Phonak - Publikationsübersicht
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Family-Centered Care:<br />
<strong>Publikationsübersicht</strong><br />
Family-Centered Care ist ein Ansatz in der Gesundheitsversorgung, der auf der<br />
Erkenntnis basiert, dass die Familie eine zentrale Rolle für die Gesundheit der Betroffenen<br />
spielt. Der Patient und seine Familie werden als Partner auf Augenhöhe<br />
in die Behandlungsplanung, -umsetzung und -kontrolle einbezogen. FCC hat sich<br />
im letzten Jahrzehnt als Erfolgsmodell im Gesundheitswesen etabliert - und findet<br />
auch zunehmend seinen Weg in die Hörgeräteversorgung.
• Family-Centered Care:<br />
Ein Erfolgsmodell der modernen<br />
Gesundheitsversorgung<br />
• Family-Centered Care:<br />
Schwierige Gespräche erfolgreich führen<br />
• Family-Centered Care:<br />
Gemeinsame Entscheidungen herbeiführen<br />
• Family-Centered Care:<br />
Mit unterschiedlichen Wahrnehmungen<br />
umgehen<br />
• Family-Centered Care:<br />
Interview Louise Hickson:<br />
„Man sollte niemals Partei ergreifen“
Family-Centered Care<br />
Ein Erfolgsmodell der<br />
modernen Gesundheitsversorgung
veRsoRGuNGeN<br />
Die Einbindung der Familie<br />
Family-Centered Care: ein erFolgsmodell<br />
Der moDernen gesunDheitsversorgung<br />
auch Für Die hörgeräteBranche<br />
Die Erkenntnis, dass die Familie eine zentrale Rolle für die<br />
Gesundheit von Betroffenen spielt, setzt sich zunehmend in<br />
verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung durch<br />
aktuelles / BERUF IM FOKUS / schwerpunktthema / Blick über die grenzen / Perspektiven / Forschung und entwicklung<br />
Von Dr. sigrid scherpiet, Research Psychologist,<br />
und Dr. Gurjit singh, Senior Research Audiologist bei <strong>Phonak</strong><br />
Fotos: <strong>Phonak</strong><br />
family-Centered Care (fCC) hat sich im letzten Jahrzehnt international zum Erfolgsmodell in der<br />
Gesundheitsversorgung entwickelt – und birgt auch großes Potenzial für die Hörgerätebranche. Dieser<br />
Versorgungsansatz basiert auf der Erkenntnis, dass die familie eine zentrale Rolle für die Gesundheit von<br />
Betroffenen spielt. Der Hörgeräteträger und sein engeres Umfeld werden deshalb als Partner auf Augenhöhe<br />
in die Behandlungsplanung, -umsetzung und -kontrolle mit einbezogen. studien haben gezeigt: family-<br />
Centered Care bietet zahlreiche Vorteile für Patient, familie, Gesundheitsanbieter und das Gesundheitswesen.<br />
Ein Expertengremium unter Leitung von Prof. Louise Hickson, Professor of Audiology and Head of the school<br />
of Health and Rehabilitation sciences an der Universität Queensland, Australien, hat jetzt Empfehlungen für<br />
Hörgeräteakustiker entwickelt, wie sie die familie erfolgreich in den Versorgungsprozess integrieren können. 1<br />
eine Krankheit betrifft in den meisten Fällen<br />
nicht nur den Patienten, sondern auch sein<br />
Umfeld. Aus dieser Sicht hat sich in den letzten<br />
Jahren der sogenannte Family-Centered<br />
Care Ansatz entwickelt, der die Familie verstärkt in den<br />
Versorgungsprozess einbezieht und sich im Gesundheitswesen<br />
international zunehmend durchsetzt. Die<br />
Familienangehörigen übernehmen dabei mehr und<br />
mehr die Verantwortung für Therapieentscheidungen<br />
und wollen aktiv in den Therapieverlauf eingebunden<br />
sein. So fühlen sich 89 Prozent der erwachsenen Deutschen<br />
für die Gesundheit ihrer Eltern verantwortlich,<br />
88 Prozent haben sich in den letzten zwölf Monaten<br />
um Gesundheitsfragen ihrer Eltern gekümmert und 64<br />
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Prozent kontrollieren die Therapietreue bzw. Adhärenz.<br />
55 Prozent waren bereits an Kaufentscheidungen für<br />
Gesundheitsprodukte und 46 Prozent an Therapieentscheidungen<br />
ihrer Eltern beteiligt. 2<br />
In der Audiologie ist es seit langem anerkannt, dass<br />
ein Hörverlust auch für das Umfeld des Betroffenen<br />
negative psychosoziale Konsequenzen hat. 3 Diese<br />
können von nötigen Veränderungen des Lebensstils,<br />
über Einschränkungen bei gemeinsamen Aktivitäten<br />
und Kommunikationsschwierigkeiten bis hin zu einer<br />
emotionalen Belastung durch den Hörverlust des Anderen<br />
reichen.<br />
Ein durch <strong>Phonak</strong> einberufenes Expertenpanel hat<br />
es sich jetzt zur Aufgabe gemacht, basierend auf<br />
den bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu<br />
Family-Centered Care und den praktischen Erfahrungen<br />
aus anderen Bereichen des Gesundheitswesens<br />
Handlungsempfehlungen und Ausbildungsmaterialien<br />
speziell für die Hörgerätebranche zu entwickeln. Ziel<br />
des Panels ist es, die Umsetzung der wissenschaftlichen<br />
Ergebnisse in der Praxis zu fördern und Hörgeräteakustiker<br />
darin zu unterstützen, die Familie aktiv<br />
in den Versorgungsprozess zu integrieren und so die<br />
Erfolgschancen bezüglich Akzeptanz, Therapie und<br />
Zufriedenheit weiter zu verbessern.<br />
Perspektivenwechsel: Der Mensch im Mittelpunkt<br />
der Versorgung<br />
Ein Hörverlust beeinträchtigt nicht nur den Betroffenen,<br />
sondern hat ebenfalls Auswirkungen auf dessen<br />
Familie und engeres Umfeld. 4 Dennoch hat es lange<br />
gedauert, bis sich die Hörgerätebranche mit dem<br />
Potenzial beschäftigt hat, das eine Einbindung der<br />
Familie in die Hörgeräteversorgung bieten kann. Viele<br />
Jahre galt der Site-of-Lesion Ansatz (Diagnose und<br />
sofortige Therapie) in der Hörgeräteversorgung als<br />
Goldstandard. Er versteht es als die Hauptaufgabe<br />
des Hörgeräteakustikers, den Hörverlust nach Art und<br />
Ausmaß diagnostisch zu erfassen und daraus konkrete<br />
Versorgungsoptionen abzuleiten. Der nachteil dieses<br />
Ansatzes: Die technische Komponente der Versorgung<br />
steht im Fokus, während kognitive, emotionale und<br />
soziale Aspekte nicht immer berücksichtigt werden,<br />
obwohl sie oft eine zentrale Rolle für den Therapieerfolg<br />
spielen.<br />
Der Family-Centered Care Ansatz dagegen legt einen<br />
stärkeren Fokus auf genau diese Aspekte und betrachtet<br />
dafür nicht nur den Hörgeräteträger, sondern auch<br />
sein engeres soziales Umfeld: die Familie. Diese kann<br />
Partner, Kinder und Freunde einschließen, die für den<br />
Betroffenen wichtige Bezugspersonen sind. Der Hörgeräteträger<br />
entscheidet selbst, wer als „Familie“ gilt<br />
und in den Versorgungsprozess eingebunden werden<br />
soll. Als Partner auf Augenhöhe werden gemeinsam<br />
mit dem Hörgeräteakustiker alle relevanten Therapieentscheidungen<br />
getroffen – von der Beratungs-, über<br />
die Versorgungs- bis hin zur nachsorgephase.<br />
es hat lange gedauert, bis sich die<br />
hörgerätebranche mit dem potenzial beschäftigt<br />
hat, das eine einbindung der Familie in die<br />
hörgeräteversorgung bieten kann.<br />
Win-Win-Situation für alle Beteiligten<br />
Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahren gezeigt,<br />
dass sowohl der Betroffene, als auch die Familie,<br />
der Leistungserbringer und das Gesundheitswesen<br />
vom Family-Centered Care Ansatz profitieren können.<br />
Vorteile aus der Betroffenenperspektive<br />
Die Vorteile für den Betroffenen liegen unter anderem<br />
in besseren Versorgungsergebnissen, einer gesteigerten<br />
Adhärenz und einer höheren Zufriedenheit mit der<br />
Behandlung. 5 In der Hörgeräteversorgung haben sich<br />
Zehn Empfehlungen für die Umsetzung des Family-Centered Care Ansatzes:<br />
1) Laden Sie zu Terminen immer ein Familienmitglied mit ein und erläutern Sie dabei, warum eine Teilnahme sinnvoll ist.<br />
2) Schaffen Sie ein Beratungsumfeld, in dem die Familie in den Termin integriert und nicht als Zuschauer im Abseits platziert wird.<br />
3) Weisen Sie zu Beginn des Termins darauf hin, dass sowohl die Meinung des Hörgeräteträgers als auch der Familie gefragt ist.<br />
4) Vereinbaren Sie gemeinsame Hör- und Kommunikationsziele für Hörgeräteträger und Familie.<br />
5) Stellen Sie Therapieoptionen vor, die auf die Bedürfnisse und Ziele sowohl des Hörgeräteträgers als auch seiner Familie zugeschnitten sind.<br />
6) Achten Sie auf eine gemeinsame Entscheidungsfindung beim Erarbeiten des Maßnahmenplans.<br />
7) Betrachten Sie den Patienten und seine Familie als Experten, die jeden Tag mit dem Hörverlust leben.<br />
8) Förden Sie aktiv die Integration der Familie in sämtlichen Versorgungsschritten.<br />
9) Evaluieren Sie regelmäßig die Wirkung der Maßnahmen sowohl für den Hörgeräteträger als auch die Familie.<br />
10) Beziehen Sie sämtliche Mitarbeiter am Standort in die Umstellung auf den Family-Centered Care Ansatz mit ein.<br />
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Die Einbidung der Familie<br />
Bill Dickinson, Joseph Montano,<br />
Louise Hickson, Jill Preminger,<br />
Gurjit Singh, Ora Buerkli-<br />
Halevy, Gabrielle Saunders,<br />
Elizabeth Thompson – ein Teil<br />
des Expertenpanel zum Thema<br />
Family-Centered Care<br />
außerdem weitere positive Effekte einer aktiven Einbindung<br />
der Familie gezeigt. Sie kann unter anderem<br />
dem Betroffenen die Entscheidung erleichtern, Hilfe zu<br />
suchen und sich für Hörgeräte zu entscheiden. 6,7,8<br />
Darüber hinaus kann die Familie dem Betroffenen die<br />
richtige nutzung und Pflege des Geräts vermitteln 8 und<br />
sein Vertrauen darin stärken, dass er mit dem Hörverlust<br />
umgehen kann. 10 Die Einbindung der Angehörigen<br />
hat sich zudem als der Faktor mit dem größten Einfluss<br />
darauf erwiesen, ob der Betroffene ein erfolgreicher<br />
nutzer von Hörgeräten wird 11 und wie zufrieden er mit<br />
seinen Geräten ist. 12<br />
die Familie kann dem Betroffenen die richtige<br />
nutzung und pflege des geräts vermitteln und<br />
sein vertrauen darin stärken.<br />
Vorteile aus der Familienperspektive<br />
Für die Familie liegen die Vorteile des Family-Centered<br />
Care Ansatzes unter anderem darin, dass sie ein besseres<br />
Verständnis für die Auswirkungen des Hörverlusts<br />
auf den Betroffenen entwickeln können 13 und sich die<br />
Beziehungs- und Lebensqualität verbessert. 14<br />
Vorteile aus der Hörakustiker-Perspektive<br />
Hörakustiker profitieren unter anderem von einem<br />
vertrauensvolleren Verhältnis zu ihren Kunden durch<br />
die gemeinsame Entscheidungsfindung 15 und einer<br />
daraus resultierenden höheren Bereitschaft, ihren<br />
Empfehlungen zu folgen (90 Prozent versus 50 Prozent<br />
der Kunden, die nicht nach dem FCC-Ansatz versorgt<br />
werden). 16 Diese Faktoren führen auch zu einer<br />
höheren Jobzufriedenheit. 17<br />
Vorteile aus der Branchenperspektive<br />
Die positiven Auswirkungen von Family-Centered Care<br />
für Patient, Familie und Hörgeräteakustiker resultieren<br />
letztlich in einer höheren Versorgungsrate mit Hörgeräten.<br />
Eine Studie von Singh und Launer 18 hat jüngst festgestellt,<br />
dass 64 Prozent der Betroffenen sich für ein<br />
Hörgerät entscheiden, wenn sie den Beratungstermin<br />
gemeinsam mit der Familie wahrnehmen. Unter denjenigen,<br />
die den Hörgeräteakustiker alleine besuchen,<br />
sind dies nur 50 Prozent.<br />
Der nächste Schritt: Umsetzung in der audiologischen<br />
Praxis<br />
Auch wenn es dazu noch keine wissenschaftlichen Erhebungen<br />
gibt, zeichnet sich ein Paradigmenwechsel<br />
in der audiologischen Versorgung ab – weg von der<br />
technologie-getriebenen Site-of-Lesion Perspektive, hin<br />
zum holistischen Family-Centered Care Ansatz. nun<br />
gilt es, praktische Erfahrung zu sammeln und Sicherheit<br />
in der Anwendung des neuen Ansatzes zu erlangen.<br />
Dafür müssen neue Prozesse in der Beratung,<br />
Versorgung und nachsorge geschaffen werden. Die<br />
Herausforderung dabei: Aktuell fehlen noch die Grund-<br />
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Die Einbidung der Familie<br />
Der sogenannte Family-Centered Care<br />
Versorgungsansatz bezieht den Betroffenen und<br />
sein enges Umfeld als Partner auf Augenhöhe<br />
in die Behandlungsplanung, -umsetzung und<br />
-kontrolle ein. Diese Sichtweise birgt auch<br />
großes Potenzial für die Hörgerätebranche.<br />
lagen in Form von Guidelines und Trainingsmaterialien.<br />
Auch müssen ausreichend Zeit und Ressourcen eingeplant<br />
werden, um die nötigen Prozesse im eigenen<br />
Geschäft zu etablieren. Eine Gefahr könnte dabei darin<br />
bestehen, „zu schnell zu viel zu wollen“. Deshalb hat<br />
das Expertenpanel um Dr. Louise Hickson zwar eine<br />
Übersicht mit insgesamt zehn Handlungsempfehlungen<br />
für die Implementierung von Family-Centered Care<br />
in der Hörgeräteversorgung (siehe separater Kasten)<br />
entwickelt, rät Hörgeräteakustikern jedoch, sich zu<br />
Beginn auf die drei wichtigsten Empfehlungen zu konzentrieren<br />
und anschließend die Auswirkung auf die<br />
Lebensqualität zu evaluieren:<br />
