Wie die Vermieterlobby Mieter/innen unter General- verdacht stellt
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TITEL<br />
Wohnung gesucht<br />
Der Wohnungsmarkt in Friedrichshain ist für<br />
ALG-II-Beziehende leer gefegt<br />
Christian Linde<br />
„Massenhafte Umzüge von Hartz IV-Empfängern finden im Bezirk nicht statt.“<br />
Vor allem mit <strong>die</strong>ser Parole wollte Kerstin Bauer als Spitzenkandidatin für <strong>die</strong><br />
Linkspartei.PDS in Friedrichshain-Kreuzberg im Wahlkampf punkten.<br />
Das Stadtforschungsinstitut Topos hatte bereits<br />
2005 gewarnt: Aufgrund zu hoher Kosten<br />
für <strong>die</strong> Unterkunft bei Langzeitarbeitslosen<br />
müssten berlinweit 70.000 und in Friedrichshain-Kreuzberg<br />
mehr als 10.000 Haushalte<br />
mit einem Zwangsumzug rechnen. Allerdings<br />
waren in den Berechnungen noch nicht <strong>die</strong> im<br />
Rahmen der später erlassenen Ausführungsverordnung<br />
Wohnen (AV-Wohnen) durch<br />
Ausnahmeregelungen besonders geschützten<br />
Personengruppen berücksichtigt. Nach der<br />
Verabschiedung der AV-Wohnen durch den<br />
Senat korrigierte das Institut <strong>die</strong>se Zahl nach<br />
unten: auf stadtweit insgesamt etwa 15.000<br />
betroffene Haushalte. Seitdem winkt <strong>die</strong><br />
Senatssozialverwaltung bei den Stichworten<br />
„Zwangsumzüge“ und „Wohnkosten“ kategorisch<br />
ab. Von „Panikmache“ spricht Roswitha<br />
Steinbrenner, <strong>die</strong> Pressesprecherin der<br />
Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linkspartei.PDS).<br />
Anlass zur Entwarnung gibt es<br />
dennoch nicht. Auch nicht im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.<br />
Denn Aufforderungen<br />
zur Senkung der Wohnkosten sowie zum Wohnungswechsel<br />
aufgrund der Überschreitung<br />
der Mietobergrenzen landen regelmäßig in<br />
Der beliebte Flohmarkt auf dem Boxhagener Platz hat<br />
neben den vielen neuen Kneipen zur Aufwertung des<br />
Stadtteils beigetragen. Da es sich um ein beliebtes<br />
Wohnquartier handelt, werden mittlerweile Mieten<br />
gezahlt, <strong>die</strong> über dem Mietspiegel liegen.<br />
den Briefkästen von ALG-II-Beziehenden.<br />
Nach Angaben des bezirklichen Jobcenters in<br />
Friedrichshain-Kreuzberg bemaß „<strong>die</strong> Anzahl<br />
der angeschriebenen Fälle mit Überschreitung<br />
der Richtwerte bzw. Härtefallrichtwerte“ allein<br />
von Januar bis August 2006 insgesamt 1117<br />
Haushalte. Doch selbst Wohnraum, der für<br />
einkommensschwache Haushalte vorgehalten<br />
wird, ist für ALG-II-Beziehende in Friedrichshain<br />
mittlerweile nicht mehr zu haben. „In den<br />
letzten Wochen ist es mir in vielen Fällen nicht<br />
gelungen, an ALG-II-Beziehende eine belegungsgebundene<br />
Wohnung im Rahmen der<br />
Jobcenter-Höchstgrenzen zu vermitteln“, berichtet<br />
Michael Breitkopf von der Sozialberatung<br />
des <strong>Mieter</strong>ladens Friedrichshain in<br />
der Kreutzigerstraße. „Geklappt hat <strong>die</strong> Wohnraumbeschaffung<br />
lediglich, wenn es gelang,<br />
