<br />

58<br />

Veteranen wie die ganzen Achtundsechziger, ich meine,<br />

guck dir die doch mal an, die sind alle in meinem Alter, und<br />

die tun schon so wie früher die alten Säcke, die immer die<br />

Hosen hochgekrempelt und ihren Knieschuss aus Stalingrad<br />

hergezeigt haben. Für die ist das Leben doch schon vorbei!<br />

Die erzählen doch nur noch von früher!" (...) Ferdi seufzte.<br />

"Ich will, dass irgendwas bleibt." Dabei bleibt's dann auch<br />

an Reflexion. Fazit: 500 Seiten und ein totes Meerschwein<br />

später ist es dann auch endlich gut.<br />

"Es wird der letzte Sommer." Auch Mia aus München<br />

ruft in "Die Bar. Eine Erzählung" von Ju Innerhofer die Arbeit.<br />

Nicht als ausgebildete Ärztin, sondern immer wieder Sonntags<br />

hinter die Backstage-Bar und Montags auch noch privat<br />

an die frische Luft der kaum verschleierten Berliner Bar<br />

25. 2010 läuft der Countdown über der Tanzfläche. Hat<br />

da eine mitgeschrieben, um eines Tages bei der Berliner<br />

Fremdenverkehrswerbung unterzukommen? "Berlin ist eine<br />

unfertige Stadt. Sie kann einen aber fertigmachen. Und<br />

trotzdem ist Berlin wohl einer der größten Sehnsuchtsorte<br />

für Kreative, Suchende und Abenteuerhungrige." Verhandelt<br />

werden dieselben Topoi wie bei "Party am Abgrund": Freiheit.<br />

Einsamkeit. Loslassen. Dazugehören. Sowas wie Sex.<br />

Rastlosigkeit. Lines. Comedown. Unspießigkeit. Ketamin.<br />

Egofickereien, kaputte Mägen, keine Krankenversicherung.<br />

Gier, Rastlosigkeit, Jägermeister. Das Beschwören einer hierarchielosen<br />

Situation mit gleichzeitiger "Zwei-Klassen-Rave-<br />

Gesellschaft" und strengem Ablauf hinter den Kulissen. Was ist<br />

anders? Die Clubschließfächer mit den Raver-Zahnbürsten und<br />

frischen Klamotten. Und: Willkommen im Kommerzparadies.<br />

"Wie kommen die Leute auf die Idee, dass die Drinks hier<br />

kostenlos sind, nur weil sie sich backstage befinden?" Mia,<br />

die Bar-Tussi mit der "Tom-Ford-Brille", dem "Diesel-Pulli",<br />

dem "Vuitton-Schal, ein Geschenk eines Freundes, Haute<br />

Couture in der Bar" - hat DJ und Booker als beste Freunde.<br />

"Wir fühlen uns jung, frei, mit einer kleinen Portion 'w asted',<br />

die aber durchaus als schick bezeichnet werden kann."<br />

Aber die Partyfreude ist gestört, "Endzeitstimmung" macht<br />

sich breit, und Freund Jan hustet Blut. Kaum droht etwas<br />

Wichtiges gesagt zu werden, flieht Innerhofer in alberne<br />

englische Halbsätze. Und die besten Phrasen werden<br />

an den Zeilenrändern noch mal zusammengefasst. VON<br />

DER TANZFLÄCHE HÖRE ICH DIE BEATS! Hedonismus!<br />

Erwachsenenspielplatz! Hey! Fazit: Für die, denen Regener<br />

noch zu wenig Kalauer bietet: "Das wohlige Gefühl, dass wir<br />

im Grunde doch alle eine Family sind, macht sich breit. Im<br />

wahrsten Sinne des Wortes." Geschichte? Vermächtnis?<br />

Frag mich nicht, I'm a princess.


warenkorb <strong>177</strong><br />

G-Sessions Finale<br />

30 Jahre G-SHOCK<br />

Die unverwüstliche G-SHOCK ist 30<br />

Jahre alt. In schier endlosen Variationen<br />

hat der Armbanduhr-Klassiker einen<br />

weltweiten Eroberungszug angetreten,<br />

unaufhaltsam und mit immer neuen<br />

und faszinierenderen Modellen ständig<br />

erneuert. Zuletzt wurde die Serie mit<br />

Gold gekrönt und zeigte noch ein Mal<br />

deutlich den Wert, den G-SHOCK auch<br />

als urbaner Mythos erreicht hat. Zu den<br />

Feiern zum Dreißigsten gehört aber auch<br />

ein europaweiter Kreativwettbewerb<br />

(mit den Stationen Mailand, Barcelona,<br />

Paris, Amsterdam, St. Petersburg und<br />

Manchester), der am 28. November sein<br />

Finale in Berlin feiert. Nicht nur Eminem<br />

soll in den Genuss kommen, seine eigene<br />

G-SHOCK zu designen.<br />

Ausgeschrieben wurden auf<br />

g-sessions.eu aber nicht nur neue Uhren-<strong>De</strong>signs,<br />

sondern auch die kreative<br />

Präsentation der Uhr in Videos, Songs<br />

oder Kunstwerken. Vom 28. Oktober an<br />

kann man auf der Webseite abstimmen,<br />

welcher der von Modedesigner Patrick<br />

Mohr und den anderen internationalen<br />

Kuratoren vorausgewählten Entwürfe<br />

das Rennen macht und am Ende in einer<br />

limitierten Version den Traum aller<br />

G-SHOCK Fans erfüllen wird: die selbst<br />

designte G-SHOCK.<br />

Die Abschlussparty am 28. November<br />

im Berliner Kraftwerk Mitte trägt den<br />

Namen Spirit of Toughness Award und<br />

Kikuo Ibe, der Erfinder der G-SHOCK<br />

wird den Preis an den Gewinner höchstpersönlich<br />

verleihen. Natürlich folgt eine<br />

Monsterparty im Anschluss mit einem<br />

bis zum letzten Moment geheimgehaltenen<br />

Live-Act. Das Geburtstagsjahr für<br />

G-SHOCK wird hier seinen gebührenden<br />

Abschluss feiern.<br />

g-sessions.de<br />

59


<strong>177</strong> — musiktechnik Text & bild Benjamin Weiss<br />

Maschine Studio: 999 Euro<br />

Software als Update:: 99 Euro (auf neuen Maschinen vorinstalliert)<br />

Maschine<br />

Studio&<br />

Software<br />

2.0<br />

60<br />

Neue HighEnd-Hardware und komplett<br />

renovierte Software: Native<br />

Instruments arbeitet mit Hochdruck<br />

an der Weiterentwicklung der<br />

Maschine. Das Ergebnis kann sich<br />

mehr als sehen lassen.<br />

Die neue Maschine Studio ist deutlich größer als die<br />

Maschine MK2, aber immer noch leicht genug, um sie<br />

eben Mal mitzunehmen. An der Unterseite hat sie zwei<br />

ausklappbare Stützen, mit der sie sich in bequemem<br />

Winkel aufbocken lässt. Auf der Rückseite gibt es neben<br />

dem Anschluss fürs Netzteil, dem USB-Anschluss<br />

und dem MIDI-Eingang gleich drei MIDI-Ausgänge sowie<br />

Anschlüsse für zwei Fußpedale, mit denen sich Start/Stop<br />

und das Aufnehmen beim Samplen steuern lässt.<br />

Oberfläche<br />

Die Grundelemente entsprechen denen der MK2: zwei<br />

Displays mit jeweils acht Buttons darüber und acht<br />

Endlos-Potis darunter, die Pad-Sektion und die Group-<br />

Buttons sind ebenfalls gleich. Was bei der MK2 über<br />

Doppelbelegungen der Pads funktioniert, bekommt bei<br />

der Studio aber jeweils einen eigenen Button. Dazu gibt<br />

es ein großes Jogshuttle und eine Master-Sektion mit<br />

dem Multifunktions-Poti für die verschiedenen Ein- und<br />

Ausgangslautstärken.<br />

Große Farbdisplays<br />

Eye Candy mit satten Farben: <strong>De</strong>r Neuling kommt mit zwei<br />

Farbdisplays, die bei einer Auflösung von 480 x 272 Pixeln<br />

jedes <strong>De</strong>tail mit sehr guter Blickwinkelunabhängigkeit<br />

und Helligkeit mit gutem Kontrast anzeigen. Das ist vor<br />

allem im Arranger, beim Editieren von Samples und für die<br />

Darstellung des neuen Mixers (der nur auf der Studio sichtbar<br />

ist) enorm praktisch.<br />

Eingangs- und Ausgangspegel<br />

Rechts oben in der Master-Sektion gibt es eine umschaltbare<br />

Pegelanzeige, die endlich eine übergreifende Pegelkontrolle<br />

auf allen Ebenen erlaubt: Master, Group und Sound sowie<br />

der neue Cue-Bus können so schnell und direkt gepegelt<br />

werden, auf der linken Seite lassen sich auch die Pegel von<br />

vier definierten Eingängen anzeigen, was für schnelles und<br />

unkompliziertes Sampling sehr praktisch ist. Darüber sitzen<br />

noch vier Aktivitätsanzeigen für die MIDI-Anschlüsse.<br />

Ein kleines, aber nicht unwichtiges <strong>De</strong>tail, wenn man beim<br />

MIDI-Troubleshooting keine Zeit verlieren will.


Bedienung und Haptik<br />

Die Bedienung ist bei der großen Oberfläche mit reichlich<br />

Platz zwischen Pads, Buttons und Jogshuttle sehr angenehm<br />

und übersichtlich. Die solide Verarbeitung, die griffigen<br />

Regler und das flotte Ansprechverhalten der Pads machen<br />

sofort Spaß, der Blick auf das Rechner-Display wird<br />

tatsächlich zur absoluten Ausnahme. <strong>De</strong>n flotten Workflow<br />

unterstützt auch die Tatsache, dass beinahe jede Funktion<br />

ihren eigenen Button bekommen hat. Wo bei der kleineren<br />

Maschine immer noch eine Tastenkombination dazwischen<br />

liegt, reicht hier ein Tastendruck.<br />

Für den mobilen Einsatz ist die Studio nur bedingt geeignet:<br />

Schwer ist sie zwar nicht und robust auch, aber fürs<br />

Handgepäck mit Rechner oder einen Standard-Rucksack im<br />

Alltag dann doch das entscheidende Quentchen zu groß.<br />

Im Studio spielt sie dagegen alle ihre Stärken aus: viel<br />

Platz, Übersicht und direkter Zugang zu allen Funktionen,<br />

präzises Editieren auf den eingebauten Displays und drei<br />

MIDI-Ausgänge machen sie zur zentralen, intuitiv nutzbaren<br />

Workstation. Dabei ist die Maschine Software 2.0 mit dem<br />

neuen Mixer sichtbar auf die Maschine Studio ausgerichtet.<br />

<strong>De</strong>r vergleichsweise hohe Preis liegt laut Native<br />

Instruments vor allem an den beiden großen Farbdisplays;<br />

meiner Meinung nach wäre dafür noch ein integriertes<br />

Audio-Interface drin gewesen, aber das ist tatsächlich auch<br />

der einzige Kritikpunkt.<br />

Maschine, runderneuert<br />

Zeitgleich mit der neuen Hardware wurde auch die Software<br />

gründlich überarbeitet, beziehungsweise komplett neu<br />

programmiert: Laut den Entwicklern ist keine einzige<br />

Zeile Code gleich geblieben. Das macht sich direkt beim<br />

ersten Ausprobieren bemerkbar, denn die jetzt endlich<br />

Multiprozessor-optimierte Software ist wesentlich genügsamer<br />

und lädt Files und Projekte deutlich schneller.<br />

Neue Oberfläche, neuer Browser<br />

Die komplette Oberfläche ist in zurückhaltendem dunklen<br />

Grau gehalten und ähnelt vom Aufbau her zunächst älteren<br />

Versionen; links der Browser, rechts oben der Arranger<br />

mit den Scenes und rechts unten die gerade ausgewählte<br />

Group mit ihren Patterns beziehungsweise der Sampling-<br />

Sektion. Auf den zweiten Blick wird aber klar, dass sich eine<br />

Menge getan hat, denn es ist eine Mixer-Sektion hinzugekommen<br />

und das ganze UI wurde glattgezogen. Viele <strong>De</strong>tails<br />

haben sich zugunsten von mehr Übersichtlichkeit leicht geändert:<br />

Einige nicht so oft genutzte Parameter lassen sich<br />

wegklappen. So sind etwa die Slots für Sounds auf die linke<br />

Seite gewandert. Eine sehr sinnvolle Erweiterung gibt es<br />

für Undo. Zusätzlich zur bisherigen Funktionalität, die auch<br />

Viel Platz, Übersicht<br />

und direkter Zugang zu<br />

allen Funktionen, präzises<br />

Editieren auf den eingebauten<br />

Displays und drei<br />

MIDI-Ausgänge machen<br />

Maschine zur zentralen,<br />

intuitiv nutzbaren Workstation.<br />

jede allerkleinste Reglerbewegung in Einzelschritten rückgängig<br />

macht, gibt es nun auch ein Take-basiertes Undo.<br />

<strong>De</strong>r Browser funktioniert nun über Tags und zeigt alle NIeigenen<br />

Instrumente und Sounds mit farbenfrohen Icons an.<br />

Unendliche Groups und Effektslots,<br />

Side-Chaining<br />

War man mit Maschine 1.x wegen der Begrenzung auf<br />

acht Groups pro Projekt bisher eigentlich gezwungen, für<br />

das Liveset einen anderen Host mit mehreren Maschine-<br />

Instanzen zu nutzen, lassen sich jetzt theoretisch unendlich<br />

viele Groups nutzen. Die ersten 64 davon können auf allen<br />

Maschinen über die Group-Buttons mit Shift erreicht werden.<br />

Das Gleiche gilt auch für die Anzahl der Effekte in den<br />

Effekt-Slots, die nicht mehr auf vier beschränkt sind. Auch<br />

Side-Chaining ist jetzt möglich und funktioniert nicht nur<br />

mit den internen Effekten, sondern auch mit PlugIns von<br />

Drittanbietern.<br />

Neuer Mixer mit Cue-Ausgang<br />

<strong>De</strong>r neue dezidierte Mixer zeigt in der Software auf allen<br />

Ebenen den Pegel an, bietet direkten Zugriff auf<br />

Grundfeatures wie Pan, Mute, Solo und zwei Aux-Sends,<br />

aber auch einen vereinheitlichten Überblick über das Routing<br />

von Sounds und Groups und die I/Os für Audio und MIDI.<br />

<strong>De</strong>r Mixer ist vor allem auf der Maschine Studio eine willkommene<br />

Erweiterung, denn nur auf ihr wird er auf den großen<br />

Farbdisplays angezeigt. Die anderen Maschinen folgen<br />

weiterhin dem alten Konzept, das leider auf deren Hardware<br />

keinen Hinweis darauf gibt, ob das Signal irgendwo verzerrt<br />

wird. Zumindest eine abgespeckte Pegelanzeige für den<br />

Master-Ausgang wäre hier wünschenswert und wahrscheinlich<br />

auch mit den gröber aufgelösten monochromen Displays<br />

<strong>177</strong><br />

möglich. <strong>De</strong>r Cue-Ausgang ermöglicht das Vorhören von<br />

Sounds und Samples, ohne dass sie über die Anlage zu hören<br />

sind.<br />

Arranger<br />

Mit einer richtigen Timeline werden Patterns in den Scenes<br />

in ihrer tatsächlichen Länge angezeigt: Alle Patterns, die<br />

wiederholt werden, bekommen etwas dunklere Ghost-<br />

Parts, um die Übersicht zu verbessern. Sonst hat sich<br />

in diesem Abschnitt nicht viel getan, hier gibt es noch<br />

Erweiterungsbedarf.<br />

Drum Synth<br />

Mit Maschine 2.0 führt NI einen eigenen Drum Synth ein, der<br />

fünf verschiedene Module bietet: Kick, Snare, HiHat, Tom<br />

und Percussion. Alle kommen mit angepassten Sound-<br />

Engines und liefern sowohl diverse akustische als auch elektronische<br />

Engines, mit denen sich eine große Bandbreite<br />

abdecken lässt. Sie klingen allesamt ziemlich überzeugend<br />

und machen den Griff zu Samples oft unnötig.<br />

Macros und MIDI<br />

Macros gibt es nun auch für die Masterebene, außerdem lassen<br />

sie sich mit MIDI Learn über externe MIDI CCs steuern.<br />

Dieses Feature lässt sich mit einem Workaround auch zur<br />

Fernsteuerung externer MIDI-<strong>De</strong>vices nutzen, denn einmal<br />

gelernt, gibt Maschine die CCs auch wieder raus. So lassen<br />

sich externe Geräte steuern, ohne dass in den Controller-<br />

Modus gewechselt werden muss. Die Macros können jeweils<br />

alle Parameter ihrer eigenen und der darunterliegenden<br />

Ebenen steuern, Mehrfachbelegungen sind auch<br />

möglich. Mit Program Change können jetzt auch die Presets<br />

von VST- und AU-PlugIns gewechselt werden. MIDI-Noten<br />

schicken außerdem auch die einzelnen Sounds, selbst wenn<br />

sie schon ein Sampler-Modul oder ein Instrument beinhalten;<br />

in Verbindung mit den neuen Pad-Link Features ergibt<br />

das vielfältige Layer-Möglichkeiten.<br />

Die neue Maschine-Software lohnt sich für die User<br />

aller Hardware-Generationen: Neben den vielen kleinen<br />

neuen Funktionen und <strong>De</strong>tailverbesserungen und dem fett<br />

klingenden Drumsynth ist vor allem die hinzugewonnene<br />

Prozessorleistung durch die Multicore-Unterstützung und<br />

die unbegrenzte Anzahl an Groups sehr befreiend, so dass<br />

man auch mit älteren Rechnern viel komplexere Projekte<br />

als zuvor umsetzen kann. Dazu ist die mitgelieferte Library<br />

noch mal um zwei Gigabyte gewachsen, hat mit dem Plate<br />

Reverb einen neuen internen Effekt bekommen und kommt<br />

mit Prism, Sccarbee Mark 1 und dem Solid Bus Compressor.<br />

Viele Features deuten außerdem darauf hin, dass mit den<br />

nächsten Updates noch Einiges nachkommt.<br />

Monophoner Analog-Synthesizer<br />

USB-, MIDI-, CV/Gate Interface<br />

stufenlos umblendbares<br />

Multimode-Filter (L-N-H-B)<br />

Doepfer.de


<strong>177</strong> — musiktechnik Text Benjamin Weiss<br />

Tracktion 4<br />

Die Einsteiger-<br />

DAW ist zurück<br />

Tracktion, da war doch was?<br />

Genau: Mackies kleine, übersichtliche<br />

Ein-Fenster-DAW ohne viel<br />

Schnickschnack. Länger nichts<br />

mehr von gehört. Nach sechs<br />

Jahren Partnerschaft haben sich<br />

die Entwickler wieder ausgegründet<br />

und schwuppdiwupp gibt es die<br />

neue Version 4.0. Erstmals auch für<br />

Linux.<br />

Wer Tracktion noch von früher kennt, wird sich schnell<br />

zurechtfinden. Die Oberfläche ist großzügig und aufgeräumt,<br />

zwischen den einzelnen Fenstern wechselt man<br />

per Tab und der Work- und Signalflow läuft grundsätzlich<br />

von links nach rechts. Die Entwickler verzichten<br />

bei Tracktion auf jegliche naturidentische Oberflächen,<br />

stattdessen sieht man immer nur die gerade nützlichen<br />

Informationen. Die integrierte In-App-Hilfe ist sehr ausführlich<br />

und gut verständlich, so dass sich Tracktion tatsächlich<br />

auch ohne Manual relativ schnell erschließt.<br />

Wer die Hintergrundfarbe vom gewöhnungsbedürftigen<br />

Blaubeerjoghurt auf etwas Verträglicheres umstellen will,<br />

kann dies tun: die Tracktion-Oberfläche kann weitgehend<br />

auf die eigenen Bedürfnisse angepasst werden.<br />

Editing, Routing und Effekte<br />

Jeder Track fängt in Tracktion mit einem Filter an - wobei<br />

Tracktion darunter etwas versteht, was man herkömmlich<br />

vielleicht nicht damit assoziieren würde. Je nachdem, was<br />

man nach dem <strong>De</strong>fault-Filter (einem Lautstärke/Panning-<br />

Modul) einsetzt, kann der Track ein MIDI-, ein Audio-Track<br />

oder etwa ein Aux-Send werden. Dabei lassen sich auch<br />

Drittanbieter-PlugIns einbinden. Eigenkonstruktionen<br />

aus verschiedenen Filtern/PlugIns werden als Racks abgespeichert:<br />

Das erlaubt unerwartet komplexe Kombi-<br />

Patches. Ungewohnt ist zunächst das Audio-Editing, da<br />

hier auf übliche Konventionen und bekannte Keyboard-<br />

Shortcuts verzichtet wurde. Einsteigern dürfte das aber<br />

egal sein. Sehr gelungen und eingängig ist der Umgang<br />

und die Erzeugung von Automationen; auch das Time- und<br />

Pitch-Shifting ist nicht nur sehr übersichtlich gestaltet,<br />

sondern klingt auch noch gut. Anders als der Rest der<br />

DAW-Riege trumpft Tracktion nicht mit einer Gigabyteschweren<br />

Library auf. Stattdessen gibt es eine kleine<br />

Auswahl von gut klingenden Standard-Effekten und einen<br />

Loop-Browser mit Standards aus allen Bereichen.<br />

Tracktion ist insgesamt eine gute und stabil laufende<br />

DAW für Einsteiger. Die App bietet viele Features, gleichzeitig<br />

werden Newbies nicht von zu vielen Möglichkeiten<br />

erschlagen. Dabei ist sie eine der wenigen DAWs, die neben<br />

Mac und PC auch Linux in 64 Bit unterstützt. Das<br />

Bedienkonzept ist wirklich sehr direkt und spart auch auf<br />

kleinen Bildschirmen Platz, so dass keine Zeit damit verschwendet<br />

wird, Fenster zu sortieren oder Funktionen in<br />

Untermenüs aufzuspüren. Die mitgelieferte Effektauswahl<br />

ist vielleicht etwas arg sparsam geraten, klingt aber durchweg<br />

solide. Außerdem lassen sich sowohl VSTs und unter<br />

OS X auch Audio Units einbinden. Eine <strong>De</strong>moversion steht<br />

zur Verfügung.<br />

Preis: 59 Dollar Vollversion,<br />

29 Dollar Upgrade von alten Versionen<br />

Plattformen: OS X, Windows 7 & 8,<br />

Linux (Ubuntu 12)<br />

62


Text Benjamin Weiss<br />

<strong>177</strong><br />

Preis: 21,99 Euro<br />

Touchable 2.0<br />

Neue Runde für<br />

die iPad-Remote<br />

Das iPad ist immer öfter der<br />

bessere Controller für Software auf<br />

dem Rechner. Das neue Touchable<br />

2.0 beweist das eindrücklich.<br />

In der Entwicklung neuer App-Versionen gibt es<br />

zwei grundlegende Ansätze: entweder auf der alten<br />

Codebasis aufbauen, oder alles komplett neu<br />

programmieren. Das Aufbauen auf dem alten Code<br />

geht zwar in den meisten Fällen schneller, aber es sammeln<br />

sich über die Jahre auch unschöne alte <strong>Bug</strong>s und<br />

Workarounds an, die sich irgendwann nicht mehr beheben<br />

lassen, weil sonst der Rest des Programms in<br />

sich zusammenfällt. <strong>De</strong>r andere Ansatz ist gründlicher,<br />

aber wesentlich arbeitsaufwendiger: jedes Mal komplett<br />

neu anfangen. Genau das haben touchAble mit<br />

Touchable 2.0 getan.<br />

Alt plus neu<br />

Touchable bietet auch in der Version 2.0 eine komplette<br />

Fernsteuerung für Live, die wesentlich weiter geht als eine<br />

schlichte Clip-Schleuder mit Mixer; wurde jedoch Featureseitig<br />

ordentlich aufgestockt. Damit man dennoch nicht die<br />

Übersicht verliert sind auf dem iPad-Display viele Funktionen<br />

ein- und ausklappbar, so dass immer nur das zu sehen ist,<br />

was gerade gebraucht wird. Daran muss man sich zwar<br />

zunächst gewöhnen, im alltäglichen Gebrauch wird aber<br />

schnell klar, dass das eine große Erleichterung ist. Neu ist<br />

in der Version 2.0, dass so gut wie alle frischen Features der<br />

aktuellen Ableton-Version integriert sind. Angefangen beim<br />

Browser mit Drag-&-Drop-Unterstützung, einem Pattern-<br />

Sequenzer mit Fold und Drum-Pads, klassischem Keyboard<br />

oder isomorpher Variante für den Push-Controller, Session<br />

Record bis zu Automation Arm. Gerade im Sequenzer wird<br />

der Einfluss von Push deutlich: Auf einem Touchstrip lässt<br />

sich schnell zwischen den Oktaven wechseln, kleine blaue<br />

Punkte zeigen an, auf welcher Oktave schon Noten sind,<br />

daneben kann ein Pitchbend-Wheel, Note Repeat und der<br />

Velocity-Bereich der gespielten Noten eingeblendet werden.<br />

Dazu kommen, ebenfalls wie bei Push, 25 verschiedene<br />

Skalen und das Fixed/In Key-Feature, bei dem nur die Töne<br />

der jeweiligen Skalen auf dem Keyboard liegen beziehungsweise<br />

spielbar sind. Da ein großer Teil der Live-9-Features<br />

selbst programmiert wurde, lassen sie sich praktischerweise<br />

auch mit Live 8 nutzen: Ausnahmen sind nur der Browser,<br />

Session Record und die Automation. Alle Sequenzer-<br />

Features funktionieren auch in 8.<br />

Alles auch modular<br />

Zusätzlich zu all den oben genannten Möglichkeiten lassen<br />

sich aber auch eigene Templates erstellen, was ähnlich<br />

funktioniert wie bei touchAbles DJ App d:b. Dazu kann<br />

man sich aus einer Reihe frei skalierbarer UI-Elemente wie<br />

Fader, Knobs, Buttons, X/Y-Pads und Labels bedienen, die<br />

Parameter aller fernsteuerbaren Bereiche aus Live steuern<br />

können, quasi Macros auf Programmebene.<br />

Einen externen Editor gibt es dafür zwar nicht, aber der ist<br />

auch gar nicht nötig, denn das Setup lässt sich bequem auf<br />

dem iPad einrichten und abspeichern. Ziemlich praktisch<br />

nicht nur für ein Master-Rig für den Live-Gig, auch zum<br />

auf die eigenen Bedürfnisse ausgerichteten Spielen von<br />

Instrumenten oder Effekten sehr ergiebig. Überhaupt lädt<br />

die neue Version dazu ein, einfach nur übers iPad Tracks zu<br />

basteln, denn es kommt äußerst selten zu der Situation, dass<br />

ein Feature nur direkt über den Rechner erreichbar ist, mal<br />

abgesehen vom Audio-Editing.<br />

Mit touchAble 2.0 ist die Live-Remote endgültig zur beinahe<br />

allumfassenden Oberfläche geworden und stellt nicht<br />

nur die App-Konkurrenz weitestgehend in den Schatten<br />

(auch das ebenfalls sehr umfangreiche Lemur-Patch<br />

LiveControl 2), sondern lässt auch den einen oder anderen<br />

Hardware-Controller reichlich altbacken aussehen. Die hier<br />

getestete späte Beta lief dabei sehr stabil und reagierte direkt<br />

und ohne Verzögerung auf alle Eingaben.<br />

Touchable 2.0 ist ab dem 7. November im AppStore zu haben,<br />

für User der Vorversion ist das Update kostenlos.<br />

63


<strong>177</strong> — musiktechnik Text Sascha Kösch<br />

Nicht nur durch die massenhafte Abwanderung von erklärten<br />

Vinyl-Junkies zu CD-Playern, auch in der Software und<br />

bei den Controllern hat sich in den letzten Jahren für DJs<br />

viel getan - die 1210er sind als DJ-Symbol längst verdrängt.<br />

Native Instruments hat diesen Wandel mit immer neuer<br />

Hard- und Software begleitet und geformt. Angefangen<br />

von Remix-<strong>De</strong>cks und dem Flux-Modus - der Traktor in<br />

eine große Spielwiese verwandelt und eher in Richtung<br />

64<br />

Traktor<br />

Kontrol<br />

S4 MK2<br />

Es ist schon fast drei Jahre her, dass<br />

Native Instruments mit seinen S4- und<br />

S2-Controllern an den Start ging. Drei<br />

Jahre, in denen sich das Auflegen massiv<br />

verändert hat. Wie passt da Native<br />

Instruments neuer Supercontroller<br />

rein?<br />

Produzenten-Tool verändert hat - bis hin zu den passenden<br />

Controllern für jedes Einsatz-Szenario: F1, X1 und Z1, die<br />

Mischpulte wie das Z2 und die wiederum in eigener Weise<br />

grandiose Umsetzung von Traktor auf iOS. Als Traktor-DJ<br />

hat man heute die Qual der Wahl. Mit dem S4 hatte NI zum<br />

ersten Mal einen Controller entwickelt, der die Software<br />

komplett in Hardware goss. Erstere wurde seither fundamental<br />

erweitert: Wie bekommt man all die neuen Features<br />

in eine Kiste? <strong>De</strong>r S4 MK2 (und der S2, der auch neu aufgelegt<br />

wurde) hat es insofern leicht, als dass er einfach<br />

alles an Neuerungen von der restlichen NI DJ-Hardware<br />

übernehmen kann, muss sich aber andererseits auch davon<br />

absetzen können.<br />

Die Mixer-Sektion wurde vor allem durch einen dezidierten<br />

Filter-Knopf (wie beim Z1 und typischen DJ-<br />

Mischpulten) erweitert, der jetzt zusätzlich zu den<br />

Effekten zur Verfügung steht. Die Fader und Knöpfe sind<br />

in der klassischen Qualität, jedes <strong>De</strong>ck hat wie gewohnt<br />

zwei Effektkanäle und in der Mitte sitzt immer noch der<br />

Loop-Recorder.<br />

Übernommen wurden auch die transparenten, mehrfarbigen<br />

Buttons, die den Controller erstmal ungewohnt<br />

bunt statt klassisch dark erscheinen lassen. Damit liefern<br />

die Tasten zusätzlich Information über ihre Funktionsweise,<br />

denn es wird ganz schön eng und komplex im Kopf mit acht<br />

Cue/Flux/Freeze/Remix-Knöpfen und vier für die Transport-<br />

Funktionen. Wer ein wenig an Traktor gewöhnt ist, wird sich<br />

aber dennoch schnell zurechtfinden.<br />

Hier verstecken sich auch viele der Erweiterungen, die<br />

die Anpassung an iOS mit sich bringt. <strong>De</strong>r Loop-Slicer aus<br />

dem Freeze-Modus zum Beispiel, der einzelne Loops in<br />

acht Segmente zerlegt, die über die Buttons dann wie integrierte<br />

Samples abgespielt werden können. Außerhalb<br />

von Freeze sind es natürlich die klassischen Cue-Punkte<br />

in blau, in einem Remix-<strong>De</strong>ck die einzelnen Samples. Die<br />

Farben halten einen hier glücklicherweise intuitiv auf dem<br />

Laufenden.<br />

Die Aktivierung des Controllers auf dem iPad läuft<br />

automatisch. Beim Einstecken des Tablets startet<br />

Traktor DJ und alles ist sofort startklar. Die zweidimensionalen<br />

Effekte lassen sich etwas umständlicher als auf<br />

dem Pad selbst (das man aber natürlich trotzdem weiter<br />

als Controller nutzen kann) über den Dry/Wet-Regler<br />

in Verbindung mit den drei Effektreglern nutzen, die<br />

Steuerung funktioniert wie gewohnt über den Browse-<br />

Regler und das iPad passt sich natürlich automatisch im<br />

Layout der jeweiligen Benutzung an. Die Effekt-Tasten blenden<br />

so zum Beispiel die Effekte ein (die zweite überflüssigerweise<br />

die Gain- und EQ-Regler). <strong>De</strong>n Beatgrid editieren,<br />

im Track zu anderen Positionen springen, on the fly Freeze-<br />

Mode, alles lässt sich mit dem S4 in einfachster Weise realisieren.<br />

S4 und iPad, Check! Das könnte einfacher kaum<br />

sein und klingt in Zusammenarbeit mit der gewohnt wuchtig<br />

klaren Soundkarte des S4 umso besser.<br />

Neu am S4 MK2 sind obendrein der dezidierte Flux-<br />

Button über dem Pitch-Regler und der Mode-Button bei<br />

den Effekten, der vom Single- in den Group-Modus umschaltet,<br />

sowie die metallenen Jog-Wheels, die einen<br />

Hauch leichtgängiger sind als beim Vormodell, dafür aber<br />

auch etwas präziser reagieren. Hier hat man sich im <strong>De</strong>sign<br />

und dem Handling den gewohnteren CDJs angepasst.<br />

<strong>De</strong>r Rest ist dem Vorgänger sehr ähnlich. Es lassen sich<br />

Plattenspieler oder andere Live-Inputs einschleifen, egal ob<br />

mit Control-Vinyl/CD oder in "echt", die Zusammenarbeit<br />

mit CDJs funktioniert tadellos, der Sound ist ausgewogen<br />

wie immer, die Bedienung ein Klacks und auch der<br />

MIDI-In/Out-Modus wurde nicht eingespart. Wer entweder<br />

auf sein iPad, den Flux-Modus, die Remix-<strong>De</strong>cks, oder<br />

Plattenspieler und sonstige Inputs nicht verzichten kann,<br />

für den ist der S4-MK2-Controller (sofern die kleineren<br />

Einzel-Controller nicht ausreichen) perfekt. Und genau hier<br />

ist vielleicht auch das Problem, denn NI stellt mittlerweile<br />

so viele Controller für spezifische Einsätze bereit, dass eben<br />

nicht wenigen die tragbareren kleinen, gegenüber der All-<br />

In-One-Version die der S4 MK2 darstellt, reichen dürften.<br />

PS: Achtung übrigens beim Netzteil: Die alten funktionieren<br />

hier nämlich nicht wirklich.<br />

Preis: 799 Euro


MUSIKER-PARADIESE<br />

GANZ IN DEINER NÄHE<br />

3 x Berlin<br />

Hamburg<br />

München<br />

Dortmund<br />

Info-Hotline<br />

0800 200 444 14<br />

• Jetzt unseren Gratis-Katalog anfordern •<br />

(Gebührenfrei aus dem <strong>De</strong>utschen Festnetz)<br />

Berlin Moritzplatz<br />

Oranienstr. 140-142<br />

10969 Berlin<br />

fon (030) 88 77 55 - 00<br />

berlin@justmusic.de<br />

Berlin Kulturbrauerei<br />

Knaackstraße 97<br />

10435 Berlin<br />

fon (030) 88 77 56 - 00<br />

berlin@justmusic.de<br />

Hamburg St. Pauli<br />

Feldstraße 66 (Bunker)<br />

20359 Hamburg<br />

fon (040) 87 88 89 - 00<br />

hamburg@justmusic.de<br />

München OEZ<br />

Hanauer Straße 91a<br />

80993 München<br />

fon (089) 38 38 84 - 0<br />

muenchen@justmusic.de<br />

Dortmund Dorstfeld<br />

Martener Hellweg 40<br />

44379 Dortmund<br />

fon (0231) 17 19 21<br />

dortmund@justmusic.de<br />

Berlin Pianogalerie<br />

Pariser Str. 9<br />

10719 Berlin<br />

fon (030) 88 77 55- 88<br />

info@pianogalerie-berlin.de<br />

Berlin Hamburg München Dortmund


Four Tet -<br />

Beautiful Rewind<br />

[Text Records]<br />

RECONDITE -<br />

HINTERLAND<br />

[Ghosty International]<br />

01 Four Tet<br />

Beautiful Rewind<br />

Text Records<br />

02 Recondite<br />

Hinterland<br />

Ghostly International<br />

03 Tim Hecker<br />

Virgins<br />

Kranky<br />

04 Snuff Crew<br />

Behind The Masks<br />

Bpitch<br />

05 Wasserfall<br />

Travelling While Sleeping<br />

Greta Cottage Workshop<br />

06 Felix Lenferink<br />

Forlane II<br />

Shipwreck<br />

07 Thorsteinssøn<br />

They Don’t Know<br />

Legendary Sound Research<br />

08 Palms Trax<br />

Equation EP<br />

Lobster Theremin<br />

09 Clara Moto<br />

Blue Distance<br />

Infiné<br />

10 Kettel<br />

ibb & obb OST<br />

Sending Orbs<br />

11 Me Succeeds<br />

Rongorongo Remixe<br />

Ki Records<br />

12 Geiger & Lafelt<br />

Walking In The Rain<br />

Nylon Trax<br />

13 Kerem Akdag<br />

A Good Play EP<br />

Apparel Music<br />

14 Benjamin Damage<br />

4600 EP<br />

50 Weapons<br />

15 Oleg Poliakov<br />

Random Is A Pattern<br />

Circus Company<br />

16 Jerome<br />

4B<br />

CGI<br />

17 My Panda Shall Fly<br />

Tape Tekkno<br />

Gang Of Ducks<br />

18 Objekt<br />

Agnes <strong>De</strong>mise / Fishbone<br />

Objekt<br />

19 Pink Skull<br />

Pink Game EP<br />

Days Of Being Wild<br />

20 Simian Mobile Disco<br />

Ton Zi Dan<br />

<strong>De</strong>licacies<br />

21 Ambassadeurs<br />

Alone In The Light EP<br />

Pilot Records<br />

22 NSDOS<br />

Lazer Connect EP<br />

Clek Clek Boom<br />

23 Hooved<br />

Timeless<br />

Amam<br />

24 <strong>De</strong>o & Z-Man<br />

XTC<br />

Hafendisko<br />

25 Finest Wear<br />

Distant Memories<br />

Colour And Pitch<br />

www.fourtet.net<br />

Man weiß einfach nicht so recht, was man zu diesem "Beautiful Rewind" sagen<br />

soll. Vielleicht, dass Kieran Hebden viel zu viele Ideen hat. Kein Wunder,<br />

wenn man gerade erst ein Album für Omar Souleyman und eine Kollabo mit<br />

Rocketnumbernine produziert, sowie eine Free-LP mit Staubfängern aus den<br />

Zip-Drives von 1997-2001 rausgehauen hat. Im Workflow wird postwendend<br />

Four-Tet-LP Nr.8 nachgelegt. Zum ersten Mal über den eigenen Betrieb Text<br />

Records wohlgemerkt und das gleich ohne Promo, wie Hebden im Voraus via<br />

Twitter verkündete: "no pre order, no youtube trailers, no itunes stream, no spotify,<br />

no amazon deal, no charts, no bit coin deal, no last minute rick rubin." Da<br />

ist sich jemand seiner Arbeit wirklich sicher. Und eben diese Entschlossenheit<br />

vermisst man auf "Beautiful Rewind" zu oft. Leicht diffus wandert Four Tet zwischen<br />

diversen Ansätzen hin und her. Als hätte sich Captain Hebden mit seiner<br />

Zeitmaschine auf den Weg der umfassenden Reminiszenz begeben und<br />

wäre nun zwischen den Stühlen stecken geblieben. Einmal mal kurz am Frequenz-Regler<br />

gedreht, um sich quer durch die Historie von Englands Piraten-<br />

Radio zu streamen, hängt er nun irgendwo zwischen UK-Garage, Grime und<br />

House, sowie seiner alten Liebe Elektronika fest. Dabei kommt durchaus die<br />

ein oder andere unangestrengte Aufarbeitung zustande. Wie der Opener etwa,<br />

das slow-fast-Gewitter "Gong", in dem mit Four-Tet-typischer Staubigkeit Jungle<br />

erkundet wird - quasi das Äquivalent zu Burials Garage-Entwurf. Auch für<br />

"Kool FM" wurden Breakbeats ausgegraben und in ein 4/4-Gerüst gequetscht,<br />

auf dem schließlich eine unverkennbar britische, grimey Bassline einfach nur<br />

ganz laut "massive" schreien will. Sick. Dazwischen dann aber diese unschlüssigen<br />

