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… Sobald [die Vernunft] demnach den<br />
Ausspruch tut: Es soll eine Menschheit<br />
existieren, so hat sie eben dadurch das<br />
Gesetz aufgestellt: Es soll eine Schönheit<br />
sein. …<br />
Nun spricht aber die Vernunft: Das<br />
Schöne soll nicht bloßes Leben und<br />
nicht bloße Gestalt, sondern lebende<br />
Gestalt, d.i. Schönheit sein, indem sie<br />
ja dem Menschen das doppelte Gesetz<br />
der absoluten Formalität und der absoluten<br />
Realität diktiert. Mithin tut sie auch<br />
den Ausspruch: Der Mensch soll mit der<br />
Schönheit nur spielen, und er soll nur mit<br />
der Schönheit spielen.<br />
Denn, um es endlich auf einmal herauszusagen,<br />
der Mensch spielt nur, wo er<br />
in voller Bedeutung des Worts Mensch<br />
ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er<br />
spielt. Dieser Satz, der in diesem Augenblick<br />
vielleicht paradox erscheint, wird<br />
eine große und tiefe Bedeutung erhalten,<br />
wenn wir erst dahin gekommen sein<br />
werden, ihn auf den doppelten Ernst der<br />
Pflicht und des Schicksals anzuwenden;<br />
er wird, ich verspreche es Ihnen, das<br />
ganze Gebäude der ästhetischen Kunst<br />
und der noch schwierigern Lebenskunst<br />
tragen. …<br />
Friedrich Schiller<br />
Über die ästhetische Erziehung des Menschen<br />
in einer Reihe von Briefen, 1793-1794.<br />
Aus dem Fünfzehnten Brief<br />
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