digital finance 02-2017
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<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
<strong>digital</strong><strong>finance</strong><br />
Zeitschrift für Technik und Digitalisierung<br />
Die mobile<br />
e-Signatur<br />
kommt<br />
› 26
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 3<br />
Roboter,<br />
übernehmen Sie!<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
Schnell, präzise und vollautomatisch: Mithilfe von Robotic<br />
Process Automation (RPA) Aufgaben abzuwickeln, ist für<br />
die Finanzindustrie keine Zukunftsvision mehr. Im Backoffice<br />
entlasten Softwareroboter ihre menschlichen Kollegen<br />
bereits bei lästigen Arbeiten wie dem Eingeben und Abgleichen<br />
von Daten. Eine Studie der Managementberatung Horváth<br />
& Partners zeigt, dass viele die neue Technologie schon<br />
nutzen oder den Einsatz planen. Etliche Finanzunternehmen<br />
haben bereits erste Erfahrungen gesammelt und starten nun<br />
in einem nächsten Schritt in eine weitreichendere Implementierungsphase.<br />
37 Prozent der Banken haben seit geraumer<br />
Zeit produktive Piloten im Einsatz. Die Nutzung von virtuellen<br />
Mitarbeitern führt zu vielschichtigen Fragestellungen in<br />
den Unternehmen – von der Kapazitätssteuerung über die<br />
Einsatzplanung bis hin zum Berechtigungs- und Security-<br />
Management.<br />
Die Automatisierung erfasst nahezu alle Bereiche im Bankbetrieb.<br />
Gemäß einer Erhebung von KPMG in Zusammenarbeit<br />
mit dem Fraunhofer Institut erwartet die Führungsebene in<br />
den Instituten sogar eine fast vollständige Digitalisierung der<br />
Bereiche Rechnungswesen, Datenmanagement, Controlling<br />
und Treasury bzw. Cash Management. Dementsprechend<br />
gehen 63 Prozent der Befragten davon aus, künftig mehr<br />
Freiraum für steuerungsrelevante und ermessensbehaftete<br />
Aufgaben zu haben. Trotz dieser bahnbrechenden Relevanz<br />
verwundert es allerdings, dass 75 Befragten angeben, dass<br />
noch keine Digitalisierungsstrategie umgesetzt wurde. Eine<br />
solche ist jedoch notwendig, um Digitalisierungsmaßnahmen<br />
zielgerichtet planen und koordiniert umsetzen zu können.<br />
Groben Schätzungen zufolge kann allein durch Robotics in<br />
der Kreditwirtschaft ein Einsparpotenzial von zehn Prozent<br />
und mehr realisiert werden. Den größten Nutzen bringen<br />
Roboter bei kundenfernen Tätigkeiten. Am stärksten an der<br />
Kostenschraube drehen lässt sich hingegen im Backoffice:<br />
Hier rechnen fast 60 Prozent der von Horváth & Partners<br />
befragten Experten mit einem Einsparpotenzial von mehr<br />
als 20 Prozent. Dass die Einführung neuer Technologien<br />
reibungslos klappt, ist allerdings nicht selbstverständlich.<br />
Generell erschwert die geringe Standardisierung von Prozessen<br />
die Implementierung der neuer Anwendungen. Zu<br />
den Hauptproblemen zählt zudem der Widerstand von Mitarbeitern,<br />
die ihren Arbeitsplatz von Robotern und automatisierten<br />
Prozessen bedroht sehen.<br />
Laut einer Studie des Beraterhauses McKinsey ist rund ein<br />
Drittel der Berufe durch die Digitalisierung ersetzbar geworden.<br />
Im Kern geht es jedoch nicht um die Alternative<br />
„Mensch oder Maschine“, sondern um die Zukunftsvision<br />
„Mensch mit Maschine“. Die Automatisierung kann es Mitarbeitern<br />
künftig ermöglichen, frei werdende Kapazitäten auf<br />
intellektuell anspruchsvollere Aufgaben zu transformieren.<br />
Die Menschen müssen lernen, mit den Robotern zu interagieren.<br />
Der Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung liegt<br />
in der ganzheitlichen Integration der Ressource Roboter in<br />
alle prozess- und steuerungsrelevanten Fragestellungen.<br />
Hierin liegt die große Chance.<br />
In diesem Sinn wünschen<br />
wir Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!
4<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
21<br />
18<br />
52<br />
Verlag und Herausgeber: Bank-Verlag GmbH<br />
Wendelinstraße 1, 50933 Köln<br />
Tel.: +49/221/5490-0, Fax.: +49/221/5490-315<br />
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Wilhelm Niehoff<br />
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Layout: Katrin Frese<br />
Lektorat: Ulrike Ascheberg-Klever<br />
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NOSKOWSKI S.68
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 5<br />
› 21 › 52<br />
Eigenverantwortung stärken,<br />
Entscheidungen treffen<br />
Ein Blick in den Maschinenraum des FinTechs fino, das sich<br />
in nur 18 Monaten am Markt etablieren konnte und heute<br />
Lösungen für über 200 Partner anbietet.<br />
Vergabe von Marktplatzkrediten<br />
zur Kundenbindung<br />
Auxmoney zeigt, wie Banken erfolgreich mit Kreditmarktplätzen<br />
kooperieren und so verstärkt Kredite in der eigenen<br />
Filiale anbieten können.<br />
Entscheidend ist die richtige Software › 08<br />
Kundenprofile für<br />
<strong>digital</strong>e Vermögensverwalter › 10<br />
Kreditverbriefungen entlasten<br />
Bankbilanzen › 13<br />
NPL-Krise in Europa › 16<br />
Customer Experience als Leuchtfeuer › 18<br />
Eigenverantwortung stärken,<br />
Entscheidungen treffen › 21<br />
Verpasste Anrufe, verpasste Chancen › 24<br />
Die mobile e-Signatur kommt › 26<br />
Das Digitalisierungsparadigma › 29<br />
Agile Coaches für <strong>digital</strong>en Kulturwandel › 32<br />
Social Investing schafft neue Möglichkeiten › 37<br />
Total Digital –<br />
aber (noch) nicht in Deutschland › 40<br />
Freiheit treibt zu Höchstleistungen › 42<br />
Re-Engineering Asset Management › 44<br />
Digitale Kreditvergabe an Städte<br />
und Gemeinden › 46<br />
Mehr Umsatz mit E-Invoicing › 48<br />
Infos und Spaß dank der Mitarbeiter-App › 50<br />
Vergabe von Marktplatzkrediten<br />
zur Kundenbindung › 52<br />
Beim Schwärmen auch die Risiken sehen › 55<br />
Mit dem Schwarm-Vertrauen<br />
sorgsam umgehen › 58<br />
Crowdinvestment:<br />
Nachhaltigkeit und Anlegerschutz › 60<br />
Smart Data im Risikomanagement › 62<br />
Sofortkredit per App › 64<br />
Digitale Geschäftsmodelle in der Cloud › 66<br />
Bots in der Banklehre › 68<br />
Sonderteil FinTech Week <strong>2017</strong><br />
Banking im Kontext › 72<br />
Die Plattformisierung des Bankings › 75<br />
Digitales Working Capital › 78<br />
Trends und Innovationen › 06
6<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Trends und<br />
Innovationen<br />
Mobile Banking<br />
kommt gut an<br />
Mobile Bankgeschäfte sind en<br />
vogue. Das zeigen aktuelle Umfrageergebnisse<br />
des britischen<br />
Marktforschungsunternehmens<br />
YouGov zum Thema „Mobiles<br />
Banking per App“. Demnach tätigt<br />
rund jeder zweite Deutsche (56 Prozent)<br />
Bankgeschäfte inzwischen mobil<br />
oder kann sich eine Nutzung zumindest vorstellen. Zudem<br />
ist die Mehrheit der Nutzer (59 Prozent) mit ihrer Banking-<br />
App zufrieden. Zufrieden sind die Befragten vor allem mit<br />
den Mobile-Banking-Angeboten der Direktbanken. Doch<br />
trotz der hohen Zufriedenheitsquote nutzt die Banking-App<br />
der Hausbank nur jeder Zweite (55 Prozent). Ein Grund ist<br />
die Konkurrenzsituation mit Bezahlsystemen wie PayPal<br />
(nutzen 64 Prozent der Banking-App-User) oder anderen<br />
Apps. Für Nicht-Nutzer bestehen vor allem Sicherheitsbedenken.<br />
Demnach wollen fast zwei Drittel (63 Prozent) ihre<br />
Bankdaten nicht auf dem Smartphone hinterlegen. 32 Prozent<br />
haben Angst, dass bei Diebstahl oder Verlust auf das<br />
Konto zugegriffen wird.<br />
Digitale Versicherung mit<br />
Burnout-Prävention<br />
Das InsurTech-Unternehmen Getsurance und das Berliner<br />
Start-up Selfapy haben zusammen ein Vorsorgeprogramm<br />
entwickelt, das Mitarbeiter in Unternehmen über Online-<br />
Selbsthilfeprogramme psychologisch beraten und gegen<br />
Berufsunfähigkeit (BU) absichern soll. Kunden, die eine BU-<br />
Versicherung von Getsurance abgeschlossen haben, können<br />
in den Kursen anhand von Videos und interaktiven Übungen<br />
lernen, wie sie Stress abbauen, Depressionen vorbeugen<br />
oder ihr Selbstwertgefühl stärken können. 31 Prozent aller<br />
Fälle von Berufsunfähigkeit sind auf psychische Erkrankungen<br />
zurückzuführen. Damit sind psychische Leiden die<br />
häufigste Ursache von Berufsunfähigkeit in Deutschland. Zugleich<br />
warten Patienten durchschnittlich drei Monate lang auf<br />
einen Termin beim Psychotherapeuten. „Gemeinsam ist es<br />
uns gelungen, komplexe Dienstleistungen zu <strong>digital</strong>isieren<br />
und online deutlich besser zugänglich zu machen“, sagt Nora<br />
Blum (Foto), Gründerin von Selfapy. Ziel ist, Kunden für den<br />
Fall abzusichern, dass sie wegen Burnout nicht mehr ihrer<br />
Arbeit nachgehen können bzw. dass diese Situation gar nicht<br />
erst eintritt. Vorsorgeprogramme für die Gesundheit sind bei<br />
Krankenversicherungen weit verbreitet – bei der BU gab es<br />
das bislang nicht.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 7<br />
Patentstreit um<br />
VideoIdent-Verfahren<br />
Banken kämpfen<br />
mit mehr IT-Risiken<br />
Für Banken in Deutschland wird es schwerer, die gewohnten<br />
Standards an IT-Sicherheit zu gewährleisten. Sechs von<br />
zehn Instituten sprechen laut einer aktuellen Studie von<br />
Sopra Steria Consulting von komplexeren Angriffsszenarien<br />
und neuen Anforderungen an den Umgang mit IT-Risiken.<br />
Bei den Retailbanken sind es fast drei Viertel der Institute,<br />
bei denen Digitalisierung, neue Bedrohungsszenarien sowie<br />
Regulierungsvorschriften die Arbeit der Sicherheitsmanager<br />
erschweren. Die Herausforderungen der Banken steigen<br />
u. a. durch die zunehmende Zahl an Lieferanten <strong>digital</strong>er<br />
Technologien. Acht von zehn Finanzdienstleistern sind demnach<br />
über <strong>digital</strong>e Plattformen oder Softwarelösungen mit<br />
Dienstleistern vernetzt. Viele Kreditinstitute sind auch mit<br />
externen Datenbanken für eine schnelle Bonitätsprüfung<br />
bei Onlinekreditanträgen verbunden. Zudem gibt es Plattformen,<br />
auf denen Finanzierungsvorhaben von Unternehmen<br />
mit Finanzierungsangeboten von Banken zusammengeführt<br />
werden. Durch die EU-Zahlungsdiensterichtlinie<br />
PSD2 sind Banken sogar verpflichtet, sich gegenüber Drittanbietern<br />
zu öffnen. Dazu kommt, dass Banken mit ihrem<br />
eigenen Online-Bezahldienst Paydirekt künftig stärker mit<br />
Online-Händlern und dem Einzelhandel zusammenarbeiten<br />
werden. All diese neuen <strong>digital</strong>en Lösungen und Anbieter<br />
vergrößern die Angriffsfläche, und es wird anspruchsvoller,<br />
das nötige IT-Sicherheitslevel zu halten.<br />
Ein gutes Jahr lang hatte das Landgericht Düsseldorf die<br />
Verletzung des im Mai 2016 erteilten Video-Identifikations-<br />
Patents von IDnow durch den Mitbewerber WebID Solutions<br />
geprüft. In erster Instanz entschieden jetzt die Richter,<br />
dass zumindest Teile des Patents von IDnow von seinem<br />
Mitbewerber verletzt werden. Gegen die Entscheidung<br />
kann WebID Solutions Berufung einlegen. Nach dem Urteil<br />
hat IDnow einen Unterlassungsanspruch erwirkt, zeigt sich<br />
allerdings weiterhin gesprächsbereit: „Obwohl WebID Solutions<br />
für die Patentverletzung verantwortlich ist, möchten<br />
wir vermeiden, dass ihren Bestandskunden durch das Urteil<br />
eine zu große Belastung entsteht. Hier bieten wir für die<br />
Findung einer gemeinsamen Lösung gerne Einzelgespräche<br />
an“, so Sebastian Bärhold, Co-Founder und Managing Director<br />
von IDnow. Das FinTech hatte bereits im Jahr 2012 mit<br />
der Entwicklung einer Lösung für Video-Identifikation und<br />
eSigning als Online-Alternative zum Besuch in der Bankoder<br />
Postfiliale begonnen und diese schließlich zum Patent<br />
angemeldet.<br />
Beträchtliche Sicherheitslücken<br />
Linux Kernel<br />
v.2.6.277<br />
PHP v.4.0.0<br />
MS.NET<br />
Framework v.1.1<br />
Ruby on Rails<br />
v.3.2.0<br />
25 | 34<br />
4 | 33<br />
51 | 136<br />
73 | 293<br />
Python v.2.7<br />
2 | 8<br />
Häufig genutzte Infrastruktur-Komponenten enthalten<br />
nach einer Analyse des Softwareherstellers Black Duck<br />
hochriskante Schwachstellen, von denen mehr als die<br />
Hälfte durch das National Institute of Standards and<br />
Technology (NIST) als extrem schwerwiegend eingestuft<br />
werden.
8<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Entscheidend ist die<br />
richtige Software<br />
Automatisierungslösungen im Bankenwesen eignen sich vor allem für Bereiche, in denen<br />
repetitive Aufgaben ausgeführt werden, die auf regelbasierten Prozessen beruhen und<br />
ein hohes Volumen an Daten aufweisen. Banken sollten bei der Einführung von Robotik-<br />
Software sorgfältig abwägen, welches Paket am besten zu ihnen passt, denn nachträgliche<br />
Umstellungen sind ineffizient und teuer.<br />
Robotic Process Automation (RPA) bezeichnet die Softwaregesteuerte<br />
Koordination von Aktivitätsketten über verschiedene<br />
Applikationen und Systeme hinweg. Dabei agiert die<br />
Robotik-Software als virtuelle Arbeitskraft. Sie wird auf der<br />
Desktop-Oberfläche installiert, ohne in die bestehende IT-<br />
Systemlandschaft einzugreifen, und kombiniert dabei Technologien<br />
der Erkennung grafischer Benutzeroberflächen mit<br />
einer Workflow-Steuerung. Das Hauptziel ist die Effizienzsteigerung.<br />
Durch die Implementierung von Automatisierungssoftware<br />
können manuelle oder repetitiv-sequenzielle Tätigkeiten<br />
an die Software ausgelagert und damit die korrekte<br />
Ausführung dieser Prozesse um ein Vielfaches beschleunigt<br />
werden. Die automatisierte Datenverarbeitung kann ohne<br />
Medienbrüche rund um die Uhr ausgeführt werden. Die<br />
Kosten für die Software und ihre Einführung werden durch<br />
geringere Mitarbeiterkosten schnell amortisiert. Umgekehrt<br />
können die Mitarbeiter für Aufgaben eingesetzt werden, die<br />
kreative und empathische Fähigkeiten verlangen, wie die<br />
Kundenbetreuung oder das Innovationsmanagement. Vor<br />
allem das Backoffice mit seiner niedrigen Kundeninteraktion<br />
und einem hohen Maß an repetitiven Aufgaben weist eine<br />
Vielzahl an automatisierbaren Bereichen auf, etwa beim Release-<br />
und Regressionstest. Ein anderer Bereich, der sich<br />
im Bankensektor für die Automatisierung anbietet, ist die<br />
Compliance. Hier erstellt die Software selbstständig den<br />
Compliance-Bericht und bezieht die Daten aus vordefinierten<br />
Quellen, wobei auch voreingestellt werden kann, wie<br />
genau die Angaben sein müssen.<br />
Kriterien für die Software-Auswahl<br />
Die Auswahl der RPA-Software sollte gut<br />
durchdacht sein. Nicht jede Software ist für<br />
jedes Unternehmen gleich gut geeignet, und<br />
gerade bei Banken kommen besondere Ansprüche<br />
an Revision, Sicherheit und Regulierung<br />
hinzu. Mehrere Faktoren sind zu beachten. Hinsichtlich<br />
des Funktionsumfangs und der Reife reicht die Bandbreite
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 9<br />
von einfacher Bedieneroberflächen-Automatisation und<br />
Screen Scraping bis zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz<br />
und Selbstlernmechanismen. Zudem kann der Ansatz nur in<br />
einzelnen Prozessabschnitten (z. B. Backoffice) oder entlang<br />
der gesamten Prozesskette erfolgen. Die Roboter selbst<br />
sollten eine schnelle Replikation zur Ausführung einer Aufgabe<br />
ermöglichen.<br />
Bei System- und Releasewechseln lässt sich gute RPA-<br />
Software problemlos updaten. Ein weiterer Punkt ist die<br />
Architekturintegration. Ein Markenzeichen von RPA ist eine<br />
einfache Installation, die nur minimalinvasiv in die bestehende<br />
IT-Architektur eingreift und ohne programmierte Schnittstellen<br />
funktioniert. Um Sicherheit und Revisionsfähigkeit zu<br />
gewährleisten, ist eine lückenlose Dokumentation der automatischen<br />
Tätigkeiten notwendig. Jedoch fehlen noch die<br />
Grundvoraussetzungen für die Nachvollziehbarkeit automatisierter<br />
Schritte und eine revisionsgerechte Handhabung von<br />
Logs, den Protokollen von Ereignissen eines Programms.<br />
Die Marktanteile und Referenzkunden im Banken- und Versicherungswesen<br />
geben Finanzdienstleistern Hinweise, in<br />
welchem Maß die Automatisierungslösung für ihre Branche<br />
maßgeschneidert ist. Außerdem ist darauf zu achten, wie die<br />
Softwarefirmen im Markt aufgestellt sind, um ihre Zukunftsfähigkeit<br />
abschätzen zu können. Der Anteil am Umsatz und<br />
der Gesamtsumme von Investitionen in Forschung und Entwicklung<br />
sowie der Zugang zu Kapital sind valide Indikatoren.<br />
Mehrstufiger Evaluationsprozess<br />
Die Auswahl einer geeigneten Robotik-Software<br />
sollte ihm Rahmen eines mehrstufigen<br />
Evaluationsprozesses erfolgen, der in wenigen<br />
Wochen abgeschlossen werden kann.<br />
Voraussetzung für die gelungene Integration<br />
von RPA ist jedoch, dass die Prozesse bereits standardisiert<br />
und <strong>digital</strong>isiert sind. Nach der Erstellung einer Roadmap<br />
über die zu automatisierenden Aktionsfelder und die Ziele<br />
der Automatisierung wird im zweiten Schritt die zum System<br />
passende Software selektiert. Beim Prototyping wird ein Bereich<br />
mit hohen Quick Wins ausgewählt und die Automatisierung<br />
exemplarisch ausgeführt. Im nächsten Schritt steht ein<br />
Test der Automatisierung in der täglichen Arbeit an. Schließlich<br />
wird die RPA auf andere geeignete Bereiche ausgedehnt<br />
und eine Struktur zu ihrer Umsetzung in allen Unternehmensberreichen<br />
aufgesetzt. Um Robotic Process Automation<br />
in der Bank erfolgreich einzurichten, sind auch systemimmanente<br />
prozessuale und technische Faktoren zu berücksichtigen.<br />
Prozessuale Eigenschaften, die über das Ausmaß<br />
der Notwendigkeit zur Installation von RPA-Software<br />
entscheiden, sind zum Beispiel das Level der menschlichen<br />
Interaktion oder das Exposure zu betrügerischen Aktivitäten.<br />
Technische Faktoren sind etwa das Ausmaß der Interaktion<br />
mit Anwendungen und Systemen oder die IT-Sicherheit.<br />
Kontrolle des virtuellen Mitarbeiters<br />
Nachdem die RPA-Software installiert und<br />
schrittweise in das Gesamtsystem integriert<br />
wurde, bedarf es einer stetigen Kontrolle<br />
durch die menschlichen Mitarbeiter. Damit<br />
wandeln sich die Aufgaben der Mitarbeiter<br />
von der aktiven Ausführung manueller Aufgaben hin zum<br />
Monitoring. Um einen reibungslosen Übergang zur automatisierten<br />
Dateneingabe innerhalb des Betriebs zu ermöglichen,<br />
bedarf es einer lückenlosen User-Dokumentation und<br />
des Zugangs zu einer Online-Community, wo Mitarbeiter<br />
Support und Lernmaterialen erhalten.<br />
Autor<br />
André H. Burger ist Geschäftsführer der deutschen Niederlassung<br />
von Synpulse Management Consulting.<br />
Fazit<br />
Prozesse, die auf der repetitiven Ausführung von<br />
Aufgaben basieren, benötigen ein hohes Maß an<br />
Mitarbeiter- und Zeitressourcen und sind aufgrund<br />
des intellektuell wenig stimulierenden Charakters<br />
fehleranfällig. Die Integration von RPA in Form von<br />
IT-Lösungen ermöglicht es Banken, diese Aufgaben<br />
an die Software auszulagern. Dadurch werden<br />
die Kosten gesenkt und Mitarbeiter können<br />
sich auf höherwertige Aufgaben konzentrieren.<br />
Zur Auswahl der passenden Robotik-Software<br />
empfiehlt sich ein mehrstufiges Verfahren. Dabei<br />
sollten auch prozessuale und technische Eigenschaften<br />
des Unternehmens für die Auswahl in<br />
Betracht gezogen werden.<br />
Obwohl Robotic-Process-Automation-Lösungen<br />
marktreif sind, ist die Marktdurchdringung im europäischen<br />
Bankensektor noch relativ gering. Dabei<br />
steht schon die nächste Stufe der Automatisierungs-Evolution<br />
in den Startlöchern: die selbstlernende<br />
Maschine, die aus den Daten die richtigen<br />
Schlüsse für zukünftiges Verhalten zieht. Bis zur<br />
Anwendung Künstlicher Intelligenz im täglichen<br />
Bankgeschäft ist es aber noch ein weiter Weg.
10<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Kundenprofile für<br />
<strong>digital</strong>e Vermögensverwalter<br />
Im Zuge der Digitalisierung lässt sich in der klassischen Anlageberatung ein Wandel<br />
vom reinen Offline-Milieu hin zur Omni-Channel-Strategie beobachten. Für rein <strong>digital</strong>e<br />
Finanzdienstleister wird es immer wichtiger, eine möglichst konkrete Vorstellung von<br />
den Präferenzen jedes Kunden zu erhalten, um ihm auch online ein passgenaues<br />
Angebot unterbreiten zu können.<br />
Die klassische Anlageberatung ist im Zuge eines zunehmenden<br />
Produktangebots und eines hohen Wettbewerbs<br />
innerhalb der Branche für Finanzdienstleister heutzutage<br />
unverzichtbar. Zum einen haben Anleger unterschiedliche<br />
Kenntnisse über Eigenschaften und Risikogehalt ihrer Geldund<br />
Kapitalanlagen. Zum anderen können sie aufgrund der<br />
Vielzahl der angebotenen Finanzprodukte häufig nicht ohne<br />
Hilfe eines Vermögensverwalters entscheiden, welche Anlageform<br />
die richtige für sie ist. Die Anlageberatung nimmt<br />
jeden Anleger an die Hand, erklärt und zeigt Möglichkeiten<br />
für die passende Geldanlage auf. Sie ist persönlich und individuell,<br />
aber bislang vor allem eins: offline.<br />
Doch im Zuge der Digitalisierung lässt sich ein Wandel in<br />
der klassischen Anlageberatung beobachten: Weg vom reinen<br />
Offline-Milieu, hin zur Omni-Channel-Strategie. Finanzdienstleister<br />
stellen ihren Kunden damit gleichermaßen Offund<br />
Online-Kanäle zur Interaktion bereit. Sie haben die Wahl,<br />
ob sie den persönlichen Kontakt in ihrer Filiale bevorzugen<br />
oder den Service des Finanzdienstleisters ihres Vertrauens<br />
lieber am eigenen Schreibtisch zu Hause in Anspruch nehmen<br />
möchten. Wirklich etabliert sind <strong>digital</strong>e Services allerdings<br />
bislang lediglich im Bereich Transaktionen oder zum<br />
Monitoring der aktuellen Investments. Verkauf und Beratung<br />
stellen den nächsten Schritt auf der Agenda hin zu einem <strong>digital</strong>isierteren<br />
Umfeld dar. Für rein <strong>digital</strong>e Finanzdienstleister<br />
wird es daher immer wichtiger, eine möglichst konkrete<br />
Vorstellung von den Präferenzen jedes Kunden zu erhalten,<br />
um ihm auch online ein passgenaues Angebot unterbreiten<br />
zu können.<br />
Das sogenannte OPTI-Modell ist ein theoretischer Ansatz,<br />
um als <strong>digital</strong>er Vermögensverwalter glaubwürdige Anlegerprofile<br />
zu entwickeln und so ein genaueres Bild des Zielkunden<br />
zu bekommen. Die Abkürzung „OPTI“ setzt sich dabei<br />
aus den folgenden Begriffen zusammen: Objective (rational),<br />
Prudent (umsichtig), Trustful (vertrauensvoll) und Interested<br />
(interessiert). Diese Charakteristika stehen für vier Dimensionen<br />
eines hypothetischen Kundenprofils, die aus den Erkenntnissen<br />
von Studien der Behavioural Finance hergeleitet<br />
wurden. Diese analysiert, welche psychologischen Aspekte<br />
in Investmententscheidungen mit einbezogen werden.<br />
Objective – Rationalität bei Investmententscheidungen<br />
Die Objective-Dimension zeigt, wie rational ein Kunde seine<br />
Entscheidungen fällt. Die maximale Punktzahl dieser Dimension<br />
beschreibt einen Anleger, der sich unbeeindruckt<br />
von Emotionen zeigt, die seine Entscheidung beeinflussen<br />
könnten. Er besitzt keine kognitiven Dissonanzen und verlässt<br />
sich allein auf Fakten, die er vor Kauf eines Produkts<br />
sorgfältig gegeneinander abwägt. Das andere Extrem der<br />
Objective-Dimension zeigt dagegen einen Kunden, der<br />
sämtliche Fehler begeht, die der Behavioural Finance bekannt<br />
sind. Dazu zählen beispielsweise zyklische Investments<br />
sowie eine überwiegende Anlage in inländische Aktien,<br />
die ihm zwar das Gefühl von Sicherheit geben, aber in
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 11<br />
einer unzureichenden Diversifikation und unnötigen Risiken<br />
resultieren.<br />
Eine <strong>digital</strong>e Anlageberatung sollte also so konstruiert sein,<br />
dass sie dem Kunden einen informativen Mehrwert bietet.<br />
Anleger, die zu den klassischen Anlagefehlern neigen, sollen<br />
bei ihrer Entscheidung transparent unterstützt werden<br />
– ohne dass ihnen die Entscheidung abgenommen wird. So<br />
kann ein Anleger, der zu zyklischen Investments neigt, aktiv<br />
darüber informiert werden, dass antizyklische Investments<br />
deutliche Vorteile haben können. Alternativ könnte ihm ein<br />
periodisches Rebalancing seiner gewählten Assetallokation<br />
angeboten werden, das das System automatisch für<br />
ihn übernimmt. Diese Mechanismen sind auch unter dem<br />
Begriff „Nudging“ bekannt. Dabei werden psychologische<br />
Verhaltensweisen dazu genutzt, um Menschen zu der für<br />
sie und für die Gesellschaft günstigsten Entscheidung zu<br />
führen.<br />
Prudent – Tools testen den Wissensstand und unterstützen<br />
bei der Anlageentscheidung<br />
Die Prudent-Charakteristik findet heraus, wie gut der Nutzer<br />
mit den nötigen Fakten für ein Investment vertraut ist,<br />
und ob er seine eigenen Präferenzen kennt. Ein Anleger mit<br />
maximaler Punktzahl verfügt über den kompletten Überblick<br />
seiner Finanzen. Er weiß genau, welche Investmentziele<br />
er erreichen will und kann diese in Relation zu seiner persönlichen<br />
Risikofreudigkeit setzen. Ein Anleger mit geringer<br />
Punktzahl hingegen hat wenig bis gar keinen Überblick über<br />
seine finanzielle Situation. Er kann keine klaren Ziele benennen,<br />
weiß nicht, welche Risiken er bereit ist einzugehen und<br />
zeigt sich höchst unsicher.<br />
Der korrekte Messwert der Prudent-Charakteristik ist sehr<br />
wichtig für die weitere Interaktion mit dem Anleger. Nutzer<br />
mit geringem Wert neigen dazu, schnell überfordert zu sein<br />
und den Anlageprozess abzubrechen. Produktspezifische<br />
Angebote, die sie nicht verstehen, werden nicht als Hilfe angesehen<br />
und lassen schnell den Verdacht aufkommen, dass<br />
ihre persönliche Situation im <strong>digital</strong>en Umfeld nicht verstanden<br />
wird.<br />
Je nach Typ können verschiedene Tools in den <strong>digital</strong>en Anlageprozess<br />
eingebaut werden, die den Nutzer durch die für<br />
eine Investmententscheidung relevanten Themen führen.<br />
Dazu zählt beispielsweise eine Abfrage, wie viel Kapital monatlich<br />
für ein Investment zur Verfügung steht. Risiken können<br />
vereinfacht in grafischer Form dargestellt werden, ebenso<br />
wie Informationen zu Benefits und Mindestbeiträgen für<br />
eine sinnvolle Anlage. Diese Tools sollen die Entscheidung<br />
vereinfachen und Unsicherheiten im Hinblick auf ein Investment<br />
reduzieren.<br />
Prof. Dr. Dirk Braun ist Deutschland-Leiter von<br />
investify, dem ersten <strong>digital</strong>en Vermögensverwalter,<br />
der individuelle Kundenpräferenzen in<br />
der Assetallokation berücksichtigt. Seit 2011 lehrt<br />
er zudem an der FOM Hochschule für Ökonomie<br />
& Management und ist dort Professor für Bankund<br />
Finanzwirtschaft.<br />
Trustful – Das Vertrauensbarometer für den <strong>digital</strong>en<br />
Service<br />
Die Trustful-Charakteristik misst das Vertrauen in das <strong>digital</strong>e<br />
Angebot. Die maximale Punktzahl bedeutet, dass der<br />
Kunde vollstes Vertrauen in die Tools und Empfehlungen des<br />
Dienstleisters hat. Unsicherheiten bezüglich Sicherheitslücken<br />
oder Datenschutz hat er nicht. Fehlt allerdings das Vertrauen,<br />
wird der Nutzer die <strong>digital</strong>e Umgebung nicht nutzen<br />
wollen, wenn er dabei empfindliche Daten wie etwa Konto-<br />
Informationen angeben muss. Für solche Kunden sollte ein<br />
Offline-Channel oder die Möglichkeit einer Video-Konferenz<br />
innerhalb des Tools angeboten werden.