Momente wie "Ba Teaches Yoga" oder "Unicorn", in denen Hebden an<br />

seiner Leidenschaft für Elektronika-Arpeggios und -Flächen festhält und die<br />

man einfach nicht so recht in diesen Rahmen einordnen kann. Gefolgt von "Aerial“,<br />

bei dem man dann irgendwie gar nicht mehr weiß, wo es eigentlich hingehen<br />

soll. Mit Four Tet’scher Ethno-Polyrhythmik geht’s los, mit Ambient-Arpeggios<br />

und Garage-Vibes weiter, mit schizophren gecutteten Grime-Vocals<br />

und äquivalenter Bassline schließlich zu Ende. Alles in einem Track. Auf dass<br />

der Groove in Unentschlossenheit ersticke. Womöglich muss man "Beautiful<br />

Rewind" als fragile Sound-Skizze wahrnehmen. Als Four Tets assoziative Reise<br />

durch die ehemaligen britischen Piraten-Frequenzen und weniger als Sammlung<br />

alleinstehender Tracks, die in sich schlüssig wären. <strong>De</strong>r Gegenentwurf zu<br />

"Pink" also, der im vergangenen Jahr erschienenen Single-Anthologie. In dem<br />

Sinne wäre "Beautiful Rewind" der konsequente nächste Schritt im Schaffen<br />

des K. Hebden. Schade nur, dass "Pink" einfach wirklich so viel besser funktioniert<br />

hat.<br />

wzl<br />

www.ghostly.com<br />

Geschichte kann gnadenlos sein. Gleich zwei LPs mit dem Namen "Hinterland"<br />

sind dieser Tage erschienen. Caspars schwülstiges Etwas, eine Platte,<br />

die nur wie Naidoo sein will, und Recondites zweites Album. Bei Google verliert<br />

man so ganz automatisch, unsere Herzen jedoch lachen. Man hätte es ja<br />

ahnen können. Lorenz Brunners Sound atmete schon immer tiefe Melancholie,<br />

so etwas wie helle Dunkelheit. Die Tracks auf seinem eigenen Label "Plangent"<br />

deuteten die Richtung an, die sich nun manifestiert, radikal verdichtet. Das begann<br />

in den Arrangements, in der Auswahl der Töne und setzte sich beim Artwork<br />

fort. Rauhe Papphüllen mit gestempelter Natur-Abstraktion. Ja, es war<br />

die alte Leier der Verschleierung. Es war aber auch eine Erleuchtung. Und<br />

"Hinterland" leuchtet heller als alles andere zur Zeit. In einer der ersten textlichen<br />

Annäherungen mit Recondite in diesem Magazin, im <strong>De</strong>zember 2011,<br />

hieß es: "Es ist kein Geheimnis, dass die Welt etwas schöner wird, wenn man<br />

ihre Konturen nur leicht verwischt." Genau das ist der Dreh- und Angelpunkt<br />

des Albums. Die Lernkurve ist alles andere als steil und doch ist alles anders.<br />

Ein bisschen wie auf Kodein, wenn sich Dinge von einander entkoppeln, nicht<br />

mehr vollständig synchron laufen. Wenn der Autofokus lahmt, immer wieder<br />

versucht, scharf zu stellen und doch nur weiche Flächen produziert. Recondite<br />

gelingt es, dieses Konzept der Unschärfe auf Albumlänge zu perfektionieren.<br />

Die Beats sitzen. Sind klar und kräftig, verbinden gelebte Modernität mit<br />

kleinen Reminiszenzen an die Vergangenheit, leben vorbildliche Reduktion, bilden<br />

ein Fundament, wie es heutzutage im Häuserbau schon längst nicht mehr<br />

zum Einsatz kommt. Recondite jedoch baut für die Ewigkeit. <strong>De</strong>nn der Rest ist<br />

fluide. Richtet sich nicht nach den Vorgaben der Schlagwerk-Kellergeschosse,<br />

sondern nach der Umgebung, in die er seine Gebilde setzt. Minimale Eingriffe<br />

in die Natur. Sobald die Oberfläche erreicht ist, wird in die Natur hineingebaut.<br />

Und die will mal links, mal rechts, mal hoch, mal seitlich. Durch das Geäst der<br />

natürlich gewachsenen <strong>De</strong>epness. Mit seinen Melodien hätte Recondite auch<br />

die Elektronika revolutionieren können. Er ist der Pate des Waldes, nicht Voigt.<br />

Ein mystisches Plinkern. Es windet. Hört man Recondite zu, kann man die<br />

Farne förmlich anfassen. Und auf denen ist ordentlich was los. Es sprießt, es<br />

krabbelt und grabbelt, es pulsiert, es lebt. Und doch bleibt es zu großen Teilen<br />

unscharf. Neblig. Weit weg. Recondite spendiert die Entwürfe, große, hallige<br />

Skizzen, der Rest passiert im Kopf, sobald der mitwippt, man sich fallen lässt.<br />

Recondite hat genau das, was alle anderen nicht haben und doch haben wollen.<br />

Style. Mut. Die Darkness so bunt anzumalen, dass sie bei aller Übermacht<br />

in tiefem Purpur glüht. Bayreuth in 4/4. Götterdammerung in 808.<br />

THADDI<br />

66


SNUFF CREW -<br />

BEHIND THE MASKS<br />

[Bpitch]<br />

www.bpitchcontrol.de<br />

WASSERFALL -<br />

Travelling While<br />

Sleeping<br />

[Greta Cottage<br />

Workshop]<br />

gretacottageworkshop.co.uk<br />

TIM HECKER -<br />

VIRGINS<br />

[Kranky]<br />

www.kranky.net<br />

Die Snuff Crew stand schon immer für Acid. Für Oldschool.<br />

Für Drummachines, Synths, die reine Lehre. Damit sind sie<br />

weiß Gott nicht alleine. Warum auch. Aber ihr Album geht<br />

über ihre bisherigen Produktionen noch ein Mal weit hinaus.<br />

Es steigt vom ersten Moment ein, wie ein Popalbum.<br />

Wie dieser große Entwurf eines Glücksmoments, in dem<br />

man sich selber bestimmt. Es wird mit Melodien um sich<br />

geworfen wie im ersten Frühling. Es blüht an allen Ecke<br />

vor lauter Leichtigkeit. Die Maske ist gefallen. Snuff Crew<br />

sind nicht mehr die Kämpfer hinter den Maschinen, deren<br />

Beats, Grooves und Basslines alles sagen müssen, sie<br />

sind das Orchester eines ewigen Summer Of Love geworden.<br />

Egal ob sie Rachel Row, Kim Ann Foxman oder Tyree<br />

Cooper ins Studio geladen haben, alle haben dieses Ding im<br />

Blick. Tage des Schwärmens. Eine Zeit, in der sich alles in<br />

einer neuen Liebe für die Welt auflöst. Diesen Moment, in<br />

dem eine Generation zusammenkommt und auf einer Party<br />

einen Zusammenschluss feiert, der so unwahrscheinlich<br />

ist wie er unauslöschlich bleiben wird. Musik, die nicht sich<br />

selbst feiert, nicht die schönen Zeiten von damals, sondern<br />

dieses Gefühl, dass es im gemeinsam gefundenen Groove<br />

eine Welt gibt, in der es sich lohnt zu verharren und neuen<br />

Funk zu tanzen.<br />

bleed<br />

THORSTEINSSøN -<br />

THEY DON'T KNOW<br />

[Legendary Sound<br />

Research]<br />

<strong>De</strong>ephouse ist auf dem besten Weg das neuste Schimpfwort<br />

für EDM zu werden, das hält <strong>De</strong>ephouse-Platten aber<br />

nicht davon ab, von Woche zu Woche großartiger zu werden.<br />

Diese Platte ist ein perfektes Beispiel dafür warum. Thorsteinssøn<br />

kümmert sich um nix außer der Musik. Die Chords,<br />

der Groove, die Bässe, der Sound. "They Don't Know" ist keine<br />

Klage darüber, dass die anderen <strong>De</strong>ephouse nun wirklich<br />

nicht verstanden haben, sondern die lapidare Erkenntnis,<br />

dass Musik wie ein Achselzucken sein kann. Ein Hauch<br />

von Wahrheit, der völlig losgelöst von allen <strong>De</strong>finitionen eine<br />

Sicherheit erzeugt, die kein draußen braucht. Thorsteinssøn<br />

hat diese Unschuld der ersten Theo-Parrish- Tracks, aber<br />

auch die Unbekümmertheit plinkernd schnatternder Melodien,<br />

diesen Soul der <strong>De</strong>epness, die sich nicht sonderlich<br />

ernst nimmt, weil sie einfach der Grund ist, warum man<br />

überhaupt in diese Welt abtaucht. Die EP feiert sich selbst,<br />

feiert die Legenden um sich herum, feiert diese Bekenntnis<br />

zu einem Sound, der sich in unwahrscheinlicherweise<br />

bei aller Nähe zu den Vorbildern, den Legenden und der<br />

Geschichte doch ständig erneuert, so als wäre <strong>De</strong>ephouse<br />

nicht ein Stil, sondern ein endloses Ufer, an dem es ständig<br />

etwas Neues zu entdecken gäbe, das nichts ändert, außer<br />

der Erkenntnis, dass es ewig so weitergehen könnte.<br />

bleed<br />

Greta Cottage Workshop ist immer eine Reise wert. Hier<br />

werden die Schafe noch von Hand geschert. Die Musik<br />

so lange geknuddelt und getätschelt, bis sie am Ende<br />

glänzt und säuselt, gluckst und sprudelt, bis sie vor Glück<br />

quietscht. Wasserfall ist ein Projekt, das bis zur Besinnungslosigkeit<br />

eine Sanftheit verströmt, die einem wie ein lauwarmer<br />

Gebirgsbach im Hochsommer durch die Finger rinnt.<br />

Es ist eine Ode an die Biegsamkeit der Gefühle, die immer<br />

einen Weg finden, sich durch nichts eingrenzen zu lassen.<br />

Eine Feier der kleinen sanften Töne, die in alle Richtungen<br />

strömen und sich doch irgendwie in einem Fluss befinden.<br />

Durch die Musik von Wasserfall hindurch sieht man diese<br />

traumwandlerischen Bewegungen der scheinbar zufällig<br />

hingworfenen Perfektion einer Welt wie sie sein sollte. Keine<br />

verborgenen Schätze, sondern offen vor einem liegendes<br />

Glück und das Versprechen des Moments. "Travelling While<br />

Sleeping" ist der auf fünf Stücke komprimierte Powernap,<br />

bei dem man nicht die Augen schließt, sondern weit öffnet.<br />

Keine Reise ins Innere, sondern ein Sprung nach draußen in<br />

die Innerlichkeit der Welt. Es gibt viel zu viele Metaphern um<br />

Schönheit zu beschreiben. Wasserfall gehört für mich definitiv<br />

zu den klarsten. Jetzt müsste diese Welt nur noch wirklich<br />

sein.<br />

bleed<br />

FELIX LENFERINK -<br />

FORLANE II<br />

[SHIPWRECK]<br />

www.shipwreck.org<br />

In der Welt zwischen House und Bass ist noch viel zu viel<br />

ungesagt. Die Tracks von Felix Lenferink steppen, kicken<br />

wild um sich, sind so heiter, dass man fast lachen möchte,<br />

aber können auch mal eine Acidline durchknödeln. Während<br />

nicht selten die Synthese aus Kindersoul und hibbeligen<br />

Grooves irgendwann in Trance endet, oder der Nabelschau<br />

verknoteter Basslines und schnippischer Beats, flattern die<br />

Tracks von Lenferink eher von einem Höhepunkt zum nächsten,<br />

halten sich nie lange damit auf, sondern genießen dieses<br />

Verbrennen im aufblitzenden Moment. Eine EP voller<br />

Flausen, klingelnd überzogener Melodien, Stimmen, die<br />

aus allen Richtungen hereinwehen und schon wieder weg<br />

sind. Alles lässt sich kurz nieder, zeigt sich von seiner besten<br />

Seite, ist wieder woanders. Dabei wirkt die Musik aber<br />

alles andere als sprunghaft oder hecktisch, sondern säuselt<br />

lieber voller offener Geheimnisse. Gelegentlich ist das<br />

wie Filmmusik zu einem Märchen, das noch nie von Kitsch<br />

gehört hat, oder auch einem ersten Blick durch ein Kaleidoskop,<br />

das man so lange an die Augen presst, bis es fast<br />

weh tut, weil die Klarheit der Strukturen irgendwie die notorische<br />

Verwirrung völlig ausblendet. Die perfekte Synthese<br />

aus komplex verdichteter Konstruktion und dem Genuß einfachster<br />

Berührung durch Musik.<br />

bleed<br />

Es kann nur einen geben. Tim Hecker war schon immer unglaublich.<br />

Von seinen ersten Platten an stach er heraus duch<br />

diese eisig warme digitale Ästhetik, die seine Stücke durchzieht,<br />

wie ein glasklarer Schnitt. Konzentriert bis ins letzte aber<br />

doch so voller Nähe. Virgins ist für mich schon jetzt eins der<br />

Alben des Jahres. Weil es Träume erfüllt. Weil es mich in die<br />

Zeit purer aufwühlender Experimente zurückversetzt. Die Zeit,<br />

als Sounds aus dem digitalen Eis gebrochen werden mussten.<br />

Als man neue Klänge entdeckte, erfand, konstruierte, zu einer<br />

Architektur zusammenbaute, die völlig neue Landschaften<br />

entstehen ließ. Es ist keine Nostalgie für Clicks and Cuts, die<br />

diese Platte prägt. Es sind die vielen akustischen Instrumente,<br />

die Harfen, die Klaviere, die Streicher. Traumwandlerisch<br />

im Einklang mit den wehenden digitalen Sounds, den kleinen<br />

perfekt sitzenden Effekten und dieser großen Geste, dass Musik<br />

über sich selbst hinaus wachsen muss. Es ist immer blöd,<br />

Musik irgendwie als natürlich zu bezeichnen, nichts könnte<br />

ferner liegen, wenn man sich den Produktionsprozess ansieht.<br />

Aber "Virgins" wächst. Hat ein eigenes Leben. Es wuchert vor<br />

dem inneren Auge und fühlt sich mehr und mehr an wie das<br />

My-Bloody-Valentine-Album, das man machen würde, wenn<br />

man diesen Aufbruch in eine neue schwankende Zeit, neu erfinden<br />

könnte. Es ist kein Album der Hypothesen. Es ist eins<br />

der Erfüllung. Musik, die in jedem Moment in sich selbst hinabstürzt,<br />

ihre Melodien vor dem inneren Auge zerschmettert,<br />

die großen tiefen Basswellen anzerrt und in eine Schräglage<br />

versetzt, die Welt durchleuchtet mit dieser anderen Perspektive,<br />

die uns erst in die Lage versetzt etwas neues wahrnehmen<br />

zu können. "Virgins" ist wie sein Titel, wenn man ihn entkernt<br />

von jeder Mystik, jeder Geschlechterzuschreibung lesen könnte.<br />

Es ist Musik, die erwacht, auf etwas hindeutet, dass man<br />

nicht begreifen kann, aber längst versteht. Eine Verheißung,<br />

eine Unschuld, ein Neuanfang noch vor dem Neuanfang. Mit<br />

jedem der Stücke scheint das Album ein Licht auf etwas, das<br />

man wie zum ersten Mal sieht, nicht weil es neu wäre, sondern<br />

weil es in diesem Moment erst eine Bedeutung bekommt. Es<br />

kreist um diesen blinden Fleck der Unmöglichkeit einer neuen<br />

Welt, in der doch alles neu erscheint, einfach weil es durch und<br />

durch verrückt wurde, durch ein neues Zentrum eine andere<br />

Dimension erreicht, deren Mittelpunkt, Richtung, Begierden<br />

oder Erfahrungen noch keine Sprache kennen, aber ein Wort.<br />

Es gibt keinen Grund sich nicht in dieses Album zu verlieben.<br />

Für immer .<br />

BLEED<br />

67


<strong>177</strong> — reviews<br />

Mooryc<br />

KONTROLLIERT Fallen<br />

T Helena Lingor<br />

Die alten polnischen Geigenbauer seien sehr verschlossene Menschen. Sie würden ihre letzten<br />

Geheimnisse niemals preisgeben, sagt Maurycy "Mooryc" Zimmermann und muss gleichzeitig<br />

über diese Verschrobenheit lachen. Dass ein gewisser, streng konzentrierter, introvertierter Zug<br />

in seiner Musik von dieser polnischen Verschlossenheit und Melancholie geprägt ist, will er aber<br />

nicht bestreiten. Es gebe nur wenige Geigenbauer in Polen und auf eine Schule zu kommen, sei<br />

nicht einfach. Zwei Violinen habe er schon gebaut, bevor er aufgenommen wurde.<br />

Dass eine Art strenger Baumeister in die Konstruktion seiner Tracks verwickelt ist, das lag schon<br />

vor Mooryc' <strong>De</strong>bütalbum "Roofs" nahe. Es muss ein Fachmann des orchestrierten Schwermutes<br />

gewesen sein, dessen melodische Texturen über die harmonisch strenge Form verfügen, die vielleicht<br />

nur in dem Holzschliff eines alten Instruments zu finden ist. Was sich vor "Roofs", im Jahr<br />

2009 mit zwei EPs noch als verträumter Indie-IDM präsentierte, entwickelte sich mit den nächsten<br />

Tracks schnell zu epischer Auteur-Elektronika – einer Art kontrolliertes Fallen aus den Höhen einer<br />

melodramatisch arrangierten Klangarchitektur. "Fallin’ freely" lautet somit nicht umsonst ein Titel<br />

auf dem aktuellen Album.<br />

Mal über verklärt angebrannte Synth-Arpeggios, mal durch den kalten Nebel verhallter EBM-<br />

Floors, mal in der konzentrierten Entfaltung einer Harmonik über einen polyphonen Platzregen aus<br />

Strings: Mooryc' Tracks ist eine quasi sinfonische Entschiedenheit eigen, mit der sie sich auf einen<br />

bestimmten Moment melodramatischer Verdichtung hinbewegen. Auch auf "Roofs" finden sich mit<br />

"Powerless", "Jupiter" und "Say No More" erwartungsgemäß gleich mehrere Hymnen, auf denen sich<br />

irgendwo zwischen Pop und Elektronika konzentrierter Weltschmerz ereignet: "Es ist vielleicht die Erinnerung<br />

an eine musikalische Form oder ein Stück, wenn ich an einem Track arbeite", sagt Mooryc.<br />

"Mir fällt es leicht, eine Idee oder ein Arrangement schnell umzusetzen." "Roofs" wären dann vielleicht<br />

die Dächer seiner musikalischen Erinnerung - eine Schule alter, dunkler Meister. Bach und Arvo Pärt,<br />

<strong>De</strong>peche Mode, Boards of Canada und Burial, aber auch Peter Gabriel und der zeitgenössische polnische<br />

Komponiste Pawel Mykietyn, von dem er, wie er sagt, vor allem seinen Zugang zu atonaler Musik<br />

und bestimmten kompositorischen Elementen hat.<br />

In einem Lokal in Berlin-Moabit entspannt in seinem Stuhl sitzend und angenehm unverkopft<br />

kommunizierend, glaubt man Maurycy Zimmermann ohne Weiteres, wenn er nun aber behauptet,<br />

dass er eigentlich gar kein trauriger Mensch sei: "Bei 'Communication Breakdown' [auf "All those<br />

things" FaT 004, Anm. d. Red.] zum Beispiel, hab ich versucht, etwas eher Albernes zu machen.<br />

Das war als Witz gemeint. So nach dem Motto: Oh c'mon, lebst du eigentlich noch, oder bist du<br />

vielleicht schon tot. Im Produktionsprozess hat das aber eine bestimmte Realität angenommen. Es<br />

hat mich selbst schockiert, wie real traurig das klang. Das ist für mich der entscheidende Moment,<br />

wenn ich im Studio sitze und der gesamte Klang mich umhaut. Aber das bin nicht ich. Ich habe nur<br />

die einzelnen Stimmen geliefert."<br />

Dass Mooryc’ Gesang aus einer Art Kokon stammt, an dessen Innenwänden sich wohl erst das Kondensat<br />

dieses musikalischen <strong>De</strong>stillationsprozesses sammeln muss, macht deutlich, warum er sagt,<br />

dass Bands nicht sein Ding seien. Er brauche seine Studioumgebung, um zu singen, das könne er<br />

auch nicht, wenn andere dabei sind. Immerhin hätte er es letztens endlich einmal geschafft, zu singen,<br />

als sein Label-Buddy und bisher einziger Kollaborationspartner Douglas Greed dabei war.<br />

Mooryc, Roofs, ist auf Freude am Tanzen/Kompakt erschienen.<br />

Alben<br />

Ulrich Troyer - Songs for William 2<br />

[4Bit Productions - Hardwax]<br />

Irgendwo in Innsbruck gibts einen Brunnen, der geht ganz tief<br />

runter. Bis nach Jamaika. Sein Wasser<br />

schmeckt den Kindern auf beiden Seiten<br />

ganz besonders, und der Hall, wenn<br />

man hineingrüßt… tja. <strong>De</strong>r Dub, der<br />

steckt für Ulrich Troyer vor allem in den<br />

kleinen Stompboxen, Tretminen, dem<br />

Fußvolk sozusagen. In seinen Dub-<br />

Songs, erst recht, wenn man sich die<br />

zugehörigen Comic-Geschichten durchliest, sieht man die Effekt-Kistchen<br />

beim Zuhören förmlich kreuz und quer durchs<br />

Studio spazieren. "Songs for William 2", der zweite Teil einer<br />

Trilogie, kommt so niedlich und liebevoll daher wie vor zwei<br />

Jahren der erste; aber der Ton hat sich gewandelt. An die Stelle<br />

eines sommerlich-eingängigen Reisetagebuchs treten gedeckte<br />

Farben, dekonstruktive Explorationen, Melancholie<br />

zwischen Zwitscherknurpstierchen und Glockenspiel. Die<br />

Grooves pulsieren und schieben Herbstnebel über leere Landstraßen,<br />

der Wind pustet Dub-Blips drüber, plötzlich findet sich<br />

alles zu Pop zusammen ("Cable Loss"), dann arbeiten wir uns<br />

Fuß vor Fuß den ganzen Brunnen hinunter, in "Hardwired" erwartet<br />

uns die Schreckharmonica, vor der sich die kleine<br />

Drumbox erstmal raustrauen muss, aber dann sind auch<br />

schon alle fleißig am Steppen, schließlich am anderen Ende:<br />

weich schimmriger Drone-Ambient, das Fenster geht zum<br />

Knisterregen von Pyrolators "Inland" auf, und das Sandmännchen<br />

kommt im Gewand eines Beats. Das Highlight also wieder<br />

am Schluss, aber es ist dieser durchgehende, basteligpoetische<br />

Ansatz, der das Gesamtpaket von Troyers Dub<br />

auszeichnet.<br />

www.4bitproductions.com<br />

multipara<br />

Håkon Stene - Etude Begone Badum<br />

[Ahornfelder - A-Musik]<br />

<strong>De</strong>n nonchalantesten Quasi-Re-Start des Jahres legt hier das<br />

Hamburger Label Ahornfelder hin mit<br />

einem Doppelschlag des norwegischen<br />

Schlagzeugers Håkon Stene. Auf zwei<br />

gleichzeitige Releases verteilt erscheinen<br />

sechs Einspielungen von Werken<br />

zeitgenössischer Komponisten: auf diesem<br />

Album vier, auf einer CD-EP zwei<br />

weitere. Nonchalant, weil schick, sehr<br />

knapp an Info, und inhaltlich erste Kajüte. Schlagzeug: da geht<br />

ja eigentlich alles. Im Duo mit Marko Ciciliani bespielt er auf<br />

dessen "Black Horizon" E-Gitarren – verzaubert wäre der passendere<br />

Ausdruck, denn man traut seinen Ohren nicht. Was<br />

bei Michael Pisaros "Ricefall" geschieht, ist dagegen klar, und<br />

dabei nicht weniger unheimlich. Geradezu als Einsteiger dazwischen:<br />

die Dreingabe von Luciers Triangel-Stück "Silver<br />

Streetcar for the Orchestra", die sich in einer ordentlich klangintensiven<br />

Aufnahme ihren Platz verdient. Garniert von drei<br />

Vignetten ("Studies in Self-Imposed Tristesse") von Lars Petter<br />

Hagen, auf denen der Sound von Percussion und Elektronik ins<br />

Uncanny Valley taucht. Ein Fest für die Ohren, von Anfang bis<br />

Ende.<br />

www.ahornfelder.de<br />

multipara<br />

Gherkin Jerks - The Gherkin Jerks<br />

[Alleviated]<br />

Nach den beiden EPs kommt hier dann auch noch das Album<br />

dieser aus der Tiefe der Technogeschichte<br />

ausgegrabenen Tracks, und in<br />

ihrem spartanisch absurden Sound<br />

klingt das als Album irgendwie noch<br />

mehr so wie eine Welt, in der die frühen<br />

80er wiedererfunden wurden. Manchmal<br />

könnte das auch der Plan sein, so<br />

sehr eiern und quietschen die Sounds,<br />

manchmal ist es natürlich der perfekte Protoacid, den man in<br />

den reduziertesten Versionen später dann im Traum buchstabieren<br />

lernte. Ein Album, das einem aber vor allem zeigt, dass<br />

Oldschool eine ganz andere, breitere Geschichte hat, als diese<br />

bereinigte Version, die man so oft hört. Ist das futuristisch?<br />

Gewesen? Vermutlich, aber irgendwie doch in einer so verwirrten<br />

Kellerästhetik, dass die Träume vom roten Planeten definitiv<br />

aus der Werkzeugkiste eines Bastlers stammen. Für<br />

Genießer.<br />

bleed<br />

Bartmes - Flow Motion<br />

[Blisstone]<br />

Pianist und Keyboarder Joe Bartmes aus Heidelberg lässt es<br />

fließen. Elektronik hilft hier nur selten<br />

aus, wenn er seine Kompositionen veredelt,<br />

die sich im groovenden Souljazz<br />

bewegen. Statt einer Gitarre als Soloinstrument<br />

ist eine verfremdete Bassklarinette<br />

im Einsatz, die von Frank Spaniol<br />

gespielt wird. Am Mikro ist Fola Dada<br />

dabei, und insgesamt drei Schlagezuger<br />

haben das Album mit eingespielt. Neben Oli Rudow und<br />

John Bollinger ist das der langjährige Kompagnon Sebastian<br />

Merk. Herausgekommen ist ein intelligent geschriebenes Album,<br />

dass den Groove dezent abfeiert und dabei die Konzentration<br />

aufs Wesentliche nicht vergisst. Trotz des Namens<br />

kommt Bartmes letztendlich gut auf den Punkt und verliert<br />

den roten Faden nicht.<br />

tobi<br />

Toshimaru Nakamura + Ken Ikeda + Tomoyoshi Date<br />

Green Heights<br />

[Baskaru - A-Musik]<br />

Wie man lärmhaftes Geräusch und kindliche Klänge von Spielzeugklavier<br />

oder ähnlichem Gerät in einen<br />

sinnstiftenden Zusammenhang<br />

bringt, kann man beim Trio Toshimaru<br />

Nakamura, Ken Ikeda und Tomoyoshi<br />

Date, einer Art japanischen Improv-Supergroup,<br />

wie spielerisch lernen. Die<br />

drei Individuen mit ihren recht unterschiedlichen<br />

Herangehensweisen bei<br />

der Abstraktion von elektronischen Konventionen, bestellen<br />

gemeinsam eine Fläche, die an eine postindustrielle Brache<br />

und zugleich an idyllisch-karges, unberührtes Bergland denken<br />

lässt. Es ist eine offene Szenerie, in der Menschen nicht<br />

mehr oder noch nicht anwesend zu sein scheinen, und in der<br />

das Staunen über das Neue und eine leicht wehmütige Nostalgie<br />

wie selbstverständlich Hand in Hand gehen. Die Balance<br />

von leicht schmerzenden Frequenzen und fast zu lieblichen<br />

Tönen gelingt den dreien so lässig, dass man sich nur ehrfürchtig<br />

verneigen kann.<br />

www.baskaru.com<br />

tcb<br />

Oleg Poliakov - Random Is A Pattern<br />

[Circus Company/CCCD014 - WAS]<br />

Das neue Album von Oleg Poliakov ist massiv. Schüchtern.<br />

Dicht, zurückhaltend, pathetisch, zögerlich,<br />

smooth und natürlich funky wie<br />

immer. Seine Tracks haben auf der<br />

Oberfläche erst mal immer etwas Gewohntes,<br />

man scheint sich ins gemachte<br />

Nest zu legen, die Housewelten sind<br />

bekannt und sehr angenehm, dann aber<br />

kribbelt es in den Untertönen doch immer<br />

verwirrend und verdreht, es zuckt einem unter den Ohren<br />

weg, es sucht diese leichten Verschiebungen im Sound, die<br />

mal pure breit harmonische Euphorie sind, mal in sich versunkene<br />

Konzentration auf die dichten Dubs und den zischelnden<br />

Motor hinter all den Grooves. Eine Platte, die ihren Funk wie ein<br />

kleines zu pflegendes Kaminfeuer erst nach und nach entwickelt,<br />

dann aber immer betörender wird.<br />

www.circuscompany.com<br />

bleed<br />

Pick A Piper - s/t<br />

[City Slang - Rough Trade]<br />

Brad Weber, der Schlagzeuger von Caribou, ist sozusagen die<br />

kanadische Mischung aus Wolf Biermann<br />

und Lars Ullrich, verbindet er<br />

doch unter seinem Alias Pick a Piper<br />

(zusammen mit Angus Fraser und Dan<br />

Roberts) Schlagzeug sowie Liedermachen<br />

und präpariert das ganze clubtauglich.<br />

Angenehm auch, weil hier kein<br />

"Liedermaching"-Konzept auf Beats<br />

übertragen wird, sondern die Beats die Grundlage für die Vocals<br />

bilden, die ganz zum Schluss kommen. So entstanden<br />

sieben großartige Miniaturen, Soundscapes zum Schlagzeug;<br />

Vocals, die nicht überkandidelt wirken, und eine Grundstimmung,<br />

die es nicht nötig hat, auf Hit-Kompatibilität zu setzen.<br />

Bis im neuen Jahr wieder die Festivals losgehen, ist "Pick a<br />

Piper" das Überbrückungswerk - rhythmusbasierte Liedermacher-Indietronica<br />

vom Besten.<br />

www.cityslang.com<br />

bth<br />

Esmerine - Dalmak<br />

[Constellation - Cargo]<br />

Esmerine ist ein Projekt zweier "Godspeed You! Black Emperor"-<br />

und "A Silver Mt. Zion"-Musiker.<br />

Anstatt auf Gitarren setzt die Band allerdings<br />

eher auf Marimba, Banjo, Cello,<br />

Kornett, Perkussion und Bass. Auf ihrem<br />

mittlerweile vierten Album, dass in<br />

Istanbul entstanden ist, arbeitet die<br />

Band zusätzlich mit einheimischen Musikern<br />

und erweitert das Instrumentarium<br />

dadurch zusätzlich um eine Geige und verschiedene türkische<br />

Rahmentrommeln und Saiteninstrumente. Das gibt der<br />

Musik natürlich eine starke orientalische Anmutung. Die<br />

Tracks sind mal flächig, ambient, meditativ und dronig und oft<br />

auch furios treibend uptempo angelegt. Ziemlich klasse!<br />

www.cstrecords.com<br />

asb<br />

Juana Molina - Wed 21<br />

[Crammed Discs - Indigo]<br />

Vorweg eine Entschuldigung: Das tolle Album "Un Día" von<br />

2008 habe ich irgendwie erst überhört.<br />

Erst Jahre später so wirklich entdeckt.<br />

Dieses sei also nachträglich empfohlen.<br />

<strong>De</strong>nn Molinas neues Album ist genauso<br />

schön, strahlt, ist fast noch etwas poppiger.<br />

<strong>De</strong>r "Rolling Stone" hat die Argentinierin<br />

sogar mit den Pop-Forschenden<br />

Brian Wilson und Kevin Shields verglichen.<br />

Nicht ganz zu unrecht. <strong>De</strong>nn Molina sucht. Sie bringt<br />

Unerwartetes in ihren klanglichen Rahmen. Wiedererkennbarkeit<br />

mischt sich mit Neuem. Minimales vermengt sich mit<br />

durchaus Luzidem. Molina produziert einen elektronischen<br />

Folk, den sie hier deutlich erweitert um einen Haufen Instrumente<br />

und Ideen. Das klingt dann manchmal bewusst funkytrocken,<br />

manchmal fast schon indietronics-niedlich. Mit jedem<br />

neuen Hören entdeckt man mehr.<br />

www.crammed.be<br />

cj<br />

68


<strong>177</strong><br />

ALBEN<br />

Brown Reininger Bodson - Clear Tears / Troubled Waters<br />

[Crammed Discs - Indigo]<br />

Die legendäre Ambient und Soundtrack Serie "Made To Measure"<br />

wird vom belgischen Label Crammed<br />

Discs wiederaufgelegt; zwischen<br />

1983 und 1995 veröffentlichten hier so<br />

edle Herren wie Arto Lindsay, John Lurie<br />

und Harold Budd ihre Kompositionen<br />

für Film, Theater oder Video. Darüberhinaus<br />

ist Crammed Tuxedomoons<br />

Stammlabel mit sämtlichen Re- und<br />

Re-Re-Releases der Band, alle Solo- und Seitprojekte sind<br />

ebenfalls vertreten, voilà ... Bühne frei für Tuxedomoons Frontmänner<br />

Steven Brown und Blaine Reininger, die mit dem belgischen<br />

Musiker und Sounddesigner Maxime Bodson die Musik<br />

für ein Stück mit sieben Tänzern und drei Musikern schrieben.<br />

Choreografiert von Thierry Smits, ist "Clear Tears / Troubled<br />

Waters" eine durchwachsene Mischung aus Elektronik und<br />

Musik der klassischen Moderne, deren Genuss live und mit<br />

den dazugehörigen Bewegungen eher zu empfehlen wäre. <strong>De</strong>r<br />

visuelle Aspekt der Zusammenarbeit, die Interaktion fehlt.<br />

Schade eigentlich, der 1982 für Maurice Béjart geschriebene<br />

und separat veröffentlichte Tuxedomoon-Soundtrack für dessen<br />

Ballet "Divine" hatte eine klare musikalische Eigenständigkeit,<br />

dem dieses Werk völlig abgeht, leider.<br />

www.crammed.be<br />

raabenstein<br />

Arturas Bumšteinas - Meubles<br />

[Crónica - A-Musik]<br />

Bei einem Titel wie "Meubles" fällt es schwer, nicht an Erik<br />

Satie und seine "musique<br />

d'ameublement" zu denken, also Gebrauchsmusik<br />

für den Hintergrund,<br />

Proto-Ambient im Sinne Brian Enos.<br />

<strong>De</strong>r litauische Komponist Arturas<br />

Bumšteinas nennt Satie zwar nicht als<br />

direkte Referenz, doch die programmatische<br />

Möbelmusik, die man auf "Meubles"<br />

hören kann, knüpft in ihrer Statik recht frei an ihr historisches<br />

Vorbild an. Bei Bumšteinas werden die Töne wie<br />

Bauteile oder Muster eingesetzt, sie verteilen sich als punktartige<br />

Strukturen in der Luft. Das nach einem Gedicht des antiken<br />

Dichters Hesiod benannte, von Bumšteinas gegründet<br />

Works and Days Ensemble spielt die einzelnen Elemente so<br />

stoisch, als kämen sie gleich aus einem Computer. Manche<br />

Parts haben durchaus schroffen Charakter – hier sollte man<br />

sich besser nicht hinsetzen –, alles in allem verbreiten die Instrumente<br />

aber eine nur mählich fremdartige "wohnliche" Atmosphäre:<br />

Mit diesen Tönen kann man es eine Weile aushalten.<br />

www.cronicaelectronica.org<br />

tcb<br />

Piano Interrupted - The Unified Field<br />

[<strong>De</strong>novali - Cargo]<br />

Zweiter Release des Londoner Pianisten und Komponisten<br />

Tom Hodge sowie des französischen<br />

Electronic Producers Franz Kirmann.<br />

Klassische Einflüsse gemischt mit Electronica<br />

und Pop; eine eifrig bewanderte<br />

Straße dieser Tage. Zusammen mit den<br />

Gastmusikern Greg Hall am Cello und<br />

Tim Fairhall, Kontrabass, schlendern die<br />

vier Musiker unbeschwert durch schöne<br />

und bekannte Landschaften, die Sonne wärmt das letzte<br />

fallende Blatt. Die ab und an eingeworfenen, muffigen 4/4-Attacken<br />

werden auch sogleich wieder verworfen, man lagert<br />

vespernd am Wegesrand und verträumt die Wolken zu sehnsüchtigen<br />

Bildern. Steve-Reich-Minimalismus blinzelt freundlich<br />

unter den Semmeln hervor und - nein!!! - da kommt sie<br />

wieder, die technische, äh tecky Störung. Hach, könnte so ein<br />

gerader Beat nur romantisch sein, oder anders gesagt, hier<br />

fehlt so eine deepe, klärende Hand eines Andy Stott, dann hätte<br />

der Hund auch Eier, die er sich dann lecken könnte.<br />

www.denovali.com<br />

raabenstein<br />

Booka Shade - Eve<br />

[Embassy One - Warner]<br />

Die bisherigen Platten von Booka Shade "funktionierten in Diskotheken<br />

auf Ibiza genauso wie in englischen<br />

Konzerthallen", ist im Info zum<br />

neuen Album zu lesen. So soll es bleiben.<br />

Dieses Bügeleisen möchte ich mal<br />

sehen, das über die Tracks gefahren ist.<br />

Und wo bitte kann kann diese Bass<br />

drum-Politur kaufen? Großer Sound,<br />

leider nichts dahinter. In Manchester in<br />

einem Vintage-Studio sei das Album eingespielt. Mit sagenhaften<br />

Uralt-Geräten. Hört man alles nicht. Dafür einen Fritz<br />

Kalkbrenner auf "Crossing Borders", der wahnsinnig mumpfig<br />

klingt. <strong>De</strong>r arme Kerl. Seid ihr eigentlich Facebook-Freunde<br />

von Moby, ihr Bookas? <strong>De</strong>m entgleist der gute Geschmack<br />

auch immer wieder. Aber Moby haben wir lieb. Und somit auch<br />

sein Großraumdisco-Spülwasser. Gut zugehört haben Booka<br />

Shade aber allemal. Bei so hippen Themen wie Moderat zum<br />

Beispiel. Und jetzt sind wir auf dem richtigen Weg. Das sind<br />

gar keine Tracks hier, das sind Remixe von den vermuteten<br />

Gefühlen einer Generation, die es so gar nicht gibt. Ist nämlich<br />

nicht eure Generation. Aber keine Sorge. Das Goethe-Institut<br />

macht euch bestimmt ein paar Workshops in Thailand klar und<br />

Heineken zahlt dann gleich noch die Gage hinterher auf dem<br />

Rave. Viel Glück und viel Segen. Don't call us, we call you.<br />

thaddi<br />

Ricardo Tobar - Treillis<br />

[<strong>De</strong>sire]<br />

Eigentümlich verwaschen, aus der hintersten Ecke des Eises,<br />

kommt das Album von Ricardo Tobar<br />

hereingerauscht. Lofi, zerrig, verliebt in<br />

das Unterkühlte, wirkt hier jeder Sound,<br />

als wäre er aus dem Lot geraten, leicht<br />

daneben, leicht angematscht, aber dennoch<br />

genau darin das Glück findend.<br />

Eine höchst eigenwillige Soundästhetik,<br />

die manchmal klingt, als sei Kaffee über<br />

das Tape gelaufen. Bummige Platte voller Anwandlungen an<br />

die ersten analogen Zeiten, an die Keller, die die Welt bedeuteten,<br />

die Labore der Kabel und wild übernächtigten Dunkelheiten.<br />

Irgendwie hätte das auch eine Rush-Hour-EP sein können,<br />

oder ein Album, das man nach Jahrzehnten erst wieder aus<br />

der Versenkung geholt hat. <strong>De</strong>nnoch schafft es Tobar, in diesem<br />

