Linzer Bibelsaat: Ausgabe Nr. 140, März 2017
Bibelwerk Linz
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Leitartikel<br />
tat ich dir, du Menschenwächter? Warum<br />
hast du mich zu deiner Zielscheibe gemacht,<br />
sodass ich mir selbst zu einer Last<br />
geworden bin?“ (Ijob 6,20; vgl. 16,12–14)<br />
Aber dennoch lässt Ijob von Gott nicht<br />
ab. Er wendet sich zwar vom Urheber des<br />
Leids ab, nimmt aber zugleich Zuflucht<br />
bei ihm als seinem Retter: „Dass du mich<br />
in der Unterwelt verstecktest, mich bergen<br />
wolltest, bis dein Zorn sich wendet,<br />
eine Frist mir setztest und dann an mich<br />
dächtest!“ (Ijob 14,13)<br />
Nur so bleibt Gott Gott. Es ist alles (somit<br />
auch das Dunkel) noch einmal von<br />
ihm eingebettet. Und in diesem dann<br />
von Menschen erfahrenen und so leidvoll<br />
erlebten Dunkel, in dieser äußersten<br />
Not bleibt noch die Möglichkeit, Gott<br />
als Urheber um Hilfe anzuflehen. Gott<br />
ist und bleibt Letztverantwortlicher und<br />
zugleich Ausweg. Deswegen dürfen wir<br />
wagen, uns an ihn zu wenden mit der<br />
vertrauensvollen Bitte: „Führe uns nicht<br />
in Versuchung, sondern erlöse uns von<br />
dem Bösen“.<br />
Aus der Sicht der Betenden<br />
Gott hat keine Freude daran, uns in<br />
Versuchung zu führen oder fallen zu<br />
sehen. Er ist kein Polizeispitzel und<br />
schaufelt keine hinterhältigen Gruben.<br />
Die Bitte macht den Betenden deutlich:<br />
Schwach bin ich, versuchbar und oft genug<br />
nur halbherzig dabei.<br />
Die Versuchung steht im Singular. Gemeint<br />
sind also nicht irgendwelche<br />
Einzelversuchungen. Vielmehr geht es<br />
um die eine große Versuchung, die – mit<br />
Blick auf die Geschichte Israels – immer<br />
die Abwendung von Gott meint. Daher<br />
die Bitte: Überfordere uns nicht über<br />
unsere Kraft hinaus, lass uns deiner Nähe<br />
gewiss sein und komm uns deutlich entgegen,<br />
damit wir dich erfahren und dir<br />
vertrauen können. Gerade auch dann,<br />
wenn wir nicht mehr sehen, dass du<br />
mit uns bist. Gott soll uns die Kraft zum<br />
Durchhalten schenken, damit wir eben<br />
nicht von ihm abfallen oder ihn verleugnen:<br />
Der Beter nimmt Gott selbst in die<br />
Verantwortung, wenn er ruft: „Führe uns<br />
nicht in diese Versuchung.“ (vgl. Kardinal<br />
Josef Ratzinger/Benedikt XVI.)<br />
Die gesamte Nachfolge steht auf dem<br />
Spiel. Deshalb der Schrei: Führe uns<br />
nicht in die Versuchung, angesichts<br />
der Vergeblichkeit unserer Gebete und<br />
Bitten zu verzweifeln. Lass uns (bitte!)<br />
nicht einen Weg gehen, der uns von dir,<br />
Gott, wegführt – um dann am Ende allein<br />
dazustehen. Erhalte in uns den Glauben<br />
und die Hoffnung auf die Vollendung<br />
deiner Herrschaft.<br />
Was bleibt?<br />
Die letzte Doppelbitte des Vaterunsers<br />
bleibt eine große Herausforderung, an<br />
der viele scheitern. Aber: Daran ist nicht<br />
unbedingt das Vaterunser schuld, sondern<br />
unser gut geübtes Ausweichen der<br />
Frage/n nach dem Bösen. Wer hätte das<br />
Böse nicht zu gerne möglichst weit von<br />
Gott weggerückt?<br />
Die Sprache und die Bilder der Bibel<br />
sind aber nicht aus unserer Zeit und<br />
bedürfen nicht selten einer Erklärung,<br />
damit wir sie nicht zu sehr an der ursprünglichen<br />
Aussage vorbei verstehen.<br />
Predigten, Bibelrunden und vielleicht<br />
auch der Religionsunterricht sind mehr<br />
als gefordert.<br />
Als alternatives Denkmuster für die Bitte<br />
könnte vielleicht hilfreich sein: „Lass<br />
SS 9