12<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Interested – Grad des Interesses entscheidet über die<br />
Ausführlichkeit der Information<br />
Die Interested-Dimension bestimmt, wie interessiert der<br />
Kunde an Finanzthemen ist und wie motiviert er ist, Antworten<br />
auf spezifische Fragen zu finden. Anleger mit einem guten<br />
Wert sind stetig auf der Suche nach verständlichen Informationen<br />
und sind bereit, sich gegen Zeit, Energie und sogar<br />
gegen Geld Wissen anzueignen. Dies resultiert in einer höheren<br />
finanziellen Kompetenz, da sie bereits Informationen<br />
zu der angestrebten Entscheidung gesammelt haben. Für<br />
diese Kunden ist es wichtig, dass klare Informationen geliefert<br />
werden, die unmissverständlich argumentieren, warum<br />
sich der Kunde für das vom System angebotene Portfolio<br />
entscheiden sollte. Am anderen Ende der Skala liegt dagegen<br />
der Kunde, der sich nicht für finanzielle Themen interessiert<br />
und auch keine Zeit und Energie opfern möchte, um<br />
sich in diese hineinzuarbeiten. Dieser sollte entsprechend<br />
mit weniger ausführlichen Informationen zu den Vorschlägen<br />
des Systems versorgt werden. Die Wahrscheinlichkeit,<br />
dass er die Informationsflut als ärgerlich oder verunsichernd<br />
empfindet und den Anlageprozess abbricht, ist hoch.<br />
Prof. Dr. Rüdiger von Nitzsch sitzt seit 2015 im<br />
Verwaltungsrat der investify S.A. in Luxemburg.<br />
Zudem ist er Vorsitzender des Aufsichtsrats<br />
der aixigo AG, die an investify beteiligt<br />
ist. Rüdiger von Nitzsch ist Professor an der<br />
RWTH Aachen und leitet dort das Lehr- und<br />
Forschungsgebiet „Entscheidungsforschung<br />
und Finanzdienstleistungen“.<br />
Die Verfügbarkeit einer großen Menge an Informationen<br />
und das Festlegen der persönlichen Präferenzen sind klare<br />
Vorteile eines <strong>digital</strong>en Serviceangebots gegenüber der<br />
klassischen Anlageberatung. Kunden am oberen Ende der<br />
Trustful-Skala empfinden die uneingeschränkte Möglichkeit<br />
eines <strong>digital</strong>en Anlageprozesses als Mehrwert und gesteigerte<br />
Flexibilität, da Terminabsprachen mit Beratern und die<br />
Anreise zu persönlichen Gesprächen entfallen. Sogenannte<br />
hybride Modelle, in denen Berater und Kunden den gleichen<br />
Bildschirm teilen, gewinnen zunehmend an Beliebtheit.<br />
Denn sowohl für den Dienstleister als auch für den Kunden<br />
bietet ein solches Modell Vorteile.<br />
Den <strong>digital</strong>en Kundenservice optimieren<br />
Die OPTI-Charakteristiken sollen dabei helfen, die verschiedenen<br />
Kundentypen zu identifizieren. Schließlich ermöglicht<br />
eine Kenntnis über die individuellen Neigungen eine passgenaue<br />
Zulieferung von Produkten oder Portfolio-Empfehlungen.<br />
Ein intelligentes <strong>digital</strong>es Tool kann darüber hinaus<br />
dem Anleger die nötige Sicherheit bei der Entscheidungsfindung<br />
bieten – im Zweifel unter Hinzuziehung eines traditionellen<br />
Offline-Channels. Braucht ein Kunde beispielsweise<br />
viel Zeit, um Fragen zu beantworten oder revidiert diese<br />
mehrmals, könnte das Unsicherheit bezüglich dieser Fragen<br />
aufzeigen. Hier könnte er die Möglichkeit angeboten bekommen,<br />
einem Berater seine Zweifel oder Fragen per Videooder<br />
Voice-Verbindung mitzuteilen und mit ihm gemeinsam<br />
einen Lösungsweg zu finden.<br />
Autoren<br />
Prof. Dr. Dirk Braun, Leiter investify Deutschland.<br />
Prof. Dr. Rüdiger von Nitzsch, Verwaltungsrat investify S.A.<br />
Fazit<br />
Das theoretische OPTI-Modell kratzt derzeit noch<br />
an der Oberfläche dessen, was <strong>digital</strong>e Lösungen<br />
in der Beratung und im Verkauf bieten können. Die<br />
zukünftige Entwicklung im Bereich <strong>digital</strong>e Investments<br />
sollte zu einem Instrument führen, das alle<br />
Charakteristiken dieses Modells berücksichtigt<br />
und mit dessen Ergebnissen ein entsprechendes<br />
Nutzerprofil aufbaut. Im nächsten Schritt bedeutet<br />
das konkret, die technischen und inhaltlichen Komponenten<br />
für die <strong>digital</strong>e Kunden-Interaktion zu<br />
identifizieren und anzuwenden, um dem Kunden<br />
auch online ein passgenaues Angebot unterbreiten<br />
zu können.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 13<br />
Kreditverbriefungen<br />
entlasten Bankbilanzen<br />
Verschärfte Eigenkapitalvorschriften, Niedrigzins und die fehlende flächendeckende Digitalisierung<br />
sind in Summe ein gefährlicher Mix für die Profitabilität der Finanzinstitute. Eines<br />
der Kernprobleme sind überlastete Bilanzen, die den Spielraum zur Kreditvergabe bisweilen<br />
einschränken. Das Berliner FinTech CrossLend möchte den Banken daher einen Teil<br />
ihrer Kredite abkaufen und sie ab 2018 auf einer „European Debt Exchange“ institutionellen<br />
Investoren zum Kauf anbieten.<br />
Laut dem Beratungshaus PricewaterhouseCoopers arbeiten<br />
schon sieben von zehn Finanzdienstleistern hierzulande mit<br />
FinTechs zusammen. Statt die Newcomer zu bekämpfen,<br />
sucht das Establishment lieber den Schulterschluss. Und<br />
dieser Trend ist auch global zu beobachten: Knapp die Hälfte<br />
der Finanzdienstleister kooperiert bereits mit FinTechs; im<br />
Vorjahr war es laut PwC noch ein Drittel. Die Finanz-Startups<br />
profitieren von einer funktionierenden Infrastruktur und<br />
der vorhandenen Banklizenz der großen Institute. Die Banken<br />
wiederum gewinnen innovative, flexible und technologisch<br />
versierte Partner, die konsequent das Kundenbedürfnis<br />
ins Zentrum ihrer Arbeit stellen.<br />
Dabei kann die Zusammenarbeit sehr vielfältig sein: So lassen<br />
sich die Deutsche Bank und die Commerzbank von Gini<br />
bei der semantischen Dokumentenanalyse helfen; die DKB<br />
bürgt für die Überweisungs-App Cringle und die Münchner<br />
Fidor Bank integriert gleich reihenweise Dienste Dritter in<br />
ihre offene Kontoplattform. Es ist ein Geben und Nehmen<br />
zum beiderseitigen Vorteil. Und gerade die Banken scheinen<br />
derzeit auf Hilfe angewiesen zu sein. Die FinTechs haben als<br />
Branchen-Neulinge wenig zu verlieren; die etablierten Geldinstitute<br />
hingegen fürchten um Kunden und Marktanteile.<br />
Nicht nur die neue Konkurrenz macht den Banken zu schaffen<br />
– auch die verschärften Eigenkapitalvorschriften und das<br />
historisch niedrige Zinsniveau sind Gift für die Profitabilität.<br />
Deshalb ist man bankenseitig auf der Suche nach Partnern,<br />
die grundlegende Probleme entschärfen und die Bilanzen<br />
verbessern. CrossLend gehört zu einer neuen Klasse Fin-<br />
Techs, die nicht nur einen einzelnen Teil der Value-Chain der<br />
Bank optimiert, sondern als Enabler die operative Effizienz<br />
steigert und neue Produkte ermöglicht.<br />
Kreditbörse für den Handel mit verbrieften Krediten<br />
CrossLend entwickelt eine Kreditbörse für den Handel mit<br />
verbrieften Krediten, von der vor allem Banken, aber auch Investoren<br />
und indirekt alle europäischen Unternehmen profitieren,<br />
die auf neue Kredite angewiesen sind. Ziel ist es, bei<br />
der Schaffung der Europäischen Kapitalmarktunion zu helfen;<br />
ein Unterfangen, bei dem die Europäische Kommission<br />
bislang nur mäßigen Erfolg vorweisen kann. Im Kern geht<br />
es darum, eine Brücke zwischen Investoren und Kreditnehmern<br />
zu bauen sowie den Banken neue Refinanzierungs-
14<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Oliver Schimek ist Gründer und Chef von<br />
CrossLend. Zuvor war er als Chief Financial<br />
& Investment Officer für die Kreditech<br />
Holding in Hamburg tätig. Der Physiker<br />
und Volkswirt trat bereits als Gründer des<br />
Unternehmens Quantea in Erscheinung,<br />
das Trading-Algorithmen und IT-Infrastrukturen<br />
für den Devisenhandel entwickelte.<br />
Oliver Schimek lebt mit seiner Familie in<br />
Berlin.<br />
möglichkeiten für die Kreditvergabe zu eröffnen. Denn aus<br />
dem Mangel an Krediten in einigen Bereichen resultieren<br />
nicht zuletzt handfeste realwirtschaftliche Probleme.<br />
Die zugrunde liegende Idee ist naheliegend: Banken verkaufen<br />
ihre Kredite abzüglich eines Selbstbehalts, wodurch sie<br />
ihre Bilanz entlasten und das befreite Eigenkapital für neue<br />
Kredite nutzen können. Die abgetretenen Kredite werden<br />
einzeln verbrieft und vollkommen transparent zum Kauf angeboten.<br />
Diese Wertpapiere können dann von institutionellen<br />
Investoren erworben werden. Damit macht CrossLend<br />
die Banken peer-to-peer-fähig und bietet Investoren eine<br />
rentable neue Assetklasse.<br />
Natürlich möchte man dabei nicht die Fehler der Finanzkrise<br />
wiederholen: Der Handel erfolgt deshalb nicht mit intransparenten,<br />
gepoolten ABS-Papieren (Asset Backed Securities).<br />
Stattdessen wird jeder Kredit zu einem einzelnen Wertpapier,<br />
das Investoren individuell bewerten können. Dies<br />
schafft bei jeder Transaktion die Möglichkeit einer doppelten<br />
Kreditprüfung. Denn erstens absolviert die Bank wie üblich<br />
eine Kreditwürdigkeitsprüfung; zweitens kauft der Investor<br />
das Papier nur, wenn er den Kredit auch verstanden hat.<br />
Auf diese Weise können Konsumentenkredite, aber auch<br />
SME- und Immobilienkredite in einzelne Bonds transformiert<br />
werden. Die Banken behalten dabei immer einen Eigenanteil<br />
in ihren Büchern. Die bisherigen Erfahrungen zeigen,<br />
dass dieser in vielen Fällen auch nicht gering ist und<br />
viele Banken sogar die Mehrheit bei den Krediten behalten<br />
möchten. Unabhängig von der Höhe des verbleibenden Engagements<br />
bleibt die Kundenbeziehung und -betreuung jedoch<br />
weiterhin in der Hand der Bank.<br />
Partner und Helfer der Finanzwirtschaft<br />
CrossLend sieht sich demnach in keiner Weise in der Tradition<br />
disruptiver FinTechs, die angetreten sind, um den Etablierten<br />
Konkurrenz zu machen. Ganz im Gegenteil: Cross-<br />
Lend stellt sich ganz bewusst auf die Seite der Banken, die<br />
eine enorme volkswirtschaftliche Bedeutung haben. Nimmt<br />
man beispielsweise die Bilanzsumme der Rabobank: Diese<br />
liegt bei etwa 700 Mrd. €, was annähernd dem Bruttoinlandsprodukt<br />
der Niederlande entspricht. Uns Bürgern muss<br />
daran gelegen sein, das Bankensystem als Rückgrat unserer<br />
Wirtschaft zu schützen und zu stärken. Deshalb möch-
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 15<br />
te CrossLend als Partner helfen, die operative Effizienz zu<br />
steigern sowie Kapital- und Akquisekosten zu senken. Dann<br />
können die Finanzinstitute auch ihren Kernaufgaben wieder<br />
bestmöglich nachkommen.<br />
Käufer der verbrieften Wertpapiere sind einerseits Banken,<br />
die sich ein Kreditportfolio nach ihren Bedürfnissen zusammenstellen<br />
wollen, andererseits institutionelle Investoren.<br />
Besonders für Pensionsfonds oder Versicherungen, die auf<br />
eine Fixed-Income-Rendite angewiesen sind, ist dies eine<br />
gute Assetklasse.<br />
Dass es dringend der Schaffung eines europäischen Kapitalmarkts<br />
bedarf, belegt auch das Engagement der Investoren,<br />
die mit CrossLend zusammenarbeiten. Mit CME Ventures<br />
wurde beispielsweise die VC-Beteiligungstochter der<br />
weltweit größten Börse, der Chicago Mercantile Exchange<br />
(CME), gewonnen. Das Engagement ist die erste Beteiligung<br />
von CME Ventures in Europa überhaupt. Zudem sind<br />
der Luxembourg Future Fund (LFF) sowie Promus Ventures<br />
aus den USA eingestiegen, die sich genau wie Lakestar,<br />
Northzone und Atlantic Labs als Kapitalgeber einbringen.<br />
Autor<br />
Oliver Schimek ist CEO bei CrossLend.<br />
Fazit<br />
Durch eine Kreditbörse für den Handel mit verbrieften<br />
Krediten, von der Banken, Investoren und<br />
Unternehmen gleichermaßen profitieren, kann<br />
die Schaffung der Kapitalmarktunion nachhaltig<br />
unterstützt werden – ein Unterfangen, bei dem die<br />
Europäische Kommission bislang nur mäßigen Erfolg<br />
vorweisen kann. Im Kern geht es darum, eine<br />
Brücke zwischen Investoren und Kreditnehmern zu<br />
bauen sowie den Banken neue Refinanzierungsmöglichkeiten<br />
für die Kreditvergabe zu eröffnen.<br />
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16<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
NPL-Krise in<br />
Europa<br />
Europas Banken haben mit dem hohen Bestand an offenen Forderungen zu kämpfen.<br />
In den Bilanzen der Geldinstitute schlummern faule Kredite im Wert von über 1 Bio. €.<br />
Die Verwertung der Non-Performing Loans (NPL) über klassische Vehikel wird<br />
wohl noch viele Jahre in Anspruch nehmen.<br />
Bei vielen europäischen<br />
Finanzinstituten<br />
sind die Altlasten<br />
aus dem Kreditrisikomanagement<br />
der vergangenen<br />
Jahre noch<br />
längst nicht bereinigt.<br />
In den Bilanzen von Europas<br />
Kreditinstituten liegen aktuell offene<br />
Forderungen im Wert von über<br />
1 Bio. €. Besonders verheerend ist der Anteil der faulen Kredite<br />
aktuell in Griechenland: Mehr als 40 Prozent der Kredite<br />
vor Ort sind offen, das bedeutet, sie wurden seit mehr als<br />
90 Tagen nicht mehr bedient. Zum Vergleich: Der Anteil in<br />
Deutschland beträgt gerade einmal 1,2 Prozent.<br />
Weniger Liquidität, weniger Wachstum<br />
Auch Italien muss sein NPL-Problem dringend in den Griff<br />
kriegen: Mit etwa 360 Mrd. € an offenen Forderungen haben<br />
die dortigen Banken aktuell zu kämpfen. Einige Kreditinstitute<br />
vor Ort hat die hohe NPL-Menge bereits in die Insolvenz<br />
getrieben: Ende Juni erwischte es die Veneto Banca sowie<br />
die Banca Popolare di Vicenza. Monatelang versuchte die italienische<br />
Regierung, eine vernünftige Lösung für die beiden<br />
venezianischen Geldhäuser zu finden, doch mittlerweile ist<br />
das Schicksal der Banken besiegelt. Die ausfallgefährdeten<br />
Kredite sollen jetzt in eine Bad Bank überführt werden, deren<br />
Abwicklung der NPLs den italienischen Staat insgesamt<br />
etwa 5 Mrd. € kosten wird. Die noch geschäftsfähigen Bereiche<br />
sollen wohl von der Großbank Intesa Sanpaolo übernommen<br />
werden. Dass überfällige Kredite zu einem echten<br />
Problem für Europas Banken und somit auch für die europäische<br />
Wirtschaft geworden sind, ist mittlerweile auch den<br />
großen Bankenaufsehern klar geworden. Denn aufgrund der<br />
verknappten Liquidität der Banken können weniger Kredite<br />
vergeben werden, was das Wachstum der jeweiligen Volkswirtschaften<br />
merklich hemmt.<br />
Aktionsplan gegen notleidende Kredite<br />
Anfang Juli wurde es dann konkreter: Die EU-Finanzminister<br />
verständigten sich in Brüssel auf einen „Aktionsplan gegen<br />
notleidende Kredite“. Die Minister beschlossen dabei Lösungen,<br />
wie der hohe Anteil an NPLs in Europas Geldinstituten<br />
möglichst schnell abgebaut werden kann. Zusätzlich wurden<br />
noch Maßnahmen festgelegt, wie künftig eine Anhäufung<br />
der faulen Kredite verhindert werden kann. Die Finanzminister<br />
der EU einigten sich zudem darauf, dass es keine<br />
EU-weite Bad Bank geben wird. Vielmehr sollen nationale<br />
Lösungen erarbeitet werden, wie die Bildung von Sekundärmärkten;<br />
auch die Gründung von länderspezifischen Verwertungsgesellschaften,<br />
die später in Bad Banks umgewandelt<br />
werden können, sind laut der EU möglich.<br />
Doch die Zeit drängt – in Griechenland oder Italien müssen<br />
die Maßnahmen schnell greifen. Denn die Finanzinstitute in<br />
den betroffenen Ländern stehen unter einem sehr hohen<br />
Druck, ihre Bilanzen unmittelbar zu bereinigen. Bis dort die<br />
von den EU-Finanzministern beschlossenen Maßnahmen<br />
umgesetzt werden, kann es für einige Kreditinstitute zu spät<br />
sein. Schneller geht der Forderungsverkauf beispielsweise<br />
über Online-Marktplätze. Diese ermöglichen Banken und<br />
Unternehmen aus ganz Europa den Verkauf offener Forderungen<br />
über eine Online-Börse. Der generell eher langsame
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 17<br />
Verkaufsprozess über klassische Vertriebswege wie Beratungsgesellschaften<br />
oder Inkasso-Firmen wird dabei <strong>digital</strong>isiert<br />
und deutlich beschleunigt: Dank der Möglichkeiten, die<br />
das Internet heute bietet, sind die NPLs innerhalb weniger<br />
Wochen auf der Forderungsbörse per Auktion handelbar.<br />
Aber wer kauft die faulen Kredite, die Europas Banken seit<br />
der Eurokrise angesammelt haben?<br />
Distressed Investments werden immer beliebter<br />
In den vergangenen Jahren ist das Interesse an alternativen<br />
Investmentformen stark gestiegen: Moderne Anlagekonzepte<br />
wie Private Equity sorgen für eine erhöhte Diversifizierung<br />
und auf Dauer für verbesserte Renditechancen.<br />
Auch der Markt der Distressed Investments, also für ausgefallene<br />
Kredite und NPLs, ermöglicht Investoren den Einstieg<br />
in vielversprechende Anlageklassen fernab von Aktien<br />
und Anleihen. Vor nicht allzu langer Zeit wurde der Handel<br />
mit offenen Forderungen allerdings noch ausschließlich von<br />
institutionellen Investoren wie Investmentbanken oder großen<br />
Equity-Fonds bestimmt, die milliardenschwere Portfolios<br />
aufgekauft haben. Damals war der Markteintritt quasi<br />
unmöglich, wenn man nicht über sehr große Finanzmittel<br />
oder direkte Bankenkontakte verfügte. Und entsprechend<br />
groß waren auch die NPLs die verkauft wurden.<br />
Dies hat sich mittlerweile geändert: Institutionelle Investoren<br />
und Banken stellen nach Jahren der Abarbeitung der<br />
Portfolien vermehrt Einzelengagements zum Verkauf, die<br />
dann im freien Handel auftauchen. Das bietet auch kleineren<br />
Private-Equity-Gesellschaften und Family Offices die Gelegenheit,<br />
in den Distressed-Investments-Markt einzusteigen.<br />
Denn die notleidenden Kredite haben sich als lukrativer<br />
Spezialbereich für Investoren erwiesen. Mittlerweile steigern<br />
etwa 500 Investoren aus Großbritannien, den USA und<br />
ganz Europa auf die angebotenen Kredite auf dem Online-<br />
Marktplatz Debitos. Zu den Anbietern gehören mehr als 40<br />
europäische Banken, die neben ausgefallenen Forderungen<br />
auch besicherte und unbesicherte Kredite sowie Insolvenzquoten<br />
verkaufen. Wie bei jeder anderen Versteigerung gilt<br />
auch hier: Das höchste Gebot gewinnt. Der Verkäufer muss<br />
sich in diesem bisher sehr intransparenten Markt also nicht<br />
mit einem Preis zufrieden geben, sondern kann bei seinem<br />
Angebot beobachten, wie die verschiedenen Marktteilnehmer<br />
für die NPLs bieten, was sich im Regelfall auch positiv<br />
auf den Marktpreis auswirkt.<br />
Das höchste Gebot gewinnt<br />
Der Verkäufer der Forderungen muss zunächst möglichst detaillierte<br />
Angaben zu seinem Angebot machen. Im Falle der<br />
Insolvenzquote ist hier vor allem wichtig, ob der Schuldner<br />
sich in einem Insolvenzverfahren befindet und in welcher<br />
Höhe bzw. wann eine Quote vom Insolvenzverwalter in Aussicht<br />
gestellt wurde. Diese Daten lassen sich bei Bedarf um<br />
kurze Texte zu Zeitpunkt und Ergebnis des letzten Vollstreckungsversuchs<br />
und des Schuldners ergänzen. Potenzielle<br />
Bieter können diese Informationen während der Auktion<br />
einsehen, um sich so einen detaillierten Überblick über den<br />
Kontext der versteigerten Forderung zu machen. Dem Auktionsbeginn<br />
ist noch der Due-Dilligence-Prozess vorgelagert,<br />
bei dem Fragen und Antworten zum Angebot und ggf. noch<br />
Dokumente ausgetauscht werden. Bei sensiblen Auktionen<br />
ist auch ein geschlossener Bieterkreis möglich.<br />
Der Verkäufer setzt anschließend den Forderungswert, den<br />
Mindestpreis und die Auktionsfrist fest. Der Forderungswert<br />
setzt sich dabei primär aus dem Haupt-Forderungswert und<br />
der eventuell angefallenen Mehrwertsteuer zusammen.<br />
Sekundär entstandene Kosten können unter „Zinsen“ oder<br />
„zusätzliche Gebühren“ hinzugefügt werden. Außer einem<br />
Mindestpreis kann der Verkäufer zudem die Möglichkeit für<br />
einen Sofort-Kauf anbieten. Gebühren fallen nur im Fall eines<br />
erfolgreichen Verkaufs an. Wenn eine Forderung nach<br />
Ablauf der Auktionsfrist ohne Gebot bleibt oder der Mindestpreis<br />
nicht erreicht wurde, ist das für den Verkäufer kostenlos<br />
und man kann es zu einem späteren Zeitpunkt noch<br />
einmal versuchen. Wird eine Forderung auf der Onlinebörse<br />
verkauft, erhält der Betreiber einen Prozentsatz des realisierten<br />
Verkaufspreises. Dieser bewegt sich im einstelligen<br />
Prozentbereich und ist von der Art der verkauften Forderung<br />
abhängig.<br />
Autor<br />
Timur Peters ist Geschäftsführer der Debitos GmbH.<br />
Fazit<br />
Dank moderner Technologie können Online-Marktplätze<br />
für den Forderungshandel dazu beitragen,<br />
die Quote an ausfallgefährdeten Krediten in europäischen<br />
Geldinstituten zu reduzieren. Die deutsche<br />
Handelsbörse Debitos hat ihren Marktplatz<br />
mittlerweile auch für Transaction Advisor geöffnet,<br />
sodass Anwender aus Investmentbanken oder<br />
Beratungsgesellschaften eine White-Label-Lösung<br />
zum Forderungsverkauf selbstständig nutzen<br />
können. Die Infrastruktur mit Datenraum und<br />
Q&A-Tool sowie standardisierte Datentemplates<br />
und Verträge werden automatisch zur Verfügung<br />
gestellt.
18<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Customer<br />
Experience als<br />
Leuchtfeuer<br />
Banken stehen unter enormem Druck, ihre Geschäftsprozesse an die Wünsche von „König<br />
Kunde“ anzupassen und entsprechende Angebote zu entwickeln. Doch ein Facelifting<br />
des Angebotportfolios und Kundenkontakts genügt nicht. Erst die Anbindung an das Core<br />
Banking sichert die Qualität und bringt Kunden- und Bankinteressen in Einklang.<br />
Gerade etablierte Kreditinstitute tun sich schwer, auf die<br />
Konkurrenz durch kleinere, spezialisierte, oft online-basierte<br />
Anbieter aus dem Start-up- oder FinTech-Bereich zu reagieren.<br />
Deren einfache Angebote haben den Markt wettbewerbsintensiver<br />
gemacht. Die schnelle, agile Reaktion ist<br />
das Gebot der Stunde, denn die Treue des Kunden zu seiner<br />
Hausbank wird schwächer. Institute, die sich schnell anpassen<br />
wollen, brauchen effektive Geschäftsprozesse, um den<br />
Weg der Digitalisierung durch deren Automatisierung zu gehen.<br />
Wandlungsdruck<br />
Banken müssen – und wollen – daher reagieren. Ohne Digitalisierung<br />
der Geschäftsprozesse lassen sich aber weder<br />
mehr Angebote schaffen noch bestehende Dienstleistungen<br />
konsolidieren. 82 Prozent der Banken sind sich dieser<br />
Tatsache bewusst und verfolgen nach eigener Aussage eine<br />
Digitalisierungsstrategie. 1 Dabei geht es ne- ben<br />
der Neugestaltung der klassischen Prozesse<br />
für knapp die Hälfte der Kreditinstitute auch<br />
um den Ausbau der eigenen Plattformen.<br />
Traditionelle Prozesse sollen durch Robo<br />
Advisory oder Blockchain-Technologien<br />
erweitert werden. Wichtig ist für die<br />
meisten Befragten die Automatisierung<br />
der IT.<br />
Eine andere Umfrage belegte<br />
aber auch die mitschwingenden Ängste: 88 Prozent der Befragten<br />
nannten mindestens eine der folgenden fünf Hürden<br />
auf dem Weg zur <strong>digital</strong>en Transformation: 2<br />
• lange Implementierungsphase,<br />
• Systeme sind zu komplex in der Verwaltung oder für Änderungen,<br />
• nicht alle Erwartungen der Anwender können erfüllt<br />
werden,<br />
• zu wenig Übersicht über Kundendaten,<br />
• Anwender werden nicht in die Transformation einbezogen.<br />
Kundenwünsche<br />
Letzten Endes entscheidet der Kunde über den Erfolg der<br />
Digitalisierung. Der Konkurrenzfaktor Kundendienst wird<br />
komplexer, Verbraucher sind besser informiert, die Ansprüche<br />
an neue, individualisierte Angebote steigen. Zudem<br />
kommunizieren sie immer mehr auf verschiedenen Kanälen<br />
und erwarten dabei stets die gleiche Qualität der Beratung<br />
und Betreuung. Nicht wenige Kunden werden in Zukunft<br />
den Prozess eines Kreditantrags an der Unkompliziertheit<br />
eines Waschmaschinenkaufs im Internet messen.<br />
Eine Überweisung und deren Verzahnung misst sich<br />
in Zukunft an der Einfachheit eines FinTechs, soll<br />
aber weiter so sicher sein wie am Schalter in der<br />
Bank. Kunden werden sich zudem immer stärker<br />
ihrer Rechte bewusst, zum Beispiel beim Daten-
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 19<br />
schutz: Die EU-weite Datenschutzgrundverordnung, die ab<br />
Mai 2018 in Kraft tritt, sichert dem Verbraucher weitgehende<br />
Rechte zu. Jeder einzelne Bürger kann die Herausgabe und<br />
Löschung seiner Daten beantragen, und auch solche Anfragen<br />
müssen in Zukunft bedient werden. Ganz zu schweigen<br />
von der Meldepflicht bei einer Verletzung des Datenschutzes:<br />
Eine unterlassene Benachrichtigung kann hier<br />
existenzbedrohende Strafzahlungen nach sich ziehen. Die<br />
Bewältigung der vorgeschriebenen Prozesse zur Kundenkommunikation<br />
ist unternehmenskritisch.<br />
Kreditinstitute müssen deshalb ihr Portfolio an Dienstleistungen<br />
und damit die Menge ihrer Geschäftsprozesse zunehmend<br />
erweitern. Traditionelle Unternehmen mit einer<br />
schon seit langer Zeit bestehenden IT-Infrastruktur und einem<br />
entsprechendem Anteil an Legacy-Strukturen tun sich<br />
dabei schwerer als junge spezialisierte Anbieter, die mit ihren<br />
wenigen schlanken Prozessen für eng definierte Angebote<br />
groß geworden sind. Denn jeder Prozess besteht nicht<br />
nur aus einer neuen Frontend-Applikation. Jede Interaktion<br />
startet einen Kundenprozess, der an das Core Banking angebunden<br />
werden muss: Die Kundenkommunikation sowie<br />
administrative- oder Zahlungs-Prozesse im Core Banking<br />
müssen miteinander integriert und verzahnt sein.<br />
Anbindung an Core-Prozesse<br />
Die Digitalisierung von Banken, vor allem die Digitalisierung<br />
der Interaktion mit dem Kunden, erfordert mehr als nur das<br />
Überstülpen von Frontend-Applikationen. Sie bedarf auch<br />
der Anbindung an die IT-Infrastruktur im Core Banking, eines<br />
vernetzten Zugriffs auf die verteilten Daten und einer<br />
Integration an bereits bestehende Backoffice-Prozesse wie<br />
Controlling, Buchhaltung oder Risikomanagement.<br />
Schon ein Einzelgespräch mit einem Kunden löst viele komplexe<br />
Folgeprozesse aus. Ein Blick auf die Fülle an Abläufen<br />
zeigt, wie komplex sich die Anbindung einer-Web-Eingabemaske<br />
an die Unternehmens-IT in der Folge gestaltet:<br />
Entscheidungen zur Gewährung von Krediten erfordern die<br />
korrekte Aufnahme neuer bzw. den Abruf vorhandener Informationen.<br />
Darauf aufbauend ergeht automatisiert und an<br />
logische Entscheidungsbedingungen geknüpft (wie Kundenvermögen,<br />
Wertbeständigkeit eines Objekts oder vorhandene<br />
Sicherheiten) eine Entscheidungsempfehlung an den<br />
Sachbearbeiter.<br />
Im Anschluss starten mit der Bewilligung eines Kredits<br />
weitere Folgeprozesse, wie die individuelle Kalkulation der<br />
Rückzahlungsraten oder die Weitergabe relevanter Informationen<br />
an die Finanzabteilung zur automatischen Einrichtung<br />
eines neuen Bankeinzugverfahrens. Eine Übermittlung der<br />
Bedingungen an das Controlling trägt zur kontinuierlichen
20<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Überprüfung der Vergabekriterien durch das Risikomanagement<br />
einer Bank bei und sammelt Daten zur permanenten<br />
Neudefinition der Bewilligungskriterien. Weitere Folgeprozesse<br />
umfassen die Abwicklung und Steuerung der Rückzahlung.<br />
Fitness-Training Agilität<br />
Bei der mit den Angeboten und ihrer Individualisierung<br />
zunehmenden Menge an Geschäftsprozessen wird es unternehmenskritisch,<br />
diese Prozessabläufe mit größerer Geschwindigkeit<br />
und höherer Frequenz flexibel zu definieren<br />
und zu implementieren. Da diese Prozesse sowohl die IT-<br />
Infrastruktur als auch Geschäftsmodelle beeinflussen, brauchen<br />
Unternehmen für die Definition der Prozessabläufe Lösungen,<br />
die den Dialog von Technikern und Nicht-Technikern<br />
ermöglichen.<br />
Das trifft auch dann zu, wenn sich große Institute entschließen,<br />
mit kleinen Start-ups zusammenzuarbeiten oder spezielle<br />
Projektteams für ein neues, etwa App-gestütztes Bankgeschäft<br />
aufzubauen. Denn auch die klassische IT muss die<br />
Anforderungen der Geschäftsmodelle umsetzen, um jedem<br />
Entscheidungsträger zum Zeitpunkt seiner Involvierung in<br />
die Entscheidungen die korrekten Daten präsentieren können.<br />
Low-Code-Plattformen zur Automatisierung <strong>digital</strong>er<br />
Geschäftsabläufe ermöglichen mittels Drag-and-Drop die<br />
Festlegung der Abläufe bei gleichzeitiger Verknüpfung mit<br />
Core-IT-Prozessen und den ihnen zugrunde liegenden Datenmodellen<br />
zum Abruf aller verfügbaren und notwendigen<br />
Informationen.<br />
Durch agile Digitalisierung von Unternehmensprozessen<br />
können in hohem Tempo immer wieder aktuelle Schaltpläne<br />
für den Ablauf der Prozesse gestartet werden. Wenn die Lösungen<br />
keine technischen Vorkenntnisse erfordern, können<br />
alle Beteiligten kommunizieren und den Umwandlungsprozess<br />
gemeinsam gestalten. Alle Beteiligten – IT, C-Level,<br />
die Vertreter des klassischen Bankgeschäfts und die Digital<br />
Natives – müssen Änderungen diskutieren, live testen, implementieren<br />
und wieder zurücknehmen. Ohne Dialog und<br />
ohne Technologien, die diesen ermöglichen, scheitert die <strong>digital</strong>e<br />
Transformation, und der Kunde stimmt mit dem Wechsel<br />
des Instituts ab.<br />
Autor<br />
Gerhard Unger, General Manager DACH, Bizagi GmbH.<br />
1 Branchenkompass Banking <strong>2017</strong>, Sopra Steria Consulting und F.A.Z.-<br />
Institut.<br />
2 Bizagi-Agility-Trap-Report 2016.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 21<br />
Eigenverantwortung<br />
stärken,<br />
Entscheidungen<br />
treffen<br />
Wie arbeitet ein erfolgreiches FinTech? Am Beispiel von fino geben wir einen Einblick in<br />
den Maschinenraum eines Start-ups, das sich in weniger als 18 Monaten im Markt etablieren<br />
konnte. Gestartet mit fünf Mitarbeitern und einem Produkt, entwickeln heute über<br />
50 Mitarbeiter Lösungen für mehr als 200 Partner. Auf dem Weg hat das Kasseler Jungunternehmen<br />
viel gelernt und eine Kultur der Selbstverantwortung mit einem tragfähigen<br />
Geschäftsmodell entwickelt.<br />
Die Idee, den Kontowechsel für Bankkunden zu vereinfachen,<br />
entstand bereits Mitte 2014. Der ehemalige Commerzbanker<br />
Florian Christ zögerte nicht lange und gründete<br />
zusammen mit vier mutigen Kollegen nur wenige<br />
Monate später sein eigenes FinTech-Unternehmen. In einem<br />
damals innovativen Prozess konnten Kunden nun in<br />
wenigen Schritten die lästigen und papiergeprägten Folgen<br />
eines Kontowechsels automatisch erledigen. Um Vertrauen<br />
bei Banken und Endkunden zu gewinnen, ließ Christ den<br />
standardisierten Prozess vom TÜV Saarland zertifizieren.<br />
Und das Ergebnis kann sich sehen lassen: Mittlerweile haben<br />
über 100.000 Kunden den Kontowechsel durchgeführt.<br />
Ideen im Rhythmus<br />
Doch der Kontowechseldienst war nur der<br />
Anfang. Bis heute hat fino sein Portfolio kontinuierlich<br />
erweitert. Der Antrieb, Ideen<br />
schnell auszuprobieren, wurde zum Leitbild,<br />
um neue Produkte im dreimonatlichen<br />
Rhythmus zu entwickeln. Die Ideen dafür kommen<br />
oft aus dem täglichen Alltag des Teams oder von<br />
« Ohne Vertrauen<br />
funktioniert das<br />
Geschäftsmodell<br />
nicht. »<br />
Freunden und Partnern. „Aus jedem Gespräch lernen wir<br />
etwas Neues, was nicht selten in der Entwicklung von<br />
neuen Produkten und Features mündet“, sagt Florian<br />
Christ. So wurde aus dem Kontowechsel ein Bankwechsel,<br />
bei dem Kunden auch ihre Kreditkarten und Depots<br />
wechseln können. Die Vertragspartner, die im Kontowechsel<br />
automatisch identifiziert werden, nutzt der neue Vertragscoach,<br />
um Kunden nachhaltig Tipps zur Lebenssituati-
22<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
on und den Finanzen zu geben. Den Tipp „mieten oder<br />
kaufen“ erhalten die relevanten Kunden so automatisch.<br />
Noch weiter geht die <strong>digital</strong>e Selbstauskunft, die Kunden<br />
beispielsweise die Frage beantwortet „Was kann ich mir<br />
leisten?“ und Banken die Möglichkeit gibt, in Echtzeit die<br />
Bonität eines potenziellen Kredit-, Baufi- oder Disponehmers<br />
zu prüfen.<br />
Nicht jedes Produkt ist denkbar<br />
Christ und sein Team entwickeln zwar kontinuierlich<br />
neue Produkte, haben sich selbst<br />
jedoch einige Leitplanken gesetzt. So werden<br />
nur Ideen umgesetzt, die in drei Monaten<br />
realisierbar sind – das reduziert Risiko<br />
und Investitionen. Möglich sind diese kurzen<br />
Entwicklungszeiten durch den stringenten Einsatz von Microservices,<br />
die einmal entwickelt immer wieder eingesetzt<br />
werden können. Deshalb können heute große Teile<br />
von neuen Produkten über vorhandene Microservices<br />
nach einem Baukastenprinzip zusammengebaut werden.<br />
So könnte man beispielsweise die Selbstauskunft zum<br />
Mieter-Check ausbauen, indem man die Microservices<br />
Kontoanalyse, Gehaltsnachweis und Zahlungstreue für<br />
Miete kombiniert. Auf diese Weise können den Banken<br />
nicht nur moderne Technologien, sondern auch neue<br />
Touchpoints mit ihren Kunden angeboten werden. „Wir<br />
wollen keine Produkte und Funktionen entwickeln, die<br />
schon am Markt vorhanden sind“, sagt Christ. Stattdessen<br />
sollen die besten Lösungen von Partnern als Microservice<br />
integriert werden, denn gemeinsam schaffe man bessere<br />
Produkte. Beispiele hierfür seien das VideoIdent-Verfahren<br />
oder die <strong>digital</strong>e Signatur nach eIDAS.<br />
Zwar richten sich die Produkte von fino in erster Linie an<br />
Endkunden, der Vertrieb erfolgt allerdings von Anfang an<br />
über Partnerbanken. Dadurch kann sich jeder in der Partnerschaft<br />
auf seine Kernkompetenz konzentrieren: Banken<br />
auf ihre Kunden und fino auf Technologie und Kundenerlebnis.<br />
Der Kunde bleibt bei der Bank, die Daten beim Kunden.<br />
„Diese Gedanken sind in der Grund-DNA des Start-ups<br />
fest verankert. Ohne eine gemeinsame Vertrauensbasis<br />
funktioniert das Geschäftsmodell nicht“, so Christ weiter.<br />
Fair Share – gibt es das wirklich?<br />
Die Kernidee des Preismodells ist für die Kreditinstitute<br />
nicht uninteressant: fino verdient<br />
Geld, wenn auch der Partner erfolgreich ist<br />
(pay-per-use). Monatliche Fixkosten und<br />
Wartungspauschalen gibt es nicht. „Wenn<br />
der Erfolg eines Produkts vom Budget des Partners abhängt,<br />
können wir nicht das beste Produkt schaffen. Daher<br />
investieren wir immer in unsere Produkte und bauen nur<br />
das, wovon wir überzeugt sind“, sagt Florian Christ. Damit<br />
geht das Start-up ein deutlich höheres Risiko bei der Entwicklung<br />
von neuen Produkten ein, hat im Erfolgsfall aber<br />
auch eine höhere und nachhaltige Verdienstmöglichkeit.<br />
„Nicht jeder Partner bzw. deren Einkauf sieht die Vorzüge<br />
sofort, Produkte mit geringem Risiko auszuprobieren und<br />
dafür später beim Erfolg etwas abzugeben. Aber zum<br />
Glück werden es immer mehr“, sagt Christ.<br />
Alles nach Plan – was passiert, wenn man wächst?<br />
Durch das schnelle Wachstum der Mitarbeiterzahlen<br />
und die rasche Erweiterung des<br />
Produktportfolios wurde Ende 2016 festgestellt,<br />
dass die interne Organisation im Vergleich<br />
zu den Anfangstagen weniger agil<br />
wurde. Um die Schnelligkeit und Entscheidungsfähigkeit<br />
zurückzugewinnen, wurden sogenannte „fino Atome“ gegründet<br />
– die kleinste, eigenständig funktionierende Einheit<br />
im Betrieb. Diese bestehen aus vier bis zehn Personen<br />
« Ein Produkt, das<br />
wir nicht in drei<br />
Monaten bauen<br />
können, das bauen<br />
wir nicht. »<br />
mit eigener P&L-Verantwortung und je einem fachlichen<br />
und technischen Verantwortlichen mit voller Entscheidungskompetenz.<br />
Mit dieser Struktur sollen weiterhin schnelle Entscheidungen<br />
getroffen und selbstgesteckte Ziele erreicht werden<br />
können, um in jedem Quartal ein neues Produkt zu veröffentlichen.<br />
Das Geschäftsmodell basiert dabei auf einem einfachen<br />
Grundgedanken: „Ein Produkt, das wir nicht in drei Monaten<br />
bauen können, das bauen wir nicht“, sagt Christ.<br />
Trotz schnell wachsender Mitarbeiter- und Kundenzahlen<br />
versteht sich fino auch nach über zwei Jahren noch als
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 23<br />
Start-up. Der Charakter der fino-family sei im gesamten<br />
Unternehmen spürbar. Bereits vor dem Einstieg von neuen<br />
Mitarbeitern werde geprüft, ob diese sich im gesamten<br />
Team wohlfühlen können. Ohne Leidenschaft für das eigene<br />
Thema und den Anspruch, sich persönlich weiterentwickeln<br />
zu wollen, gehe das allerdings nicht, meint Gründer<br />
Christ. Darin sei auch ein Erfolgsgeheimnis der Kultur<br />
begründet – jeder Mitarbeiter treibe seine Themen eigenständig<br />
und mit Leidenschaft voran. Übergeordnete Ziele<br />
und Hierarchien zum Antreiben von Mitarbeitern brauche<br />
es nicht.<br />
Eigenverantwortung stärken, Entscheidungen treffen<br />
Um Kräfte zu bündeln und die Leidenschaft<br />
zu konzentrieren, können Mitarbeiter sich<br />
die Atome, in die sie sich einbringen, selbst<br />
aussuchen. Darüber hinaus gibt es sogenannte<br />
„Chapters“, in denen sich die Mitarbeiter<br />
Atom-übergreifend zu Themenschwerpunkten austauschen.<br />
Um Austausch noch weiter zu fördern, öffnen<br />
sich die ersten aktuell für die öffentliche Community. Aufbauend<br />
auf Meet-up-Strukturen entsteht so ein regionaler<br />
Wissensdialog, indem neue und relevante Themen auf<br />
breiter Basis diskutiert werden können.<br />
Eine wichtige Säule sind Eigenverantwortung und direkte<br />
Entscheidungen, um Dinge nicht hinauszuzögern. Dafür<br />
wurde eine Fehlerkultur des schnellen Ausprobierens und<br />
Scheiterns etabliert, die Mitarbeiter ermutigt, Verantwortung<br />
zu übernehmen. Das ist vor allem für neue Mitarbeiter<br />
sehr gewöhnungsbedürftig, da sie es nicht gewohnt<br />
sind, in hohem Maße einbezogen zu sein.<br />
Um die Dynamik und Weiterentwicklungsmöglichkeiten<br />
für Atome und Mitarbeiter auch in Zukunft zu gewährleisten,<br />
wurde die „fino create“ im Juni <strong>2017</strong> gegründet. Wenn<br />
Atome erfolgreich arbeiten und wirtschaftlich unabhängig<br />
sind, können sie sich ausgründen und sich dadurch noch intensiver<br />
auf ihr Geschäftsmodell konzentrieren. Gleichzeitig<br />
erhalten die einzelnen Atome dadurch die Möglichkeit,<br />
sich als Unternehmer zu beweisen und die Werte Selbstverantwortung,<br />
Innovationskraft und Mut konsequent zu<br />
leben. So wird Raum für neue Kooperationen geschaffen,<br />
um mit ausgewählten Partnern gemeinsame Produkte zu<br />
entwickeln und die Technologie zu skalieren und zu übertragen.<br />
Autor<br />
Florian Christ hat Wirtschaftsinformatik<br />
studiert und einen MBA in International<br />
Business und Marketing abgeschlossen.<br />
Mit 18 Jahren gründete er<br />
sein erstes Unternehmen im Bereich<br />
IT und Digitalisierung. Es folgten<br />
Stationen in der Managementberatung<br />
von Accenture und im Business<br />
Development der Commerzbank. 2015<br />
gründete Christ das fino <strong>digital</strong>, mit<br />
dem Ziel, den Kontowechsel zu revolutionieren.<br />
Stefan Hirschmann
24<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Verpasste Anrufe,<br />
verpasste Chancen<br />
Kunden sehen ihre Bank heute vornehmlich als Dienstleister, den man im Zweifelsfall<br />
wechselt. Vor diesem Hintergrund werden verbesserter Service und ständige Erreichbarkeit<br />
zu prägenden Wettbewerbsfaktoren. Kein Kunde lässt sich gern in der Warteschleife abstellen<br />
oder ist bereit, häufige Besetzt-Zeichen hinzunehmen. Kommunikations-Software bietet<br />
hier vielfache Optimierungsmöglichkeiten.<br />
Banken können und wollen sich heute Schäden im Kundenverhältnis<br />
immer weniger leisten. Verpasste Anrufe sind hier<br />
in erster Linie verpasste Chancen zu Kundenkontakt oder<br />
-beratung. Viele Unternehmen stellen sich daher die Frage,<br />
wie die Quote an verpassten Anrufen und Kontaktversuchen<br />
nachhaltig zu senken sei. Moderne Kommunikations-Software<br />
wie Unified-Communications (UC)-Lösungen können<br />
hier helfen.<br />
Bei der Kommunikations-Software werden Präsenzmanagement<br />
und Rufumleitungen auf intelligente Weise gekoppelt.<br />
Automatisierte Prozesse erleichtern es dem Mitarbeiter, den<br />
eigenen Präsenzstatus ständig aktuell zu halten und unnötigen<br />
Aufwand zu vermeiden. Dazu wird die Präsenzinformation<br />
direkt an den jeweiligen Kalender angebunden. Präsenzstatus<br />
und Rufumleitung werden automatisiert geändert,<br />
wenn der Mitarbeiter im Urlaub ist, einen Termin eingetragen<br />
hat oder die Leitung belegt ist. Dabei lassen sich Umleitungen<br />
flexibel einstellen: So können z. B. interne Gespräche<br />
per Voicemail in Empfang genommen werden, externe<br />
Anrufe jedoch an Kollegen oder die Zentrale weitergeleitet<br />
werden. Die Mitarbeiter in der Telefonzentrale können im Fall<br />
einer Weiterleitung auf einen Blick prüfen, ob der gewünschte<br />
Ansprechpartner am Platz oder seine Leitung frei ist.<br />
Analyse der Telefoniedaten als Basis<br />
Für eine nachhaltige Verbesserung der Situation ist jedoch<br />
eine genaue Analyse unerlässlich. Dazu bieten Unified-Communications-Anwendungen<br />
umfangreiche Möglichkeiten.<br />
Sogenannte Business Intelligence Tools werten nicht nur die<br />
Zahl der Telefonate aus, sondern auch, wie viele Gespräche<br />
nicht angenommen werden konnten und zu welchen Zeitpunkten<br />
das höchste Anrufaufkommen herrscht. So kann die<br />
Planung der nötigen Ressourcen deutlich optimiert werden.<br />
Wenn zum Beispiel viele Mitarbeiter gleichzeitig einen Brückentag<br />
zu einem verlängerten Wochenende nutzen möchten,<br />
muss das Büro trotzdem erreichbar sein. Für die Frage<br />
nach der erforderlichen Personalstärke können die Daten<br />
aus dem Vorjahr Aufklärung liefern. Bei der Auswertung der<br />
« Verbesserte<br />
Kundenkommunikation?<br />
»<br />
entsprechenden Telefoniedaten kann man genau prüfen,<br />
wie hoch das Anruf-Aufkommen in Relation zu einem vergleichbaren<br />
Wochentag war und die Personalressourcen an<br />
die zu erwartende Anrufmenge anpassen. Durch die fortlaufende<br />
Datenauswertung können die Faktoren Erreichbarkeit<br />
und Service-Level nachhaltig optimiert und konstant gehalten<br />
werden.<br />
Erreichbarkeit ist dabei natürlich nur die Grundlage einer guten<br />
Kundenbeziehung. Noch wichtiger ist es, den Kunden
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 25<br />
genau zu kennen. Hier ist es für die beratenden Mitarbeiter<br />
hilfreich, wenn die Kommunikationsanwendung direkt auf<br />
die Kundendatenbank zugreifen kann. Somit ist der Berater<br />
sofort im Bild, welcher Kunde ihn anruft und kann diesen im<br />
Idealfall gleich persönlich ansprechen.<br />
Kundeninformationen auf einen Blick<br />
Angepasst an den Bedarf der jeweiligen Abteilung lassen<br />
sich für den Berater Informationen wie Kontonummer,<br />
Depot-Status oder weitere zentrale Informationen aus<br />
dem CRM-System der Bank direkt mit anzeigen. Dabei<br />
sorgt die wechselseitige Anbindung der Kommunikations-<br />
Software und der Kundendatenbank für eine flexible Anwendung.<br />
Dem Berater wird nicht nur die Kundeninformationen<br />
eingespielt; er kann gleichzeitig auch direkt aus der<br />
Kommunikations-Software Aktionen in der angebundenen<br />
Geschäftsanwendung starten, zum Beispiel einen Termin<br />
oder eine Anrufnotiz anlegen. Durch die direkte Kopplung<br />
entfallen unnötige Fragen, die beide Seiten Zeit kosten. Die<br />
Beratungsqualität kann so für den Kunden deutlich verbessert<br />
werden.<br />
Sämtliche Telefoniefunktionen lassen sich mit der Maus<br />
steuern, von der Gesprächsannahme über Rückfragen bis<br />
hin zur Weiterleitung. Dabei werden über einen Directory-<br />
Dienst alle verfügbaren Daten eingebunden und abgefragt;<br />
per Freitextsuche sind alle Kontakte – egal ob aus Telefonbuch,<br />
CRM oder Mailprogramm – leicht zu finden.<br />
Optimierungsmöglichkeiten bestehen auch bei der internen<br />
Kommunikation. Projektteams können sich in Chats schnell<br />
und unbürokratisch abstimmen und mittels Screen-Sharing<br />
von verschiedenen Standorten aus zusammenarbeiten.<br />
Wenn zusätzlich ein Konferenzdienst eingebunden ist, können<br />
sogar Telefonkonferenzen direkt in der Groupware angelegt<br />
und verwaltet werden. Konferenzen lassen sich im<br />
eigenen Kommunikations-Client steuern und verfolgen.<br />
Autor<br />
Marko Gatzemeier, Director Marketing,<br />
C4B Com For Business AG.<br />
Fazit<br />
Moderne Unified-Communications-Lösungen<br />
bieten in den Bereichen Kunden-Service, Erreichbarkeit<br />
und interne Kooperation viele Vorteile. Vor<br />
der Entscheidung für eine bestimmte Lösung<br />
sollten Banken nicht nur eine genaue Analyse<br />
der eigenen Anforderungen vornehmen, sondern<br />
auch darauf achten, dass das System herstellerunabhängig<br />
funktioniert. So sollte Kompatibilität<br />
zu den gängigen Telefonanlagen der verschiedensten<br />
Hersteller bestehen, um gegebenenfalls<br />
vorhandene Infrastruktur weiter nutzen zu<br />
können. Selbst wenn die Telefonanlage dann in<br />
der Zukunft ausgetauscht werden sollte, kann die<br />
UC-Lösung weiter genutzt werden.