Sound einen so frischen optimistisch klingelnden Sound<br />

zu erzeugen, dass man Stück für Stück mit ihm mitfeiert.<br />

bleed<br />

Claude VonStroke - Urban Animal<br />

[Dirty Bird/100]<br />

Ich muss zugeben, Claude VonStroke ist mir immer mehr zum<br />

Rätsel geworden. Mal perfekt und deep,<br />

mal dreist und überzogen, wie sein Label<br />

auch. Und das macht er hier auf dem<br />

Album dann gerne auch noch in einem<br />

Track. <strong>De</strong>r Opener und Titeltrack z.B.<br />

rockt besinnlich und melodisch los, bis<br />

er dann in DJ-Stakkatos kulminiert, die<br />

irgendwo in ihren Basswelten hängengeblieben<br />

scheinen. "Clapping Track" kennt man ja schon, das<br />

ist Blockparty und Orgelfeast in einem. Dreist und doch irgendwie<br />

richtig und funky. "Dood" ist auch irgendwo Schweinerock<br />

und Funk zugleich. Und genau so geht es immer weiter.<br />

Stücke zwischen einem überdrehten Funkverständnis, dem<br />

Willen gnadenlos durchzurocken, aber dabei doch irgendwie<br />

voller Ideen und lässiger Eleganz zu bleiben. Auf dem fast kindlichen<br />

"The Bridge" zeigt sich diese Verwirrung am deutlichsten.<br />

VonStroke will zurück zu den ersten Erfahrungen und die<br />

dürfen auch mal zu dreist sein. Ein skurriles Album für alle, die<br />

ihren Bass sehr poppig mögen, und dennoch auf blöde idiotische<br />

EDM-Phantasien ganz und gar verzichten können.<br />

bleed<br />

Omar Souleyman - Wenu Wenu<br />

[Domino - Good to Go]<br />

Omar Souleyman, der vermutlich bekannteste Hochzeitssänger<br />

der Welt, momentan aus politischen<br />

Gründen von Syrien in die Türkei gezogen,<br />

hat sein erstes Studioalbum aufgenommen.<br />

Wenn man bedenkt, dass im<br />

arabischen Raum rund 500 Bootlegs im<br />

Umlauf sind, ist das eigentlich nur eine<br />

Meldung von minderem Interesse. <strong>De</strong>m<br />

Westen ist Souleymans sehr energetischer<br />

Dabke aber auch längst bekannt. Neu ist, dass Souleyman<br />

nun auch auf Kurdisch und Türkisch singt, dass er Traditionals<br />

aus dem Irak mit seinem formal recht offenen<br />

Dabke-Sound adaptiert. Produziert hat Four Tet – und in der<br />

Folge klingt "Wenu Wenu", obschon das Album unter simulierten<br />

Live-Bedingungen aufgenommen wurde, etwas kompakter.<br />

Auf Souleymans Konzerten scheppern die Keyboards, Four<br />

Tets Produktion ist da natürlich auch eine Zähmung: Die Bassdrums<br />

sind runder, es gibt mehr analoge Klänge. Halbstündige<br />

Edits wie das legendäre "Leh Jani" findet man hier freilich auch<br />

nicht. "Wenu Wenu" ist Souleyman für den Hausgebrauch.<br />

www.dominorecordco.com<br />

blumberg<br />

My Panda Shall Fly - Tape Tekkno<br />

[Gang Of Ducks/GOD002]<br />

Und noch so ein phantastisches Oldschool-Album, in dem alles<br />

klingt, als sei es ausgegraben worden.<br />

Eine Zeitreise durch breite Synths,<br />

kleinkomprimierte Beats, durch Tapes<br />

zusammengeschredderte Atmosphäre<br />

einer undurchdringlichen Dichte, zauselige<br />

Spinnersounds der gelegentlich<br />

angestrengt wirkenden, aber immer<br />

genüsslich zelebrierten Art. Warum nur<br />

hat sich in diesen Jahren immer mehr ein Sound entwickelt,<br />

der sich durch und durch weigert, so klingen zu wollen, als<br />

wäre er von jetzt. Vielleicht, weil das Spiel mit der Zeit, mit den<br />

Parametern der Vergangenheit, die sich zitieren lassen, wie<br />

Passagen aus einer Sprache, die in elektronische Konstellationen<br />

gegossen ist, und als Labor immer wieder bereit ist, wiederaufzuerstehen,<br />

genau das ist, was die Zeit am Ende dann<br />

doch bestimmen könnte, weil sie sie durchkreuzt. Die Stücke<br />

von My Panda Shall Fly jedenfalls sind vom ersten Moment an<br />

Killertracks und so voller deep verschrobenem Gefühl, dass<br />

man sich in dieser Zeit längst aufgelöst hat, noch bevor einem<br />

der Faktor des Widerborstigen irgendwie auf den Nerv gehen<br />

könnte.<br />

bleed<br />

Felix Kubin - Zemsta Plutona<br />

[Gagarin - Indigo]<br />

"Spät-Europa", so der Titel eines 1982er Albums von Asmus<br />

Tietchens, einem der musikalischen Väter, später Kollaborateure<br />

Kubins (herauszuhören in "Nachts im Park" oder<br />

"Restez en ligne"), ist im Grunde der Ort, den seine Musik<br />

beschreibt, und wenn man ihr glaubt, dann leben wir dort<br />

alle. <strong>De</strong>r Retro-Charme seiner stilistische Sprache, von "Filmmusik"<br />

an, seinem <strong>De</strong>butalbum auf Gagarin vor 15 Jahren, ist<br />

abgestreift: Heute beschreibt sie das Jetzt, mehr denn je, eine<br />

technologisch fortgeschrittene Welt, die kraftwerksche Utopien<br />

längst hinter sich gelassen hat und die geistig immer noch<br />

im TV-Krimi und Robo-Sex der Sechziger verharrt. Das kühle,<br />

perfektionierte Pop-Format von "Zemsta Plutona" braucht et-<br />

was Gewöhnung, denn ihm scheint das anarchische Flanieren,<br />

der poetische Hörspiel-Flow zum Opfer zu fallen, der seine<br />

Werke immer zu Abenteuern gemacht hat. Die Stücke selbst,<br />

mit Gastmusikern (Drums, Bläser und nicht zuletzt Vocals)<br />

und allen liebgewonnenen Sounds und zickzackigem Funk auf<br />

Sonntagsstaat gebracht, können nichts dafür: die sind das,<br />

was man sich immer von einer Felix-Kubin-Party-Compilation<br />

gewünscht hat, bis hin zum klaustrophobischen "<strong>De</strong>r Kaiser<br />

ist gestorben". Und dann wird es doch noch locker: Samplecollagen,<br />

ein Rhythm Modulator als ominöser Mad-Science-<br />

Cartoon, schließlich ein Jam mit dem Grünen Winkelkanu.<br />

Spät-Australien: Wir kommen.<br />

www.gagarinrecords.com<br />

multipara<br />

Stefan Litwin / Frederic Rzewski - El Once<br />

[Gligg - Amazon]<br />

Das eigenwillige Saarländer Label, sonst zwischen Jazz und<br />

Kunst operierend, macht seinem dem<br />

Bergbau entlehnten Namen hier eine<br />

besondere Ehre. "El Once" gräbt unter<br />

den Trümmern von 2001 den elften<br />

September 1973 aus, den Tag des Putsches<br />

gegen den demokratischen Sozialismus<br />

in Chile. Pianist Stefan Litwin<br />

spielte zum Jahrestag einen Klassiker<br />

ein, Frederic Rzewskis 36 Variationen über die Quasi-Hymne<br />

der Republik, "The People United Will Never Be <strong>De</strong>feated".<br />

Rzewskis Stück – er selbst ebenso Pianist, vor allem bekannt<br />

als Interpret neuer, postserieller Musik – war 1975 seiner Zeit<br />

weit voraus, vielleicht mehr als mit "Attica", das Minimal-Music-Kennern<br />

ein Begriff sein wird. Vor Ideen sprühend, rasant<br />

und mit Humor, virtuos ohne elitär zu sein, setzt es in seiner<br />

Stilgrenzen ausradierenden Art Schubert und Ligeti, Serialismus<br />

und Improvisation nebeneinander. Wie Rzewski ist aber<br />

auch Stefan Litwin politisch engagierter Komponist und liefert<br />

zwei eigene Stücke für kleine Piano-Ensembles ab, die sich<br />

unmittelbar mit "dem Elften" befassen: Eine sehr farbenreiche<br />

und poetische Vertonung eines Gedichts von Gonzalo Millán,<br />

sowie eine von Präsident Allendes letzten Ansprachen, die in<br />

einer etwas zeremoniellen Schwere, aber schlüssig auf eine<br />

besondere Kräftespannung abhebt zwischen Gewalt und<br />

Ruhe. Zwischen den beiden CDs liegen dann aber auch noch<br />

170 Seiten Lesestoff, herausgegeben von Heike Hoffmann und<br />

Martin Schmidt, auf denen, ja, Dutzende Autoren das Thema<br />

auf verschiedenerlei Art beleuchten: Rückblenden, Analysen,<br />

Persönliches, immer wieder auch die Reaktion auf politische<br />

Verhältnisse mittels Kultur-/Musikproduktion umkreisend und<br />

reflektierend, und in Kürze und Prägnanz vom ersten Text an<br />

fesselnd.<br />

www.gligg-records.com<br />

multipara<br />

Ron Morelli - Spit<br />

[Hospital Productions]<br />

Ein Album, das von Stress handelt. So will L.I.E.S.-Gründer<br />

Ron Morelli sein <strong>De</strong>büt auf Hospital Productions<br />

verstanden wissen – es ist übrigens<br />

das erste von gleich drei lose zusammenhängenden<br />

Alben. Und<br />

vielleicht ist der Begriff des Albums hier<br />

auch gar nicht angebracht, denn hinter<br />

dem punkigen Titel verbirgt sich gewissermassen<br />

auch Punk: Acht mit offensichtlich<br />

heißer Nadel gestrickte Tracks, ohne übergeordnete<br />

Dramaturgie oder ähnlichen Album-Firlefanz. Allesamt Rohbauten,<br />

denen man mitunter einen gewissen Live-Charakter<br />

anhören kann. Bloß keinen ausgefeilten Industrial-Techno abliefern:<br />

Morelli setzt auf spröde Sounds und manchmal stört<br />

die Bassdrum da nur. Ein bisschen dreckig soll es sein, ein<br />

bisschen fies, die Samples wirken oftmals wie eine Verbeugung<br />

vor Throbbing Gristle. Ein echter Stresstest ist "Spit"<br />

nicht, dafür ist es zu kompakt. Aber wenn die Analogie erlaubt<br />

ist, ist das hier sehr gelungenes Genrekino.<br />

hospitalproductions.net<br />

blumberg<br />

Clara Moto - Blue Distance<br />

[Infiné - Rough Trade]<br />

Clara Moto versinkt auf dem zweiten Album weitestgehend in<br />

diesen pathetisch breiten Stimmungen<br />

aus tiefen Bässen, knuffigen Melodien,<br />

ruhig bestimmten Stimmen bis zum<br />

Säuseln und immer weiter aufgefächerten<br />

Harmonien. Etwas sprunghaft bewegt<br />

sich das Album dabei vom fast<br />

esoterischen Moment mit rollenden Pianos<br />

und Schleiern aus Stimmen, die<br />

nicht selten an die großen Damen der Gruftimusik erinnern,<br />

über orchestrales Pathos der glücklichsten Art, bis man sich<br />

plötzlich fast grundlos im Club wiederfindet, schließlich im<br />

säuselnden Popsong für frisch Verliebte. Eine Platte, die sich<br />

nicht auf einen Sound einigen will, aber dabei merkwürdigerweise<br />

auch nicht verliert, denn Clara Moto macht einfach jeden<br />

Track zu einem Hit eigener Art und verliert nie das perfekte<br />

Gespür, aus jedem Stück eine eigene Stimme zu machen.<br />

www.infine-music.com<br />

bleed<br />

Hans Castrup - Shadowplay<br />

[Karlrecords - Broken Silence]<br />

"...eine vibrierende Kombination aus Kalkül und Zufall", so benennt<br />

die Presse die Leinwandarbeiten<br />

Hans Castrups, Grenzgänger zwischen<br />

Malerei, Fotografie, Videokunst und<br />

Musik. <strong>De</strong>r Künstler vermengt Techniken<br />

unterschiedlicher Medien miteinander<br />

und kreiert damit spannungsgeladene<br />

Collagen, so auch auf<br />

"Shadowplay", eine experimentelle Melange<br />

aus Field Recordings, elektronischen Tongebern und Ef-<br />

69<br />

RECORD STORE • MAIL ORDER • DISTRIBUTION<br />

Paul-Lincke-Ufer 44a • 10999 Berlin<br />

fon +49 -30 -611 301 11<br />

Mo-Sa 12.00-20.00<br />

hardwax.com/downloads


<strong>177</strong> — reviews<br />

Clara Moto<br />

Wie weit ist es noch?<br />

T Julia Kausch<br />

Herbstlich ist es und irgendwie ausgestorben, als wir uns an diesem graubedeckten Nachmittag<br />

in Kreuzberg treffen. Ganz passend zu Clara Motos neuer Platte "Blue Distance", die<br />

von zarter Tristesse lebt und dabei so vielschichtig ist, wie man es sich bei manch einer anderen<br />

nur wünschen kann. Sie dabei auf einem Genre festzunageln, erweist sich schwieriger<br />

als gedacht: Ihre Musik schwebt irgendwo zwischen Ambient, Techno und House. Sie stimmt<br />

melancholisch schon mal die kommenden Wintertage an, ohne sich dabei in der Darkness zu<br />

verheddern. "Es wäre ohne die Aufhellung ein ziemlich düsteres Album geworden. Was auch<br />

okay ist, aber ich dachte mir, ich will es nicht zu schwer machen."<br />

Vor vier Jahren ist Clara Prettenhofer, so heißt sie bürgerlich, von Graz nach Berlin gezogen. Ihr erstes<br />

Album hatte sie schon während des Studiums in Österreich produziert, erzählt sie, als wir durch<br />

die bereits blätterbedeckten Straßen laufen. "Für mich war klar, dass ich nicht in Graz bleibe, es ist<br />

einfach eine Kleinstadt. Irgendwie ist es schon nett und lebenswert, aber ich wollte einfach mal raus."<br />

Sie lebte ein Jahr in Barcelona, bewarb sich dann bei der Red Bull Music Academy in Australien, wo<br />

sie zum französischen Label InFiné fand. Die internationale Verkettung macht das Leben in Distanzlosigkeit<br />

unmöglich. Auf dem Weg zum Dance-Album hat Clara nun das Tempo heruntergedreht. "Blue<br />

Distance" - der Titel ist eine Anspielung auf ein Gedicht von Sylvia Platz - ist leichte Melancholie. Es<br />

beschreibt auch Distanzen, die sie selbst überwinden musste, sagt Clara. Inzwischen sitzen wir in einem<br />

kleinen Café im Herzen von Kreuzberg. Gleich nebenan hatte sie früher einmal gewohnt. "Kurz<br />

nach dem Release meines ersten Albums war ich zeitweise gar nicht in Berlin, sondern nur in Frankreich.<br />

Ich war dann mal hier, mal dort. Das war schon ein bisschen schwierig, aber eben auch ganz<br />

spannend. Daraus ergab sich automatisch eine räumliche Distanz zu Familie und Freunden."<br />

Sie macht Musik, in der der Hörer eine essentielle Rolle spielt und stellt sich damit die alte Frage:<br />

Gibt es Sound ohne Hörer? "Das interessante bei einer Platte ist, dass es eben eine zeitliche und räumliche<br />

Distanz gibt und sie nicht so unmittelbar ist, wie beispielsweise ein Live-Auftritt." Entstanden ist<br />

ein sehr persönliches Album, das eine Geschichte aus ihrem Leben erzählt. Das Produzieren ist ihr jedoch<br />

schwer gefallen, jetzt, wo sie von ihrer Musik leben will. Im Kreuzberger Kämmerlein tüftelte sie<br />

rund zwei Jahre an der neuen Platte, die, wie sie selbst findet, eher zu Hause funktioniert. Das Leitmotiv<br />

findet sich auch in der Musik wieder; Hall und Echos verklanglichen die Distanz im Raum.<br />

Persönlich ist es aber nicht nur durch die in der Musik immanente Tiefgründigkeit, erstmals hat<br />

sie auch selbst gesungen: "Ich habe meine Stimme als Instrument benutzt und einfach Sachen dazu<br />

gesungen und dann repetiert oder nur als Fläche eingesetzt", erklärt sie als sie an ihrem Tee nippt. In<br />

ihrer Musik schafft sie Atmosphären und geht gleichzeitig darüber hinaus. Clara Moto weist ein tiefgründiges<br />

Verständnis für Beats auf, die hier und da auch gerne einmal brechen. Auch mit dabei ist<br />

Vocalist Mimu, die auf dem Track "Lyra" leise im Hintergrund trällert. "Trotzdem bildet meine Stimme<br />

den roten Faden. Das war eine neue Herausforderung. Auch meine Stimme selbst zu hören war am<br />

Anfang schwierig. Es war faszinierend, sich dieser Angst zu stellen", sagt Clara. Trotzdem entstanden<br />

letztlich zu viele Titel, die sie in der gerade erschienenen EP "Joy <strong>De</strong>parted" als Teaser angelegt hat.<br />

Eine Trennung, die nicht in Distanzierung mündet: "Es ist alles aus der selben Zeit. Die EP gehört irgendwie<br />

schon zum Album dazu, obwohl die Tracks nicht direkt auf dem Album erschienen sind. Die<br />

Musik beschreibt eben eine Phase in meinem Leben, die 'Blue Distance'."<br />

Clara Moto, Blue Distance, ist auf Infiné/Rough Trade erschienen.<br />

Alben<br />

fektgeräten. Castrups Lieblingstool ist die Schleifmaschine<br />

und so editiert er auch seine musikalischen Fundstücke, das<br />

Arbeitsprinzip ist der Taktgeber, nicht die Attitüde. Auf Youtube<br />

darf man sich zu allen zwölf Stücken noch die entsprechenden<br />

Videos betrachten und eigenartigerweise gelingt es Castrup,<br />

hier nicht zu vibrieren, der kalkulierte Zufall formuliert sich besser<br />

in der Abwesenheit einer parallelen Bildwelt.<br />

www.karlrecords.net<br />

raabenstein<br />

Justus Köhncke - Justus Köhncke & The Wonderful<br />

Frequency Band<br />

[Kompakt - Kompakt]<br />

Gleich und ganz glasklar: Justus Köhncke hat für mich hier<br />

sein Opus Magnum vorgelegt. Was ist<br />

nicht alles seit den wunderbaren "Spiralen<br />

der Erinnerung" geschehen? Musik<br />

als Träger von Ideen. Doch irgendwie<br />

findet Köhncke bei allen tollen anderen<br />

Releases hier erst so richtig seinen funky,<br />

shaky Disco-Weg, schmeißt Kitsch,<br />

Referenz und eben die verdammte Erinnerung<br />

(nicht komplett) über Bord und legt los. "A New Direction"<br />

ist eigentlich nicht vollkommen korrekt: Köhncke hat viele<br />

kongeniale Freunde an Bord geholt (u.a. Andi Toma, Eric D.<br />

Clark) und bleibt sich schon treu: Tanz, Tanz und Tanz. "Wonderful<br />

Frequency Band" als Track sagt und singt es alles, und<br />

zwar the easy listening way. Kurz vor "Sunshine Reggae", aber<br />

eben nur kurz. Köhncke hat für mich sein oder besser mein<br />

Endlos-Repeat-Album aufgenommen. Disco 2013 kann so<br />

schön sein.<br />

www.kompakt.fm<br />

cj<br />

Jonsson/Alter - 2<br />

[Kontra-Musik Records/KM032 - Clone]<br />

Die beiden haben ihr zweites Album fertig und es klingt noch<br />

einen Hauch deeper und lässiger als<br />

beim ersten Mal. Jeder Track ein Killer<br />

auf dem <strong>De</strong>ephousefloor, immer wieder<br />

voller dichter Melodien und slammender<br />

Grundideen, die dennoch in dem<br />

breiten harmonischen Gewebe der<br />

Songs aufgefangen werden, und am<br />

Ende klingt das Album einfach wie eine<br />

perfekte Clubnacht in der jedes Stück genau das war, das man<br />

immer genau in diesem Moment gebraucht hat. Sehr deep<br />

und verführerisch.<br />

www.kontra-musik.com<br />

bleed<br />

Olaf Stuut - Equilibre<br />

[Manual Music]<br />

Olaf Stuut versteht sich perfekt darauf, zerrissene Melodien<br />

mit kantigen Grooves zu etwas harmonisch<br />

Überdrehtem zu machen, das einen<br />

immer am Rand von Trance ganz<br />

selig mitswingen lässt. Zerhackte Vocals,<br />

Chords, immer mit einem gewissen<br />

Indiegefühl unterlegt, lassen seine<br />

Tracks oft so klingen wie eine dieser<br />

Bands, die man sich auf einem Festival<br />

als Höhepunkt wünscht, weil sie einfach nur euphorisierende<br />

Hits kennt, die aber dennoch alles andere als banal sind. Gelegentlich<br />

mag der Sound von Stuut fast überladen wirken, obwohl<br />

die Melodien so direkt sind, aber am Ende erwischen sie<br />

einen doch mit ihrer naiv glücklich trällernden Stimmung.<br />

bleed<br />

Lee Ranaldo and The Dust - Last Night On Earth<br />

[Matador - Indigo]<br />

Neben seiner leider mittlerweile Ex-Band Sonic Youth und einer<br />

Menge eher klangkünstlerischer<br />

Experimente hat Lee Ranaldo letztes<br />

Jahr mit "Between The Times And The<br />

Tides" ein unglaublich feines Pop-Album<br />

veröffentlicht, was alle spannenden<br />

Seiten der Sonic Youth durch Ranaldos<br />

Brille nochmal poppig<br />

aufgearbeitet hat und schon auch eine<br />

Art Trauergesang auf die legendäre und wichtige Band war.<br />

Ranaldo hat sich Steve Shelley, ebenfalls Ex-SY, dazu geholt,<br />

der schon auf dem Vorgänger den Eindruck verstärkt hat. Die<br />

neuen Songs sind nunmehr epischer, gerne auch mal sieben,<br />

neun oder elf Minuten lang und irgendwie noch persönlicher<br />

und entspannter. Ranaldo wirkt so langsam wie eine ruppigere,<br />

einfach besseere Ausgabe von Michael Stipe, der seinerzeit ja<br />

auch samt R.E.M. als SY-Fan angefangen hatte.<br />

www.matadorrecords.com<br />

cj<br />

Kadebostany - Pop Collection<br />

[Mental Groove - Groove Attack]<br />

Ich mag außergewöhnliche Kombinationen und so rennen Kadebostany<br />

offene Türen ein, wenn sie<br />

souligen Gesang, Housebeats, Blasmusik<br />

und Rap vermengen und dennoch<br />

den Blick auf ein stringentes Songwriting<br />

nicht vergessen. Sängerin Amina<br />

hat eine Stimmlage wie die Berlinerin<br />

Bajka, kann aber auch rappen. Schön<br />

finde ich den Titel, denn Popmusik im<br />

eigentlichen Sinn findet sich hier nicht. Aber es spricht für ein<br />

gesundes Selbstbewußtsein, dieses Nebeneinander der verschiedenen<br />

Stile und Einflüsse dem Pop zuzuordnen. Kadebostan<br />

als Kopf der Gruppe schreibt mitreißende Arrangements,<br />

die schwer zu vergleichen sind. Gerade deshalb ist<br />

dieses Album in seiner Vielfalt so charmant. Über dreizehn<br />

Stücke wird klar aufgezeigt, wie man neue Wege beschreiten<br />

kann und dennoch für den Pophörer zugänglich bleibt.<br />

www.mentalgroove.ch<br />

tobi<br />

Mi - One On The Way<br />

[Mesa Recordings]<br />

Endlich mal wieder ein Album, das es ernst meint mit den digitalen<br />

Restgeräuschen, dem geflunkert<br />

gebrochenen Sound unwahrscheinlich<br />

direkter Samples und dem Funk der<br />

zauselig direkten analogen Klänge in<br />

zerrupften Konstellationen. Mi kann<br />

das. Jedes Stück klingt wie ein Kleinod<br />

des Sample-Kubismus, überdreht<br />

glücklich glucksend und dabei doch nie<br />

komplex zerschrotet, sondern immer ganz nah und fast poppig<br />

durch die vielen Gitarren, Streicher und Pianos. Hitzig, funky,<br />

manchmal fast bluesig, aber am Ende doch irgendwie mit einem<br />

technoiden Backdrop. Aus Santa Fe kommt Ben Wright.<br />

Manchmal hört man das deutlich.<br />

bleed<br />

Super-Flu - Halle Saale<br />

[Monaberry - Intergroove]<br />

<strong>De</strong>r Ruf Halles als Stadt rangiert meist in den Regionen, in denen<br />

sich auch Hoyerswerda oder Bitterfeld<br />

befinden. Dabei hat Halle nicht nur<br />

das größte Ensemble an zusammenhängenden<br />

Gründerzeithäusern, sondern<br />

wirkt an manchen Ecken wie die<br />

amerikanische Insolvenz-Konklave am<br />

Michigan Sea. Etwa die Schnellstraße<br />

nach Halle-Neustadt, die zwischen die<br />

Altbauten gequetscht wurde und das perfekte Bild einer nachhaltig<br />

zerpflückten Stadt abgibt. Super-Flu schätzen ihre Heimatstadt<br />

ebenso und widmen ihr ein ganzes House-Album,<br />

das aber eher einem Zirkus gleicht. Open-Air-House mit Einschüben<br />

akustischer Instrumente pittiplatschert es sanft dahin,<br />

lässt hier und da ein wenig Akrobatenromantik aufblitzen<br />

und ist so nachhaltig wie eine der unzähligen Partys, die man<br />

nach kurzer Zeit vergisst. Mit ein wenig mehr Haltung hätte<br />

das sicherlich einen größeren Nachhaltigkeitswert. Schließlich<br />

stimmen die Grundkonstanten und gut produziert ist es auch.<br />

Also weiterhin alles im Fluss an der Saale.<br />

www.monaberry.de<br />

bth<br />

Looper - Matter<br />

[Monotype]<br />

Das norwegisch-schwedisch-griechische Trio Looper spielt<br />

Improv, der oft an Ambient in der Tradition<br />

Thomas Köners denken lässt – dargeboten<br />

in der Besetzung Schlagzeug,<br />

Saxofon und Cello. Auf ihrem dritten Album<br />

"Matter" jedenfalls liegt der Fokus<br />

auf unterbödigen Basswellen, über denen<br />

kaum definierte, fast gehauchte<br />

Geräusch-Schichten aufgebracht werden<br />

– Töne im landläufigen Sinne sind eindeutig in der Minderheit.<br />

<strong>De</strong>r Vergleich mit Köner ist keinesfalls an den Haaren<br />

herbeigezogen, da Percussionist und Komponist Ingar Zach<br />

unter anderem mit Gongs arbeitet, denen er sehr ähnliche Frequenzen<br />

entlockt wie der Dark-Ambient-Pionier. Im letzten<br />

Stück "Our Meal" steigern sich die drei Musiker dann zu einer<br />

Drone-Orgie, die noch einmal in ganz andere Richtungen<br />

weist.<br />

www.monotyperecords.com<br />

tcb<br />

Strike - Wood, Wire & Sparks<br />

[Monotype]<br />

Drei Australier an den Saiten mit starkem Berlinbezug: Die<br />

Bassisten Clayton Thomas und Mike<br />

Majkowski zogen vor einigen Jahren<br />

von Sydney nach Berlin, wo sie aus der<br />

Echtzeitmusikszene längst nicht mehr<br />

wegzudenken sind, während der Geiger<br />

Jon Rose ebenfalls lange Zeit in Berlin<br />

lebte, bevor der gebürtige Brite Australien<br />

zu seiner neuen Wahlheimat erklärte.<br />

Unter dem Namen Strike missbrauchen sie ihre Instrumente<br />

sehr eindrucksvoll als Schlagwerk: "Wood, Wire & Sparks",<br />

der Titel ihres in Teilen live entstandenen Albums, fasst den<br />

Ansatz der Improv-Virtuosen konzise zusammen. Das Trio<br />

schraubt mit scheinbar unerschöpflichen Energiereserven die<br />

Spannung in die Höhe und lässt nur selten Luft zum Atmen –<br />

ohne zu ermüden. Stets meint man, vor der nächsten Attacke<br />

eines Bogens auf der Hut sein zu müssen, aber am Ende ist es<br />

dann doch "nur" von kluger Dramaturgie vorangetriebene Musik,<br />

die einen gebannt hält.<br />

www.monotyperecords.com<br />

tcb<br />

CMKK - Gau<br />

[Monotype]<br />

Eine der schönsten Winterplatten der letzten Jahre war das<br />

2010er <strong>De</strong>but von Piiptsjilling, das fröstelnde<br />

friesische Lyrik mit sanften Drones<br />

und Geräuschspuren zum Knistern<br />

brachte. "Gau", aufgenommen im gleichen<br />

Studio am gleichnamigen Ort im<br />

Südwesten Frieslands, ist eine Gelegenheitsarbeit:<br />

Zum Abschluss einer<br />

gemeinsamen Tour mit Will Long, a.k.a.<br />

Celer, trafen sich die drei männlichen Viertel der Band (die<br />

Kleefstra-Brüder an Vocals und Gitarre, sowie Machinefabriek)<br />

70


<strong>177</strong><br />

ALBEN<br />

mit ihm zu einer improvisierten Session, aus der diese Dreiviertelstunde<br />

destilliert wurde. So erklärt sich der Name des<br />

Projekts, der zuerst wie eine extra finstere Variante des Vierfarbdrucks<br />

daherkommt, womit man auch nicht ganz falsch<br />

liegt, denn in Jan Kleefstras Texten treffen erneut scharfe Naturbilder<br />

auf stumme, zartbittere Melancholie, geben den locker<br />

und breit arrangierten Drones aus Gitarren, Tapes, Samples<br />

und Effekten Struktur. So locker, dass sich darin auch mal<br />

eine Einführung in heiße Quellen auf japanisch verirrt. Schön<br />

– aber ob es am mäßigen Fokus liegt oder daran, dass ihre<br />

Charaktere einander etwas im Weg stehen: ihren langen Diskografien<br />

fügen Machinefabriek und Celer hier nicht den großen<br />

Wurf hinzu, den das Projekt verspricht.<br />

www.monotyperecords.com<br />

multipara<br />

Simon Fisher Turner - The Epic Of Everest<br />

[Mute - Good To Go]<br />

<strong>De</strong>r Mythos darum, ob der englische Bergsteiger George Mallory<br />