1) Zu Terminen immer ein Familienmitglied mit einladen<br />
und dabei erläutern, warum eine Teilnahme<br />
sinnvoll ist.<br />
2) Ein räumliches Beratungsumfeld schaffen, in dem<br />
die Familie in den Termin integriert und nicht als Zuschauer<br />
im Abseits platziert wird.<br />
3) Zu Beginn des Termins darauf hinweisen, dass sowohl<br />
die Meinung des Hörgeminderten als auch der<br />
Familie gefragt sein wird.<br />
Außerdem sollte regelmäßig die Wirkung der Maßnahmen<br />
sowohl für den Betroffenen als auch die Familie<br />
evaluiert werden, um den Erfolg für alle Beteiligten zu<br />
messen. Diese Empfehlungen erfordern zwar eine minimale<br />
Anpassung der Beratungsroutine und der räumlichen<br />
Situation, aber es lohnt sich: Der Family-Centered<br />
Care Ansatz kann helfen, die Qualität der Hörgeräteversorgung<br />
weiter zu verbessern und bietet dabei die<br />
Chance für Hörgeräteakustiker, ihre Kundenbeziehungen<br />
weiter auszubauen.<br />
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Die Einbindung der Familie<br />
ÜBer die autoren:<br />
Gurjit singh, ist Senior Research<br />
Audiologist (PhD)und Programm-<br />
Manager bei <strong>Phonak</strong>. Er arbeitet<br />
am Standort Toronto, Kanada, in<br />
der Abteilung für Langzeitforschung<br />
des Unternehmens. Er ist<br />
zudem als Lehrbeauftragter an<br />
der Universität Ryerson, an der<br />
Universität Toronto und am Toronto<br />
Rehabilitationszentrum tätig.<br />
Als Teil des Expertenpanels zu<br />
Family-Centered Care liegt einer<br />
seiner Forschungsschwerpunkte<br />
auf den Erfolgsfaktoren der audiologischen<br />
Rehabilitation.<br />
Dr. sigrid scherpiet arbeitet<br />
bei der Sonova AG in Stäfa,<br />
Schweiz, im Team für kognitive<br />
und ökologische Audiologie. Die<br />
Diplom-Psychologin mit einem<br />
Abschluss in Neuropsychologie<br />
und in Verhaltenspsychologie<br />
beschäftigt sich insbesondere<br />
mit den psychosozialen Faktoren<br />
von Hörverlust. Für <strong>Phonak</strong><br />
untersucht sie als Teil eines<br />
Expertenpanels die Rolle der Angehörigen<br />
für eine erfolgreiche<br />
Hörgeräteversorgung.<br />
QueLLeN:<br />
1 http://www.hearingreview.com/2016/03/family-centered-adult-audiologic-care-phonak-position-statement/<br />
2 www.angehoerigenstudie.de<br />
3 Scarinci n, Worrall L, Hickson L. The effect of hearing impairment in older<br />
people on the spouse development and psychometric testing of the significant<br />
other scale for hearing disability (SOSHEAR). Int J Audiol. 2009;48:671-683.<br />
4 Kamil RJ, Lin FR. The effects of hearing impairment in older adults on<br />
communication partners: A systematic review. J Am Academy Audiol.<br />
2015;26(2):155-182.<br />
5 Stewart M, Brown J, Donnar A, McWhinney I, Oates J, Weston W, et al. The impact<br />
of patient-centred care on outcomes. J Family Practice. 2000;49:796-804.<br />
6 Laplante-Lévesque A, Hickson L, Worrall L. Predictors of rehabilitation intervention<br />
decisions in adults with acquired hearing impairment. J Sp Lang Hear<br />
Res. 2011;54(5):1385-1399. doi: 10.1044/1092-4388(2011/10-0116)<br />
7 Mahoney CFO, Stephens SDG, Cadge BA. Who prompts patients to consult<br />
about hearing loss?. Brit J Audiol. 996;30(3):153-158.<br />
8 Laplante-Lévesque A, Hickson L, Worrall L. Factors influencing rehabilitation<br />
decisions of adults with acquired hearing impairment. Int J Audiol. 2010;49:497-<br />
507.<br />
9 Manchaiah VK, Stephens D. Perspectives on defining ‘hearing loss’ and its<br />
consequences. Hearing, Balance and Commun. 2013;11(1):6-16.<br />
10 Meyer C, Hickson L, Lovelock K, Lampert M, Khan A. An investigation of<br />
factors that influence helpseeking for hearing impairment in older adults. Int J<br />
Audiol. 2014;53(Sup1):S3-S17.<br />
11 Hickson L, Meyer C, Lovelock K, Lampert M, Khan A. Factors associated<br />
with success with hearing aids in older adults. Int J Audiol. 2014;53:S18-S27.<br />
12 Singh G, Lau ST, Pichora-Fuller MK. Social support and hearing aid satisfaction.<br />
Ear Hear. 2015;36(6):664-676.<br />
13 Hallberg LRM, Barrenäs ML. Group rehabilitation of middle-aged males with<br />
noise-induced hearing loss and their spouses: evaluation of short-and long-term<br />
effects. Brit J Audiol. 1994;28(2):71-79.<br />
14 Habanec OL, Kelly-Campbell RJ. Outcomes of group audiological rehabilitation<br />
for unaided adults with hearing impairment and their significant others. Am<br />
J Audiol. 2015;24(1):40-52.<br />
15 Preminger JE, Oxenbøll M, Barnett MB, Jensen LD, Laplante-Lévesque<br />
A. Perceptions of adults with hearing impairment regarding the promotion<br />
of trust in hearing healthcare service delivery. Int J Audiol. 2015;54:20-8. doi:<br />
10.3109/14992027.2014.939776.<br />
16 English K, Kasewurm G. Audiology and patient trust. Audiology Today.<br />
2012;24(2):33-38.<br />
17 Lein C, Wills CE. Using patient-centered interviewing skills to manage<br />
complex patient encounters in primary care. J Am Acad nurse Pract.<br />
2007;19(5):215-220.<br />
18 Singh G, Launer S. Social context and the decision to pursue hearing aids.<br />
Paper submitted.<br />
52 Audio infos n°183 JULI 2016<br />
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Family-Centered Care<br />
Schwierige Gespräche<br />
erfolgreich führen
VERSORGUNGEN<br />
EINBINDUNG DER FAMILIE<br />
FAMILY-CENTERED CARE:<br />
SCHWIERIGE GESPRÄCHE<br />
ERFOLGREICH FÜHREN<br />
Von Dr. Jana Besser (Sonova<br />
AG) & Marco Faltus (Sonova<br />
Deutschland GmbH)<br />
Fotos: <strong>Phonak</strong>/Sonova<br />
Aktuelles / BERUF IM FOKUS / Schwerpunktthema / Blick über die Grenzen / Perspektiven / Forschung und Entwicklung<br />
Family-Centered Care (FCC) hat sich im<br />
letzten Jahrzehnt zum Erfolgsmodell in der<br />
Gesundheitsversorgung entwickelt. Ein durch<br />
<strong>Phonak</strong> einberufenes Experten-Panel setzt<br />
sich dafür ein, dass sich dieser Ansatz auch<br />
zunehmend in der Hörbranche durchsetzt.<br />
Heute wissen wir, dass die Familie eine zentrale<br />
Rolle für die Gesundheit von Betroffenen spielt.<br />
Deshalb werden der Hörsystemträger und sein<br />
engeres Umfeld immer häufiger als Partner<br />
auf Augenhöhe in die Behandlungsplanung,<br />
-umsetzung und -kontrolle mit einbezogen.<br />
Studien belegen die zahlreichen Vorteile dieses<br />
Versorgungsansatzes (siehe Fachbeitrag zu<br />
Family-Centered Care in der Ausgabe 183/<br />
Juli 2016). Für eine erfolgreiche Umsetzung in<br />
der täglichen Praxis ist es wichtig, sich bewusst<br />
zu machen, dass der Betroffene und die<br />
Familie den Hörverlust und seine Bedeutung<br />
nicht immer gleich einschätzen. Wenn<br />
Hörakustiker sich darauf einstellen und einige<br />
Empfehlungen für die Gesprächsführung<br />
beachten, können alle Beteiligten von Family-<br />
Centered Care profitieren.<br />
Wenn der Hörgeräteträger und die Familie mit dem Ergebnis der Beratung zufrieden<br />
sind, verläuft der gesamte Versorgungsprozess besser – und der Betroffene entscheidet<br />
sich eher für Hörsysteme<br />
Im Fachbeitrag „Family-Centered Care: Ein Erfolgsmodell<br />
der modernen Gesundheitsversorgung auch<br />
für die Hörgerätebranche“ (Audio Infos #183) wurde<br />
Family-Centered Care als zukunftsweisender Versorgungsansatz<br />
vorgestellt. Er basiert auf der Erkenntnis,<br />
dass eine Krankheit nicht nur den Betroffenen, sondern<br />
auch sein Umfeld betrifft und bezieht deshalb<br />
die Familie verstärkt in den Versorgungsprozess ein.<br />
Ein von <strong>Phonak</strong> einberufenes Expertenpanel unter Leitung<br />
von Dr. Louise Hickson, Professor of Audiology<br />
and Head of the School of Health and Rehabilitation<br />
Sciences an der Universität Queensland, Australien,<br />
hat basierend auf den bisherigen wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen zu Family-Centered Care und den praktischen<br />
Erfahrungen aus der Hörsystemversorgung<br />
sowie anderen Bereichen des Gesundheitswesens<br />
Handlungsempfehlungen speziell für die Hörgerätebranche<br />
entwickelt. 1<br />
24 AUDIO INFOS N°189 JANUAR 2017<br />
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VERSORGUNGEN<br />
Eine Familie, unterschiedliche Wahrnehmungen…<br />
In der Audiologie ist es längst anerkannt, dass ein<br />
Hörverlust nicht nur für den Betroffenen, sondern<br />
auch für sein Umfeld negative psychosoziale Konsequenzen<br />
hat. 2 Dazu zählen nötige Veränderungen<br />
des Lebensstils, Einschränkungen bei gemeinsamen<br />
Aktivitäten und Kommunikationsschwierigkeiten, aber<br />
auch eine emotionale Belastung durch den Hörverlust<br />
des Anderen.<br />
Diese negativen psychosozialen Konsequenzen beeinflussen<br />
auch die Wahrnehmung des Hörverlusts<br />
durch die Familie und ihre Erwartungshaltung an eine<br />
Hörsystemversorgung. Dabei weicht die Sichtweise der<br />
Familie häufig von der des Betroffenen selbst ab.<br />
Hörakustiker sind aus der traditionellen Patientenversorgung<br />
mit schwierigen Gesprächssituationen im Dialog<br />
mit den Betroffenen vertraut, bspw. wenn diese Vorbehalte<br />
gegen Hörgeräte oder unrealistische Erwartungen<br />
an die Versorgung haben. Wenn ein Familienmitglied<br />
Es ist wichtig, sich vor Augen zu<br />
halten, dass es in schwierigen<br />
Gesprächssituationen bei Family-<br />
Centered Care immer um Gefühle<br />
geht.<br />
mit am Beratungstisch sitzt, steigt die Komplexität dieser<br />
Situationen nochmals deutlich.<br />
Was ist, wenn der Betroffene und das Familienmitglied<br />
sich widersprechen? Wenn gegenseitige Vorwürfe aufkommen<br />
und ein Streit entsteht? Oder wenn die Familie<br />
die Gesprächsführung an sich reißt und der Betroffene<br />
selbst sich zurückzieht? Bei einer solchen Aussicht mag<br />
es schnell verlockend erscheinen, die Familie erst gar<br />
nicht ins Gespräch zu integrieren, um die Dinge nicht<br />
unnötig zu verkomplizieren. Es wäre jedoch schade,<br />
grundsätzlich auf das Einbeziehen der Familie zu verzichten,<br />
denn der Family-Centered Care Ansatz bringt<br />
auch viele Chancen und Vorteile mit sich.<br />
Eine der zehn Empfehlungen, die in der Einführung zu<br />
Family-Centered Care in der Juliausgabe vorgestellt<br />
wurden, lautete: „Weisen Sie zu Beginn des Termins<br />
darauf hin, dass sowohl die Meinung des Hörsystemträgers<br />
als auch der Familie gefragt ist.“ Wenn Betroffener<br />
und Familie die Situation gleich wahrnehmen und beide<br />
offen für die Hilfe des Hörakustikers sind, kann dieser<br />
zielgerichtet mit der Beratung fortfahren.<br />
Wenn dies nicht der Fall ist, kommt schnell das ungute<br />
Gefühl auf, dass man die sprichwörtliche Büchse<br />
der Pandora öffnet, wenn man sich auf eine Dreierkonstellation<br />
einlässt<br />
und beide Seiten<br />
nach Ihrer Sicht auf<br />
den Hörverlust und<br />
die Hörgeräteversorgung<br />
befragt. 3<br />
Wenn der Vater mit<br />
dem Sohn … 4<br />
Ein Beispiel aus der<br />
Praxis: Der Sohn ist<br />
der Meinung, der<br />
Vater bräuchte dringend<br />
ein Hörsystem,<br />
der Vater erklärt aber<br />
im gemeinsamen<br />
Erstgespräch beim<br />
Hörakustiker, dass<br />
er für sein Alter doch<br />
ganz normal hört<br />
und nur mitgekommen<br />
ist, weil sein<br />
Sohn ihn schon seit<br />
längerem drängt. Der<br />
Sohn holt tief Luft<br />
und setzt zu einer<br />
entsprechenden Antwort<br />
an … In diesem Moment mag es als zielgerichtet<br />
erscheinen, sich einfach auf den Vater zu konzentrieren<br />
und zu versuchen, ihn über einen Hörtest und eindeutige<br />
Ergebnisse auf eine Hörlösung zuzuführen. 5<br />
Das mag zwar Zeit sparen und Konflikte vermeiden,<br />
aber wahrscheinlich wird der Vater auch am Ende der<br />
Beratung seine Haltung nicht aufgeben, da er den<br />
bisher hartnäckig geleugneten Hörverlust nicht vor<br />
seinem Sohn eingestehen möchte.<br />
Auch wenn es effizienter erscheinen mag, die Spannungen<br />
im Raum zu übergehen und direkt in den<br />
Problemlösungsmodus zu schalten, ist es wichtig<br />
sich vor Augen zu halten, dass es in schwierigen Gesprächssituationen<br />
bei Family-Centered Care immer<br />
um Gefühle geht 6 und dass es kontraproduktiv ist,<br />
diese zu ignorieren. Nur wenn die Sorgen, Vorbehalte,<br />
Erwartungen und Wünsche aller Beteiligten im Laufe<br />
des Gesprächs adressiert werden, werden sich Hörgeräteträger<br />
und Familie gut beraten fühlen und mit dem<br />
Ergebnis zufrieden sein.<br />
Deshalb sollte es in einer solchen Gesprächskonstellation<br />
immer das Ziel sein, dem Vater einen Weg<br />
aufzuzeigen, die Situation neu und auch einmal aus<br />
der Perspektive seines Sohnes zu betrachten. Dafür<br />
ist es wichtig, dass der Hörakustiker nicht nur mit dem<br />
Vater und dann mit dem Sohn spricht, sondern dass<br />