26<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Die mobile<br />
e-Signatur kommt<br />
Das neue eID-Gesetz, das im Juli <strong>2017</strong> in Kraft getreten ist, soll die Verbreitung des elektronischen<br />
Identitätsnachweises mit dem neuen Personalausweis ankurbeln. Zusätzlichen<br />
Anschub könnte hierbei die Nutzung der eID-Funktion für Bankgeschäfte leisten.<br />
Mit dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises<br />
wurde eine wichtige Änderung vorgenommen.<br />
Wer bisher einen neuen Personalausweis beantragt<br />
hat, konnte selber entscheiden, ob auch die eID-Funktion<br />
freigeschaltet werden soll oder nicht. Das Resultat: Nur bei<br />
einem Drittel der Personalausweise mit eID-Funktion, die<br />
seit 2010 ausgegeben wurden, ist dieses Merkmal tatsächlich<br />
aktiviert worden.<br />
Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes wird die eID-Funktion<br />
nun standardmäßig freigeschaltet. Der im elektronischen Personalausweis<br />
integrierte Mikrochip speichert Name, Adresse,<br />
Geburtsdatum und biometrische Daten, wie beispielsweise<br />
das Lichtbild und Fingerabdrücke. Außerdem kann der<br />
E-Perso auch zur Erzeugung von elektronischen Unterschriften<br />
verwendet werden. Die Funktionen sind allerdings aufseiten<br />
der Dienstanbieter größtenteils noch in der Entwicklung.<br />
Sicherlich ein Grund dafür, dass der E-Perso bisher selten<br />
genutzt wird: Nur sehr wenige Behörden, Unternehmen<br />
und Kreditinstitute bieten derzeit Anwendungsfälle für den<br />
E-Perso an. Auch die Online-Identifikation mit dem neuen<br />
Personalausweis war bislang umständlich und relativ teuer.<br />
Ein spezielles Kartenlesegerät wurde gebraucht, das seine<br />
eID-Funktionen unterstützt. Wer bsp. für Online Banking bereits<br />
ein Kartenlesegerät mit TAN-Generator hat, besitzt nicht<br />
automatisch ein Gerät, das auch für den E-Perso verwendet<br />
werden kann. Außerdem ist nicht klar, ob sich seine Nutzung<br />
tatsächlich durchsetzen wird – insbesondere im Online Banking,<br />
für das es zurzeit eine Reihe konkurrierender Signaturverfahren<br />
wie die unterschiedlichen TAN-Verfahren gibt.<br />
E-Signatur via Smartphone bald eine sichere Option<br />
Dies könnte sich allerdings durch die Nutzung des E-Persos<br />
in Kombination mit der elektronischen Signatur ändern.<br />
Denn verschiedene Dienstleister bieten inzwischen Programme<br />
an, die Fernsignaturen auslösen können. Dazu ist<br />
die vorherige Registrierung bzw. Identifikation der Person,<br />
die eine Fernsignatur einrichten möchte, auf Basis der Online-Ausweisfunktion<br />
des E-Perso erforderlich. Danach wird<br />
diese für die Nutzung der Fernsignatur nicht mehr benötigt.<br />
Durch die Möglichkeit der Fernsignatur sind Lesegeräte am<br />
PC nicht mehr nötig. Bankgeschäfte, wie Kreditaufnahme<br />
oder Kontoeröffnung, wären problemlos mobil mit dem<br />
Smartphone möglich. Das Verfahren ist nicht nur sicher, sondern<br />
auch bequem und zeitsparend.<br />
Für den Bankenbereich könnten FinTechs neue Standards<br />
setzen. Inzwischen haben Start-ups Software für Smartphones<br />
entwickelt, mit deren Hilfe Banken ihre Kunden über<br />
ihre eID legitimieren können. Mit dem Programm können<br />
die Daten des Ausweises via NFC-Schnittstelle (Kontaktlosschnittstelle)<br />
des Smartphones ausgelesen und zur Online-<br />
Identifikation verwendet werden. Der Bankkunde kann<br />
somit die App seines Kreditinstituts herunterladen, den Personalausweis<br />
mit aktivierter eID-Funktion an das Smartphone<br />
halten und den Zugriff mit Eingabe der PIN bestätigen. In<br />
kurzer Zeit kann so ein Konto ohne Medienbrüche eröffnet<br />
werden.<br />
Zeitaufwändige und umständliche Verfahren wie PostIdent<br />
gehören somit der Vergangenheit an. Aber auch moderne<br />
Identifikationsverfahren wie VideoIdent sind auf Dauer wohl<br />
nicht konkurrenzfähig. Denn sie können zwar einen Zeitvorteil<br />
ermöglichen, aber keinen Medienbruch verhindern. Der<br />
E-Perso ermöglicht beides: Zeitersparnis durch Integration<br />
der Identifizierung in eine <strong>digital</strong>e Antragsstrecke und bessere<br />
Usability, weil Medienbrüche verhindert werden.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 27<br />
Allerdings funktioniert das Verfahren bisher nur bei aktuellen<br />
Smartphones mit Android als Betriebssystem, da Apple<br />
diese Funktion restriktiver handhabt. Das dürfte jedoch das<br />
geringere Problem sein, denn der Marktanteil von Android<br />
beträgt in diesem Jahr 75,5 Prozent, der Anteil des Apple-<br />
Betriebssystems iOS dagegen nur 21,3 Prozent.<br />
eIDAS: EU-weite elektronische Transaktionen möglich<br />
Die neue Technologie erfüllt die Anforderungen der EU-Verordnung<br />
eIDAS, die im Juli 2016 das deutsche Signaturgesetz<br />
abgelöst hat: Sie dient dazu, EU-Bürgern und Unternehmen<br />
durch elektronische Signaturen, Siegel und Zustelldienste<br />
sichere elektronische Transaktionen grenzüberschreitend in<br />
der gesamten Europäischen Union zu ermöglichen.<br />
Damit unterstützt eIDAS die Etablierung des E-Persos. Neben<br />
einfachen und fortgeschrittenen Signaturen existiert<br />
die qualifizierte elektronische Signatur (QES), die als einzige<br />
dieser Varianten der handschriftlichen Unterschrift gleichgestellt<br />
ist. Die eIDAS-Vorgaben sehen nun jedoch einige wesentliche<br />
Vereinfachungen und Verbesserungen vor, die der<br />
qualifizierten elektronischen Signatur zum Durchbruch verhelfen<br />
können. Dazu zählt die bereits erwähnte Möglichkeit<br />
der Fernsignatur: Dadurch kann die QES auch ohne spezielle<br />
Smartcards und Lesegeräte genutzt werden. Lediglich ein<br />
Tablet-PC oder Smartphone mit einer entsprechenden App<br />
ist erforderlich.<br />
Hierbei müssen sich die Nutzer bei einem Vertrauensdienstanbieter<br />
registrieren und einen Signaturschlüssel<br />
erzeugen, der dort gespeichert wird. Zum <strong>digital</strong>en Unterschreiben<br />
von Dokumenten werden diese an den Anbieter<br />
übertragen und anschließend von diesem mittels Fernsignatur<br />
rechtsverbindlich unterschrieben.<br />
Um derartige Vertrauensdienste anbieten zu können,<br />
müssen die Anbieter sich entsprechend zertifizieren. In<br />
Deutschland haben sich bereits Unternehmen wie die Bundesdruckerei,<br />
aber auch Internet- und Telekommunikationskonzerne,<br />
wie GMX, 1&1 oder die Deutsche Telekom, dem<br />
Zertifizierungsprozess unterzogen.<br />
PSD2 fordert starke Authentifizierung<br />
Neben der eIDAS könnte die neue EU-Zahlungsdiensterichtlinie<br />
PSD2 ein weiterer wichtiger Treiber für den Einsatz des<br />
E-Persos werden. Die PSD2 wird EU-weit für mehr Wettbewerb<br />
im Zahlungsverkehr sorgen und Anfang 2018 in<br />
Deutschland in nationales Recht umgesetzt.<br />
Wichtigste Neuerung ist, dass durch die Regelung das Monopol<br />
der Banken beim Zugriff auf Kontodaten ihrer Kunden<br />
gebrochen wird. Künftig müssen Geldhäuser auch Dritten<br />
– beispielsweise Start-ups im Finanzdienstleistungsbereich<br />
– Zugriff gewähren, was ihnen bisher ausschließlich selbst<br />
vorbehalten war. Dadurch entsteht deutlich mehr Wettbewerb,<br />
denn nun können zusätzlich andere Dienstleister z. B.<br />
Zahlungsauslösedienste und Kontoinformationsdienste anbieten.<br />
EU-weit betrifft die neue Regelung zirka eine Milliarde<br />
Konten.<br />
Damit verbunden ist zugleich die Aufgabe, für die Verbraucher<br />
den europäischen Zahlungsverkehr auch sicherer zu<br />
machen – etwa beim Online-Shopping mit Kartenzahlung.<br />
Vorgesehen ist, dass Kunden nach PSD2 neben den Kartendaten<br />
ein zweites Merkmal (z. B. eine TAN) oder eine<br />
<strong>digital</strong>e Signatur eingeben. Für den Onlinezugriff auf Zahlungskonten<br />
gilt das ganz besonders. Hier verlangt der Ge-
28<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Vielzahl der Ämter bietet Dienstleistungen auf Basis der<br />
nationalen eID, die auch als offizielles Ausweisdokument<br />
bei Auslandsreisen dient. So können sich die Esten zum<br />
Beispiel online ummelden, einen neuen Ausweis beantragen<br />
oder eine Firma anmelden. Auch Skandinavien hat mit<br />
der sogenannten Bank-ID eine Lösung gefunden, die sich<br />
schnell bewährt hat. Dort vergeben die Kreditinstitute an<br />
ihre Kunden nach einmaliger Identitätsfeststellung per Ausweis<br />
eine personalisierte ID – wahlweise für Anwendungen<br />
am PC, Smartphone oder Tablet-PC. Die Diensteanbieter,<br />
Banken und FinTechs, aber auch Verwaltungen und Organisationen<br />
können damit Personen eindeutig online identifizieren<br />
und mit ihnen rechtsverbindliche Verträge abschließen.<br />
setzgeber ausdrücklich eine starke Kundenauthentifizierung<br />
mittels eines Zwei-Faktor-Verfahrens. Wo bislang TAN-Generatoren<br />
oder verschiedene Authentifikations-Apps Verwendung<br />
finden, schickt sich der nPA an, Marktanteile zu<br />
erobern. Wie bei der Identitätsfeststellung kann er als einer<br />
von zwei benötigten Faktoren aus den Bereichen Wissen,<br />
Besitz und Inhärenz, an die NFC-Schnittstelle eines Smartphones<br />
gehalten werden. Der zweite Faktor wird über den<br />
korrespondierenden PIN-Code dargestellt. In Kombination<br />
wird daraufhin ein Signaturcode erzeugt, der zur Freigabe<br />
einer Transaktion oder zur Anmeldung am Online Banking<br />
Verwendung findet.<br />
Deutschland noch in der Startphase<br />
Deutschland ist bezüglich der eID-Anwendung zwar eher<br />
noch ein Entwicklungsland, aber auch hier haben bereits<br />
erste Banken einen entsprechenden Service eingerichtet.<br />
Zu den Vorreitern zählen die DKB Deutsche Kreditbank AG<br />
und die FinTech Group Bank AG. Sie bieten die Nutzung des<br />
E-Persos als Alternative zum PostIdent- oder VideoIdent-<br />
Verfahren bei der Kontoeröffnung an. Eine Beantragung von<br />
Immobilienförderprodukten über das Internet kann bei der<br />
Investitionsbank Berlin vorgenommen werden.<br />
Zusätzlich ermöglichen die FinTech Group Bank AG und die<br />
Bundesdruckerei eine kostenfreie Bargeldverfügung am<br />
Geldautomaten mittels E-Perso. Dabei meldet sich der Bankkunde<br />
einmalig an dem Geldautomaten mit entsprechender<br />
Funktion mit seinem Ausweis und der dazugehörigen PIN an,<br />
um anschließend eine oder mehrere Bankverbindungen zu<br />
hinterlegen. Bei jeder zukünftigen Bargeldverfügung wird der<br />
entsprechende Betrag dann von dem Konto abgebucht.<br />
Autor<br />
René Keller ist Senior Consultant bei der PPI AG.<br />
Wo eID bereits erfolgreich angewendet wird<br />
Die Bandbreite der internationalen eID-Lösungen im EU-<br />
Raum reicht von nicht vorhanden bis zum flächendeckenden<br />
System an Nutzungsmöglichkeiten für unterschiedliche Lebenslagen.<br />
Sehr innovativ ist Estland. Das baltische Land verfügt<br />
über eine fortgeschrittene nationale Implementierung<br />
von ID und somit eine Vielzahl an verfügbaren E-Services innerhalb<br />
des Landes. Schon nach Ende der Sowjetzeit wurde<br />
in Estland das Telefonnetz <strong>digital</strong>isiert und eine landesweite<br />
IT-Infrastruktur in Ämtern und Verwaltungen aufgebaut. Internet,<br />
kostenloses W-LAN und Online-Services sind besser<br />
ausgebaut als in den meisten anderen EU-Ländern. Eine<br />
Fazit<br />
Bezüglich der eID-Anwendung existiert in Deutschland<br />
eine kleine Zahl vielversprechender Pilotprojekte.<br />
Den Durchbruch wird aber womöglich<br />
erst die breite Akzeptanz der eID-Funktion durch<br />
Kreditinstitute und die Nutzung des E-Perso als<br />
kontaktloses Zwei-Faktor-Authentifikationsmedium<br />
bringen. Spätestens dann wird der E-Perso im<br />
Online Banking für die breite Masse attraktiv.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 29<br />
Das Digitalisierungsparadigma<br />
Die Digitalisierung ist weder eine isolierte Herausforderung noch der personifizierte Endgegner<br />
für die Finanzbranche. Die Anforderungen der Menschen und Unternehmen an ihre<br />
Banken dürften sich in den letzten Jahren nicht wesentlich verändert haben. Die vielfach<br />
geforderte Kundenorientierung ist demnach nicht die Suche nach völlig neuen Erwartungen<br />
der Kunden, sondern das Bewusstsein für dieses veränderte Anforderungsprofil. An welchem<br />
Paradigma können sich Banken nun orientieren?<br />
Bei einem Bezahlvorgang erwartet der Kunde, dass er damit<br />
auch tatsächlich eine Leistung erwirbt (Funktionalität der Finanzdienstleistung).<br />
Der gesamte Vorgang sollte möglichst<br />
einfach und wenig zeitaufwändig sein (Effizienz für den<br />
Nutzer). Das Geld soll in der vorgegebenen Höhe beim Verkäufer<br />
ankommen, und die Daten darüber sollten geschützt<br />
sein (Sicherheit). Diese Erwartungshaltung des Kunden<br />
dürfte sich nicht grundsätzlich über die Zeit hinweg geändert<br />
haben. Lange Zeit war die Funktionalitätsdimension ein Hoheitsbereich<br />
von traditionellen Banken und Sparkassen. Gleiches<br />
gilt für das Vertrauen in die sichere und geschützte Abwicklung.<br />
Was passiert nun, wenn sich Menschen in ihrem<br />
Alltag an einen One-Click-Shopping-Prozess gewöhnen?<br />
Die Effizienzerwartung des Nutzers an seine Bank steigt.<br />
Entfällt gleichzeitig die ausschließliche Kompetenzvermutung<br />
für Banken (sukzessive und in bestimmten Produktgruppen),<br />
so verschieben sich die Anbieterpräferenzen<br />
der Nutzer. Das Verständnis für den aus Kundensicht effizientesten<br />
Prozess wird zur entscheidenden Expertise. Den<br />
etablierten Finanzdienstleistern bleiben zwei mögliche Reaktionen:<br />
1. Sie wechseln radikal die Seite, imitieren die neuen Wettbewerber<br />
und verstehen sich als FinTech mit agiler Startup-Kultur.<br />
Auch wenn dieser Wandel den Weg ebnet,<br />
schnellstmöglich und kosequent eingefahrene Denkmuster<br />
über Bord zu werfen. Die langjährig aufgebaute Kompetenz-<br />
und Vertrauensvermutung ginge verloren. Die<br />
Wahrscheinlichkeit des kurz- oder mittelfristigen Aufbaus<br />
führender Kompetenzen im Bereich der Effizienz tendiert<br />
gleichzeitig gegen null. Es verbleibt Option 2: Die Bank<br />
versteht ihr Fundament als Chance und baut sich auf diesem<br />
<strong>digital</strong> um. Dieser Prozess ist langwieriger als beim<br />
radikalen Umbau. Er bietet dabei jedoch auch die große<br />
Chance, eine Identität im Kern zu bewahren und sukzessive,<br />
organisch zu wandeln. Um in diesem Vorhaben zu<br />
reüssieren, bietet das nachfolgende Paradigma in drei<br />
Dimensionen die notwendige Orientierung.<br />
Think New – Es sei denn, Sie<br />
hängen an der Vergangenheit.<br />
Banken müssen ein gewisses<br />
Selbstbewusstsein bezüglich ihrer<br />
Errungenschaften in den Dimensionen<br />
Funktionalität und<br />
Sicherheit bewahren. Das Gegengewicht<br />
dazu stellt das konsequente<br />
Infragestellen des Status quo, das Einreißen einer<br />
Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Mentalität. Diesen<br />
schmalen Grat zwischen Selbstbewusstsein und radikaler<br />
Veränderung zu wandern, erfordert eine schonungslose Status-quo-Bewertung<br />
und die anschließende Priorisierung der<br />
Themen. Gelingt der <strong>digital</strong>e Fokus auf zunächst möglichst<br />
wenige Themen, die dann wiederum möglichst konsequent<br />
in Angriff genommen werden, so stellt sich der willkommene<br />
Nebeneffekt ein, dass in diesem Modell die Mitarbeiter
30<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
individuell entscheiden können: selber an der radikalen Veränderung<br />
teilnehmen oder in der sukzessiven Veränderung<br />
des Gesamtunternehmens mitgetragen werden.<br />
Think Big – Es sei denn, Sie<br />
mögen es gemütlich.<br />
Rom wurde nicht an einem Tag<br />
erbaut. Das mag sein. Vielleicht<br />
hatte aber jemand die Vision von<br />
einer Weltmetropole, die einmal<br />
zum Mittelpunkt der Macht und<br />
des wirtschaftlichen Handelns<br />
werden sollte, und legte damit den Grundstein. Mit der Demut<br />
des Verständnisses, dass Finanzangelegenheiten für<br />
Kunden in der überwiegenden Mehrheit lediglich ein Mittel<br />
zum Konsum- oder Investitionszweck sind, dürfen Banken<br />
keine Angst vor großen Ideen haben. Einzelne Ideen können<br />
in der Lage sein, einen gesamten Markt und das dazugehörige<br />
Wettbewerbsgeflecht auszuhebeln. Damit der Spagat<br />
des Think new gelingen kann, müssen die wenigen priorisierten<br />
Themenfelder nicht nur radikal in ihrer Art, sondern<br />
auch größtmöglich in ihrem Umfang gedacht werden. Dazu<br />
gehört der Mut, in eigenständigen Geschäftsmodellen zu<br />
denken und damit auch die Angst vor der eigenen Kannibalisierung<br />
zu verlieren.<br />
Think Together – Es sei denn,<br />
Sie schaffen alles allein.<br />
Der Wandel ist nicht ausschließlich<br />
aus eigener Kraft zu stemmen.<br />
Die Veränderungsbereitschaft<br />
muss von innen heraus wachsen.<br />
Sie bedarf jedoch einer stetigen,<br />
externen Bestärkung, um in dem<br />
zähen Kampf gegen die grundmenschlichen und damit auch<br />
verständlichen internen Abwehrhaltungen das Oberwasser<br />
zu behalten. Zunehmend wird dabei auf Design-Thinking-<br />
Teams zurückgegriffen. Workshops mit kreativen Methoden<br />
Stop Thinking – Es sei denn, Sie<br />
scheuen den Erfolg.<br />
Zugegeben: Bereits die Aspekte<br />
Think new und Think big erfordern<br />
in ihrer Befolgung einen Veränderungswillen,<br />
der bei vielen Banken<br />
im Status quo über das Denkbare<br />
hinausgehen dürfte. Doch disruptive<br />
Ideen tragen keine Früchte, wenn sie nicht auch konsequent<br />
und schnell umgesetzt werden. Eine konsequente<br />
Umsetzung basiert auf der Einsicht, dass es eine optimale<br />
Lösung nicht gibt. Die Zeitknappheit erfordert, das Selbstbewusstsein<br />
zu entwickeln, dass der aktuelle Stand einer<br />
Lösung ausreicht, um einen Teil der Kunden zu begeistern.<br />
Der Erfolg eines Projekts wird – wie auch in Zeiten vor der Digitalisierung<br />
– von den Kunden bestimmt. Möglichst frühes<br />
Kundenfeedback im realen Markt, sei es aktiv durch Befragung<br />
oder passiv durch die Nutzungsdaten, müssen Banken<br />
als wertvollen und kaum imitierbaren Wettbewerbsvorteil<br />
verstehen. Die time to market muss daher zum kritischen<br />
Faktor erhoben werden. Entwicklungszyklen von mehreren<br />
Jahren werden beim Kunden und damit im Wettbewerb keine<br />
Berechtigung finden.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 31<br />
sind ein zumeist gewinnbringender Einstieg, um bei Mitarbeitern<br />
die Lust auf Veränderungen und an der Teilhabe<br />
daran zu wecken. Bei konsequenter Umsetzung besteht<br />
in einem projektartigen Set-up die Möglichkeit, das oben<br />
beschriebene Paradigma umzusetzen. Bei der Integration<br />
eines externen Partners ist jedoch dringend geboten, dass<br />
sich die Teilnehmer auf Augenhöhe begegnen, d. h. der externe<br />
Partner bereit ist, sich als Teammitglied zu verstehen<br />
und seine Expertise transparent und uneigennützig einzubringen.<br />
Das Verständnis für Geschäftsmodelle geht weit über strategisches<br />
Denken hinaus. Insbesondere in der strategischen<br />
Auseinandersetzung mit Lösungen von FinTechs ist<br />
ein Verständnis für die unternehmerischen Mechanismen<br />
dieser neuen Marktteilnehmer äußerst relevant, auch um<br />
Geschäftsmodelle und dazugehörige Business Cases realistisch<br />
bewerten zu können.<br />
Für die konsequente Umsetzung bedarf es darüber hinaus<br />
auch der Verzahnung zwischen einer disruptiven Ideenfindung,<br />
den unternehmerischen Geschäftsmodellüberlegungen<br />
und der konkreten IT-Entwicklung. Mit der Übertragung<br />
auf unterschiedliche Partner besteht die Gefahr, dass kein<br />
vollständiges Gesamtbild entsteht und damit der Erfolg infrage<br />
gestellt ist. Bei aller Radikalität und pragmatischen<br />
Umsetzungsorientierung ist eine wichtige Eigenschaft nicht<br />
zu vergessen: Nur mit dem richtigen Maß an Bankfachlichkeit<br />
ist sichergestellt, dass sich nicht nur ein in sich schlüssiges<br />
Gesamtbild ergibt, sondern die Umsetzung auch regulatorische,<br />
bankrechtliche und bankfachliche Aspekte in<br />
vollem Umfang berücksichtigt. Hier sollten die Banken ihre<br />
Expertise in vollem Umfang einbringen. Der externe Partner<br />
muss dabei in der Lage sein, diese Expertise zu kanalisieren.<br />
Hierfür ist zwingend auch ein Verständnis für die klassischen<br />
Themenfelder des Bankings erforderlich.<br />
Autoren<br />
Patrick Lukas ist Innovation Consultant, Eddie Dubiel ist Senior<br />
Innovation Manager und David Niedzielski ist Gründer und<br />
Geschäftsführer der finstreet GmbH.<br />
Fazit<br />
Banken haben die Möglichkeit, aus dem bestehenden<br />
Geschäftsmodell heraus den <strong>digital</strong>en Wandel<br />
für sich als Chance wahrzunehmen und unter Berücksichtigung<br />
von drei Dimensionen organisch in<br />
ein Zukunftsbild hineinzuwachsen. Es gilt, in ausgewählten<br />
Spielfeldern sich selber radikal neu aufzustellen<br />
und auch eine Kannibalisierung in Kauf zu<br />
nehmen (Think new). Das Denken in (selbstständigen)<br />
Geschäftsmodellen sollte Eingang in die<br />
Bank finden (Think big). Schließlich führt kein Weg<br />
an einer time-to-market-orientierten, agilen Umsetzung<br />
vorbei (Stop thinking). Diesen Weg werden<br />
Banken nur mit einer inneren Veränderungsbereitschaft<br />
und dem richtigen Partner an ihrer Seite<br />
bewältigen. Klassische Partner von gestern sind<br />
dabei nicht zwingend die adäquaten Wegbegleiter<br />
von morgen.
32<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Agile Coaches für<br />
<strong>digital</strong>en Kulturwandel<br />
„Der Schlüssel zum Wandel liegt darin, all seine Energie zu fokussieren –<br />
nicht darauf, das Alte zu bekämpfen, sondern Neues zu erschaffen.“ (Sokrates)<br />
Wer hätte gedacht, dass im Zeitalter der Digitalisierung solche philosophischen Weisheiten<br />
neue Bedeutung finden. Das Motto für die Unternehmen sollte eben nicht lauten, sich<br />
mit „Hurra“ in die Digitalisierung der Ökosysteme zu stürzen. Vielmehr ist<br />
„Real-Digitalismus mit Fingerspitzengefühl“ gefragt. Agilisierung und Change<br />
Management sind die Enabler für eine individualisierte Veränderung.<br />
Auch die Banken müssen auf die Entwicklungen der Digitalisierung<br />
reagieren und sich in allen Unternehmenseinheiten<br />
neu aufstellen. Studien verdeutlichen jedoch immer wieder,<br />
dass es den meisten schwerfällt, die <strong>digital</strong>en Herausforderungen<br />
in neue Geschäfts- und Betriebsmodelle zu übertragen.<br />
Je nach Perspektive können vor allem drei Veränderungsbereiche<br />
fokussiert werden: Customer Experience,<br />
interne Prozesse sowie Geschäftsmodelle.<br />
Der Bereich Customer Experience zielt darauf ab, den Kundennutzen<br />
zu verbessern. Frühere Eintrittsbarrieren, wie ein<br />
gut ausgebautes Filialnetz oder ein ausgereiftes Informationsmanagement,<br />
stellen nicht länger den alleinigen Wettbewerbsvorteil<br />
der Banken dar. Ein tiefes Verständnis der<br />
Kunden wird immer wichtiger. Die Verbesserung der <strong>digital</strong>en<br />
Customer Experience verspricht eine hohe Sichtbarkeit,<br />
schnelle Erfolge und weitreichende positive Effekte.<br />
Doch es gilt auch, die internen Prozesse anzupassen, denn<br />
nicht alles, was nach außen hin positiv wirkt, ist auch intern<br />
erfolgsversprechend. Vorteile, die sich durch interne Prozessanpassungen<br />
ergeben, sind wertvoll, da sie aufgrund der<br />
fehlenden Transparenz nach außen für Wettbewerber nur<br />
schwer zu kopieren sind.<br />
Der dritte Veränderungsbereich betrifft das Kerngeschäft der<br />
Banken. Durch die <strong>digital</strong>e Erweiterung der Geschäftsmodelle<br />
können sich diese von ihren Mitbewerbern abgrenzen.<br />
Dabei sollte die Reichweite unternehmensspezifisch<br />
auf die Strategie ausgerichtet werden. Es ist denkbar, alte<br />
Geschäftsmodelle mit <strong>digital</strong>en Bestandteilen zu erweitern,<br />
<strong>digital</strong>e Produkte als Ergänzung zu klassischen einzuführen<br />
oder <strong>digital</strong>e Technologien zu nutzen, um globale Synergien<br />
zu erhalten.<br />
Beschränkt eine Bank sich nur auf die ersten beiden Bereiche,<br />
wird langfristig keine ganzheitliche Umsetzung der<br />
Digitalisierung erreicht. Heute dienen innovative Geschäftsmodelle<br />
zur Abgrenzung. Der Wettbewerb wird in Zukunft<br />
nicht zwischen der reinen Digitalisierung von Produkten und<br />
Prozessen stattfinden, sondern zwischen ausgereiften <strong>digital</strong>en<br />
Geschäftsmodellen.<br />
Die Anpassung des Geschäftsmodells<br />
Selbst innerhalb einer Bank herrscht oft kein einheitliches<br />
Verständnis über die Bestandteile des eigenen Geschäftsmodells.<br />
Dementsprechend ist es wichtig, ein allgemeingültiges<br />
Bild zu schaffen und die Inhalte immer wieder
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 33<br />
zu überprüfen. Geschäftsmodelle können unterschiedlich<br />
beschrieben werden, doch im Grunde müssen die fünf Dimensionen<br />
Kunden, Nutzen, Wertschöpfung, Finanzen und<br />
Technik klar definiert sein.<br />
Um ein Geschäftsmodell <strong>digital</strong> anzupassen, ist es notwendig,<br />
dass diese fünf Dimensionen konkretisiert werden und<br />
sich gegenseitig verstärken. Dazu müssen sich die neuen<br />
<strong>digital</strong>en Dienstleistungen und Produkte an den Bedürfnissen<br />
der Kunden orientieren. Unter Berücksichtigung der<br />
Wertschöpfungsaktivitäten und Ressourcen werden die veränderten<br />
Anforderungen dynamisch und flexibel in das Geschäftsmodell<br />
eingebunden. Technologien wie Big Data helfen<br />
dabei, neue Leistungen oder passende Anwendungen<br />
zu erzeugen. Erfolgreiche <strong>digital</strong>e Geschäftsmodellinnovationen<br />
basieren meist auf technologischen Entwicklungen. Da<br />
nicht jede neue Technologie zu einer wertschöpfenden Aktivität<br />
für eine Bank wird, spielt die Analyse der Finanzstruktur<br />
und Zukunftsperspektive eine maßgebliche Rolle. Schafft es<br />
eine Bank, die technologischen Potenziale zu nutzen, um<br />
das Geschäftsmodell und die Wertschöpfungskette zu verändern<br />
und somit die gestiegenen Kundenanforderungen zu<br />
erfüllen und Leistungen effizienter zu erbringen, wird von einer<br />
<strong>digital</strong>en Transformation gesprochen. › 01 zeigt eine idealtypische<br />
Roadmap, anhand derer Banken die <strong>digital</strong>e Transformation<br />
in der eigenen Organisation vorantreiben können.<br />
Neue <strong>digital</strong>e Geschäftsmodelle werden auf drei unterschiedliche<br />
Arten implementiert, entweder als Teil der<br />
bestehenden Geschäftsstruktur, als separate Einheit im<br />
Unternehmen oder als ausgegründetes, eigenständiges<br />
Unternehmen. Bei der Abgrenzung eines Teils der bestehenden<br />
Geschäftsstruktur werden insbesondere die starren<br />
Strukturen und traditionellen Werte einer Bank gegen die<br />
<strong>digital</strong>e Erweiterung arbeiten.<br />
Wird eine <strong>digital</strong>e Einheit separat im Unternehmen geführt,<br />
kann es zu Gleichstellungsproblemen zwischen den Mitarbeitern<br />
kommen. Die Unterscheidung von Arbeitsrhythmus,<br />
Arbeitsweise oder der <strong>digital</strong>en Kultur ist nur dann sinnvoll,<br />
wenn hierfür eine Art „geschützter Raum“ geschaffen wird,<br />
der sich vom operativen Geschäft abgrenzt. Dies kann bedeuten,<br />
dass Innovationen in räumlich getrennten Projekthäusern<br />
ausgearbeitet werden, um eine gewisse Start-up-<br />
Mentalität zu fördern.<br />
Die Ausgründung in ein eigenständiges Unternehmen erfordert<br />
eine noch umfassendere Trennung und ist vor allem<br />
dann sinnvoll, wenn es sich um wirkliche Innovationen handelt,<br />
die bereits weit vom eigentlichen Kerngeschäft entfernt<br />
sind, jedoch ein hohes Zukunftspotenzial aufweisen.<br />
Die Kompetenz und das erarbeitete Know-how bleiben der<br />
Bank somit erhalten.