Bedürftige über den Sozialpsychiatrischen<br />
Dienst des Bezirksamts zu stützen und <strong>die</strong>ser<br />
gegenüber dem Jobcenter mittels der Härtefallregelung<br />
tätig wurde oder eine Ausnahme<br />
über das Geschützte Marktsegment erfolgte.“<br />
Der Sozialpsychiatrische Dienst kann durch<br />
eine entsprechende Befürwortung den Erhalt<br />
des bestehenden Wohnverhältnisses oder <strong>die</strong><br />
Beschaffung einer neuen Wohnung in Gang<br />
setzen. Das „Geschützte Marktsegment“ sieht<br />
laut einer Vereinbarung zwischen dem Senat<br />
und der Wohnungswirtschaft vor, dass ein<br />
bestimmtes Kontingent an Wohnungen für<br />
Menschen in sozialen Schwierigkeiten, <strong>die</strong> ihre<br />
Wohnung verloren haben oder vor dem Verlust<br />
ihrer Wohnung stehen und auf dem Wohnungsmarkt<br />
chancenlos sind, bereitge<strong>stellt</strong><br />
wird.<br />
Verdrängung durch<br />
„Besserver<strong>die</strong>nende“<br />
Für <strong>die</strong> <strong>Mieter</strong>schaft jenseits solcher Ausnahmeregelungen<br />
gilt in Friedrichshain-Kreuzberg<br />
zurzeit für <strong>die</strong> einfache Wohnlage ein Mietspiegel-Mittelwert<br />
von 4,44 Euro/qm. Die<br />
Miete für Inhaber/<strong>innen</strong> von Wohnberechtigungsscheinen<br />
(WBS) wird durch Landeszuschüsse<br />
auf durchschnittlich 4,14 Euro/qm<br />
gedrückt. „Demnach dürfte es für ALG-II-<br />
Beziehende kein Problem sein, eine 50 bis 60<br />
qm große Wohnung zu finden – ist es aber“,<br />
resümiert Michael Breitkopf. Nach seiner<br />
Einschätzung ist <strong>die</strong> Wohnungsversorgung für<br />
ALG-II-Beziehende mit „Hartz-IV-kompatiblen“<br />
Wohnungen in Friedrichshain nahezu<br />
ausgeschlossen. Als Ursache für den Mangel<br />
nennt der Sozialberater in erster Linie drei<br />
Gründe. Erstens: Die drastischen <strong>Mieter</strong>höhungen<br />
in den zurückliegenden drei Jahren.<br />
Zweitens: Der geringe Anteil an verfügbaren<br />
Wohnraum im Bereich belegungsgebundener<br />
Wohneinheiten. Drittens: Die Explosion der<br />
Mietnebenkosten. So sei <strong>die</strong> Miethöhe in Friedrichshain<br />
bei Neuvermietungen innerhalb der<br />
letzten 36 Monate, insbesondere im Bereich<br />
des Samariter- und Boxhagener Kiezes, enorm<br />
gestiegen. Die Nettokaltmiete liege inzwischen<br />
bei mindestens 5,50 Euro/qm. In zahlreichen<br />
Fällen aber auch darüber. Dieser Wert<br />
bewege sich zwar weit über dem Wert, den<br />
der Mietspiegel mit 4,44 Euro abbilde, dennoch<br />
würden <strong>die</strong> verlangten Mieten von zahlungskräftigen<br />
Mietinteressenten akzeptiert.<br />
Neumieter/<strong>innen</strong> seien in der Regel Doppelver<strong>die</strong>ner/<strong>innen</strong><br />
oder Stu<strong>die</strong>rende mit entsprechendem<br />
finanziellen Hintergrund.<br />
WBS-Berechtigte gehen leer aus<br />
Insgesamt verfügt Friedrichshain über 4200<br />
„gebundene“ Wohnungen. Über das Instrument<br />
der Belegungsbindung behält sich der<br />
Bezirk das Recht vor, Wohnungen aus dem<br />
öffentlich geförderten Bestand für finanz-<br />
6 ME 319/2006