er die beiden miteinander ins Gespräch bringt. Eine<br />
mögliche Strategie ist es, Vater und Sohn zu bitten, zu<br />
Das Expertenteam<br />
von <strong>Phonak</strong> hat den<br />
Family-Centered Care<br />
Versorgungsansatz auf die<br />
Hörakustik übertragen und<br />
Empfehlungen erarbeitet, um<br />
Betroffene und die Familie<br />
als Partner auf Augenhöhe<br />
in die Behandlungsplanung,<br />
-umsetzung und -kontrolle<br />
einzubeziehen<br />
JANUAR 2017 N°189 AUDIO INFOS<br />
25<br />
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VERSORGUNGEN<br />
EINBINDUNG DER FAMILIE<br />
erzählen, was sie gerne als Familie gemeinsam<br />
unternehmen. Dabei wird das Gespräch schnell<br />
auf die Dinge kommen, die so nicht mehr oder<br />
nur eingeschränkt stattfinden, weil der Vater<br />
nicht mehr alles richtig hört. Durch Nachhaken<br />
kann man dem Vater helfen zu erkennen, dass<br />
der Sohn unter diesen Einschränkungen leidet,<br />
weil er die gemeinsame Zeit immer sehr genossen<br />
hat – und dass er den Vater nicht zu einem<br />
Termin beim Hörakustiker gedrängt hat, weil er<br />
genervt ist, sondern weil er sich wieder mehr<br />
Familienzeit wünscht.<br />
Vier Empfehlungen für die Gesprächsführung:<br />
1) Ignorieren Sie die Emotionen und Spannungen im<br />
Raum nicht.<br />
2) Nutzen Sie offene Fragestellungen, um Betroffene und<br />
Familie ins gemeinsame Erzählen zu bringen.<br />
3) Geben Sie der Familie die Möglichkeit, ihre Sicht auf die<br />
Dinge neu zu formulieren und damit dem Betroffenen die<br />
Möglichkeit, sich in ihre Lage zu versetzen.<br />
4) Warten Sie erst einmal ab, wenn eine Pause im Gespräch<br />
entsteht und geben Sie den beiden Gesprächspartnern die<br />
Zeit, sich zu sammeln und weitere Gedanken zu äußern.<br />
Die richtige Gesprächsstrategie wählen …<br />
Im Beispiel vom Vater und Sohn bieten sich vier verschiedene<br />
Strategien an, die Hörakustikern helfen<br />
können, schwierige Gesprächssituationen souverän zu<br />
meistern und positiv aufzulösen 4 :<br />
aber das wird sich im Laufe des Gesprächs ganz von<br />
selbst ergeben.<br />
3) Geben Sie der Familie die Möglichkeit, ihre Sicht<br />
auf die Dinge neu zu formulieren. Meist konzentrieren<br />
sich Familienmitglieder im Beratungsgespräch auf<br />
Dinge, die sie frustrieren (der laute Fernseher, die<br />
Missverständnisse, etc.); das kann mit gegenseitigen<br />
Anschuldigungen enden. Dabei ist es wichtig, dass<br />
zum Ausdruck kommt, dass es nicht um Anschuldigungen<br />
geht, sondern darum, dass das Familienleben<br />
durch das eingeschränkte Hören leidet und die Familie<br />
sich eine Lösung wünscht. Diese Perspektive kann<br />
dem Betroffenen helfen, sich in die Lage der Familie<br />
Es geht nicht um<br />
Anschuldigungen, sondern darum,<br />
dass das Familienleben durch das<br />
eingeschränkte Hören leidet.<br />
Mit offenen<br />
Fragestellungen kann der<br />
Hörakustiker den Betroffenen<br />
und die Familie wieder<br />
ins gemeinsame Erzählen<br />
bringen.<br />
1) Ignorieren Sie die Emotionen im Raum nicht, auch<br />
wenn es verlockend erscheinen mag, sich in der eigenen<br />
Komfortzone zu bewegen, die Spannungen zwischen<br />
Betroffenem und Familie zu ignorieren und sich<br />
auf das Kerngeschäft (Hörtest und Aufklärung über<br />
die Ergebnisse) zu fokussieren. Letztlich bietet sich<br />
eine wertvolle Chance, das Vertrauen des Kunden und<br />
seiner Familie zu erlangen, indem man proaktiv auf die<br />
Gefühle und Spannungen eingeht.<br />
2) Nutzen Sie offene Fragestellungen, um beide Seiten<br />
ins gemeinsame Erzählen zu bringen, beispielsweise<br />
indem Sie nach Unternehmungen oder Ritualen in der<br />
Familie fragen. Die ersten Antworten drehen sich vielleicht<br />
noch nicht um herausfordernde Hörsituationen,<br />
zu versetzen und ihn motivieren, sich mit einer Lösung<br />
zu beschäftigen.<br />
4) Warten Sie erst einmal ab, selbst wenn Sie das Gefühl<br />
haben, dass von Ihnen erwartet wird, die Lücke im<br />
Gespräch zu füllen. Wenn einer der beiden oder beide<br />
Gesprächspartner den Augenkontakt mit Ihnen suchen<br />
und damit signalisieren, dass Sie bitte eingreifen sollen,<br />
kann es sich auszahlen, erst einmal abzuwarten. Häufig<br />
gibt es noch mehr, was ausgesprochen werden sollte,<br />
auch wenn die Gesprächspartner einen Moment brauchen,<br />
sich zu fassen oder ihre Gedanken zu sortieren.<br />
Wenn Sie nicht sofort eingreifen, entstehen oft weiterführende<br />
Dialoge, die zum gegenseitigen Verständnis und<br />
einer gemeinsamen Sicht auf die Situation führen.<br />
Die Familie ist der Betroffene …<br />
Natürlich sind nicht alle Familien intakt und haben<br />
ein Interesse daran, den Betroffenen zu unterstüt-<br />
26 AUDIO INFOS N°189 JANUAR 2017<br />
AI_189.indd 26 09.01.17 14:0
As a first step in understanding family-centered care, we could contemplate a basic principle already<br />
consistently applied in pediatric audiology: that in family-centered care, the family is the patient.<br />
future “family education” sessions, she helped<br />
the family move beyond its stressful impasse.<br />
A New Framework for Audiology: The<br />
Family is the Patient<br />
Obviously, not all families are healthy and<br />
supportive, and not all patients are interested<br />
in restoring family relations. We know from<br />
experience that some families will not agree<br />
on much, including the impact of hearing<br />
loss or the need for hearing help. Sometimes<br />
family members disengage from the process<br />
altogether. Obviously, audiologists are not<br />
family counselors. 12 However, it’s the rare<br />
patient who has no “family” in his or her life<br />
(in the broadest definition, to include friends<br />
and communication partners, per Singh et<br />
al 1 ), and we cannot deny the impact supportive<br />
families can have on patient success. 13 As<br />
complicated as families might be, we would be<br />
remiss to exclude them from patient care. As<br />
a first step in understanding family-centered<br />
care, we could contemplate a basic principle<br />
already consistently applied in pediatric audiology<br />
14 : that in family-centered care, the family<br />
is the patient. 15,16<br />
When the family is our patient, our outcome<br />
questions change accordingly: Is the<br />
family happy, satisfied, generally adjusting<br />
well? To date, we do not have a valid way in<br />
audiology to answer these questions.<br />
Where Do We Go From Here?<br />
Not surprisingly, managing difficult<br />
conversations requires advanced skills. For<br />
instance, Browning et al 17 describe a set of<br />
“difficult conversation competencies” which<br />
includes:<br />
n Comfort with our own imperfection and<br />
vulnerability;<br />
n Expecting—not avoiding—uncertainty,<br />
ambiguity, and complexity.<br />
Readers will likely agree that these personal<br />
characteristics are not typically discussed<br />
in audiology. The lack of attention to<br />
“who we are” and the issues of control and<br />
power in these encounters probably explains<br />
a comment the first author recently heard at<br />
a conference: “…As long as they (patients/<br />
families) think they are getting their way…”<br />
The encouraging news is, becoming comfortable<br />
and effective with difficult conversations<br />
is a teachable and learnable skill. 18-20 There<br />
is much more to learn as well, and future<br />
articles will contribute to our understanding<br />
of family-centered care in audiology. ◗<br />
Acknowledgements<br />
This article is part of the ongoing collaboration<br />
of the <strong>Phonak</strong> Family-Centered Care<br />
Expert Circle, which includes the authors and<br />
Ora Buerkli-Halevy, Vice President Global<br />
Audiology, <strong>Phonak</strong> AG; Bill Dickinson,<br />
AuD, Vice President Audiology, <strong>Phonak</strong>;<br />
Louise Hickson, PhD, panel chairperson and<br />
Professor of Audiology and Head of the School<br />
of Health and Rehabilitation Sciences at The<br />
University of Queensland, Brisbane, Australia;<br />
Nerina Scarinci, PhD, Senior Lecturer, Speech<br />
Pathology and Audiology, The University of<br />
Queensland, Queensland, Australia; Stefan<br />
Launer, PhD, VP of Science and Technology,<br />
<strong>Phonak</strong> AG and Adjunct Professor at The<br />
University of Queensland, Queensland,<br />
Australia; Ulrike Lemke, PhD, Senior<br />
Researcher, <strong>Phonak</strong> AG; Sigrid Scherpiet, PhD,<br />
Research Psychologist, <strong>Phonak</strong> AG; Gurjit<br />
Singh, PhD, Senior Research Audiologist,<br />
<strong>Phonak</strong> AG; Barbra Timmer, MACAud,<br />
MAudSA, MBA, Research Audiologist and<br />
PhD Candidate, University of Queensland,<br />
Brisbane, Australia.<br />
References<br />
1. Singh G, Hickson L, English K, Scherpiet S, Lemke U,<br />
Timmer B, Buerkli-Halevy O, Montano J, Preminger<br />
J, Scarinci N, Saunders G, Jennings MB, Launer S.<br />
Family-Centered Adult Audiologic Care: A <strong>Phonak</strong><br />
Position Statement. Hearing Review. 2016;23(4):16.<br />
Available at: http://www.hearingreview.com/2016/03/<br />
family-centered-adult-audiologic-care-phonak-positionstatement<br />
2. Stone D, Patton B, Heen S. Difficult Conversations:<br />
How to Discuss What Matters Most. NY: Viking<br />
Press;1999.<br />
3. English K, Kooper R, Bratt G. Informing parents of their<br />
child’s hearing loss: “Breaking bad news” guidelines<br />
for audiologists. Audiology Today. 2004;16(2):10-12.<br />
4. Hutchinson P. The “real” tinnitus story: Lessons<br />
learned about true patient-centered care. October<br />
2014. Available: http://advancingaudcounseling.<br />
com/?p=222<br />
5. Schön D. Educating the Reflective Practitioner: Toward<br />
a New Design for Teaching and Learning in the<br />
Professions. San Francisco: Jossey-Bass;1987.<br />
6. Martin E, Mazzola N, Brandano J, Luff D, Zurakowski<br />
D, Meyer E. Clinicians’ recognition and management<br />
of emotions during difficult healthcare conversations.<br />
Patient Education and Counseling. 2015;98:1248-1254.<br />
7. Grenness C, Hickson L, Laplante-Levesque A,<br />
Meyer C, & Davidson B. Communication patterns in<br />
audiological history-taking: Audiologists, patients and<br />
their companions. Ear Hear. 2015;36(2):191-204.<br />
8. Gardner H. Changing minds: The Art and Science of<br />
Changing Our Own and Other People’s Minds. Boston:<br />
Harvard Business School Press;2004:57.<br />
9. Pipher M. Writing to Change the World. New York:<br />
Riverhead Books;2006:100.<br />
10. Adams K, Cimino J, Arnold R, Anderson W. Why<br />
should I talk about emotion? Communication<br />
patterns associated with physician discussion of<br />
patient expressions of negative emotions in hospital<br />
admission encounters. Patient Education and<br />
Counseling. 2012;89:44-50.<br />
11. Ekberg K, Grenness C, Hickson L. Addressing<br />
patients’ social concerns regarding hearing aids within<br />
audiology appointments for older adults. Am J Audiol.<br />
2015;23:337-350.<br />
12. Clark J, English K. Counseling-infused Audiologic<br />
Care. Boston: Allyn & Bacon;2014.<br />
13. Institute of Medicine. Crossing the Quality Chasm:<br />
A New Health System for the 21st Century.<br />
Washington, DC: National Academy Press;2001.<br />
14. Harrison M. Facilitating communication in infants and<br />
toddlers with hearing loss. In: Seewald R, Tharpe<br />
AM, eds. Comprehensive Handbook of Pediatric<br />
Audiology. San Diego: Plural Publishing;2016: 829-<br />
847.<br />
15. Allmond B. The Family is the Patient: Using Family<br />
Interviews in Children’s Medical Care. Baltimore:<br />
Williams and Wilkins;1999.<br />
16. Meyer E et al. Difficult conversations: Improving<br />
communication skills and relational abilities in health<br />
care. Pediatric Critical Care Med. 2009;10(3):352-359.<br />
17. Browning DM, Meyer EC, Troug RD, Solomon MZ.<br />
Difficult conversations in health care: Cultivating<br />
relational learning to address the hidden curriculum.<br />
Medical Education. 2007;82:95-113.<br />
18. Back AL, Arnold RM, Baile WF, Tulsky JA, Fryer-<br />
Edwards K. Approaching difficult communication<br />
tasks in oncology. Cancer Journal for Clinicians.<br />
2005;55:164-177.<br />
19. Epner D, Baile W. Difficult conversations: Teaching<br />
medical oncology trainees communication skills one<br />
hour at a time. Academic Medicine. 2014;89(4).<br />
20. Meyers L. Counseling today: All in the family.<br />
September 2014. Available: http://ct.counseling.<br />
org/2014/09/all-in-the-family<br />
CORRESPONDENCE to Dr English<br />
at: ke3@uakron.edu. To learn more<br />
about the Family-centered audiology<br />
care initiative, email Ora Buerkli-<br />