34<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
01 Roadmap <strong>digital</strong>e Transformation<br />
Ist-Aufnahme<br />
(Digital State)<br />
• Aufnahme des aktuellen<br />
Geschäftsmodells und<br />
der Kundenanforderungen<br />
• Analyse der Wertschöpfungskette<br />
Potenzialableitung<br />
(Digital Potential)<br />
• Nutzung von Best Practices<br />
und neuen Technologien<br />
als Grundlage des neuen<br />
Geschäftsmodells<br />
• Kombination verschiedener<br />
Optionen<br />
Umsetzung<br />
(Digital Realization)<br />
• Finalisierung und Implementierung<br />
des neuen <strong>digital</strong>en<br />
Geschäftsmodells<br />
• Berücksichtigung der<br />
Ressourcen und Fähigkeiten<br />
Zieldefinition<br />
(Digital Target)<br />
• Festlegung und Priorisierung<br />
der Ziele der <strong>digital</strong>en Transformation<br />
• Berücksichtigung der Zieldimensionen<br />
Zeit, Qualität,<br />
Finanzen und Raum<br />
Entscheidungsfindung<br />
(Digital Decision)<br />
• Bewertung der Ausgestaltungsmerkmale<br />
• Abgleich mit bestehendem<br />
Geschäftsmodell und Kundenanforderungen<br />
Nachdem die Entscheidung getroffen wurde, wie mit der<br />
Implementierung umgegangen wird, sind weitere Parameter<br />
zu beachten, die innerhalb der neuen Geschäftsstrategie<br />
berücksichtigt werden müssen:<br />
• Definition von neuen Geschäftszielen,<br />
• Umstrukturierung des Performance Managements,<br />
• Abbau von Hierarchien,<br />
• Auswahl der Teams und des Managements,<br />
• Aufbau von neuen (<strong>digital</strong>en) Fähigkeiten.<br />
Um all diese Parameter für das neue Geschäftsmodell zu<br />
definieren, werden neue Fähigkeiten benötigt. Hier kommt<br />
das Stichwort Agilität ins Spiel, denn für die <strong>digital</strong>e Transformation<br />
ist Agilität ein Muss.<br />
Agiles Change Management<br />
Bewährte Managementkonzepte verlieren im Zug der Digitalisierung<br />
an Gültigkeit, klassische Projektansätze funktionieren<br />
in einer <strong>digital</strong>en Welt nicht mehr. Planungshorizonte<br />
verringern sich und neue, agile Methoden und Vorgehensweisen<br />
werden benötigt, um die Digitalisierung umzusetzen.<br />
Durch agiles Handeln können Banken kontinuierlich<br />
eine überlegene Wettbewerbsposition aufbauen. Signifikante<br />
Vorteile sind z. B. kürzere Release-Zyklen, eine schlankere<br />
Dokumentation der Geschäftsvorfälle oder bessere Kommunikation.<br />
Das ist ein herausfordernder Change-Prozess, der<br />
begleitet und geführt werden muss. Neue Werte müssen<br />
vom Management vorgelebt werden und die Mitarbeiter<br />
von vornherein mit in das Vorhaben eingebunden sein.<br />
Das Management dieses Wandlungsprozesses nimmt eine<br />
wachsende Bedeutung ein und hilft beim Umgang mit dem<br />
<strong>digital</strong>en Wandel. Es ist notwendig, die Methoden des<br />
Change Managements zu überdenken und anzupassen.<br />
Resultat dieser Entwicklung ist das agile Change Management,<br />
das flexibler und schneller agiert, Fehler zulässt, starre<br />
Strukturen aufbricht und Dinge ausprobiert. Zur Umsetzung<br />
eines agilen Change Managements auf Basis der Scrum-Methodik<br />
werden fünf Phasen durchlaufen. In der ersten Phase<br />
werden das Scrum Team definiert, das den Change-Prozess<br />
begleitet, und die Rollen darin besetzt. Der Product Owner<br />
legt die Ziele, die zu realisierenden Ergebnisse und ihre Pri-
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 35<br />
<strong>02</strong> Scrum-Methodik<br />
Input der Stakeholder<br />
Kunden / Team / Manager etc.<br />
Product Owner<br />
Scrum Master<br />
Daily<br />
Standup<br />
Sprints<br />
1- 4 Wochen<br />
• Design<br />
• Erstellung<br />
• Integration<br />
• Dokumentation<br />
• Test<br />
Scrum<br />
Team<br />
Daily Stand-up<br />
Dauer: 15 Minuten<br />
• Identifizierung von Risiken<br />
• Wissensteilung<br />
• Aktueller Arbeitsstand<br />
Sprints<br />
Team setzt ohne Störung<br />
von außen die Anforderungen<br />
des Sprint Backlogs um.<br />
Sprint Review<br />
Präsentation der erarbeiteten<br />
Ergebnisse<br />
Backlog<br />
Enthält alle<br />
bekannten<br />
Anforderungen<br />
Sprint Planung<br />
Definition der<br />
Kriterien durch das<br />
Management<br />
Sprint Backlog<br />
Alle Anforderungen<br />
für den nächsten<br />
Sprint<br />
Sprint<br />
Retrospektive<br />
Präsentation der<br />
erarbeiteten Ergebnisse<br />
Umsetzung<br />
Nachhaltige<br />
Transformation<br />
oritäten fest, trägt die wirtschaftliche Verantwortung für das<br />
Projekt und repräsentiert die Erwartungen der involvierten<br />
Stakeholder. Der Scrum Master sorgt dafür, dass das Team<br />
störungsfrei und produktiv arbeiten kann.<br />
In der zweiten Phase wird das grobe Leitbild definiert. Da die<br />
Umsetzung in iterativen Schritten erfolgt, ist ein detaillierter<br />
Projektplan wenig sinnvoll. Stattdessen wird ein Release-<br />
Plan als Leitfaden für die Durchführung entworfen. Für die<br />
Umsetzung werden in der dritten Phase weitere Bestandteile<br />
von Scrum übernommen, wie bspw. Sprints, Daily Standups<br />
und Feedbackschleifen › <strong>02</strong>. Die vierte Phase beinhaltet<br />
die Kommunikation. Ein Plan definiert, wer, wann, auf welche<br />
Weise, über was und mit welchem Ziel informiert wird.<br />
Die fünfte und letzte Phase widmet sich der Umsetzung der<br />
Transformation. Dabei liegt die Betonung auf Nachhaltigkeit,<br />
d. h. die gesamte Organisation und alle Beteiligten sollten<br />
die Chance erhalten, agil zu handeln.<br />
Abweichungen von dieser Adaption der Scrum-Methodik<br />
auf den klassischen, linearen Change-Ansatz sind unternehmensspezifisch<br />
durchaus denkbar. Nicht jede Bank wird von<br />
vornherein die notwendigen Strukturen etabliert haben, um<br />
sich einer solchen agilen Vorgehensweise zu öffnen. Es kann<br />
sinnvoll sein, nur einzelne Bausteine von Scrum zu übernehmen<br />
und in die tägliche Arbeit zu integrieren.<br />
Umsetzung des agilen Change Managements<br />
Um einen größeren Mind Change im Unternehmensalltag<br />
zu erreichen, können Banken auf den Einsatz eines Agile<br />
Coaches setzen. Dieser begleitet die Bank bei ihrem Wandel.<br />
Er trägt dafür Sorge, dass sich alle Bereiche des Unternehmens<br />
neu ausrichten, hilft dabei, alte Angewohnheiten<br />
zu verdrängen und neue agile Muster zu verinnerlichen, bietet<br />
gewissermaßen Hilfe zur Selbsthilfe, damit die betreuten<br />
Organisationseinheiten künftig effizienter arbeiten können.<br />
Je nach Reifegrad der Unternehmenswandlung arbeitet der<br />
Agile Coach wie ein Fußballtrainer. Steht das Team noch am<br />
Anfang, vermittelt der Coach der Mannschaft seine Art Fußball<br />
zu spielen und studiert bestimmte Spielzüge ein. Setzt<br />
eine Bank bereits Projekte in der agilen Methodik um, agiert<br />
er wie ein Live-Coach, begleitet die Bank auf dem eingeschlagenen<br />
Weg und versucht, Teilaspekte zu finden, in denen<br />
sich ein Team noch verbessern kann. Die Aufgaben eines
36<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Agile Coaches können in vier Bereiche unterteilt werden:<br />
1. Erkennen<br />
Durch Antizipation erkennt der Agile Coach, welche Mitarbeiter<br />
Probleme mit der Umsetzung agiler Methoden<br />
haben oder den Change-Prozess sogar blockieren. Er sollte<br />
aber auch erkennen, wer in der Anwendung der neuen<br />
Methodik fortgeschritten ist, um ihn als Multiplikator im<br />
Rahmen der Agilisierung effektiv einzusetzen.<br />
2. Feedback<br />
Ein agiles Team lebt vom Feedback des Agile Coach, um<br />
sich kontinuierlich zu verbessern.<br />
3. Erziehen<br />
Im Sinne eines Erziehens versucht der Agile Coach, das<br />
agile Methoden-Set der Mitarbeiter zu erweitern und in<br />
das alltägliche Arbeiten zu integrieren. Dieser Punkt beinhaltet<br />
auch das aktive Fortbilden eines Teams. Der Coach<br />
hält Sessions zu neuen agilen Methoden ab, wie Design<br />
Thinking bei Prozessinnovation oder OKR (Objectives and<br />
Key Results) bei Mitarbeiterführung. Er führt Trainings<br />
durch oder coacht einzelne Mitarbeiter.<br />
4. Support<br />
Hier geht es darum, neben dem aktiven Coaching Rahmenbedingungen<br />
zu schaffen, die es einem Team erleichtern,<br />
agiler zu werden, und sei es nur ein geeigneter<br />
Raum für bessere Kommunikationsmöglichkeiten.<br />
Agile Coaches sollen das agile Grundverständnis in der Bank<br />
verankern und die Einhaltung dieser Prinzipien überwachen.<br />
Nur so können die Banken ihre strategischen Ziele für die<br />
Neugestaltung des Geschäftsmodells erreichen. Agilisierung<br />
ist die Basis für Digitalisierung und erfordert auf Unternehmensebene<br />
einen konsequenten Kulturwandel vom Plan<br />
Driven- zum Value Driven Mindset.<br />
In der täglichen Arbeit des Agile Coaches können praktische,<br />
von Scrum abgeleitete Methoden integriert werden. Sie weichen<br />
je nach Anforderungen der verschiedenen Teams voneinander<br />
ab und werden nur genutzt, wenn sowohl Coach<br />
als auch Mitarbeiter diese als hilfreich ansehen. Ein Beispiel<br />
stellt die Retrospektive dar. Sie wird eingesetzt, damit ein<br />
Scrum Team seine Arbeitsweise nach Ablauf eines Sprints<br />
reflektieren kann. Dieses interdisziplinäre Meeting hat zum<br />
Ziel, Probleme zu erkennen und daraus Maßnahmen für die<br />
Optimierung des Vorgehens abzuleiten.<br />
Dailys stellen eine weitere Methodik dar, die von Agile Coaches<br />
eingeführt werden kann. Hierbei berichten die Mitglieder<br />
eines Teams nacheinander über ihre täglichen Aufgaben<br />
und sprechen über mögliche Herausforderungen. Vorteil der<br />
Daily Meetings ist eine zielgerichtete Strukturierung der Aktivitäten<br />
und der regelmäßige Austausch der Teammitglieder<br />
über das Projektziel und den aktuellen Status. Auch das<br />
Scrum Board kann als Instrument dienen, die benötigte Übersichtlichkeit<br />
für das Backlog zu schaffen. Es zeigt auf, welche<br />
Aufgaben in Arbeit und welche noch zu erledigen sind.<br />
« Agil ist der<br />
Motor für die<br />
Digitale Transformation»<br />
Durch seine Leitung und Begleitung befähigt der Agile<br />
Coach also die Mitarbeiter dazu, ein Veränderungsvorhaben<br />
durchzuziehen. In der agil eingeführten Organisation sind<br />
alte Bankenstrukturen und Hierarchien fehl am Platz. Nicht<br />
selten kommt es dazu, dass sich während des Unternehmenswandels<br />
sogenannte Change Communities bilden, die<br />
Themen und Erfahrungen regelmäßig austauschen. Dabei<br />
ist jedes Mitglied gleichberechtigt und trägt den Change als<br />
Supporter in das gesamte Unternehmen.<br />
Autoren<br />
Roman Mathea ist Partner, Oliver Grönke ist Senior Manager,<br />
Julia Michel und Andreas Elscheid sind Berater, alle bei<br />
BearingPoint.<br />
Fazit<br />
Um mit agilem Change Management Erfolg zu haben,<br />
müssen die banktypischen starren Strukturen<br />
und Hierarchien aufgebrochen werden. Eine neue<br />
Führungs- und Feedback-Kultur ist unerlässlich.<br />
Ebenso wichtig sind ergebnisorientierte Managementsysteme,<br />
die nicht nur Verkaufszahlen in<br />
den Vordergrund stellen. Bürokratie ist absolut<br />
hinderlich im Erarbeitungsprozess von immer wieder<br />
neuen agilen Change-Maßnahmen. Es muss<br />
eine Kulturveränderung hin zum Experimentellen<br />
stattfinden, um langfristig erfolgreich zu sein und<br />
die notwendigen Veränderungen der Geschäftsmodelle<br />
durchführen zu können.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 37<br />
Social Investing<br />
schafft neue<br />
Möglichkeiten<br />
Social Trading hat im vergangenen Jahrzehnt einen entscheidenden Beitrag dazu<br />
geleistet, die Welt des Investments und Tradings einer breiten Öffentlichkeit<br />
zugänglich zu machen. Dabei handelt es sich um eine Peer-to-Peer-Alternative<br />
zur traditionellen Vermögensverwaltung, bei der die Nutzer vom<br />
geballten Wissen der Masse profitieren –<br />
für Online-Broker ein attraktives Geschäftsmodell.<br />
Früher war die Welt einfach: Nicht<br />
nur der Wertpapierhandel fand am<br />
Börsenparkett statt, sondern auch<br />
der Austausch zwischen Tradern und<br />
Investoren. Mit dem Siegeszug des<br />
Internets verlagerte sich der Wertpapierhandel<br />
zunehmend in <strong>digital</strong>e<br />
Sphären und der soziale Austausch<br />
zunehmend in Online-Foren. Die<br />
Kommunikation bzw. die gesamte<br />
soziale Komponente rund um den<br />
Wertpapierhandel fand somit nicht<br />
mehr dort statt, wo auch gehandelt<br />
wurde. Durch die anonyme Natur<br />
des Internets war es für die Nutzer dieser Foren zunehmend<br />
schwerer, zu unterscheiden, welche Empfehlungen<br />
vertrauenswürdig waren.<br />
In der Folgezeit wurden die Internet-Foren, die bis dahin<br />
quasi ein Monopol auf die n:n-Kommunikation im Internet<br />
hatten, immer stärker von den sozialen Netzwerken verdrängt<br />
– allen voran von Facebook. Ihr Reiz bestand damals<br />
im Neuen: Indem Nutzer mit Klarnamen auftauchen<br />
und Fotos und Posts aus ihrem Alltag teilten, erschien das<br />
Gegenüber plötzlich transparent und greifbar. Mit der zunehmenden<br />
Popularität sozialer Plattformen stieg auch<br />
die Nachfrage nach sozialen Interaktionsmöglichkeiten<br />
auf Online-<br />
Trading-Plattformen. Diese wurde<br />
durch Messaging-Funktionen oder<br />
Pinnwände bedient, auf der Nutzer<br />
ihre getätigten Trades, ihre Strategien<br />
oder auch einfach nur spontane<br />
Gedankengänge mit anderen teilen<br />
konnten. In der Entstehungsgeschichte<br />
des Social Tradings spielten<br />
die soziale Netzwerke eine elementare<br />
Rolle.<br />
Mit der Möglichkeit, sich direkt auf<br />
der Trading-Plattform mit anderen<br />
Nutzern auszutauschen und über die eigene Pinnwand<br />
erfolgreiche Handelsstrategien und Anlagetipps zu teilen,<br />
verlagerte sich der Austausch über Wertpapiere zurück auf<br />
die Handelsplattform.<br />
Mit der Idee des „OpenBook“ erhielten Nutzer die Möglichkeit,<br />
die Trades eines jeden anderen auf der Plattform<br />
einzusehen und sich selbst ein Bild über die Erfahrung oder<br />
den Track Record des Nutzers zu machen, der gerade einen<br />
vielversprechend klingenden Anlagetipp teilt. Schnell<br />
stachen aus der Masse einzelne Influencer heraus, die in<br />
der Community besonders angesehen waren.
38<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
« Mit dem Siegeszug<br />
des Internets<br />
wanderte der<br />
Wertpapierhandel<br />
zunehmend ins<br />
Digitale.»<br />
Von sozialen Interaktionsmöglichkeiten zum sozialen<br />
Trading<br />
In der Entwicklung hin zum Social Trading fehlte nur noch ein<br />
wesentlicher Schritt, und zwar das Copy Trading, mit dem<br />
jeder Nutzer die Trades jedes anderen Nutzers unmittelbar<br />
kopieren kann. Zu Beginn lief diese Art zu traden noch vollständig<br />
unreguliert ab, womit einige schwer einschätzbare<br />
Risiken einhergingen. Die Anbieter kamen zur Einsicht, dass<br />
einige Regeln notwendig sind, so etwa eine Maximalquote<br />
des eingesetzten Kapitals, mit dem ein einzelner Trader<br />
kopiert werden darf, um eine Diversifikation sicherzustellen.<br />
Oder beispielsweise Mindestinvestitionen in die eigene<br />
Handelsstrategie, bevor diese anderen Nutzern zum Copy<br />
Trading zugänglich gemacht wird.<br />
Die soziale Komponente bestimmt nicht länger nur das<br />
Trading, sondern findet zunehmend Einzug in klassischere<br />
Wertpapieranlage. Eine aktuelle Innovation ist beispielsweise<br />
eine Art elektronischer Investmentfonds: Der Anleger<br />
braucht nun nicht mehr länger die Trader, die er kopieren<br />
möchte, per Hand auswählen. Komplexe Algorithmen stellen<br />
ein Portfolio aus den erfolgreichsten Tradern der Plattform<br />
in einer Art Fonds zusammen, in den man investieren<br />
kann. Die Trader in diesem Portfolio werden nach unterschiedlichen<br />
Kriterien ausgewählt, etwa maximale oder auch<br />
konstanteste erwirtschaftete Gewinne. Ein automatisiertes<br />
Rebalancing stellt dabei sicher, dass das Portfolio auch dauerhaft<br />
aus den besten Tradern einer Plattform besteht. Das<br />
Dennis Austinat ist seit 2016 DACH-Chef des Social-Trading-Netzwerks<br />
eToro. Zuvor hatte er Führungspositionen bei verschiedenen Unternehmen<br />
im Bereich Fin- und HR-Tech inne. Von 2014 bis 2016 war er<br />
Geschäftsführer der Niloosoft KG.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 39<br />
geballte Wissen einer gesamten Community<br />
wird dadurch in einzelnen Investmentvehikeln<br />
komprimiert. Im Ergebnis<br />
verhält es sich so, als würden hunderte<br />
Anlageberater gleichzeitig für den Investor<br />
arbeiten. Vor diesem Hintergrund<br />
sprechen wir auch zunehmend vom<br />
Social Investing, da dieses Anlageinstrument<br />
tatsächlich eher mit der Investition<br />
in einen Exchange-Traded-Fund (ETF)<br />
vergleichbar ist.<br />
Das Geschäftsmodell hinter<br />
Social Trading und Social Investing<br />
Wer das Social Trading und Social Investing aus einem betriebswirtschaftlichen<br />
Blick verstehen möchte, sollte einen<br />
Blick auf das grundliegende Geschäftsmodell eines Online-<br />
Brokers werfen, der als „Market Maker“ für die Finanzinstrumente,<br />
die auf seiner Plattform zum Handel zur Verfügung<br />
stehen, An- und Verkaufspreise bestimmt, zu denen er zum<br />
Handel bereit ist. Wie bei vielen anderen Brokern auch liegt<br />
der Fokus von eToro auf Derivaten. Wenn ein Nutzer auf dieser<br />
Plattform beispielsweise auf die Kursentwicklung einer<br />
Aktie spekulieren möchte, dann kauft er nicht das Wertpapier<br />
selbst, sondern schließt mit dem Online-Broker einen<br />
Differenzkontrakt (CFD) auf die Kursentwicklung der Aktie –<br />
auch Basiswert genannt – ab. Das geht sowohl auf fallende<br />
als auch auf steigende Kurse per Long- oder Short-Position.<br />
Mit dem CFD partizipiert er dann an der Kursentwicklung<br />
des Basiswerts. Zum Verkaufszeitpunkt, den der Nutzer frei<br />
wählen kann, wird die Differenz zwischen dem ursprünglichen<br />
und dem aktuellen Kurs ausgeglichen.<br />
Bei jedem Verkauf eines CFDs verdient ein Market Maker<br />
am Spread, also der Differenz zwischen Buch- und Kurswert.<br />
Anders ausgedrückt: Trader sind dazu bereit, für einen<br />
CFD eine Prämie in Höhe von einigen Basispunkten auf<br />
den eigentlichen Basiswert zu zahlen. Warum? Das Finanzinstrument<br />
bietet ihnen einzigartige Möglichkeiten. CFDs<br />
ermöglichen es, auf hochbewertete Aktien auch zu einem<br />
Bruchteil ihres Kurswerts zu spekulieren oder bieten risikofreudigen<br />
Anlegern die Möglichkeit, per Hebel ihr Ertragspotenzial<br />
und Risiko anzukurbeln. Darüber können sie<br />
den Zugang zu Märkten eröffnen, die sonst für Investoren<br />
nur schwer zugänglich sind, beispielsweise dem Markt für<br />
Kryptowährungen.<br />
Mit der Finanzierung über den Spread korreliert der wirtschaftliche<br />
Erfolg eines Brokers unmittelbar mit der Anzahl<br />
der Trades auf seiner Plattform. Wird viel gehandelt, dann<br />
geht es ihm gut. Stillstand hingegen bedeutet den wirtschaftlichen<br />
Tod. Daraus ergeben sich<br />
zwei Erkenntnisse: Wachstum kann unmittelbar<br />
durch mehr Nutzer generiert<br />
werden und dadurch sichergestellt werden,<br />
dass bestehende Nutzer handeln.<br />
Das machen sie aber nur, wenn ihnen<br />
die bestmögliche Nutzererfahrung bereitgestellt<br />
wird. Und da die Welt des<br />
Tradings und Investments historisch<br />
gesehen einer kleinen Gruppe vorbehalten<br />
war, ist es für Online-Broker darüber<br />
hinaus erfolgskritisch, die Finanzmärkte<br />
für eine breitere Öffentlichkeit zu eröffnen. Deshalb stellt<br />
das Social Trading ein gesundes Geschäftsmodell dar.<br />
Vom Anfänger zum Profi – Social Trading ist attraktiv<br />
für alle<br />
Auch für die Nutzer kann Social Trading zur lukrativen Einnahmequelle<br />
werden – und ist in manchen Fällen sogar zur<br />
primären beruflichen Aktivität geworden. Die erfolgreichsten<br />
Social Trader weisen ganz unterschiedliche soziale und<br />
berufliche Hintergründe auf. Die besten Trader erhalten die<br />
Möglichkeit, als eigenständiger Vermögensverwalter zu<br />
agieren und dank Copy Trading über die Rendite ihrer eigenen<br />
Investment- und Trading-Aktivitäten hinaus Geld zu verdienen.<br />
Das fördert die Langzeitmotivation und auch Kompetitivität<br />
der Top-Trader auf den Plattformen – und damit<br />
ultimativ den Nutzen für jeden einzelnen Nutzer.<br />
Autor<br />
Dennis Austinat ist DACH-Chef des Social-Trading-<br />
Netzwerks eToro.<br />
Fazit<br />
Social Trading ist gleichermaßen attraktiv für den<br />
Trading- und Investment-Einsteiger, der von den<br />
erfahrenen Mitstreitern lernen oder sie einfach nur<br />
kopieren möchte. Viele der populärsten Trader folgen<br />
anderen Mitstreitern, deren Anlagestrategien<br />
auch für Profis eine sinnvolle Portfolioergänzung<br />
darstellen können. Das volle, kumulierte Knowhow<br />
ergibt sich erst aus dem geballten Wissen der<br />
Masse, das jedem einzelnen Nutzer unabhängig<br />
von seinem eigenen Erfahrungsstatus zur Verfügung<br />
steht.
40<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Total Digital –<br />
aber (noch) nicht<br />
in Deutschland<br />
Die Digitalisierung der Bankenbranche schreitet rund um den Globus voran.<br />
In einer aktuellen Studie des amerikanischen Softwarespezialisten FIS wurden die<br />
Leistungen von Banken mit den Erwartungen der Kunden in acht Industrie<br />
und Schwellenländern verglichen. Gegenstand der Studie war die Abfrage<br />
der Zufriedenheit der Kunden mit den Geldinstituten weltweit.<br />
Das positive Ergebnis<br />
aus deutscher Sicht:<br />
Insgesamt schnitten<br />
die Institute in Deutschland<br />
weltweit am besten<br />
ab – gemeinsam<br />
mit den US-Banken<br />
führen sie das<br />
Ranking an. Ein internationaler<br />
Trend<br />
wird dabei allerdings<br />
von Deutschland derzeit<br />
noch weniger berücksichtigt als in anderen<br />
Ländern: Digitale Bankservices stehen vor allem bei<br />
jüngeren Kunden – allen voran den Millenials – hoch im Kurs,<br />
sie treiben die Entwicklung zu mehr Digitalisierung weltweit<br />
voran. Bankkunden in Deutschland hingegen haben einen<br />
höheren Altersdurchschnitt und zeigen auch deshalb eine<br />
vergleichsweise geringe Affinität zu <strong>digital</strong>en Diensten. Banken<br />
setzen hierzulande aktuell noch weniger auf ein <strong>digital</strong>es<br />
Angebot. Um nun aber trotzdem auch die junge Zielgruppe<br />
langfristig binden zu können, braucht die Branche individuellere<br />
und ausgefeilte Service- und Beratungskonzepte.<br />
Weiterhin wurden die Erwartungen in punkto Zuverlässigkeit,<br />
Fairness und Transparenz nicht erfüllt. Bereits in<br />
den Vorjahren konnten Banken aus Deutschland in diesen<br />
Kategorien keine überzeugenden Ergebnisse erzielen. Insbesondere<br />
beim Thema Fairness fielen die Institute sogar<br />
noch zurück. Schuld an dieser Entwicklung sind versteckte<br />
Kosten bei Bankprodukten – dem Wunsch nach fairen und<br />
transparenten Gebührenmodellen werden hiesige Banken<br />
nach wie vor nicht immer gerecht. Was gilt es für die Banken<br />
in Deutschland also nun zu tun?<br />
Digitale und mobile Services ausbauen<br />
Insbesondere die Aussicht auf den Ausbau <strong>digital</strong>er Angebote<br />
sorgte bei den Befragten Bankkunden in Deutschland für<br />
positive Resonanz – die vorhandenen Angebote übertreffen<br />
sogar die erfragten durchschnittlichen Erwartungen. Die Erreichbarkeit<br />
der Bank über verschiedene Medien sowie die<br />
Angebote <strong>digital</strong>er Bezahlverfahren stellen die Bankkunden<br />
besonders zufrieden. Die klassische Bankfiliale erhält mehr<br />
und mehr Konkurrenz vonseiten <strong>digital</strong>er Services: Auch<br />
wenn wir im internationalen Vergleich noch zurückliegen,<br />
finden schon heute 70 Prozent der Kontakte, die deutsche<br />
Kunden mit ihren Bankinstituten haben, über elektronische<br />
Kanäle statt – Tendenz und Bedeutung weiter steigend. Besondere<br />
Treiber dieses Trends sind die Bankkunden im Alter<br />
zwischen 18 bis 25 Jahren. Die Nutzung mobiler Endgeräte<br />
– etwa zur Kontoverwaltung via App – gewinnt durch diese<br />
Gruppe zunehmend an Bedeutung. So finden bei den Millenials<br />
4,5 Kontakte über mobile Endgeräte statt. Bei Kunden
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 41<br />
der Generation X (37 bis 51 Jahre) sind es nur 2,7 Kontakte<br />
und bei den sogenannten Baby Boomern (52 bis 70 Jahre)<br />
im Durchschnitt lediglich ein Kontakt.<br />
In erster Linie finden <strong>digital</strong>e Leistungen des Online Bankings<br />
nun mobil statt. Bezahlen via Mobile Apps gehört in<br />
Deutschland aber nach wie vor zu den Nischen-Services.<br />
Gerade einmal neun Prozent der Befragten hierzulande nutzen<br />
regelmäßig entsprechende Applikationen zum Bezahlen<br />
über ihr mobiles Endgerät – anstelle von Bargeld, Schecks<br />
oder Kredit-/EC-Karten.<br />
Weltweit ist der Trend hin zu mobilen Geräten deutlich erkennbar<br />
und nachhaltig. Deutschland gehört – nicht zuletzt<br />
aufgrund seiner demografischen Struktur und einer vergleichsweise<br />
alten Gesellschaft – jedoch noch eher zu den<br />
Nachzüglern der <strong>digital</strong>en Entwicklung.<br />
Junge und jüngste Kunden frühzeitig binden<br />
Die Befragung unterstreicht einmal mehr, dass die Bereiche<br />
Beratung und individualisierte Angebote aus Kundensicht<br />
noch ausbaufähig sind. Insbesondere junge (18 bis 25 Jahre)<br />
und ältere (26 bis 36 Jahre) Kunden der Millenial-Generation<br />
kritisieren die mangelnde Unterstützung bei der<br />
Findung passender Kreditverträge sowie bei der Beratung<br />
von Anlagestrategien, die zu ihrer Lebenssituation passen.<br />
Eine Verbesserung dieser Punkte kann die Möglichkeit bieten,<br />
junge Kunden langfristig an das Unternehmen zu binden<br />
und ein Vertrauensverhältnis zu schaffen. Denn insbesondere<br />
diese Gruppe junger Kunden steht innerhalb der<br />
nächsten Jahre vor größeren finanziellen Entscheidungen.<br />
Die Chance, sich mit den richtigen Angeboten und guter<br />
Beratung eine nachhaltig treue Kundenbasis aufzubauen,<br />
ist also groß.<br />
Bezüglich der Nutzungsform der Anlageberatung zeigt sich<br />
ebenfalls eine Verschiebung hin zu neuen Kanälen. Bei den<br />
jüngeren Generationen verliert der Direktkontakt mit dem<br />
Anlageberater einer Bank weiter an Bedeutung. Stattdessen<br />
interessieren sie sich verstärkt für Anlagetipps über soziale<br />
Medien. Zudem sind sie für innovative, <strong>digital</strong>e Services wie<br />
Robo Advisory oder Online Coaching offen.<br />
Der direkte Zugang zu ihnen kann eine große Chance für<br />
eine nachhaltig funktionierende Kundenbeziehung darstellen.<br />
Voraussetzung ist allerdings, die jeweiligen Bedürfnisse<br />
frühzeitig zu antizipieren und maßgeschneiderte Services zu<br />
entwickeln und zielgruppengerecht anzubieten.<br />
Kundenloyalität als Wert erkennen<br />
Loyalität muss als Wert einer Bank verstanden werden und<br />
bedarf der entsprechenden Pflege – vor allem, wenn es um<br />
die Gruppe der jüngeren Kunden geht, die noch am Anfang<br />
ihrer Customer Journey steht, aber langfristig erfolgreich<br />
gebunden werden soll. Genau wie Vertrauen muss auch<br />
die Loyalität zunächst gewonnen werden. Das beginnt mit<br />
der Verbesserung der Service- und Customer-Experience,<br />
die gemäß der FIS-Studie insbesondere von den Millenials<br />
(18 bis 36 Jahre) als Kritikpunkte genannt wurden. So will<br />
etwa ein Viertel der Millenials Öffnungszeiten ihrer Bankfilialen,<br />
die sich nach ihrem Lebensrhythmus ausrichten und<br />
nicht umgekehrt. Für ebenfalls 25 Prozent der Millenials ist<br />
es von größter Wichtigkeit, einen Kredit zeitnah genug zur<br />
Verfügung gestellt zu bekommen, um hiermit besondere<br />
Gelegenheiten wahrnehmen zu können. Mit diesen Leistungen<br />
seitens der Banken können Vertrauen und Loyalität<br />
sukzessive aufgebaut werden.<br />
Aber auch Anerkennung und Belohnung des Kunden sollten<br />
stärker in den Vordergrund rücken. In diesem Kontext kommt<br />
den Kreditkarten-Bonusprogrammen eine Schlüsselrolle zu.<br />
Kunden, die exklusiv mit der Kreditkarte ihrer Hausbank<br />
Rechnungen begleichen, sind deutlich zufriedener, wenn es<br />
um die Wahrnehmung ihrer Bedürfnisse und Anliegen durch<br />
eine Bank geht. Auch auf diesem Wege lässt sich die Loyalität<br />
der Kunden steigern und nachhaltig pflegen.<br />
Die Kreditkarte der Hausbank spielt beim Thema Kundenbindung<br />
vor allem für die jüngere Zielgruppe eine entscheidende<br />
Rolle – sie erzielt als präferiertes Zahlungsmittel einen<br />
größeren Anteil an den Gesamtausgaben als bei älteren.<br />
Nur 13 Prozent benutzen exklusiv die Kreditkarte ihrer Hausbank.<br />
Und nur ein Viertel (26 Prozent) aller Deutschen besitzt<br />
aktuell überhaupt eine Kreditkarte. Mit Blick auf die neuen<br />
<strong>digital</strong>en Zahlungsmöglichkeiten – Stichwort „Instant Payments“<br />
– ist es wohl auch eher unwahrscheinlich, dass die<br />
Kreditkarte in Deutschland künftig einen ähnlich relevanten<br />
Status erhält wie aktuell in den USA.<br />
Autor<br />
Stefan Hirschmann<br />
Fazit<br />
Gemeinsam mit den US-Banken führen die deutschen<br />
Institute das globale Ranking der Kundenzufriedenheit<br />
an. Digitale Bankservices speziell für<br />
jüngere Kunden sind hierzulande allerdings noch<br />
nicht flächendeckend ausgeprägt. Bankkunden in<br />
Deutschland haben einen hohen Altersdurchschnitt<br />
und zeigen eine vergleichsweise geringe Affinität<br />
zu <strong>digital</strong>en Diensten. Noch.
42<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Freiheit treibt zu<br />
Höchstleistungen<br />
Dr. Dietmar Grichnik, Professor für Entrepreneurship und Direktor des Instituts für Technologiemanagement<br />
an der Universität St. Gallen, weiß aus seinen Forschungsarbeiten,<br />
wie stark das innere Spannungsverhältnis zwischen Möchten und Trauen auch den Schritt<br />
in die berufliche Selbstständigkeit blockiert. Doch er weiß auch um die innere Zufriedenheit,<br />
die aus der beruflichen Selbstständigkeit erwachsen kann.<br />
+Herr Prof. Grichnik, was steckt hinter dieser Zögerlichkeit,<br />
den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?<br />
Grichnik: Die große Bremse ist die Angst, zu scheitern. Sie<br />
ist die Ausrede Nr. 1 dafür, nicht entschlossen den Versuch<br />
zu wagen, sich beruflich auf die eigenen Füßen zu stellen.<br />
Hinzu kommt, auch der gut funktionierende Arbeitsmarkt<br />
trägt trotz aller am Arbeitsplatz und um ihn herum gelegentlich<br />
empfundenen Misshelligkeiten seinen Teil dazu bei, die<br />
Komfortzone der festen Anstellung nicht zu verlassen. Und<br />
schließlich gibt es da ja auch noch die Bedenkenträger aus<br />
dem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis. Ihr bremsender<br />
Einfluss sollte nicht unterschätzt werden.<br />
Dr. Dietmar Grichnik, Professor für Entrepreneurship<br />
und Direktor des Instituts für<br />
Technologiemanagement an der Universität<br />
St. Gallen.<br />
« Junge Entrepreneure<br />
sollten sich<br />
nicht risikoblind<br />
in das Abenteuer<br />
Selbstständigkeit<br />
stürzen.»
