18.09.2017 Aufrufe

Die Wunder dieser Welt DE

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Die</strong> <strong>Wunder</strong> <strong>dieser</strong> <strong>Welt</strong><br />

Ein Wintermärchen<br />

aus den Bergen<br />

1


<strong>Die</strong> <strong>Wunder</strong> <strong>dieser</strong> <strong>Welt</strong><br />

Ein Wintermärchen<br />

aus den Bergen


4


Es war Weihnachtszeit, und Klein-Martin war mit seinen<br />

Eltern in die Berge gefahren, um dort die schönste Zeit<br />

des Jahres zu verbringen. <strong>Die</strong> Vorbereitungen für eine<br />

stimmungsvolle Feier waren bereits getroffen, und so entschloss<br />

die Familie am Morgen des Heiligabends, einen<br />

Spaziergang in der wunderweißen Landschaft zu unternehmen.<br />

Ihr Ziel war eine märchenhafte Burg.<br />

5


Nach einem kurzweiligen Fußmarsch durch den samtweichen<br />

Schnee erreichten die drei die romantische Burg,<br />

die tiefverschneit am Waldesrand lag. Der Zauber, der<br />

diese umgab, war so überwältigend, dass die Familie<br />

wie angewurzelt stehenblieb, um die Burg zu bestaunen.<br />

Traumverloren malten sich alle aus, wie einst Recken und<br />

Burgfräulein hier ein- und ausgegangen waren, wie die<br />

Minnesänger ihre Lieder geträllert und die Burgherren<br />

zum Feste geladen und alle in ihren bunten Edelgewändern<br />

getanzt und gefeiert hatten. Sie träumten so vor<br />

sich hin, bis die Stimme eines alten Herrn sie aus ihren<br />

Gedanken riss: „Schön hier, nicht wahr? Meine Frau und<br />

ich kommen schon seit Jahren hierher und finden den<br />

Anblick immer wieder faszinierend. Doch wenn ich Ihnen<br />

einen Rat geben darf, folgen Sie diesem Weg bis zur kleinen<br />

Kapelle auf der Lichtung – und halten Sie die Augen offen<br />

für das, was Ihnen auf dem Weg begegnen wird!“<br />

Klein-Martin packte sogleich der Entdeckergeist. Er<br />

nahm Mama und Papa bei der Hand und zog sie auf<br />

den Weg, denn er wollte unbedingt herausfinden, was<br />

6


ihn dort Spannendes erwarten würde. Der Vater<br />

schaffte es gerade noch, dem alten Ehepaar ein<br />

„Danke und frohe Weihnachten!“ zuzurufen, und<br />

schon sahen sie das Schild „St.-Franziskus-Steig“,<br />

das den Wegbeginn kennzeichnete. Martin war<br />

ganz aufgeregt, und sein Herz schlug ihm<br />

fast bis zum Hals. Was mochte sie auf dem<br />

Weg wohl erwarten? Der sonderbare<br />

Biberelch, den es nur in den Bergen<br />

gab? Ein riesiger Schaukelturm, auf<br />

den man hinaufklettern konnte,<br />

um zwischen den Baumwipfeln<br />

hin- und herzuwippen? Ein sprechender<br />

Baum, der einem tolle<br />

Geschichten über die Waldbewohner<br />

erzählte? <strong>Die</strong> drei<br />

setzten einen Fuß vor den<br />

anderen, und bevor sie sich<br />

versahen, hatten sie die niedliche<br />

Kapelle erreicht, über die<br />

der alte Herr gesprochen hatte.<br />

7


8


<strong>Die</strong> Kapelle war einer Krippe sehr ähnlich,<br />

aus Holz gefertigt und von Meisterhand in<br />

den Felsen hineingebaut. Der Vater nahm<br />

den kleinen Martin bei der Hand und betrat<br />

mit ihm die Kapelle. Der Boden der Kapelle<br />

bestand nur aus Erde. Baumstümpfe unterschiedlicher<br />

Größe luden zum Sitzen und<br />

Nachdenken ein. Auf dem kahlen Altar aus<br />

Stein flackerte die helle Flamme einer bereits<br />

mehr als zur Hälfte abgebrannten Kerze in<br />

einer alten, kupfernen Laterne. Der Blick von<br />

Vater und Sohn richtete sich auf ein schlichtes<br />

Porträt des heiligen Franziskus, das an<br />