Halevy at: ora.buerkli@phonak.com<br />
AUGUST 2016 I HEARINGREVIEW.COM 17
VERSORGUNGEN<br />
EINBINDUNG DER FAMILIE<br />
zen. Bei schwierigen Familienkonstellationen geraten<br />
Hörakustiker verständlicherweise an Grenzen, denn sie<br />
sind schließlich keine Familienberater. 7 Nachdem es<br />
jedoch selten vorkommt, dass es gar keine Familie im<br />
erweiterten Sinn gibt, die ein Interesse daran hat, den<br />
Betroffenen auf dem Weg zur Hörsystemversorgung<br />
zu unterstützen und die Vorteile von Family-Centered<br />
Care inzwischen nachgewiesen sind 8 , sollte es generell<br />
immer erst einmal das Ziel sein, das nähere Umfeld des<br />
Betroffenen in den Versorgungsprozess einzubeziehen.<br />
Die besten Chancen auf einen positiven Verlauf der<br />
Beratung und Hörsystemversorgung hat aus der bisherigen<br />
Erfahrung mit Family-Centered Care, wer einen<br />
zentralen Gedanken aus der Pädaudiologie beherzigt:<br />
Die Familie ist der Betroffene. 9-11 Das bedeutet, sich<br />
nach einem Beratungstermin oder der Anpassung zu<br />
fragen, ob die Familie sich verstanden fühlt, ob die Familie<br />
zufrieden ist und ob die Familie gut mit der neuen<br />
Situation zurechtkommt.<br />
Man kann lernen, sich auch in<br />
schwierigen Gesprächssituationen<br />
wohlzufühlen und diese effektiv zu<br />
lenken.<br />
Dieser Ansatz verlangt zugegebenermaßen ein gewisses<br />
Umdenken, und der Umgang mit schwierigen<br />
Gesprächssituationen erfordert neue Fähigkeiten: So<br />
müssen sich Hörakustiker laut Browning et al. 12 das<br />
eigene Nicht-Perfektsein und die eigene Verletzlichkeit<br />
eingestehen, um souverän mit unerwünschten<br />
Gesprächsverläufen umgehen zu können. Sie müssen<br />
sich außerdem auf Unsicherheit und eine gestiegene<br />
Komplexität der Gesprächssituationen einstellen.<br />
Diese verstärkte Auseinandersetzung mit den emotionalen,<br />
zusätzlich zu den technischen, Aspekten der<br />
Hörsystemversorgung mag zunächst herausfordernd<br />
erscheinen. Aber die Erfahrung zeigt: Man kann es<br />
systematisch erlernen, sich auch in schwierigen Gesprächssituationen<br />
wohlzufühlen und diese effektiv<br />
zu lenken. 13-15<br />
Wir sind davon überzeugt, dass es sich lohnt, sich darauf<br />
einzulassen und diese Fähigkeiten zu erwerben,<br />
denn wenn Hörsystemträger und Familie gleichermaßen<br />
zufrieden sind, verläuft der gesamte Versorgungsprozess<br />
besser – und letztlich entscheidet sich der Betroffene<br />
dann eher für Hörsystem.<br />
Dr. Jana Besser arbeitet bei der<br />
Sonova AG in Stäfa, Schweiz, in<br />
der Forschungsabteilung im Team<br />
für kognitive und ökologische<br />
Audiologie. Sie beschäftigt sich<br />
in ihrer Forschungsarbeit mit den<br />
positiven Auswirkungen der Hörsystemnutzung<br />
auf kognitive Aspekte<br />
des Hörens. Darüber hinaus<br />
arbeitet sie an der Entwicklung von audiologischen<br />
Services, die unter anderem den psychosozialen<br />
Kontext von Hörverlust adressieren, wie zum Beispiel<br />
Family-Centered Care.<br />
Marco Faltus ist seit Mai 2013<br />
Leiter der Audiologie und technischer<br />
Support des Geschäftsbereichs<br />
<strong>Phonak</strong> bei der Sonova<br />
Deutschland GmbH. In seiner<br />
Position verantwortet er unter<br />
anderem die Vertriebsaudiologie,<br />
den audiologischen Support<br />
und den ITE-Support.<br />
Der ausgebildete Hörgeräteakustik-Meister bekleidet<br />
seit Juni 2012 die Fachleitung Audiologie und<br />
Training bei <strong>Phonak</strong>. In dieser Position ist er für<br />
die audiologische Kommunikation, die Planung<br />
und Realisierung von Produktschulungen sowie<br />
die Organisation und Strukturierung von Vorträgen<br />
verantwortlich.<br />
Quellen:<br />
1 http://www.hearingreview.com/2016/03/family-centered-adult-audiologic-care-phonak-position-statement/<br />
2 Scarinci N, Worrall L, Hickson L. The effect of hearing<br />
impairment in older people on the spouse development<br />
and psychometric testing of the significant other<br />
scale for hearing disability (SOSHEAR). Int J Audiol.<br />
2009;48:671-683.<br />
3 Martin E, Mazzola N, Brandano J, Luff D, Zukarowski<br />
D, Meyer E. Clinicians recognition and management of<br />
emotions during difficult healthcare conversations. Patient<br />
Education and Counselling. 2015;98;12248-1254<br />
4 Kris English et al Working with Difficult Conversations.<br />
Hearing review, 23(8):14.<br />
28 AUDIO INFOS N°189 JANUAR 2017<br />
AI_189.indd 28 09.01.17 14:01
VERSORGUNGEN<br />
5 Grenness C, Hickson L, Laplante-Levesque A, Meyer<br />
C, & Davidson B. Communication patterns in audiological<br />
history-taking: Audiologists, patients and their<br />
companions. Ear Hear. 2015;36(2):191-204.<br />
6 Stone D, Patton B, Heen S. Difficult Conversations:<br />
How to Discuss What Matters Most. NY: Viking<br />
Press;1999.<br />
7 Clark J, English K. Counseling-infused Audiologic<br />
Care. Boston: Allyn & Bacon;2014.7 Mahoney<br />
CFO, Stephens SDG, Cadge BA. Who prompts patients<br />
to consult about hearing loss?. Brit J Audiol.<br />
996;30(3):153-158.<br />
13 Back AL, Arnold RM, Baile WF, Tulsky JA, Fryer-Edwards<br />
K. Approaching difficult communication tasks in<br />
oncology. Cancer Journal for Clinicians. 2005;55:164-<br />
177.<br />
14 Epner D, Baile W. Difficult conversations: Teaching<br />
medical oncology trainees communication skills one<br />
hour at a time. Academic Medicine. 2014;89(4).<br />
15 Meyers L. Counseling today: All in the family.<br />
September 2014. Available: http://ct.counseling.<br />
org/2014/09/all-in-the-family<br />
8 Institute of Medicine. Crossing the Quality Chasm: A<br />
New Health System for the 21st Century. Washington,<br />
DC: National Academy Press;2001.<br />
9 Harrison M. Facilitating communication in infants<br />
and toddlers with hearing loss. In: Seewald R, Tharpe<br />
AM, eds. Comprehensive Handbook of Pediatric Audiology.<br />
San Diego: Plural Publishing;2016: 829-847.<br />
10 Allmond B. The Family is the Patient: Using Family<br />
Interviews in Children’s Medical Care. Baltimore: Williams<br />
and Wilkins;1999<br />
11 Meyer E et al. Difficult conversations: Improving<br />
communication skills and relational abilities in health<br />
care. Pediatric Critical Care Med. 2009;10(3):352-359.<br />
12 Browning DM, Meyer EC, Troug RD, Solomon MZ.<br />
Difficult conversations in health care: Cultivating relational<br />
learning to address the hidden curriculum. Medical<br />
Education. 2007;82:95-113.<br />
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Family-Centered Care<br />
Gemeinsame Entscheidungen<br />
herbeiführen
VERSORGUNGEN<br />
FAMILY CENTERED CARE<br />
Aktuelles / BERUF IM FOKUS / Schwerpunktthema / Blick über die Grenzen / Perspektiven / Forschung und Entwicklung<br />
HILFESTELLUNGEN<br />
FÜR DIE<br />
HERBEIFÜHRUNG<br />
GEMEINSAMER<br />
ENTSCHEIDUNGEN<br />
Von: Dr. Jana Besser (<strong>Phonak</strong>) & Marco Faltus<br />
(<strong>Phonak</strong>)<br />
Fotos & Abbildungen: <strong>Phonak</strong><br />
Das von <strong>Phonak</strong> einberufene<br />
Expertenpanel zu Family-<br />
Centered Care hat sich damit<br />
beschäftigt, wie Hörakustiker<br />
die Familie der Betroffenen<br />
optimal in die Entscheidung<br />
einbinden können<br />
Family-Centered Care (FCC) ist ein vielversprechender Ansatz für die Hörbranche. Der von <strong>Phonak</strong><br />
mit einem Expertenpanel entwickelte Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass die Familie eine zentrale<br />
Rolle für die Gesundheit von Betroffenen spielt. Der Hörgeräteträger und sein engeres Umfeld werden<br />
als Partner auf Augenhöhe in die Behandlungsplanung, die Umsetzung und die Kontrolle der<br />
beschlossenen Maßnahmen einbezogen. Studien belegen die zahlreichen Vorteile dieses Vorgehens<br />
(siehe Fachbeitrag in Ausgabe 07/2016). Dass sich durch die Dreierkonstellation auch schwierige<br />
Gesprächssituationen ergeben können und wie diese durch die richtige Gesprächsführungsstrategie<br />
gelöst werden können, haben wir in Ausgabe 01/2017 aufgezeigt. Wie die gemeinsame<br />
Entscheidungsfindung von Betroffenen und Familienmitgliedern unterstützt werden kann, wollen wir im<br />
aktuellen Beitrag erläutern.<br />
24 AUDIO INFOS N°193 MAI 2017<br />
193_AI_Job.indd 24 27.04.17 17
VERSORGUNGEN<br />
Wenn Betroffene und ein Familienmitglied gemeinsam die Entscheidung für die Hörversorgung treffen, entscheiden sich Menschen<br />
mit mildem Hörverlust um 96% häufiger für Hörsysteme<br />
Family-Centered Care hat sich<br />
im letzten Jahrzehnt in der Gesundheitsversorgung<br />
weltweit als<br />
Erfolgsmodell etabliert. Ein von<br />
<strong>Phonak</strong> einberufenes Expertenpanel<br />
unter Leitung von Dr. Louise<br />
Hickson, Professor of Audiology<br />
and Head of the School of Health and Rehabilitation<br />
Sciences an der Universität Queensland, Australien,<br />
hat es sich zum Ziel gesetzt, die Umsetzung dieses<br />
Versorgungsansatzes in der Hörbranche zu fördern.<br />
Basierend auf den bisherigen wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen zu Family-Centered Care sowie praktischen<br />
Erfahrungen aus der Hörsystemversorgung und<br />
anderen Bereichen des Gesundheitswesens, hat das<br />
Panel konkrete Handlungsempfehlungen für Hörakustiker<br />
entwickelt. 1 Dabei haben sich die Experten unter<br />
anderem intensiv mit der Rolle der Familienmitglieder<br />
im Entscheidungsprozess beschäftigt und Strategien<br />
erarbeitet, die es Hörakustikern erleichtern, eine gemeinsame<br />
Entscheidung von Betroffenen und ihrer<br />
Familie herbeizuführen. 2<br />
Subtile Anzeichen in der alltäglichen Kommunikation<br />
Hörverlust hat einen direkten Einfluss auf unsere<br />
Kommunikation mit anderen Menschen. Meistens<br />
bemerken Betroffene zuerst im Alltag mit Familie und<br />
Freunden, dass sie Probleme mit dem Hören haben:<br />
Das Hörverstehen in lauten Umgebungen, beispielsweise<br />
bei Familienfeiern oder bei Treffen im Freundeskreis,<br />
wird zunehmend schwerer. Man hat immer öfter im<br />
Gespräch das Gefühl, nicht alles zu verstehen, selbst<br />
wenn man mit dem Tonfall und der Stimme des anderen<br />
bestens vertraut ist.<br />
Die schleichenden Kommunikationsschwierigkeiten<br />
beschränken sich dabei nicht nur auf denjenigen, der<br />
unter Hörverlust leidet. Auch das Umfeld der Betroffenen<br />
fühlt sich verpflichtet, zu einer reibungslosen Kommunikation<br />
beizutragen.<br />
Die Experten haben sich<br />
unter anderem intensiv mit der Rolle<br />
der Familienmitglieder beschäftigt.<br />
Deshalb wundert es nicht, dass die Familie bzw. das enge<br />
soziale Umfeld oft eine zentrale Rolle bei der Entscheidung<br />
für eine Hörsystemversorgung und für den Verlauf<br />
des gesamten Versorgungsprozesses spielt. Schließlich<br />
erleben sie den Hörverlust von Anfang an mit. 3<br />
Dennoch setzen sich viele Betroffene immer noch allein<br />
mit der wichtigen Frage auseinander, ob sie etwas gegen<br />
ihre Hörprobleme unternehmen sollen – und wenn<br />
ja, wie eine Lösung aussehen kann.<br />
MAI 2017 N°193 AUDIO INFOS 25<br />
93_AI_Job.indd 25 27.04.17 17:42
VERSORGUNGEN<br />
FAMILY CENTERED CARE<br />
Versorgung – ja oder nein?<br />
Jeder Betroffene geht einen sehr individuellen Weg,<br />
in seinem eigenen Tempo: Wie lange es dauert, bis<br />
sich jemand seinen Hörverlust eingesteht, hängt von<br />
verschiedenen Faktoren ab. 4-6 So spielt beispielsweise<br />
das wahrgenommene Stigma ebenso eine Rolle wie die<br />
eigene Fähigkeit, mit den auftretenden Kommunikationsschwierigkeiten<br />
umzugehen. 7 Auch externe Faktoren<br />
wie das soziale Umfeld können einen Einfl uss auf die<br />
Kommunikationsfähigkeit – und damit den Leidensdruck<br />
– haben.<br />
Page 1: My Hearing Options<br />
What is it? Hearing aids Communication<br />
education<br />
What is<br />
insolved for<br />
you?<br />
• Being fitted with<br />
hearing aids<br />
• Wearing the<br />
hearing aids in<br />
my everyday life<br />
to help with my<br />
hearing problems<br />
• Participating in<br />
group sessions to<br />
learn strategies<br />
to manage my<br />
hearing problems<br />
• Using the strategies<br />
to help in<br />
my everyday life<br />
Assistive listening<br />
devices<br />
• Buying some devices<br />
to help me<br />
hear in certain<br />
situations<br />
• Wearing the devices<br />
in everyday<br />
life<br />
No treatment<br />
• Keep on going<br />
the way I am at<br />
the moment<br />
Welche Art der Versorgung?<br />
Die Entscheidung, dass man etwas gegen seinen Hörverlust<br />
unternehmen möchte, ist ein wichtiger Meilenstein.<br />
Doch diesem folgen unmittelbar weitere wichtige<br />
Fragstellungen: Was konkret möchte ich dagegen tun?<br />
Wie lange es dauert, bis<br />