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 43<br />
+ Sich von den widersprüchlichen inneren und auch<br />
äußeren Stimmen blockieren zu lassen, ist schlichtweg<br />
falsch. Warum?<br />
Grichnik: Bei meiner Arbeit treffe ich viele Menschen, die<br />
den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben. Viele berichten<br />
davon, zunächst oder auch längerfristig weniger zu<br />
verdienen als vorher, viel mehr arbeiten zu müssen, aber bei<br />
weitem zufriedener zu sein. Diese Zufriedenheit, die ganz<br />
stark auch aus der empfundenen Sinnhaftigkeit des eigenverantwortlichen<br />
selbstständigen Tuns erwächst, wiegt für<br />
sie langfristig doppelt und dreifach Mühen und Risiken der<br />
Selbstständigkeit auf.<br />
+ Risiko ist ein gutes Stichwort. Aber gibt es im Leben<br />
etwas, was nicht auf die eine oder andere Weise risikobehaftet<br />
ist? Macht nicht gerade die Auseinandersetzung<br />
mit, die Behauptung in und die Bewältigung von<br />
Risiken im Leben stärker?<br />
Grichnik: Richtig. Aber junge Entrepreneure sollten sich<br />
nicht risikoblind in das Abenteuer Selbstständigkeit stürzen,<br />
sondern dem Beispiel erfahrener Unternehmerinnen und<br />
Unternehmer folgen. Diese definieren einen ertragbaren<br />
Verlust, d. h. sie legen monetär, psychologisch und sozial<br />
einen für sie maximalen Zeit- und Kapitalbetrag fest, den sie<br />
bereit sind, zu verlieren. Das begrenzt das Risiko auf ein erträgliches<br />
Maß und ermöglicht den Schritt in das Ungewisse<br />
des unternehmerischen Neulands.<br />
+ Sie sagen, in jedem steckt etwas von einem Unternehmer.<br />
Was bringt Sie zu dieser Überzeugung?<br />
Grichnik: Wissenschaftliche Erkenntnisse zusammen mit<br />
praktischen Erfahrungen. Beide haben mir gezeigt, als Unternehmer<br />
geboren wir niemand, doch jeder Mensch bringt<br />
die Voraussetzungen dazu mit. Beobachtungen von Kindern<br />
demonstrieren das. Kinder gehören für mich zu den unternehmerischen<br />
Wesen schlechthin. Ihre unerschöpfliche Kreativität<br />
beim Spielen, ihre Kommunikationsfähigkeit, aber<br />
auch ihre Risikotoleranz in ihren Spielen, das sind unternehmerische<br />
Eigenschaften par excellence. Leider nur lassen<br />
sich Viele im Laufe ihres Lebens diese Unternehmungslust<br />
und den Aktionsradius, in dem die Freude daran ausprobiert<br />
wird, nehmen. Das bedeutet aber nicht, sie ist gänzlich verloren.<br />
+ Aber gibt es nicht auch unterschiedliche Mentalitäten,<br />
die die einen mehr, die anderen weniger an der<br />
Selbstständigkeit Geschmack finden lassen?<br />
Grichnik: Und ob es die gibt! Selbstständigkeit verlangt die<br />
Bereitschaft, sich jenseits fester Arbeitszeiten zu engagieren<br />
und, bitteschön, sich auch zu strapazieren. Unter Mentalitätsgesichtspunkten<br />
verlangt Selbstständigkeit Durchhaltewillen<br />
und Verzicht. Und ein gerüttelt Maß an Ambiguitätsund<br />
Frustrationstoleranz. Man muss spannungsvolle unklare<br />
Situationen aushalten und Rückschläge wegstecken können.<br />
Das verlangt eine beachtliche Willenskraft, Zähigkeit<br />
und Zielstrebigkeit. Und, auch Mentalitätssache, die Leidenschaft<br />
für ein Projekt bzw. Produkt.<br />
+ Wovon hängt es unter dem Strich ab, wirklich Wind<br />
unter die Unternehmerflügel zu bekommen?<br />
Grichnik: Studien zeigen, die Wahrscheinlichkeit, sich in<br />
der Selbstständigkeit zu behaupten, wächst mit der Anzahl<br />
der Versuche. Diese bedingte Erfolgswahrscheinlichkeit<br />
wird also größer, je mehr Erfahrungen gemacht und verarbeitet<br />
werden. Wenn auch niemand Misserfolgserlebnisse<br />
besonders liebt, aus ihnen ist mehr zu lernen als aus Erfolgen.<br />
Was immer wieder vergessen wird: In Misserfolgen,<br />
in gemachten, erkannten und analysierten Fehlern verbirgt<br />
sich ein enormes Erkenntnis- und Weiterbildungspotenzial.<br />
Vorausgesetzt natürlich, man versinkt nicht in Frustrationen<br />
und Selbstvorwürfen, sondern macht sich dadran herauszufinden,<br />
was warum die Misserfolgsursache war.<br />
+ Das „Walk the Extra Mile!“ ist für Entrepreneure somit<br />
Arbeitsalltag. Und der Antrieb dazu ist die persönliche<br />
Gestaltungsfreiheit?<br />
Grichnik: Ja, diese Freiheit treibt sie zu Höchstleistungen<br />
an, aus denen sie hohes Selbstwirksamkeitsempfinden<br />
ziehen, das für sie Quell von Zufriedenheit und Glück ist.<br />
Diese Zusammenhänge sind von der psychologischen Forschung<br />
bestens belegt. Der Kraft- und Zeitaufwand für ein<br />
unternehmerisches Leben darf nicht bagatellisiert werden.<br />
Jeder muss mit sich selber ausmachen, welchen Einsatz er<br />
zu leis-ten bereit ist und für welchen Lebensentwurf er sich<br />
entscheidet. Ich kann gerade im Hinblick auf die tiefgreifende<br />
Veränderung der Berufswelt nur anregen, den Gedanken<br />
an die Möglichkeit der Selbstständigkeit nicht rundheraus<br />
aus seinen Überlegungen zu verbannen. Das Neue macht ja<br />
nicht nur gewohnte berufliche Tätigkeiten überflüssig, sondern<br />
die Entwicklung bringt auch neue berufliche Anforderungen<br />
mit sich und eröffnet aus denen heraus auch vielfältige<br />
neue berufliche Chancen.<br />
+ Herr Prof. Grichnik, haben Sie vielen Dank für dieses<br />
Gespräch.<br />
Interview: Hartmut Volk
44<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Re-Engineering<br />
Asset Management<br />
Mit Robo Advisory kratzt die Digitalisierung erst an der Oberfläche des Asset und Private<br />
Wealth Managements. Über technische Schnittstellen lassen sich Konten und Depots<br />
mit wenigen Klicks integrieren, mit entsprechenden Marktdaten verzahnen und<br />
analysieren – ein Quantensprung für Banken und ihre Kunden.<br />
Im Rahmen eines klassischen Anlageprozesses besucht<br />
der Kunde eine Bankfiliale. Hinter verschlossener Glastür<br />
stellt ihm ein Berater 30 Minuten lang Fragen. Hinter diesen<br />
Fragen steht ein Standardvorgehen, das in Einklang mit<br />
regulatorischen Vorgaben stehen muss. Durch geschulte<br />
Gesprächsführung und teilfundierte Antworten des Kunden<br />
gewinnt der Berater ein Gefühl für die finanzielle Situation<br />
des Kunden, für dessen Bedürfnisse und individuellen Erfahrungen<br />
mit Kapitalanlagen. Er schlägt ihm ein – meist von<br />
der Bank empfohlenes – Produkt auf Basis von einer von<br />
drei bis zehn Musterallokationen vor. Der Kunde erhält zum<br />
Abschluss ein Beratungsprotokoll. Nach erfolgreichem Abschluss<br />
kann er jeweils den aktuellen Status seiner Anlagen<br />
in seinem Online-Depotauszug erfassen.<br />
Wo liegt nun das Problem? Für den Kunden bleibt es oft unklar,<br />
ob die Anlageentscheidung richtig war. Er hat wenige<br />
Vergleichsmöglichkeiten und oft auch keinen Überblick über<br />
die Kosten und Anlageziele. Zudem wird nach Abschluss<br />
in der Regel keine Allokation vorgenommen, sofern sich<br />
die finanzielle Situation des Kunden ändert. Ihm bleibt das<br />
nagende Gefühl, ob er sich richtig entschieden hat. Doch<br />
auch die Bank ist unzufrieden. Die hohen Prozesskosten<br />
lohnen sich in Zeiten stetig sinkender Provisionen nur noch<br />
für hohe Anlagesummen. Obwohl über den Kunden viele<br />
Informationen vorliegen, wird im Anschluss kaum „Upselling“<br />
betrieben.<br />
1<br />
Stufe 1: Warum Robo Advice der Anfang ist<br />
Mehr laufende Transparenz für den Kunden und geringere<br />
Prozesskosten für die Bank bieten Robo Advisory-Lösungen.<br />
Der Prozess ist dabei im Wesentlichen<br />
derselbe, wie der oben beschriebene Offline-Prozess<br />
– nur online und mit laufender Vermögensübersicht<br />
in einem Dashboard. Die erste Robo-Generation <strong>digital</strong>isierte<br />
die Fondsdistribution im Mantel eines beratungsfreien<br />
Vertriebs. Knapp 18 Monate später folgte<br />
die zweite Generation, die eine vollstandardisierte Vermögensverwaltung<br />
im Mantel des § 32 KWG <strong>digital</strong>isierte.<br />
Beide Generationen <strong>digital</strong>isieren damit schon<br />
jetzt einen wichtigen Teil des Lösungsangebots für die<br />
Endkunden.<br />
2<br />
Stufe 2: Vermögen werden <strong>digital</strong><br />
Im Rahmen der aktuellen dritten Generation kommen<br />
Applikationen auf den Markt, die das bestehende Vermögen<br />
des Kunden <strong>digital</strong>isieren und analysieren. Über<br />
technische Schnittstellen (Application Programming Interfaces,<br />
APIs) lassen sich Konten und Depots mit wenigen<br />
Klicks integrieren, mit entsprechenden Marktdaten<br />
verzahnen und analysieren.<br />
Darüber hinaus lassen sich Vermögenswerte wie Häuser,<br />
gesetzliche und betriebliche Renten, Fondspolicen<br />
und alternative Vermögen erfassen und bewerten.<br />
Somit wird in wenigen Minuten eine <strong>digital</strong>e Vermögensübersicht<br />
abgebildet. Auf dieser Basis können<br />
Finanzdienstleister eigene <strong>digital</strong>e Applikationen zur<br />
Geldanlage bauen. So kann der Bankkunde beispielsweise<br />
nach seiner Depotverknüpfung eine zweite Meinung<br />
zu der Performance, den Kosten, dem Risiko und<br />
der Diversifikation in seinem Portfolio (Depotcheck)
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 45<br />
einholen oder einen dynamischen Sparplan oder eine<br />
dynamische Rentenplanung anlegen, die auch Konten<br />
und Depots bei anderen Banken im Blick behält. Anlageprodukte,<br />
Strategien und Markterwartungen erlangen<br />
gegenüber dem Kunden dadurch einen individuellen<br />
Charakter.<br />
3<br />
Stufe 3: Next Best Actions in einer <strong>digital</strong>en Vertriebssteuerung<br />
Auf Basis von <strong>digital</strong>isierten Vermögenswerten und Profilen<br />
lässt sich darüber hinaus die Vertriebssteuerung,<br />
insbesondere die Generierung von Vertriebsanlässen,<br />
optimieren. So können Banken Events definieren, die<br />
eine vordefinierte Aktion zur Folge haben. Der Kundenbetreuer<br />
kann eigenständig definieren, wann der Kunde<br />
u. a. einen Optimierungsvorschlag erhält, zu einem<br />
Beratungsgespräch eingeladen wird oder eine Information<br />
erhält, immer wenn sein Portfolio nicht mehr der<br />
Anlagestrategie entspricht, der Markt volatiler wird, ein<br />
Kunde in einem Depot ein Risiko-Cluster hat, ein Stresstest<br />
Risiken aufdeckt, neue Anlageobjekte das Risiko-<br />
Rendite-Profil des Kunden besser treffen oder sich der<br />
Wert einer Immobilie stark verändert hat und der Kunde<br />
reagieren sollte. Sowohl Ereignisse als auch Aktionen<br />
können frei definiert werden auf Basis des Datenmodells,<br />
das sowohl Kundenvermögen als auch Marktdaten<br />
und Analysen umfasst.<br />
4<br />
Stufe 4: Intelligente, steuernde Applikationen<br />
In der Praxis verknüpft der Kunde mit wenigen Klicks<br />
seine Konten, Depots sowie seine erwarteten Rentenzahlungen<br />
aus betrieblicher Altersvorsorge, gesetzlicher<br />
Altersvorsorge (auch dies geht in einigen europäischen<br />
Ländern bereits via Schnittstelle) sowie privater Rentenversicherung.<br />
Nach einer Analyse seines prognostizierten<br />
Ausgabeverhaltens im Ruhestand (auf Basis seiner<br />
heutigen Ausgaben im Konto) erhält er einen Vorschlag<br />
für ein Mindestrentenziel.<br />
Die Applikation errechnet auf Basis seiner Sparfähigkeit<br />
und seines Rentenziels eine geeignete Anlagestrategie<br />
unter Berücksichtigung von Performance, Duration,<br />
Risiko, Kosten und Risikostreuung. Ergänzend kann<br />
er spielerisch in einem Online-Dialog weitreichende<br />
Entscheidungen wie ein Sabbatical, einen Hauskauf<br />
oder einen Hausverkauf durchspielen. Wenn sich die<br />
Pläne des Kunden ändern, sich sein Ausgabeverhalten<br />
im Konto verändert oder die Marktentwicklung es erfordert,<br />
adjustiert die Applikation dynamisch die Anlagestrategie.<br />
5<br />
Stufe 5: Regulierung wird <strong>digital</strong><br />
In Zukunft lassen sich auch regulatorische Pflichten<br />
stärker <strong>digital</strong>isieren. So erfordert beispielsweise die<br />
PSD2, dass Kunden die Souveränität über ihre Konten<br />
haben (XS2A) und diese auch dritten Parteien freigeben<br />
können. MiFID 2 erfordert die Erfassung eines Anlageprofils<br />
des Kunden bestehend aus finanzieller Situation,<br />
Risikotragfähigkeit, Kenntnissen und Erfahrungen sowie<br />
Risikoneigung. Zudem wird die Beschreibung klarer<br />
Zielmärkte für Anlageprodukte (Target Markets) zwingend,<br />
die in Einklang mit dem Kunden stehen (Suitability<br />
oder Appropriateness). In diesem Kontext können<br />
schon heute voll<strong>digital</strong>isierte Prüfungen der Angemessenheit<br />
von Anlagestrategien durchgeführt werden.<br />
Über eine Suitability-Monitoring-API in Echtzeit kann<br />
überwacht werden, ob eine Aktion im Portfolio oder die<br />
generelle Marktentwicklung im Einklang mit dem Anlageprofil<br />
des Kunden stehen. Sollte dies nicht der Fall<br />
sein, kann die Abweichung direkt an den Vermögensverwalter<br />
oder Kunden weitergegeben werden.<br />
6<br />
Stufe 6: Institutionelle Vermögen werden <strong>digital</strong><br />
In der institutionellen Geldanlage spielen u. a. Anlagerestriktionen<br />
eine wichtige Rolle. Während einige<br />
Anleger eher weiche Restriktionen auf Asset-Klassen-<br />
Ebene vorhalten, haben etwa Stiftungen thematische<br />
Schwerpunkte, konkrete Anlagekategorien oder Blacklisting-Vorgaben,<br />
die einen tiefen Drill Down in Fonds<br />
oder strukturierte Produkte erfordern. Auch in diesem<br />
Segment kann analytische Software die portfoliogestaltenden<br />
Prozesse <strong>digital</strong>isieren sowie ein <strong>digital</strong>es Abbild<br />
der Vermögenspositionen über intelligente Algorithmen<br />
mit Marktdaten erstellen.<br />
Autor<br />
Ralf R. Heim ist Co-CEO der Fincite GmbH.<br />
Fazit<br />
Durch Software-as-a-Service (SaaS) nutzen Banken,<br />
Versicherer und Asset Manager in zunehmendem<br />
Maße neue Möglichkeiten, um die Lösungsangebote<br />
für ihre Endkunden zu erweitern.<br />
Auf Basis von <strong>digital</strong>isierten Vermögenswerten<br />
und Kundenprofilen lässt sich die Vertriebssteuerung<br />
weitreichend optimieren sowie die Bank-<br />
Kunde-Beziehung individualisieren.
46<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Digitale Kreditvergabe<br />
an Städte<br />
und Gemeinden<br />
Die Nachfrage nach Kommunalkrediten aufseiten der deutschen Städte und Gemeinden<br />
ist nach wie vor groß. Eine neue Geschäftsidee aus der Schweiz ermöglicht institutionellen<br />
Investoren den Zugang zu öffentlich-rechtlichen Schuldnern über einen Online-Marktplatz.<br />
Jetzt soll das Geschäftsmodell auch in Deutschland ausgerollt werden.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 47<br />
Obwohl der Schuldenstand der deutschen Kommunen gegenüber<br />
dem 31. März 2016 um 1,4 Prozent auf 141,1 Mrd. €<br />
gesunken ist, ist die Nachfrage von Kommunen nach Kommunalkrediten<br />
in allen Laufzeiten weiterhin hoch. Die gesamten<br />
Schulden setzen sich zu zwei Dritteln aus langfristig<br />
finanzierten Investitionskrediten und zu einem Drittel aus<br />
kurz- und mittelfristigen Kassenkrediten zusammen. Kassenkredite<br />
werden zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen<br />
genutzt. Während früher nur Laufzeiten von bis zu<br />
einem Jahr erlaubt waren, werden heute teilweise auch<br />
längere Laufzeiten der Kassenkredite gewählt. Investitionskredite<br />
haben längere Laufzeiten und werden in der Regel<br />
getilgt.<br />
In der Finanzlage der einzelnen Städte gibt es große regionale<br />
Unterschiede. Während Investitionskredite bundesweit<br />
nachgefragt werden, sind Kassenkredite hauptsächlich<br />
in NRW, Saarland, Rheinland-Pfalz und Hessen verbreitet.<br />
Kommunalkredite können sowohl als Kreditverträge als<br />
auch als Schuldscheine oder Namensschuldscheine vergeben<br />
werden.<br />
Kommunalkredite stellen sowohl auf Angebots- wie auch<br />
auf Nachfrageseite ein sehr beliebtes Instrument dar. Eine<br />
unter mehr als 30 Städten, Gemeinden, Banken und institutionellen<br />
Kapitalgebern durchgeführte Umfrage zeigt<br />
jedoch, dass der bisherige manuelle Prozess der Kreditaufnahme<br />
und -vergabe als langwierig, teuer, intransparent<br />
und unsicher wahrgenommen wird. Da besteht Verbesserungspotenzial,<br />
um die Kommunalfinanzierung schlank und<br />
wettbewerbsfähig zu gestalten und Banken die Möglichkeit<br />
zu geben, einfach und direkt nach attraktiven Kreditvergabemöglichkeiten<br />
zu suchen.<br />
Innovation in der Kommunalfinanzierung<br />
Das Start-up Loanboox bringt Banken und andere institutionelle<br />
Investoren mit Städten und Gemeinden auf einer<br />
Online-Plattform zusammen. Seit dem Go-Live vor einem<br />
Jahr in der Schweiz wurde bereits ein Anfragevolumen von<br />
über 4 Mrd. € abgewickelt. Inzwischen sind 450 Schweizer<br />
Städte und Gemeinden sowie 140 institutionelle Kapitalgeber<br />
und Banken auf Loanboox aktiv.<br />
Basierend auf der Nachfrage im deutschen Markt wird das<br />
Start-up nun auch hier Kapitalgeber dabei unterstützen, attraktive<br />
und sichere Schuldner zu finden und gleichzeitig<br />
11.000 Städten und Gemeinden helfen, ihre Finanzierungsprozesse<br />
zu <strong>digital</strong>isieren und Darlehen einfach und günstig<br />
abzuschließen.<br />
Nach der Registrierung können Kreditnehmer mit wenigen<br />
Klicks eine Kreditanfrage erstellen. Dazu wird Folgendes<br />
angegeben: die Kredithöhe, die gewünschte Laufzeit, das<br />
Startdatum, die Tilgung sowie bis wann die Angebote benötigt<br />
werden.<br />
Die institutionellen Kapitalgeber und Banken sehen die Anfrage<br />
und können direkt und einfach ein Angebot abgeben.<br />
Zeitaufwand: rund zwei bis drei Minuten.<br />
Als Kapitalgeber kann entweder ein Standardvertrag verwendet<br />
werden, oder aber der eigene Vertrag wird hinterlegt,<br />
der im System <strong>digital</strong> verschlagwortet wird. Für Städte<br />
und Gemeinden sind die Konditionen und Vertragsklauseln<br />
aller Angebote übersichtlich auf einer Seite dargestellt und<br />
können auf einen Blick verglichen werden. Erfüllt eines der<br />
Angebote oder die Kombination mehrerer Angebote die<br />
Wunschkriterien, kann es direkt mit einem Klick über die<br />
Plattform abgeschlossen werden.<br />
Kosten fallen für die Kapitalgeber keine an, für Kreditnehmer<br />
nur beim erfolgreichen Abschluss über die Vermittlungsplattform,<br />
ein Basispunkt pro Laufzeitjahr, sprich 0,01<br />
Prozent des Kreditvolumens. Die Online-Plattform vermittelt<br />
zwischen Kapitalgebern und Kreditnehmern, ist selbst<br />
aber keine Vertragspartei. Auch die Kreditprüfung erfolgt<br />
direkt über die Kapitalgeber, die alle zur Kreditvergabe berechtigte,<br />
institutionelle Investoren sein müssen. Das Mindestvolumen<br />
für eine Finanzierung startet bei 500.000 €<br />
und ist nach oben offen. Es können Laufzeiten zwischen<br />
wenigen Tagen bis über 40 Jahre angefragt werden.<br />
Dank einfacher Filterfunktion (z. B. Laufzeiten, Volumina<br />
etc.) haben Kapitalgeber zudem die Möglichkeit, auch proaktiv<br />
nach Kreditvergabemöglichkeiten zu suchen, die optimal<br />
in ihr Portfolio passen.<br />
Autor<br />
Andreas Franke ist Geschäftsführer der Loanboox GmbH.<br />
Fazit<br />
Kommunalkredite können einfach und direkt über<br />
eine neue Online-Plattform erschlossen werden.<br />
Dabei werden Banken und andere institutionelle<br />
Investoren mit Städten und Gemeinden auf <strong>digital</strong>er<br />
Ebene zusammengebracht. Kosten fallen für<br />
die Kapitalgeber keine an, für Kreditnehmer nur<br />
beim erfolgreichen Abschluss über die Vermittlungsplattform.
48<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Mehr Umsatz mit<br />
E-Invoicing<br />
In Zeiten niedriger Zinsen klammern sich Banken an das rentable Geschäft mit Unternehmen.<br />
Durch neue Finanztechnologien lässt sich das Angebot für Firmenkunden sinnvoll<br />
ausbauen. So dürfte es für Banken attraktiv sein, auf Basis eines Kooperationsmodells<br />
ihren Geschäftskunden eine Digitalisierung der Rechnungsprozesse anzubieten.<br />
Banken können mit der Digitalisierung ihres Angebots nicht<br />
nur Kosten sparen, sondern ihren Umsatz steigern und<br />
gleichzeitig die Kundenbindung verbessern. Denn auch<br />
scheinbare Nischenprodukte werden von Firmenkunden<br />
zunehmend nachgefragt und müssen von Banken abgedeckt<br />
werden – sofern sie ihre Kunden halten wollen. So<br />
können Finanzinstitute ihren Geschäftskunden anbieten,<br />
den Rechnungsprozess für sie deutlich zu verschlanken. Mit<br />
E-Invoicing-Services erweitern sie ihr Produktportfolio entlang<br />
des Zahlungsverkehrsprozesses und können die Automatisierung<br />
von Zahlungsströmen optimieren. Der Vorteil<br />
für Banken: Sie haben durch dieses Zusatzangebot eine stabile<br />
Kundenbindung und bieten ihren Kunden einen echten<br />
Zusatzservice. Sie werden zu einem Full-Service-Provider<br />
entlang der gesamten finanziellen Wertschöpfungskette.<br />
Der Kunde muss sich nicht länger verschiedene Partner suchen<br />
und anfragen. Er kann sämtliche Dienstleistungen aus<br />
einer Hand beziehen.<br />
Elektronische Rechnungsverarbeitung als Bestandteil<br />
des Beratungsangebots<br />
Dazu müssen zunächst die zuständigen Firmenkundenberater<br />
zu E-Invoicing geschult werden. Anschließend sollten<br />
die entsprechenden Produkte und Services als fester Bestandteil<br />
in das Beratungs- und Lösungsangebot für Firmenkunden<br />
integriert werden. Die Kundenberater<br />
ermitteln dann den Bedarf für E-Invoicing<br />
jeweils in den persönlichen Gesprächen.<br />
Stimmen Wünsche und<br />
Anforderungen des<br />
Kunden mit dem Serviceangebot des Anbieters überein,<br />
führt die Bank den Kunden mit dem E-Invoicing-Provider<br />
zusammen und überlässt diesem die restliche Geschäftsabwicklung.<br />
Digitalisierung aller Unternehmensprozesse<br />
Der Digitalisierungsgrad der Unternehmenskunden ist<br />
noch immer sehr gemischt. Viele Unternehmen sind<br />
schon gut aufgestellt, bei anderen wiederum beschränkt<br />
sich die Digitalisierung quasi auf einen<br />
vorhandenen Internetzugang. Die elektronische<br />
Rechnungsverarbeitung ist ein grundlegender<br />
Bestandteil der Modernisierung von<br />
Geschäftsprozessen, die insgesamt ein<br />
oft ungenutztes Potenzial zur Prozessverschlankung<br />
und Kostensenkung<br />
birgt. Dabei wissen<br />
allerdings die wenigsten<br />
Unternehmen, dass<br />
ein reines PDF<br />
der Rechnung
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 49<br />
noch keine E-Rechnung darstellt. Hier Aufklärungsarbeit zu<br />
leisten und Unternehmen dabei zu unterstützen, sich bestmöglich<br />
aufzustellen, sollte zum Beratungsangebot einer<br />
Bank gehören. Indem sie die Digitalisierung ihrer Firmenkunden<br />
nicht nur begleiten, sondern aktiv mitgestalten, können<br />
sie sich als vertrauensvoller Berater etablieren, Kunden<br />
an sich binden und mit gutem Beispiel in eine <strong>digital</strong>e Zukunft<br />
vorangehen.<br />
Supply Chain Finance als Alternative<br />
zum Bankkredit<br />
Aktuell konzentrieren sich Banken<br />
auf Kooperationen mit<br />
FinTechs im Bereich des Zahlungsverkehrs.<br />
Auch andere<br />
Kernkompetenzen von Banken,<br />
wie Kreditvergabe und<br />
Liquiditätsbeschaffung, bleiben<br />
von der Innovationsfreude<br />
der FinTechs nicht länger<br />
unberührt. Dies gilt auch für<br />
Supply Chain Finance (SCF).<br />
Als Teildisziplin des Supply<br />
Chain Managements setzt<br />
SCF den Fokus auf die Optimierung<br />
von Finanzstrukturen<br />
und Geldflüssen. Ziel ist<br />
die Maximierung des Profits<br />
von einzelnen oder mehreren<br />
Unternehmen entlang einer<br />
Lieferkette. Grundvoraussetzung<br />
für die Nutzung von SCF ist die<br />
vorherige Umstellung der Rechnungsverarbeitung<br />
auf E-Invoicing. Erst die elektronische<br />
Verarbeitung von Rechnungsdaten und<br />
die Digitalisierung von Finanzprozessen macht<br />
die Nutzung von Supply-Chain-Finance-Ansätzen<br />
überhaupt möglich.<br />
Ob nun in Form von Dynamic Discounting, Reverse<br />
Factoring, auktionsbasierter Rechnungsfinanzierung<br />
oder Purchasing Cards: Für jede Variante von SCF findet<br />
sich das passende Einsatzszenario. Welche Option die richtige<br />
ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab, etwa wie<br />
viel Geld gebraucht oder wie schnell es benötigt wird. Einige<br />
dieser Ansätze sind nicht neu. Neu dagegen ist die fortlaufende<br />
Digitalisierung und Verknüpfung der Prozesse zu<br />
einem durchgehenden Wertschöpfungsprozess. Das vereinfacht<br />
den Einsatz im Tagesgeschäft für die Unternehmen<br />
enorm.<br />
Vorteile für kleine und mittelständischen Unternehmenskunden<br />
Insbesondere Mittelständler und Kleinunternehmer zögern<br />
häufig bei der Digitalisierung, da sie ein aufwändiges Projekt<br />
und einen langwierigen Umstellungsprozess befürchten.<br />
Die Angst vor kostspieligen Fehlentscheidungen sitzt tief.<br />
Ein weiteres Problem ist die Fehleinschätzung, E-Invoicing-<br />
Lösungen seien zu teuer und zu komplex für das Rechnungsvolumen,<br />
über das kleine und mittlere Unternehmen<br />
(KMU) verfügen. Dabei gibt es längst Lösungen, die speziell<br />
auf die Bedürfnisse des Mittelstands zugeschnitten sind und<br />
den kompletten Prozess der Rechnungsbearbeitung – vom<br />
Eingang über die Freigabe bis hin zur Verbuchung in beliebigen<br />
ERP-Systemen – abdecken.<br />
Für Unternehmen entsteht der Mehrwert der Digitalisierung<br />
nicht einzig durch die elektronische Rechnungsverarbeitung,<br />
sondern durch die Umstellung aller nachgelagerten Rechnungsprozesse.<br />
Beispielsweise ermöglicht der zuvor genannte<br />
SCF-Ansatz eine zusätzliche Zwischenfinanzierung.<br />
Durch SCF wird nicht nur die Liquidität im Unternehmen<br />
erhöht, sondern das Working Capital optimiert, Kosten werden<br />
reduziert und finanzielle Risiken verringert.<br />
Besonders KMU profitieren also entsprechend von Supply<br />
Chain Finance. Nicht selten hängt die Sicherung der eigenen<br />
Existenz davon ab, da gerade KMU immer wieder mit Liquiditätsengpässen<br />
zu kämpfen haben. Die neuen Formen der<br />
Zwischenfinanzierung erlauben es, dass Unternehmen nicht<br />
mehr bis zu 90 Tage auf ihr Geld warten müssen, sondern<br />
auf Knopfdruck eine Vor- oder Zwischenfinanzierung einzelner<br />
Rechnungen erhalten.<br />
Autor<br />
Marcus Laube ist Gründer und Geschäftsführer von Crossinx.<br />
Fazit<br />
Im Geschäftskundensegment bieten Finanzierungslösungen<br />
entlang der Lieferkette (Chain<br />
Finance) sowie elektronische Dokumenten- und<br />
Rechnungsprozesse für Banken eine Möglichkeit,<br />
das Angebot für Firmenkunden auszubauen. Ein<br />
E-Invoicing-Kooperationspartner kann die komplette<br />
Integration übernehmen, wodurch der<br />
technische Aufwand sowohl für das Finanzinstitut<br />
als auch für den Kunden komplett entfällt.
50<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Infos und Spaß dank<br />
der Mitarbeiter-<br />
App<br />
Kunden, aber auch Mitarbeiter erwarten heute mehr und mehr <strong>digital</strong>e Wege<br />
der Kommunikation und Zusammenarbeit. Auf der Suche nach einer zeitgemäßen und<br />
effizienten Kommunikationslösung für ein Institut, dessen 700 Mitarbeiter auf<br />
109.000 Quadratkilometern zwischen Ostsee und Erzgebirge verteilt sind,<br />
wurde die Lösung in einer Mitarbeiter-App gefunden.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 51<br />
Der Wunsch der Belegschaft nach einem Strategie vermittelnden<br />
und übersetzenden Kommunikationsmedium und<br />
einer insgesamt effizient gestalteten Kommunikation war<br />
stark ausgeprägt. Handlungsbedarf sahen die Mitarbeiter<br />
vorrangig in den Bereichen Effizienz und den technischen<br />
Möglichkeiten zur Darstellung von Informationen.<br />
Bis dato war die E-Mail der Dreh- und Angelpunkt zur Verbreitung<br />
und Beschaffung von Informationen. Ein Medium,<br />
das den schnellen, sachbezogenen, wenig emotionalen Instrumenten<br />
zuzuordnen ist und auf eine Identität stiftende<br />
Unternehmenskultur nur bedingt einzahlt. Darüber hinaus ist<br />
es nicht geeignet, standardisierte Kommunikationsprozesse<br />
und einen einheitlichen Informationsfluss zu bedienen.<br />
Diesen Umstand galt es zu verändern. In einem interdisziplinären<br />
Team, bestehend aus Mitgliedern der Abteilungen<br />
für Kommunikation, IT und Personal sowie des Betriebsrats,<br />
wurden Lösungen gesucht. Die Entscheidung fiel bewusst<br />
gegen eine gedruckte Mitarbeiterzeitung. Printprodukte dieser<br />
Art schaffen zwar ein Gefühl von Transparenz, jedoch<br />
sind sie langsam und kostenintensiv. Als zeitgemäße Lösung,<br />
die zum Selbstverständnis des Unternehmens passt,<br />
kam die Mitarbeiter-App auf den Plan.<br />
Alle Abteilungen an der Planung beteiligt<br />
Gemeinsam wurden Ideen diskutiert und Bedenken aus dem<br />
Weg geräumt. Eine Eigenentwicklung schied aufgrund des<br />
Planungshorizonts aus. Mit der Unterstützung des Vorstands<br />
und durch die Zusammenarbeit mit einem Start-up (Staffbase),<br />
das mobile Kommunikationskanäle nach dem Baukasten-Prinzip<br />
anbietet, wurde mit der Umsetzung der Idee<br />
begonnen. Die größten Herausforderungen stellten die<br />
Auflagen dar, die ein Finanzinstitut bei der Einführung eines<br />
moderenen Kommunikationsmediums erfüllen muss. Dazu<br />
gehören Gewährleistung der strengen Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes<br />
und der Informationssicherheit. Um sicherzustellen,<br />
welche Benutzerrollen und -rechte notwendig<br />
und wie diese zu verteilen sind, wurde eine umfassende Berechtigungsmatrix<br />
erstellt. Auch das unterstützende externe<br />
Unternehmen musste ein geeignetes IT-Sicherheitskonzept<br />
vorlegen. Die gesamte Entwicklungszeit erstreckte sich auf<br />
sechs Monate, die ohne die bürokratischen Rahmenbedingungen<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit kürzer ausgefallen<br />
wäre. Am Valentinstag <strong>2017</strong> konnte dann die Mitarbeiter-App<br />
HALLO#intern wie eine „Liebeserklärung an die Mitarbeiter“<br />
im gesamten Unternehmen ausgerollt werden.<br />
HALLO#intern im Einsatz<br />
Derzeit wird die App vor allem als interaktive und <strong>digital</strong>e Mitarbeiterzeitung<br />
genutzt. Diese ist, im Vergleich zum gedruckten<br />
Pendant, kostengünstiger und schneller. Informationen<br />
und Unternehmensnachrichten erreichen die Mitarbeiter,<br />
wenn sie aktuell und relevant sind. Dafür existieren sechs<br />
Rubriken: allgemeine Unternehmensnachrichten, Nachrichten<br />
vom Vorstand, Informationen des Betriebsrats, die<br />
Presseschau, „Kurz & Knapp” sowie „Bilder sagen mehr”.<br />
Außerdem wurde ein schwarzes Brett integriert. Darüber hinaus<br />
dient die App für Umfragen innerhalb der Belegschaft,<br />
beispielsweise zu Motiven für die Marketing-Unterlagen.<br />
Fünf Monate nach der Einführung beträgt die Nutzerquote<br />
bereits 90 Prozent. 62 Prozent davon lesen HALLO#intern<br />
täglich. Die Interaktionsquote liegt bei 12 Prozent. Der<br />
Hauptgrund für die gute Akzeptanz liegt in dem anwenderfreundlichen<br />
und selbsterklärenden Design. Somit entfallen<br />
aufwändige Schulungen und die Mitarbeiter entdecken<br />
HALLO#intern selbstständig.<br />
Die App ist auf allen im Unternehmen eingesetzten Geräten<br />
verfügbar: Android Smartphones/Tablets, iPhones/iPads und<br />
auch auf dem Desktop als WebApp, was die Akzeptanz zusätzlich<br />
erhöht.<br />
Durch ein strukturiertes Dashboard kann das Team aus abteilungsübergreifenden<br />
Redakteuren schnell alle relevanten<br />
Themen aufbereiten und auch mittels Push-Benachrichtigung<br />
die Kollegen informieren. Vom Vorstand bis zur Filialmitarbeiterin<br />
nutzen bereits alle die Anwendung, sodass<br />
es jetzt schon Wünsche nach weiteren Funktionen, wie beispielsweise<br />
einem Messenger-Service, gibt, um sich auch<br />
untereinander und vor allem über sichere Server austauschen<br />
zu können.<br />
Autorin<br />
Nancy Mönch, Leiterin Unternehmenskommunikation bei<br />
Sparda-Bank Berlin eG.<br />
Fazit<br />
Durch Transparenz, Professionalität, Interaktion<br />
und Nähe trifft die Mitarbeiter-App genau den<br />
richtigen Nerv und erfüllt den Anspruch der Belegschaft.<br />
Durch die frühzeitige Einbindung aller relevanten<br />
Abteilungen ist die Akzeptanz sehr hoch.<br />
Mit HALLO#intern wurde ein Kanal geschaffen,<br />
der zum Austausch unter den Kollegen einlädt, im<br />
Vergleich zur gedruckten Mitarbeiterzeitung deutlich<br />
wirtschaftlicher sowie aktueller ist und darüber<br />
hinaus auch Spaß macht.