1924 der erste Bezwinger des<br />

Mount Everest war, will nicht enden.<br />

Zumindest lässt sich nicht eindeutig<br />

nachweisen, ob er mit seinem Partner<br />

Andrew Irvine am 8. Juni den Gipfel erreichte,<br />

wiewohl seine 75 Jahre nach<br />

dem vermutlichen Absturz gefundene<br />

Leiche Indizien aufwies, dass er es geschaft<br />

haben könnte. Das Archiv des BFI veröffentlicht nun die<br />

restaurierte Neufassung des Originalfilms zur gescheiterten<br />

Expedition. Simon Fisher Turner, Musiker, Komponist, Schauspieler<br />

und Scoreschreiber von <strong>De</strong>rek Jarman, wagt sich vorsichtig,<br />

präzise und begeisternd an die musikalische Interpretation<br />

einer 90 Jahre alten Katastrophe. <strong>De</strong>r Artist vertonte<br />

schon einmal eine BFI-Restaurierung, "The Great White Silence",<br />

ebenfalls eine tödlich endende Expedition, bei der der<br />

englische Forscher Robert Scott als Zweiter nach Amundsen<br />

den Südpol 1912 erreichte um dann auf dem Rückweg zu verenden.<br />

Im Gegensatz dazu zieht es Fisher Turner bei "The Epic<br />

Of The Everest" vor, nicht nur mit authentischen Materialien zu<br />

arbeiten. Auf allen möglichen Wegen, auch aus dem Internet,<br />

sammelte er Sounds zusammen, um mit einer Handvoll wohlbekannter<br />

Freunde (Cosey Fanni Tutti, Andrew Blick und Peter<br />

Gregson) das Scheitern am Berg nachzustellen. Das Ergebnis<br />

lässt einen die Heizung höher stellen, zwischendurch, der Einsamkeit<br />

entrinnend ein paar gute Freunde anrufen, um dann<br />

nach 16 Tracks wieder auf Anfang zu gehen ... wohlig.<br />

www.mute.com<br />

raabenstein<br />

L.B. Dub Corp - Unknown Origin<br />

[Ostgut Ton - Kompakt]<br />

Luke Slater mal nicht als Planetary Assault Systems, seinem<br />

Alter Ego, das er in letzter Zeit fast bis<br />

zur Langeweile durchgezogen hat. Mit<br />

seinem neuen Projekt L.B. Dub Corp<br />

bringt er frischen Wind in die Spree-<br />

Kathedrale. Statt Industriehall-Stakkato<br />

nun afrikanisches Flair und mehr warme<br />

Bässe und Flächen. "I have a Dream",<br />

von Benjamin Zephaniah in Anlehnung<br />

an Martin Luther Kings Rede vor 50 Jahren getextet, bringt es<br />

auf den Punkt: den alten Traum einer music nation, unterlegt<br />

mit optimistischen Flächen. Mit housigem Piano schreitet<br />

"Generation to Generation" voran, "Nearly Africa" nimmt afrikanische<br />

Gesangsamples in jackende Basslines mit, "Ever and<br />

forever" sorgt für den Thrill-Moment und "L.B´s Dub" weckt<br />

Erinnerung an ein metallisches Pendant zu Bandulu/Space<br />

DJz. "Turners House" und " No Trouble in Paradise" sind perfekte<br />

Clubtracks, und mit "Roller feat. Function" werden die<br />

PAS-Freunde versöhnt. Oder ist das ein Ausblick auf Neues?<br />

Jedenfall hat Luke Slater selten so zuversichtlich geklungen.<br />

Abwechslungsreich mit Gespür für Techno, aber auch dem<br />

Mehr als nur 4/4.<br />

www.ostgut.de/ton<br />

bth<br />

Emptyset - Recur<br />

[Raster-Noton - Kompakt]<br />

Emptyset: Nach Kleinfrickelei hört sich dieser Name nicht an,<br />

eher nach Nagel mit Kopf. Oder auch:<br />

im Kopf. James Ginzburgs Duoprojekt<br />

mit Paul Purgas macht nach seiner<br />

letztjährigen EP für Raster-Noton mit<br />

diesem Album eine Punktlandung.<br />

Nicht nur, weil sie mit ihrem Pan-Sonichaften<br />

Maschinenkörper, mit ihrer Alva-<br />

Noto-esken rhythmischen Dynamik besonders<br />

in den rahmenden Tracks ("Fragment", "Recur",<br />

"Limit") hier nach Hause kommen. Sondern weil sie es hier<br />

schaffen, eine eigentlich geläufige Studiotechnik in etwas Absolutes<br />

zu verdichten: der Tonraum als Druckkammer, in dem<br />

brummende, flatternde, pressende, prügelnde Frequenzbänder<br />

zwischen Feedback und Kompression in musikalische Oszillation<br />

versetzt werden, wo die Zeitachse nurmehr Projektionsfläche<br />

von Kräfteverhältnissen wird, deren Abbild sie nicht<br />

nur optimal skalieren aufs menschliche Vermögen, sondern<br />

umwerfend lecker servieren. Herausragendes Beispiel dafür,<br />

dass aus einer guten, klaren Idee immer noch am meisten<br />

Energie zu holen ist. Rhythmic Noise erster Güte.<br />

www.raster-noton.net<br />

multipara<br />

Miracle - Mercury<br />

[Planet Mu - Cargo]<br />

Wie von Planet Mu bestellt, natürlich, kommt dieses Synth-<br />

Pop-Album reinsten Wassers. Dabei<br />

haben die beiden seit Ewigkeiten an<br />

diesem <strong>De</strong>but gebastelt. Dan O'Sullivan,<br />

in mindestens einem Dutzend Art-<br />

Rock-Bands unterwegs, traf 2006 auf<br />

Zombi-Hälfte Steve Moore, als jene mit<br />

seiner Band Guapo tourten. Als Keyboarder<br />

entwickelten sie Miracle, der<br />

Soundtrack zu Joel Schumachers "The Lost Boys" soll den<br />

Anstoß gegeben haben, schon seit 2010. Getragen von weich<br />

pulsierenden Strobo-Arpeggien (Italien grüßt) gleiten jetzt<br />

O'Sullivans Vocals durch hymnische Balladen, der junge Dave<br />

Gahan guckt über die Schulterpolster. Überhaupt: Ultravox,<br />

ABC, im Titelstück dann 808-State, in "Wild Nights" wird es<br />

nochmal krautig… man kennt das ja alles, und wundert sich<br />

nur, wie schön und natürlich sie das für sich bündeln. Kein Ausstellen<br />

von Studiovirtuosen- oder Kennertum, es geht immer<br />

ums Gefühl, und ihre Treffsicherheit dabei macht sie von Stück<br />

zu Stück sympathischer. Eine Unscheinbarkeit, die rein wirkt,<br />

kein Versuch, irgendwas besonders clever zu machen, schon<br />

gar nicht die Beats. Die erhabenen, universalen Dimensionen<br />

gehen im abschließenden, strömenden Mantra von "Organon"<br />

dann mit ihnen durch: sei's drum. Bis dahin gibt es genau die<br />

Melodien, zu denen man sich damals verliebt hat, und man<br />

erinnert sich, warum.<br />

www.planet.mu<br />

multipara<br />

Sebastien Tellier - Confection<br />

[Record Makers - Alive]<br />

In Zeiten der Ganzkörperschur scheint so ein dicht durchsaftetes<br />

Brusthaartoupet eine klärende Alternative<br />

zur bleich gewachsten Einerleihaut<br />

der Massen zu sein, oder um es<br />

mit John Clute zu sagen, die Aliens<br />

wenden sich pikiert ab, weil des Menschen<br />

wahrer USP sein Geruch ist... er<br />

stinkt. Wer dem ungekrönten Superstar<br />

der französisch-dunklen Siebziger Michel<br />

Piccoli einmal ein Autogramm abluchsen wollte, weiß,<br />

wovon ich rede: dieses konzentrierte anti-bourgeoise Odeur,<br />

destilliert aus einem Lastwagen voll ungewaschener Fernfahrer...<br />

Zigarettenasche und Schuppen der letzten durchsoffenen<br />

Wochen auf dem Nadelstreifenrevers. Sehr handfestes Restflackern<br />

längst vergangener Revolutionen um Liebe und Freiheit.<br />

Feucht, derb, schön.<br />

www.recordmakers.com<br />

raabenstein<br />

Gardland - Syndrome Syndrome<br />

[RVNG intl. - Cargo]<br />

Gar nicht lange her, da wurde in jedem zweiten Pressezettel<br />

noch die Zukunft beschworen. Heutzutage<br />

steht da stattdessen: informiert.<br />

Elektronische Musik, so das Versprechen,<br />

transportiere nicht das musikalische,<br />

sondern auch das "coole Wissen"<br />

der Vergangenheit. Solch Informiertheit<br />

meint mehr als bloß klangliche Verfahren<br />

der Nachahmung – und es schwirren<br />

geradezu medientheoretische Erklärungen herum, wie genau<br />

es zu dieser Wissensgenese kommt. In Falle des<br />

australischen Duos Gardland, deren <strong>De</strong>bütalbum man durchaus<br />

eine Breitband-Informiertheit attestieren könnte (Post-<br />

Punk, Acid, Industrial, Kosmisches), gibt es eine erfrischend<br />

unkomplizierte Erklärung: Die künstlerische Praxis des Duos<br />

enthalte mitnichten das Versinken in Archiven, stattdessen sei<br />

"Syndrome Syndrome" auf einer psychedelischen Wüstenexkursion<br />

entstanden. <strong>De</strong>r Erfahrungs-Klassiker. Aber Techno in<br />

die Wüste schicken? Mesmerisierend ist "Syndrome Syndrome"<br />

durchaus, aber nur im <strong>De</strong>tail. Das Fundament des Albums<br />

bilden eher stumpf-störrische Beats. Vertrackt ist hier erstmal<br />

gar nichts. Gottseidank. Gardland sind trotzdem immer dann<br />

am stärksten, wenn sie ihre Gerüste mit einer geilen Opakness<br />

zukleistern. Es entsteht dann eine sehr eigentümliche Form<br />

der Euphorie, die irgendwie wichtiger ist als das Ziehen von<br />

Referenzen. Zu "Syndrome Syndrome" kann man sich hervorragend<br />

den Kopf zerbrechen, bis einem irgendwann dämmert:<br />

Die wollen ja meinen Körper!<br />

igetrvng.com<br />

blumberg<br />

Kettel - ibb & obb OST<br />

[Sending Orbs - Clone]<br />

Verwundert auf der Suche, ob ich einen Film verpasst habe,<br />

kam ich auf eine Videodemo des Computerspiels,<br />

das ibb & obb ist. Ein<br />

Jump´N´Run – sweet und cute zugleich.<br />

Anders lässt sich das nicht umschreiben<br />

und wo früher hektisches<br />

8-Bit-Gedudel oft nervte, wurde dieses<br />

Spiel, das wohl zwei bis vier zusammenagierende<br />

Mitspieler benötigt, von<br />

Kettel vertont, der sich bereits mit Myam James I und II einen<br />

Namen machte. Damals war das melodische elektronischbreakige<br />

Musik im Stile der Warp-Artists, die er mit einer sanften<br />

303 unterfütterte. Für ibb & obb ließ er die 303 weg und<br />

gibt sich noch mehr den kleinen Spielereien hin. Das hat<br />

manchmal etwas kammermusikartiges und gibt den perfekten<br />

counterpart für das räumlich offene Spiel ab. Ob Zuhause voll<br />

konzentriert oder nebenbei beim Arbeiten, wird es das Album<br />

für den Herbst und WInter sein. Fehlt nur noch ein klassischer<br />

ChillOut-Room mit in Leuchtfarben bemalten Bauschaumfiguren,<br />

Schwarzlicht, weißen Netzen und noch mehr Schwarzlicht.<br />

Sehr gelungen.<br />

www.sendingorbs.com<br />

bth<br />

<strong>De</strong>an Wareham - Emancipated Hearts<br />

[Sonic Cathedral - Alive]<br />

<strong>De</strong>an Wareham hat mit Galaxie 500 und Luna Popmusikgeschichte<br />

in Sachen Dream Pop geschrieben.<br />

Wo Galaxie 500 immer ganz<br />

weit draußen waren und uns mit hohen<br />

Stimmen und großer Entrücktheit begeisterten,<br />

waren Luna besser produziert,<br />

insgesamt nicht mehr ganz so<br />

schuhglotzend, irgendwie auch konsequent<br />

einen Schritt weiter in Richtung<br />

Major. Doch Luna blieb der ganz große Erfolg verwehrt, und so<br />

lösten sie sich auf (siehe die schöne Musik-Doku "Tell Me Do<br />

You Miss Me"). <strong>De</strong>an & Britta, die sich in der Band Luna lieben<br />

lernten, verschrieben sich fortan einer Art abgespeckter Version<br />

von Luna, Warehams rundum gelungenes Mini-Album-Solo-<strong>De</strong>büt<br />

(nach so vielen Jahren) schließt dort an und zeigt zudem<br />

offenhörbar Einflüsse von Spacemen 3's Sonic Boom und<br />

Cheval Sombre, mit denen Wareham in letzter Zeit immer<br />

wieder, so auch hier, kooperiert hat. Nun ist er (wieder) eine<br />

deutliche Spur psychedelischer geworden. Ziemlich toll.<br />

www.soniccathedral.co.uk<br />

cj<br />

Black Hearted Brother - Stars Are Our Home<br />

[Sonic Cathedral - Alive]<br />

Ganz groß. Neil Halstead (Slowdive, Mojave 3), Mark van Hoen<br />

(Seefeel, Locust) und Nick Holton (Coley<br />

Park, Holton's Opulent Oog) haben uns<br />

mit ihren genannten Bands und Projekten<br />

schon immens erfreut. Als Black<br />

Hearted Brother nun packen sie alle ihre<br />

Ansätze zusammen und entwickeln einen<br />

neuen Versuch, Dream Pop,<br />

Shoegazing, Indie und das kleine Experiment<br />

zusammenzufügen. Auch wenn Halstead solo etwa<br />

immer und insbesondere live zu begeistern wusste, tut es auch<br />

ihm gut, wieder ein klein wenig weg vom Traditionellen zu kommen<br />

und spaciger zu klingen. Zwölf Songs, die einen mitnehmen,<br />

im wahrsten Sinne des Wortes. Und spätestens wenn sie<br />

auf "(I Don't Mean To) Wonder" die Gitarren rauschen und<br />

schreien lassen, winken, ganz unnostalgisch, Slowdive, von<br />

vorne sozusagen. Wow.<br />

www.soniccathedral.co.uk<br />

cj<br />

V.A. - Studio One – Ska Fever!<br />

[Soul Jazz - Indigo]<br />

Die Zeitreise in die Archive des Studio One konzentriert sich<br />

diesmal auf die Mitte der Sechziger, um<br />

den Jamaican Ska der Jahre 1964-<br />

1967 abzubilden. Bei dieser Vorstufe<br />

des Reggae gibt es Wiederbegegnungen<br />

mit einer Reihe von Helden des<br />

Genres, angefangen bei den Skatalites,<br />

den Ethiopians, den Wailers, dem frühen<br />

Lee Perry oder Don Drummond<br />

über Sologänge des Skatalites-Organisten Jackie Mittoo bis<br />

hin zu raren Gestalten wie dem ominösen Sänger Hugh Godfrey.<br />

Eine besondere Entdeckung sind die Clarendonians – bei<br />

denen Freddie McGregor schon als Kind zu singen begann –<br />

mit ihrer Coverversion des Beatles-Klassikers "You Won't See<br />

Me", in der sich sehr anschaulich nachvollziehen lässt, wie<br />

man aus einem Northern-Soul-lastigen Beat-Song mittels<br />

Offbeat, d.h. Verschiebung des Akzents um exakt ein Achtel,<br />

sehr elegant eine Ska-Nummer macht. Von den wunderbar<br />

traurigen Stimmen ganz zu schweigen. Sehr schön! Auch der<br />

angemessen rumpelige Klang.<br />

www.souljazzrecords.co.uk<br />

tcb<br />

Boardwalk - Boardwalk<br />

[Stones Throw - Groove Attack]<br />

Mike Edge und Amber Q aus Los Angeles erinnern stark an<br />

verträumt abgedriftete Satelliten. Und<br />

kultürlich klingen bei sowas dann auch<br />

immer die Großmeister dieses Sounds<br />

Velvet Underground, Spacemen 3, hier<br />

aber noch deutlicher Galaxie 500, Mazzy<br />

Star und Beach House durch. Irgendwie<br />

kann es für mich von dieser Musik<br />

einfach nicht genug geben. Boardwalk<br />

scheinen die intendiert bescheidene Homerecording-Variante<br />

dieses Ansatzes zu sein. Genau dieses Reduzierte tut ihren<br />

Songs sehr gut. In einen Song wie "I'm Not Myself" kann man<br />

sich förmlich hineinsetzen und zum nächsten Märchenpark<br />

fahren lassen. "What's Love" ist der erste Stopp, bei dem man,<br />

durchaus mal nach hinten schauend, an verflossene Lieben,<br />

Freunde und Lebensphasen denkt. Inne halten halt. Und dann<br />

weiter, aber ganz langsam, mit Boardwalk an Bord. Seufz.<br />

www.stonesthrow.com<br />

cj<br />

Vex Ruffin - s/t<br />

[Stones Throw - Groove Attack]<br />

<strong>De</strong>r Philippinen-Amerikaner Vex Ruffin selbst nennt Cabaret<br />

Voltaire und PIL als Einflüsse, seine<br />

Songs lassen aber auch durchaus noch<br />

härtere Gangarten wie Throbbing Gristle<br />

(in ihren eingägigen Momenten) oder<br />

Suicide (generell) erkennen. Alles wahrlich<br />

weder vom Image noch vom Sound<br />

her Leichtgewichte. Nein, manchmal<br />

sogar außerordentlich schwere Kost.<br />

Das klingt hier alles mit, man meint Vex Ruffin förmlich in die<br />

Vergangenheit schlendern zu sehen, als die Drum Machines<br />

erst mit Synthesizern begannen, Gitarren- und Punk-Bands<br />

eine neue Perspektive zu eröffnen. Meistens endete das in einem<br />

desolaten Electro-Blues wie bei einigen oben Genannten.<br />

Auch Vex Ruffin setzt hier an, streut aber auch schonmal Hip-<br />

Hop-Beats ein und wirkt wie ein durchgeknallter Beck ("It Will<br />

Come"). Echt keine Musik fürs sonnige Frühstück, eher schon<br />

für den früh dunkel werdenden Tag und ersten Gin Tonic. Kann<br />

Nachbarn ganz schön ärgern.<br />

www.stonesthrow.com<br />

cj<br />

Mr. C - The Future<br />

[Superfreq]<br />

Manchmal macht man alles falsch, wenn man denkt, alles<br />

richtig zu machen. Oldschool, check,<br />

Acid, Check, darke Vocals, check, wummernd<br />

cooler Sound, check, aber dann<br />

geht es bergab. Die Vocals haben etwas<br />

zu bodymusicmäßiges, zuviel Leder, zuwenig<br />

Funk, die Acidlines klingen wie<br />

hängengeblieben und selbst die Snarestakkatos<br />

können einen hier ernüchtern.<br />

Puh. Einfach alles zu düster und selbst in den Remixen auf<br />

Dauer kaum zu ertragen.<br />

bleed<br />

John Heckle - <strong>De</strong>solate Figures<br />

[Tabernacle Records]<br />

Heckle zögert nicht einen Moment sondern stürzt sich lieber<br />

gleich in einen Track voller schillernder<br />

HiHats und Acidgewitter, lässt Stringberge<br />

zu grandiosen Weiten auflaufen,<br />

die aus der Welt eine einzige Hymne<br />

machen und hat schon mal geklärt,<br />

dass Euphorie keine Grenzen kennen<br />

darf. Das Album swingt in seinem leicht<br />

atavistisch anachronen Sound zwischen<br />

Oldschool und purer Analogphantasie aller möglichen<br />

Konstellationen und ufert auch schon mal in verspielt fusseligem<br />

Jazzfunk aus oder überdrehten Chicagomelodien frisch<br />

aus dem Drumcomputer geschossen. Eine Tour de Force in<br />

analogen Welten die dennoch immer eine sehr getragene<br />

Stimmung vermittelt und den Funk eher in den verrückten<br />

Geistesblitzen zwischendurch aufleben lässt, als im Groove,<br />

der ganz und gar auf die Tiefe Substanz der mächtigen geraden<br />

Bassdrum aufgebaut ist. Brilliant durch und durch.<br />

bleed<br />

Clara Hill - Walk The Distance<br />

[Tapete - Indigo]<br />

Was für ein Anfang! Wenn im Film "Prometheus" auch sehr<br />

viele Anschlussfehler und Hollywood-<br />

Kompromisse zu entdecken bzw. bedauern<br />

waren, die ersten Minuten, die<br />

waren es wert. Was kann Film alles an<br />

anderen Welten entwerfen! Und hier<br />

und jetzt: Was kann Musik alles an Utopien<br />

liefern! "Konkav" ist ein anderer<br />

Planet, auf dem alles gut wird, ihn zu<br />

erreichen allerdings ist nicht ganz einfach. Die Sängerin Clara<br />

Hill kann einen an die Hand und mit nehmen. Sie ließ sich unterstützen<br />

von erfahrenen Piloten wie Schneider, Hanno<br />

Leichtmann, Simon Whetham oder Thomas Bücker. Letzterer,<br />

sonst Mann hinter Bersarin Quartett, Jean-Michel und und<br />

und, hat eben auch "Konkav" skizziert, das minimal-bombastisch<br />

schillerndste Stück von Hills Album. Hill probiert aus,<br />

diese zehn Songtracks klingen, als hätte sie kompromisslos<br />

erschaffen, was sie schon immer wollte. Wenn man Ridley<br />

Scott nur so (weitermachen) lassen würde wie die wissende<br />

Reisende Clara Hill, ja dann...<br />

www.tapeterecords.de<br />

cj<br />

Banabila & Machinefabriek - Travelog<br />

[Tapu Records]<br />

Neulich im Stau, der Typ im Mercedes nebenan ein vermeintlich<br />

typischer BWLer, Zwirnmensch unter<br />

Fleischkappe, die Unterlippe nahtlos<br />

in den Hals übergehend. Jacket und<br />

Schlips offensichtlich auf dem Rücksitz.<br />

<strong>De</strong>r Türrahmen in dieser ruckelndschleichenden<br />

Fortbewegungsart verdeckt<br />

hinterlistig den genaueren Einblick<br />

ins Fahrzeuginnere.<br />

Bemerkenswert an der Szene: das hartnäckig wiederkehrende<br />

dreifache Zucken des Herren; hier wird also Härteres dem Ohr<br />

zugeführt. Nichts an dem Bild passt so richtig zueinander und<br />

gerade deshalb muss man weiter hinstarren. <strong>De</strong>r Stau löst sich<br />

auf und der Mercedes entschwindet... Ende. Die beiden äußerst<br />

umtriebigen holländischen Produzenten Michel Banabila<br />

und Rutger Zuydervelt aka Machinefabriek könnten mit "Travelog"<br />

den Soundtrack zu der Szene geliefert haben, Minimal,<br />

Kraut, Ambient und Noise hüpfen übereinander, das Banale<br />

und Kleine ist der ungelenkte Held der Geschichte, Strandgut<br />

an einem kalten aber sonnigen Herbstnachmittag am Meer.<br />

Kater...<br />

www.tapurecords.bigcartel.com<br />

raabenstein<br />

Kid606 - Happiness<br />

[Tigerbeat6 - Cargo]<br />

Post aus Los Angeles und sie sagt: Mir gehts hier prima. Nun<br />

muss die Münze, mit der unser virtuoser<br />

Genrejongleur bezahlt, ja immer erstmal<br />

gewechselt werden. Die eher abgestandene<br />

Electronica seines letzten Albums:<br />

Abgesang auf Berlin, dem er<br />

dann entfloh. Und was passiert hier?<br />

Laut Presseinfo standen hier allen Ernstes<br />

u.a. Yacht-Rock-Bands (Christopher<br />

Cross, Toto, Doobie Brothers) Pate. Ich erhöhe: "Smooth Sailing",<br />

das ist doch Philip Glass. Aber alles halb so schlimm.<br />

Spätestens wenn auf "Cloud Sculpting" sich für den Rest des<br />

Albums der Knuddelbass als schnurrende Katze auf den<br />

Bauch legt, darf das Kleinhirn ans Steuer, das uns auf "Party<br />

Gambas" zu einem alten Kraftwerk-Tune fährt, dann "Corona-<br />

71


<strong>177</strong> — reviews<br />

Alben<br />

do Bay Breezin'" entlang durch die frische Feuchte sägt, und<br />

die Downtempo-Entspanntheit des ewigen Sommers, die jungen<br />

Damen in strahlenden Hänger-Loops, die sich wiegenden<br />

Orgelpads, schließlich das Ausrollen zwischen Spectrum<br />

Spools und Cluster+Eno, das ist einfach nur wunderbarer,<br />

transatlantischer, elektronischer Instrumentalpop mit warmem<br />

Bauch und weiten Armen, der keine <strong>De</strong>chiffrierung<br />

braucht.<br />

multipara<br />

Burkhard Stangl - Unfinished. For William Turner, painter.<br />

[Touch - Cargo]<br />

Musik, die fast zum Stehen kommt. <strong>De</strong>r österreichische Improv-Musiker<br />

Burkhard Stangl hat sich<br />

für sein erstes Touch-Album vom englischen<br />

Maler William Turner zu einer<br />

ganz eigenen Form von Impressionismus<br />

inspirieren lassen. Stangls Gitarren-Improvisationen<br />

evozieren eine präzise<br />

Flächigkeit mit sehr feinem Strich,<br />

kosten mikroskopische Motive und<br />

Klänge mit größter Disziplin und Ruhe aus und halten die Musik<br />

dabei stets elastisch. Hier geht es nicht um klangliche Abstraktion<br />

mittels Fixierung auf das Geräuschhafte der Tonerzeugung,<br />

wie es von Stangl an anderer Stelle ausgiebig erprobt<br />

wurde, sondern um weitgehend klassische Töne, die jedoch so<br />

konsequent aus jeglichem konventionellen Kontext herausgelöst<br />

wurden, dass sie eine abstrahierte Form annehmen. Gelegentliche<br />

field recordings – man hört fließendes Wasser, Stimmen<br />

oder nicht näher definierte Geräusche – und vereinzelte<br />

Elektronik setzen weitere Akzente, erschließen den Stücken<br />

zusätzliche Dimensionen. Auf perfekte Weise unvollendet, um<br />

es paradox zu sagen.<br />

www.touchmusic.org.uk<br />

tcb<br />

Phill Niblock - Touch Five [Touch - Cargo]<br />

Drone-Meister Phill Niblock setzt seine "Touch"-Reihe beim<br />

gleichnamigen Label fort und knüpft inhaltlich<br />

direkt an den Vorgänger "Touch<br />

Strings" an – auch auf "Touch Five"<br />

kommen ausschließlich Saiteninstrumente<br />

zum Einsatz. Majestätisch gleich<br />

der Anfang: "CornFeed Ear", interpretiert<br />

vom belgischen Cellisten Arne<br />

<strong>De</strong>rforce, der eine Reihe von Niblocks<br />

Kompositionen eingespielt hat, bringt das Prinzip der Obertonvariation<br />

über liegendem Grundton mit einem ganzen<br />

Spektrum an Mikrotönen zum Flirren. Ähnlich der Brite Rhodri<br />

Davies an der elektronischen Harfe mit dem Stück "A Cage of<br />

Stars". Unmerklich die Wechsel und Übergänge, wird hier<br />

stets auf Neue verdeutlicht, dass es keine Wiederholung desselben<br />

gibt – selbst ein gehaltener Ton verändert sich in der<br />

Zeit. Dass eine Komposition sich nur begrenzt von ihren Interpreten<br />

losgelöst betrachten lässt, demonstrieren die drei Versionen<br />

von "Two Lips" für Gitarrenquartett, die auf der zweiten<br />

CD versammelt sind. Das im Vergleich zu den beiden Solostücken<br />

weit dissonantere Werk lässt dabei von Besetzung zu<br />

Besetzung immer wieder neue Facetten und Klangfarben aufschimmern,<br />

als würde ein Text von verschiedenen Sprechern<br />

vorgetragen. Groß.<br />

www.touchmusic.org.uk<br />

tcb<br />

Wareika - Wternal [Visionquest - WAS]<br />

Das dritte Werk von Wareika umarmt einen quasi mit seinem<br />

warmen und organischen Sound, und<br />

Florian Schirrmacher singt nicht selten<br />

dazu. Zusammen mit Henrik Raabe und<br />

Jakob Seidensticker lotet er die Möglichkeiten<br />

eines deepen Livesets aus,<br />

dass ihnen Housemusik gestattet. Die<br />

sanften Steigerungen im Tempo und die<br />

gut gesetzen Vocalparts zeigen, dass<br />

die drei genau wissen, wie man Tanzflächen zu bedienen hat.<br />

Es ist diese Mischung aus Verspieltheit und straighten Beats,<br />

die das Trio so charmant und einzigartig machen. Die dubbigen<br />

Rhythmen haben die beiden ehemaligen Havana Boys<br />

auch weiter im Gepäck. Etwas grenzwertig ist die Coverversion<br />

von "La Paloma", aber nach mehrmaligem Hören gewinnt<br />

die Sympathie für das Housegerüst auch bei mir die Oberhand<br />

und es ist ziemlich sicher, dass die Nummer ein ziemlicher Hit<br />

in den Sets werden wird.<br />

tobi<br />

Leon Vynehall - Open EP<br />

[3024 - S.T. Holdings]<br />

Nach Piano-House im großen Stil auf Aus, wird nun auf Martyns<br />

Label das Großraum-Feuer am<br />

Laufen gehalten. "I Get Mine You Get<br />

Yours" jacked, was das Zeug hält.<br />

Hauptsache, die HiHat schön offen und<br />

die Synth-Line maximal catchy, ganz<br />

nach britischem Selbstbewusstsein.<br />

Soll hängen bleiben und tut genau das,<br />

nicht weniger, allerdings auch nicht viel<br />

mehr. Die B-Seite will mit der großflächigen Euphorie mithalten,<br />

fährt das selbe Konzept nochmal und hängt in Sachen<br />

Catchiness auch kaum hinterher. Nur das Drum-lose "I Know<br />

You Face Heroine" tanzt aus der Reihe. Soll irgendwie durchdachter<br />

daherkommen als der Rest, bleibt aber zu flach. Ein<br />

bisschen viel 0815 auf 3024.<br />

www.3024world.com<br />

wzl<br />

SINGLES<br />

Anstam - The Remixes<br />

[50 Weapons/50WEAPONSRMX07 - Rough Trade]<br />

Die Familienbande remixt sich weiter gegenseitig. Jetzt dran:<br />

Anstam. Moderats aktuelle Single<br />

"Gita" und Siriusmos "Stinky Wig" werden<br />

hier durch die Mangel gedreht. Mit<br />

viel quäkender Dringlichkeit, einer Prise<br />

Chaos über der Durchsicht durch jedes<br />

Soundpartikel. Besser als die Originale?<br />

Zumindest ebenbürtig. Und ein remixender<br />

Händedruck tut immer gut.<br />

www.50weapons.com<br />

thaddi<br />

Benjamin Damage - 4600 EP<br />

[50 Weapons/50WEAPONS031 - Rough Trade]<br />

30 Jahre lang hat der kleine ETI 4600 in einer abgelegenen<br />

Garage, irgendwo nördlich von London<br />

geschlummert. Als einer der wenigen<br />

seiner Art, die wohl überhaupt jemals<br />

richtig funktioniert haben. Und gäbe es<br />

nicht noch diese Menschen mit Herz für<br />

Maschinen, wie den Benjamin, wäre der<br />

putzige Synth, Geburtsjahr 1973, doch<br />

glatt seinem rostigen Schicksal überlassen<br />

worden. Frisch genährt mit neuen Befehlen, schnurrt der<br />

Kleine nun aber endlich wieder wie wild. Nach vorne will er, auf<br />

den großen Floor, da, wo es sich doch am besten wild herumspringen<br />

lässt. Herrchen Damage steht am anderen Ende der<br />

Leine und liefert nach seiner großen "Heliosphere"-LP drei<br />

technoide Sureshots, die sich ihrer repititiven Stärke mehr als<br />

bewusst sind. Ohne viel Schnörkel, genau so, wie wir die dunklen<br />

Momente lieben. Als Belohnung für den kleinen Wilden<br />

gibt's dann noch das Leckerli "Nebula" oben drauf, den kicklosen<br />

Flächen-Exzess, das Highlight in spe.<br />

www.50weapons.com<br />

wzl<br />

A Made Up Sound - After Hours<br />

[A Made Up Sound/AMS006 - Clone]<br />

Au weia, was ist denn hier los? Dave Huismans verabschiedet<br />

sich vom Dancefloor. Endlich, werden<br />

da einige sagen. Nicht, weil sie ihn loswerden<br />

wollen, sondern weil immer klar<br />

war, das mehr in ihm steckt. Dieses<br />

"After Hours" - episch und endlos - hätte<br />

in den 80ern auch von Dirk Ivens sein<br />

können. Die Drums haben den gleichen<br />

Punch und dabei auch die selbe digitale<br />

Ruppigkeit. <strong>De</strong>r Rest scheint improvisiert, aus der blutigen<br />

Nase gezogen, ein Bandwurm der Konfusion, der nur noch zittert,<br />

aber nicht mehr tanzt. Ein wirklich unfassbares Stück<br />

Musik. "What Preset", die B-Seite, feiert dann genau diese<br />

Abkehr von gelernten Sounds und wenn 4Hero damals bei<br />

Throbbing Gristle gewesen wären, hätten wir den Track schon<br />

seit 1979 in der Kiste. Runtergespielt klingt das bestimmt ohnehin<br />

besser. Wow.<br />

soundcloud.com/2562amadeupsound<br />

thaddi<br />

Monomood - Analog Threesome<br />

[Abstract Animal/003 - <strong>De</strong>cks]<br />

Schön auf der Bassdrum hängengeblieben. Etwas Bassline<br />

dazu. Etwas pathetische Sounds und<br />

irgendwann ist man - ohne das man es<br />

bemerkt hätte - mitten in einem<br />

Schranzinferno. Huch. Da lob ich mir<br />

den Mike-<strong>De</strong>hnert-Mix, der in seiner<br />

feinen funkigen Art aus "Vault" alles herausholt,<br />

was man so als Ravesüchtiger<br />

der ersten Stunde von seinen slammendsten<br />

UR-Platten braucht. "The Siren" zum Abschluss ist<br />

kaputt. Aber sowas von. Scheppernd, aus dem Lot, knatternd<br />

und mit der zerbrechlichen Gewalt eines Hammers ohne Hals.<br />

bleed<br />

Dresvn<br />

[Acido/14 - Hardwax]<br />

<strong>De</strong>r Ameisenstamm trifft sich zum Trommeln. Nicht üben für<br />

die Toskana, sondern für den Club. Ach, zur Hölle mit dem Ethno-Scheiß,<br />

bzw. den schwachbrüstigen Interpretationen aus<br />

japanischen Schaltkreisen der Kaiserzeit. Einfach mitmachen.<br />

Eh gut, eh besser. Dresvn? Immer über alle Zweifel erhaben.<br />

Das zeigen die drei neuen Tracks nur zu deutlich. Nicht für jeden,<br />

aber wenn, dann richtig.<br />

thaddi<br />

Kotelett & Zadak<br />

Schleuderganz EP<br />

[Acker Dub/023]<br />

Ein perfekter Popsong mit leicht kitschig smoothem Gesang<br />

ist das upliftend dubbige "Hello Species"<br />

geworden. Einfacher Chord, statisch<br />

klassischer Groove, Sounds, die<br />

nach Sommerelegie klingen und dann<br />

dieser kitschig gesäuselte Vocodergesang<br />

dazu. Alles perfekt. "Aimless" ist<br />

ein ähnlich sanft kitschiges Stück mit<br />

Gitarre und Gesang und "Tizia" voll mit<br />

Grufitpathos, während der Mollono-Bass-Remix dem "Hello<br />

Species" Track noch einen Hauch Trance verpasst.<br />

bleed<br />

Gab Rhome - Sometimes It Goes That Way<br />

[All Day I Dream/004]<br />

<strong>De</strong>r klingelnd schöne Track von Gab Rhome steht hier im Zentrum<br />

mit seinen Xylophonsounds und<br />

der warmen weichen Bassline, die alles<br />

in dieser sommerlich duftenden Stimmung<br />

einfängt. Kitsch für die nächsten<br />

Open Airs, egal wie lange die noch hin<br />

sein mögen. Flausige Beats, sehr schöner<br />

Gesang mit sanftem Indieflair und<br />

dieses atmende Gefühl in den Sounds,<br />

das so elegisch klingt wie man es braucht für diese endlosen<br />

Tage. Die Rückseite von ihm mit Maher Daniel ist ähnlich sanft,<br />

aber einen Hauch zu flauschig dabei und wirkt auf die Dauer<br />

so, als hätte das Butterschiff nie abgelegt.<br />

bleed<br />

Hooved - Timeless<br />

[Amam]<br />

Hooved ist dafür bekannt, dass seine Stücke immer ein wenig<br />

ausgehöhlt klingen. Etwas zu trocken,<br />

dafür aber mit einer geisternhaft schwebenden<br />

Stimmung, die einen in eine<br />

völlig eigene Welt entlockt. Und das zelebriert<br />

Hooved hier auf allen drei Tracks<br />

so lässig mit leicht um die Ecke träufelnden<br />

Grooves, kurz eingestreuten leicht<br />

melancholischen Elementen, diesen<br />

trocken warmen Basslines die alles in Swing halten und dem<br />

träumerischen Stil eines zu sich zurückfindenden Minimalismus<br />

der immer zwischen den Zeilen seines eigenen Sounds<br />

eine Welt hinter der Welt vorfindet, die verführerisch unentdeckt<br />

bleibt. <strong>De</strong>r Thomas Brinkmann Remix wirkt gegen diese<br />

filigran funkenden Stücke fast schon brachial.<br />

www.am-am.org<br />

bleed<br />

Nadia Popoff - Black Jack<br />

[Amam Extra/019]<br />

<strong>De</strong>r Track von Nadia Popoff aus Argentinien ist voller dunkler<br />