sich jemand seinen Hörverlust<br />
eingesteht, hängt von verschiedenen<br />
Faktoren ab.<br />
What is<br />
• Attending when • Participating<br />
involved for the hearing aids in the group<br />
your family? are fitted<br />
sessions to learn<br />
strategies to<br />
• Helping you to help you<br />
wear the hearing<br />
aids<br />
• Using the strategies<br />
to help in<br />
everyday life<br />
Options I<br />
want to know<br />
more about<br />
Options I will<br />
think about<br />
Example of the first page in a Decision Aid (based on Laplante-Lévesque et al).<br />
• Learning about<br />
the devices<br />
• Helping you<br />
wear the devices<br />
In Frage kommen meistens verschiedene Hörsysteme,<br />
Zubehör für besonders schwierige Hörsituationen, zudem<br />
ein Hör- oder Kommunikationstraining.<br />
Studien haben gezeigt, dass gerade bei der Beantwortung<br />
der Folgefragen der Familie eine zentrale Bedeutung<br />
zukommt: Laplante-Lévesque, Hickson und<br />
Worrall 8 haben Betroffene befragt und erfahren, dass<br />
die Familienmitglieder in den meisten Fällen eine ent-<br />
Die Decision Aid bietet<br />
Betroffenem und<br />
Familie eine einfache<br />
Entscheidungshilfe:<br />
Sie listet alle<br />
Versorgungsoptionen mit<br />
ihren Vor- und<br />
Nachteilen auf.<br />
What is<br />
involved?<br />
What is<br />
expected from<br />
you and your<br />
family?<br />
What are the<br />
positives?<br />
What are the<br />
negatives?<br />
Page 2: Hearing Aids<br />
• Being fitted with hearing aids<br />
• Wearing the hearing aids in my everyday life to help with my hearing problems<br />
• Attending 3 or 4 appointments at a hearing clinic<br />
• Returning to the clinic if you have problems with the hearing aids<br />
• You will be able to hear soft sounds better<br />
• You will hear better in one-to-one conversations, in small groups and when listening<br />
to TV or radio<br />
• Hearing aids will not sound natural in noise or in large groups<br />
• You will need to persevere to get used to hearing aids<br />
• Most hearing aids can be seen by others<br />
Example page from a Decision Aid on the option of hearing aids (based on Laplante-Lévesque et al).<br />
Deshalb ist es besonders wichtig, zu Beginn des<br />
Erstberatungsgesprächs nicht nur abzuklären, ob<br />
der Kunde ein Klingeln in den Ohren hat und ob er<br />
schon einmal ein Hörsystem getragen hat, sondern<br />
die persönliche Betroffenengeschichte abzufragen.<br />
Am besten eignen sich dafür offene Fragen wie „Was<br />
können Sie mir über Ihren Hörverlust erzählen?“ oder<br />
„Wie wirkt sich Ihr Hörverlust auf Ihren Alltag aus?“ Im<br />
Sinne eines Family-Centered Care-Ansatzes hat diese<br />
Art der Fragestellung nicht nur den Vorteil, dass sie<br />
ein besseres Verständnis und eine vertrauensvolle<br />
Basis zwischen Kunde und Hörakustiker ermöglicht,<br />
sondern auch, dass die Familie leichter in den Dialog<br />
eingebunden werden kann.<br />
Attitude Process<br />
Advice<br />
Information<br />
Encouragement<br />
Pre-Contemplation<br />
Preparation<br />
Contemplation<br />
Education<br />
Action<br />
Relapse<br />
The Transtheoretical Model of Change - the Steps of Change model and HCP actions at different stages<br />
(Illustration adapted from Jorgensen et al).<br />
Support<br />
Maintenance<br />
Permanent Exit<br />
Continued<br />
Support<br />
Das Transtheoretical Model of Change zeigt dem Hörakustiker<br />
auf, in welcher Phase der Entscheidungsfi ndung er mit welchen<br />
Maßnahmen am besten unterstützen kann.<br />
Behavioral Process<br />
28 AUDIO INFOS N°193 MAI 2017<br />
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Li 230x300 An
VERSORGUNGEN<br />
FAMILY CENTERED CARE<br />
Step<br />
1<br />
Step<br />
2<br />
GPS: Developing Shared Goals<br />
Easy Communication<br />
PHL: Problems I Experience<br />
PHL: Problems my CP experiences<br />
Die Family-Centered Care Artikelserie – ein Rückblick:<br />
Teil 1: Family-Centered Care: Ein Erfolgsmodell der modernen<br />
Gesundheitsversorgung auch für die Hörbranche<br />
(Ausgabe 183, Juli 2016)<br />
Step<br />
3<br />
Step<br />
4 +<br />
5<br />
CP: Problems I Experience<br />
What problems do you both experience?<br />
Order of<br />
importance<br />
Shared Goals + Strategies to Achieve Goals<br />
Notes: CP = Communication Partner; PHL = Person with Hearing Loss<br />
The Goal-sharing for Partners Strategy worksheet (from Preminger and Lind).<br />
CP: Problems my CP experiences<br />
Family-Centered Care bietet zahlreiche Vorteile für Patient,<br />
Familie, Hörakustiker und die Hörgerätebranche: eine<br />
leichtere Entscheidung für Hörgeräte, bessere Versorgungsergebnisse,<br />
zufriedenere Kunden und eine bessere Lebensqualität<br />
für den Hörgeräteträger und sein Umfeld.<br />
Ein paar einfache Tipps vereinfachen den Start in einen<br />
Family-Centered Care-Ansatz bei der Hörgeräteversorgung:<br />
1) Zu Terminen immer ein Familienmitglied mit einladen<br />
und dabei erläutern, warum eine Teilnahme sinnvoll ist.<br />
Bei der Goal-sharing for Partners Strategy (GPS) fördert der<br />
Hörakustiker die gemeinsame Entscheidung durch konkrete Fragen<br />
an den Betroffenen und seine Familie.<br />
2) Ein räumliches Beratungsumfeld schaffen, in dem die<br />
Familie in den Termin integriert und nicht als Zuschauer im<br />
Abseits platziert wird.<br />
scheidende Rolle bei der Wahl der Hörlösung gespielt<br />
haben – und zwar unabhängig davon, ob sie beim<br />
Beratungsgespräch dabei waren oder nicht. Weitere<br />
Studien bestätigen diese Erkenntnis 9 , und Hickson et<br />
al 10 konnten nachweisen, dass diejenigen, die in dieser<br />
Phase mehr Unterstützung durch ihr Umfeld erfahren,<br />
die zufriedeneren Hörgerätenutzer werden.<br />
Mit der richtigen Beratungsstrategie…<br />
Für den Hörakustiker stellt sich deshalb eine zentrale<br />
Frage: Wie kann ich die Familienmitglieder am besten in<br />
den Entscheidungsprozess integrieren?<br />
Was ist Family-Centered Care?<br />
Family-Centered Care (FCC) ist ein Ansatz<br />
in der Gesundheitsversorgung, der auf der<br />
Erkenntnis basiert, dass die Familie eine zentrale<br />
Rolle für die Gesundheit der Betroffenen<br />
spielt. Der Patient und seine Familie werden<br />
als Partner auf Augenhöhe in die Behandlungsplanung,<br />
-umsetzung und –kontrolle<br />
einbezogen. FCC hat sich im letzten Jahrzehnt<br />
als Erfolgsmodell im Gesundheitswesen<br />
etabliert – und findet auch zunehmend<br />
seinen Weg in die Hörgeräteversorgung.<br />
3) Zu Beginn des Termins darauf hinweisen, dass sowohl<br />
die Meinung des Betroffenen als auch der Familie gefragt<br />
sein wird.<br />
Teil 2: Family-Centered Care: Schwierige Gespräche<br />
erfolgreich führen (Ausgabe 01/2017)<br />
Betroffene und ihre Familienmitglieder nehmen den<br />
Hörverlust oft nicht gleich wahr, messen ihm eine unterschiedliche<br />
Bedeutung bei und haben verschiedene<br />
Erwartungshaltungen an eine Hörgeräteversorgung.<br />
Das kann zu schwierigen Gesprächssituationen führen,<br />
die in die Sackgasse zu führen drohen. Mit der richtigen<br />
Gesprächsführungsstrategie können Hörakustiker gezielt<br />
gegensteuern:<br />
1) Ignorieren Sie die Emotionen und Spannungen im<br />
Raum nicht.<br />
2) Nutzen Sie offene Fragestellungen, um Betroffene und<br />
Familie ins gemeinsame Erzählen zu bringen.<br />
3) Geben Sie der Familie die Gelegenheit, ihre Sicht auf<br />
die Dinge neu zu formulieren und damit dem Betroffenen<br />
die Möglichkeit, sich in ihre Lage zu versetzen.<br />
4) Warten Sie erst einmal ab, wenn eine Pause im Gespräch<br />
entsteht und geben Sie beiden Gesprächspartnern<br />
die Zeit, sich zu sammeln und weitere Gedanken zu<br />
äußern.<br />
30 AUDIO INFOS N°193 MAI 2017<br />
193_AI_Job.indd 30 27.04.17 17:43
VERSORGUNGEN<br />
Das <strong>Phonak</strong> Expertenpanel zu Family-Centered Care<br />
hat drei Tools definiert, die eine Einbindung der Familie<br />
erleichtern können. 2<br />
1) The Decision Aid – Eine klassische Entscheidungshilfe<br />
Eine in der Wissenschaft und in der Praxis bewährte<br />
Methode ist die Decision Aid (Entscheidungshilfe).<br />
Es handelt sich dabei um eine Art Fragebogen, auf<br />
dem sämtliche Optionen und ihre Vor- bzw. Nachteile<br />
für den Betroffenen und die Familie gelistet sind. Der<br />
In frühen Phasen der<br />
Entscheidung, in denen es um die<br />
Einstellung und die Bedürfnisse des<br />
Betroffenen geht, ist beispielsweise<br />
Aufklärung und Beratung gefragt.<br />
Betroffene kreuzt an, über welche Optionen er gerne<br />
mehr von seinem Hörakustiker erfahren möchte. Im<br />
Anschluss kreuzt der Betroffene die Optionen an, die<br />
für ihn weiterhin in Frage kommen. Wenn die Familienmitglieder<br />
nicht am Termin teilnehmen können, in dem<br />
der Hörakustiker mehr über die einzelnen Optionen<br />
erzählt, kann der Betroffene das Dokument mit nach<br />
Hause nehmen und vor der finalen Entscheidung für<br />
die Versorgung mit seiner Familie besprechen. Die<br />
wichtigsten Informationen zu den einzelnen Optionen<br />
werden dafür auf der zweiten Seite zusammengefasst.<br />
2) The Transtheoretical Model of Change – Begleitung<br />
durch die verschiedenen Phasen des Entscheidungsprozesses<br />
Das Transtheoretical Model of Change 11 orientiert sich<br />
an den verschiedenen Phasen, die der Betroffene (und<br />
seine Familie) bei der Entscheidungsfindung durchlaufen.<br />
Es stellt die Einstellungs- und Verhaltensveränderungen<br />
in den jeweiligen Phasen dar und zeigt auf, mit<br />
welchen Maßnahmen der Hörakustiker den Betroffenen<br />
und seine Familie in der jeweiligen Phase am besten<br />
unterstützen kann. In frühen Phasen der Entscheidung,<br />
in denen es um die Einstellung und die Bedürfnisse<br />
des Betroffenen geht, ist beispielsweise Aufklärung und<br />
Beratung gefragt. In den späteren Phasen kann der<br />
Hörakustiker konkrete Unterstützung für die Umsetzung<br />
der Entscheidung bieten.<br />
3) The Goal-sharing for Partners Strategy (GPS) – Unterstützung<br />
bei der gemeinsamen Zielformulierung<br />
Das GPS-Modell setzt in der Phase an, in der Betroffener<br />
und Familie gemeinsam überlegen, was sie mit einer<br />
Versorgung erreichen wollen. Mit ein paar konkreten<br />
Fragen an beide kann der Hörakustiker diesen Prozess<br />
lenken und ihnen helfen, ihre Ziele herauszuarbeiten<br />
und zu formulieren 12 :<br />
• In welchen Situationen funktioniert die Kommunikation?<br />
• Welche Probleme haben beide in bestimmten<br />
Situationen aufgrund des Hörverlusts?<br />
• Welche Probleme haben beide gemeinsam in bestimmten<br />
Situationen aufgrund des Hörverlusts?<br />
• Was konkret möchten sie mit einer Versorgung<br />
des Hörverlusts erreichen?<br />
• Welche Schritte können sie unternehmen, um<br />
diese Ziele zu erreichen?<br />
Hörakustiker haben immer wieder Bedenken, ob der<br />
GPS-Ansatz wirklich praxistauglich ist. Er sei zu kompliziert<br />
oder bei einer ausführlichen Fallanamnese schlichtweg<br />
ein unnötiger Zwischenschritt. Das <strong>Phonak</strong> Expertenpanel<br />
zu Family-Centered Care hat daher diesen<br />
Ansatz auch in der Praxis getestet 2 . Brittany Brose, AuD,<br />
von der Universität Louisville hat dabei herausgefunden,<br />
Dr. Jana Besser arbeitet bei <strong>Phonak</strong> in Stäfa, Schweiz, in der Forschungsabteilung<br />
im Team für kognitive und ökologische Audiologie.<br />
Sie beschäftigt sich in ihrer Forschungsarbeit mit den positiven<br />
Auswirkungen der Hörgerätenutzung auf kognitive Aspekte<br />
des Hörens. Darüber hinaus arbeitet sie an der Entwicklung von<br />
audiologischen Services, die unter anderem den psychosozialen<br />
Kontext von Hörverlust adressieren, wie zum Beispiel Family-Centered<br />
Care.<br />
MAI 2017 N°193 AUDIO INFOS 31<br />
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VERSORGUNGEN<br />
FAMILY CENTERED CARE<br />
Marco Faltus ist seit Mai 2013 Leiter der Audiologie und technischer<br />
Support bei <strong>Phonak</strong> in Deutschland. In seiner Position verantwortet er<br />
unter anderem die Vertriebsaudiologie, den audiologischen Support<br />
und den ITE-Support.<br />
Der ausgebildete Hörgeräteakustik-Meister bekleidet seit Juni 2012 die<br />
Fachleitung Audiologie und Training bei <strong>Phonak</strong>. In dieser Position ist<br />
er für die audiologische Kommunikation, die Planung und Realisierung<br />
von Produktschulungen sowie die Organisation und Strukturierung<br />
von Vorträgen verantwortlich.<br />
dass GPS die Familienmitglieder in einer intensiveren<br />
Art und Weise ins Gespräch integriert als dies andere<br />
Fragebögen oder Beratungsansätze leisten können.<br />
Ein Hörakustiker, der ebenfalls den Praxistest in seinem<br />
Geschäft durchgeführt hat, hat berichtet, dass er sich<br />