52<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Vergabe von Marktplatzkrediten<br />
zur<br />
Kundenbindung<br />
Dass Banken ihr Angebot durch Kooperationen mit FinTechs sinnvoll erweitern<br />
können, ist keine neue Erkenntnis. Dass dadurch ausgerechnet das Filialgeschäft von<br />
Banken gestärkt wird dagegen schon. Das Beispiel Auxmoney zeigt, wie immer<br />
mehr Geldinstitute mit Kreditmarktplätzen kooperieren, um mehr Menschen<br />
in der eigenen Filiale einen Kredit anbieten zu können.<br />
Es ist ein Problem für die Gesamtwirtschaft und immer<br />
wieder ein Rückschlag für den Betroffenen: Insgesamt werden<br />
in Deutschland pro Jahr private Kreditanfragen in Höhe<br />
von bis zu 66 Mrd. € von klassischen Kreditgebern abgewiesen.<br />
Dies betrifft vor allem Selbstständige, Studenten<br />
oder Arbeitnehmer in der Probezeit. Damit verlassen jedes<br />
Jahr über zwölf Millionen Menschen ihre Bankfiliale ohne<br />
einen Kredit – und meist auch noch mit einem schlechten<br />
Gefühl. Ganz ähnlich geht es wohl vielen Beratern, die Kunden<br />
ablehnen müssen, die eigentlich durchaus kreditwürdig<br />
sind, aber nicht den pauschalen Risikovorgaben ihrer<br />
Bank entsprechen.<br />
Eine Lösung aus dem FinTech-Bereich ermöglicht den Banken<br />
einen Ausweg: Durch die Kooperation mit einem Kreditmarktplatz<br />
können sie Kunden, die sie bislang ablehnen<br />
müssen, doch noch zu einem Kredit verhelfen. Der Vorteil<br />
für die Bank: Mehr Kreditzugang bedeutet eine höhere Kundenzufriedenheit.<br />
Mehr Kredite bedeuten mehr Kundenbindung<br />
und Geschäft.<br />
Der Vorteil für den Kunden: Er bekommt den Kredit bei seiner<br />
eigenen Hausbank, zu der in der Regel ein langjähriges<br />
Vertrauensverhältnis besteht.<br />
Dies erfordert den Einsatz <strong>digital</strong>er Technologien und datenbasierter<br />
Scoring-Methoden bei der Bonitätsprüfung. Anhand<br />
vieler Datenpunkte werden potenzielle Kreditnehmer
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 53<br />
bei Auxmoney differenzierter und individueller angeschaut.<br />
Auf diese Weise können auch potenzielle Kreditnehmer<br />
zum Zug kommen, die bei Banken bislang aus verschiedenen<br />
Gründen ausgeschlossen werden. Die Institute nutzen<br />
diesen technologischen Fortschritt zurzeit noch kaum – damit<br />
drohen sie eine der größten Chancen der Digitalisierung<br />
im Kreditwesen zu verpassen.<br />
Schließlich können Kooperationen mit FinTechs für Banken<br />
durchaus eine praktikable Lösung sein, wenn es gelingt,<br />
deren <strong>digital</strong>es Angebot den eigenen Kunden zugänglich zu<br />
machen. Damit kann die Fähigkeit der Kreditmarktplätze,<br />
Kredite auch in Bereichen zu ermöglichen, in denen Banken<br />
deutlich restriktiver sind, zu einer Stärke der kooperierenden<br />
Bank werden. Banken, die sich für <strong>digital</strong>e Partnerschaften<br />
entscheiden, bleiben die zentrale Anlaufstelle<br />
für den Kunden und erweitern ihr Angebot im Sinne einer<br />
modernen Open-Banking-Strategie. Noch gibt es wenige<br />
Segmente, in denen klassische Geldinstitute und FinTechs<br />
zusammenarbeiten. Aber insbesondere bei der Kreditvergabe<br />
erkennen immer mehr Kreditinstitute die Vorteile solcher<br />
Kooperationsmodelle für sich.<br />
Kooperation mit Signalwirkung<br />
Wie eine Bank ihre eigene Kreditvergabe durch eine Kooperation<br />
erweitern und verbessern kann, zeigt etwa N26.<br />
Kunden der mobilen Bank können seit kurzem mit wenigen<br />
Klicks direkt in der N26-App einen Kredit über den Marktplatz<br />
Auxmoney abschließen. N26 kann so weiteren Kundengruppen<br />
einen schnellen und einfachen Zugang zu Krediten<br />
ermöglichen, die sonst nicht bedient werden könnten.<br />
Der gesamte Prozess von Antrag über Angebot, Prüfung<br />
und Bewilligung ist vollständig <strong>digital</strong>. Ein entsprechendes<br />
Kreditangebot erscheint innerhalb weniger Sekunden auf<br />
dem Handy des Kunden. Damit wird das Modell eines Kreditmarktplatzes<br />
auf das mobile Banking übertragen.<br />
Für die Bank entsteht dabei kein zusätzlicher IT-Aufwand,<br />
denn ihr wird eine webbasierte Softwarelösung zur Verfügung<br />
gestellt, die es auch dem Bankberater in der Filiale<br />
ermöglicht, mit dem Kunden von der Kreditanfrage bis zum<br />
Abschluss des Vertrags alle Schritte unmittelbar in der Geschäftsstelle<br />
durchzuführen. Dabei übernimmt der Berater<br />
durch eine Identitätsüberprüfung zugleich die Legitimation<br />
des Kunden. Der Kreditmarktplatz prüft die Bonität des Kreditnehmers<br />
mithilfe des eigenen datenbasierten Scoring-<br />
Verfahrens individuell und erstellt ein risikoadjustiertes<br />
Kreditangebot, das dem Bankberater unmittelbar zur Verfügung<br />
gestellt wird. Der Kunde kann den ausgedruckten<br />
Kreditvertrag direkt in der Filiale vor Ort rechtsgültig unterschreiben.<br />
Neue Kundengruppen erschließen<br />
Es gibt einige Beispiele, die zeigen, wie wertvoll bestimmte<br />
Gruppen, die nach den pauschalen Kriterien von der Kreditvergabe<br />
häufig ausgeschlossen sind, für Banken sein<br />
können. Dazu gehören etwa Kleinunternehmer. Zieht das<br />
Geschäft eines Kleinunternehmers erst einmal an, wird<br />
aus ihm schnell ein für die Bank attraktiver Kunde. Das ist<br />
nicht nur im Einzelfall interessant. So ist die Einbindung dieser<br />
Zielgruppen in die Kreditversorgung grundsätzlich von<br />
gesellschaftlicher und volkswirtschaftlicher Relevanz: Die<br />
verbesserte Kapitalausstattung von Selbstständigen, Existenzgründern<br />
und Kleinunternehmern stärkt die regionale<br />
Wirtschaft und schafft Arbeitsplätze.<br />
Eine weitere Zielgruppe stellen Studenten dar: Einem Studenten,<br />
der kurz vor seinem Abschluss steht und der einen<br />
Kredit benötigt, um ein Auslandssemester oder ein Praktikum<br />
im Ausland zu absolvieren, kann die Bank aufgrund ihrer<br />
strikten Risikovorgaben oft keinen Kredit anbieten – und<br />
verliert ihn möglicherweise dauerhaft als Kunden. Ein großer<br />
Fehler, immerhin ist der Student der Gegenwart der Akademiker<br />
der Zukunft – und damit nicht selten ein finanzstarker<br />
Kunde. Für eine Bank kann es also durchaus schmerzhaft
54<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Bevor Raffael Johnen vor zehn Jahren Auxmoney gründete, war er über sechs Jahre bei der<br />
Investmentbank Rothschild in den Bereichen Mergers & Acquisitions und Debt Advisory tätig, zuletzt<br />
als Vice President. Später gründete er Excellion Capital, eine in London ansässige Merchant<br />
Bank, die auf Corporate-Finance-Beratung und Principal Investments spezialisiert ist. Heute ist<br />
Auxmoney nach eigenen Angaben der führende Kreditmarktplatz in Kontinentaleuropa.<br />
sein, ihn dauerhaft als Kunden zu verlieren. Ähnliches gilt<br />
für junge Menschen, die noch nicht über eine langjährige<br />
Bonitätshistorie verfügen – neben Studenten können das<br />
auch Azubis und Berufsstarter sein – sowie Menschen mit<br />
schwankenden Einnahmen. Letzteres können beispielsweise<br />
Freelancer sein, die häufig über keine klassischen<br />
linearen Karriereverläufe verfügen, aber durchaus beruflich<br />
erfolgreich sind. Diese Personengruppe wird in der modernen<br />
Arbeitswelt immer größer und bedeutsamer. Zudem<br />
erschließen Banken den Markt für niedrige Kreditsummen,<br />
der bislang wenig attraktiv für sie ist. Durch die Kooperation<br />
mit einem Kreditmarktplatz können Banken zukünftig auch<br />
den Kreditbereich unter 6.000 € im Sinne ihrer Kunden profitabel<br />
abdecken.<br />
der Bank – und wird entsprechend weiterhin durch seinen<br />
Bankberater betreut und beraten. Dass die Bank ihren Kunden<br />
nicht mehr abweisen muss, sondern in der Lage ist,<br />
eine zeitgemäße, moderne Lösung anzubieten, fördert eine<br />
nachhaltige Kundenbindung. Das Angebot von Marktplatzkrediten<br />
in der Bankfiliale kann für Kunden ein zusätzliches<br />
Argument für den Besuch einer Filiale und ein Gespräch mit<br />
dem persönlichen Kundenberater sein. Persönliche Beratung<br />
und <strong>digital</strong>es Angebot verschmelzen. Das <strong>digital</strong>e Kreditangebot<br />
wird zu einem USP der Bank.<br />
Autor<br />
Raffael Johnen ist CEO und Mitgründer von Auxmoney.<br />
Der Kunde bleibt Bankkunde<br />
Erste Erfahrungen bei Kooperationen von Auxmoney mit<br />
Sparkassen und Genossenschaftsbanken zeigen hohe Akzeptanzraten<br />
für ursprünglich abgelehnte Kunden. Die Bank<br />
erweitert durch die Kooperation mit einem Online-Marktplatz<br />
ihr Angebotsportfolio – ohne das Risiko eines Kundenverlusts<br />
einzugehen. Entscheidend dabei ist für die Bank<br />
das Stichwort Kundenschutz: So werden dem Kunden durch<br />
den Kooperationspartner ausschließlich die vermittelten<br />
Kredite angeboten, aber keine weiteren Bankprodukte. Der<br />
Kreditnehmer bleibt auch nach Abschluss des Kredits Kunde<br />
Fazit<br />
Immer mehr Geldinstitute erkennen, dass sie<br />
durch Kooperationen mit FinTechs ihr eigenes Angebot<br />
erweitern und verbessern können. Im Kreditgeschäft<br />
zeigt sich, dass in Zusammenarbeit mit<br />
Kreditmarktplätzen in der Filiale mehr Menschen<br />
ein Zugang zu Krediten ermöglicht werden kann.<br />
In der Digitalisierung liegt somit großes Potenzial,<br />
dem Filialgeschäft neue Impulse zu verleihen.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 55<br />
Beim Schwärmen<br />
auch die Risiken<br />
sehen<br />
Angesichts anhaltend niedriger Zinsen und unruhiger Börsen suchen immer mehr<br />
Privatanleger nach alternativen Möglichkeiten, um ihr Geld renditeorientiert und sicher<br />
anzulegen. Unternehmen wiederum halten aufgrund verschärfter Bonitätsanforderungen<br />
vermehrt Ausschau nach neuen Finanzierungswegen. Bei Schwarmfinanzierungen<br />
werden beide Seiten fündig. Jedoch gilt es, einige Grundregeln zu beachten,<br />
um unnötige Risiken zu vermeiden.<br />
Selten zuvor in der Geschichte hatten es Anleger so schwer<br />
wie heute, attraktive Renditen für ihr Kapital zu erhalten.<br />
Seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 halten die Zentralbanken<br />
die Leitzinsen auf historisch niedrigem Niveau.<br />
Infolgedessen sind Realvermögensverluste bei klassischen<br />
Geldanlagen unvermeidlich. Wer sich damit nicht abfinden<br />
will, muss hinsichtlich seiner Finanzstrategie ausgetretene<br />
Pfade verlassen und offen für neue Optionen sein.<br />
Aber auch aufseiten der Finanzierungsnehmer ist das Umfeld<br />
schwieriger geworden. Die zunehmende Bankenregulierung<br />
erhöht die Eigenkapitalkosten der Banken und<br />
verschärft damit die Bonitätsanforderungen an den Mittelstand.<br />
Hinzu kommt, dass eigenkapitalnahe Finanzierungsangebote<br />
für klein- und mittelständische Unternehmen<br />
(KMU) ohnehin Mangelware sind. So kommt es zu Finanzierungsengpässen,<br />
und wichtige Projekte können nicht angeschoben<br />
werden. Vor diesem Hintergrund ist es auch für<br />
Unternehmen dringend erforderlich, sich nach Alternativen<br />
umzuschauen.<br />
Fündig werden beide Seiten immer häufiger beim Crowdfunding<br />
(deutsch: Schwarmfinanzierung). Anlegern bietet<br />
die Anlagevariante interessante Möglichkeiten für Investments<br />
in KMUs, wenn man bereit ist, für größere Chancen<br />
auch höhere Risiken in Kauf zu nehmen. Den Unternehmen<br />
bietet Crowdfunding einen neuen Finanzierungsweg – unabhängig<br />
von klassischen Intermediären, verbunden mit dem<br />
Vorteil, dass das gesammelte Geld wie Eigenkapital gewertet<br />
wird, sowie mit attraktiven Marketingeffekten.<br />
Die Idee hinter dieser Form der sogenannten Schwarminvestments<br />
ist einfach: Beim Crowdinvesting beteiligt sich<br />
eine Vielzahl von Anlegern (die „Crowd“) über eine Plattform<br />
an einem Unternehmen und erwirbt im Gegenzug einen<br />
Anspruch auf einen Anteil an dessen Gewinn. Auf einigen<br />
Plattformen finden insbesondere Start-ups und innovative<br />
Wachstumsunternehmen Investoren. Andere Anbieter<br />
haben sich auf etablierte mittelständische Unternehmen<br />
spezialisiert, weil deren Geschäftsmodelle sich bereits bewährt<br />
haben. Zudem gibt es mittlerweile eine Vielzahl von<br />
Crowdinvesting-Plattformen, die verschiedene Branchen<br />
bedienen, darunter vor allem Immobilien sowie grüne bzw.<br />
ökologische Projekte.<br />
Warum Crowdinvesting für Privatanleger immer beliebter<br />
wird, lässt sich leicht beantworten. Zum einen erlaubt die<br />
Anlageklasse Privatanlegern bereits mit geringen Anlagebeträgen<br />
in Mezzanine-Darlehen zu investieren und dabei von<br />
attraktiven Renditen zwischen vier und acht Prozent zu profitieren,<br />
die klassische Sichteinlagen bei weitem nicht bieten<br />
können. Zum anderen haben Anleger beim Crowdinvesting
56<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Crowdinvesting nicht frei von Risiken<br />
Bei allen Vorteilen des Crowdinvestings sollten jedoch auch<br />
die Risiken betrachtet werden, die, wie überall auf dem Kapitalmarkt,<br />
auch hier lauern. So droht Investoren dieser Anlageform<br />
im Insolvenzfall des Projektträgers unter Umständen<br />
ein Totalverlust ihres investierten Geldes. Der Grund dafür<br />
ist, dass ihr Kapital als Nachrangdarlehen eingesetzt wird.<br />
Scheitert dann ein Projekt, werden zunächst die Forderungen<br />
der Bank bedient und erst danach alle anderen Investoren.<br />
Damit es gar nicht erst soweit kommt, sollten Plattformen<br />
dafür Sorge tragen, dass Anleger ihre Investitionsentscheidung<br />
auf Basis transparenter Informationen treffen können.<br />
Zudem sollten die an einer Finanzierung interessierten Projektträger<br />
in jedem Fall vorab bezüglich ihrer Wirtschaftlichkeit<br />
überprüft werden, um insbesondere die Bonität sowie<br />
die Möglichkeit, dass sie sich die zu ihnen passenden Investmentoptionen<br />
aus einer Vielzahl von Plattform-Angeboten<br />
heraussuchen können. Beliebt sind dabei vor allem Angebote<br />
in Sachwerte aus den Bereichen Nachhaltigkeit und<br />
Immobilien. So bieten etwa auf nachhaltige Projekte ausgerichtete<br />
Plattformen wie LeihDeinerUmweltGeld.de oder<br />
GLS-Crowd.de Anlegern die Möglichkeit, in eine für sie sinngebende<br />
Geldanlage investieren zu können – etwa zum Ausbau<br />
erneuerbarer Energien, zur Steigerung der Energieeffizienz<br />
oder zur Reduzierung von klimaintensiven Emissionen.<br />
Die immer beliebteren Immobilien-Plattformen wiederum<br />
machen lukrative Bauprojekte, die bisher nur Großinvestoren<br />
vorbehalten waren, für die breite Masse zugänglich. Auch für<br />
Unternehmen liegen die Vorteile des Bürgerkredits auf der<br />
Hand: Sie profitieren durch die Plattform von einem attraktiven<br />
neuen Finanzierungsweg für ihr Wachstum und sind<br />
nicht mehr ausschließlich auf die komplexe Kapitalaufnahme<br />
über Banken angewiesen. Mitunter können so Projekte verwirklicht<br />
werden, die ansonsten an den strengen Eigenkapitalanforderungen<br />
der Banken für einen Kredit scheitern würden,<br />
da das über die Bürgerfinanzierung gesammelte Geld<br />
wirtschaftlich wie Eigenkapital gewertet wird. Ein weiterer<br />
Vorteil: Sie können ihre Kapitalstruktur diversifizieren und die<br />
Abhängigkeit von einzelnen Finanzierungsquellen reduzieren.<br />
Schwarmfinanzierungen sind darüber hinaus aber auch<br />
aus Marketinggesichtspunkten attraktiv, weil eine große Zielgruppe<br />
potenzieller positiver Multiplikatoren erreicht wird.<br />
die Ausfallwahrscheinlichkeit zu ermitteln. Ergänzt werden<br />
kann dies durch eine Strategie, von vornherein speziell auf<br />
renommierte Projektentwickler zu setzen, die bereits ähnliche<br />
Projekte erfolgreich umgesetzt haben.<br />
Sinnvoll kann dabei auch die Zuhilfenahme externer Partner<br />
sein. So greifen Plattformen wie LeihDeinerUmweltGeld bei<br />
der Projektauswahl u. a. auf das Urteil ihres Partners Allianz<br />
Climate Solutions (ACS) zurück. Die ACS ist ein Kompetenzzentrum<br />
für Klimawandel innerhalb der Allianz Gruppe mit<br />
Fokus auf Erneuerbare Energien, das in den letzten zehn<br />
Jahren mehr als 900 nationale und internationale Projekte<br />
mit einem Investitionsvolumen von über 9 Mrd. € geprüft
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 57<br />
und begleitet hat. Bewährt haben sich zudem Kooperationsmodelle<br />
wie das der auf nachhaltige Projekte spezialisierten<br />
GLS Crowd, bei denen ein fest in die Struktur der Plattform<br />
eingebundener Partner – in diesem Fall die GLS Bank – seine<br />
Expertise und sein Netzwerk einbringt, um geeignete<br />
Projekte zu identifizieren. Diese werden dann anhand bewährter<br />
Anlage- und Finanzierungsgrundsätze ausgewählt<br />
und der Plattform zur Vermittlung vorgeschlagen.<br />
Wieder andere Plattformen, wie die auf Immobilien spezialisierte<br />
Grundag.de, versuchen, das Risiko der Anleger<br />
zu mindern, indem sie nur solche Projekte zum Crowdfunding<br />
zulassen, die ausschließlich aus dem Eigenkapital des<br />
Projektentwicklers und aus dem Investment der Anleger<br />
finanziert werden – und nicht, wie sonst üblich, zu einem<br />
signifikanten Teil mit vorrangingen Bankdarlehen finanziert<br />
werden, die in wirtschaftlichen Notlagen zuerst bedient<br />
werden, bevor die Investoren einen Rückfluss erwarten<br />
können.<br />
Risiko selbst mindern<br />
Anleger sollten sich jedoch nicht allein auf die Risikovermeidungs-Strategien<br />
der Plattformen verlassen, sondern zusätzlich<br />
selbst einige Vorsichtsmaßnahmen treffen. Genau<br />
wie bei Aktien lautet die erste Regel dabei, dass nur der<br />
Teil des eigenen Vermögens investiert werden sollte, den<br />
man entbehren kann. Dabei empfiehlt es sich, sein Kapital<br />
möglichst in mehrere Projekte zu verteilen, um so das Risiko<br />
von Zahlungsausfällen zu streuen. Zudem sollten sich Anleger<br />
über mögliche Risiken informieren und sich dabei einer<br />
Grundregel des Finanzmarkts bewusst sein: „Je höher das<br />
Risiko, desto höher auch die Rendite.“<br />
Um ein Gefühl für das Risiko eines Crowdinvestments zu<br />
bekommen, empfiehlt es sich, die Hintergründe des Projekts,<br />
in das man investieren möchte, kritisch zu hinterfragen.<br />
Zunächst sollte man sich die Plattform, auf der das<br />
Projekt gefundet wird, genau anschauen. Wichtige Aspekte<br />
sind dabei die Anzahl bereits erfolgreich gefundeter bzw.<br />
zurückgezahlter Projekte sowie ein Firmensitz in Deutschland.<br />
Je mehr erfolgreich gefundete Projekte die Plattform<br />
vorweisen kann, desto mehr kann man nämlich darauf vertrauen,<br />
dass sie über die nötige Expertise für Projektfinanzierungen<br />
verfügt. Ein Firmensitz in Deutschland wiederum<br />
erhöht die Wahrscheinlichkeit, im Fall der Fälle seine Ansprüche<br />
gerichtlich geltend machen zu können.<br />
Ebenso sollte man den Hintergrund des Projektentwicklers<br />
kritisch prüfen. Wenn dieser schon länger auf dem Markt aktiv<br />
ist und bereits mehrere vergleichbare Projekte erfolgreich<br />
realisiert hat, stehen die Chancen nämlich gut, dass auch<br />
weitere Finanzierungen durch ihn funktionieren werden.<br />
Sollte der erste Eindruck der Plattform und des Projektentwicklers<br />
positiv sein, stehen die Chancen relativ gut, dass<br />
etwaige Sorgen um den Erfolg des Projekts unbegründet<br />
sind. Dennoch sollte man seine Investitionsentscheidung<br />
nicht allein davon abhängig machen. Vielmehr lohnt sich ein<br />
weiterer kritischer Blick auf die Transparenz aller Projektbeteiligten.<br />
Denn nur, wenn sowohl von der Plattform als<br />
auch vom Projektentwickler alle Unterlagen zur Verfügung<br />
gestellt sowie Chancen und Risiken klar dargestellt werden,<br />
kann man sich ein realistisches Bild von der Attraktivität des<br />
einzelnen Projekts machen. Angaben, deren Vollständigkeit<br />
man unbedingt überprüfen sollte, umfassen die Projektbeschreibung,<br />
eine Übersicht der Konditionen sowie eine<br />
Aufstellung der Finanzkennzahlen inklusive Informationen<br />
zur Mittelverwendung sowie zur Mittelherkunft. Speziell bei<br />
Immobilen-Projekten sollte man zudem überprüfen, ob eine<br />
Baugenehmigung vorliegt und die Gesamtfinanzierung gesichert<br />
ist. Und ganz wichtig: Wenn man etwas nicht versteht,<br />
sollte man im Zweifel bei der Plattform nachfragen. Denn<br />
nur wenn man ein Projekt richtig versteht, kann man auch<br />
beurteilen, ob sich die Chancen gegenüber möglichen Risiken<br />
lohnen.<br />
Autor<br />
Johannes Laub ist Geschäftsführer und Mitgründer des<br />
FinTech-Unternehmens CrowdDesk.<br />
Fazit<br />
Angesichts niedriger Zinsen und schwankender<br />
Märkte suchen immer mehr Privatanleger nach<br />
alternativen Geldanlagen. Unternehmen wiederum<br />
halten vermehrt Ausschau nach neuen Finanzierungswegen.<br />
Bei Schwarmfinanzierungen werden<br />
beide Seiten fündig. Unternehmen profitieren<br />
dadurch, dass die durch ein Crowdinvesting<br />
vermittelten Darlehen sich positiv auf ihre Bonität<br />
auswirken. Im Extremfall wird somit durch<br />
ein erfolgreiches Crowdfunding eine klassische<br />
Bankenfinanzierung erst ermöglicht. Ein Mehrwert<br />
sind auch die Marketingeffekte, denn Crowdfunding<br />
erreicht eine große Zielgruppe potenzieller<br />
positiver Multiplikatoren. Investoren wiederum<br />
profitieren von einer transparenten Geldanlage, die<br />
eine Verzinsung zwischen vier und acht Prozent<br />
ermöglicht.
58<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Mit dem Schwarm-<br />
Vertrauen sorgsam<br />
umgehen<br />
Von Immobilen-Entwicklern, dem Mittelstand, Start-ups oder Kommunen: Finanzierungsbedürfnisse<br />
werden in Form von Crowdinvesting-Projekten immer öfter über den Schwarm<br />
abgewickelt. Trotz vieler Erfolgsgeschichten und hoher Marktwachstumsraten gilt es jedoch,<br />
in den kommenden Jahren noch einige offene Fragen zu klären, damit sich Crowdinvesting<br />
auch außerhalb der Nische nachhaltig etablieren kann.<br />
Zugegeben: Mit kumulierten Mittelzuflüssen von 107,9 Mio.€,<br />
die Crowdinvesting-Projekte aus Deutschland laut einer Statistik<br />
des Branchenportals Crowdfunding.de im Zeitraum Januar<br />
bis August <strong>2017</strong> einsammeln konnten, sind Schwarminvestments<br />
hierzulande weiterhin alles andere als ein<br />
Mainstream-Investment. Dass mit diesem Wert aber bereits<br />
jetzt das Gesamtvolumen des Vorjahrs 2016 (63,8 Mio. €) um<br />
mehr als 69 Prozent übertroffen worden konnte, zeigt die<br />
Wachstumsdynamik, die in diesem jungen Sektor derzeit<br />
beobachtet werden kann.<br />
Beim Begriff Crowdinvestment handelt es sich um einen<br />
rein im deutschen Sprachraum anzutreffenden Sammelbegriff<br />
für sämtliche, auf finanzielle Rendite abzielende Crowdfunding-Formen.<br />
Im Detail umfasst Crowdinvesting also sowohl<br />
Eigenkapital-Crowdfunding oder Hybrid-Crowdfunding<br />
als auch kreditbasiertes Crowdfunding. Von diesem Begriff<br />
nicht berücksichtigt sind spendenbasiertes Crowdfunding<br />
oder Crowdfunding-Modelle, die auf Belohnung der Investoren<br />
basieren – vor allem letztere Crowdfunding-Form wird<br />
aufgrund der Pionierarbeit der US-Plattform Kickstarter.com<br />
in der Öffentlichkeit besonders stark wahrgenommen.<br />
Crowdinvesting als Investment 2.0?<br />
Warum die Akzeptanz für Crowdinvesting auch hierzulande<br />
zunimmt, ist auf einen Mix an Alleinstellungsmerkmalen zurückzuführen,<br />
die im Vergleich zu konventionellen Kapitalmarktinstrumenten<br />
und in der richtigen Konfiguration sowohl<br />
dem Investor als auch dem Kapitalnehmer Vorteile bieten<br />
können: Kapitalnehmer haben im Rahmen von Crowdinvesting-Projekten<br />
die Möglichkeit, ihre Kapitalbeschaffung<br />
abseits von traditionellen Banken- und Kapitalmarktwegen<br />
zu diversifizieren und durch eine Vielzahl kleinerer Individual-Investments<br />
sowohl eine langfristige als auch direkte<br />
Kundenbindung zu erzielen. Beispielsweise ist es Getränkeproduzenten<br />
ohne Direkt-Vertrieb bislang schwergefallen,<br />
direkt mit ihren Endkunden in Kontakt zu treten. Zusätzlich<br />
werden Crowdinvesting-Projekte üblicherweise durch eine<br />
öffentliche Marketing-Kampagne unterstützt, was in einem<br />
zusätzlichen Werbeeffekt resultiert.<br />
Auf Investorenseite bestehen die Alleinstellungsmerkmale<br />
von Crowdinvestments einerseits aus einer vergleichsweise<br />
attraktiven Rendite und der Möglichkeit, sich am Erfolg von<br />
vertrauten, oftmals regionalen Unternehmen oder aber auch<br />
an jungen, innovativen Projekten unmittelbar zu beteiligen.<br />
Insbesondere der letzte psychologische Aspekt sollte langfristig<br />
nicht unterschätzt werden, da es üblicherweise eines<br />
der Hauptprobleme der konventionellen Finanzbranche ist,<br />
immaterielle Investments verständlich und greifbar zu vermitteln<br />
oder gar eine gewisse unternehmerische Freude<br />
beim Endinvestor auszulösen.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 59<br />
Informationsasymmetrien dürfen nicht missbraucht<br />
werden<br />
Crowdinvesting-Plattformen nehmen in der noch jungen Geschichte<br />
dieses Sektors eine essentielle Rolle ein, da sie als<br />
Scharnier zwischen Kapitalnehmer und Investor sowie als<br />
Sprachrohr der Branche fungieren. Bei zahlreichen Plattformen<br />
kann eine starke Fokussierung auf ex-ante-Vergütungen<br />
identifiziert werden. Plattformbetreiber erhalten ihre<br />
Vermittlungsprovision also oftmals direkt nach erfolgreicher<br />
Platzierung des versprochenen Finanzierungsziels und somit<br />
unabhängig davon, ob das Kapital nach Laufzeitende an den<br />
Investor zurückzahlt wird. Auch wenn bislang keine betrügerischen<br />
Absichten am Markt beobachtet werden konnten<br />
und stärkere regulatorische sowie Transparenzmaßnahmen<br />
immer effektiver dagegenwirken sollten, erinnern viele Vergütungskonzepte<br />
an ein Originate-to-Distribute-Geschäftsmodell,<br />
das bei missbräuchlicher Anwendung der gesamten<br />
Branche einen hohen Image-Schaden zufügen könnte.<br />
Aus diesem Grund ist es für die gesamte Crowdinvesting-<br />
Branche essentiell, potenzielle schwarze Schafe bereits<br />
frühzeitig durch einen immer stärkeren Fokus auf Transparenz<br />
zu entlarven. Sowohl einige der großen, etablierten<br />
Plattformen als auch spezialisierte Boutique-Plattformen,<br />
die immer öfter im Bereich des Immobilien-Crowdinvestings<br />
anzutreffen sind, gehen hier mit nachvollziehbaren Gutachten<br />
und konsequenter Öffentlichkeitsarbeit mit gutem<br />
Beispiel voran. Crowdcircus möchte diesen Prozess durch<br />
Vergleichsfunktionen und zukünftige Zertifizierungen nochmals<br />
beschleunigen und lädt auch andere Branchenmitglieder<br />
sowie öffentliche Einrichtungen dazu ein, sich an dieser<br />
Entwicklung zu beteiligen.<br />
Autor<br />
Sebastian Scholda ist Geschäftsführer und Gesellschafter der<br />
Crowdcircus GmbH, Betreiberin des in Baden bei Wien<br />
ansässigen Crowdinvesting- und Crowdfunding-<br />
Vergleichsportals CrowdCircus.com.<br />
Fazit<br />
Aus Sicht des Kapitalnehmers und des Investors<br />
existieren gute Gründe dafür, Crowdinvesting als<br />
Finanzierungsalternative stärker in Betracht zu ziehen.<br />
Allerdings gibt es in diesem Segment etliche<br />
ungeklärte Fragen und Informationsasymmetrien,<br />
denen mit Transparenz begegnet werden sollte.
60<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Crowdinvestment:<br />
Nachhaltigkeit und<br />
Anlegerschutz<br />
Über Crowdinvesting wird die private Geldanlage in Immobilien einfach, transparent und<br />
rentabel. Ein gutes Rendite-Risiko-Profil der ausgewählten Projekte ist dabei wesentlich,<br />
um Investoren langfristig zu überzeugen.<br />
Die Mehrheit der Deutschen steht Crowdfunding-Vorhaben<br />
kritisch gegenüber, das belegt eine Studie des Instituts für<br />
Demoskopie Allensbach aus dem Januar <strong>2017</strong>. Rund 60 Prozent<br />
der Befragten können sich demnach nicht vorstellen, via<br />
Crowdfunding zu investieren. Sie misstrauen den Schwarmfinanzierungs-Plattformen<br />
und zweifeln an deren Seriosität.<br />
Das heißt im Umkehrschluss, dass rund 40 Prozent der Befragten<br />
das Crowdfunding als geeignetes Mittel zur Vermögensanlage<br />
sehen – in Zeiten veränderter Märkte, der Niedrigzinspolitik<br />
und der Krise der Lebensversicherung eine gute<br />
Wahl. Denn Immobilien bieten grundsätzlich die notwendige<br />
Sicherheit für die private Geldanlage, doch waren die bisherigen<br />
Möglichkeiten für Anleger, über Fonds in Immobilien<br />
zu investieren, schwer zugänglich, intransparent und mit hohen<br />
Renditerisiken behaftet. Beim Crowdinvestment ist dies<br />
anders. Auf der Plattform ReaCapital finanzieren viele Privatanleger<br />
im Schwarm mit geringeren Summen Immobilienprojekte.<br />
In das Immobilienprojekt „Kardinal-Wendel-Gärten”<br />
im saarländischen Homburg konnten Privatanleger bereits<br />
ab 250 € investieren und erhielten dafür 5,5 Prozent Zinsen<br />
pro Jahr bei einer Laufzeit von 18 Monaten. Um Investoren<br />
nachhaltig von ausgewählten Immobilienprojekten und der<br />
jeweiligen Anlagestrategie zu überzeugen, bietet ReaCapital<br />
einen im deutschen Immobilien-Crowdfunding-Markt einzigartigen<br />
Schutz.<br />
Erstrangige Grundschuld erhöht Anlegerschutz<br />
Indem allen Investoren eine erstrangige Grundschuld auf<br />
eine Bestandsimmobilie der Unternehmensgruppe zur
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 61<br />
Verfügung gestellt wird, wird der Schutz für die Anleger<br />
erhöht. Als Konzernunternehmen der Reafina-Gruppe<br />
greift ReaCapital auf eine gebündelte Immobilienexpertise<br />
zurück und profitiert von den Erfahrungen aus zahlreichen<br />
erfolgreich umgesetzten Immobilienprojekten der gesamten<br />
Unternehmensgruppe. In der Regel identifizieren<br />
Crowdinvesting-Plattformen geeignete Immobilienprojekte<br />
für Privatinvestoren nach einer genauen Prüfliste. So prüfen<br />
bei ReaCapital das Asset Management und das hauseigene<br />
Ingenieurbüro die möglichen Anlageprojekte auf<br />
Herz und Nieren. Nur die überzeugenden Projekte werden<br />
schließlich auf der Plattform ReaCapital bekanntgegeben<br />
und vorgestellt.<br />
Für jedes angebotene Projekt wird den Investoren eine<br />
Realsicherheit zur Verfügung gestellt: Für die Privatanleger<br />
wird treuhänderisch eine erstrangige Grundschuld an einer<br />
Bestandsimmobilie der Reafina-Gruppe eingetragen. Dieses<br />
Angebot gilt für alle auf der Plattform angebotenen Projekte<br />
und wird zusätzlich zu den herkömmlichen Sicherungen<br />
der jeweiligen Projekte zur Verfügung gestellt. Während der<br />
kurzen Kapitalsammelphase werden die investierten Gelder<br />
der Anleger auf ein Konto eines zertifizierten Zahlungsdienstleisters<br />
eingezahlt. Sobald der Zielbetrag des Immobilien-Crowdprojekts<br />
erreicht wird und alle zuvor festgelegten<br />
Auszahlungskriterien erfüllt sind, weist ein eingesetzter<br />
Treuhänder die Auszahlung des Kapitals an den Darlehensnehmer<br />
an.<br />
Plattformen geboten. Für Privatinvestoren ist das durchaus<br />
problematisch, denn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht<br />
(BaFin) hat dieses Sicherheitsmodell für<br />
nicht zulässig erklärt, weil die Darlehen damit als Einlagengeschäft<br />
bewertet würden. Liegt dafür, wie in der Praxis<br />
üblich, keine gesonderte Erlaubnis vor, kann dies zu strafrechtlichen<br />
Konsequenzen führen, vor allem für Projektentwickler.<br />
Für Privatanleger sind diese Sachverhalte oft<br />
zu komplex, weshalb es ihnen schwerfällt, die Übersicht<br />
zu behalten und sie möglicherweise deshalb darauf verzichten,<br />
über Crowdfunding-Plattformen in Immobilien zu<br />
investieren. Anlegerschutz muss oberstes Ziel sein. Durch<br />
die erstrangige Grundschuld wird das Risiko bei den über<br />
ReaCapital finanzierten Immobilienprojekten deutlich verringert<br />
– gänzlich ausgeschlossen werden, kann es dennoch<br />
nicht.<br />
Auch Banken setzen auf Crowdinvesting<br />
Im Hinblick auf die Kooperation zwischen Banken und<br />
Crowdfunding-Plattformen zeichnet sich mehr und mehr<br />
eine Annäherung ab: In den vergangenen Monaten ist ein<br />
wachsendes Interesse von deutschen Kreditinstituten an<br />
Kooperationen mit FinTechs oder Crowdfunding-Plattformen<br />
zu konstatieren.<br />
Allerdings sind die Entscheidungsprozesse und -wege in<br />
Großbanken oft recht langwierig, sodass innovative Ideen<br />
nicht selten nach Monaten versanden.<br />
Viele Sicherungsmethoden am Markt sind nicht erlaubt<br />
In der Regel werden Crowd-Investitionen in Immobilien im<br />
deutschen Markt noch immer via Nachrangdarlehen vergeben.<br />
Leider wird diese Anlageform vom Gesetzgeber<br />
klar privilegiert – obwohl sie ein erhebliches Risiko für den<br />
privaten Anleger birgt: Denn die Crowd wird erst dann bedient,<br />
wenn die nicht-nachrangigen Kapitalgeber, wie etwa<br />
Banken, ausgezahlt worden sind. Um dieses Wagnis zu minimieren,<br />
gibt es einige Sicherungsinstrumente am Markt,<br />
die jedoch nicht immer halten, was sie versprechen und<br />
teilweise sogar unzulässig sind. Denn der Nachrangigkeit<br />
des Anlegergeldes darf nichts entgegenstehen, folglich<br />
darf und kann darüber hinaus keine unbedingte Absicherung<br />
garantiert werden. Sicherheiten, wie Bürgschaften der<br />
Gesellschafter oder Geschäftsführer der Immobiliengesellschaft,<br />
sind daher aufsichtsrechtlich nicht erlaubt.<br />
Bei Crowdinvestment-Plattformen in Deutschland finden<br />
sich verschiedene Sicherungsinstrumente: Weit verbreitet<br />
ist die Privatbürgschaft durch Geschäftsführer bzw. Gesellschafter<br />
der Darlehensnehmerin. Bis Mai <strong>2017</strong> wurde<br />
diese Form der Absicherung bei 27 Projekten auf zwei<br />
Autor<br />
Lasse Kammer ist Geschäftsführer der ReaCapital.<br />
Fazit<br />
Durch Kooperationen mit Banken oder anderen<br />
Crowdinvestment-Plattformen kann neues Potenzial<br />
für Projektentwickler und Investoren geschaffen<br />
werden. Ein besonderes Gewicht wird auf den<br />
Schutz der Investoren und die Finanzierung von sozial-ökologischen<br />
Projekten gelegt, wie beispielsweise<br />
KiTAs oder besonders energieeffiziente<br />
Immobilien. Damit werden nachhaltig orientierten<br />
Privatanlegern ein hohes Maß an Anlegerschutz<br />
sowie nachhaltig orientierte Immobilienprojekte<br />
geboten.
62<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Smart Data im<br />
Risikomanagement<br />
Die Digitalisierung bietet so viele Möglichkeiten, vor allem aber die Chance,<br />
aus einer Vielzahl an Daten wertvolle Informationen zu gewinnen. Dies funktioniert<br />
auch bei der Minimierung von Fraud- und Bonitätsrisiken.<br />
Die Digitalisierung der Finanzindustrie muss häufig als Bedrohungsszenario<br />
für etablierte Banken herhalten: Die schwerfälligen<br />
Kreditinstitute mit ihren alten IT-Systemen müssen<br />
aufpassen, dass ihnen die innovationsstarken FinTechs nicht<br />
die Geschäftsgrundlage abgraben. So oder ähnlich lauten viele<br />
Aussagen im Finanzumfeld. Doch Digitalisierung bedeutet<br />
etwas ganz anderes: Mithilfe von Algorithmen und Codes<br />
lässt sich ein Schatz heben, der viel mehr Wert hat, als die<br />
Schwarz-Weiß-Malerei von Angreifern (FinTechs) und Establishment<br />
(Banken). Gemeint ist der gewaltige Berg an Daten,<br />
der in unserem Zeitalter entsteht. Denn längst reichen<br />
vorstellbare Bezeichnungen für Volumen bei den existierenden<br />
gewaltigen Datenmengen nicht mehr aus. Will man Forschern<br />
glauben, wird die weltweite Menge an Daten, die sich<br />
übrigens alle zwei Jahre verdoppelt, im Jahr 2<strong>02</strong>0 bei etwa<br />
40 Zettabyte liegen. Nur zum Vergleich: 40 Zettabyte entsprechen<br />
etwa 57 Mal der Anzahl an Sandkörnern aller Strände<br />
auf dem Globus.<br />
Während Big Data für den quantitativen Ansatz steht, also<br />
die Vielzahl von Daten, ist Smart Data die intelligente Verknüpfung<br />
mehrerer Datenpunkte. Mit der automatisierten<br />
Kontextualisierung von speziellen Merkmalen und Zusammenhängen<br />
lassen sich bereits heute treffsichere Aussagen<br />
beispielsweise zur Bonität treffen, aber auch präzise Vorhersagen<br />
über zukünftige Einnahmen und Geschäftsentwicklungen<br />
sind möglich.<br />
Was tun mit „Big Data“? Lasst uns „Smart Data“ daraus<br />
machen!<br />
Die Frage, die sich aufdrängt, lautet: Was passiert mit dem<br />
Datenberg? Vielfach ist hierauf noch keine Antwort gefunden<br />
worden. In vergleichsweise jungen Disziplinen wie dem<br />
E-Commerce werden große Datenmengen ausgewertet<br />
und damit beispielsweise Preise automatisiert an das Konsumverhalten<br />
von Online-Shoppern angepasst. Doch in der<br />
Kreditwirtschaft ist der Mehrwert, den Banken gemeinsam<br />
mit FinTechs erzielen können, keineswegs geringer: Die Institute<br />
verfügen über den Zugang zum Kunden bzw. zu Millionen<br />
von Daten, und FinTechs besitzen die Innovationskraft<br />
und die technischen Möglichkeiten, diese Daten sinnvoll zu<br />
nutzen. Genau hier wird aus „Big Data“ dann „Smart Data“.<br />
Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker<br />
Rudolf Dirk hat seit 2001 mehrere<br />
Unternehmen gegründet und war bis<br />
2014 Chief Information Officer (CIO)<br />
der Sofort AG. Im April gründete er die<br />
FinTecSystems GmbH.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 63<br />
Das Gehaltskonto: Basis für <strong>digital</strong>e Bonitätsprüfung<br />
und neue Mehrwertdienste<br />
Bei dem Smart-Data-Ansatz steht das Gehaltskonto im Mittelpunkt.<br />
Denn nichts ist besser geeignet zur Echtzeit-Bonitätsbewertung<br />
als das eigene Gehaltskonto, auf dem Zahlungen<br />
ein- und ausgehen, Daueraufträge eingerichtet sind<br />
und laufende Verpflichtungen (z. B. Unterhaltszahlungen etc.)<br />
erkennbar werden. Die intelligente Verknüpfung der Kontodaten<br />
lässt nun u. a. folgende Fragestellungen zu: Lebt der<br />
Konsument über bzw. unter seinen Verhältnissen? Ist der<br />
Antragssteller aufgrund seines Sparpotenzials sogar in der<br />
Lage, höhere Raten zu bezahlen oder einen höheren Kredit<br />
abzuschließen? Mit einer Kontextualisierung von Informationen<br />
aus dem Online Banking können Banken also einerseits<br />
ihr Angebot um neue Services erweitern und andererseits<br />
ihr Betrugsrisiko reduzieren. Ohne eine Bonitätsprüfung in<br />
Echtzeit wären Ad hoc-Online-Kredite wie von Smava, Cashpresso<br />
oder N26 nicht möglich. Laut Bankenfachverband<br />
(Bfach) haben Kreditbanken 2016 mehr als 7 Mrd. € an die<br />
Verbraucher „online“ verliehen – ein Zuwachs von knapp<br />
23 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Diese Entwicklung wird<br />
u. a. durch neue Services wie das VideoIdent-Verfahren und<br />
die <strong>digital</strong>e Bonitätsprüfung beschleunigt. Kernelemente der<br />
<strong>digital</strong>en Bonitätsprüfung sind der Kontozugang (XS2A), die<br />
Kategorisierung von Umsatzdaten sowie die Veredelung der<br />
Daten mit Risikomerkmalen. Die Kategorisierung ist dabei<br />
vor allem für Banken, Zahlungsabwickler und FinTechs interessant:<br />
Neben einem Online-Sofort-Kredit lassen sich mit<br />
der <strong>digital</strong>en Bonitätsprüfung weitere innovative Dienste wie<br />
etwa Zahlungsabsicherung, Personal Finance Management<br />
(PFM) und Multibanking-Funktionalität, Forderungsmanagement,<br />
Umschuldung bzw. Kreditablösung ableiten.<br />
Rückgang von Rücklastschriften durch Kategorisierung<br />
und Veredelung<br />
Die Veredelung der Daten mit Risiko-Merkmalen, der XS2A<br />
oder die Kategorisierung sind auch für Risikomanager in<br />
Banken interessant, denn damit lassen sich Fraud-Risiken<br />
reduzieren: Über eine Cashflow-Analyse lässt sich hieraus<br />
der beste Zeitpunkt für den Einzug der Kreditraten ableiten<br />
– die Gefahr von Rücklastschriften durch eine Kontounterdeckung<br />
wird dadurch erheblich minimiert. Ferner lässt sich<br />
hierüber einschätzen, inwieweit der Kreditnehmer in der<br />
Lage ist, die zukünftigen Kreditraten zurückzuzahlen. Die<br />
Plausibilisierung von Arbeitgeber und Gehalt, die Validierung<br />
von Transferzahlungen (Überweisungen zwischen zwei eigenen<br />
Konten) bis hin zur vollständigen Kategorisierung von<br />
bestehenden Verträgen (z. B. Leasing, Versicherungen, Handy<br />
usw.) ist über eine Analyse im Online Banking möglich.<br />
Dies zeichnet ein komplettes Bild über die Finanzsituation<br />
des Antragsstellers.<br />
Autor<br />
Dirk Rudolf, Geschäftsführer und Gründer<br />
FinTecSystems GmbH.<br />
Fazit<br />
Auf Basis eines <strong>digital</strong>en Kontoblicks, der durch die<br />
europäische Zahlungsrichtlinie PSD2 auch rechtlich<br />
eingebettet wird, können zusätzliche Informationen<br />
mit Relevanz für die Compliance und das<br />
Risikomanagement generiert werden.<br />
Innovative und technologische Unternehmen<br />
können als Enabler Banken und andere Finanzunternehmen<br />
mit ihren präzisen Analysen beim<br />
<strong>digital</strong>en Wandel unterstützen. Vor allem die europäische<br />
FinTech-Industrie gehört zu den wenigen<br />
Bereichen, in denen die Europäer dem Silicon<br />
Valley mindestens ebenbürtig sind – es wäre zu<br />
wünschen, dass dies so bleibt.