Spannung und Intensität und rockt mit<br />

dieser perfekten Konstellation aus darker<br />

Bassline und trockenen Sounds,<br />

magischen Hintergründen und schleichend<br />

dichtem Grundgefühl das sich<br />

auf "My Friend Sebastian" sogar in jazzigere<br />

Gefilde ausbreitet, aber dennoch<br />

seiner <strong>De</strong>epness treu bleibt. Die Remixer<br />

Alessio Mereu und Hooved bleiben dem spartanisch gefühlvollen<br />

Sound treu und kicken einen Hauch mehr um die<br />

Ecke.<br />

bleed<br />

Tom <strong>De</strong>mac & Will Samson - It Grows Again EP<br />

[Aus Music/053 - WAS]<br />

Genaugenommen liebe ich Tom <strong>De</strong>mac. Hier noch einen Dreh<br />

poppiger mit den Vocals von Will Samson,<br />

der wirklich am letzten Zipfel seiner<br />

Fistelstimme hängt, aber im Hintergrund<br />

wühlt sich <strong>De</strong>mac so genüsslich<br />

durch die Bässe und macht aus allem so<br />

ein dicht gebratenes Fest aus Sounds,<br />

die völlig in sich verschliffen sind, dass<br />

ich selbst die Vocals hier als Sound hören<br />

kann. Soul in dieser pergamentartigen Dürre kann einen ja<br />

manchmal ganz schön überfordern, aber irgendwie schaffen<br />

es die drei Tracks, aus ihrem Popprojekt doch etwas zu machen,<br />

das einem ans Herz geht und so phantastisch überarrangiert,<br />

aber dennoch flockig leicht bleibt, dass man es einfach<br />

genießt wie die frühen Soulplatten von Vladislav <strong>De</strong>lay.<br />

www.ausmusic.co.uk<br />

bleed<br />

Sei A - Wants EP<br />

[Aus Music/1352 - WAS]<br />

Sei A ist eigentlich immer am besten, wenn der die Harmonien<br />

frei durch den Raum schweben lässt<br />

und der Rest des Tracks dem säuselnden<br />

Grundton den richtigen Backdrop<br />

vermittelt. Das gelingt ihm hier vor allem<br />

auf "10" und "Promises", die beide<br />

sehr charmante Epen aus melodisch<br />

deepen Basslines und breiten Flächen<br />

sind und einen extrem lässigen Swing<br />

dabei entwickeln. Die funkigere Seite ist auf "Promises" auch<br />

irgendwie klarer als auf dem Titeltrack "Wants", der irgendwie<br />

sexy wirken will, aber dabei ein wenig zu sehr auf die Verlockung<br />

durch Hall auf den Vocals schielt.<br />

www.ausmusic.co.uk<br />

bleed<br />

V.A.<br />

[Big Doint/001]<br />

Was für ein Monster. Chicagobassline mäandert durch den<br />

Untergrund von FIOs "Take No Time",<br />

die Discosamples könnten auch ein obskurer<br />

Killersoul aus einem vergessenen<br />

UK-Underground sein, alles wuchtet<br />

und bollert ausgelassen zwischen<br />

den Filtern und dem zertrümmert<br />

glücklichen Groove und klingt völlig<br />

überdreht. BD mit "Big Doint" räumt mit<br />

ähnlich obskuren Soulsamples und schleppenderem Groove<br />

genau so auf und lässt alles in perfekter Konzentration über<br />

den Floor schluffen. Disco für Verwunschene. Auch auf dem<br />

letzten Track hält sich dieser Sound zwischen Underground<br />

und purer Euphorie, dieser leicht französische Sound überglücklicher<br />

Discoloops in kaputten Konstellationen der unwahrscheinlichsten<br />

Art. Eine Platte, die Big Doint definitiv einen<br />

Platz unter den kommenden Kultlabeln sichern dürfte.<br />

bleed<br />

Tal M. Klein - Exhaustasaurus<br />

[Aniligital Music]<br />

Merkwürdiger Titel. Trockener Groove. Tal M. Klein sonst eher<br />

bekannt für seine SlowMo-Housetracks kickt auf "Exhaustasaurus"<br />

spartanisch und mit ultradeepem Subbass los und<br />

wälzt sich gerade zu in den Basswellen, hechelt eine Stimme<br />

hinterher, die fast tribal wirkt und landet am Ende dann in einer<br />

stachelnden Synthstimmung die fast nach Rave klingt. Mit<br />

"Perforated" geht es dann tiefer in die Knie und zaubert eine<br />

elegische Discostimmung aus der 303, während "The Consequence"<br />

die Synths etwas weit über die Grenze von Kitsch aufdreht<br />

und dabei wirkt wie ein runtergepitchter Trancetrack. Die<br />

Remixe von Casbah 73 und Spitmilk schwanken zwischen jazzigem<br />

Swingsound und etwas fusseligem Kirmeshousesound.<br />

bleed<br />

Renaissance Man - Kama EP<br />

[Black Ocean/003]<br />

Und wieder zwei sehr wirre und phantastische Tracks von Renaissance<br />

Man. Kama rockt mit seinen<br />

tribalen Grooves mitten ins Herz der<br />

verzückten Raver der ersten Stunde,<br />

legt eine verheißungsvolle Stimme<br />

drauf und das Tänzeln leicht tranciger<br />

breiter Synths, und schon ist man mitten<br />

im Wald aus Strobos und Nebel. Die<br />

Rückseite mit seinen verknuffelten Vocals<br />

abstraktester Art bringt dieses überdrehte Zuckeln der<br />

Melodien zurück, die schon seine letzte EP hatte und bleibt<br />

dennoch immer auf den Floor konzentriert. Purer abstrakter<br />

Funk der oldschoolig verdrehten Art, die sich im Break dann<br />

noch in ganz säuselnd dreisten 70er-Jahre-Synths auflösen<br />

darf.<br />

bleed<br />

Duke Slammer - Snorkel Zone<br />

[Bonus Round Records/020]<br />

Manchmal verliebt man sich einfach sofort in einen Track.<br />

"Snorkel Zone" ist so einer. Klingelnd<br />

voller Melodien, leicht überdreht bleepig<br />

und doch mit einem gewissen Unterton<br />

früher Aphex-Twin-Momente.<br />

Zuckersüß und mit diesem wehenden<br />

Gefühl eines ersten Sommers mit einer<br />

völlig unwahrscheinlichen Begleitautomatikorgel.<br />

<strong>De</strong>r Rest der EP ist etwas<br />

näher an Disco, wenn auch stellenweise auf absurde Weise,<br />

klingelt natürlich in den Sounds ähnlich überzogen und erinnert<br />

mit manchmal auch ein wenig an die verdrehteren Momente<br />

von Luke Vibert. Eine Platte, die vom ersten Moment an<br />

kleine blubbernde Herzchen des Glücks verstreut.<br />

bleed<br />

Shanti Celeste - Need Your Lovin' (Baby)<br />

[brstl/005 - Hardwax]<br />

Keine falschen Hoffnungen. Es ist nicht DER Track. <strong>De</strong>r hier ist<br />

aber auch gut. Atmet New York. Finde<br />

ich. Mit dieser perfiden EQ-Einstellung<br />

auf der HiHat der 909, der federnden<br />

Bassdrum und dem überdrehten Soul in<br />

den Vocals. Und auch die B-Seite<br />

slammt. Mit Tieftöner-<strong>De</strong>epness auf der<br />

Bassdrum, ganz einfachen Chords und<br />

Stabs und diesem wolldeckigen Gefühl<br />

der Vertrautheit des Schnees im Sommer. Herrlich.<br />

thaddi<br />

Marlowe - Moonshine Heater<br />

[Cadenza/090 - WAS]<br />

Laurent Bovey aka Laps kommt hier mit einem perfekt auf Cadenza<br />

passenden Stück. Glucksend latin,<br />

flausig überdreht in den knuffig<br />

knisternd dichten Grooves und das alles<br />

mit einer gewissen gejammten Endlosigkeit,<br />

ist auch der Rest der EP ähnlich,<br />

hier aber steht die Melodie nicht ganz<br />

so im Zentrum und lässt die Grooves<br />

dann eher einen Hauch zu wissenschaftlich<br />

wirken.<br />

www.cadenzarecords.com<br />

bleed<br />

Vereker / Kupfer<br />

[CCCP/04 - Clone]<br />

Hinten anfangen lohnt. <strong>De</strong>nn "Radiosity" gibt einem all die<br />

Wärme zurück, die man vorher bei drei<br />

mumpfigen LoFi-Sumpfnattern des<br />

Oldschool-Techno ausschwitzen musste,<br />

um wenigstens irgendwie aktiv zu<br />

sein. Vereker und Florain Kupfer? Ach<br />

nee. Bestimmt toll für die, die auch im<br />

Winter noch im T-Shirt rumlaufen, aber<br />

ich habe diesen Sound so derartig satt,<br />

dass ich glatt nach CCCP auswandern würde. Da ist wenigstens<br />

der Wodka gut. Aber die B2, die braucht man dann eben<br />

doch.<br />

thaddi<br />

Bjorn Wolf & Youri Donatz - Put Your Mind On Zero EP<br />

[Cellaa Music/010]<br />

Was genau es mit diesem dark gepressten "Before Singing We<br />

Must Leave The Church" auf sich hat, ist<br />

mir nicht ganz klar. Ein mitreißender<br />

Technotrack für den dark konzentrierten<br />

Trip eben, der immer mehr ins Trudeln<br />

gerät. "Bred" mit seinen verwässerten<br />

Sounds, die klingen, als hätte man sie in<br />

einem Tümpel Alka Seltzer aufgelöst,<br />

gefällt mir aber um Längen besser, weil<br />

es so schön abstrakt knatternd auf eine flausig wirre Kinderstimme<br />

mit Basslinegewobble und abenteuerlichen Orches-<br />

72


<strong>177</strong><br />

singles<br />

terstabs hinausläuft. Rave für die Kleinsten. "Put Your Mind On<br />

Zero" ist ein abstrakt knatternder Minimaltrack mit viel Funk,<br />

und der Basti-Grub-Remix will den Funk noch klarer herausschälen.<br />

bleed<br />

CC / Golden Donna<br />

[CGI/CGI001]<br />

Extrem trockene Tracks, die auf der A-Seite von CC manchmal<br />

so wirken, als hätte jemand seinen ersten<br />

Versuch gemacht, Acid zu produzieren,<br />

aber leider keine 303 zur Hand gehabt.<br />

Kantig und abstrakt in den<br />

Grooves, verwirrt in den Sounds und<br />

sehr spröde, aber mit so viel Charakter,<br />

dass man die Tracks einfach lieben<br />

muss, vor allem wenn es bei dem Funky-<br />

Track "Shackles" dann eher ravig knatternd als poppig bleibt.<br />

Golden Donna beginnt die Rückseite mit einem Feuerwerk aus<br />

breitwandigem Souldubopus, das völlig für sich steht, und<br />

säuselt mit "Soft Escape II" dann am Ende noch eine Hymne<br />

für die Letzten, die den Club einfach nie mehr verlassen wollen.<br />

Wunderschöne und sehr frische EP.<br />

bleed<br />

Jerome - 4B / 5<br />

[CGI/CGI002]<br />

Die zweite EP des neuen Labels rockt auf dem ersten Track mit<br />

einer so unverschämt kickenden Orgel,<br />

dass man sofort weiß, es gibt hier kein<br />

Zurück mehr. Dann einfach eine Duborgie<br />

hinterher, kantige Beats, merkwürdig<br />

gestaute Sounds, holzig breite Kompressionen,<br />

ein magisches Stück. Die<br />

Version auf der Rückseite dreht sich<br />

mehr um den ausufernd schnell peitschenden<br />

Bass und wuchert immer mehr zu einem alles mitreißenden<br />

Ravetrack aus.<br />

bleed<br />

Chicago Damn - Experiments Must Continue<br />

[Chicago Damn/001]<br />

Irgendwie eigenwillige Acid-Platte, die in ihrer Überfrachtung<br />

mit Synthsounds und einem irgendwie sehr klaren, überhaupt<br />

nicht oldschooligen Sound manchmal so wirkt wie frühe italienische<br />

Acidexperimente. Sympathisch, verwirrt, gerne bereit<br />

hier noch mal ein neues knödeliges Moment einzuflechten, da<br />

noch eine Szenerie der Verwirrung mehr anzusteuern und am<br />

Ende dann ganz blauäugig doch vor allem loszurocken, aber<br />

irgendwie gefallen mir hier die wenigen Momente, an denen es<br />

nicht so auf Stakkato getrimmt ist, besser. <strong>De</strong>r smoothe klingelnde<br />

Groove von "Sleaze" oder der einfach hymnisch housig<br />

chordversessene "Strawberries and Kream"-Track.<br />

bleed<br />

Andy Vaz - I'm Not From <strong>De</strong>troit<br />

[Chiwax/002LTD - DBH]<br />

Hätte man ja auch selber drauf kommen können. Wobei der<br />

Weltenbürger von heute eh überall dort<br />

zu Hause ist, wo es Strom für die Maschinen<br />

gibt. <strong>De</strong>r Titeltrack ist eine<br />

pointierte Medidation, ein großzügig<br />

angelegter Loop, der sich so sanft immer<br />

wieder verschiebt, dass man das<br />

Sample am Ende selber glaubt. Ganz<br />

und gar klassich. Mit angetäuschter<br />

Darkness, leise flüsterndem Acid und immer wieder dieser<br />

Stimme. Don't tell me he's from <strong>De</strong>troit. Ein Mini-Hörspiel für<br />

die Backstreet. "Alternative State Of Insanity" schlängelt sich<br />

die Serpentinen der improvisierten Unendlichkeit hinauf, die<br />

303 spielt Gitarre und irgendwie scheint das Portamento kaputt.<br />

Genau richtig also. "<strong>De</strong>utz Motorcity" dann öffnet mit alter<br />

Wochenschau, preist die industrielle Brücke zwischen Köln<br />

und <strong>De</strong>troit in Sachen Autobau und technologischem Fortschritt.<br />

<strong>De</strong>r Rest: butterweich. Sounds, wie es sie nur noch auf<br />

Platten gibt, die im Laden die teuersten Preisschilder haben.<br />

Irre gute EP.<br />

thaddi<br />

Seb Wildblood - Feel<br />

[Church White/001]<br />

Ein sehr soulig überdrehter warmer Housetrack mit nur dezenten<br />

Raveerinnerungen in der Struktur<br />

und der Bassline. Sehr zart und jaulend<br />

zugleich ist der Track einer dieser eleganten<br />

Hits, der einem lange genug im<br />

Ohr bleibt, um auch in den kältesten<br />

Nächten des Jahres noch weiter zu<br />

glimmen. <strong>De</strong>r Apes 5 am Remix kontert<br />

mit einem schreddernden Technobilderbuchtrack,<br />

der mir allerdings viel zu beliebig wirkt.<br />

bleed<br />

Oleg Poliakov - C.A.V.O.K.<br />

[Circus Company/082 - WAS]<br />

Zwei der Tracks, für die man Poliakov einfach lieben muss. In<br />

sich verschlungene Melodien, die sich<br />

um den Hals fallen, lässig swingende<br />

Grooves dazu, treibend getriebene<br />

Sphären überall, und schon ist man von<br />

den Stücken bis ins Letzte aufgesogen<br />

und fiebert mit jedem noch so kleinen<br />

schimmernden <strong>De</strong>tail der Tracks mit.<br />

Wunderschön und immer leicht aus<br />

dem Gleichgewicht geraten, eiern die Stücke von Poliakov immer<br />

einen Hauch, aber genau das macht irgendwie auch ihre<br />

Faszination aus.<br />

www.circuscompany.com<br />

bleed<br />

Om Unit - Threads<br />

[Civil Music/058 - S.T. Holdings]<br />

Grandioser Kitsch macht hier den Anfang. Breite pathetische<br />

Synths, dann ein Stück, das klingt wie<br />

eine Grufti-Version der Pet Shop Boys<br />

und ein Stück verrückter Downtempo-<br />

Raveerinnerung, plötzlich dann Harfenklänge<br />

und Rap... Om Unit hat sein Album<br />

wirklich inszeniert wie ein Kino,<br />

das einen durch alle Gefühlslagen treiben<br />

will. Das merkwürdige daran, es<br />

passt nicht wirklich, aber wenn es aufgeht, vor allem auf den<br />

kürzeren melancholischeren Momenten und den abstrakten<br />

Drum-and-Bass-Tracks, ist es unschlagbar gut. Wenn es nur<br />

gelegentlich einen Hauch Pathos weniger hätte, dann könnte<br />

Om Unit wirklich alles erreichen.<br />

www.civilmusic.com<br />

bleed<br />

NSDOS - Lazer Connect EP<br />

[Clek Clek Boom/012]<br />

Clek Clek Boom ist immer gut für eine Überraschung. Die<br />

Tracks von NSDOS sind natürlich auch<br />

irgendwie oldschool, aber so flink und<br />

biegsam in ihren analogen Sounds, so<br />

kribbelig angezerrt, so aufgedreht lässig<br />

in den Modulationen, so smooth in ihrem<br />

abstrakten Funk, dass man das<br />

schon nach den ersten paar Takten vergessen<br />

hat. Zeitloser Funk zwischen<br />

abstrakter Chicago-FM-Synthese, flausigen Drummachines<br />

im Zusammenspiel mit Synths auf dem verwegenen Kurs<br />

durch die Milchstraße und kurzen augenzwinkernden Reminiszenzen<br />

an die frühen Stunden von <strong>De</strong>troit-Electro. Eine Platte<br />

mit drei völlig verschiedenen Tracks, die dennoch eine gemeinsame<br />

Stimme und ein Ziel haben. <strong>De</strong>n Kick unter den Daten<br />

ausgraben.<br />

bleed<br />

Jovonn<br />

House A La Carte<br />

[Clone Classic Cuts/026]<br />

Das Original ist von 1992 und zeigt diesen swingenden discoangehauchten<br />

Houseslammerstil von<br />

Jovonn in perfekter Art. Die Tracks noch<br />

in den Urzeiten festgezurrt, die Beats<br />

locker und mit einer eigenwilligen Intimität<br />

durchsetzt, die selbst ein peinliches<br />

Saxophon perfekt funky und verspielt<br />

glücklich klingen lassen kann. <strong>De</strong>r<br />

deepere "I Can't Make Up My Mind"<br />

klingt wie ein Track, der die Clubszenierie bis in die alltäglichsten<br />

Momente ausleuchtet mit seinen albernen Drinkempfehlungen<br />

und ist pure Clubnaivität vom Feinsten. Und auch das<br />

süßlich alberne "This Thing Is Jammin" zeugt von diesem<br />

kindlichen Charme der wie von selbst aufscheinenden Perfektion.<br />

Eine putzige EP, die irgendwie auch ein wenig so klingt,<br />

als wäre sie sich bewusst, dass die goldenen Zeiten gleich<br />

vorbei sind.<br />

www.clone.nl<br />

bleed<br />

Martinez<br />

Hollow EP<br />

[Concealed Sounds/CCLD001]<br />

Martinez war eine Zeit lang einer der ganz sicheren Fälle auf<br />

dem Floor. Jede Platte ein Hit für sich.<br />

Ruhiger ist er geworden, versponnener,<br />

fast so, als hätte er wie so viele aus dem<br />

Cadenza Umfeld die Wissenschaftlichkeit<br />

der Grooves und den Funks gesucht.<br />

Auf den beiden Tracks dieser EP<br />

wird den leicht verwegen im Untergrund<br />

brodelnden Synths viel Auslauf gelassen,<br />

der knochentrocken rubbelnde Groove immer wieder neu<br />

angefacht, und erst auf der Rückseite löst sich das in einer<br />

breiten alles überschummernden Melodie wieder auf. Eine<br />

Platte, die fast schüchtern wirkt, aber dennoch einen ganz eigenen<br />

ruhigen Glanz entwickelt, der von der Verzauberung der<br />

zurückgezogenen Welt des Grooves lebt.<br />

bleed<br />

Finest Wear - Distant Memories<br />

[Colour And Pitch/002]<br />

"The Tribute" ist genau das. Ein Tribut. Eine Hymne für alle die<br />

einfach nie genug von diesen klassischen <strong>De</strong>troit-Flächen bekommen<br />

können. Und darauf konzentriert sich der Track nicht<br />

nur, er lässt es einfach nicht mehr los. Er beharrt drauf. Er zieht<br />

die Fläche nimmer breiter auf, lässt sich ganz in diesem Gefühl<br />

aufgehen, dass einfach nur noch mehr Strings und Melodien<br />

in sich aufsaugt, je höher es hinaufsteigt. So schön die beiden<br />

anderen <strong>De</strong>ephousetracks der EP auch sein mögen, über diesen<br />

Track kommen sie nicht mehr hinaus. <strong>De</strong>finitiv aber eine<br />

EP für die ganz großen Gefühle, die irgendwie nie alt werden.<br />

bleed<br />

Mefjus - Contemporary EP<br />

[Critical Music/CRIT073 - S.T. Holdings]<br />

Mefjus erbarmungslos wie eh und je. Die Grenzen des Neurofunk<br />

hin und her verschiebend setzt der<br />

Österreicher auch bei seiner neuen und<br />

ersten EP für Critical neue Maßstäbe<br />

der Bösartigkeit. Sein unverkennbares,<br />

soundästhetisches Trademark aus<br />

holpriger Percussion, Reizhusten-Basslines<br />

und aufscheuernder Midranges<br />

scheint bei der "Contemporary"-EP<br />

noch deutlicher auf den Punkt gebracht zu sein, als bei seinen<br />

vorigen Releases. <strong>De</strong>tailverliebt sitzt hier jedes Element genau<br />

dort, wo es hin gehört. Dazwischen immer wieder verschrobene<br />

Electronika-Elemente, die sich am Warp-Katalog zu orientieren<br />

versuchen, verschachtelt retardierende Drum-Patterns<br />

und abreißende Melodiestränge. Auf der zeitlichen Ebene lässt<br />

Mefjus seine Sounds reifen und sich entwickeln. So werden die<br />

Tracks nicht langweilig, sondern überraschen immer wieder<br />

mit neuen Spielereien, Air-Breaks und Referenz-Einschüben<br />

der Drum & Bass-Historie. Oft imitiert aber bisher unerreicht,<br />

sitzt Mefjus auf seinem Neuro-Thron und braucht sich vor keiner<br />

Revolution zu fürchten.<br />

www.criticalmusic.com<br />

ck<br />

Pink Skull - Pink Game EP<br />

[Days Of Being Wild]<br />

Ich stehe auf dieses Label. Und "Skin Game" überzeugt mich<br />

auch durch und durch wieder davon.<br />

<strong>De</strong>r Track mit seiner extrem biegsamen<br />

Acidbassline, den Preacher-Vocals und<br />

dem reduzierten Drumtrack ist einfach<br />

ein Killer, auch wenn die Konstellation<br />

solcher Elemente erst Mal beliebig<br />

klingt, schafft Pink Skull es, daraus ein<br />

Meisterwerk Oldschool zu machen, das<br />

völlig frisch und aufrührerisch klingt. "Only You" ist ein satter<br />

krabbelnd aufgeheizter Acidtrack mit Discounterton, "Slave"<br />

ein Kellerkind der verwirrten betörenden Art und "Frottage Industry"<br />

am Ende noch ein süsslicher Ausklang für den nächsten<br />

Frühling der endlosen Retrobewegung. Eine Platte die bei<br />

aller Oldschool doch nie nach Bilderbuch klingt.<br />

bleed<br />

Simian Mobile Disco<br />

[<strong>De</strong>licacies/010 - Rough Trade]<br />

Ich muss zugeben, diese Simian Mobile Disco ist die erste seit<br />

einer ganzen Weile, die mich vom ersten<br />

Sound an überzeugt. Reduziert im Tempo,<br />

warm und ausgewogen in den<br />

Sounds, spielerisch in den Melodien<br />

und mit einem gewissen lässigen Chicagoflair<br />

im Hintergrund, rollt "Escamoles"<br />

immer mehr in eine sehr zischelnd<br />

hitzige Welt aus treibend tänzelnden<br />

kleinen Chords und lässt einen glücklich mitgrinsen bei jeder<br />

kleinen Wendung. Und auch das magisch smoothe "Smalahove"<br />

ist ein bezaubernd funkig kompaktes <strong>De</strong>ephousestück der<br />

lässigsten Art. Musik die sich so sehr auf ihr Innerstes konzentriert,<br />

dass man sich einfach bis ins letzte <strong>De</strong>tail auf sie einlässt.<br />

<strong>De</strong>r etwas ravigere aber irgendwie sanft oldschoolige<br />

Track "Ton Zi Dan" wird von Mike <strong>De</strong>hnert dann mit dem Holzschuh<br />

ausgetreten aber es bleiben die beiden eher blumig ruhigen<br />

Tracks, die die EP hier ganz und gar ausmachen.<br />

www.simianmobiledisco.co.uk<br />

bleed<br />

Tuff City Kids - Roby Tease EP<br />

[<strong>De</strong>lsin/dsr-h7 - Rushhour]<br />

Kein Wunder eigentlich, dass Janson und Lauer quer durch die<br />

Welt releasen und remixen. <strong>De</strong>r Schedule<br />

auf Jansons Running Back ist tight.<br />

Dabei wünschen wir uns bei jedem Takt<br />

Musik der beiden immer nur wieder das<br />

Album. Vier neue Tracks in der Zwischenzeit<br />

werden mit Kusshand genommen<br />

und bei "HFS" stehen dann<br />

auch gleich die Münder offen. Ob der<br />

Modernität. Zwingendes Rave-Zwinkern, Drei-Ton-Hook. <strong>De</strong>r<br />

Rest: schon jetzt Legende. Und wenn dann bei "Wendy" die<br />

Toms der 909 den Berg erkraxeln, um die Ableton-Fahne zu<br />

verbrennen, ärgert man sich zwar kurz, dass man auf diesem<br />

Ausflug nicht das sonische Tagebuch geführt hat, tanzt jedoch<br />

zumindest im Kopf den Berg schon wieder runter. "Reeze" ist<br />

dann 707-Platzregen und so landen wir doch wieder in Chicago<br />

und weil eh grad Wochenende ist, ist der Rest irgendwie<br />

leicht unscharf und umso nebliger. "Wendy" im zweiten Mix<br />

blubbert dann kongenial um die Welt und spuckt uns dort wieder<br />

aus, wo wir eh hinwollten. Hat man auch nicht alle Tage.<br />

www.delsinrecords.com<br />

thaddi<br />

Bookworms & Steve Summers - Hidden Portal<br />

[Confused House/CH 003 - Rush Hour]<br />

Hmmm. Irgendwie dann doch sehr dark und unscharf. Das<br />

können alle Beteiligten besser. Viel besser. Warum das Scharren<br />

mit den Hufen, wenn doch heutzutage alle Bus fahren?<br />

Auch gut Knarzen will gelernt sein. Irgendwie leer und verloren.<br />

www.confusedhouse.org<br />

thaddi<br />

Annie Hall - Random Paraphilia<br />

[<strong>De</strong>troit Underground/DU021]<br />

Knautschig verdreht sind die Beats von Annie Hall, digital angeschliffen,<br />

aber doch mit einem warmen<br />

Hintergrund aus Harmonien und<br />

leisen Stimmen. Musik, die klingt wie<br />

die aus dem Grab von Illbient auferstandene<br />

Welt von <strong>De</strong>troit und Bass, die in<br />

völlig unerwarteter Frische zu fünf unerwarteten<br />

Meisterleistungen zerknufft,<br />

knotiger Beats findet, in denen einem<br />

die Ohren weit aufgerissen werden. Perfekt auch die Kollaboration<br />

mit Shadow Huntaz. Und die Remixe von Richard <strong>De</strong>vine,<br />

E.R.P. und Valance Drakes passen natürlich durch und<br />

durch, auch wenn mir der ruffe digital verdrehte Sound der<br />

Originale irgendwie lieber ist.<br />

bleed<br />

Eddie Fowlkes - Special EP<br />

[<strong>De</strong>troit Wax/DW 006 - Rush Hour]<br />

Neue Tracks von Eddie? Immer her. Vor allem, wenn der "War<br />

On Dance" alles andere ist, als der Titel<br />

vermuten lässt, sondern vielmehr eine<br />

am mit Gasherd befeuerten Sampler<br />

hergestellte Reduktion des Funks. Und<br />

natürlich mit dieser markengeschützten<br />

Armada von Future-Chords. "Something<br />

Special E" auf der B-Seite wirkt<br />

die Live-Schalte in den Club zur Peak<br />

Time. Konzentriert und loopig, mit verhuschtem Acid und einem<br />

Ozeandampfer-Horn, das sich über den Besuch eines<br />

Kinderchores freut, der den Gospel studiert. Bon voyage!<br />

thaddi<br />

John Barera & Matt Gavris - Passenger EP<br />

[Dirt Crew Recordings/074 - WAS]<br />

In "Galaxy No.1" löst sich hier alles auf. Klassische <strong>De</strong>troitpianostabs,<br />

säuselnde Synths im Hintergrund,<br />

krabbelige Basslines und ein<br />

statisch direkter klassischer Groove<br />

sind manchmal einfach genug, um einen<br />

in den Himmel zu katapultieren.<br />

Das säuselndere "Individualist" ist mir<br />

wie ein paar andere Tracks der EP allerdings<br />

einen Hauch zu tänzelnd in den<br />

fast schon kitschigen Melodien, und erst auf "Watch" findet<br />

sich dieses direkte slammende Gefühl einer perfekten Mischung<br />

aus breiten Chords und klassischem Funk wieder.<br />

www.dirtcrew.net<br />

bleed<br />

ZDS - Hands<br />

[Dirtybird/101 - WAS]<br />

Man mag dieses "Bang The Box" ja schon fast nicht mehr hören<br />

können, so klassisch oldschool ist<br />

das Sample, aber der Track, den ZDS<br />

daraus machen, ist irgendwie doch unverschämt<br />

rockend genug, um sich<br />

schnell damit anzufreunden. Trocken,<br />

bassversessen, leicht verdreht in säuselnd<br />

ulkigen Melodien, die man nur auf<br />

Dirty Bird findet. Mit "Hands" legen sie<br />

noch einen drauf in dem unnachahmlich heiteren klingelnden<br />

Stil der schunkelnd plätschernden <strong>De</strong>epness. Sehr sympathische,<br />