mit dem GPS-Ansatz bei seinen Kunden als Hörakustiker,<br />
der sich um die gesamte Kommunikation und nicht<br />
nur um das Hörsystem kümmert, von der Konkurrenz<br />
abheben kann.<br />
… eine echte Familienentscheidung erzielen<br />
Gelingt es dem Hörakustiker, die Familie optimal einzubinden,<br />
wird aus der Einzelentscheidung des Betroffen<br />
für oder gegen eine Versorgung bzw. für eine Art der<br />
Versorgung eine echte Familienentscheidung – die sich<br />
für alle Seiten lohnt: Hörgeräteträger, die in der Entscheidungsfi<br />
ndung Unterstützung von ihrer Familie erhalten,<br />
sind zufriedenere Nutzer als diejenigen, die diesen Prozess<br />
alleine durchlaufen. 10 Und nicht zuletzt steigt die<br />
Entscheidung für mindestens ein Hörgerät um 96% bei<br />
mildem Hörverlust und um immerhin 15% bei moderatem<br />
Hörverlust, wenn ein Familienmitglied beim Beratungstermin<br />
vor Ort ist.<br />
Quellen:<br />
1 http://www.hearingreview.com/2016/03/family-centered-adult-audiologic-care-phonak-position-statement/<br />
2 http://www.hearingreview.com/2016/10/family-centered-audiology-care-making-decisions-setting-goals-together/<br />
3 Manchaiah V, Stephens D, Meredith R. The patient journey of<br />
adults with hearing impairment: the patients’ views. Clin Otolaryngol.<br />
2011;36(3):227-234<br />
4 Meyer C, Hickson L, Lovelock K, Lampert M, Khan A. An investigation<br />
of factors that infl uence help-seeking for hearing impairment in<br />
older adults. Int J Audiol. 2014;53[Suppl 1]:S3-17.<br />
5 Mehta S, Montano J. Awareness: Understanding and becoming<br />
aware of hearing loss. In: Manchaiah V, Danermark B, eds. The<br />
Subjective Experience of Hearing Loss: Journey to Audiologic Rehabilitation.<br />
NY: Routledge; In press.<br />
6 Ridgway J, Hickson L, Lind C. Autonomous motivation is associated<br />
with hearing aid adoption. Int J Audiol.2015;54:476-484.<br />
7 Southall K, Gagné JP, Jennings MB. Stigma: A negative and a positive<br />
infl uence on help-seeking for adults with acquired hearing loss.<br />
Int J Audiol. 2010;49(11):804-814.<br />
8 Laplante-Lévesque A, Hickson L, Worrall L. A qualitative study of<br />
shared decision making in rehabilitative audiology. J Acad Rehab<br />
Audiol. 2010;43:27-43.<br />
9 Poost-Foroosh L, Jennings MB, Shaw L, Meston CN, Cheesman<br />
MF. Factors in client-clinician interaction that infl uence hearing aid<br />
adoption. Trends Amplif. 2011;15, 127-139.<br />
10 Hickson L, Meyer C, Lovelock K, Lampert M, Khan A. Factors associated<br />
with success with hearing aids in older adults. Int J Audiol.<br />
2014;53[Suppl 1]:S18-27.<br />
11 Prochaska JO, DiClemente CC, Norcross JC. In search of how<br />
people change. Applications to addictive behaviors. Am Psychologist.<br />
1992;47:1102-1114.<br />
12 Preminger JE, Lind C. Assisting communication partners in the<br />
setting of treatment goals: The development of the Goal-sharing for<br />
Partners Strategy (GPS). Seminars in Hearing. 2012.33(1):53-64.<br />
13 Gurjit Singh and Stef Launer, Social Context and Hearing Aid<br />
Adoption, Trends in Hearing, 2016, Vol.20: 1-10<br />
32 AUDIO INFOS N°193 MAI 2017<br />
193_AI_Job.indd 32 27.04.17 17:4
Family-Centered Care<br />
Mit unterschiedlichen<br />
Wahrnehmungen umgehen
VERSORGUNGEN<br />
FAMILY-CENTERED CARE<br />
Aktuelles / BERUF IM FOKUS / Schwerpunktthema / Blick über die Grenzen / Perspektiven / Forschung und Entwicklung<br />
Von Dr. Jana Besser (<strong>Phonak</strong>) &<br />
Marco Faltus (<strong>Phonak</strong>)<br />
Fotos: <strong>Phonak</strong><br />
MIT UNTERSCHIEDLICHEN<br />
WAHRNEHMUNGEN<br />
DES HÖRVERLUSTS UND<br />
DER VERSORGUNG<br />
Family-Centered Care (FCC) hat sich zu einem<br />
vielversprechenden Ansatz in der Systemversorgung<br />
entwickelt, dessen Vorteile durch zahlreiche Studien<br />
belegt sind. FCC baut auf der Erkenntnis auf, dass<br />
die Familie eine zentrale Rolle für die Gesundheit des<br />
Betroffenen spielt und bezieht den Hörsystemträger<br />
sowie sein engeres Umfeld als Partner auf Augenhöhe<br />
in die Behandlungsplanung, Umsetzung und<br />
Kontrolle der beschlossenen Maßnahmen ein. Ein<br />
von <strong>Phonak</strong> einberufenes Expertenpanel hat konkrete<br />
Handlungsempfehlungen erarbeitet, die Hörakustiker in<br />
der Umsetzung von FCC in ihrem Geschäft unterstützen.<br />
Einige dieser Empfehlungen haben wir bereits in<br />
früheren Artikeln (siehe Audio Infos 10/2016, 01/2017<br />
und 05/2017) vorgestellt. Im aktuellen Beitrag wollen wir<br />
darauf eingehen, wie Hörakustiker mit unterschiedlichen<br />
Wahrnehmungen des Hörverlusts, seiner Bedeutung und<br />
der Versorgung umgehen können.<br />
Family-Centered Care hat sich über mehr<br />
als ein Jahrzehnt hinweg in verschiedenen<br />
Bereichen der Gesundheitsversorgung<br />
weltweit als Erfolgsmodell etabliert. Ein<br />
von <strong>Phonak</strong> einberufenes Expertenpanel<br />
unter Leitung von Dr. Louise Hickson, Professor of Audiology<br />
and Head of the School of Health and Rehabilitation<br />
Sciences an der Universität Queensland, Australien,<br />
hat sich der Aufgabe angenommen, die Umsetzung<br />
dieses Versorgungsansatzes in der Hörbranche zu för-<br />
RICHTIG<br />
UMGEHEN<br />
Telefonate können – gerade in lauten Umgebungen – auch mit<br />
Hörgerät immer wieder zur Herausforderung werden. Deshalb ist<br />
es wichtig, realistische Erwartungen beim Betroffenen und seiner<br />
Familie zu wecken.<br />
dern. Basierend auf den bisherigen wissenschaftlichen<br />
Erkenntnissen zu Family-Centered Care sowie praktischen<br />
Erfahrungen aus der Hörsystemversorgung<br />
und anderen Bereichen des Gesundheitswesens, hat<br />
das Panel Handlungsempfehlungen für Hörakustiker<br />
entwickelt. 1 Dabei haben sich die Experten unter anderem<br />
intensiv damit beschäftigt, wie Hörakustiker mit<br />
unterschiedlichen Wahrnehmungen des Hörverlusts<br />
und der Versorgung durch den Betroffenen und seine<br />
Familie umgehen können. 2<br />
34 AUDIO INFOS N°195 JULI 2017<br />
195_AI_Job.indd 34 26.06.17 16:2
VERSORGUNGEN<br />
Erste Erfolge mit Family-Centered Care<br />
Immer mehr deutsche Hörakustiker führen den Family-Centered<br />
Care Ansatz in ihrem Geschäft ein. Dafür<br />
· laden sie zu Terminen immer ein Familienmitglied ein,<br />
· haben sie ein räumliches Beratungsumfeld<br />
geschaffen, in dem die Familie komfortabel ins<br />
Gespräch integriert und nicht im Abseits platziert ist,<br />
und<br />
· weisen sie zu Beginn der Termine stets darauf hin,<br />
dass sowohl die Meinung des Betroffenen als auch<br />
der Familie gefragt sein wird.<br />
Das Ziel: Der Betroffene und seine Familie sollen zu<br />
einer gemeinsamen Entscheidung kommen, was sie<br />
gegen den Hörverlust unternehmen wollen. Dass sich<br />
dieses Vorgehen lohnt, haben zahlreiche Studien<br />
gezeigt: So entscheiden sich Betroffene mit einem<br />
leichten Hörverlust, bis zu 96% häufiger für ein Hörsystem<br />
und sind später zufriedenere Nutzer, wenn sie in<br />
der Entscheidungsphase von ihrer Familie unterstützt<br />
werden. 3<br />
Wenn Sie bereits an diesem Punkt angelangt sind, haben<br />
Sie schon viel erreicht und spüren sicher die ersten<br />
positiven Auswirkungen auf Ihr Geschäft.<br />
Family-Centered Care endet nicht mit der Hörsystemanpassung<br />
Hat sich der Betroffene – gemeinsam mit der Familie –<br />
für Hörsysteme entschieden und wurde entsprechend<br />
versorgt, sollte nach einer gewissen Zeit der Anpasserfolg<br />
überprüft und die Zufriedenheit mit der Versorgung<br />
abgefragt werden. Wie gut kommt der Betroffene im<br />
Alltag mit den Geräten zurecht? In welchen Situationen<br />
funktioniert das Hören wieder besser, und wo gibt es<br />
eventuell noch Bedarf für weitere Unterstützung? Im<br />
Sinne von Family-Centered Care sollten Sie aber auch<br />
folgenden Fragen nachgehen: Wie wirken sich die<br />
Hörsysteme auf das Familienleben aus? Welche Situationen<br />
sind für das Familienmitglied wieder einfacher<br />
geworden, und wo gibt es noch Kommunikationsprobleme?<br />
Da es inzwischen als erwiesen gilt, dass die Familie<br />
ebenfalls vom Hörverlust betroffen ist und daher ebenso<br />
von der richtigen Hörlösung profitieren kann, gibt<br />
es heute standardisierte Fragebögen, die sowohl die<br />
Perspektive des Hörsystemträgers (Selbst-Report) als<br />
auch des Familienmitglieds (Fremd-Report) erheben.<br />
Zu den etablierten Selbst-Reports gehört der IOI-HA<br />
(International Outcome Inventory for hearing aids) 4 ,<br />
für den inzwischen als Pendant als Fremd-Report der<br />
IOI-HA SO (International Outcome Inventory for hearing<br />
aids significant other) entwickelt wurde. Je nach Vorliebe<br />
und Arbeitsweise können Hörakustiker auch den<br />
HHI (Hearing Handicap Inventory) 5,6 und den HHI-SO<br />
(Hearing Handicap Inventory Significant Other) oder<br />
einen anderen bewährten Fragebogen nutzen.<br />
Ziel des Selbst-Reports ist es, die Wahrnehmung des<br />
Betroffenen zu den eigenen Hörschwierigkeiten und/<br />
oder der Versorgung abzufragen. Der Fremd-Report<br />
erfasst die Sichtweise des Familienmitglieds auf die<br />
Hörschwierigkeiten des Betroffenen und / oder die<br />
Versorgung.<br />
Unterschiedliche Wahrnehmungen in zwei von drei<br />
Fällen<br />
Im besten Fall decken sich die Wahrnehmung des Betroffenen<br />
und des Familienmitglieds. Sind beide zufrieden<br />
und empfinden die Versorgung als eine echte Erleichterung<br />
in sämtlichen Bereichen ihres Alltags, gibt<br />
es keinen Handlungsbedarf mehr. Sind beide noch<br />
nicht zufrieden und sehen Verbesserungspotenzial,<br />
kann der Hörakustiker gezielt die Situationen abfragen,<br />
Ziel des Selbst-Reports ist es, die<br />
Wahrnehmung des Betroffenen zu den<br />
eigenen Hörschwierigkeiten und/ oder<br />
der Versorgung abzufragen.<br />
in denen es noch Schwierigkeiten gibt – beispielsweise<br />
beim Telefonieren, in lauten Umgebungen oder bei<br />
Gesprächen zu Hause von einem Zimmer ins nächste<br />
– und gezielt Lösungen vorschlagen. Dazu kann das<br />
Feinjustieren der Hörsysteme, eine Beratung zu Kommunikationsstrategien<br />
oder ein Zubehör zählen.<br />
Allerdings sieht die Realität in den meisten Fällen anders<br />
aus: In 62 Prozent aller Befragungen ergibt sich<br />
eine unterschiedliche Wahrnehmung der Versorgung<br />
durch den Betroffenen und das Familienmitglied. 7<br />
Dabei können zwei Szenarien auftreten:<br />
1) Der Betroffene hat eine bessere Meinung von<br />
den Hörsystemen als das Familienmitglied<br />
In diesen Fällen sieht das Familienmitglied oft die<br />
„unsichtbaren“ Vorteile der Versorgung für den Hörsystemträger<br />
nicht. Dieser fühlt sich durch das Tragen<br />
der Hörsysteme beispielweise wieder energiegeladener,<br />
hat keine Angst mehr vor Restaurantbesuchen<br />
oder Treffen mit Freunden, bei denen er früher immer<br />
JULI 2017 N°195 AUDIO INFOS 35<br />
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VERSORGUNGEN<br />
FAMILY-CENTERED CARE<br />
Das <strong>Phonak</strong> Expertenpanel<br />
zu Family-Centered Care hat<br />
sich damit beschäftigt, wie<br />
Hörakustiker mit unterschiedlichen<br />
Wahrnehmungen von Betroffenen<br />
und Familienmitgliedern umgehen<br />
können.<br />
erwartet. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn<br />
Gespräche am Esstisch zwar wieder gut funktionieren,<br />
Gespräche über mehrere Räume hinweg oder<br />
bei lautem Hintergrundgeräusch jedoch immer noch<br />
mühsam sind.<br />
2) Der Betroffene hat eine schlechtere Meinung<br />
von den Hörsystemen als das Familienmitglied<br />
Bei diesem Szenario haben sich zwar die Einschränkungen<br />
für das Familienmitglied reduziert, aber nicht<br />
für den Betroffenen. Das ist beispielsweise der Fall,<br />
wenn das Familienmitglied Gespräche am Familientisch<br />
wieder als einfacher empfindet, weil der Betroffene<br />
weniger falsch versteht als früher oder weniger<br />
nachfragen muss, aber der Betroffene das Tragen der<br />
Hörsysteme als anstrengend empfindet, weil er auf einmal<br />
so viel hört oder weil er manche Geräusche wie das<br />
Klappern der Teller als unerträglich empfindet.<br />
Sichtweisen gezielt zusammenbringen und Lösungen<br />
erarbeiten<br />
An dieser Stelle können Sie als Hörakustiker beratend<br />
ansetzen: Indem Sie die unterschiedlichen Wahrnehmungen<br />
mit den beiden diskutieren, können Sie einen<br />
Perspektivenwechsel und Verständnis für die Sicht des<br />
jeweils anderen erreichen und gezielt Lösungen vorschlagen,<br />
von denen beide Seiten profitieren.<br />
Tipps für die Diskussion der Ergebnisse des Selbstund<br />
Fremd-Reports:<br />
· Beginnen Sie immer mit dem, was gut funktioniert:<br />
Fassen Sie zu Beginn noch einmal zusammen, in<br />