64<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Sofortkredit<br />
per App<br />
Ein Großteil der Bankgeschäfte wird mittlerweile online und zunehmend mobil abgewickelt.<br />
Auch die Kreditaufnahme der Privathaushalte verlagert sich. Je einfacher, schneller und<br />
bequemer ein Angebot, desto stärker spricht es die Zielgruppe der Millennials an.<br />
Aber nicht nur im B2C-Bereich ist die Kreditsofortvergabe erfolgreich: Auch E-Commerce-<br />
Firmen und Banken greifen auf Co-Branding-Lösungen zurück.<br />
Konsumenten informieren sich vor Kreditabschluss immer<br />
häufiger online, vergleichen Konditionen und schließen den<br />
Kredit dann auch online bzw. mobil ab. Auf einem Kreditvergleichsportal<br />
wurden 2016 bereits über 40 Prozent der Kredite<br />
mobil via Smartphone oder Tablet beantragt. Kreditnehmer<br />
wünschen sich heute einen unkomplizierten, <strong>digital</strong>en<br />
und vor allem schnellen Antragsprozess.<br />
Das FinTech Cashpresso vermittelt Rahmenkredite, die der<br />
Kunde komplett online am Computer oder per App, medienbruchfrei,<br />
voll automatisiert und innerhalb von zehn Minuten<br />
abschließen kann. Das Geschäftsmodell beruht darauf, dem<br />
Kreditnehmer die höchstmögliche Convenience zu bieten,<br />
die zum aktuellen Zeitpunkt erreichbar ist. Dafür wird die<br />
im Online Banking bereits etablierte Bequemlichkeit auf die<br />
Kreditvergabe übertragen. Der Antragsprozess ist schnell<br />
und die Handhabung der App bzw. des Online-Kontos möglichst<br />
intuitiv.<br />
Angeboten wird ein Verfügungsrahmen von 1.500 €. Cashpresso<br />
ist Vermittler der Kredite und Inhaber der Kreditplattform.<br />
Die Deutsche Handelsbank steht im Hintergrund und<br />
fungiert als Kreditgeber und -finanzierer. Neben dem Vertrieb<br />
der Kredite verantwortet Cashpresso die technische<br />
Abwicklung, die Kundenanbindung inklusive Bonitätsprüfung,<br />
den Kundenservice, das Controlling und das Forderungsmanagement.<br />
Die Deutsche Handelsbank ist für die<br />
Abwicklung des Zahlungsverkehrs und die Prüfung des Risikomodells<br />
zuständig.<br />
Für ausbezahlte Beträge wird ein effektiver Jahreszins fällig.<br />
Dabei ist alles inklusive, es fallen keinerlei weitere Gebühren<br />
an. Kontoführung, Ratenanpassungen, Mahnungen<br />
und Rücklastschriften sind gebührenfrei. Zudem wird ein<br />
zinsfreier Zeitraum angeboten, in dem Kunden den Kredit<br />
völlig kostenfrei nutzen können. Die Raten können flexibel<br />
angepasst werden, solange sie fünf Prozent des Kreditbetrags<br />
bzw. eine Untergrenze von 20 € nicht unterschreiten.<br />
Im Online-Portal oder in der App sind für Kunden jederzeit<br />
der in Anspruch genommene Kreditrahmen und die darauf<br />
nominell anfallenden Zinsen bei gegebener Rate ersichtlich.<br />
Die Raten sind variierbar.<br />
Funktionsweise des Cashpresso-Kredits<br />
Der Antragsprozess via App und Online-Portal ist identisch<br />
und in weniger als zehn Minuten abzuschließen. Kunden<br />
laden die App aus dem jeweiligen Store oder steuern die<br />
Webseite an. Als erstes geben sie ihre E-Mail-Adresse an<br />
und bestätigen diese. Im nächsten Schritt folgt die Angabe<br />
persönlicher Daten wie Name, Geburtsdatum und Adresse.<br />
Anhand dieser Angaben folgt der Bonitätscheck bei Auskunfteien<br />
wie der Schufa. Fällt die Prüfung positiv aus, ist das<br />
Cashpresso-Konto eröffnet. Danach wird die Telefonnummer<br />
angegeben, ein Passwort gewählt und ein Referenzkonto<br />
für die Aus- und Rückzahlungen angegeben – ein IBAN-<br />
Scanner vereinfacht den Prozess. In manchen Fällen wird<br />
zusätzlich zur Prüfung der Auskunfteien das Referenzkonto<br />
analysiert. Hier wird auf den Access-To-Account-Service von<br />
FinTecSystems aus München zurückgegriffen. Auf Grundlage<br />
der durch den Kontoblick gewonnenen Information wird<br />
die finale Kreditentscheidung getroffen.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 65<br />
Jörg Skornschek, Daniel Strieder und<br />
Michael Handler (v. l. n. r.) – Gründer von Cashpresso.<br />
Ist die Kreditentscheidung positiv, werden Kunden direkt<br />
zur Videoauthentifizierung weitergeleitet. Dort werden sie<br />
aufgefordert, den Personalausweis oder Reisepass vor die<br />
Webcam bzw. die Smartphone-Kamera zu halten. Die Prüfung<br />
wird durch die Eingabe einer via SMS zugesandten TAN<br />
abgeschlossen. Im Anschluss unterzeichnet der Kunde den<br />
Rahmenkreditvertrag mittels qualifizierter elektronischer Signatur<br />
und kann über den Kreditrahmen verfügen und Geld an<br />
jedes beliebige Konto im SEPA-Zahlungsraum überweisen.<br />
Kunden- und Zielgruppen<br />
36 Prozent der Online-Banker nutzten ihr Smartphone für<br />
Bankgeschäfte. In der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen<br />
waren es 42 Prozent, unter den 30- bis 49-Jährigen 38 Prozent.<br />
Jeder dritte Mobile-Banking-Nutzer verwendet eine<br />
App. Cashpresso spricht diese onlineaffine Zielgruppe an.<br />
Der Fokus der Ansprache liegt auf Studenten, jungen Selbstständigen<br />
und Online-Shoppern, die Produkte im Internet<br />
erwerben und auch dort direkt finanzieren wollen.<br />
Diese Zielgruppendefinition spiegelt sich auch in den reellen<br />
Nutzerzahlen wider. Bereits 50 Prozent der Cashpresso-Kunden<br />
schließen den Kredit über die Smartphone-App ab. Mit<br />
der im Smartphone integrierten Kamera lässt sich die Videoidentifizierung<br />
besonders einfach durchführen. Der typische<br />
Kunde ist ein Millennial, also zwischen 1980 und 2000 geboren,<br />
männlich und wird über Online-Marketing-Maßnahmen<br />
auf das Angebot aufmerksam. Über die Hälfte der Kunden<br />
(54 Prozent) ist unter 30 Jahren alt. 22 Prozent liegen im<br />
Alterskorridor von 31 bis 40 Jahren, 14 Prozent zwischen 41<br />
und 50 Jahren. 10 Prozent der Kunden sind über 50. 60 Prozent<br />
der Kreditnehmer sind Männer.<br />
Der Kredit ist nicht zweckgebunden. Die angegebenen<br />
Verwendungszwecke bei der Überweisung auf das Referenzkonto<br />
deuten, der Häufigkeit nach geordnet, auf die<br />
Überbrückung finanzieller Engpässe, die Finanzierung von<br />
Möbeln, Autoreparaturen, Urlaub und den Kauf von Elektronik,<br />
wie Smartphones oder Laptops, hin. Ein wachsender<br />
Anteil der Kunden kommt über Webshops, auf denen das<br />
Kreditangebot direkt im Einkaufsprozess als Zahlungs- bzw.<br />
Finanzierungsmittel angeboten wird.<br />
Ziel ist der Ausbau der Marke zur persönlichen E-Commerce-Wallet<br />
für den Internetnutzer und Online-Shopper. Das<br />
zweite Geschäftsfeld im Kontext der Geschäftsausweitung<br />
sind Bankenkooperationen. Noch im Jahr <strong>2017</strong> soll die erste<br />
Co-Branding-Lösung für einen <strong>digital</strong>en Sofortkredit mit einer<br />
deutschen Bank an den Markt gehen.<br />
Autor<br />
Daniel Strieder ist Mitgründer und CEO von Cashpresso.<br />
Fazit<br />
Mobile Banking wird die klassische Bankfiliale als<br />
Vertriebsweg perspektivisch ablösen. Das Vertrauen<br />
in die Hausbank ist zwar nach wie vor hoch<br />
– Kunden informieren sich jedoch immer mehr<br />
im Netz. Um als Bank hier weiterhin kompetitiv<br />
zu sein, muss man nicht nur der jungen Zielgruppe<br />
einen klaren Mehrwert bieten, sei es in der<br />
persönlichen Beratung oder durch das Angebot<br />
verbesserter <strong>digital</strong>er Services. Der unkomplizierte<br />
Sofortkredit ist hier ein wichtiger Baustein beim<br />
Andocken der nächsten Generation an eine Bank.
66<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Digitale Geschäftsmodelle<br />
in der<br />
Cloud<br />
Banken stehen vor der Herausforderung, die eigenen Kundenbeziehungen und -kanäle<br />
auszubauen, die Beratungsqualität zu verbessern und gleichzeitig Prozesse zu optimieren<br />
und Kosten zu sparen. Sie müssen Mitarbeitern mobiles und vernetztes Arbeiten<br />
ermöglichen und dabei höchsten Anforderungen an die Datensicherheit genügen.<br />
Die Basis dafür sind intelligente Cloud-Infrastrukturen.<br />
Zu den allseits bekannten Herausforderungen für die deutschen<br />
Banken zählen neben der Niedrigzinspolitik der EZB<br />
steigende regulatorische Anforderungen sowie – vor allem<br />
im Zahlungsverkehr – branchenfremde Konkurrenten. Neobanken<br />
ohne eigenes Filialnetz drängen in den Markt, und<br />
<strong>digital</strong>e Newcomer setzen neue Maßstäbe mit schlanken<br />
Mobile-Banking-Angeboten. Der Erfolg von Spezialisten und<br />
FinTechs bedroht das Geschäft der klassischen Universalbanken.<br />
Angesichts des Vordringens <strong>digital</strong>er Plattformen<br />
müssen sich die Kreditinstitute fragen, wie sie die eigenen<br />
Kundenbeziehungen und -kanäle ausbauen und gleichzeitig<br />
Prozesse optimieren und Kosten sparen können.<br />
Für die Mehrheit der Banken ist die weitere Verbesserung<br />
der Beratungsqualität derzeit eine zentrale Aufgabe. Gleichzeitig<br />
müssen sie neue Kundenerwartungen mit höchsten<br />
Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit in<br />
Einklang bringen. Die Verknüpfung aller Kanäle zu durchgängigen<br />
Prozessen und ein exzellentes IT-gestütztes<br />
Kundenmanagement werden dabei zu entscheidenden Erfolgsfaktoren.<br />
Denn der voll vernetzte Verbraucher erwartet<br />
nicht nur <strong>digital</strong>isierte Prozesse, sondern vor allem auch ein<br />
nahtloses <strong>digital</strong>es Kundenerlebnis über alle Kanäle hinweg.<br />
Betrachtet man all die Anwendungen, die heute auf einem<br />
Smartphone laufen, ist das fast schon antiquiert. Die Welt<br />
ist inzwischen solchermaßen von Computern durchdrungen,<br />
dass die Frage akut wird, wie die Mensch-Maschine-Interaktion<br />
einfacher und intuitiver gestaltet werden kann. An dieser<br />
Stelle wird das Thema Sprache zum wichtigen Treiber.<br />
Kundenbedürfnisse präzise vorhersagen<br />
Digitale Assistenten sind auch für Banken ein wichtiges<br />
Thema, weil sich mit ihnen der Kundenservice deutlich<br />
verbessern lässt. Smarte Chatbots und virtuelle Agenten<br />
ermöglichen einen Rund-um-die-Uhr-Service und schaffen<br />
gleichzeitig neue Freiräume für Mitarbeiter.<br />
Bots können heute längst nicht nur simple Standardfragen<br />
beantworten. Sie durchkämmen zum Beispiel<br />
selbstständig interne und externe Quellen nach relevanten<br />
Informationen und unterstützen Banken<br />
dabei, einen 360-Grad-Blick auf ihren Kunden zu<br />
entwickeln. Mithilfe der intelligenten Verknüpfung<br />
von internen Finanz- und Kundendaten<br />
und Erkenntnissen aus Social Media und dem<br />
Nutzerverhalten im <strong>digital</strong>en Raum lassen<br />
sich Kundenbedürfnisse präzise vorhersagen<br />
und entsprechende Angebote sowie<br />
passgenaue Empfehlungen ableiten.<br />
Die Einbindung von sogenannten Robo<br />
Advisern in der Vermögensberatung kann<br />
gerade auch für kleinere Banken eine<br />
deutliche Entlastung und gleichzeitig einen<br />
echten Qualitätssprung bedeuten.
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 67<br />
Banken können Kunden aber auch einen persönlichen Finanz-<br />
Assistenten zur Seite stellen, der dessen Zahlungsziele,<br />
Liquidität und künftige Verpflichtungen genau kennt und<br />
ihn zum Beispiel an Termingeschäfte erinnert, ihn über Zahlungseingänge<br />
informiert oder Überweisungen erledigt.<br />
Die <strong>digital</strong>e Transformation verändert aber nicht nur die Interaktion<br />
mit den Kunden, sondern auch die Arbeitswelt<br />
massiv. Angesichts von steigender Komplexität und erhöhter<br />
Geschwindigkeit in der <strong>digital</strong>en Welt müssen Unternehmen<br />
schneller und beweglicher werden. Teamarbeit wird immer<br />
wichtiger, auch wenn Teamkonstellationen häufiger wechseln<br />
und Teams oft nur noch virtuell zusammenarbeiten.<br />
Gleichzeitig wünschen sich vor allem jüngere Mitarbeiter,<br />
flexibler und selbstbestimmter zu arbeiten. Darauf müssen<br />
sich Arbeitgeber einstellen und neue Formen der vernetz-<br />
ten Zusammenarbeit ermöglichen – indem sie die richtigen<br />
Rahmenbedingungen schaffen, Mitarbeitern geeignete<br />
Collaboration-Tools zur Verfügung stellen und den ortsunabhängigen<br />
Zugriff auf sämtliche Informationen<br />
ermöglichen.<br />
Intelligente Cloud-Infrastrukturen<br />
In Zukunft werden uns Maschinen dabei helfen, produktiver<br />
zusammenzuarbeiten, effizienter zu werden und<br />
bessere Entscheidungen zu treffen. Die Basis dafür sind<br />
intelligente Cloud-Infrastrukturen. Denn ohne die Skalierbarkeit<br />
und Verfügbarkeit von Rechenleistung aus der Cloud lassen<br />
sich weder neue Formen der vernetzten Wissensarbeit<br />
realisieren, noch <strong>digital</strong>e Geschäftsmodelle umsetzen oder<br />
die riesigen, in den Instituten verfügbaren Datenmengen<br />
sinnvoll nutzen – zum Beispiel bei der Berechnung von Risikomodellen.<br />
Bisher musste hier oft auf Modellvarianten verzichtet<br />
werden, um Ergebnisse in sinnvoller Zeit zu erzielen.<br />
In der Cloud lassen sich die bestehenden Modelle günstiger<br />
und schneller berechnen, beziehungsweise bei gleichem<br />
Zeit- und Budgetaufwand die Qualität deutlich steigern.<br />
Letztlich ist Cloud Computing die Basis aller <strong>digital</strong>en Zukunftskonzepte,<br />
und diese Erkenntnis setzt sich auch in der<br />
Finanzbranche zunehmend durch. Laut Sopra Sterias „Bran-<br />
chenkompass Banking <strong>2017</strong>“ nutzen aktuell 59 Prozent der<br />
Institute private beziehungsweise hybride Cloud-Lösungen,<br />
19 Prozent beziehen Services aus einer Public<br />
Cloud. Bei weiteren 21 Prozent ist die Nutzung<br />
öffentlicher Clouds in Planung.<br />
Das ist kein Zufall. Schließlich haben<br />
führende Cloud-Anbieter ihr Angebot<br />
deutlich ausgeweitet und an die spezifischen<br />
Bedürfnisse unterschiedlichster<br />
Branchen angepasst. Damit<br />
können jetzt auch die umfangreichen Anforderungen an Datenschutz,<br />
Risikomanagement und Service-Level im Finanzsektor<br />
erfüllt werden. Auf Kunden aus besonders datensensiblen<br />
Bereichen, die eine lokale Cloud-Lösung bevorzugen,<br />
ist (beispielweise) die Microsoft Cloud Deutschland zugeschnitten.<br />
Dabei werden die Kundendaten ausschließlich in<br />
Deutschland gespeichert und sind vor Herausgabeverlangen<br />
ausländischer Behörden oder richterlichen Anordnungen<br />
zusätzlich durch ein besonderes Datentreuhändermodell<br />
geschützt.<br />
Als Datentreuhänder überwacht und kontrolliert T-Systems<br />
jeden physischen und technischen Zugriff auf die Kundendaten,<br />
mit Ausnahme des Zugriffs durch den Kunden selbst.<br />
Für die lokalen und weltweiten Cloud-Angebote gelten<br />
höchste Sicherheitsstandards. Microsoft beispielsweise investiert<br />
rund 1 Mrd. US-$ jährlich in die physische Sicherheit<br />
seiner Rechenzentren und den umfassenden Schutz von<br />
Kundendaten, Produkten und Services.<br />
Dezentrale Transaktionen nachvollziehbar steuern<br />
Wenn es darauf ankommt, dezentrale Anwendungsfälle<br />
und Transaktionen sicher, transparent und nachvollziehbar<br />
zu steuern, spielt die Blockchain ihre Stärken aus. Bei Banken<br />
finden sich schon jetzt viele innovative Ansätze, neue<br />
Geschäftsmodelle auf Blockchain-Basis zu etablieren. Es gilt<br />
aber häufig schon aus regulatorischen Gründen, bestehende<br />
Prozesse und Systeme zu optimieren und zu integrieren.<br />
Unser Ansatz umfasst daher die Integration einer Vielzahl<br />
von Blockchain-Lösungen in das bestehende Geschäft und<br />
bietet je nach Anforderungen an Sicherheit, Performance,<br />
Monitoring und Regulation verschiedene Optionen. Das<br />
nutzt beispielsweise die Bank of America Merrill Lynch, um<br />
den Standby-Letter-of-Credit-Prozess zu optimieren.<br />
Zur Verfolgung des Ziels, technologische Innovation rund um<br />
maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und Spracherkennung<br />
zu demokratisieren, erhalten Kunden über eine<br />
Schnittstelle Zugang zu diesen Cloud-Infrastrukturen. Die<br />
Interoperabilität der Systeme steht neben der Sicherheit<br />
an oberster Stelle. So werden Ökosysteme aufgebaut, geöffnet<br />
und für andere nutzbar gemacht. Die Anwendungen<br />
sollen auf allen Betriebssystemen verfügbar sein. Denn Vernetzung,<br />
Kooperation und technologische Offenheit gehören<br />
zu den wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg der<br />
Digitalen Transformation.<br />
Autorin<br />
Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung von<br />
Microsoft Deutschland.
68<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Bots in<br />
der Banklehre<br />
Künstliche Intelligenz befindet sich auf dem Weg von der Nischen- zur Massenbewegung.<br />
Vor dem Einsatz müssen viele Roboter allerdings erst noch die Schulbank drücken.<br />
Virtuelle Bankberater benötigen eine ähnliche Ausbildung wie ihre menschlichen<br />
Kollegen, bevor sie qualifizierte Finanzauskünfte geben können.<br />
Branchenübergreifend befasst sich fast<br />
jedes zweite Unternehmen mit KI-Technologien<br />
in verschiedenen Unternehmensbereichen.<br />
Das zeigt die Studie<br />
„Potenzialanalyse Künstliche Intelligenz“<br />
von Sopra Steria Consulting. Finanzdienstleister<br />
sind hier keine Nachzügler.<br />
Banken setzen auf KI-Disziplinen wie Robotic<br />
Process Automation (RPA), Knowledge<br />
Management Software, <strong>digital</strong>e<br />
Assistenten und Predicitive Analytics.<br />
Die Institute sehen den künftigen<br />
Nutzen von künstlicher Intelli-<br />
genz vor allem im Kontakt<br />
mit ihren Kunden. Produkte<br />
sollen individueller, die<br />
Kundenansprache genauer<br />
und das Erlebnis besser<br />
werden.<br />
Aus Bots werden Kundenberater<br />
In Zukunft werden Roboter<br />
somit verstärkt aus der Deckung<br />
des Backoffice<br />
kommen und selbst<br />
mit Kunden interagieren.<br />
Sie unterstützen<br />
heute bereits in Wertpapierfragen<br />
in Form<br />
von Robo Advisory. Die Kunden<br />
nehmen die Maschinen<br />
allerdings noch nicht als Be-<br />
rater-Äquivalent war – noch.<br />
Mit KI-Anwendungen gekoppelt,<br />
werden Systeme kontinuierlich<br />
dazulernen können.<br />
Sie werden aus unstrukturierten<br />
Kundenanfragen per Text<br />
oder Sprache die relevanten<br />
Informationen erkennen und<br />
selbsttätig antworten. Mit<br />
einem Mix aus der KI-Kernkompetenz,<br />
der schnellen Datenanalyse,<br />
und wachsender<br />
sozialer Kompetenz haben<br />
die Maschinen tatsächlich<br />
das Vermögen, sich zu einer<br />
seriösen Ergänzung, in Teilen<br />
sogar zur Alternative, in der<br />
Kundenbetreuung zu entwickeln.<br />
Kompetente Beratung<br />
außerhalb der Filialöffnungszeiten<br />
ist ein Ziel, das viele Banken<br />
im Sinn haben. Zudem hat kein physischer Kundenbe-<br />
treuer jedes Detail der Vertragsbedingungen im Kopf.<br />
Die neuen Assistenten können hier ihre Stärken in<br />
der Informationsverarbeitung ausspielen und quasi in<br />
Echtzeit einen Bedarf erkennen sowie Empfehlungen<br />
aussprechen. 20 Prozent der Institute beschäftigen
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong> 69<br />
sich bereits mit diesem Einsatzgebiet für künstliche Intelligenz.<br />
Damit allerdings aus Bots Berater für Bankkunden<br />
werden, braucht es zwei Dinge: Zunächst muss die Technik<br />
das Gesprochene des Kunden verstehen. Das bedeutet, KI-<br />
Lösungen müssen entschlüsseln, was der Kunde von der<br />
Bank möchte. Darüber hinaus muss ein virtueller Bankberater<br />
so menschlich wie möglich kommunizieren und handeln<br />
können. Beide Voraussetzungen zu erfüllen, ist äußerst<br />
komplex. Und hier zeigt sich, dass sich künstliche Intelligenz<br />
von der menschlichen noch stark unterscheidet: Das<br />
menschliche Gehirn ist immer noch der leistungsfähigste<br />
Supercomputer, den es derzeit gibt. Mit ungefähr zehn Billionen<br />
analogen Operationen pro Sekunde verarbeitet das<br />
Gehirn massiv parallel Informationen. Derzeitige Supercomputer<br />
funktionieren anders: mit sehr viel schnellerem Takt,<br />
dafür aber weniger vernetzt. In der Rechenleistung ist die<br />
derzeitige Computergeneration noch signifikant schwächer<br />
als das Gehirn. Aber die künstliche Intelligenz holt auf: Die<br />
Rechenleistung hat sich seit den 1960er Jahren rasant entwickelt.<br />
Derzeit sind etwa drei Prozent der Leistung des Gehirns<br />
technisch abbildbar. Das rangiert irgendwo zwischen<br />
Regenwurm und Springmaus. Experten erwarten jedoch<br />
um das Jahr 2030 herum eine 100-prozentige Abbildung des<br />
menschlichen Gehirns.<br />
Der Mensch als Maßstab<br />
Die reine Rechenpower reicht heute bereits für die Lösung<br />
komplexer Aufgabenstellungen, beispielsweise die Echtzeitverarbeitung<br />
audiovisueller Signale bei gleichzeitiger Berechnung<br />
komplexer numerischer Simulationen mit vorgegebenen<br />
regelbasierten Rahmenbedingungen. Konkret: ein ganz<br />
normales Beratungsgespräch bei einem Finanzdienstleister.<br />
Das bedeutet allerdings längst nicht, dass die künstlich-intelligenten<br />
Berater durch ihre reine Rechenleistung topqualifiziert<br />
für den Job des Bankberaters sind. Setzt man sich das<br />
ambitionierte Ziel einer virtuellen Bankberatung rund um die<br />
Uhr, an jedem Ort und in einer hochqualitativen Form, dann<br />
gibt es nur einen Maßstab, an dem sich Banken orientieren<br />
sollten: den erfahrenen, erfolgreichen Bankberater aus<br />
Fleisch und Blut. Er ist die Benchmark, wenn es darum geht,<br />
Informationen zu verarbeiten und im Dialog mit dem Kunden<br />
die passende Antwort zu finden: Der virtuelle Bankberater<br />
muss also visuell sehr ähnlich dem Menschen, akustisch angenehm<br />
und gut verständlich sowie inhaltlich klar und deutlich<br />
unterstützt von Informationsgrafiken sein.<br />
Knackpunkt Sprachsteuerung und Affective Computing<br />
In einer der kommenden KI-Ausbaustufen führen Kunde und<br />
Bot ein natürliches Gespräch. Das lässt sich unterstützen,<br />
indem die KI-Lösung die Wahrscheinlichkeit möglicher Dialoge<br />
berechnet. Durch Machine Learning wird das Ergebnis<br />
laufend verbessert. Nachfragen bei Unsicherheit verstärken<br />
den vom Menschen gewohnten Dialog. Denn auch im Gespräch<br />
mit dem Bankberater aus Fleisch und Blut gibt es<br />
Unklarheiten, die durch Rückfragen gelöst werden.<br />
Zu einem echten Kundenversteher werden die künstlich-intelligenten<br />
Bankmitarbeiter erst, wenn sie auch Emotionen<br />
erkennen, interpretieren und daraus die richtigen Schlüsse<br />
ziehen. Emotionen wie Offenheit oder Zurückhaltung lassen<br />
sich etwa aus dem Sprachstil und Satzkonstruktionen ableiten.<br />
Eine phonetische Analyse ermöglicht das Erkennen von<br />
Gefühlen wie Nervosität, Ärger und Angst. Wichtig ist, diese<br />
Informationen in einen Kontext zu anderen Daten wie Geschlecht<br />
und Beruf zu setzen, damit ein 360-Grad-Bild des<br />
Kunden und seiner Situation entsteht. Diese Komponente<br />
sozialer Kompetenz ist selbst für manchen Menschen eine<br />
Herausforderung. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass<br />
sich Lösungsmodule zur Identifikation von Emotionen im<br />
Vergleich zur Spracherkennung und Gesprächsführung in einem<br />
recht frühen Entwicklungsstadium befinden.<br />
Das Azubi-Programm für Watson & Co.<br />
Der menschliche Bankberater durchläuft ein langes Ausbildungsprogramm,<br />
bevor er seine Kunden umfassend beraten<br />
kann. Diese Lehrjahre sollten Banken auch der künstlichen<br />
Intelligenz zugestehen. Sie wird mit Basismethoden<br />
ausgeliefert und muss sich im Anschluss Fachwissen und<br />
Gepflogenheiten aneignen. Auf dem Lehrplan stehen beispielsweise<br />
gesellschaftliches Basiswissen für den Smalltalk,<br />
die Funktionsweise von Bankprodukten, Methoden der<br />
Risikobewertungen und ökonomische Zusammenhänge.<br />
Dieses Wissen bietet derzeit keiner der KI-Plattformanbieter.<br />
Hinzu kommen die spezifischen Angebote eines Finanzdienstleisters,<br />
Verkaufsstrategien, Informationen aus<br />
früheren Kundenkontakten – und schließlich die notwendige<br />
Dokumentation der Beratung und des Transaktionsauftrags,<br />
inklusive Beratungsbögen, Produktanträgen und Ausführungsanweisungen.<br />
Die Anwendung des gelernten Wissens<br />
geschieht beim menschlichen Azubi anfänglich in bewusst<br />
einfachen Kundensituationen, beispielsweise am Serviceschalter<br />
und der Kasse. Schaut man auf die derzeit üblichen<br />
Testeinsatzfelder für KI-Technologie, lässt sich das gleiche<br />
Ausbildungsmuster erkennen. Viele Unternehmen verwenden<br />
Chatbots mit teils beeindruckendem Antwortverhalten<br />
im Kundenservice auf ihren Websites. Auf dieser Grundlage<br />
verbessert der KI-Azubi einzelne Fähigkeiten in komplexen<br />
Kundensituationen. Der Weg zum menschlichen Vorbild<br />
führt über vier Lernstufen (siehe Kasten).
70<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Lehrplan für künstliche Intelligenz<br />
Vier Lernstufen auf dem Weg zum virtuellen Kundenberater:<br />
1. Hidden Support<br />
Der KI-Berater unterstützt den Menschen und ist<br />
für den Kunden nicht wahrnehmbar. Der Berater<br />
erhält Faktenwissen zu komplexen Beratungssituationen<br />
sowie Vorschläge, wie er den Beratungsprozess<br />
fortsetzen soll. Das funktioniert jedoch nicht<br />
regelbasiert und statistisch, sondern kognitiv. Auf<br />
diese Weise lernt der KI-Azubi die erfolgversprechendste<br />
Reaktion in spezifischen Kundensituationen.<br />
Der Lernprozess enthält im Idealfall regelmäßiges<br />
„Feedback“ des menschlichen Beraters<br />
(supervised) und wird ergänzt durch eigene Lernmechanismen<br />
(z. B. Backpropagation).<br />
2. Co-Advisory<br />
Der Kunde wird vom menschlichen und vom virtuellen<br />
Finanzexperten gemeinsam beraten. Dieses<br />
Szenario trägt der Annahme Rechnung, dass viele<br />
Kunden beim ersten Aufeinandertreffen mit dem<br />
KI-Berater unsicher sind. Eine geführte Benutzung<br />
überwindet die natürliche Hemmschwelle, mit<br />
dem virtuellen Berater zu interagieren.<br />
3. Virtual Advisory<br />
Auf dieses Szenario arbeitet das gesamte Ausbildungsprogramm<br />
hin. Der Kunde verständigt<br />
sich eigenständig mit dem virtuellen Berater. Ein<br />
menschlicher Bankmitarbeiter erfüllt im Hintergrund<br />
lediglich seine wichtige Kontroll- und Überwachsungsfunktion.<br />
4. Agent-2-Agent<br />
Die bisherige Betrachtung geht grundsätzlich davon<br />
aus, dass der Kunde seine finanziellen Interessen<br />
selbst vertritt. Aber auch auf der Kundenseite ist<br />
es denkbar, dass der Kunde seinen „Virtual Personal<br />
Assistant“ zur Bank schickt, der ihm die Auseinandersetzung<br />
mit finanziellen Fragestellungen<br />
abnimmt. In welchem Maße dieser persönliche<br />
Assistent autonom agiert, bestimmt der Kunde<br />
selbst.<br />
Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und das Kundenerlebnis<br />
Bevor der virtuelle Berater quasi autonom eingesetzt<br />
werden kann, müssen Banken darüber hinaus überzeugende<br />
Antworten auf einige grundsätzliche Fragen finden.<br />
Eine betrifft die Zukunft des Berufs des Bankberaters:<br />
Künstliche Intelligenz wird die Arbeitswelt des menschlichen<br />
Beraters sicher beeinflussen und sein Aufgabenfeld verändern.<br />
Es ist allerdings nicht zu erwarten, dass alle Kunden<br />
auf eine Beratung durch den Menschen verzichten werden,<br />
auch wenn der absolute Bedarf zurückgehen dürfte. Für die<br />
Bankmitarbeiter, die bisher in der Beratung gearbeitet haben,<br />
werden aller Voraussicht nach neue Aufgaben entstehen,<br />
beispielsweise das Coaching, die Verbesserung sowie die<br />
Kontrolle der virtuellen Beratung. Insbesondere die Weiterentwicklung<br />
der Beratungsinhalte wird eine ureigene Domäne<br />
des menschlichen Geists bleiben. Sie erfordert Kreativität,<br />
eine Eigenschaft, die der künstlichen Intelligenz bisher noch<br />
nicht zugeschrieben wurde. Unklar ist auch, in welcher physischen<br />
Gestalt virtuelle Berater dem Kunden begegnen werden.<br />
Derzeit spricht viel für eine Beratung über Smartphone,<br />
Tablet und Laptop. All diese Geräte sind mit Bildschirm und<br />
Lautsprecher sowie Kamera und Mikrofon ausgestattet. Bis<br />
Roboter fachlich so gut beraten können wie der Mensch,<br />
werden weitere Geräte zur Darstellung technisch ausgereift<br />
sein: 3-D-Brillen und Augmented-Reality-Projektionen wie<br />
Microsoft Hololens werden ihren Exotenstatus verloren haben.<br />
Denkbar ist, dass holografische Projektionen den Berater<br />
auf dem heimischen Sofa sitzen lassen und so für eine<br />
entspannte Gesprächsatmosphäre sorgen.<br />
Autor<br />
Martin Stolberg ist Director Banking bei Sopra Steria Consulting.<br />
Fazit<br />
Die zukünftige Rechenleistung wird die realitätsnahe<br />
Abbildung von virtuellen Beratungsleistungen<br />
möglich machen. Und es kann davon ausgegangen<br />
werden, dass viele Versuche unternommen<br />
werden, einzelne Teile des Beratungsprozesses zu<br />
<strong>digital</strong>isieren. Die gute Nachricht für alle Skeptiker<br />
ist, dass allein der Mensch und Kunde darüber entscheidet,<br />
welche Art der Beratungsleitung er akzeptiert.<br />
Die gute Nachricht für Technik-Euphoriker ist,<br />
dass der virtuelle Berater über die Kundenberatung<br />
hinaus schnell weitere Aufgaben lernen wird.