sehr einfache EP, die dennoch zwischen ihren poppigen<br />

Momenten und dem leicht übertrieben sich glücklich in Oldschool<br />

suhlenden Sound perfekt ist.<br />

www.dirtybirdrecords.com<br />

bleed<br />

Halvtrak - Dust Under Bridges EP<br />

[Don't Be Afraid/DBA013 - Clone]<br />

Großartige EP vom ersten Track an. Klapprige Beats, eigenwillige<br />

Strings und Flöten, scheppernde<br />

Drummachines, Oldschool mit einem<br />

Hauch Kitsch der abstraktesten Art,<br />

wühlende Basslines, klimpernde<br />

Kleinstpianos, breite Flächen. Alles will<br />

hier auf einen Sound hinaus, der<br />

manchmal klingt wie die ersten Chicagoexperimente,<br />

überglücklich und verdreht<br />

die Möglichkeiten des elektronischen Equipments in einer<br />

Naivität testend, die man erstaunlicherweise auch jetzt<br />

noch nachempfinden kann, und dabei kicken die Tracks völlig<br />

BORN TO RAVE<br />

FORCED TO WORK<br />

DONNERSTAGS<br />

AB 20 H<br />

HARRYKLEIN<br />

HOUSE & TECHNO<br />

SONNENSTR. 8 · MÜNCHEN<br />

WWW.HARRYKLEINCLUB.DE


<strong>177</strong> — reviews<br />

SINGLES<br />

unbefangen trotz aller Klassik der Oldschool<br />

in den Sounds dennoch so frei<br />

und lässig, als wäre in der Zwischenzeit<br />

nicht eine Revolution im Sound nach<br />

der anderen über uns hereingebrochen.<br />

Wer auf der Suche nach einer Platte ist,<br />

die wie eine frühe Saber klingt, aber<br />

doch im Sound wuchtig und neu, der<br />

braucht diese Platte.<br />

bleed<br />

Bell Boys - Hotel Game EP<br />

[Discovery Recordings/006]<br />

Elegant schwummrige EP aus Chicago<br />

mit sanften Discountertönen, leicht<br />

kratzigem Sound und einem guten<br />

Gespür für den leicht verrufenen Kitsch,<br />

der dem Namen der EP sehr gut steht.<br />

Feine schillernde Chords und gelegentlich<br />

auch mal einen Hang zu etwas zu<br />

poppigen Momenten, ist es für mich<br />

vor allem das zarte säuselnde "Prayer<br />

Furnace", dass die EP zu einem Muss<br />

macht.<br />

bleed<br />

STL / L'estasi <strong>De</strong>ll'Oro - Einig Eins<br />

[Flaneur Audio/FA 07 - Rush Hour]<br />

Hit & Miss bei STL: "Satisfied Bit" will<br />

einfach anders<br />

sein und genau<br />

deshalb auch<br />

keine Freunde,<br />

geschweige<br />

denn Likes auf<br />

Facebook. Das<br />

ist bei "Hometown"<br />

schon ganz anders. Mit Zeitlupen-Break,<br />

schwerem Traditions-Acid<br />

und dem Fauchen des mechanischen<br />

Tigers. Sehr, sehr gut. L'estasi <strong>De</strong>ll'Oro<br />

will mir mit seinen sägenden Klöppel-<br />

Epen dann die ganze Zeit was sagen,<br />

das mir beim besten Willen nicht einleuchtet.<br />

thaddi<br />

Kry Wolf - Nightmode EP [Food Music]<br />

Die beiden Tracks von Kry Wolf sind ein<br />

wenig überfrachtet<br />

im Sound und<br />

kitschig in den<br />

Melodien und<br />

wirken manchmal,<br />

als hätte jemand<br />

versucht<br />

aus Bass dufte<br />

<strong>De</strong>ephouse-Pop zu machen. Ist ja nicht<br />

selten. <strong>De</strong>r Pedestrian-Mix aber, mit<br />

seinen rotzigen Acidbassline und dem<br />

kantigeren Groove, den unterschwellig<br />

eingeschleusten Vocals und verdrehten<br />

Breaks, macht daraus trotzdem einen<br />

Killer.<br />

bleed<br />

Jimpster - Porchlight<br />

& Rocking Chair Remixes Pt. 2<br />

[Freerange Records - WAS]<br />

Tanner Ross ist immer gut. In seinem<br />

Remix für Jimpster<br />

schafft er es<br />

locker seine<br />

spartanischen<br />

Beats und die<br />

säuselnde Melodie<br />

von "Brought<br />

To Bear" in einen<br />

eigenwilligen Einklang zu bringen und<br />

so die einfache poppige Melodie irgendwie<br />

um Längen zu erhöhen. <strong>De</strong>etron<br />

hingegen klingt so, als habe er auf zwei<br />

Versionen den Dreh nicht so ganz gefunden,<br />

was mit der Stimme anzufangen<br />

wäre. Zweischneidig.<br />

www.freerangerecords.co.uk<br />

bleed<br />

Lukas - Back To Boogie EP<br />

[Futureboogie Records/021]<br />

Endlich mal eine entspanntere Platte<br />

auf Futureboogie.<br />

Lukas legt<br />

sich gerne breit<br />

in die Pianos,<br />

den etwas übertrieben<br />

direkten<br />

Funkysound von<br />

kurzen Gitarrenlicks<br />

und Orchesterhits, aber findet auf<br />

den vier Tracks dennoch eine gute Gewichtung<br />

zwischen Popmomenten und<br />

sympathisch deepem Soul. Vier einfache,<br />

aber durch und durch sympathisch<br />

kickende Housetracks der alten Schule.<br />

bleed<br />

Topper - Slot Machine<br />

[Goodvibe Records/015]<br />

Sehr schöner Track mit diesem warmen<br />

alles unterfütternden<br />

Grundchord<br />

der sich<br />

wie ein roter Faden<br />

durch das<br />

gesamte Stück<br />

zieht und eine<br />

Stimmung erzeugt<br />

in der der Track einfach nur noch<br />

einer nie kommenden Auflösung zustreben<br />

muss. Spannung ohne Auflösung<br />

ist schon immer eine der besten<br />

Methoden gewesen, um einen Track<br />

zeitlos dahingleiten zu lassen. <strong>De</strong>r Rest<br />

der EP ist leider eher klassisch bumpender<br />

Minimalsound, mal jazzig angehaucht,<br />

mal eher typisch abstrakt als<br />

purer Groove mit ein paar Nebengeräuschen<br />

und auch der Remix ist nicht<br />

wirklich herausragend.<br />

bleed<br />

Ghost Mutt - Rumble Pak<br />

[Donky Pitch/DKY13 - Kudos]<br />

Keine leichte Kost hat Ghost Mutt mit<br />

seiner neuen Single bei Donky Pitch<br />

zu präsentieren. Seine mannigfaltigen<br />

Einflüsse aus Grime, Jungle und R&B-<br />

Produktionen werden hier zu einer<br />

abwechslungsreichen Melange vereint.<br />

Das ist heftiger Stoff, der Tänzer im<br />

Club vor einige Herausforderungen<br />

stellt. Spannende Brüche, verfremdete<br />

Vocals treffen auf Synthielinien, die mit<br />

trockenen Beats kombiniert werden.<br />

Das Titelstück gönnt einem nur kurze<br />

Pausen und ist vollgepackt bis obenhin.<br />

In einem DJ Set der progressive Beats-<br />

Fraktion erfüllt es sicher seine Funktion.<br />

Die drei anderen Produktionen gehen<br />

nicht ganz so hektisch zu Werke.<br />

www.donkypitch.com<br />

tobi<br />

Kyle Watson - Throwback EP<br />

[Gruuv/027]<br />

"Throwback" ist ein elegant flausiger<br />

zerrissener<br />

<strong>De</strong>ehousebasstrack<br />

mit einem<br />

guten Gefühl für<br />

die Andeutungen,<br />

die früher<br />

mal Microhouse<br />

hießen. Poppig,<br />

aber irgendwie charmant und definitiv<br />

ein perfekter Sommersound. <strong>De</strong>r<br />

deepere Black-Loops-Remix ist auch<br />

sehr funky, und wenn man den inneren<br />

2Step-Freund nicht etwas mehr im Griff<br />

hätte, dann würde man die komplette<br />

EP durchfeiern, so ausgelassen kitschig<br />

duftet das hier vor sich hin.<br />

www.gruuv.net<br />

bleed<br />

Dosem - Atica Remixes<br />

[Halocyan Records/PHC019]<br />

Joey Beltram und DJ Pierre. Schon eine<br />

krude Klassikermischung<br />

die<br />

hier als Remixer<br />

ausgesucht wurden.<br />

Beide hämmern,<br />

beide kennen<br />

keine Gnade<br />

und geniessen es<br />

sichtlich mal wieder den Technohammer<br />

rauszuholen, aber nur beim Pierre<br />

"Hey Wildpitch" Mix kommt diese grollende<br />

Gewitterstimmung voller Explosionen<br />

und berstender Energie auf, die so<br />

ein Track braucht. Auch wenn die Fussballchöre<br />

natürlich übertrieben sind, für<br />

einen Moment ist das Pathos früher<br />

Ravetracks aus Belgien doch wieder<br />

ganz da.<br />

bleed<br />

<strong>De</strong>o & Z-Man - XTC<br />

[Hafendisko/008]<br />

Klassiker. <strong>De</strong>o & Z-Man machen gerne<br />

Hymnen. "XTC"<br />

jubelt zu klassischen<br />

Electrogrooves<br />

der<br />

feinsten Art von<br />

unser aller Lieblingsdroge.<br />

Und<br />

der Gott des<br />

Funk spielt mit. Was auch sonst. Lässig<br />

wie immer stöhnen sie sich an die Spitze<br />

der Euphorie mit Orchester- und<br />

Stimm-Stakkatos und der Dancefloor<br />

singt mit. Wir brauchen viel mehr Hits<br />

auf die sich alle einigen können. Egal<br />

wie dreißt das Thema. <strong>De</strong>o & Z-Man<br />

haben Großes vor. Das merkt man diesem<br />

Track hier überdeutlich an und<br />

deshalb schicken sie ihn auch gleich in<br />

die Remix-Runde mit Erobique und Till<br />

von Sein. Erobique erfindet sich eine eigene<br />

Elephanten-Disco mit Vocoder,<br />

säuselnden Zwergen, Cheapo-Strings<br />

und glitschig gleitendem Popflair. Till<br />

von Sein hält sich eher zurück und verlegt<br />

die Extase auf die späten Stunden<br />

des Abends. Aber sind wir mal ehrlich.<br />

Es kann nur einen geben.<br />

bleed<br />

Headless Horseman - Midnight Ride<br />

[Headless Horseman/003]<br />

Muss zugeben, diese EP der sonst immer<br />

ganz großen<br />

Headless Horseman<br />

ist ein wenig<br />

zu dark geraten.<br />

Auf "Midnight<br />

Ride" jedenfalls<br />

kommt der<br />

schleppende<br />

Groove kaum aus sich raus und johlt im<br />

Hintergrund mit immer darkeren Phantasien<br />

einer panisch ausweglosen Welt<br />

kaputter Dubs. Die Rückseite beginnt<br />

ähnlich, fängt sich aber ein wenig mehr<br />

und entwickelt nach und nach einen<br />

betörend säuselnd darken Funk in den<br />

Harmonien und glitzernden Nebenräumen<br />

der Flächen.<br />

bleed<br />

Pearson Sound - Lola<br />

[Hessle Audio/026 - S.T. Holdings]<br />

Etwas elegisch schleicht sich die EP mit<br />

"Lola" heran, und<br />

will irgendwie<br />

nicht so ganz in<br />

Gang kommen,<br />

egal wie ausgewogen<br />

der<br />

Groove sein mag.<br />

Es fehlt einem<br />

etwas. Und "Starburst" überfrachtet<br />

sich dann mit Raveerinnerungen und<br />

angedeuteten Breaks zu den wummrigen<br />

Basslines, die am Ende auch eher<br />

wie ein Intro wirken. Am besten ist dieser<br />

Sound, der eigentlich vor allem ein<br />

Killergroove sein will, dann auf dem reduzierten<br />

"Power Drumsss" realisiert,<br />

das nur Dummachine, Phaser und Verzerrung<br />

kennt und damit dennoch kickt<br />

ohne Ende.<br />

www.hessleaudio.com<br />

bleed<br />

Trikk - Midnight Sequence EP<br />

[HypeLTD/HYPELTD013]<br />

Folgende Wette: Wer schafft es über<br />

vier Stücke möglichst viele britische<br />

Spielarten unterzubringen? Und<br />

der Gewinner heißt: Trikk. Dubstep-<br />

Bassline? Check. Garage-Groove?<br />

Check. Breakbeat? Zaghaft, trotzdem<br />

check. Schade nur, dass diese ganzen<br />

wunderbaren Nuancen in zeitgemäße<br />

4/4-Konvention gepresst werden.<br />

Führt irgendwie zu unentschlossenem<br />

Durchschnitts-(Tech-)House, der eher<br />

so vor sich hin plätschert, als dass er<br />

voller Tatendrang wüsste wann, wie,<br />

wohin. Habt ihr die auch noch ohne<br />

Gleichschritt-Kick da? Danke.<br />

wzl<br />

Joe - Slope / Maximum Busy Muscle<br />

[Hessle Audio/025 - S.T. Holdings]<br />

Funky und voller mystischer Untertöne<br />

gräbt sich "Slope"<br />

durch seine<br />

warme Bassline<br />

und die knatternd<br />

säuselnd<br />

nervtötenden<br />

Sounds, die sich<br />

in einer breiten<br />

Harmonie auflösen, die dem Stück das<br />

Gefühl geben, eins dieser Epen für ferne<br />

Planeten zu sein, die dennoch irgendwie<br />

im Partykeller mit Freunden am<br />

besten funktionieren. "Maximum Busy<br />

Muscle" ist ein komplexer um die Ecke<br />

gegroovter Track mit scheppernd unterkühltem<br />

Slamfaktor einer durchgedrehten<br />

Jazzband, die den Orinoko in einem<br />

Speedboat runterjagt. Grandios irgendwie.<br />

www.hessleaudio.com<br />

bleed<br />

Kodiak - Dragon Drop<br />

[Hot House Rec/HOTSHIT002]<br />

"Egyptian King" ist mit seinem breiten<br />

Ravepiano und<br />

dem übertrieben<br />

klappernden<br />

Drumsound zu<br />

Vocalstakkato<br />

schon ganz<br />

schön frech. Bis<br />

in die Samples<br />

hinein eine Oldschool-Ravenummer<br />

aus dem Bilderbuch, die dennoch irgendwie<br />

amüsant und locker genug<br />

bleibt, um einem nicht mit ihrer dreisten<br />

Attitude auf die Nerven zu gehen. <strong>De</strong>r<br />

Titeltrack ist eine überwuschige Bass-<br />

Nummer mit hängengebliebenen Vocals<br />

in purer Boygroupsoulphantasie für<br />

Dropssüchtige und mit seinen Mickey-<br />

Mouse-Stimmen auch ähnlich ravig<br />

überzogen. Stilübungen halt. <strong>De</strong>r Eliphino-Remix<br />

geht mir allerdings auf die<br />

Nerven, weil er einfach nicht peinlich<br />

genug unbekümmert dreist ist.<br />

bleed<br />

Trikk - Midnight Sequence EP<br />

[Hype Ltd./013]<br />

Ich kann die Uhr danach stellen, dass<br />

EPs eigentlich erst nach dem Titeltrack<br />

interessant werden. Wobbelnde Basslines<br />

und tolle Soundeffekte sind wirklich<br />

nicht alles. Auf dem housigeren Stück<br />

mit albernen Raggasampleeffekten<br />

zieht einen diese Stimmung wenigstens<br />

in die heiligen Hallen des Breakbeatwahnsinns<br />

in Slowmotion, der rubbelige<br />

Technotrack "Labour 91" wummert<br />

voller Klassik mit seinen hymnischen<br />

Stabs und frech eingeworfenen Divenvocals<br />

und "Prime Time" lässt der 909<br />

weiter freien Auslauf und knackt den<br />

Floor mit einer breiten trancigen Fläche.<br />

bleed<br />

<strong>De</strong>nse & Pika - Colt EP<br />

[Hotflush Recordings/HF041 - S.T.<br />

Holdings]<br />

Eigenwillig vollmundiges Piano für Hotflush.<br />

<strong>De</strong>nse &<br />

Pika lassen es<br />

auf dem wuchtigen<br />

"Colt" erst<br />

mal ganz lässig<br />

angehen und<br />

überzeugen mit<br />

einer ausgelassen<br />

angekratzten Hands-In-The-Air-<br />

Stimmung, die vielleicht etwas ravender<br />

geklungen hätte, wenn das Piano nicht<br />

ganz so die Drama-Queen wäre. "Black<br />

<strong>De</strong>ep" ist ein grollend böses Stück, das<br />

einen wieder auf den Boden der harschen<br />

Realität zurückbringt, in denen<br />

wohl die Eingeweide einer Kakerlake zu<br />

Summen scheinen. "Vomee" ist das etwas<br />

überfrachtet flausige Dubstück der<br />

EP, und mit dem Congadings am Ende<br />

überzeugen sie mich auch nicht wirklich.<br />

www.hotflushrecordings.com<br />

bleed<br />

Aufgang - Ellenroutir Remixes<br />

[Infiné - Rough Trade]<br />

Midnight HipHop erinnert mich stärker<br />

als alles an die<br />

frühen Zeiten von<br />

MoWax. Schleppende<br />

dunkle<br />

Beats, Piano,<br />

eine übernächtigte<br />

Stimmung,<br />

dieses leicht Darke<br />

der Verlassenheit, kantig und dennoch<br />

voller Funk. Eigentlich aber soll es<br />

ja um die "Ellenroutir"-Remixe gehen.<br />

Arnaud Rebotini macht einen süßlich<br />

schimmernden funkigen Poptrack für<br />

den Floor draus, Anton Zap ein sich<br />

überdreht in den weiten Flächen der<br />

Synths suhlendes Stück Begeisterung<br />

für die Grenze des smoothen Sounds<br />

und Leem ein Funkstück für Kleinkinder<br />

mit leichter Messie-Tendenz. Vom Original<br />

ist kaum etwas wiederzuentdecken.<br />

Nirgendwo. <strong>De</strong>nnoch aber sehr unterhaltend<br />

als Ganzes.<br />

www.infine-music.com<br />

bleed<br />

TRAPEZ 148<br />

NICOLAS BOUGAÏEFF<br />

DECOMPRESS EP<br />

TRAUM V169<br />

RYAN DAVIS<br />

STATE OF MIND<br />

TRAUM V168<br />

EXTRAWELT<br />

THE INKLING<br />

TRAPEZ 147<br />

ALEX UNDER<br />

ACTIVIDADES PARA NORMALES<br />

TRAPEZ LTD 130<br />

MORITZ<br />

OCHSENBAUER<br />

TRAPEZ LTD DIG 1<br />

INNER POCKET<br />

MOVES VOL. 1<br />

MBF 12108<br />

KONSTANTIN<br />

YOODZA<br />

TELRAE 020<br />

SALZ<br />

REWORKS PT. 5<br />

WWW.TRAUMSCHALLPLATTEN.DE JACQUELINE@TRAUMSCHALLPLATTEN.DE HELMHOLTZSTRASSE 59 50825 COLOGNE GERMANY FON ++49 (0)221 7164158 FAX ++57<br />

74


<strong>177</strong><br />

singles<br />

Dominic Petrie - Tomorrow Now EP<br />

[Ingredients Records/RECIPE038]<br />

Wie die erste Schall schluckende<br />

Schneedecke<br />

des Winters legt<br />

sich Dominic Petries<br />

<strong>De</strong>büt-EP<br />

"Tomorrow Now"<br />

über das hektische<br />

Treiben der<br />

Großstadt. Ganz<br />

geheimnisvoll schwoft sie durch die<br />

frostigen Nächte. Alleine, aber nicht<br />

einsam. Sie lädt zum Durchatmen ein<br />

wie eine rote Ampel. Regt zum Nachdenken<br />

an wie eine Arte-Dokumentation.<br />

Ganz sanft tröpfelnder Drum &<br />

Bass, der aber nicht versucht, keiner zu<br />

sein. Liquid jazzig und reduziert soulig<br />

legt Petrie Fährten zu den Boards Of<br />

Canada und LTJ Bukem gleichermaßen.<br />

Ingredients Records wird seiner Rolle<br />

als seismographische Talentschmiede<br />

wieder einmal gerecht und gräbt für uns<br />

diesen jungen Schotten aus. Dabei war<br />

eigentlich nur eine Single geplant. Doch<br />

die <strong>De</strong>mos begeisterten im Hause Ingredients<br />

so sehr, dass das Motto der<br />

EP missbraucht wurde und nun prompt<br />

für alle sieben Stücke herhalten muss,<br />

die Petrie einschickte. Gut so!<br />

ingredientsrecords.blogspot.de<br />

ck<br />

Kirk <strong>De</strong>giorgio -<br />

Unreleased 1991-1992<br />

[Indigo Aera/009 - Rush Hour]<br />

Gerade eben erst hat <strong>De</strong>giorgio ja mit<br />

seinem Album<br />

"Sambatek" ordentlich<br />

und das<br />

erste Mal seit<br />

langem wieder<br />

auf die Bassdrum<br />

gesetzt. Da<br />

bietet es sich an,<br />

den einen oder anderen Track aus den<br />

guten alten Zeiten gleich noch hinterher<br />

zu releasen, wo man doch gerade ein<br />

Sekündchen Aufmerksamkeit hat. 91,<br />

92: Das war ja eh die perfekte Zeit. Und<br />

so zeigen sich die vier Stücke hier als<br />

genau die Portion <strong>De</strong>epness, die man<br />

sich erhofft hatte. Immer zackig in den<br />

Beats, immer unendlich in allem anderen.<br />

Ganz und gar fantastisch und natürlich<br />

um Meilen besser als alles der<br />

Retro-Krabbelgruppe 2013.<br />

thaddi<br />

Close - Wallflower<br />

[!K7 - Alive]<br />

Ich muss zugeben, das Close-Album<br />

ging völlig an mir vorbei. Dieser Track<br />

hier ist mir einfach auch viel zu kitschig.<br />

Aber es geht ja um die Remixe und<br />

Kyle Hall macht seine Sache mit dem<br />

schluffig fein ziselierten Oldschoolgroove<br />

voller warmer Chords und leicht<br />

brüchiger Hintergründe einfach perfekt.<br />

Extrem schimmernd süßlicher Housetrack,<br />

der die Vocals zurückgenommen<br />

aber perfekt einsetzt. Huxley und <strong>De</strong>etron<br />

kommen aber um das eher darke<br />

Pathos des Originals nicht herum.<br />

www.k7.com<br />

bleed<br />

Massprod & Herva - Technology Fail<br />

as a Birth Control for Unnecessary<br />

Recordings<br />

[Kontra-Musik/kmwl006 - Clone]<br />

Das italienische Gespann kann ja den<br />

Stab ganz entspannt<br />

übernehmen,<br />

so wie Frak<br />

auf den bisherigen<br />

KMWL vorgelegt<br />

hat. Dass<br />

das neue Team<br />

nicht aus minder<br />

knorrigem Holz geschnitzt ist, verraten<br />

schon die Tracktitel, und es erweist sich<br />

gleich als Meister kunstvoll verdreckter<br />

Soundästhetik- und Arrangement-Attitüde.<br />

Die zwei A-Seiten-Tracks verführen<br />

mit jazzigem Electrofunk respektive<br />

federnd steppendem House, und kaum<br />

schaut man sich zwischen den Loops<br />

ein bisschen um, sondiert die Percussion,<br />

die als exotischer Kerschel noch<br />

aus der Kolonialzeit rumliegt, etwas genauer,<br />

wechselt das Licht, ein Geheimgang<br />

geht auf, eine Falltür, schon sind<br />

wir mitten in einer abseitigen Giallo-<br />

Episode, in der nichts mehr ist, was es<br />

scheint. Auf der B verstecken wir uns<br />

dann in zwei feuchten Kellern, in denen<br />

in den Neunzigern mal Cheap Records<br />

zu Hause waren, wo wir uns mit einem<br />

minimalen Drum-Workout sammeln,<br />

um uns danach hinzulegen und gehörig<br />

im Acid-Wald zu verlaufen. Bitte genau<br />

so weitermachen.<br />

www.kontra-musik.com<br />

multipara<br />

Matt Tolfrey feat.<br />

Marshall Jefferson - The Truth<br />

[Leftroom/042]<br />

Keine Frage, Geeeman rockt hier alles<br />

in Grund und Boden.<br />

Irgendwie<br />

klingt seine Version<br />

des Tracks<br />

aber auch verdächtig<br />

nach<br />

Arttu. Sind sich<br />

aber eh sehr nah.<br />

Die <strong>De</strong>ep-Vox-Voyage jedenfalls hat alles,<br />

was ein knallig bassiger Killeroldschooltrack<br />

so braucht. Und die Vocals<br />

von Marshall Jefferson könnten keine<br />

bessere Umgebung bekommen. Das<br />

Original ist dagegen irre gestelzt blumiger<br />

Durchschnittsbummeldeephouse.<br />

bleed<br />

Land Shark - Tie Me Up<br />

[Leftroom Limited/034]<br />

Jetzt noch mehr Remixe? 8? Vielleicht<br />

etwas viel. Vor<br />

allem weil der<br />

einzige Remix<br />

hier, der am Ende<br />

doch über sich<br />

hinauswächst,<br />

der Chicken-<br />

Lips-Mix ist und<br />

auch der natürlich schon draußen war.<br />

Wenn ich es richtig sehe, sind die neuen<br />

Mixe hier die von der PBR Streetgang<br />

und Yousef Circus, aber irgendwie sind<br />

die völlig überfrachtet.<br />

bleed<br />

Vessel - Misery Is<br />

A Communicable Disease<br />

[Liberation Technologies/006 - Good<br />

To Go]<br />

Na dann hoffen wir mal, dass sie uns<br />

das nicht übertragen<br />

wollen.<br />

<strong>De</strong>r Titeltrack<br />

knattert mit seiner<br />

brachial<br />

deepen Maschinengewehrästhetik<br />

allem voran<br />

und braucht eine Weile, bis er sich in<br />

den breiten Chords und Harmonien ergeht,<br />

die aus dem kämpferischen Hintergrund<br />

der hämmernden Grooves<br />

eine Beschwörung machen. Kaputter<br />

noch das abenteuerliche "VMI", das mit<br />

quietschigen Trümmersounds aufwartet,<br />

die klingen, als hätte man gerade<br />

erst seinen ersten Synth zusammengeschraubt<br />

und wäre jetzt mitten in den<br />

experimentellsten Phasen der frühen<br />

80er-Exploration gelandet. "Not For <strong>De</strong>sign"<br />

rundet die EP dann mit einem Kaputtnik-Dub<br />

ab, der schleppend und<br />

böse in sich selbst versumpft.<br />

liberationtechnologi.es<br />

bleed<br />

Palms Trax - Equation EP<br />

[Lobster Theremin/LT 001<br />

- Rush Hour]<br />

One for the watchlist. Palms Trax legt<br />

auf dem neuen<br />

Label beeindruckend<br />

vor und<br />

verzaubert vor<br />

allem mit den<br />

beiden Stücken<br />

der A-Seite. <strong>De</strong>r<br />

"Late Jam" ist<br />

mindestens so weich wie das Schnuffeltuch<br />

von Linus, dabei aber eigentlich in<br />

beinhart triolisches 707-Beton gegossen.<br />

Und dass mir niemand mit Darkness<br />

kommt, wenn es um den Titeltrack<br />

geht. <strong>De</strong>r ist einfach nur rot. Und somit<br />

perfekt. "Houses In Motion" ist mir mit<br />

seinen Digitalsounds und vor allem der<br />

großindustriellen Kuhglocken dann<br />

doch arg heftig homogenisiert. Willie<br />

Burns macht das in seinem Remix vom<br />

"Late Jam" dann aber wieder weg. Und<br />

wett. Killer-EP!<br />

thaddi<br />

Le Vinyl & Javi Bora - We Are Back EP<br />

[Liebe * <strong>De</strong>tail/026]<br />

Die vier Tracks der beiden schwanken<br />

zwischen smoothem Housesound mit<br />

Popgesang und latinartigen Perkussiontracks<br />

die schon mal etwas überzogen<br />

in den Samples wirken können.<br />

Klassisch durch und durch wummst das<br />

in den manchmal überdrehten Breaks<br />

doch zu sehr nach einem Schema, dass<br />

man eigentlich überhört hat, aber gerade<br />

auf dem poppigsten Track "True"<br />

überzeugt einen das Vocal einfach so<br />

sehr, dass klar ist, der Track wird ein Hit.<br />

Egal ob die "what you gonna do when<br />

they come for you"-Zeile geklaut ist.<br />

bleed<br />

Jimmy Edgar - Mercurio EP<br />

[LVX003/LVX003]<br />

Die Tracks klingen manchmal wie eine<br />

Mischung aus<br />

solidem Chicagobrachialsound<br />

der ersten Stunde<br />

und einem etwas<br />

versponnen<br />

flausigen Experiment<br />

mit zirpenden<br />

Klängen. Wir stellen uns vor, jemand<br />

hätte "The Original Videoclash"<br />

mit digitalem Voodoo aufgeblasen und<br />

wäre am Ende dennoch bei einem ravenden<br />

Monstertrack gelandet. So ähnlich<br />

funktioniert der "Ultraviolet", während<br />

"Qlinda" eher ein housig orgelndes<br />

Stakkato für Freunde eines frühen New-<br />

York-Sounds ist und der Titeltrack fast<br />

schon booty an seine Reminiszenzen in<br />

digitaler Flausigkeit heran geht. Sehr<br />

sympathisch.<br />

bleed<br />

Anja Schneider - Hey / Rio<br />

[Mobilee - WAS]<br />

Tja. Hm. Warum grüßt Anja Schneider<br />

Ron Hardy? Warum<br />

Chicago?<br />

Sonst nicht ihre<br />

Stärke. <strong>De</strong>r<br />

Groove von<br />

"Hey" ist einfach,<br />

schnippisch, direkt<br />

und funky<br />

und wie erwartet oldschool bis hin zur<br />

Acidbassline. Ein kleiner Oldschoolhit<br />

für zwischendurch. "Rio" geht einen<br />

ähnlich gedämpften ruhigen Weg mit<br />

etwas mehr Melodie im Hintergrund<br />

und rundet die Platte gut ab. Fast<br />

schüchternes Release zur Besinnung.<br />

www.mobilee-records.de<br />

bleed<br />

Katzuma/Souleance - Zoooriginals#2<br />

[Original Culture/OSZOO002]<br />

Ein einfaches Konzept fährt die Non-<br />

Profit-Organisation Original Cultures<br />

hier: 2 Originale von unveröffentlichten<br />

Tunes, eine limitierte 7" und ein visueller<br />

Künstler. In dieser Ausgabe dürfen<br />

Katzuma und das gemeinsame Projekt<br />

von Soulist und Fulgeance ran. <strong>De</strong>r Italiener<br />

gibt uns klassischen House mit<br />

"Hände in die Luft"-Attitüde. Ein Gute-<br />

Laune-Tune mit ordentlich Percussion,<br />

souligen Vocals, treibendem Groove<br />

und schönen Keys. Nichts Neues, aber<br />

bewährte Qualität. Die B-Seite der<br />

beiden Franzosen ist da etwas diffiziler,<br />

aber geht auch ordentlich in die Beine.<br />

Nur eben nicht so gerade, sondern mit<br />

gebrochenen Beats und einer fetten<br />

Bassline. Eine Extended Version des<br />

Katzuma Tunes gibt es im Netz für lau.<br />

www.originalcultures.org<br />

tobi<br />

Drum Talk - Face Like Thunder<br />

[MoreMusic/018]<br />

Sehr trocken im Sound, geht es auf dem<br />

Titeltrack vor allem<br />

um die locker<br />

rollende<br />

Bassline, die<br />

Claps, den ausgewogen<br />

klaren<br />

Killersound aus<br />

Bassline, Stabs<br />

und purer Technoideologie der ersten<br />

Stunde. Ein Fest auch die Bleeps und<br />

der unerwartet poppig überzogene<br />

Donner im Track. "Ratio" ist ein tragisches<br />

Stück verwirrter Orgel in schwankenden<br />

Harmonien mit einem fast paukenartigen<br />

Groove, der in seinen<br />

schmorenden Basslines perfekt aufgeht.<br />

Eine fast albern überdreht lässige<br />

EP, auf der nur der Remix von XXXY irgendwie<br />

banal wirkt.<br />

bleed<br />

Adham Zahran<br />

Spacebound<br />

[Neovinyl Recordings/034]<br />

Einfach und klassisch schleppend in<br />

seinem deepen<br />

Housesound mit<br />

Orgeln, Bässen<br />

bis an die Belastungsgrenze,<br />

Soulvocals und<br />

einem todsicheren<br />

Gespür für<br />

einen sehr langsam lethargisch verführerischen<br />

Aufbau. "Spacebound" ist<br />

natürlich auf die breite detroitige Fläche<br />

aus, "Back To Ryhthm" auf den Funk der<br />

zischelnd verliebten Intensität auf dem<br />

Floor, die ebenso alles aus der ersten<br />

tiefsten <strong>De</strong>troiterinnerung zieht, aber<br />

dennoch gefällt mir das dunkle klappernde<br />

"On My Own" am besten, das<br />

mich bis in die Rimshots und Flächen<br />

an die frühen Fragile-Releases erinnert.<br />

Ein Fest für alle, die klassische<br />

<strong>De</strong>troitsounds immer noch wie am ersten<br />

Tag lieben.<br />

bleed<br />

Myles Serge / Whim-ee - You Like It D<br />

[Night Drive Music/030 - <strong>De</strong>cks]<br />

Myles Serge und Whim-ee teilen sich<br />

diese wundervoll<br />

harmonische<br />

House-EP mit 4<br />

Tracks, die vom<br />

ersten Moment<br />

an in diesem<br />

warmem smooth<br />

gleitenden<br />

Sound gefangen sind, der einen auf den<br />

Floor mehr noch entführt als zwingt.<br />

Beide Tracks mit diesem sicheren Gefühl<br />

immer genau den richtigen Ton zu<br />

treffen und bei aller Sanftheit dennoch<br />

zu slammen, und die gegenseitigen Remixe<br />

sind ebenso bezaubernd. Schlichte<br />

und durch und durch schöne Platte.<br />

www.night-drive-music.com<br />

bleed<br />

Objekt - Agnes <strong>De</strong>mise / Fishbone<br />

[Objekt/003]<br />

Was für ein Irrsinnssound. Zerrig spröde<br />

Bassdrums,<br />

sphärische Hintergründe,<br />

klassische<br />

frühe<br />

Post-Aphex-<br />

Schule könnte<br />

man denken,<br />

aber dann wird<br />

das Geschnatter immer wilder, die<br />

Sounds sehr verdreht und gespenstisch<br />

und der Groove am Ende doch purer<br />

Funk. Zwei abenteuerliche Tracks aus<br />

den Tiefen einer Szene, die wir schon<br />

fast vergessen hatten.<br />

bleed<br />

Limo - My Sunday EP<br />

[Out-Er/009]<br />

Limo beginnt seine EP sehr zuckrig, mit<br />

einem fast ambienten<br />

Stück und<br />

lässt sich erst<br />

danach auf die<br />

treibend kickenden<br />

Bässe und<br />

Chords ein, die<br />

seinen Sound<br />

sonst so ausmachen, und sich hier auf<br />

"Based" noch mit perfekt gebogenen<br />

Acidlines paren. Treibende trockene<br />

Grooves mit satten brilliant rockenden<br />

Bässen und darken Vocals bestimmen<br />

auch den Roman-Lindau-Remix, der<br />

dieses treibend massive Gefühl, dass es<br />

hier um nichts weiter geht, als die Konzentration<br />

auf diesen einmal gefundenen<br />

Groove, auf die Spitze treibt.<br />

bleed<br />

North Lakes - Moonwalker EP<br />

[Phonica/009 - WAS]<br />

Mir ist nicht so ganz klar, warum diesen<br />

Monat alle beschlossen haben, die alten<br />

Synths der 70er wieder herauszuholen<br />

und in den Hooklines die merkwürdigsten<br />

Progressive Rock Epigonen<br />

übertreffen zu wollen. Ist aber so. Auch<br />

75


<strong>177</strong> — reviews<br />

Singles<br />

hier. North Lakes "Marlborol Noir" genießt seine Arps bis zum<br />

Umfallen und säuselt in breitem Kitsch zu einem eher nebensächlichen<br />

Groove. "Suomi Kutsuu" ist ähnlich verträumt und<br />

kitschig und auch "Moonwalker" könnte für einen blumigen<br />

SciFi aus den 70ern als Titelmelodie herhalten, selbst die<br />

Drummachines mit ihren Voreinstellungspatterns passen hier<br />

perfekt.<br />

www.phonicarecords.com<br />

bleed<br />

Ambassadeurs - Alone In The Light EP<br />

[Pilot Records]<br />

Ziemlich grandiose quietschiger Wahnsinn den dieses "Ardour"<br />

da anzettelt. Smoothe Basswelten<br />

mit eirigen Melodien und einer<br />

Grundstimmung und Vocals die klingen<br />

als hätte jemand auf Breakbeatbasis die<br />

Cocteau Twins neuerfinden wollen. Mit<br />

aller Süße und allem Glanz, dieser Naivität<br />

der leicht esoterischen Begeisterung<br />

und den noch einem etwas überzogen<br />

orchestralen Funk. Die EP geht auch weiter in diese<br />

Richtung, lässt die Stimmen ganz dünn säuseln und unterfüttert<br />

sie mit zu viel harmonischem Bass, lässt alles ganz groß<br />

inszenieren, nähert sich dabei aber oft einen Schritt zu sehr<br />

einem etwas willentlich aufgenommenen Popgestus, der den<br />

Stücken viel von ihrer Intensität entzieht.<br />

bleed<br />

Daso - Awake At Night EP<br />

[Private Gold/006 - WAS]<br />

Daso kann Kitsch. Immer wieder schleicht er sich von einer<br />

anderen Seite an die Harmonien heran,<br />

lässt sie wie Butter zergehen und scheut<br />

selbst vor einem zarten Hauch Autotune<br />

nicht zurück. Während der Titeltrack<br />

sich diesem Zuckersüßen widmet, wird<br />

es auf der Rückseite aber einen satten<br />

Hauch zu trancig. Wirklich.<br />

bleed<br />

Daze Maxim - drf<br />

[Randform/003 - Intergroove]<br />

Eigentümlich erstickt wirken die abstrakten Grooves von Daze<br />

Maxim hier. Schnippisch gegen den<br />

Strom geschwommen. Lange Exkursionen<br />

in Konzentration auf diesen einen<br />

Loop voller kantigem Swing. Zwei Stücke<br />

die egal ob auf den Funk oder die<br />

Harmonie konzentriert, sehr in sich verschlossen<br />

bleiben, aber doch einen unausweichlichen<br />

Charme vermitteln.<br />

bleed<br />

Rhythmic Theory - Siren Song<br />

[Rhythmic Theory/002 - Hardwax]<br />

Mit ordentlich Distortion schunkelt es sich doch einfach besser.<br />

Oder? Wer nein sagt, muss nicht<br />

weiterlesen. Bristol auf Overdrive. Dabei<br />

aber gar nicht so trocken, wie man jetzt<br />

vielleicht vermuten könnte. Zumindest<br />

die A-Seite, vielleicht inspiriert vom fast<br />

gleichnamigen Buckley-Song, kuschelt<br />

mit einem digitalen Etwas ziemlich verfiltert<br />

ganz nah ran an die Essenz. Und<br />

"Genesis" ist der Urknall, den der Titel verspricht. Sehr gut!<br />

thaddi<br />

The Revenge - <strong>Bug</strong>les Of Truth EP<br />

[Roar Groove/004]<br />

The Revenge stehen ja immer für sehr synthbeladene Downtempotracks,<br />

die in schleppender<br />

Glückseeligkeit das perfekte Gefühl<br />

zwischen Oldschool und Reminiszenzkitsch<br />

ausloten und dabei dennoch nie<br />

peinlich sind. Das geschieht auch auf<br />

den 4 Tracks der EP immer wieder und<br />

schwingt sich lässig mit warmen melodischen<br />

Basslines schnell in himmlische<br />

Höhen auf. "Close Encounters Of The Casual Kind" ist so<br />

etwas wie das Motto. Nähe, Lässigkeit, Wärme, alles wie zufällig,<br />

alles wie in einem Glücksfall des Moments eingefangen<br />

und die Euphorie so breit und zeitlos wie man es sich auf dem<br />

ruhigsten Floor wünscht. Ein Traum der sich selbst erfüllt.<br />

"MDMF" ist mir einen Hauch zu nah an frühen wavigen Discoabwegen<br />

aber mit "Oot Yer Nut" und dem mythischen "Can't<br />

Get You Out Of My Mind" Sample zu knuffig knorrigen Funkgrooves<br />

der ersten Chicagozeiten die nicht weit von DBX entfernt<br />

sind, rockt sich das alles wieder gerade. <strong>De</strong>n blumigen<br />

Abschluss findet die EP dann auf dem Track mit Jesse Rennix<br />

der geradezu in sanften Housechords zerfliesst.<br />

bleed<br />

Alci - Early Beginnings Part 3<br />

[Robsoul/128]<br />

Die Tracks von Alci sind immer perfekt ausgelotete <strong>De</strong>ephouse<br />

Swinger mit extrem smoothen Grooves und einem Hang ein<br />

zentrales Sample fast in Wildpitch-Art durchzuschleifen und<br />

dabei dennoch nicht auf der Stelle zu bleiben. Lässige Beats,<br />

dezente Jazzanklänge, diskreter Funk. Manchmal ist das mehr<br />

als genug und flattert so überragend schlicht, aber dennoch<br />

voller Intensität über den Floor, dass es immer stimmt.<br />

www.robsoulrecordings.com<br />

bleed<br />

Cosmin TRG - Panoramic EP<br />

[Running Back/RBTRG-1 - WAS]<br />

Ein perfekt arrangiertes Handausrutschen. Cosmin lässt<br />

flattern. Auf dem Titeltrack mit Restgeräusch unten und pointierten<br />

Verschiebungen oben. Eine ausgesprochen trockene<br />

Angelegenheit, bei der nur die HiHats die adäquate Portion<br />

Nässe ausschütten und einen rundum zufriedenen Bounce<br />

zurücklassen. "Belvedere" rauscht an uns vorbei wie ein ICE<br />

an der wartenden Regionalbahn in Kleinkleckerdorf. Nächster<br />

Halt: Peak! Später landet dann noch eine Boeing auf der Hochgeschwindigkeitstraße,<br />

aber da sind die meisten DJs schon<br />

beim nächsten Track. "Aurora" leuchtet hell, kultiviert das<br />

Schnarren der Unendlichkeit und presst es praktischerweise<br />

gleich noch in die kleinsten Getränkedosen der Weltgeschichte.<br />

Ein Mal deepness on the rocks? Und bitte.<br />

www.running-back.com<br />

thaddi<br />

Rodney Barkerr - Rockin' House<br />

[Rushhour/RH 019 - Rush Hour]<br />

Vier Mal blubbernder Oldschool aus Chicago. Ein "lost gem",<br />

wie man so sagt, Tracks, die es nie über ein paar White Labels<br />

hinaus geschafft haben. Und die waren teuer. Dann doch lieber<br />

richtig releasen. So ein Sound, der wird nie alt. Jackt, rockt und<br />

Herr Barkerr (wofür das zweite R steht, bleibt unklar) hat ein<br />

derartig sicheres Händchen für die Filtersweeps, dass es eine<br />

reine Freude ist. Jackt. Rockt. Funkt. Aber, und das ist das Tolle,<br />

nie in die Tiefe, sondern immer nur nach vorn. Und vielleicht<br />

auch ein bisschen in die Breite.<br />

www.rushhour.nl<br />

thaddi<br />

Indigo - The Storm<br />

[Samurai Red Seal/REDSEAL022]<br />

Ein Hoch auf die Geschichte. Während sich Liam Blackburn<br />

ruhig und überlegt auf Apollo austobt, geht es hier um reine<br />

Oldschool-Energie. D&B, Half-Step, nennt es wie ihr wollt.<br />

"Spirit Of The Winds" (mit Versa) ist soweit draußen wie der<br />

Teil des Universums, aus dem Source Direct nie zurückgekehrt<br />

sind. Und funktioniert doch eben komplett anders. Zum Glück.<br />

Das liegt nicht nur daran, dass falsches Timestretching heute<br />

einfach immer noch besser klingt als 1995. <strong>De</strong>r Titeltrack dann<br />

ist ganz nah dran am reduzierten Zeitgeschehen des Post-Everything.<br />

Und "Condition" ist ein Hilferuf der besonderen Art.<br />

Lieber Sven Weisemann, komm nach Manchester und mach<br />

mit mir Musik. Unsere vier Hände können die Welt verändern.<br />

Da warte ich jetzt mal drauf.<br />

www.surus.co.uk/samurai-music<br />

thaddi<br />

Manuel Belgrano - Stoned In Tandil Ep<br />

[Savordigital/009]<br />

Funky wie ein Bremsstreifen auf der Autobahn. <strong>De</strong>r Titeltrack<br />

rollt und rollt, lässt seinen Bass und den<br />

wuscheligen Congas viel Auslauf, sammelt<br />

sich in einem Energiebündel aus<br />

purem Flow, und genau diesen Sound<br />

zieht die EP auch weiter durch. Bollernd,<br />

leicht plastilinartig, schwergewichtig,<br />

aber mit Finesse und immer bedacht<br />

auf dieses dunkle Rollen der Beats, die<br />

hier einfach alles sind. Musik wie aus der Wüste der endlosen<br />

Fahrten durch den einzigen Tunnel.<br />

bleed<br />

Samuli Kemppi - A Last Day On Earth<br />

[SCR Dark Series/004]<br />

3 darke in sich verschlossene Technomonster mit leichten<br />

Acidanklängen, die perfekt gewesen<br />

wären für die Zeit, als man Techno noch<br />

in verlassenen Warehouses mit viel<br />

Strobo und Nebel gefeiert hat. Nicht<br />

stampfig, sondern sequentiell vielseitig,<br />

schleichend und immer eher auf die<br />

abseitig außerweltliche Stimmung geeicht,<br />

nie zu dark oder willentlich depressiv,<br />

sondern eher von diesem dunklen inneren Funk beseelt,<br />

der solche Tracks immer wieder zeitlos machen kann.<br />

bleed<br />

Skirt - Wish In The Maze<br />

[Semantica/SEMANTICA28]<br />

Eine eingängige, verheißungsvolle Grundrhythmik, eine graudunkle,<br />

intensive Grundstimmung.<br />

Dazu eine tiefenlastige Avant-Techno/<br />

Computer-Music-Bassdrum, besonders<br />

langsam schlagend, perfekt in den<br />

größeren Kontext des Stücks eingesetzt,<br />

sowie eine schnell pulsierende,<br />

unnachgiebig nach vorne drängende<br />

und doch eher dezente HiHat. So lässt<br />

sich Skirts Stück "Wish In The Maze" in Kürze zusammenfassen.<br />

Besonders gelungen sind zudem die beiden Remixversionen<br />

von Inigo Kennedy bzw. Ancient Methods, die die "Ambivalenz“<br />

der Tempi der Bassdrum bzw. Hi-Hat, die einander<br />

jedoch gut ergänzen, ja sogar befruchten, ausdeuten, weiterdenken<br />

und in ihrer jeweiligen Form überspitzen. So wird der<br />

Ancient-Methods-Remix – natürlich - ein Stück zerstörter,<br />

schneller und härter als die Ursprungsversion. Die Grundidee<br />

– die Grundrhythmik – bleibt aber bei allen Stücken erhalten.<br />

Eine EP mit hohem Wiedererkennungswert.<br />

jonas<br />

&ME - Blitz / Number 9<br />

[Saved/009]<br />

Die neue &ME ist extrem konzentriert. Wogende Bässe, die<br />

fast entkernt wirken, schwere stapfige Grooves, die noch tiefer<br />

in den Sound hineinsteigen, knarrige Basslines ganz weit<br />

unten. Alles wirkt hier, als wolle es sich vom ersten Moment<br />

an ganz in diesem Phantasma aus krabbelnd warm versponnenem<br />

Sound einsinken lassen, der am Ende irgendwie immer<br />

experimenteller wirkt, so, als hätte wer einen Blick zu tief in<br />

die Chips gemacht, wäre dabei dennoch voller Eleganz und<br />

Spannung auf die Huldigung der Elektrizität konzentriert. Ein<br />

Monster in tiefster Konzentration. "Number 9" führt diesen<br />

groovend abstrakten Sound dann mit tänzelnderer Grundstimmung<br />

weiter aus, schwebt erhaben, wie es nur &ME kann, auf<br />

diesem Gewebe aus Groove und Sound, das immer verrückter<br />

wird, auch wenn man es gar nicht merkt, und am Ende hat<br />

man das Gefühl, &ME moduliere den Klang eher, töpferte ihn,<br />

greife tief in den Sound und gebe ihm eine unwahrscheinliche<br />

Gestalt. Gespenstische Platte. Gespenstisch gut und in einer<br />

ganz eigenen Welt angekommen.<br />

bleed<br />

Cesare vs. Disorder - Wide Close Ep<br />

[Serialism/021]<br />

Funky und ausgelassen ravend legt die EP mit "Karaoke Tokyo"<br />

erst mal ganz unbefangen los und bewegt<br />

sich Stück für Stück in immer<br />

abenteuerlichere Melodien und Syntheskapaden<br />

die klingen, als hätte jemand<br />

einen Soundtrack für "The Blade<br />

Runner" schreiben wollen, aber den<br />

Film in ein Feld von Gänseblümchen<br />

versetzt. "Running Late" ist ähnlich<br />

überdreht in den Melodien, aber knatterig funkiger und rast<br />

eher auf sein Ziel zu. <strong>De</strong>r Track mit Quenum, "Just For Fun", ist<br />

ein pulsierend flackernder Soultrack wider Willen, der ein Mal<br />

mehr zeigt, dass hier die Idee im Vordergrund steht. "<strong>De</strong>vils<br />

