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DISKURS

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ARBEITSMARKTINTEGRATION VON FLÜCHTLINGEN<br />

WISO <strong>DISKURS</strong><br />

3<br />

ZUSAMMENFASSUNG<br />

Der deutsche Arbeitsmarkt bietet wenige Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

für Personen ohne zertifizierte Berufsqualifikation.<br />

In diesen Arbeitsmarkt sollen Flüchtlinge integriert<br />

werden, die zu weit höheren Anteilen als die ansässige Erwerbsbevölkerung<br />

ein sehr niedriges Schulbildungsniveau<br />

besitzen. Auf dem anderen Ende des Spektrums bringen<br />

relevante Anteile der Neuankömmlinge eine beachtliche<br />

Bildungspartizipation mit, deren Abschluss aber nicht selten<br />

durch Kriegsereignisse verhindert wurde. Ein Berufsbildungssystem<br />

im deutschen Verständnis existiert in den Herkunftsländern<br />

nicht und spielt in den Erwartungen der Flüchtlinge<br />

keine Rolle. Die Orientierungen sind polarisiert zwischen<br />

akademischer Karriere auf der einen und raschem Geldverdienen<br />

auf der anderen Seite. Deutsche Sprachkenntnisse<br />

sind bei der Ankunft nicht vorhanden, und teilweise ist<br />

auch das lateinische Alphabet nicht geläufig. Die Erwerbsund<br />

Lernmotivation der Flüchtlinge ist hoch, aber nicht unzerstörbar.<br />

Die Flüchtlinge treffen auf einen Regelungsrahmen des<br />

Zugangs zu Arbeit und Ausbildung, der durch das frühere<br />

Selbstverständnis als Nichteinwanderungsland, durch beachtliche<br />

Öffnungsbemühungen der letzten Jahre und durch erneute<br />

Abschottung gegenüber „sicheren“ Herkunftsstaaten<br />

äußerst widersprüchlich und unübersichtlich strukturiert ist.<br />

Die Erfahrungen der Unverständlichkeit, anscheinender Willkür<br />

und Ohnmacht, die Flüchtlinge im Umgang mit diesem<br />

Rechtsrahmen machen, sind für eine Akkulturation in das<br />

deutsche Rechts- und Wertesystem extrem schädlich.<br />

Die Anstrengungen verschiedenster Akteure, die Berufsorientierung,<br />

Ausbildung und Arbeitsmarktintegration von<br />

Flüchtlingen möglichst frühzeitig zu fördern, sind in ihrer<br />

Vielfalt und hinsichtlich des hohen Engagements beachtlich.<br />

Dass sie für die Flüchtlinge, die in den Jahren 2015/2016<br />

zuwanderten, zu früh kommen, weil die Bearbeitung der<br />

Asylanträge, das Verlassen der Aufnahmeeinrichtungen<br />

und der Erwerb elementarer Sprachkenntnisse mehr Zeit<br />

beanspruchen als erwartet, kommt den schon vor September<br />

2015 in beträchtlicher Zahl Angekommenen zugute. Das<br />

alles ist aber nur gut gemeint und nicht gut gemacht:<br />

(1) Die Zeitperspektive der Interventionen ist in den meisten<br />

Fällen viel zu kurz und ein möglicher Anschluss ungewiss.<br />

Die überkommene „Maßnahmenlogik“ der Arbeitsmarktpolitik<br />

ist der Herausforderung der Arbeitsmarktintegration von<br />

Flüchtlingen nicht angemessen. Notwendig wäre eine langfristig,<br />

verlässlich und unabhängig vom Bezug dieser oder<br />

jener Sozialleistung verfügbare Begleit- und Unterstützungsstruktur,<br />

in der Flüchtlinge sich zunehmend eigenverantwortlich<br />

bewegen können.<br />

(2) Die Initiativen spiegeln das jeweils spezifische und beschränkte<br />

Handlungsfeld der Akteure. Es gibt niemanden,<br />

der eine verlässliche und glaubwürdige Orientierung im gesamten<br />

Spektrum der Möglichkeiten vermitteln kann. Das<br />

vollständige Ausblenden akademischer Bildung als einer Integrationsperspektive<br />

der Arbeitsmarktpolitik ist fatal für eine<br />

Zielgruppe, die nicht durch Bildungsarmut, sondern durch<br />

Flucht an den Rand des deutschen Arbeitsmarktes geraten ist.<br />

(3) Die Konstruktion von Maßnahmen und Projekten spiegelt<br />

weniger die Bedarfe der Flüchtlinge als die Bedürfnisse der<br />

Akteure, Handlungs- und Kooperationsfähigkeit zu demonstrieren.<br />

Tatsächlich funktionieren solche Kombinationsprojekte<br />

eher schlecht, nicht wegen Kooperationsunfähigkeit oder<br />

-unwilligkeit, sondern wegen konfligierender institutioneller<br />

Handlungslogiken.<br />

(4) Sprache erweist sich nicht nur als Barriere, sondern als<br />

ein grundlegendes Dilemma: Ohne Sprache keine Arbeit und<br />

nicht einmal ein Praktikum – aber ohne Immersion in deutschsprachige<br />

Handlungskontexte kein Spracherwerb. Da es in<br />

Deutschland keine deutschsprachigen Teehäuser und Basare<br />

gibt, kommt als sprachförderlicher Handlungskontext in unserer<br />

Arbeits- und Selbstbedienungsgesellschaft nur die<br />

Arbeitswelt in Frage – diese aber scheut sprachbedingte<br />

Haftungsrisiken. Wenn hier keine Brückenlösungen gefunden<br />

werden, kann die Arbeitsmarktintegration allein am<br />

Sprachproblem scheitern.<br />

Als ansatzweise Lösungsperspektive wird ein „Bundesprogramm<br />

Arbeitsmarktintegration“ skizziert, das Angebote<br />

nicht nur für Flüchtlinge, sondern ebenso für bereits ansässige,<br />

dauerhaft vom Arbeitsmarkt ausgegrenzte Personen<br />

bereitstellen soll.

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