der Wand angebracht war.<br />

Der Vater setzte sich auf einen Baumstumpf<br />

und betrachtete das unruhige Licht der Kerze,<br />

und Klein-Martin kuschelte sich an ihn. <strong>Die</strong><br />

Kargheit der Kapelle erschien dem Vater<br />

wunderschön. Doch Klein-Martin wurde bald<br />

unruhig und fragte schließlich den Vater:<br />

9


„Aber Papa, wo ist nun das Besondere, das uns auf dem<br />

Weg erwarten sollte? Da gab’s nur Schnee und Eis, verschneite<br />

Steine, Bäume und Sträucher und sonst nichts.“<br />

„Mein Sohn, da draußen gab es nicht nur Schnee und Eis,<br />

verschneite Steine, Bäume und Sträucher, da draußen gab<br />

es Abertausende Sterne, obwohl es helllichter Tag ist, es<br />

gab Konzerte, obwohl kein einziges Instrument in der Nähe<br />

war, und wir waren nicht allein, obwohl wir die einzigen<br />

Spuren auf dem Weg hinterlassen haben.“<br />

Verwundert schaute Klein-Martin seinen Vater an:<br />

„Aber, was redest du denn da?“ „Martin, kennst du den<br />

hl. Franziskus? Er war ein sehr edler Mann, der auf die<br />

Reichtümer seines Elternhauses verzichtet und sein Glück<br />

im Einklang mit der Natur gefunden hat. <strong>Die</strong> Sonne,<br />

der Wind, Mond und Sterne, jedes Geschöpf zählte zu<br />

seinen Brüdern und Schwestern. Also, mein lieber Sohn,<br />

auf dem Weg hierher sind wir vielen <strong>Wunder</strong>n begegnet,<br />

doch wir waren nur bereit zu sehen, was uns die heutige<br />

<strong>Welt</strong> als einzigartig verkauft. Es war uns nicht bewusst,<br />

10


dass die Millionen von Sternen da draußen sechseckige<br />

Schneekristalle waren – ein <strong>Wunder</strong> der Natur, das an Exaktheit<br />

nicht zu übertreffen ist. Wir haben nicht gemerkt,<br />

dass wir Tiere auf unserem Weg gekreuzt haben, weil<br />

sie sich mit ihrem weißen Fell perfekt im Schnee getarnt<br />

haben, wie Mutter Natur es vorgesehen hat. Und so haben<br />

wir auch das Freiluftkonzert da draußen nicht wahrgenommen,<br />

die Melodien, die die Vögelchen hoch oben in<br />

den Bäumen angestimmt haben.“ Martin sah seinen Vater<br />

mit großen Augen an. „<strong>Wunder</strong> begegnen uns also jeden<br />

Tag?“ „Genau, mein Kleiner. Denn unsere <strong>Welt</strong> besteht<br />

aus so vielen kleinen Dingen, die so groß und wertvoll sind<br />

wie kaum etwas, das wir besitzen. Der Duft einer Blume,<br />

das Säuseln des Windes, das Lachen eines Kindes, die<br />

Schlichtheit einer Landschaft, das Rauschen eines Bachs,<br />

die Vollkommenheit einer Beere … Jeder Mensch, der die<br />

Fähigkeit besitzt, das Schöne im Alltäglichen wahrzunehmen,<br />

ist reich.“<br />

11


12


13


Als die kleine Familie ihren Rückweg antrat, öffneten sie<br />

alle die Augen, ihre Ohren und spürten den Zauber <strong>dieser</strong><br />

magischen Umgebung ganz bewusst. Sie liefen unter mit<br />

Schnee schwer beladenen Tannen und Fichten hindurch,<br />

hörten den Wildbach in nächster Nähe rauschen und den<br />

Wind durch die Wipfel streichen. Sie tänzelten – jeder mit<br />

einem glücklichen Lächeln auf den Lippen – zur seligruhigen<br />

Weihnachtsmelodie des Waldes den Weg entlang<br />

und wussten: Schöner könnte ihr Weihnachten nicht sein.<br />

14


andnamic.com<br />

Print: saphir.bz.it<br />

Novelle nach Christoph Lucerna


Hotel Adler GmbH<br />

Reziastr. 7 | I-39046 St. Ulrich | Gröden (BZ)<br />

T: +39 0471 775 000 | F: +39 0471 775 555<br />

info@adler-dolomiti.com<br />

www.adler-dolomiti.com

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!