Lettuce" rundet dieses EP voller überfrachtet spleeniger Synthideen<br />

perfekt ab. Dazu noch ein slammender Remix von<br />

Maayan Nidam für "Karaoke Tokyo", der auf seine ganz eigene<br />

Weise verdreht und kaputt ist.<br />

bleed<br />

Bimas, Mennie, Ghengis Khan & Bill Kill - Raw Cuts Vol. 1<br />

[Snatch Records]<br />

Drei dreist unverschämte Tracks mit überzogenenen Beats,<br />

bollernden Basslines, stampfigen Grooves, dreckigen Vocals<br />

und dieser Wand aus Bass, die alles klingen lässt, als wäre<br />

es so angezurrt überfettet, dass man sich die Bassbins am<br />

liebsten um die Ohren hauen möchte. Prollig und irgendwie in<br />

seiner Dreistigkeit verflixt gut.<br />

bleed<br />

Chris Page - Pronic EP<br />

[Sonntag Morgen/030]<br />

Sonntag Morgen ist immer wieder ein Garant für kompromisslos<br />

darke aber doch solide treibende<br />

Technotracks und hier kommt Chris<br />

Page mit zwei wallenden Monstern in<br />

denen sich die Bassdrums überschlagen<br />

und die Tiefen mit einem satten<br />

Wummern ausgelotet werden. Stellenweise<br />

ist der Sound wie auf "Slug Cherry"<br />

fast erstickend dicht und der Kampf<br />

um die Techno-Krieger wirkt wie fast in den letzten Zügen, aber<br />

die Tragik ist durchaus etwas, das man genießen kann. <strong>De</strong>nnoch<br />

gefällt mir der funkig zischelnde Remix von Jay Clarke am<br />

besten, der aus "The Last Mrs Tanqueray" einen Sound macht,<br />

der in seiner Intensität manchen frühen Robert Hood Tracks<br />

nahe kommt.<br />

bleed<br />

Christian Burkhardt - Sent The Money Back<br />

[Souvenir/059 - WAS]<br />

Eigenwillig, wie sich Christian Burkhardt immer mehr zu jemand<br />

entwickelt hat, der vor allem mit<br />

unterschwellig melodisch glücklichen<br />

Tracks abräumt. <strong>De</strong>r Titeltrack mit seinen<br />

verwuselten Vocals und der unverschämt<br />

poppigen Bassline z.B. genießt<br />

diese Stimmung einfach, und auch das<br />

zögerlichere "Grace" ist von diesem<br />

knuffig klingelnden Sound ganz gefangen.<br />

"Keep It Dirty" ist irgendwie noch in einem Sound gefangen,<br />

in dem es vor allem darum geht, die Beats so richtig fett zu<br />

machen und wirkt etwas unentschlossen, ob es damit nun<br />

dark losraven soll, oder eher sanft pathetisch dahindriften.<br />

www.souvenir-music.com<br />

bleed<br />

V.A.<br />

[Studio R/002]<br />

Die scheinen das ernst zu meinen. Alles andere wäre auch eine<br />

Katastrophe gewesen. Nach dem fulminanten<br />

ersten Teil der Compilation-Serie.<br />

Während das Kerngeschäft, der<br />

Stream im Netz, uns von der echten<br />

Welt entkoppelt, setzen die R-Macher<br />

hier auf Vinyl. Thankfully. Dieses Mal<br />

dabei: Soulphiction, der, nicht nur wegen<br />

der französischen Sprache, irgendwie<br />

die Geschichte von Fnac Dance Division endlich weiterdenkt.<br />

Oder einfach nur zu viel Navarre gehört hat in letzter<br />

Zeit: nie verkehrt. Es folgt Daniel Stefanik mit seiner Ode "studio<br />

r", an die Originators also. Mit viel Wind in den Chords und<br />

einer entspannten Hektik, wie sie nur die 909 produzieren<br />

kann, wenn die alte Maschine einfach zu viel auf ein Mal spielen<br />

muss. Genial und latent slammend. Dann: Freund der Familie.<br />

Die treten mit "Kantine" endgültig das Erbe von Chain<br />

Reaction an, bringen gleich Zitronenkuchen mit, um Missverständnisse<br />

zu vermeiden, entlauben die Dubs und vergewissern<br />

sich dabei immer, dass das Agent Orange auch ordentlich<br />

recycled wird. Schließlich kommt noch Doyek mit dem "Night<br />

Park" zum Zuge, einem freundlich und dunkel-schimmernden<br />

Klopfer, der seine Sweeps wie eine Achterbahnfahrt in Zeitlupe<br />

arrangiert und ab sofort auf dem Zettel der Unendlichkeit<br />

steht.<br />

thaddi<br />

DJ Spider & Marshallito - Propaganda For The <strong>De</strong>vil<br />

[Subbass/003]<br />

Wenn das Kind im Echo verschwindet, hat die Bombe schon<br />

ihren Job erledigt. Kalt und öde liegt die<br />

Welt da, nur noch bespielt von einem<br />

Bass, der weit und breit keine Magengrube<br />

mehr findet, die er grummeln<br />

lassen kann. Früher gingen EBM-Konzerte<br />

so los. Dunkel, Nebel, Samples.<br />

Das war meist besser als die Gigs<br />

selbst. Gilt auch für "Wordly Suffering".<br />

<strong>De</strong>r "Enemy Of God" ist da schon fast gewöhnlich, auch wenn<br />

der Dub ähnlich tapeszenig schlackert. Die B-Seite dann bietet<br />

ein ganz anderes Raumklima. Krude, aber freundlich, fast<br />

schon deep auf die Nachmittagstour. Am besten dann sicherlich<br />

die B2 "Fallen Angel". Aus echtem Move-D-Klopapier.<br />

thaddi<br />

Einstürzende Neubauten & Perc - Stahldub Interpretations<br />

[Submit/001]<br />

Ulkige Idee. Diese Stahldub-Versionen waren mir völlig entgangen.<br />

Damals. Ach. Kollaps reichte<br />

aber auch schon, um einem die Welt zu<br />

zertrümmern. <strong>De</strong>nnoch. Perc hat sie<br />

ausgegraben und macht nun wiederum<br />

4 eigene Versionen daraus, die natürlich<br />

vom ersten Moment an leicht stählern,<br />

aber auch etwas verzückter glitzern und<br />

mit einer abenteuerlichen Wucht lostrümmern.<br />

Hart. Industriell ohne Ende, aber irgendwie auch<br />

durch und durch phantastisch in der gelegentliche Größe, zu<br />

der sich die Stücke mittendrin schon mal aufschwingen können.<br />

bleed<br />

Headless Ghost - 77 EP<br />

[Tamed Musiq/TMQ 006 - Clone]<br />

Ripperton allein zu Haus. Nach den Slammern auf Clone -<br />

neulich erst - jetzt wieder auf dem eigenen Label. Und die drei<br />

Tracks ("11", "22" und "44") wirken wie eine Abrechnung mit<br />

der ausufernden Welt. Konzentriert auf die Basics, rockt sich<br />

der Schweizer von A nach C über D und lässt B eben ganz bewusst<br />

aus. Das merkt man erst Schritt für Schritt, wenn man<br />

die einfachen Konstrukte im Kopf immer schon einen Schritt<br />

weiterdenkt und dann plötzlich auf dem Abstellgleis steht.<br />

Niemand da. Ripperton auf jeden Fall nicht. <strong>De</strong>r ist ganz woanders<br />

abgebogen und genau das macht diese EP so groß. Unerwartete<br />

Einfachheit. Molekulare Durchdringung. 10 - Hello,<br />

Ripperton. 20 - goto 10. Run.<br />

thaddi<br />

Zoé Zoe - Twista EP<br />

[Telefonplan Records/001]<br />

Das <strong>De</strong>but des Labels kommt mit drei verdrehten Technotracks<br />

der außergewöhnlichen Art. Knochig aber nie scheppernd<br />

treiben die Grooves die leicht panischen aber doch mit<br />

vielen Melodien durchsetzten Stücke voran und führen in eine<br />

ausweglose aber doch mit Humor genommene Darkness, die<br />

ihren klapprigen Funk sichtlich genießt.<br />

bleed<br />

Stello Gala<br />

Body Rock Ep<br />

[Tenampa Recordings]<br />

Ich muss zugeben, der Titeltrack der EP reizt mich überhaupt<br />

nicht, aber dafür gibt es mit "Love and Sound" einen brilliant<br />

stampfig smoothen Killertrack, der sich ganz auf eine feine<br />

Melodie konzentriert und rings herum mit kleinen Geräuschen<br />

und Hallräumen spielt, die so elegant auf und ab ebben, dass<br />

es eine reine Freude ist. Und auch der grandiose ravende<br />

Stabtechno-Track "Stabtech" ist nicht mehr als er verspricht,<br />

macht das aber einfach ebenso lässig und direkt, dass man<br />

den Floor förmlich unter der ausgelassenen Wucht des Stücks<br />

explodieren sieht.<br />

bleed<br />

Paul Mac<br />

Grand Statement EP<br />

[Teng/011]<br />

Teng ist ein ulkiges Label. Von Nubian Mindz bis Paul Mac ist<br />

es ein weiter Weg. "92 Ways Of Acid" ist natürlich auch Oldschool,<br />

erinnert sich an die Zeit so rings um 1992, als Breaks<br />

und Techno noch nicht so ganz auseinandergedriftet waren<br />

und kickt mit wilden Acidbasslines und funky Breaks der einfachsten<br />

Art, ist aber doch eher einen Hauch stampfig. Gut.<br />

Auch das gehört zu Rave. <strong>De</strong>r Rest der EP wuchert dann aus<br />

in tiefe Basslinetrance der lässig wummernden Art, das einen<br />

selbst noch an frühe erste härtere Acidtracks aus den USA<br />

erinnert. <strong>De</strong>r Jorge Zamacona Remix passt in dieses Bild allerdings<br />

überhaupt nicht hinein.<br />

bleed<br />

Mgun - Some Tracks<br />

[Third Ear Recordings/3EEP]<br />

Mgun kann ganz schön böse loskicken. Stur fast schon. Maschinen<br />

an und losgefeuert, hier und da<br />

moduliert und schon ist das Stampfen<br />

eine Offenbarung. Das beherrscht er.<br />

Lapidar wie es auf den ersten Blick<br />

klingt, verwandelt sich die EP aber nach<br />

und nach in ein versponnenes Synthkleinod,<br />

in dem es vor allem um die<br />

süßlich zauseligen Melodien im Einklang<br />

mit kaputt gezerrten Beats geht, und da wirkt Mgun<br />

dann auf ein Mal so, als wäre er einer dieser vergessenen Helden<br />

aus den Urzeiten der Elektronik, die man gerade erst wiederentdeckt<br />

hat. Eigenwillige Zusammenstellung von Tracks,<br />

bei der man sich vielleicht etwas mehr Konzentration gewünscht<br />

hätte, am Ende aber doch vor Glück mitstrahlt.<br />

bleed<br />

76


<strong>177</strong><br />

singles<br />

Carter Bros - Run<br />

[The Classic Music Company/166D]<br />

<strong>De</strong>r Track erschien schon ein Mal auf einer EP von Monty Lukes<br />

Black Catalogue Label, deshalb<br />

wundert es auch nicht, dass Monty hier<br />

einen eigenen Remix beisteuert. Und<br />

der ist auch der Killer der EP. Die Raggaehousenummer<br />

bekommt in seinem<br />

endlosen Wildpitch das dubbigeste und<br />

weitläufigste Flair, im Solomon Remix<br />

ist etwas viel Synthgefussel, aber das<br />

Orginal mit seinen explodierenden kurzen Vocals ist irgendwie<br />

immer noch ein sehr eigenwilliger Burner für alle die jamaicanische<br />

Vocals einfach über alles lieben.<br />

bleed<br />

The Transhumans - Pleasure And Pain Theory And Practice<br />

Of Domination Vol II<br />

[Transhuman/TH 005 - Rush Hour]<br />

Ha, der Titel ist länger als die Review. Wer noch mal "Industrial<br />

Techno" sagt, bekommt aufs Maul. Was ein Scheiß.<br />

thaddi<br />

Quantic/Nidia Gongora - Muevelo Negro/Nangita<br />

[Truthoughts/TRU283 - Groove Attack]<br />

Will Holland alias Quantic meldet sich solo zurück und hat eine<br />

Weggefährtin der letzten Jahre im Gepäck. Nidia Gongora aus<br />

Timbiquí in Kolumbien, die Insider aus der Combo Bárbaro und<br />

Ondatropica kennen, singt auf den beiden Tunes dieser Singleauskopplung.<br />

<strong>De</strong>r Produzent wohnt ja inzwischen in Bogota<br />

und hat die lokalen Musiktraditionen in sich aufgesogen. Hier<br />

entfernt er sich ein Stück weit vom organischen Sound der vorherigen<br />

Produktionen, baut aber auf die Rhythmik pazifischer<br />

Musik in Kolumbien, die Curulao genannt wird. Dazu gehört<br />

auch ein Chor mit weiblichen Stimmen und Percussion aus<br />

der Region. Die Tunes hat Mister Holland in DJ-Sets getestet<br />

und veröffentlichenswert gefunden. Die 6/8-Rhythmen sind ja<br />

auch nicht so einfach mit Elektronik zu kombinieren. Funktioniert<br />

aber, als Bonus gibt es die Instrumentals und Accapellas<br />

obendrauf.<br />

www.tru-thoughts.co.uk<br />

tobi<br />

Cuthead - Everlasting Sunday<br />

[Uncanny Valley/UV019 - Clone]<br />

Es geht um Glitter. Einzig und ausschließlich. Verkleidet als<br />

House auf der A-Seite, als HipHop auf<br />

der B-Seite. Eine EP, neun Tracks. Und<br />

würde Cuthead singen, gäbe es reichlich<br />

Instrumentals. So nah dran, so oldschool<br />

ist die neue EP. Glitter also. Nicht<br />

am Baum, sondern im Flirren. An der<br />

emulierten Harfe, im Sample des achtsamen<br />

Herunterschreitens der gewundenen<br />

Panorama-Treppe, in wunderschönen Schuhen mit<br />

noch schönerem Lächeln. Wie das eben so ist an diesen nicht<br />

enden wollenden Sonntagen. An denen Mark Pritchard kurz<br />

reinschaut, um endlich den Speak&Spell zurückzubringen,<br />

den er sich seit der ersten Harmonic-313-EP gemopst hatte.<br />

Wenn Bassdrums mit den getupften Chords tanzen. Wenn der<br />

Kakao besser schmeckt denn je und die Plattennadel entstaubt<br />

wird und wieder glasklar durch den Groove fährt. So<br />

klingt Cuthead 2013. Nicht wie "Vibratin'", aber irgendwie<br />

dann doch und immer sowieso viel mehr.<br />

www.uncannyvalley.de<br />

thaddi<br />

Satoshi Fumi - Open Sesame<br />

[Unknown Season/003]<br />

Die Tracks von Satoshi Fumi haben öfter etwas von <strong>De</strong>signer-<br />

<strong>De</strong>troit. Hier jedenfalls durch und durch.<br />

Sehr klar in den Sounds summen sich<br />

die beiden Stücke direkt auf den Höhepunkt<br />

ein, bleiben dort hängen und verströmen<br />

vor allem dieses Licht der<br />

schönen Harmonien und Melodien, das<br />

solche Tracks immer wieder zu einem<br />

perfekten Highlight machen kann.<br />

Selbst das kleine kitschig trällernde Piano als Tupfer ganz oben<br />

fehlt hier nicht. Musik für Melancholiker, die ihren <strong>De</strong>troitsound<br />

bunt und blumig lieben.<br />

bleed<br />

Mark Pritchard - Lock Off EP<br />

[Warp/WAP349 - Rough Trade]<br />

Mark Pritchard war in den frühen 90er Jahren zusammen mit<br />

Tom Middleton "Reload", "Global Communication"<br />

und "Jedi Knights", mit<br />

Steve White "Africa Hi Tech", und solo<br />

"Harmonic 313". Jetzt veröffentlicht er<br />

unter seinem Geburtsnamen den zweiten<br />

Teil einer Trilogie bei Warp. Stilistisch<br />

geht er es hier recht breit gefächert<br />

an. <strong>De</strong>r Jungle-Eröffnungstrack<br />

präsentiert die beiden Altvorderen Ragga Twins und trabt<br />

mächtig vorwärts. Danach gibt’s feinen Hip-Hop-Trap samt<br />

Dancehallsirene und Ghetto-Atmo, rappelig Footwork-artiges<br />

und mit dem Titeltrack einen wirklich großartigen Junglegrimefootwork-Rundumschlag.<br />

Teil drei kann kommen!<br />

www.warp.net<br />

asb<br />

Volta Cab - I Cannot Sleep<br />

[Voyeurhythm/VR 013 - Rush Hour]<br />

Ganz arg viele Bekannte in diesen Tracks. Also: Sounds. Snippets,<br />

Loops, Gefühle. Und natürlich<br />

Samples als Grundgerüst von allem. So<br />

geht Russland. Wenn die besseren<br />

Holzbläser aus Plastik sind, lacht die<br />

Sonne und der Floor brummt. Hier mal<br />

reingebissen, Faithless?<br />

thaddi<br />

House Reverends - Drivetime EP<br />

[Well Rounded Individuals/007]<br />

Was für ein grandioser Kitsch. <strong>De</strong>r Titeltrack der EP klingt wie<br />

eine schmachtende 70er-Band in<br />

durchweichtem Soundbrei einer wuscheligen<br />

Houseband auf Retrooverdrive,<br />

und auch das Material Girl auf<br />

"Girl I Know" kennt keine Furcht vor<br />

dem flapsigen Orchestersound in brüchig<br />

knuffigem Hallwahn. Diese Vocals,<br />

runtergredeht und mit dem Soul einer<br />

kaputten Autotunewaschanlage versetzt, machen das ganze<br />

auch nur noch merkwürdiger. Schräg, sehr schräg. Für kaputte<br />

Discoafficionados.<br />

bleed<br />

Cormac - Is This Love EP<br />

[Wetyourself!/019]<br />

Cormac singt etwas zu gerne. Die Tracks bekommen durch die<br />

leicht abwegig darken Vocals immer etwas<br />

von Grace-Jones-Disco, auch<br />

wenn sie im Sound eher abstrakt und<br />

funky sind und die wenigen Elemente<br />

eigentlich perfekt konstruiert losgrooven.<br />

Verlassen wirkt das, tragisch, aber<br />

die Sounds sind so gut und perlend<br />

konkret tuschelnd, dass man da gerne<br />

drüber hinwegsieht und sich nach und nach immer tiefer in die<br />

Stücke einkuschelt. Am besten mit dem eher auf Stimmfragmente<br />

und Spoken Word basierenden Dubmonster "Tone Alone",<br />

das dem Stück durch die Stimmen eine breitere Dimension<br />

gibt und dem phantastischen Oldschool-Slammer "Who<br />

Funk". Knatternd und überschwänglich mit einem so sicher in<br />

der Vergangenheit aufgehobenen Groove, dass man einfach<br />

besinnungslos mitgeht.<br />

bleed<br />

Akabu & Giom feat. Kadija Kimara - Again<br />

[Z Records/12197]<br />

Irgendwie am sympathischsten im Dub, der mit seinen Soulvocals<br />

und dem tänzelnd dichten Groove vom ersten Moment an<br />

flausig und leicht überdreht auf einen so gut gelaunten Groove<br />

zusteuert, dass man die Sonne über der Bronx aufgehen hört.<br />

<strong>De</strong>r Giom-Mix übertreibt es dann etwas mit der discoiden<br />

Poppigkeit, auch der wummernde Joey-Negro-Strip-Mix ist<br />

einen Hauch zu sehr Handtasche. Sehr abstrakte Disco aber<br />

bleiben alle.<br />

bleed<br />

Mak & Pasteman - Brown Bread / Drowning<br />

[Naked Naked/006]<br />

Was genau mag in den beiden vorgehen. Diese darken abgehackten<br />

Stimmen, die kurz anreißen<br />

was nicht ist. Diese stapfigen Grooves<br />

und Beats, die zwischen den tragend<br />

schwärmerischen Sphären wie kämpfend<br />

losstapfen. Diese Verlassenheit der<br />

Stimmung, die sich selbst unter der<br />

Lupe hat, aber mit einem klinisch klaren<br />

Funk doch irgendwie im Einklang ist.<br />

Killertracks der dunklen Art, die sich selbst zum Gefangenen<br />

machen, dabei aber doch voller Stolz und ungebrochen selbst<br />

das übertriebenste Trancemoment noch in eine Extase verwandeln<br />

kann, die sich selbst überrascht.<br />

bleed<br />

Hakim Murphy - Chiffre<br />

[Mindshift Records/TOUBLE09]<br />

<strong>De</strong>troit. Klar. Die Sounds allein. Dieser Klang der so gebrochen<br />

und aus einer anderen Zeit hereingewht<br />

kommt. Diese subtilen Nuancen von<br />

himmlischen Flächen und kaputten<br />

Grooves, dieser unbändige Funk der<br />

unter allem bebt. Hakim Murphy geht<br />

hier stellenweise fast einen Schritt zu<br />

weit um auf dem Floor noch mitspielen<br />

zu können, aber es kann ihm auch egal<br />

sein, denn natürlich ist das Musik für The Mind. Musik die sich<br />

in verkatert glückliche Eskapaden eines Sounds begibt, der<br />

ganz für sich mit einer Geschichte gefüllt ist, die keine Grenzen<br />

kennt, schon gar nicht die von Oldschool. Die Tracks von Murphy<br />

wirken mal durcharrangiert, mal wie aus der Hüfte geschossen,<br />

sie gehen ihren unbeirrbaren einzigartigen Weg und<br />

den geht man immer gerne mit ihnen, denn es lohnt sich einfach<br />

mit jedem Stück etwas ganz eigenes entdecken zu können.<br />

Remixe kommen vom unnachahmlichen Spider in seiner<br />

futurististischsten Jazzkonstellation und Murdoc mit einem<br />

fast erstickt deepen Kellerhouse-Swinggroove.<br />

bleed<br />

Morgan Alexander - The Scripted Infirm EP<br />

[Jacksloot Records/003]<br />

Brutzelnd, aufgeladen, statisch und doch so soulig wie ein<br />

Stück sein muss, das eine so zerbrechlich verheissungsvolle<br />

Jazzstimme ins Zentrum nimmt. <strong>De</strong>r Remix von "Just Checkin"<br />

ist in seinen Grooves fast übergrade, fast kalt, die Chords das<br />

Gegenteil, die Stimme flüstert vom ersten Moment an Verführung.<br />

So sehr dieses Stück auch auf der Stelle zu stehen<br />

scheint, so es sich selbst und sein Thema bewundert, es reicht<br />

schon diese Differenz zu sich selbst um einen in jeder Sekunde<br />

davon zu überzeugen, dass dieser Track einfach ein Killer ist.<br />

Und diese bratzelnd zurückhaltend monströse Bassline dazu<br />

macht ihn einfach nur noch unglaublicher. Ein Stück das klingt<br />

als hätte man eine vergessene <strong>De</strong>troit-Hymne gerade frisch<br />

entstaubt. "Tilton's Place" mit seinen klapprigen Vocals, seinem<br />

ironischen "Really" Sample, den flatternden Synths und<br />

der zeitlos pumpenden Bassdrum ist eine ähnlich verrückte<br />

Hymne die davon handelt, dass man sich selbst selbst unter<br />

dem kritischsten Blick auf dem Floor immer noch völlig wandeln<br />

kann, weil man sich mit Tracks wie diesem einfach so<br />

konzentriert, dass man am Ende sogar wieder weiß warum es<br />

noch mal Work-It hieß.<br />

bleed<br />

Leif - Dinas Oleu<br />

[Fear Of Flying/FOFLP02]<br />

Leif ist unglaublich. Ein Album so voller sprudelnd warmer Ideen<br />

und Grooves, voller geheimnisvoller<br />

Momente purer Stimmungen in schlendernden<br />

Grooves, sanften Stimmen,<br />

verzückten Klängen und summenden<br />

Momenten, dass man sich ein Paddelboot<br />

wünscht, mit dem man auf dem<br />

Album baden gehen kann. Sommerlich<br />

bis ins letzte sind die Tracks in ihrem inneren<br />

Swing fast klassisch, man ist wirklich versucht Oldschool<br />

zu sagen, auch wenn sie nie so klingen. Aber es geht nie<br />

um den Floor oder die Rückbesinnung, sondern um diesen<br />

Versuch Musik zu berühren, wohl wissend, dass das nicht<br />

geht. Jeder Track beginnt wie ein Glühen, nimmt einen auf eine<br />

Reise mit, erzählt mit dieser direkten aber doch blumigen<br />

Stimme von einer Welt die man erst entdecken muss in der<br />

Stimme der Musik, die einem aber schnell so vorkommt, wie<br />

eine Heimat in der man sein Leben schon lange verbracht hat.<br />

Ein Album das mehr wie ein impressionistischer Roman wirkt,<br />

dabei aber nie in purer Ästhetik verweilt, sondern immer herzzerreißende<br />

Momente beschreibt, deren Nachwirkungen einen<br />

auch Tage später noch wie auf Wolken schweben lassen in<br />

dem sicheren Gefühl, man kann genau dahin immer wieder<br />

zurückkehren.<br />

bleed<br />

Kerem Akdag - A Good Play EP<br />

[Apparel Music/085]<br />

Apparel Music entdeckt immer wieder Künstler von denen<br />

man bei der ersten EP schon weiß, dass man ihnen treu bleiben<br />

muss. Die Tracks von Kerem Akdag sind bei aller swingend<br />

smoothen <strong>De</strong>ephouse-Attitude einfach zu lässig und humorvoll.<br />

Berichten mitten in den süsslichst funkigen String und<br />

Groove-Wirbeln von verlorenen Projekten, Dingen die man<br />

verpasst hat, Sachen die man einfach wieder neu erfinden<br />

kann und diesem absurd deepen Soul der alltäglichen Arbeit,<br />

der auf ein Mal genau so relevant ist, wie die Weisheiten der<br />

Liebe und Revolution. Allen Tracks gemeinsam sind diese unglaublichen<br />

Vocals, die dem stellenweise fast albern smoothen<br />

Sound der Tracks eine Ebene der unmittelbarkeit geben, die<br />

hier wie erkämpft wirkt, aber doch voller Leichtigkeit kickt.<br />

Stellenweise unheimlich, magisch, dann wieder voller Witz,<br />

dabei aber im Sound ungebrochen deep und voller klassischer<br />

Momente in neuem Licht. Eine der <strong>De</strong>ephouse EPs des Monats<br />

und das auch weil es das Genre gleichzeitig zu ernst und<br />

zum rumalbern nimmt .<br />

bleed<br />

Fjaak - Mind Games EP [Baalsaal Records]<br />

Nicht mehr der überdreht klare Funk der letzten EP sondern<br />

über Nach gereift steigt diese Platte von<br />

Fjaak ein. <strong>De</strong>ep und mit einem leicht<br />

überzogenen Soul der tragischen Nuancen<br />

ist das aber nur der Ausgangspunkt<br />

für die brilliant funkenden Basslines,<br />

diese smooth um die Ecke wedelnden<br />

Harmonien, die schwer auf der Seele<br />

liegenden Stimmen, die immer - wie<br />

z.B. im "I Can't Get No Satisfaction" Vocal - hintergründig in die<br />

Irre leiten. Und dann kommt mit "Don't Cry" doch noch eins<br />

dieser verdreht kantigen Stücke mit einem so deepen Chicagohintergrund,<br />

dass man Bandbreite von Fjaak sofort wieder<br />

entdeckt. Wir würden uns am liebsten jetzt schon ein Album<br />

von ihm wünschen, aber die nächste EP kann nicht weit sein.<br />

Eine der ganz großen <strong>De</strong>ephouse-Hoffnungen des Landes, der<br />

hier zeigt, dass selbst bei smootheren Tracks noch so viel Energie<br />

in allem steckt, dass sie wie von selbst über sich hinauswachsen.<br />

bleed<br />

<strong>De</strong>troit Swindle - Unfinished Business EP<br />

[Freerange Records/170]<br />

<strong>De</strong>troit Swindle. Ich komme immer noch nicht über diesen<br />

Namen hinweg. <strong>De</strong>r allein würde fast schon reichen um mich<br />

aufhören zu lassen. Und ihre Tracks bislang waren immer<br />

so voller ravigiger Housekiller, dass ich sowieso längst Fan<br />

bin. Die EP auf Freerange muss man wie alles am besten<br />

von hinten hören. "Woman" mit seinen überzogen eiernden<br />

Strings, dem grandios um die Ecke soulenden Divengesang,<br />

den Rhodes und Grooves, dem nicht ganz unerwarteten Moment<br />

in dem ein ganzes Stadion vor Glück aufschreit, dieses<br />

überall durchscheindene Gefühl, dass man ganz oben steht,<br />

an der Spitze der Welt, aber es trotzdem nicht ausnutzt, das<br />

macht die Größe der beiden aus. Auch hier. So viel im Zaum<br />

gehaltene aber dennoch überbordende Euphorie ist schwer<br />

zu halten. Weshalb der Titeltrack zwar trotz ähnlicher Sounds<br />

etwas direkter losfunkt und nicht ganz diesen Punkt findet, an<br />

dem das Feuer der Begeisterung über die vielen anderen der in<br />

diesem Umfeld herumschwirrenden Tracks hinausgeht. Trotzdem<br />

können sie es einfach. Spannungsvoller ist da "Under The<br />

Spell" das mit seinen sprunghaften Grooves eher in die Welt<br />

von Garage mit allen seinen Verlockungen eintaucht.<br />

bleed<br />

Carloscres & Gusher<br />

The Future Tan<br />

[Society 3.0 Records/077]<br />

Manchmal sonnt sich House in dieser Tiefe der eigenen Geschichte<br />

mit einem Blick auf vergessene<br />

Momente, die einem schon wieder wie<br />

die Zukunft vorkommen. So etwas in der<br />

Art müssen sich die beiden gedacht<br />

haben, als sie auf "The Pop Kit" diese<br />

kurzen Bu-bu-bup Vocals im Duett entdeckt<br />

haben und daraus die tragende<br />

Melodie des Stücks mit all seiner Albernheit<br />

fertig hatten. Puh. Klingt wie Tricky Disco für Träumer.<br />

Und so trudelt der Track dann auch vor sich hin. Blubbernd,<br />

schmunzelnd, und mit einer Popästhetik, die so einfach wie<br />

überzeugend ist. "Future Tan" sagt auch ständig "Du", aber<br />

vermutlich haben die beiden nicht daran gedacht, dass uns<br />

hier das irgendwie etwas zu kuschelig rüberkommt, vor allem<br />

wenn es in einen so schwärmerisch flausigen Housetrack verpackt<br />

ist. Kann man das irgendwie anders hören, dann ist es<br />

einfach ein charmantest Stück smoother Housemusik für den<br />

lauen Sommerabend.<br />

bleed<br />

V.A. - Stiff Little Spinners Vol. 4<br />

[Audiolith]<br />

Auf der Compilation-Serie übertreffen sie sich gerne selbst.<br />

Oder probieren etwas ganz neues. Und selbst Leute wie Joney,<br />

eh schon ein durch und durch überdrehter Experiment-Popper<br />

(im besten Sinn) rockt dann mit einem so monströs stoisch<br />

smoothen Stück wie "It's Braining Schnaps and Frogs" alles an<br />

die Wand. Stolzierend, erhaben, mächtig und doch so unnahbar.<br />

Aber auch Kalipo mit seinem trancig sommerlichen "Perspicientia"<br />

findet eine Lücke zwischen Popmusik und Groove,<br />

der früher immer nur Kompakt so süsslich und überglücklich<br />

gelungen ist, so weltumarmend, naiv und doch fundamental<br />

zugleich. Kring räumt dann mit einem klassisch monströsen<br />

<strong>De</strong>ephousetracks voller geschwungener Chords ab, Rampue<br />

gönnt sich einen trunkenen Urlaub in der Kneipe nebenan und<br />

Torsun Teichgräber zeigt den französischen Chansonetten wie<br />

man darauf Ravemusik stricken könnte, während Gimmix voller<br />

glücklichem Basskitsch den Housetrack für frisch verliebte<br />

hinterher schiebt. Sehr sympathisch poppige aber auch deepe<br />

EP.<br />

bleed<br />

Divvorce<br />

Vanessa (A Dreamer) EP<br />

[Fifth Wall/009]<br />

Aus Brooklyn? Da schreibt man offensichtlich die besten Promotexte.<br />

Ich lese die sonst nicht. Aber<br />

hier steht wesentliches drin, und die<br />

Genreangabe (existential) hat mich eh<br />

schon neugierig gemacht. Inspiration<br />

für Divvorce kommt von Franz Kafka<br />

und einem einsamen Spaziergang<br />

durch Paris während der Fashion Week.<br />

Das macht doch alles klar. Techno<br />

schreibt Divvorce mit Fragezeichen. Und die Platte hat bei aller<br />

<strong>De</strong>epness irgendwie dann auch Humor. Wummernde Bässe,<br />

Breaks wenn es sein muss, kompromisslose Härte mit subtiler<br />

Eleganz in den Sounds, aber auch schwärmerisch warme Eskapaden<br />

mit sehr eigenwilligen Stimmen. Techno wie es sein<br />

muss. Wagemutig aber doch so nah. Und die Remixe von Physical<br />

Therapy und Unklone legen noch einen drauf. Mal schepperndst<br />

verzerrte Breaks in smoothem Soundgewitter, mal eisig<br />

verliebt untergründig tranciges Glühen. Eine sehr<br />

vielseitige Platte auf der jeder Track ganz für sich schon ein Hit<br />

ist.<br />

bleed<br />

Geiger und Lafelt - Walking In The Rain EP<br />

[Nylon Tracks/016]<br />

Überragend lässige manchmal auch völlig abseitige Housetracks<br />

der deepesten Art bestimmen<br />

diese EP. Vom klapprig kaputten Kitsch<br />

des Titeltracks, der die Reminiszenz auf<br />

der Kuhglocke nachspielt, über das unnachahmliche<br />

"Trying To Say" das mit<br />

einer verzerrten Stimme und einem<br />

Groove der so um die Ecke shuffelt,<br />

dass man das Gefühl hat, der Loop ist<br />

kapuut, dennoch eine so grandios deepe Stimmung erzeugt,<br />

die selbst von dem "Party People" Sample nicht gebrochen,<br />

sondern eher verstärkt wird, bis zum ultrafunkig direkten "Midnight<br />

Drive" ein Fest.<br />

bleed<br />

Me Succeeds - Rongorongo Remixes<br />

[Ki Records/019]<br />

Eine bessere Sammlung an Remixern hätte man für das wunderschöne<br />

Rongorongo gar nicht auftreiben<br />

können. Alle sind voller Huldigung<br />

für Me Succeeds. Und die ganze<br />

Houseposse ist dabei. Iron Curtis,<br />

Christian Löffler, Tilman Tausendfreund,<br />

und alle Tracks sind Killer. Die süsslichen<br />

Vocals sind perfekt integriert, die<br />

euphorisierenden Melodien klingen<br />

überall durch, die Basslines rocken, die Beats kicken. "Rongorongo",<br />

"Seventeen" und "That's Why I Cast A Shadow" bekommen<br />

eine noch klarere Bestimmung für die deepesten<br />

Dancefloors dieser Erde und wir können es kaum erwarten bis<br />

die ersten Partys diese Momente puren Glücks in den Vocals<br />

und Stimmungen entdecken. Egal ob es funkig verrückt, oldschoolig<br />

hymnisch oder auch nur säuselnd verliebt zugeht, die<br />

Stücke sind immer so voller Herz und Dichte, dass man schon<br />

jetzt die Augen schliessen möchte um dieses Gefühl nu ja nicht<br />

zu verlieren.<br />

bleed<br />

77


DE BUG ABO<br />

Hier die Fakten zum DE:BUG Abo: 10 Hefte direkt in den<br />

Briefkasten, d.h. ca. 500.000 Zeichen pro Ausgabe plus<br />

Bilder, dazu eine CD als Prämie. Die Prämie gibt es immer<br />

solange der Vorrat reicht, wobei der Zahlungseingang für<br />

das Abo entscheidet. Noch Fragen?<br />

UNSER PRÄMIENPROGRAMM<br />

Clara Moto - Blue Distance<br />

(Infiné)<br />

Zarte Tristesse, vielschichtig arrangiert: Das<br />

neue Album von Clara Moto verbindet Ambient<br />

und Songwriting mit der erprobten Basis<br />

aus Techno und House. Und zeigt damit, wie<br />

vielschichtig unsere Dancefloor-Welt 2013 sein<br />

muss, um den Winter zu überstehen.<br />

Om Unit - Threads<br />

(Civil Music)<br />

"Slow on the bottom, fast on the top." Jim<br />

Coles ist ein Kind des Breakbeat-Kontinuums.<br />

Mit seinem <strong>De</strong>bütalbum gelingt ihm eine Synthese<br />

aus schleppenden, Bass-schwangeren<br />

Backbeats im 70-80-Bpm-Spektrum und<br />

hyperaktiver Percussion im doppelten Tempo.<br />

Special Request - Soul Music<br />

(Houndstooth)<br />

Scheiß drauf, lass rollen. Paul Woolford löst als<br />

Special Request das ein, was der gefragte DJ<br />

schon immer machen wollte: Eine direkte Auseinandersetzung<br />

mit der Musik, die ihn so nachhaltig<br />

prägte. Also Breakbeats, Jungle und alles,<br />

was dazugehört.<br />

DE:BUG Verlags GmbH, Schwedter Straße 8-9, Haus 9A, 10119 Berlin. Bei Fragen zum Abo: Telefon 030.88764931,<br />

E-Mail: abo@de-bug.de, Bankverbindung: <strong>De</strong>utsche Bank, BLZ 10070024, Konto 1498922<br />

ein jahr DE:BUG ALS …<br />

abonnement inland<br />

10 Ausgaben DE:BUG zum Preis von 34 € inkl. Porto und Mwst.<br />

abonnement ausland<br />

10 Ausgaben DE:BUG zum Preis von 39 € inkl. Porto und Mwst. / Paypal-login: paypal@de-bug.de<br />

geschenkabonnement<br />

10 Ausgaben DE:BUG für eine ausgewählte Person (“Beschenkt”-Feld beachten!)<br />

Wir garantieren die absolute Vertraulichkeit der hier angegebenen Daten gegenüber Dritten<br />