welchen Situationen es bereits Verbesserungen<br />
durch die Hörgeräte gibt, beispielsweise bei<br />
Gesprächen in ruhigen Räumen oder beim<br />
gemeinsamen Fernsehen mit der Familie.<br />
· Wecken Sie realistische Erwartungen: Sprechen<br />
Sie an, was moderne Hörsysteme heute schon<br />
leisten können, aber weisen Sie dabei auch auf<br />
Grenzen hin.<br />
· Schaffen Sie gegenseitiges Verständnis:<br />
Ermöglichen Sie beiden, sich in die Lage des<br />
jeweils anderen zu versetzen und zu verstehen,<br />
vor welchen Herausforderungen er konkret durch<br />
den Hörverlust steht. Ermutigen Sie beide, sich über<br />
ihre jeweiligen Erfahrungen auszutauschen.<br />
befürchten musste, der Unterhaltung nicht folgen zu<br />
können, oder fühlt sich im Job weniger gestresst.<br />
Gleichzeitig sieht das Familienmitglied keine deutliche<br />
Verbesserung seiner eigenen Lebensqualität oder hatte<br />
sich mehr Vorteile für sich selbst von der Versorgung<br />
Anregungen für die anschließende Beratung:<br />
· Planen Sie die nächsten Schritte gemeinsam:<br />
Beziehen Sie das Familienmitglied von Anfang an<br />
neben dem Hörsystemträger auch in die<br />
Feinjustierung und den Rehabilitationsprozess ein.<br />
· Geben Sie praktische Tipps für den Alltag: Beraten<br />
Sie die beiden, wie sie mit ein paar einfachen<br />
Veränderungen eine effektive Kommunikation<br />
gewährleisten können.<br />
36 AUDIO INFOS N°195 JULI 2017<br />
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VERSORGUNGEN<br />
FAMILY-CENTERED CARE<br />
· Bieten Sie Lösungen für besonders<br />
schwierige Situationen an: Klären Sie über<br />
Zubehör auf, das die Kommunikation in<br />
herausfordernden Hörumgebungen<br />
erleichtert, wie beispielsweise drahtlose<br />
Mikrofone.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Erfahrung mit Family-Centered Care hat<br />
gezeigt, dass ein wichtiger Schlüssel zu einer<br />
erfolgreichen Versorgung darin liegt, den Betroffenen<br />
und das Familienmitglied von Anfang<br />
an in einen konstruktiven Dialog zu bringen,<br />
Verständnis für die Sichtweise und Auswirkungen<br />
des Hörverlusts für den jeweils anderen<br />
zu schaffen und sie zu einer gemeinsamen<br />
Entscheidung zu führen. Dieser Prozess ist<br />
jedoch mit der Hörsystemanpassung nicht abgeschlossen.<br />
Wer auch in der Nachsorge das<br />
Familienmitglied mit einbezieht, stellt sicher,<br />
dass das Ergebnis am Ende langfristig für beide<br />
Seiten stimmt. Und das lohnt sich auch für<br />
Sie: Ihre Kunden sind zufriedener, empfehlen<br />
Sie öfter weiter und im Lauf der Nachsorge ergibt<br />
sich häufig die Möglichkeit, Zubehör und<br />
weitere Leistungen anzubieten.<br />
Text: Dr. Jana Besser, Expert Service Delivery<br />
Innovation bei der <strong>Phonak</strong> AG / Marco Faltus,<br />
Leiter der Audiologie und technischer Support<br />
bei <strong>Phonak</strong> in Deutschland.<br />
Was ist Family-Centered Care?<br />
Family-Centered Care (FCC) ist ein<br />
Ansatz in der Gesundheitsversorgung,<br />
der auf der Erkenntnis basiert,<br />
dass die Familie eine zentrale<br />
Rolle für die Gesundheit der Betroffenen<br />
spielt. Der Patient und seine<br />
Familie werden als Partner auf<br />
Augenhöhe in die Behandlungsplanung,<br />
-umsetzung und -kontrolle<br />
einbezogen. FCC hat sich im letzten<br />
Jahrzehnt als Erfolgsmodell im<br />
Gesundheitswesen etabliert – und<br />
findet auch zunehmend seinen<br />
Weg in die Hörgeräteversorgung.<br />
Die Family-Centered Care Artikelserie – ein Rückblick:<br />
Teil 1: FCC: Ein Erfolgsmodell der modernen Gesundheitsversorgung<br />
auch für die Hörgerätebranche (Audio Infos #183)<br />
Family-Centered Care (FCC) bietet zahlreiche Vorteile für Patient,<br />
Familie, Hörakustiker und die Hörgerätebranche: eine leichtere Entscheidung<br />
für Hörgeräte, bessere Versorgungsergebnisse, zufriedenere<br />
Kunden und eine bessere Lebensqualität für den Hörgeräteträger und<br />
sein Umfeld.<br />
Ein paar einfache Tipps vereinfachen den Start in einen Family-Centered<br />
Care-Ansatz bei der Hörgeräteversorgung:<br />
1) Zu Terminen immer ein Familienmitglied mit einladen und dabei erläutern,<br />
warum eine Teilnahme sinnvoll ist.<br />
2) Ein räumliches Beratungsumfeld schaffen, in dem die Familie in den<br />
Termin integriert und nicht als Zuschauer im Abseits platziert wird.<br />
3) Zu Beginn des Termins darauf hinweisen, dass sowohl die Meinung<br />
des Betroffenen als auch der Familie gefragt sein wird.<br />
Teil 2: Schwierige Gespräche erfolgreich führen (Audio Infos #189)<br />
Betroffene und ihre Familienmitglieder nehmen den Hörverlust oft nicht<br />
gleich wahr, messen ihm eine unterschiedliche Bedeutung bei und haben<br />
verschiedene Erwartungshaltungen an eine Hörgeräteversorgung.<br />
Das kann zu schwierigen Gesprächssituationen führen, die in die Sackgasse<br />
zu führen drohen.<br />
Mit der richtigen Gesprächsführungsstrategie können Hörakustiker gezielt<br />
gegensteuern:<br />
1) Ignorieren Sie die Emotionen und Spannungen im Raum nicht.<br />
2) Nutzen Sie offene Fragestellungen, um Betroffene und Familie ins<br />
gemeinsame Erzählen zu bringen.<br />
3) Geben Sie der Familie die Gelegenheit, ihre Sicht auf die Dinge neu<br />
zu formulieren und damit dem Betroffenen die Möglichkeit, sich in ihre<br />
Lage zu versetzen.<br />
4) Warten Sie erst einmal ab, wenn eine Pause im Gespräch entsteht<br />
und geben Sie beiden Gesprächspartnern die Zeit, sich zu sammeln<br />
und weitere Gedanken zu äußern.<br />
Teil 3: Hilfestellungen für die Herbeiführung gemeinsamer Entscheidungen<br />
von Betroffenen und deren Angehörigen (Audio Infos #193)<br />
Die Entscheidung, dass man etwas gegen seinen Hörverlust unternehmen<br />
möchte, ist ein wichtiger Meilenstein in der Hörgeräteversorgung.<br />
Mit der richtigen Beratungsstrategie können Hörakustiker aus dieser<br />
Entscheidung eine echte Familienentscheidung machen – und das<br />
lohnt sich für alle: Studien zeigen, dass Hörgeräteträger, die in dieser<br />
Phase von ihrer Familie unterstützt werden, sich bis zu 96% öfter für ein<br />
Hörgerät entscheiden und später zufriedenere Nutzer sind.<br />
Das <strong>Phonak</strong> Experten-Panel hat drei Tools definiert, die eine gemeinsame<br />
Entscheidung erleichtern:<br />
1) Decision Aid – eine klassische Entscheidungshilfe, die Betroffenen<br />
und Familie per Fragebogen ans gemeinsame Ziel führt.<br />
2) Transtheoretical Model of Change – eine Übersicht, wie Betroffene<br />
und Familie in den einzelnen Phasen der Entscheidungsfindung gezielt<br />
unterstützt werden können.<br />
3) Goal-sharing for Partners Strategy – konkrete Fragen an beide Seiten<br />
helfen, Sichtweisen abzugleichen und gemeinsame Ziele zu formulieren.<br />
38 AUDIO INFOS N°195 JULI 2017<br />
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Family-Centered Care<br />
Interview Louise Hickson:<br />
„Man sollte niemals Partei<br />
ergreifen“
INTERVIEW<br />
FAMILY-CENTERED CARE<br />
Aktuelles / BERUF IM FOKUS / Schwerpunktthema / Blick über die Grenzen / Perspektiven / Forschung und Entwicklung<br />
Von Dennis Kraus<br />
mail@audioinfos.de<br />
Fotos: Jan-Fabio La Malfa<br />
Sitz der Sonova AG in Stäfa in der<br />
Schweiz: „Aus der Forschung in die<br />
Praxis”<br />
„MAN SOLLTE NIEMALS<br />
PARTEI ERGREIFEN“<br />
Für Hörakustiker kann Family-Centered Care ein vielversprechendes Betätigungsfeld sein.<br />
Zwei Artikel sind hierzu bereits in den Audio Infos erschienen. Der von <strong>Phonak</strong> und einem<br />
Expertenkreis für die Hörbranche adaptierte Ansatz basiert auf der Erkenntnis, dass die Familie<br />
eine zentrale Rolle für die Gesundheit der Betroffenen spielt. Dem Expertenkreis, dessen<br />
Mitglieder aus Forschung, Praxis und von <strong>Phonak</strong> stammen, steht Prof. Dr. Louise Hickson vor.<br />
Im Gespräch berichtet die Australierin, wie sie auf Family-Centered Care aufmerksam wurde,<br />
warum sie den Ansatz auch für die Hörbranche interessant findet, was man als Hörakustiker<br />
braucht, um diese Idee umsetzen zu können und was es unbedingt zu vermeiden gilt.<br />
Frau Hickson, die Idee der Family-Centered Care<br />
stammt aus der Pädiatrie, wo sie vor allem bei chronisch<br />
kranken Kindern angewendet wird. Wie sind<br />
Sie darauf aufmerksam geworden?<br />
Ich komme aus der Patholinguistik, also aus der Logopädie.<br />
Auf diesem Feld geht es immer um die Person,<br />
mit der man kommuniziert, und um deren Bedürfnisse<br />
für Hilfestellungen. Daher war ich gegenüber der Idee<br />
der Family-Centered Care (FCC) von Anfang an aufgeschlossen<br />
– zumal ein Hörverlust ja auch immer die<br />
Kommunikationsfähigkeit betrifft. Dieser beeinflusst<br />
nie die eine (betroffene) Person alleine, sondern auch<br />
ihr soziales Umfeld. So kam ich darauf, dass FCC im<br />
Bereich der Audiologie für Erwachsene ein Thema sein<br />
könnte. In der Pädaudiologie verfährt man ja ohnehin<br />
schon so, dass die Familienangehörigen mit einbezogen<br />
werden, schließlich erscheinen Kinder bei ihrem<br />
Akustiker ja in Begleitung ihrer Eltern.<br />
Dass Familienmitglieder mit zum Termin erscheinen,<br />
heißt hier schon, dass FCC angewendet wird?<br />
Nein. Nur weil bei Kindern Mütter und Väter mitkommen,<br />
bedeutet das nicht automatisch, dass FCC praktiziert<br />
wird. Bei Erwachsenen wiederum findet die Idee so<br />
60 AUDIO INFOS N°194 JUNI 2017
INTERVIEW<br />
gut wie nie Anwendung. Man geht als Erwachsener<br />
ja auch nicht davon aus, dass man für einen Termin<br />
beim Hörakustiker Familienangehörige oder Freunde<br />
braucht. Nur ist es zumindest in Australien so, dass das<br />
Durchschnittsalter der Erstkunden bei 72 Jahren liegt.<br />
Und Menschen dieses Alters – wobei das im Grunde für<br />
Menschen jeden Alters gilt – können durchaus davon<br />
profitieren, wenn sie nicht alleine beim Akustiker sitzen.<br />
Das kann bei der Entscheidungsfindung hilfreich sein.<br />
Aber auch, dass jemand Zweites all die Informationen<br />
hört, die man als Kunde bekommt, kann von Nutzen<br />
sein. Denken Sie beispielsweise an die Verbindlichkeit,<br />
die notwendig ist, um ein gemeinsames Vorgehen beim<br />
Rehabilitationsprozess zu erreichen. Gründe, Familienmitglieder<br />
oder enge Freunde des Kunden zu involvieren,<br />
gibt es also viele. Auf die Idee, diesen Gedanken auch<br />
in der Hörakustik zu verfolgen, bekamen wir schließlich<br />
eine Menge Feedback von Audiologen – und auch von<br />
<strong>Phonak</strong>, mit denen ich in der Vergangenheit bereits zusammengearbeitet<br />
hatte.<br />
Nun sitzen wir hier in Stäfa bei <strong>Phonak</strong>. Wie haben<br />
Sie in puncto FCC zusammengefunden?<br />
Vor etwa 18 Monaten hatte <strong>Phonak</strong> mich nach Stäfa<br />
eingeladen, damit ich hier ein Seminar gebe. In diesem<br />
Seminar sprach ich über verschiedene Themen, von<br />
denen eines auf besonders viel Interesse stieß: Family-Centered<br />
Care. Also stieg <strong>Phonak</strong> mit ein, was für<br />
mich sehr spannend ist, denn ich bin natürlich daran<br />
interessiert, dass die Ergebnisse meiner Forschung ihre<br />
Wege in die Praxis finden.<br />
Wo sehen Sie denn die Schnittmengen zwischen<br />
der FCC-Idee und der Hörakustik?<br />
In der FCC ist der Betroffene zusammen mit seiner Familie<br />
Ansprechpartner. Das halte ich für sehr kompatibel<br />
mit der Hörakustik. Dass man für eine erfolgreiche Versorgung<br />
die Familie des Kunden mit einbezieht, ergibt für<br />
mich absolut Sinn. Wenn ich das Audiologen erzähle, sehen<br />
die diesen Sinn ebenfalls – auch wenn viele erst mal<br />
noch nicht wissen, wie sich das in der Praxis gestaltet.<br />
Eine Hürde ist hier, dass viele Audiologen bisher davon<br />
abgesehen haben, die Familie mit einzubeziehen, weil sie<br />
fürchten, dass das viel Zeit beansprucht und neue Konfliktfelder<br />
eröffnet. Die Idee finden viele also naheliegend,<br />
aber umgesetzt wurde sie dann doch nicht.<br />
Auf die Idee, den Gedanken,<br />
Familienmitglieder in die Versorgung<br />
einzubinden, auch in der Hörakustik<br />
zu verfolgen, bekamen wir eine<br />
Menge Feedback von Audiologen –<br />
und auch von <strong>Phonak</strong><br />
Wo liegen die Vorteile, führt man eine Versorgung<br />
nach dem FCC-Ansatz durch?<br />
Unsere Forschung hat gezeigt, dass man bei einem<br />
Hörverlust eher die Hilfe eines Hörakustikers in Anspruch<br />
nimmt, wenn die Familie eingebunden wird.<br />
Das ist für den Akustiker schon mal ein Vorteil – genau<br />
wie für den Betroffenen. Des Weiteren hat sich<br />
gezeigt, dass die Ergebnisse besser ausfallen, wird<br />
der Betroffene von seiner Familie unterstützt. Die<br />
Kunden tragen ihre Hörsysteme länger und regelmäßiger<br />