BANKEINZUG<br />

Bar<br />

Kontonummer:<br />

Bankleitzahl:<br />

Kreditinstitut:<br />

deine daten<br />

Name<br />

Geschenkabo für<br />

Name<br />

Überweisung<br />

Paypal<br />

(Nur Auslandsabo)<br />

Mooryc - Roofs<br />

(Freude am Tanzen)<br />

Die Musik von Maurycy Zimmermann ist wie ein<br />

Flügelschlag, das volle Tonlinien, satte Rhythmik<br />

und Tiefe ans Licht treibt. Sagt sein Label.<br />

Und wir können nur freudig zustimmen. Langsam,<br />

schnell, mit Emphase oder zurückhaltend:<br />

Mooryc hat den elektronischen Kosmos fest im<br />

Griff.<br />

Straße<br />

PLZ, Ort, Land<br />

E-Mail, Telefon<br />

Straße<br />

PLZ, Ort, Land<br />

E-Mail, Telefon<br />

Omar Souleyman - Wenu Wenu<br />

(Domino)<br />

Ein syrisches Phänomen, Hochzeitssänger in<br />

traditioneller Kutte! Hipper Gegenentwurf zum<br />

verwestlichten Ethno-Pop? Wie kann man den<br />

hiesigen Hype um jemanden werten, für den<br />

Michael Jackson und die Beatles Fremdworte<br />

sind und dessen neue Platte von Four Tet<br />

produziert wurde?<br />

nächste Ausgabe:<br />

Ort, Datum<br />

Unterschrift<br />

Von dieser Bestellung kann ich innerhalb von 14 Tagen zurücktreten. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.<br />

Coupon ausfüllen, Prämie wählen und abschicken an: DE:BUG Verlags GmbH, Schwedter Straße 8-9, Haus 9A, 10119 Berlin. 34 € (Inland) oder 39 € (Ausland) auf das Konto der<br />

DE:BUG Verlags GmbH, <strong>De</strong>utsche Bank, BLZ 100 700 24, Konto 149 89 22 überweisen. Wichtig: Verwendungszweck und Namen auf der Überweisung angeben. Das DE:BUG Abo<br />

verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn es nicht 8 Wochen vor Ablauf gekündigt wird.<br />

DE:BUG 178 ist ab dem 29. November am Kiosk erhältlich / u.a. mit unserem großen Jahresrückblick, einem<br />

Studiobesuch bei Nils Frahm und einem epochalen Label-Feature zu <strong>De</strong>kmantel, dem Alleskönner-Hub aus Holland.<br />

im pressum <strong>177</strong><br />

DE:BUG Magazin<br />

für elektronische Lebensaspekte<br />

Schwedter Straße 8-9, Haus 9a,<br />

10119 Berlin<br />

E-Mail Redaktion: debug@de-bug.de<br />

Tel: 030.28384458<br />

Fax: 030.28384459<br />

V.i.S.d.P:<br />

Sascha Kösch<br />

Redaktion:<br />

Timo Feldhaus (feldhaus@de-bug.<br />

de), Thaddeus Herrmann (thaddeus.<br />

herrmann@de-bug.de), Felix Knoke<br />

(felix.knoke@de-bug.de), Sascha Kösch<br />

(sascha.koesch@de-bug.de)<br />

Bildredaktion:<br />

Lars Hammerschmidt<br />

(lars.hammerschmidt@de-bug.de)<br />

Review-Lektorat:<br />

Tilman Beilfuss<br />

Redaktions-Praktikanten:<br />

Wenzel Burmeier (wenzel.b@gmx.net)<br />

Redaktion Games:<br />

Florian Brauer (budjonny@de-bug.de)<br />

Texte:<br />

Anton Waldt (anton.waldt@de-bug.de),<br />

Sascha Kösch (sascha.koesch@de-bug.de),<br />

Timo Feldhaus (feldhaus@de-bug.de), Felix<br />

Knoke (felix.knoke@de-bug.de), Benjamin<br />

Weiss (nerk@de-bug.de), Wenzel Burmeier<br />

(wenzel.b@gmx.net), Bianca Heuser (bbheuser@gmail.com),<br />

Lea Becker (lea_becker@<br />

gmx.net), Christian Blumberg (christian.<br />

blumberg@yahoo.de), Florian Brauer (budjonny@de-bug.de),<br />

Helena Lingor (h.lingor@<br />

gmx.de), Julia Kausch (julia-kausch@web.<br />

de), Malte Kobel (maltekobel@gmail.com),<br />

Gerlinde Lang (gerline.lang@gmail.com),<br />

Sebastian Eberhard (bassdee@snafu.de), Jan<br />

Wehn (jan.wehn@googlemail.com), Philipp<br />

Rhensius (phil.rhensius@gmx.net), Claus<br />

Richter (clausrichter@gmx.de)<br />

Fotos:<br />

Christian Werner, Claus Richter, Benjamin<br />

Weiss, Elena Peters-Arnolds, Maya Cule,<br />

Lars Hammerschmidt<br />

Illustrationen:<br />

Casey Richardson, Harthorst<br />

Reviews:<br />

Sascha Kösch as bleed, Thaddeus Herrmann<br />

as thaddi, Andreas Brüning as asb, Christoph<br />

Jacke as cj, Tobi Kirsch as tobi, Multipara as<br />

multipara, Bastian Thüne as bth, Tim Caspar<br />

Boehme as tcb, Martin Raabenstein as raabenstein,<br />

Christian Blumberg as blumberg,<br />

Christian Kinkel as ck, Sebastian Weiß as<br />

weiß, Wenzel Burmeier as wzl<br />

Artdirektion:<br />

Lars Hammerschmidt<br />

(lars.hammerschmidt@de-bug.de)<br />

Axel Springer<br />

Vertriebsservice GmbH<br />

Tel. 040-347 24041<br />

Druck:<br />

Frank GmbH & Co. KG, 24211 Preetz<br />

Eigenvertrieb (Plattenläden):<br />

Tel: 030.28388891<br />

Marketing, Anzeigenleitung:<br />

Mari Lippok,<br />

marketing@de-bug.de,<br />

Tel: 030.28384457<br />

Andreas Ernst,<br />

andreas.ernst@de-bug.de, Tel:<br />

030.28388892<br />

Es gilt die in den Mediadaten 2013<br />

ausgewiesene Anzeigenpreisliste.<br />

Aboservice:<br />

Bianca Heuser<br />

E-Mail: abo@de-bug.de<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong> online:<br />

www.de-bug.de<br />

Herausgeber:<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong> Verlags GmbH<br />

Schwedter Str. 9a,<br />

10119 Berlin<br />

Tel. 030.28388891<br />

Fax. 030.28384459<br />

Geschäftsführer:<br />

Sascha Kösch<br />

(sascha.koesch@de-bug.de)<br />

<strong>De</strong>bug Verlagsgesellschaft<br />

mit beschränkter Haftung<br />

HRB 65041 B,<br />

AG Charlottenburg, Berlin<br />

Gerichtsstand Berlin<br />

UStID Nr.: DE190887749<br />

Dank an<br />

Typefoundry OurType<br />

und Thomas Thiemich<br />

für den Font Fakt, zu beziehen<br />

unter ourtype.be<br />

78


<strong>177</strong> — de:bug präsentiert<br />

28.11. – 01.12.<br />

Haus der Kulturen der Welt, Berlin<br />

WORLDTRONICS<br />

Teams & Tools<br />

Es gibt eine Weltmusik, die nicht postkolonial<br />

verzerrt ist, beziehungsweise<br />

deren entsprechende Verzerrungen klar<br />

zu Tage treten oder sogar deren Inhalt<br />

sind. Das Worldtronics-Festival versucht<br />

nun schon seit sieben Jahren diese alternative,<br />

emanzipatorische Weltmusik<br />

zu ergründen und zu feiern. Motto der<br />

diesjährigen Ausgabe: Teams & Tools,<br />

die "weltweiten Phänomene wuchernder<br />

Musikszenen". Das Internet, so der<br />

Worldtronics-Ansatz, vernetzt auch<br />

Musikszenen und setzt sie zueinander in<br />

Beziehung. Neue Parallelen entlegener<br />

Musikentwicklungen treten hervor, Stile<br />

finden zusammen und alte Amalgame<br />

werden aufgeschmolzen. Diese neue<br />

Weltmusik ist dekonstruktivistisch -<br />

und gerade deswegen lässt sich auf<br />

sie so gut feiern. Und das geht im Haus<br />

der Kulturen der Welt dieses Jahr so:<br />

Mit ihren Projekten Bordermovement<br />

und Soundcamp klinken sich Gerriet<br />

Schulz und die Gebrüder Teichmann<br />

in die südasiatischen DIY-Netzwerke<br />

ein. <strong>De</strong>r Londoner Talvin Singh zeigt<br />

Gemeinsamkeiten zwischen klassischer<br />

indischer Musik und früher "westlicher"<br />

elektronischer Musik auf. <strong>De</strong>r Franko-<br />

Niederländer Pierre Bastien baut charmante<br />

Musikmaschinen mit Humor und<br />

Seele, die Katalanin Eli Grass macht<br />

experimentelle Musik mit Spielzeug und<br />

Fundsachen, die aus Kairo angereisten<br />

Sadat & Alaa Fifty kreuzen HipHop und<br />

Kairoer Straßenmusik. Die Berliner<br />

Avantgarde-Bigband Zeitkratzer präsentiert<br />

ein Projekt zu den elektronischen<br />

Musikstudios von Radiostationen<br />

vor allem in Osteuropa; Felix Kubin<br />

und die polnische Bigband Mitch &<br />

Mitch spielen verstörenden Avant-Pop<br />

und die Band Frikstailers aus Buenos<br />

Aires, so die Worldtronics-Veranstalter,<br />

schöpft "aus dem globalen, kollektiven<br />

Unterbewusstsein des Pop." Das<br />

Musikprogramm begleitet der Elektro-<br />

Fachmarkt, auf dem sich die Berliner<br />

Elektronikszene zum Schwofen bei<br />

Minikonzerten und DJ-Sets trifft. <strong>De</strong>nn<br />

was die Musikszenen der Welt können,<br />

das können sie auch im Haus der<br />

Kulturen der Welt.<br />

www.hkw.de<br />

14.–20.11.<br />

Festspielhaus Hellerau, Dresden<br />

CYNETART<br />

Das CYNETART ist ein Verbinder der<br />

Welten. Auch in diesem Jahr bietet es ein<br />

kontrastreiches Programm aus technologisch<br />

unterstützten Tanzaufführungen,<br />

international besetzten Workshops in den<br />

Bereichen Tanz, Medienkunst, Technik,<br />

außerdem einen aktuellen Schwerpunkt<br />

auf Biohacking und Bioart. Das versierte<br />

Rahmenprogramm aus Vorträgen,<br />

<strong>De</strong>monstrationen und Workshops findet<br />

seine hedonistische Spiegelung in<br />

Form von A/V-Performances, Konzerten<br />

und Clubabenden. Hier mit dabei: Kuedo<br />

(Planet Mu), Sensate Focus, Grischa<br />

Lichtenberger (Raster-Noton), Ryoichi<br />

Kurokawa, Assimilation Process (sub urban<br />

trash), Ulf Langheinrich (Epidemic),<br />

Zilinsky und Arpanet: das mysteriöse<br />

Duo um Frontmann Gerald Donald (aka<br />

Heinrich Müller / <strong>De</strong>r Zyklus, Japanese<br />

Telecom, Dopplereffekt, sowie eine Hälfte<br />

von Drexciya). Top-Notch-Sound- und<br />

Bildwelten werden dabei auf exzellenten<br />

technischen Anlagen im übergroßen Saal<br />

des Festspielhauses präsentiert.<br />

Foto: David Pinzer<br />

www.cynetart.de<br />

8.-10.11.<br />

Zollverein, Essen<br />

C3 FESTIVAL<br />

C3? Das steht für Club Contemporary<br />

Classical, den drei Cs also, die die<br />

musikalische Berichterstattung dieses<br />

Magazins seit Jahr und Tag immer<br />

wieder begleiten. So ist es keine<br />

Überraschung, dass die Protagonisten<br />

der zweiten Auflage des Festivals alte<br />

Bekannte sind. Matthew Herbert,<br />

Murcof und das US-amerikanische<br />

Kollektiv "Bang On A Can All-Stars" bilden<br />

das Headliner-Dreigestirn in diesem<br />

Herbst: ein dichtes Programm.<br />

Mr. Herbert kommt nicht allein nach<br />

Essen. In Quartett-Besetzung präsentiert<br />

er sein aktuelles Album "The End Of<br />

Silence": <strong>De</strong>utschlandpremiere! Murcof<br />

hat mit der Pianistin Vanessa Wagner<br />

ebenfalls Unterstützung auf der Bühne<br />

und die Bang On A Can Crew kommen<br />

eh immer reichlich. Dabei ist ihre<br />

geplante Performance von Brian Enos<br />

"Music For Airports" ja eher für ganz<br />

kleine Besetzung konzipiert: wird spannend!<br />

Außerdem im Programm: Macro-<br />

Boss Stefan Goldmann, die <strong>De</strong>novali-<br />

Darlings von Piano Interrupted, Tesla<br />

Mode und Rotterdam. Herbert packt<br />

derweil im Hotel Shanghai noch die<br />

Platten aus. Beim C3 geht es aber nicht<br />

nur um das Zuhören, sondern auch<br />

um das Ausprobieren. Schülerinnen<br />

und Schüler können sich während des<br />

Festivals dem Phänomen Ambient nähern,<br />

mit den Musikern vor Ort diskutieren<br />

und schließlich die akzentuierte Stille<br />

selbst umsetzen.<br />

Foto: Helen Woods<br />

www.c3festival.com<br />

10.11.<br />

Alter Schlachthof, Dresden<br />

ELECTRONIC BEATS<br />

Sommer gerade überstanden, leutet die<br />

Telekom direkt die nächste Festival-Saison<br />

ein. Dass das Electronic Beats Festival<br />

bei seiner jährlichen Europa-Reise im<br />

Frühling und Herbst jeweils eine Handvoll<br />

Hochkaräter einpackt, scheint mittlerweile<br />

sicherer als die Jahreszeiten selbst. So soll<br />

es denn auch in diesem Herbst sein, wenn<br />

Electronic Beats zum ersten Mal in Dresden<br />

Halt macht. Neben Sizarr, dem neuen Indie-<br />

Maßstab aus der Pfalz, wird unter anderem<br />

der Franzose mit den Riesentrommeln und<br />

dem Hang zum Pathos, alias Woodkid,<br />

in den Alten Schlachthof geladen. Als<br />

Gegenpol zum orchestral-cinematischem<br />

Epos des Musikers und Regisseurs<br />

aus Lyon, treten die Post-Whatsoever-<br />

Lieblinge von Mount Kimbie an, die sich<br />

mit "Cold Spring Fault Less Youth" in diesem<br />

Sommer nicht nur ein feines Nest<br />

bei Warp eingerichtet haben, sondern mit<br />

eben jenem Album wieder einmal gezeigt<br />

haben, zu welcher Intensität die Reduktion<br />

doch im Stande ist. Ein Album, dessen<br />

Produktionsprozess stark von der Live-<br />

Umsetzung ihrer ersten Platte beeinflusst<br />

wurde, wie sie uns im Interview erzählten.<br />

Ihre Live-Sets, in denen das Duo die konstante<br />

Re-Interpretationen ihrer eigenen<br />

Stücke verfolgt, geben im Umkehrschluss<br />

tiefe Einblicke in die Entstehung ihres unverwechselbar<br />

intensiven Sounds, der<br />

Ambient, Postrock, Electro, House und<br />

HipHop gleichermaßen unter seine Fittiche<br />

nimmt.<br />

Die preiswerten Tickets lassen sich seit<br />

kurzem über die EB Apps sichern und<br />

sind natürlich auch über den klassischen<br />

Online-Weg zu haben:<br />

www.electronicbeats.net<br />

79


<strong>177</strong> — musik hören mit:<br />

interview Bianca Heuser<br />

bild Elena Peters-Arnolds<br />

Backstage bei unseren Lieblings-<br />

Isländern. Während eines Tour-<br />

Stops in Berlin erzählen Gunnar<br />

Örn Tynes und Örvar Þóreyjarson<br />

Smárason von der Stripclub-<br />

Schwemme in Portland, der Arbeit<br />

mit Kylie Minogue und ihrer Liebe<br />

zu Twin Peaks.<br />

Dr. Buzzard’s<br />

Original Savannah Band –<br />

Sunshower (RCA, 1976)<br />

Gunnar: Das gefällt mir! Das ist sehr schön.<br />

Örvar: Und komisch psychedelisch.<br />

Eigentlich ist das ein super süßer Song für<br />

die ganze Familie, aber irgendwas ist doch<br />

80<br />

ein bisschen neben der Spur.<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Ich spiele euch das eigentlich wegen<br />

des tollen Bandnamens vor. Ihr habt<br />

ja einen ganzen Tumblr-Blog schlechten<br />

Bandnamen wie Dreadlock Comb-Over<br />

oder Sylvester Alone gewidmet.<br />

Örvar: Wie hast du den denn gefunden? Das<br />

hatte ich fast vergessen. Wir denken uns auf<br />

Tour ständig bescheuerte Bandnamen aus<br />

und haben sie irgendwann mal alle auf diesem<br />

Blog gepostet.<br />

Gunnar: Aber wie hieß diese Band noch<br />

mal? Das muss ich mir unbedingt aufschreiben.<br />

(pfeift)<br />

The Magnetic Fields –<br />

A Chicken With Its Head Cut Off<br />

(Merge, 1999)<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Für mich verbindet die Magnetic<br />

Fields und Múm eine bestimmte Romantik.<br />

Örvar: Das ist interessant. Wir selbst haben<br />

ja keinen Schimmer, was unsere Musik eigentlich<br />

ist. Besonders nach einer Tour ist die<br />

Vorstellung, die man vom aktuellen Album<br />

hat, komplett durcheinander gewirbelt. Dann<br />

bin ich vollkommen ahnungslos.<br />

Gunnar: Auf Tour ändert sich meine<br />

Vorstellung von unserer Musik tagtäglich.<br />

Örvar: Ich glaube eh, dass man die Vision<br />

seiner eigenen Musik erst nach ein paar<br />

Jahren ganz versteht, der Abstand hilft.<br />

Gunnar: Man würde natürlich alles ganz anders<br />

machen. Man bekommt sonst ja nicht<br />

so mit, wie man sich verändert. Aber beim<br />

Anhören der eigenen Musik von vor ein paar<br />

Jahren wird es einem plötzlich ganz deutlich.<br />

Örvar: Oft ist es als hätte jemand anders<br />

dieses Album gemacht. Aber das ist ein<br />

gutes Gefühl. Man kommt einer vergangenen,<br />

überholten Version von sich selbst<br />

wieder näher.<br />

Gunnar: Ich gehe mal Kaffee holen.<br />

Badalamenti Explains<br />

Twin Peaks Love Theme<br />

(YouTube-Upload, 2008)<br />

Örvar: Das muss Gunnar unbedingt von<br />

Anfang an hören. Gunnar, komm' mal!<br />

Gunnar: Oh, Twin Peaks!<br />

Örvar: Ja, aber hier erklärt Angelo<br />

Badalamenti wie er und David Lynch die<br />

Musik zusammen geschrieben haben.<br />

(Das Video endet: "He said: 'Angelo, don’t<br />

do a thing and don’t change a single note.<br />

I see Twin Peaks.' That’s how it was done.")<br />

Gunnar: Verrückt! Das ist so schön, fast<br />

besser als der eigentliche Song. Ich habe<br />

überall Gänsehaut!<br />

Örvar: Es ist toll, wie er beim Erzählen der<br />

Geschichte aufblüht. Und es ist eine großartige<br />

Art, Filmmusik zusammen zu schreiben.<br />

Das passiert vermutlich fast nie so.<br />

Gunnar: Ich glaube nicht, dass viele<br />

Regisseure ihre Vision so kommunizieren


<strong>177</strong><br />

»Wir selbst haben ja<br />

keinen Schimmer,<br />

was unsere Musik<br />

eigentlich ist. Besonders<br />

nach einer Tour<br />

ist die Vorstellung,<br />

die man vom aktuellen<br />

Album hat, komplett<br />

durcheinander<br />

gewirbelt.«<br />

können. Die meisten sprechen gar nicht<br />

dieselbe Sprache wie Musiker, sind nicht<br />

Teil des gleichen Dialogs.<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Wie war es für euch, den<br />

Soundtrack für "Jack und Diane" zu<br />

schreiben?<br />

Gunnar: Wir hätten natürlich gern genau<br />

so gearbeitet.<br />

Örvar: Wir haben schon oft Musik für Film<br />

oder Theater geschrieben, aber so wie Lynch<br />

und Badalamenti ist es uns noch nie ergangen.<br />

Aber offenbar geht das doch!<br />

Gunnar: Klar, wir haben ja gerade den<br />

Beweis gehört! Einen sehr schönen Beweis.<br />

Örvar: Es ist wichtig, dass der Regisseur<br />

loslässt und uns genauso vertraut wie sich<br />

selbst. In der Regel stehen sie aber unter<br />

starkem Druck und sind gestresst wegen<br />

der Produktion und des Budgets. Sie können<br />

sich nicht entspannen und möchten<br />

etwas möglichst Umgängliches. Darum<br />

ersetzen sie oft die eigentliche Filmmusik<br />

mit irgendwelchem Singer/Songwriter-<br />

Folk-Zeug. Das ist leichter verdaubar. Dieser<br />

Videoclip hat mich aber auch so berührt,<br />

weil Twin Peaks einer der wichtigsten popkulturellen<br />

Einflüsse auf unsere Generation<br />

war. Ich weiß noch, wie ich die Serie als<br />

Kind das erste Mal im Fernsehen sah. Ich<br />

wusste nicht, was mich getroffen hatte.<br />

Ich verstand kein bisschen von dem, was<br />

da vor sich ging.<br />

Gunnar: Und heute, mit einem Abschluss<br />

in Filmwissenschaft, versteht man immer<br />

noch nicht alles.<br />

Örvar: Ganz genau. Ich habe erst kürzlich<br />

wieder alle Folgen geschaut.<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Wenn man David Lynch vollkommen<br />

versteht, sollte man sich sowieso<br />

Sorgen machen.<br />

Kylie Minogue –<br />

Love At First Sight<br />

(Parlophone, 2002)<br />

Örvar: Ist das Kylie?<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Das konnte ich mir nicht verkneifen,<br />

nachdem ich ihr Feature auf eurem<br />

neuen Album entdeckt habe.<br />

Örvar: <strong>De</strong>r Song war eigentlich für eine<br />

Clubszene in "Jack und Diane" gedacht.<br />

Aber als mich der Regisseur in Spanien<br />

anrief war die Verbindung so schlecht,<br />

dass ich ihn nicht genau verstehen konnte.<br />

<strong>De</strong>r Track war dann schon längst fertig<br />

als wir das nächste Mal in Kontakt traten.<br />

Er wunderte sich: "Was ist das denn?!"<br />

und fand den Song eine Woche später aber<br />

doch ziemlich toll. Für die entsprechende<br />

Szene im Film hat er dann trotzdem etwas<br />

anderes verwendet.<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Habt ihr Kylie getroffen?<br />

Gunnar: Ja, ich. Örvar war mit FM Belfast<br />

auf Tour. Sie war super cool. Eine sehr<br />

bodenständige und feine Person. Ich glaube<br />

nicht, dass sie je einen Fuß in ein derartig<br />

kleines Studio gesetzt hat, aber das störte<br />

sie gar nicht. Anfangs befürchtete ich,<br />

dass wir das nicht in einem Tag schaffen<br />

würden, manche Leute brauchen ja doch<br />

recht lang im Studio. Aber sie war super professionell<br />

und traf den Nagel auf den Kopf.<br />

Örvar: <strong>De</strong>r Regisseur versuchte im Studio<br />

noch den Text zu ändern, aber Gunnar konnte<br />

zum Glück die Originalversion aufnehmen.<br />

<strong>De</strong>r Text ist ziemlich heftig. Die erste<br />

Zeile wollte komischerweise niemand ändern:<br />

"I bleed like a pig". Ich wollte das unbedingt<br />

aus Kylies Mund hören. Das war<br />

ein kleiner Sieg.<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Habt ihr etwas übrig für diese Art<br />

von Popmusik?<br />

Örvar: Ich weiß nicht. So richtig entkommen<br />

kann man dem Ganzen ja nicht. Aber<br />

vor fünf Jahren war das alles noch spannender.<br />

<strong>De</strong>rzeit klingt alles so flach.<br />

Gunnar: Wir haben uns mal über "Toxic"<br />

gestritten, weißt du noch?<br />

Örvar: Was soll ich sagen, mich hat die<br />

Produktion einfach nicht so beeindruckt.<br />

Lawrence –<br />

In Patagonia<br />

(Dial, 2013)<br />

Örvar: Was ist das?<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Das ist von Lawrences neuem<br />

Album "Films & Windows".<br />

Gunnar: Das ist richtig gut.<br />

Örvar: Und so zeitlos!<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Er sagt, er produziert die meisten<br />

Sachen unterwegs. Schreibt ihr auch<br />

auf Tour neue Musik?<br />

Gunnar: Wir machen das als erstes, wenn<br />

eine Tour vorbeigeht. Man ist so vollgesogen<br />

mit neuen Eindrücken, die etwas in einem<br />

auslösen.<br />

Övar: Während einer Tour machen wir aber<br />

eher keine Musik. Dafür habe zumindest<br />

ich dann keinen Kopf. Ich kann mich nicht<br />

einfach hinsetzen und anfangen. Ich brauche<br />

viel Zeit für Spaziergänge und so. Aber<br />

Reisen wirkt sich auf jeden Fall auf unsere<br />

Musik aus, vor allem die Menschen,<br />

die wir treffen.<br />

Team Dresch –<br />

Fagetarian And Dyke<br />

(Chainsaw und Candy<br />

Ass Records, 1995)<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Team Dresch war eine lesbische<br />

Punkband aus Portland, Oregon.<br />

Örvar: Solche Sachen haben wir in den<br />

Neunzigern auch gehört. Als Teenager ist<br />

man so empfänglich für alles Mögliche. Es<br />

gibt überhaupt keine Wand zwischen sich<br />

und einer lesbischen Punkband niederzureißen.<br />

Wir haben damals unsere erste<br />

Band wegen Slint gegründet. Wusstest du,<br />

dass Portland die Stadt mit der höchsten<br />

Dichte an Stripclubs weltweit ist? Das hat<br />

mir jemand erzählt, als wir in Portland in<br />

einem auftraten.<br />

Gunnar: Die nannten das eine "Burlesque<br />

Show". Ich erfuhr erst, was das für ein<br />

Etablissement war, als sich nach dem<br />

Konzert backstage so viele nackte Mädchen<br />

aufhielten.<br />

Örvar: Ich kam nach einer Autofahrt von<br />

San Francisco so müde in Portland an,<br />

dass ich backstage auf dem Fußboden<br />

einschlief. Als ich aufwachte, stand direkt<br />

neben mir eine halbnackte Frau, die sich<br />

im Spiegel betrachtete.<br />

Gunnar: Die Räumlichkeiten waren aber<br />

toll. Nach dem Konzert gab es auch eine<br />

Show, inklusive Rotkäppchen. Das war<br />

wirklich merkwürdig.<br />

Le1f – Swerve<br />

[Prod. The-Drum]<br />

(Self-released, 2013)<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Das ist von "Tree House", dem<br />

aktuellen Mixtape des New Yorker Rappers<br />

Le1f.<br />

Gunnar: Sin Fang, der gerade mit uns<br />

tourt, hockt den ganzen Tag backstage und<br />

hört sich solche Musik auf YouTube an. Es<br />

ist gut, einen Teenager dabei zu haben.<br />

<strong>De</strong>:<strong>Bug</strong>: Le1fs Homosexualität ist ein<br />

prominentes Thema in seinen Texten.<br />

Reykjaviks Bürgermeister schrieb letztens<br />

dem Moskauer Bürgermeister einen<br />

Brief, in dem er ankündigte, jegliche<br />

Zusammenarbeit wegen des verabschiedeten<br />

Anti-Homosexuellen-Gesetzes einzustellen.<br />

Gunnar: Ich glaube leider nicht, dass er die<br />

politische Macht hat, das durchzusetzen.<br />

Aber es ist toll, dass er sich dazu äußert.<br />

Örvar: Ja, Jon Gnarr ist toll im Umgang<br />

mit diesen Dingen. Die Gay Pride Parade<br />

ist eines der wichtigsten Feste in Island.<br />

Alle kommen downtown und er ist immer<br />

in Drag auf einem der Wagen dabei. Letztes<br />

Jahr durfte ich mit FM Belfast auf der großen<br />

Bühne spielen, das war fantastisch.<br />

Gunnar: In Island gibt es wirklich kaum<br />

Homophobie.<br />

Örvar: Normalerweise ist die Parade ein<br />

sehr buntes und lustiges Fest, aber dieses<br />

Mal war es sehr politisch. Zum einen<br />

wegen Russland und zum anderen wegen<br />

Bradley beziehungsweise Chelsea<br />

Manning. Um etwa diese Zeit kündigte er<br />

auch seine Geschlechtsumwandlung an.<br />

Wir haben in letzter Zeit öfter diskutiert,<br />

ob wir überhaupt in Russland spielen sollten<br />

und sind uns immer noch nicht sicher,<br />

was richtig ist. Wir haben vorerst aber beschlossen,<br />

dass es wenig sinnvoll ist, unsere<br />

Fans für die Politik ihrer Heimat zu<br />

bestrafen. Die haben damit sicher schon<br />

genug zu kämpfen.<br />

Múm, Smilewound,<br />

ist auf Morr Music/Indigo erschienen.<br />

81


<strong>177</strong> — Für ein besseres Morgen — text & illu harthorst.de<br />

Echtzeitverblödung<br />

ist der neue Normalfall<br />

Kopf rein, Arsch raus, auf sie mit Gebrüll! Und nachher wundern sich alle, dass immer noch<br />

Papstwochen bei McDonalds sind, aber der Lifestyleissimo kranker Katholiban soll heute<br />

nicht Thema sein. Sache ist: Die <strong>De</strong>utsche Content Allianz hat einen "Inhalte-Gipfel"<br />

gefordert, weil "Inhalte-Politik Chefsache" werden soll, beziehungsweise was heißt soll?<br />

Muss! Was man sich dann am besten häppchenweise auf dem Hirn zergehen lassen sollte:<br />

<strong>De</strong>utsche Content Allianz? Gibt es tatsächlich, soll das gemeinsame Sprachrohr der<br />

Breitarschplayer des heimischen Medienbetriebs sein: ARD, ZDF, Privat-TV, Musikindustrie,<br />

GEMA, Großverlage. Aha, OK, aber: <strong>De</strong>utsche Content Allianz? Mit ein bisschen bekifftem<br />

Anstandsabstand besehen circa so sinnig wie die Herdprämie für Haare auf Emanzenzähnen.<br />

Oder, besser: das Oktoberfest München Miami Beach. German Rechtschreibreform, you<br />

know schon! Also warum gibt ausgerechnet die Aristokratie deutscher Medienapparatschiks<br />

ihrem Club einen so topverstrahlt denglischen Namen? Und begibt sich damit auch noch in<br />

die übelste Verwechselungsgefahr mit der <strong>De</strong>utsche Kontinenz Gesellschaft? Die es übrigens<br />

nicht nur wirklich gibt, sie ist ausgerechnet auch noch beispielhaft vorbildlich in Sachen<br />

Wahlspruchgebung: Müssen Wollen Können. Hammer! Oder? Würde da der Kumpel aus der<br />

Werbung sagen, aber das sagt er eigentlich dauernd zu allem möglichen, meistens beim<br />

Coffee oder Bier und auf Koks oder Facebook aber auch sonst mal zwischendurch. Nur:<br />

In diesem Fall hat Werbekumpel tatsächlich recht, weil Müssen Wollen Können ist doch<br />

wirklich Hammer! Oder? Die <strong>De</strong>utsche Content Allianz hat gar keinen Claim, aber Inhalt<br />

First! würde prima passen, oder, noch besser: Content is König! Weil "Inhalt" und "Content"<br />

eben nur theoretisch Synonyme sind, aber praktisch ganz verschiedene Duftstoffe freisetzen:<br />

"Inhalt" riecht nach Spaßbremsertum und Hausaufgaben, "Content" nach angesagtestem<br />

Fun und heißer Marketingluft. Durch ihre Namenswahl hält sich die Allianz auf der Soll-Seite<br />

also schon mal geschickt den Rücken frei, weil übertriebene Erwartungshaltungen in puncto<br />

Qualität gleich am Empfang bodennah zurechtgestutzt werden und man alle Energien<br />

nach vorne richten kann, auf die Haben-Seite, die man dann ja im Rahmen des Inhalte-<br />

Gipfels als "Chefsache" zu besprechen gedenkt, genauer gesagt sogar als "Chefsache im<br />

Bundeskanzleramt", heißt: ARD, GEMA und VDZ wollen ihre Angelegenheiten mit Merkel<br />

unter sich ausmachen, derweil sich die Medienzwergmassen im Begleitprogramm gegenseitig<br />

auf die kleinen Eier gehen können, da sind sie schön beschäftigt und nerven nicht die<br />

Chefs, aber vor allem verleihen sie der Berichterstattung diesen authentischen Graswurzel-<br />

Flair, der sogar die Planwirtschaftskonspiration im Kanzleramt in dieses weiche, verzeihende<br />

Soft-Porno-Licht taucht - dann doch lieber weiter zum Begleitprogramm des Inhalte-Gipfels:<br />

Radikale Inhaltsschützer gehen auf die Nerven und fallen ins Wort, Contentmanager verteilen<br />

Gratispröbchen und militante Copyrightfighter demonstrieren für ein uneingeschränktes<br />

Kopierverbot. Die <strong>De</strong>utsche Interessengemeinschaft Inhaltsverzeichnis (DIGI) und der<br />

Zentralverein <strong>De</strong>utscher Inhaltsangaben (ZDI) werfen sich wechselseitig "vollinhaltliches<br />

Versagen" vor, der Verein <strong>De</strong>utscher Inhaltsfälscher und Contentverdreher (VDIuC) wirbt mit<br />

niveauvollen Getränken um Verständnis und die Nörglergemeinschaft <strong>De</strong>utscher Inhalt (NDI)<br />

richtet sich mit einem dramatischen Appell an "alle Inhaltefreundinnen und Inhaltsfreunde:<br />

Wenn es so weitergeht, wird die Zukunft inhaltsleer!" Raubdiskutierer, Fressesprecher und<br />

Inhalteversteher: volle Dröhnung Echtzeitverblödung! Nach diesem Inhalte-Gipfel bleibt nur<br />

noch festzustellen: Inhalte sind wirklich der letzte Dreck! Für ein besseres Morgen: Blitzkrieg<br />

on Bullshit! Kein Pardon! Keine Gefangenen! Aber macht euch trotzdem keine Sorgen, früher<br />

oder später niest das Hirn alles wieder raus, vor allem jetzt im Herbst und erst recht später<br />

im Winter - Endlich wieder keine Zeit zum Kochen!<br />

82


Die Stunde der Städte<br />

Tanzen in Bamako, Zelten in Ulan-Bator,<br />

Sparen in Las Vegas, Planen in Peking,<br />

Opernarien in der Pariser Metro – die Städte<br />

der Welt regen uns auf und ziehen uns an.<br />

Edition Le Monde diplomatique, Heft 14 »Moloch, Kiez & Boulevard.<br />

Die Welt der Städte«, broschiert, 112 Seiten, ISBN 978-3-937683-45-4<br />

8,50 €*<br />

<strong>De</strong>r etwas andere<br />

Städteführer<br />

mit Beiträgen von<br />

Sieglinde Geisel,<br />

Philippe Rekacewicz,<br />

Rebecca Solnit,<br />

Charlotte Wiedemann<br />

u. a.<br />

Sechs Filme zum Geschichtsatlas<br />

Die neue DVD-Box Le Monde diplomatique film mit<br />

sechs zum Teil preisgekrönten Filmen ist<br />

eine Fundgrube für Fans von Ton- und Bildarchiven.<br />

Historische Aufnahmen an Originalschauplätzen,<br />

Interviews mit Zeitzeugen und erstmals<br />

veröffentlichte Super-8-Filme erweitern den<br />

Atlas der Globalisierung spezial »Das 20. Jahrhundert«.<br />

Das Kombiangebot:<br />

<strong>De</strong>r Geschichtsatlas<br />

+ plus DVD-Box für<br />

46 € (statt 52 €)**<br />

102 Seiten, über 130 Karten<br />

und Infografiken,<br />

ISBN 978-3-937683-32-4<br />

DVD-Box Le Monde diplomatique film »Das 20. Jahrhundert«<br />

mit Poster, sechs Filme, Länge: 480 Min, EAN 405 291 236 0860<br />

40 €*<br />

*Versandkostenfrei im Inland, wenn Sie direkt<br />

bei Le Monde diplomatique bestellen.<br />

T. (030) 25 90 21 38 • F. (030) 25 90 25 38)<br />

**Atlas der Globalisierung spezial »Das 20. Jahrhundert« plus<br />

DVD-Box Le Monde diplomatique film »Das 20. Jahrhundert«<br />

monde-diplomatique.de


IN 3 EDITIONEN<br />

ERHÄLTLICH:<br />

Standard<br />

Edition<br />

Premium Pack<br />

Wii U-Konsole mit limitiertem<br />

Zelda GamePad inkl. Download<br />

Code* für die Vollversion des Spiels.<br />

Limited Edition<br />

Wii U Spiel als Disc +<br />

Ganondorf Figur<br />

Zelda feiert ein bombastisches Comeback:<br />

ein fabelhafter Gameplay-Mix aus Kämpfen, Rätseln und<br />

spannenden Abenteuern. Ein neuer Action-Spaß in faszinierender HD<br />

Grafik mit exklusiven GamePad Features und noch<br />

viel mehr erwartet dich – exklusiv für Wii U.<br />

/WiiU.de<br />

www.zelda.de<br />

© 2013 Nintendo. Wii U is a trademark of Nintendo. © 2013 Nintendo.<br />

* Einlösung des Download-Codes im Nintendo eShop. Um den Nintendo eShopnutzen zu können, musst du<br />

den NINTENDO NETWORK VERTRAG und die NINTENDONETWORK DATENSCHUTZRICHTLINIE akzeptieren.<br />

Für den drahtlosen Internetzugang können unter Umständen Gebühren anfallen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!