und sind überdies zufriedener mit ihrer Versorgung.<br />
Das ist ebenfalls für beide Seiten von Vorteil.<br />
Dazu steigt so die Adaptionsrate von Hörsystemen,<br />
was für das Geschäft des Akustikers von Vorteil ist.<br />
<strong>Phonak</strong> konnte beispielsweise in einer Großstudie<br />
mit über 60.000 Personen nachweisen, dass sich<br />
Personen mit leichten Hörverlusten fast doppelt so<br />
oft für eine Hörlösung entscheiden, wenn ein Familienmitglied<br />
zum Beratungstermin mitkommt. Zudem<br />
empfehlen einen zufriedene Kunden eher weiter.<br />
Und schließlich sitzen hier nicht nur Akustiker und<br />
Kunde zusammen, sondern noch mindestens eine<br />
weitere Person, die einen ebenfalls weiterempfehlen<br />
könnte. FCC Ist also nicht allein für die Zufriedenheit<br />
des Betroffenen förderlich, sondern auch für den<br />
Umsatz des Akustikers. Nicht zu vergessen ist der<br />
Zuspruch, den man als Akustiker vom Kunden und<br />
dessen Familie erhält, was ja auch noch mal befriedigend<br />
sein kann.<br />
JUNI 2017 N°194 AUDIO INFOS 61
INTERVIEW<br />
FAMILY-CENTERED CARE<br />
Familienmitglieds hören möchte, um eine Lösung für<br />
alle Beteiligten erarbeiten zu können.<br />
Allein schon die Räumlichkeiten dürften für manchen<br />
eine Herausforderung sein …<br />
Ja, oftmals sind die Anpasskabinen nicht besonders<br />
groß. Manchmal wird es ja schon schwierig, eine dritte<br />
Sitzgelegenheit bereitzustellen. Man muss sich also<br />
Gedanken machen, wie man das realisieren kann.<br />
Manche haben dafür schon ihre Möbel umgestellt,<br />
damit alle zusammensitzen konnten. Wichtig ist außerdem,<br />
dass, wenn man am Computer arbeitet, alle<br />
sehen können, was auf dem Bildschirm passiert. Man<br />
könnte auch darüber nachdenken, das Fachgeschäft<br />
familienfreundlich zu gestalten. Das Wartezimmer, sofern<br />
man eines hat, könnte zum Beispiel anmuten wie<br />
ein Wohnzimmer.<br />
In der Family-Centered Care geht<br />
es vor allem um Kommunikation.<br />
Prof. Dr. Louise Hickson im<br />
Gespräch<br />
Wie können Hörakustiker den Ansatz der Family-Centered<br />
Care in ihre Arbeitsabläufe integrieren?<br />
Die verschiedenen Schritte, die wir erdacht haben, sind<br />
so praxisnah gehalten wie möglich. So haben wir zum<br />
Beispiel zehn Empfehlungen (siehe Audio Infos 183 &<br />
189) entwickelt, mit denen man beginnen kann. Die<br />
erste wäre zum Beispiel, dafür zu sorgen, dass noch<br />
ein weiteres Familienmitglied zum Termin erscheint.<br />
Dazu sollten die Räumlichkeiten so gehalten sein, dass<br />
Man kann auch erst mal klein<br />
anfangen und nur ein oder zwei<br />
unserer Empfehlungen beherzigen<br />
und in seinen Arbeitsablauf<br />
integrieren.<br />
sich mehrere Personen darin wohlfühlen und sich alle<br />
auf Augenhöhe begegnen können. Zu Beginn der<br />
Sitzung sollte der Akustiker dem Kunden und dessen<br />
Begleitperson zunächst erklären, worum es geht und<br />
warum es wichtig ist, dass noch eine weitere Person<br />
dabei ist – nämlich, weil man auch die Perspektive des<br />
Was braucht man darüber hinaus?<br />
Man braucht natürlich gute Kommunikationsfähigkeiten,<br />
schließlich geht es darum, sowohl zum Kunden<br />
als auch zu dessen Begleitperson eine Beziehung<br />
aufbauen zu können. Gut zuhören können sollte man<br />
ebenfalls. Ohnehin sollte man als Akustiker hier weniger<br />
selbst das Wort ergreifen, sondern mehr zuhören.<br />
Also kann man sagen, dass es bei Family-Centered<br />
Care vor allem um Kommunikation geht?<br />
Absolut.<br />
Inwieweit würde das Anwenden von FCC den gesamten<br />
Anpassprozess verändern?<br />
Seine Prozesse grundlegend zu ändern, ist natürlich<br />
schwierig. Daher denke ich, dass hier jeder einen eigenen<br />
Weg finden sollte. Man kann auch erst mal klein<br />
anfangen und nur ein oder zwei unserer Empfehlungen<br />
beherzigen und in seinen Arbeitsablauf integrieren.<br />
Zum Beispiel könnte man die Konversation etwas anders<br />
beginnen – weil eben noch ein Familienmitglied<br />
dabei ist. Überhaupt sollte man den Kunden und dessen<br />
Angehörigen geradezu dazu auffordern, Fragen<br />
zu stellen. Kurzum: Man kann nicht erwarten, dass<br />
Akustiker für FCC ihre gesamten Abläufe über Bord<br />
werfen. Das ist klar. Aber wenn ein, zwei Dinge versucht<br />
würden, wäre das schon großartig.<br />
Und die Punkte, die man versuchen kann, finden<br />
sich alle in dieser Liste mit den zehn Empfehlungen?<br />
Richtig. Wir haben allerdings noch viel, viel mehr<br />
Empfehlungen. Einige Akustiker wenden diese Punkte<br />
vielleicht auch schon an …<br />
… ohne zu wissen, dass sie da nach dem Family-Centered<br />
Care-Prinzip handeln.<br />
62 AUDIO INFOS N°194 JUNI 2017
INTERVIEW<br />
FAMILY-CENTERED CARE<br />
psychologisch akzeptiert, dass er nun Hörsysteme<br />
tragen wird. Dafür wird er ja nicht extra zum Psychologen<br />
gehen.<br />
An welchem Punkt würde man in der Versorgung<br />
beginnen, den FCC-Ansatz zu verfolgen? Schon im<br />
Augenblick des ersten Kontaktes?<br />
Das würde ich vorschlagen. Man sollte immer so<br />
beginnen, wie man fortfahren möchte. Allerdings<br />
habe ich im Rahmen unserer Forschung festgestellt,<br />
dass einige durchaus etwas widerspenstig sein können<br />
und es besser finden, wenn sie sich zunächst<br />
allein mit dem Kunden beschäftigen. Daher sagte<br />
ich eben, dass jeder Akustiker für sich herausfinden<br />
muss, wie er FCC in seine Arbeit integriert. Einige<br />
Akustiker berichteten mir, dass sie die Familie erst für<br />
die Anpassung hinzuziehen, weil das für sie der entscheidende<br />
Moment ist und man da auch gleich dem<br />
Familienmitglied zeigen kann, wie das Hörsystem zu<br />
bedienen ist.<br />
Prof. Dr. Louise Hickson im<br />
Gespräch mit den Audio Infos in<br />
Stäfa<br />
Genau. Jedenfalls findet in diesen Empfehlungen<br />
sicherlich jeder etwas, das er schnell in der Praxis<br />
anwenden kann. Was mit Blick auf FCC gerne mal<br />
vergessen wird: Man kann die Ergebnisse messen!<br />
Einige Akustiker sorgen sich in<br />
diesem Zusammenhang ja darum,<br />
dass sie da etwas tun, was außerhalb<br />
ihres Berufsfeldes liegt. Das sehe ich<br />
anders.<br />
Und zwar nicht nur, indem man misst, ob der Kunde<br />
anschließend ein besseres Sprachverstehen hat, man<br />
kann auch die Familienmitglieder fragen, was sie<br />
denken.<br />
Könnte man sagen, dass FCC den Akustiker auch<br />
zu einer Art Psychologe macht?<br />
Durchaus. Einige Akustiker sorgen sich in diesem<br />
Zusammenhang ja darum, dass sie da etwas tun,<br />
was außerhalb ihres Berufsfeldes liegt. Das sehe ich<br />
anders. Natürlich braucht es für FCC auch psychologische<br />
Skills, alleine schon, damit der Kunde auch<br />
Wie würden Sie eigentlich dafür sorgen, dass<br />
ein Familienmitglied motiviert ist, den Kunden zu<br />
begleiten? Und wie findet man heraus, welcher<br />
Angehörige die am besten geeignete Person dafür<br />
ist?<br />
Darüber haben wir viel nachgedacht. So empfehlen<br />
wir, dass man schon bei der Vereinbarung des ersten<br />
Termins das Gespräch dahin lenkt, dass ein Hörverlust<br />
immer auch die Kommunikationsfähigkeit des Betroffenen<br />
beeinflusst, weshalb es gut wäre, wenn der<br />
Betroffene von jemandem begleitet würde, mit dem<br />
er viel kommuniziert. Man argumentiert also mit praktischen<br />
Gründen, um Angehörige Teil des Gesprächs,<br />
des Prozesses werden zu lassen. Zumal wir stets sagen:<br />
Kommunikation ist ein Vorgang, an dem immer<br />
mindestens zwei Menschen beteiligt sind.<br />
Würde der FCC-Ansatz auch greifen, wenn zum<br />
Beispiel ich als Angehöriger der Meinung bin,<br />
meine Mutter bräuchte Hörsysteme, sie das aber<br />
nicht so sieht und ich Kontakt mit einem Akustiker<br />
aufnehme?<br />
(lacht) Gegen den Willen des Betroffenen geht es natürlich<br />
nicht. Aber bei der Family-Centered Care geben<br />
wir dem Kunden und seinen Angehörigen grundsätzlich<br />
die Gelegenheit, ihre Meinung zu dem Thema<br />
Versorgung zu äußern. Wenn Ihre Mutter zum Beispiel<br />
sagt, sie habe keine Probleme, und Sie wären bei dem<br />
Termin dabei, dann würde man Sie fragen, ob Sie das<br />
auch so sehen. Als Akustiker sollte man hier aber niemals<br />
Partei ergreifen, man kann allenfalls moderieren<br />
und zusammenfassen, wer welche Meinung hat, um<br />
dann herauszufinden, warum die Meinungen nicht<br />
übereinstimmen.<br />
64 AUDIO INFOS N°194 JUNI 2017
INTERVIEW<br />
FAMILY-CENTERED CARE<br />
wird von den Kliniken Geld verlangt. Als Hörakustiker<br />
könnte man FCC aber auch einfach als Service anbieten<br />
und sich so von Konkurrenten abheben.<br />
Kann jeder die Idee der Family-Centered Care einfach<br />
aufgreifen? Oder braucht man die Erlaubnis<br />
oder gar eine Lizenz?<br />
Eine Lizenz oder Erlaubnis braucht man nicht. Was wir<br />
in unserem Expertenkreis versuchen und was auch<br />
<strong>Phonak</strong> tut, ist Fachleute zu unterstützen, die diese<br />
Idee anwenden wollen. Jede Frage hierzu ist willkommen.<br />
Ich habe hierzu auch schon viele Vorträge gehalten<br />
und mich im Anschluss mit vielen Teilnehmern<br />
ausgetauscht. Die Idee hinter diesem Expertenkreis ist<br />
es schließlich nicht, nur Vorträge zu halten, sondern<br />
auch Ansprechpartner für die Leute zu sein.<br />
„Der Eindruck, der Kunde<br />
bräuchte einen Aufpasser, darf<br />
nicht entstehen.”<br />
Was gilt es außerdem zu vermeiden?<br />
Wie eben gesagt, sollte man niemals Partei ergreifen.<br />
Sollte der Kunde sagen, er halte es für unnötig, dass<br />
jemand aus seiner Familie dabei ist, sollte man ihm<br />
erklären, warum es so wichtig ist, auch die Perspektiven<br />
seines Umfelds kennenzulernen. Der Schlüssel<br />
ist jedenfalls immer die betroffene Person. Wichtig ist<br />
auch, dass man sie vor ihren Angehörigen mit Respekt<br />
behandelt. Wer wird vor den Augen der Tochter oder<br />
des Sohnes schon gerne nicht respektvoll behandelt?<br />
Es darf jedenfalls nicht der Eindruck entstehen, der<br />
Kunde bräuchte einen Aufpasser oder gar Betreuer.<br />
Sie hatten es vorhin schon gesagt: Einige denken,<br />
das Beherzigen der FCC-Idee würde die Versorgung<br />
zeitlich in die Länge ziehen. Haben Sie das<br />
schon untersucht?<br />
Wir gehen davon aus, dass die Versorgung so nicht<br />
mehr Zeit in Anspruch nimmt. Vielleicht benötigt man<br />
anfangs etwas mehr Zeit, aber nach hinten raus holt<br />
man die wieder auf. Dazu werden wir nun in Australien<br />
Erhebungen durchführen.<br />
Wie würde man als Akustiker FCC seinen Kunden<br />
anbieten? Ist das einfach ein Service? Oder berechnet<br />
man das Anwenden von FCC?<br />
In einigen Universitätskliniken in Australien werden Erweiterungen<br />
der FCC-Idee angeboten, bei denen etwa<br />
auch Kommunikationswissenschaftler involviert sind –<br />
allerdings nur für Menschen, die bereits versorgt sind.<br />
Das Programm läuft über mehrere Wochen. Hierfür<br />
Bietet <strong>Phonak</strong> dennoch Hilfen an, die man nutzen<br />
kann?<br />
<strong>Phonak</strong> betrachtet FCC als nicht kommerzielles Programm,<br />
sondern möchte diese Erkenntnisse, dieses<br />
Wissen einfach mit so vielen anderen teilen wie möglich.<br />
<strong>Phonak</strong> geht es vor allem darum, dass die Zahl der<br />
Anpassungen steigt und die von der WHO zu Recht als<br />
„third party disability“ bezeichneten negative Auswirkungen<br />
auf das soziale Umfeld abnehmen. Daher wird<br />
das Wissen um FCC nicht verkauft und es wird auch<br />
keine für Geld zu buchenden Seminare dazu geben.<br />
Wir empfehlen FCC einfach, auch weil man sich als<br />
unabhängiger Akustiker so von seinen Konkurrenten<br />
abheben kann.<br />
Sie hatten vorhin gesagt, dass Sie, neben den zehn<br />
bekannten Empfehlungen, noch viele weitere Empfehlungen<br />
in petto haben. Was wird in puncto FCC<br />
noch kommen?<br />
Da wird noch viel passieren. Wir haben mit den einfachsten<br />
Schritten begonnen, nämlich damit, die<br />
Familie mit zum Termin zu bringen und auch mit den<br />
Angehörigen zu sprechen. In der Hinterhand haben<br />
wir aber noch viel mehr. Vielleicht werden sich einige<br />
Fachgeschäfte künftig ja sogar auf FCC spezialisieren.<br />
Des Weiteren erhalten wir momentan sehr viel Feedback<br />
von Akustikern, von dem wir viel Neues lernen.<br />
Zudem beschäftigen wir uns mit Fragen wie der, ob<br />
es vielleicht doch noch physische Werkzeuge braucht<br />
oder eine Software oder ähnliches. FCC ist in jedem<br />
Fall ein Langzeitprojekt.<br />
Frau Prof. Hickson, haben Sie vielen Dank für das<br />
Gespräch.<br />
66 AUDIO INFOS N°194 JUNI 2017
For more information on<br />
Family-Centered Care, please visit:<br />
• The <strong>Phonak</strong> Audiology Blog<br />
• The phonakpro Website