Advertorial<br />
Blockchain reduziert<br />
Aufwand für Know-Your-<br />
Customer-Verfahren<br />
Banken und andere Finanzinstitute führen für bestimmte Neukunden eine obligatorische<br />
Legitimationsprüfung durch. Ziel ist, Gelwäsche und Terrorfinanzierung zu verhindern. Dieses<br />
Verfahren, KYC-Verfahren genannt, hat einen Mangel: Personen- und Unternehmensdaten<br />
werden wiederholt erfasst – zum Leidwesen der Kunden. Der Einsatz der Blockchain-<br />
Technologie ermöglicht, den Aufwand zu reduzieren.<br />
Derzeit läuft das KYC-Verfahren häufig so ab, dass Daten,<br />
die ein Kreditinstitut bereits aufgenommen und verifiziert<br />
hat, von einem anderen Institut erneut aufgenommen und<br />
überprüft werden. Das Ergebnis sind identische Prozesse,<br />
die Kunden bei unterschiedlichen Parteien durchlaufen, aber<br />
deckungsgleiche Ergebnisse hervorbringen. Das erzeugt für<br />
die Institute vermeidbare Aufwände und nervt die Kunden,<br />
die sich der Know-Your-Customer-Prozedur mehrfach unterziehen<br />
müssen.<br />
Einmalige Datenaufnahme durch Trusted Parties<br />
Banken können diese ineffiziente Datenaufnahme vermeiden.<br />
Die Erfassung der Kundeninformationen sowie ihre<br />
Prüfung auf Echtheit übernehmen so genannte Trusted Parties.<br />
Das können zum Beispiel Behörden sein, die bereits die<br />
Authentizität von Identitäten sicherstellen. Im Ergebnis durlaufen<br />
Kunden das KYC-Verfahren ein einziges Mal, beispielsweise<br />
mit dem Ausstellen des Personalausweises oder dem<br />
Eintrag ins Handelsregister. Sie erhalten einen beglaubigten<br />
Datensatz, den sie allen Stellen überlassen, die zum KYC-<br />
Verfahren verpflichtet sind. Die Prozedur wird auf die Weise<br />
deutlich abgekürzt. Die Institute sparen sich zudem die lästigen<br />
Fragen zur Geldwäscheprävention und Terrorismusfinanzierung<br />
und können sich auf ihr Kerngeschäft fokussieren.<br />
Blockchain schafft die technologischen Voraussetzungen<br />
Die Anforderungen an ein derartiges Verfahren lassen sich<br />
technisch mit einer Blockchain-Lösung umsetzen. Die Trusted<br />
Parties bilden in diesem Fall ein Konsortium, das das<br />
ausschließliche Recht zur Blockerzeugung hat. Eine Trusted<br />
Party erfasst und verifiziert Identitäts- und Geschäftsdaten<br />
und speichert diese verschlüsselt ab. Die Authentizität einer<br />
Identität bleibt damit jederzeit überprüfbar. Die verschlüssel-<br />
ten Identitätsdaten werden in einem für den Kunden erzeugten<br />
Smart Contract festgehalten. So kann ausschließlich der<br />
Kunde als Besitzer seine Daten einsehen, löschen und an<br />
von ihm ausgewählte Unternehmen freigeben. Transaktionen<br />
helfen dabei, die Interaktion von Kunden, verpflichteten<br />
Unternehmen – zum Beispiel Banken – sowie Trusted Parties<br />
chronologisch und nachvollziehbar abzuspeichern.<br />
Vereinfachte Kontoeröffnung<br />
In der Praxis, wie bei der Kontoeröffnung, helfen technische<br />
Komponenten beim Erfassen biometrischer Merkmale. Im ersten<br />
Schritt scannt zum Beispiel eine Kamera das Gesicht des<br />
Kunden. Der bestätigt seine Identität mit seinem Fingerabdruck<br />
und genehmigt den Zugang zu seinen beglaubigten Identitätsdaten.<br />
Der Bankmitarbeiter erhält im dritten Schritt die für die<br />
Kunde-Bank-Beziehung relevanten Daten aus der Blockchain.<br />
Von der Vision zum Prototyp<br />
Bislang ist dieses vereinfachte KYC-Verfahren noch eine<br />
Idee. Bis zum fertigen Protyp fehlen noch einige Voraussetzungen,<br />
beispielsweise rechtliche Grundlagen, wer Trusted<br />
Party sein darf. Dazu kommen technische und organisatorische<br />
Bedingungen, um alle Compliance-Anforderungen<br />
zu erfüllen. Wichtig bei jeder Blockchain-Anwendung ist zu<br />
prüfen, ob die grundlegenden Bedingungen für den Einsatz<br />
der Technologie erfüllt sind und wie sich mögliche Show-<br />
Stopper beseitigen lassen.<br />
Autor<br />
Mustafa Cavus ist IT-Architekt bei Sopra Steria Consulting.<br />
Der studierte Informatiker hat sich auf die Themen Blockchain<br />
und Big Data spezialisiert.
72 <strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Banking im<br />
Kontext<br />
Der Wettbewerb im Privatkundengeschäft hat sich in den letzten Jahren weiter<br />
verschärft. Dafür sorgen nicht nur die Retailbanken selbst, sondern auch eine ganze Reihe<br />
branchenfremder Anbieter. Wer hier die Oberhand behalten will, der muss sich schon ein<br />
bisschen mehr einfallen lassen als traditionelles Marketing mit Fernsehspots<br />
und Sponsoring. Das Zauberwort heißt: Banking im Kontext.<br />
Die Kundenansprache der Kreditinstitute ist<br />
relativ statisch: Noch immer werden große<br />
Teile der Werbebudgets für klassische Marketingkampagnen<br />
in Form von Fernsehspots, Sportsponsoring,<br />
Print- und Plakatwerbung verwendet. Nach dem<br />
Gießkannenprinzip werden mit hohen Streuverlusten Produktbotschaften<br />
in die Welt gesendet. Der Fokus der Banken<br />
liegt auf den eigenen Produkten und nicht auf dem Kunden.<br />
Der kommt dann zur Bank, wenn er das beworbene Produkt<br />
braucht. Oft genug kommt er aber auch gar nicht mehr.<br />
Next Best Offer allein reicht nicht<br />
Natürlich merken auch die Banken, dass sie damit allein immer<br />
weniger Kunden erreichen in einer Welt, die mehr denn<br />
je Wert auf Individualität legt. Auf der Grundlage von Data<br />
Analytics – also der systematischen Auswertung ihrer Kundendaten<br />
– versuchen sie, Kunden individueller anzusprechen.<br />
Wie man es z. B. von Amazon kennt, wird per Next<br />
Best Offer ein passendes Produkt angeboten. Das ändert<br />
allerdings nur wenig am Grundproblem: Produktfokus statt<br />
Kundenfokus. Menschen wollen sich lebensnotwendige,<br />
nützliche oder schöne Dinge kaufen, Reisen oder einen ruhigen<br />
Lebensabend genießen. Finanzen sind in diesem Zusammenhang<br />
lediglich Mittel zum Zweck, ein notwendiges<br />
Übel, mit dem man sich nur beschäftigt, wenn es unbedingt<br />
sein muss. Wer im Wettbewerb erfolgreich sein möchte,<br />
darf deshalb nicht darauf warten, dass die Kunden dank<br />
einer Produktwerbung zu ihm kommen. Er muss vielmehr<br />
geräuschlos bereitstehen, wenn der Kunde ihn braucht.<br />
Was Banking im Kontext bedeutet<br />
Dazu müssen sich die Banken die typische Customer Journey<br />
ihrer Kunden anschauen – insbesondere jene für die<br />
Konsumwünsche der Kunden. Die relevante Frage lautet<br />
dann: „Wann und in welchem Kontext braucht mich der Kunde?“<br />
Das bedeutet einen grundlegenden Kulturwandel für<br />
die Kreditinstitute. Die Bank tritt mit ihren Produkten in den<br />
Hintergrund und muss es schaffen, sich unauffällig und vor<br />
allem nahtlos als Dienstleister in Prozesse einzubinden und<br />
dem Kunden einen konkreten Mehrwert bieten. Dabei ist es<br />
essentiell, den Fokus auf eine gute User Experience (UX) zu<br />
richten. Wie so etwas ganz konkret aussehen kann, zeigen<br />
einige spezialisierte Banken und Finanzdienstleister schon<br />
seit Jahren erfolgreich im Handel.<br />
Bequeme Kredite im Handel<br />
Ob nun bei Consumer Elektronik, im Möbelhaus oder beim<br />
Kfz-Händler: Viele Dinge, die Menschen sich leisten wollen,<br />
sind ziemlich teuer. Wie teuer, das realisieren viele Kunden<br />
erst dann, wenn sie ganz konkret vor der Kaufentscheidung<br />
stehen. Konsumentenkredite sind hierfür mittlerweile auch<br />
in Deutschland immer häufiger die bequeme Lösung. Wer in<br />
Kooperation mit dem Händler direkt am Point of Sale einen<br />
schnellen und unkomplizierten Kreditabschluss ermöglicht,<br />
hat im Wettbewerb die Nase vorn. Die Konkurrenz wartet hier<br />
meist vergeblich darauf, dass der Kunde noch einmal zu ihm<br />
in die Filiale kommt, um ein Vergleichsangebot einzuholen.<br />
Was in der analogen Welt gilt, trifft in der <strong>digital</strong>en Welt ebenso<br />
zu. Der Platzhirsch im deutschen eCommerce, Amazon,
6. - 12. NOV<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
2 0 1 7<br />
73<br />
bewirbt zwar nur prominent eine Kreditkarte. Viele mittlere<br />
und große Online-Händler bieten aber selbstverständlich<br />
Ratenkredite oder 0-Prozent-Finanzierungen im Check-Out-<br />
Prozess an. Dank automatisiertem Scoring-Verfahren im<br />
Hintergrund bemerkt der Kunde nicht mehr als nötig vom<br />
eigentlichen Finanzierungsprozess, der für ihn ohnehin nur<br />
notwendiges Übel ist.<br />
Payment im Messenger<br />
Auch im Payment-Bereich wird Banking im Kontext von den<br />
Kunden honoriert. Wer die Pizzarechnung mit seinen Freunden<br />
aufteilen möchte, muss mittlerweile nicht mehr mit der<br />
IBAN hantieren, sondern kann auf Apps für Peer-to-Peer-<br />
Payment (P2P) zurückgreifen. Letztlich ist das aber nur eine<br />
moderne Form der Produktfokussierung.<br />
In den USA und Asien ist man hier bereits weiter. Dort ist<br />
es seit einiger Zeit möglich, solche Zahlungen direkt über<br />
gängige Messenger-Apps wie Facebook oder WeChat zu<br />
versenden. Auch Whatsapp arbeitet an einer entsprechenden<br />
Funktion. Während der Kunde also mit seinen Freunden<br />
über den netten gestrigen Abend chattet, kann im selben<br />
Medium die ausgelegte Zeche beglichen werden. In Asien,<br />
das in diesem Feld wegweisend ist, können im Messenger<br />
sogar Telefonrechnungen oder die Urlaubsreise direkt bezahlt<br />
werden. Aus dem Bankenprodukt Payment wird eine<br />
reine Funktion, die in den Hintergrund rückt.<br />
Zahlen mit Händler-Apps<br />
Ein anderer Ansatz sind proprietäre Apps großer Ketten oder<br />
Plattformen, in denen ebenfalls Payment-Funktionen nahtlos<br />
und quasi unsichtbar integriert sind. Wer etwa die App<br />
des Kaffeeriesen Starbucks installiert, um Angebote und<br />
Coupons zu nutzen, der kann damit auch bezahlen. Gleiches<br />
gilt für das in Deutschland sehr beliebte Loyalty-Programm<br />
Payback. Mit dessen weit verbreiteter App kann der Nutzer<br />
nicht nur Punkte sammeln, sondern mittlerweile bei einigen<br />
Partnern gleichzeitig bezahlen. Auch Plattformen wie Mytaxi,<br />
Uber oder Airbnb haben Bezahlfunktionen in ihre Apps<br />
eingebaut. So wird es dem Kunden so einfach und bequem<br />
wie möglich gemacht, nichts soll vom eigentlichen Nutzererlebnis<br />
ablenken. Die Banken selbst verlieren hier komplett<br />
ihre Sichtbarkeit und werden zu einem reinen Dienstleister<br />
im Hintergrund degradiert.<br />
Was Banken tun können<br />
Dieser Bedeutungsverlust ist für viele Kreditinstitute bedrohlich,<br />
denn ohne Sichtbarkeit ist eine markenbildende<br />
Differenzierung im Wettbewerb nur schwer möglich. Ihre<br />
Produkte verkommen zu einer reinen Commodity, einem<br />
Tobias Baumgarten ist Spezialist für <strong>digital</strong>es<br />
Banking und FinTech-Experte. Zudem ist er<br />
Botschafter der FinTech Week Hamburg <strong>2017</strong>.<br />
beliebigen und austauschbaren Basisgut, bei dem nur noch<br />
der günstigste Preis zählt. Was also können Banken tun, um<br />
auch zukünftig wettbewerbsfähig zu bleiben?<br />
Zunächst ist es wichtig, diesen tiefgreifenden Wandel der<br />
Branche überhaupt einmal zu erkennen. Einige Dienste wie<br />
das Payment werden als Erlösbringer für die Banken an Bedeutung<br />
verlieren. Deshalb ist es wichtig, hier seine Prozesse<br />
auf maximale Effizienz zu trimmen. Das gilt umso mehr vor<br />
dem Hintergrund der PSD2-Richtlinie, durch die Drittanbieter<br />
die Infrastruktur der Banken für eigene Angebote nutzen
74<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
können. Um selbst wieder aktiv am Kunden erfolgreich zu<br />
sein, müssen sich die Banken weiter verändern. Auf Basis<br />
der Kundendaten können ganz neue Mehrwertdienste angeboten<br />
werden, bei denen nicht mehr das Banking selbst<br />
im Vordergrund steht. Idealerweise werden Banken selbst<br />
zu Ökosystemen oder Plattformen. So könnte es für Banken<br />
eine Option sein, Immobilienportale zu kaufen oder zu<br />
gründen und darum herum ein Ökosystem aufzubauen. Das<br />
Angebot muss den Kunden erreichen, sobald er auf Google<br />
nach „Haus kaufen“ sucht, ihm Ratschläge rund um die<br />
Immobiliensuche bieten, Marktwertanalysen und Informationen<br />
zum Stadtteil oder Kiez und ganz am Ende des Prozesses<br />
gleich einen Finanzierungsvorschlag unterbreiten.<br />
Auch auf notwendige oder sinnvolle Versicherungen kann<br />
in diesem Zusammenhang hingewiesen werden, allerdings<br />
immer mit dem Fokus auf den jeweiligen Kunden, nicht<br />
auf Produkte. Auch im Firmenkundengeschäft erscheint<br />
der Fokus auf eine ganzheitliche Lösung für den Kunden<br />
erfolgversprechend. Anstatt dem Kunden ein Geschäftsgirokonto<br />
zu verkaufen, könnten Banken eine ganzheitliche<br />
Buchhaltungslösung bieten – mit Buchhaltung, Steuerberatungssoftware<br />
und natürlich Zahlungsfunktionen. So bieten<br />
die Institute einen echten Mehrwert für die Kunden und<br />
setzen ihre Banking-Angebote in den Kontext.<br />
Autor<br />
Tobias Baumgarten<br />
Fazit<br />
Mit dem bisherigen produktfokussierten Banking<br />
werden die Kreditinstitute ihre Kunden künftig<br />
immer weniger erreichen. Für ihre Kunden sind die<br />
Produkte der Banken eben nur Mittel zum Zweck,<br />
nötig zur Erfüllung ihrer Konsumwünsche. Nur<br />
wer das begreift und seine Dienste aus einem<br />
Kundenfokus heraus kontextbasiert anbietet, wird<br />
auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben.<br />
7. BuB-Fachtagung<br />
Niedrigzinsen und kein Ende: Bankentgelte<br />
im Spannungsfeld zwischen Rentabilität und<br />
Verbraucherschutz<br />
am Donnerstag, 23. November <strong>2017</strong>, 10:00 bis 16:30 Uhr in Köln<br />
Das Jahresevent im Bankrecht mit Referentinnen und Referenten vom BGH, aus der Politik,<br />
dem Verbands- und dem Großbankbereich.<br />
Weitere Informationen unter www.bub-fachtagung.de.<br />
Information und Anmeldung: Stefan Lödorf | <strong>02</strong>21/5490-133 | events@bank-verlag.de<br />
Jetzt<br />
anmelden<br />
events@<br />
bank-verlag.de<br />
www.bub-fachtagung.de
6. - 12. NOV<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
2 0 1 7<br />
75<br />
Die Plattformisierung<br />
des<br />
Bankings<br />
Plattform-Banking, Banking-as-a-Service oder Banking-as-a-Platform: Dass<br />
die Bankenwelt sich auf die eine oder andere Weise plattformisiert, steht außer Frage.<br />
Aber die Begriffsvielfalt zeigt, dass noch längst nicht klar ist, welche Art von<br />
Plattform sich überhaupt durchsetzen wird.<br />
Im Sinne der Plattform-Ökonomie verbindet eine „echte“<br />
Plattform Produzenten und Konsumenten, ohne selbst die<br />
Produktionsmittel zu besitzen. Dabei können die Plattform-<br />
Teilnehmer sowohl Konsumenten als auch Produzenten<br />
sein. Plattformen produzieren ihren Wert, indem sie Produzenten<br />
und Konsumenten zusammenbringen, die Werte<br />
austauschen möchten. Die Matching-Funktionen monetarisieren<br />
sie auf eine passende Weise: durch Plattformgebühren,<br />
Provisionen, Werbung, Zusatzservices u. a. Als<br />
Beispiele erscheinen an dieser Stelle die Poster Childs der<br />
Plattform-Ökonomie: Uber, Airbnb, Facebook, Google, in<br />
Teilen ihres Geschäfts auch Amazon und Apple. In der Kreditwirtschaft<br />
beobachten wir heute drei Arten von Banking-<br />
Plattformen:<br />
1. Banking-as-a-Service-Plattformen (BaaS-Plattformen), fast<br />
synonym dazu Banking-as-a-Plattform<br />
2. Einseitige Banking-Plattformen<br />
3. Zweiseitige Banking-Plattformen<br />
Banking-as-a-Service-Plattformen<br />
BaaS-Plattformen bieten Nicht-Banken die Möglichkeit, Finanzprodukte<br />
oder -services anzubieten, für die eine Banklizenz<br />
notwendig ist. BaaS-Plattformen arbeiten ähnlich wie<br />
Software-as-a-Service-Modelle, die über Software hinaus<br />
transaktionelle Geschäftsprozesse bieten, z. B. Webshop-<br />
Anbieter.<br />
Die Rolle von Banking-Plattformen ist jedoch breiter als<br />
die von SaaS-Anbietern: Über die Technik hinaus bieten<br />
sie ihren Kunden die Bankenlizenz und das Regulierungsframework<br />
rund um Themen wie Kundenlegitimierung<br />
(KYC), Geldwäscheverhinderung, Kundeninformation usw.<br />
Je nach Fokus bieten die BaaS-Plattformen klassische<br />
Bankprodukte wie Konten, Depots, Zahlungsprozesse,<br />
Wertpapiertransaktionen oder Kreditprozesse an, zum Teil<br />
auch komplexere Dienstleistungen wie Vermögensverwaltungen.<br />
BaaS-Plattformen spielen eine tragende Rolle bei der Digitalisierung<br />
der Finanzbranche. Nahezu jedes FinTech arbeitet<br />
im Hintergrund mit einem BaaS-Anbieter zusammen,<br />
um sein Geschäftsmodell umzusetzen. Dies gilt für Robo-<br />
Advisors, Kreditmarktplätze, (Peer-to-Peer-) Payment-Anbieter,<br />
Zinsportale oder andere Start-up-Geschäftsprozess-<br />
Elemente, die eine Banklizenz benötigen.<br />
Aus Kundensicht sorgen BaaS-Plattformen dafür, dass Finanzfunktionen<br />
sich immer mehr in Lebenskontext einbetten,<br />
dass sie sich bei Unternehmen immer tiefer in ihre<br />
Geschäftsprozesse integrieren. So können Konsumenten<br />
heute am <strong>digital</strong>en Point of Sale sehr einfach Kredite in Anspruch<br />
nehmen, per Knopfdruck in Fonds investieren oder<br />
Geld einfach direkt an Freunde transferieren. Unternehmen<br />
sind in der Lage, Zahlungsfunktionen direkt mit der Erbringung<br />
von Leistungen, etwa Stromlieferungen, Maschinen-<br />
Aktivitäten oder Transporten, zu verbinden.
76<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
BaaS-Anbieter unterscheiden sich von klassischen Banken<br />
durch ihre technische Infrastruktur, die sie über APIs für<br />
Partner öffnen, und durch ihre regulative Adaptivität, um<br />
auch innovative Geschäftsmodelle innerhalb des gesteckten<br />
Regulierungsrahmens umzusetzen. Dabei ist die API<br />
als Pflicht, die regulative Adaptivität als Kür zu sehen. Eine<br />
API macht eine Bank noch lange nicht zu einer Plattform –<br />
sie ist lediglich eine notwendige technische Voraussetzung.<br />
Trotz ihrer weiter wachsenden Bedeutung für die Digitalisierung<br />
der Bankenwelt sind BaaS-Plattformen keine Plattformen<br />
im Sinne der Plattform-Ökonomie. Sie ermöglichen<br />
Banking für Nicht-Banken, verbinden aber nicht Finanzproduzenten<br />
und Finanzkonsumenten. BaaS-Plattformen<br />
betreiben in Deutschland etwa die Wirecard Bank, Solaris<br />
Bank, FinTech Group Bank AG oder Sutor Bank; jeweils mit<br />
unterschiedlichen Schwerpunkten.<br />
Einseitige Banking-Plattformen<br />
Das inverse Modell zu BaaS- sind einseitige Banking-<br />
Plattformen. Sie treten gegenüber ihren Kunden als eine<br />
„vollständige“ Bank auf, integrieren aber auf verschiedene<br />
Weise Angebote von Partnern, um ihren Kunden neue, <strong>digital</strong>e<br />
Services anzubieten. Architektonisch und konzeptionell<br />
geht dies schon in Richtung einer „echten“ Plattform.<br />
Allerdings sind die Grenzen zwischen Plattform und <strong>digital</strong>isierten<br />
Banken mit traditionellen Geschäftsmodellen,<br />
die Partner lediglich als Produktanbieter oder Dienstleister<br />
integrieren, fließend.<br />
Auch in der Vergangenheit boten Banken Finanzprodukte<br />
anderer Anbieter, etwa von Fondsgesellschaften oder<br />
Versicherungen, an. Ebenso setzen sie Lösungen von externen<br />
Technologie-Anbietern ein. Der Integration von Fin-<br />
Techs wie Figo als Schnittstellen-Anbieter oder Zinspilot<br />
bzw. Deposit Solution als Zinsportal macht die Deutsche<br />
Bank beispielsweise nicht zu einer Banking-Plattform. Wesentlich<br />
weiter in Richtung echter Plattform bewegt sich<br />
die Neo-Bank N26, die ihre Produktpartner offen als externe<br />
Anbieter in ihre mobile Banking-Plattform integriert.<br />
Als Faustregel, inwieweit eine einseitige Plattform tatsächlich<br />
eine Plattform im plattform-ökonomischen Sinn ist, ist<br />
die Art von Kundenbeziehungen, die sie unterhält. Gibt es<br />
vertragliche Beziehungen nur zwischen der Bank und dem<br />
Kunden, aber keine zwischen Kunde und Produzent, handelt<br />
es sich eher um die <strong>digital</strong>isierte Form einer traditionellen<br />
Bank, nicht um eine Plattform-Bank.<br />
Zweiseitige Banking-Plattformen<br />
Wenn originäre Banking-Plattformen im Sinne der Plattform-Ökonomie<br />
direkte Kundenbeziehungen zwischen<br />
Konsumenten und Produktanbietern vermitteln, haben<br />
Banking-Plattformen vor allem zwei Aufgaben: In der Richtung<br />
Produzenten ermöglichen sie, als Banking-as-a-Service-Plattform<br />
Finanzprodukte und -prozesse anzubieten.<br />
In Richtung der Konsumenten sorgen sie dafür, dass diese<br />
die für sie passenden Produkte und Prozesse sehr einfach<br />
nutzen können.<br />
« Nicht jede Bank<br />
muss eine Plattform<br />
sein – aber<br />
alle Banken werden<br />
plattförmig<br />
durch PSD2.»<br />
In der Regel müssen Kunden für die Nutzung von Finanzprodukten<br />
umfangreiche Identifizierungs-, Dokumentations-<br />
und Informationsprozesse durchlaufen, sei es bei<br />
der Eröffnung eines Kontos, bei der Anlage in Fonds und<br />
Wertpapieren oder bei der Beantragung von Krediten.<br />
Diese Aufgaben übernimmt zentral die Banking-Plattform.<br />
So müssen die Konsumenten diese Prozesse nur einmal<br />
durchlaufen, auch wenn sie Angebote von verschiedenen<br />
Anbietern nutzen wollen.<br />
Für Konsumenten bedeutet dies eine ganz neue Freiheit<br />
und Einfachheit bei der Auswahl von passenden Finanzprodukten,<br />
solange deren Produzenten an die Banking-<br />
Plattform angeschlossen sind. Umgekehrt erhalten die<br />
Produzenten die Möglichkeit, ihre Kunden durch kooperative<br />
Cross-Selling-Aktionen mit komplementären Plattform-<br />
Produzenten weiter zu monetarisieren und ihre eigene Attraktivität<br />
durch das ergänzende Angebot dieser Partner zu<br />
steigern. In diesem Sinn wird jeder Plattform-Produzent ein<br />
Art eigene Micro-Plattform.<br />
Entscheidend für den Erfolg einer zweiseitigen Banking-<br />
Plattform ist neben der Technologie das Eco-System an<br />
Produzenten, das erstens in seinem Zusammenwirken
6. - 12. NOV<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
2 0 1 7<br />
77<br />
Plattform-Produzenten in Anspruch nehmen. Erste gemeinsame<br />
Aktionen der Plattform-Produzenten mit dem Ziel<br />
Kunden auszutauschen, sind bereits gelaufen.<br />
Hartmut Giesen ist Business Development Manager bei<br />
der Hamburger Sutor Bank. Er ist zudem Gründer und<br />
Geschäftsführer der NextFin GmbH sowie Herausgeber<br />
und Autor des Next Finance Blog. Von 1995 bis 20<strong>02</strong> war<br />
er Vorstand der TEMA Technologie Marketing AG. Giesen<br />
ist einer der Botschafter der FinTech Week Hamburg <strong>2017</strong>.<br />
Die Rollen der Bank – eine starke Marke ist<br />
entscheidend<br />
Ein Narrativ der aktuellen Banking-Plattform-Diskussion ist,<br />
dass die Banken durch die Plattformisierung der Branche<br />
ihren Status und ihre Rolle verlieren und zu anonymen<br />
Finanz-Enablern werden. Dies mag eventuell für reine<br />
BaaS-Plattformen richtig sein – obwohl auch da die Marke<br />
der Bank im Hintergrund wichtig sein kann –, für ein- oder<br />
zweiseitige Banking-Plattformen ist es sicher falsch. Sie<br />
spielen als zentraler Hub des Eco-Systems und als Vertrauensanker<br />
für die Kunden eine tragende Rolle, die über das<br />
Anbieten von Plattform-Services weit hinausgeht.<br />
Die Markenstärke der Bank ist einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren<br />
für eine Banking-Plattform. Genau dies lässt<br />
sich bei allen anderen erfolgreichen Plattformen beobachten:<br />
Die Plattform-Unternehmen Airbnb, Facebook oder<br />
Google gehören zu den Unternehmen mit den höchsten<br />
Markenwerten weltweit. Umgekehrt ist es deshalb für<br />
Uber extrem schädlich, dass das Renommee durch das<br />
Verhalten des CEOs und die offensichtlich repressiv-diskriminierende<br />
Firmenkultur gelitten hat.<br />
kundenattraktiv sein und zweitens kollaborativ voneinander<br />
profitieren sollte. Je größer das Eco-System aus kollaborativen<br />
Produzenten wird, desto attraktiver wird die gesamte<br />
Anlage-Plattform sowohl für Finanz-Produzenten als auch<br />
für die Finanz-Konsumenten.<br />
Case Study: Sutor Anlage-Plattform als „echte“ Plattform<br />
Wie der Aufbau eines solchen Eco-Systems funktioniert,<br />
lässt sich zurzeit an der Entwicklung der Anlage-Plattform<br />
der Sutor Bank beobachten. Hier haben sich auf der einen<br />
Seite Produkt-FinTechs angesiedelt, etwa das Zinsportal<br />
Zinspilot, das Altersvorsorge-Start-up Fairr.de oder der<br />
Robo Advisor Growney. Auf der anderen Seite der Plattform<br />
kommen nun Start-ups hinzu, die ihren Kunden durch<br />
Algorithmen und vereinfachte Prozesse das Sparen und<br />
Anlegen erleichtern und dabei auch auf die Angebote der<br />
Produkt-Produzenten zugreifen. Für alle Plattform-Produzenten<br />
gilt, dass die Kunden, die sie akquirieren, ihnen<br />
gehören. Da die Kunden jedoch alle bei der Sutor Bank<br />
legitimiert sind und dort ihre Depots oder Konten haben,<br />
können sie sehr einfach die Produkte der jeweils anderen<br />
Autor<br />
Hartmut Giesen<br />
Fazit<br />
Nicht jede Bank muss ein dezidiertes Plattform-<br />
Geschäftsmodell umsetzen. Genauso wie Hotels<br />
und Airbnb oder Handelsplattformen und <strong>digital</strong>e<br />
Einzelhändler koexistieren, werden Traditionsund<br />
Plattform-Banken koexistieren. Neben der<br />
Digitalisierung gibt es jedoch einen zweiten Treiber,<br />
der jede Bank zumindest ansatzweise plattförmig<br />
werden lässt. Die PSD2 zwingt ab 2018 Banken,<br />
ihre Systeme für Kontoinformations- und<br />
Zahlungsauslösedienste über Schnittstellen zu<br />
öffnen. Dadurch werden Banken per Regulierung<br />
zu Banking-Plattformen transformiert, auf die Dritt-<br />
Unternehmen Zugriff haben. Zumindest für den<br />
Umgang mit der PSD2 benötigen Banken deshalb<br />
eine Plattformstrategie.
78<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Digitales Working<br />
Capital<br />
Traditionelle Bankfinanzierungsmöglichkeiten haben sich für KMUs in den letzten Jahren<br />
stark verändert. Regulatorische Anforderungen, individuelle Risiko-Strategien und hohe<br />
Faktorkosten haben die Kreditvergabe im KMU-Segment verkompliziert und verteuert.<br />
Alternative Finanzierungsinstrumente werden Marktanteile gewinnen, wenn sie einfacher,<br />
schneller und günstiger sind – das geht am besten <strong>digital</strong>.<br />
Die Digitalisierung spielt unbestritten<br />
eine zunehmend wichtige<br />
Rolle in Gesellschaft<br />
und Industrie. Beim Thema<br />
Finanzierung stehen<br />
Firmenkunden jedoch<br />
nach wie vor persönlich<br />
am Schalter. Was für die<br />
Bank eine Chance ist, ist<br />
für den Kunden sicher kein<br />
<strong>digital</strong>es Erlebnis. Natürlich<br />
sucht der Kunde an dieser<br />
Stelle eine Finanzierung und<br />
kein <strong>digital</strong>es Erlebnis – aber was,<br />
wenn beides gleichzeitig möglich ist?<br />
Kein <strong>digital</strong>es Produkt und kein FinTech wird klassische Finanzierungsprodukte<br />
vollständig ersetzen können – weder<br />
lang- noch kurzfristig. Aber eine passende Ergänzung bzw.<br />
Alternative sind sie schon heute, z. B. zur Finanzierung des<br />
Working Capitals.<br />
Working Capital im Wachstumsmarkt Mittelstand<br />
Working Capital und damit letztlich Liquidität ist auch in Zeiten<br />
historisch niedriger Zinsen überraschenderweise ein<br />
gefragtes und knappes Gut. Während mit zunehmender<br />
Unternehmensgröße nicht nur neue Finanzierungsmöglichkeiten<br />
aus dem Unternehmen heraus entstehen (z. B.<br />
Cash-Pooling) und auch Banken für Kunden in größeren<br />
Umsatzklassen sehr attraktive Working-Capital-Lösungen
6. - 12. NOV<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
2 0 1 7<br />
79<br />
« Kein <strong>digital</strong>es<br />
Produkt und kein<br />
FinTech wird klassische<br />
Finanzierungsprodukte<br />
ersetzen<br />
können.»<br />
bieten, bleibt ein Kundensegment nicht gut versorgt: die<br />
KMUs. Dabei sind deutsche KMUs ein echter Wachstumsmarkt,<br />
seit Jahren wächst Ihre Anzahl sehr zuverlässig und<br />
liegt aktuell – je nach Klassifizierung – bei rund 2,2 Mio.<br />
Bankbasierte Working-Capital-Lösungen für KMU<br />
Für das nach wie vor am dynamischsten wachsende Segment<br />
der deutschen Wirtschaft besteht im Bereich Working<br />
Capital offensichtlich eine Produktlücke: Wird gefragt, über<br />
welche Instrumente die KMUs ihr Working Capital finanzieren,<br />
dann geben etwa 40 Prozent den Kontokorrent-Kredit<br />
der Hausbank als primäre Finanzierungsquelle an. Gestiegene<br />
regulatorische Anforderungen sowie individuelle<br />
Risiko-Überlegungen der einzelnen Banken, aber auch die<br />
Kleinteiligkeit des KMU-Geschäfts in Kombination mit hohen<br />
Faktorkosten sind sicher Gründe dafür, warum Banken<br />
in diesem Segment neben dem Kontokorrent-Kredit kaum<br />
aktiv Produkte anbieten.<br />
Factoring hat sich am Markt als Alternative etabliert<br />
Bei genauerer Betrachtung des Umlaufvermögens und insbesondere<br />
beim Thema Einkauf von Waren und Vorleistungen<br />
– flächendeckend einer der zentralen Treiber des Working<br />
Capitals – lässt sich feststellen, dass sich Factoring<br />
für das verkaufende Unternehmen am Markt als Alternative<br />
etabliert hat. Das einkaufende Unternehmen bleibt jedoch<br />
weitgehend unbespielt. Das liegt vor allem daran, dass das<br />
einkaufende Unternehmen zum Zeitpunkt des Warenkaufs<br />
noch keinen Vermögenswert besitzt, der verkauft, abgetreten<br />
oder verpfändet werden könnte.<br />
Ein Bankprodukt zur effizienteren Working-Capital-Nutzung<br />
müsste daher auf schon bestehende, aber noch freie Sicherheiten<br />
abstellen, die in den meisten Fällen jedoch<br />
nicht zur Verfügung stehen bzw. nicht zur Verfügung gestellt<br />
werden sollen. Die zu kaufende Ware selbst scheidet<br />
hierbei als Sicherheit aus, da sie durch den üblichen Eigentumsvorbehalt<br />
bis zur vollständigen Bezahlung dem liefernden<br />
Unternehmen gehört. Die Sicherheitenstellung ist<br />
daher ein weiterer Grund für das eingeschränkte Angebot<br />
der Banken im Bereich der Working-Capital-Finanzierung<br />
für KMUs.<br />
Alternative Finanzierungsinstrumente für einkaufende<br />
Unternehmen<br />
Viele KMU-Kunden stehen daher vor einem ähnlichen bzw.<br />
sogar bekannten Problem: Wachstumsphasen, attraktive<br />
Zusatzaufträge oder saisonale Produktionsspitzen lassen<br />
sich mit klassischen Bankfinanzierungsprodukten nicht<br />
immer vollständig realisieren. Häufig ist der Kontokorrent-
80<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
Kredit nicht ausreichend, eine Nutzung der Linie nicht vorteilhaft<br />
oder aus Flexibilitätsgründen nicht gewollt. Genau<br />
hierfür gibt es einfache, schnelle und günstige Finanzierungsalternativen:<br />
FinTechs haben sich in diesem Bereich<br />
etabliert und wollen eine höhere Marktdurchdringung und<br />
eine höhere Bekanntheit alternativer Finanzierungsinstrumente<br />
erreichen.<br />
Marktanteile von Einkaufsfinanzierern<br />
bleiben überschaubar<br />
Factoring, als bekanntestes alternatives<br />
Finanzierungsinstrument,<br />
verbessert ausschließlich<br />
die Liquidität<br />
des verkaufenden Unternehmens.<br />
Weniger<br />
bekannt – aber mindestens<br />
genauso sinnvoll –<br />
ist die Gegenseite: die<br />
Einkaufsfinanzierung.<br />
Marktanteile von Einkaufsfinanzierern<br />
sind<br />
heute noch überschaubar<br />
(ähnlich dem Factoring vor<br />
etwa zehn Jahren), steigen<br />
jedoch proportional zum<br />
Bekanntheitsgrad. Im Markt<br />
für Einkaufsfinanzierung gibt es<br />
FinTech-Anbieter mit komplett <strong>digital</strong>en<br />
Modellen, die sicher die besten Chancen<br />
haben, sich über Preis, Geschwindigkeit und Kundenkomfort<br />
von Banken und anderen alternativen Anbietern zu<br />
differenzieren.<br />
Eine effizientere Nutzung des Working Capitals wird für<br />
den mittelständischen Firmenkunden somit ohne eine<br />
komplizierte Stellung von Sicherheiten noch am selben Tag<br />
per Klick möglich. Wachstumsphasen und attraktive Zusatzaufträge<br />
können durch die schnelle und flexible Erweiterung<br />
der eigenen Liquidität viel besser bewältigt werden<br />
– inklusive <strong>digital</strong>em Erlebnis.<br />
Wirkung <strong>digital</strong>er Working Capital-Lösungen<br />
Eine Einkaufsfinanzierung wirkt auf das einkaufende Unternehmen<br />
wie zusätzlicher Liquiditätsspielraum, nur in Form<br />
von vorfinanzierten Waren bzw. Vorleistungen. Der Einkaufsfinanzierer<br />
agiert als Zwischenhändler: Er kauft die Ware<br />
vom verkaufenden Unternehmen auf eigene Rechnung und<br />
verkauft die gleiche Ware mit langem Zahlungsziel an das<br />
einkaufende Unternehmen weiter. Das einkaufende Unternehmen<br />
kann nun innerhalb des gewährten Zahlungsziels<br />
seine Endprodukte fertigen und verkaufen, den Einkaufsfinanzierer<br />
bezahlt das einkaufende Unternehmen mit dem<br />
aus den Waren generierten Endprodukt-Umsätzen. Für das<br />
verkaufende Unternehmen wirkt die Einkaufsfinanzierung<br />
wie ein Factoring. Gestellte Rechnungen werden direkt und<br />
vollständig ohne Sicherheitseinbehalt bezahlt,<br />
Mahn- und Inkassowesen entfallen bei<br />
sinkendem Verwaltungsaufwand und<br />
besseren Liquiditäts-Kennzahlen.<br />
Vorteile für die Hausbank<br />
Auch für die vermittelnde<br />
Bank kann der Einsatz<br />
eines alternativen Finanzierungsinstruments<br />
auf<br />
Kundenseite Vorteile<br />
bringen: kein zusätzliches<br />
Risiko im Obligo,<br />
ein vorteilhaftes Geschäft<br />
für den Kunden<br />
und eine Provision für<br />
die Bank. Eine Kooperation<br />
zwischen Bank und<br />
Einkaufsfinanzierer kann<br />
demnach eine sinnvolle und profitable<br />
Möglichkeit sein, ein <strong>digital</strong>es<br />
Erlebnis mit dem vertrauensvollen<br />
Kundenzugang der Bank zu verbinden.<br />
Autor<br />
Dr. Stefan Fenner ist Gründer und Geschäftsführer<br />
der entrafin GmbH, Frankfurt.<br />
Fazit<br />
Alternative Finanzierungsinstrumente werden für<br />
Firmenkunden künftig ein noch wichtigeres Instrument<br />
zur effizienteren Nutzung ihres Working<br />
Capitals. Digitale Anbieter bieten Kunden hierfür<br />
die besten Bedingungen und werden am stärksten<br />
von einer absehbar steigenden Marktdurchdringung<br />
profitieren.
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Lückenlose<br />
Kontrolle minimiert<br />
das Risiko<br />
Die Nutzung von Open Sources nimmt zu. Gerade Finanzinstitute stehen vor einem ernsthaften<br />
Dilemma, wenn es um Open-Source-Sicherheit und ihre Rolle beim Schutz von<br />
Kundeninformationen oder der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften geht. Daher ringen<br />
Entwicklungsmanager in diesen Unternehmen darum, die Open-Source-Komponenten, die<br />
in ihre Anwendungen gelangt sind, und die daraus erwachsenden Sicherheitsprobleme in<br />
Codebasen zu identifizieren und zu beseitigen.<br />
Auch die größten Finanzdienstleister kämpfen mit den<br />
Konsequenzen aus zwei besorgniserregenden Entwicklungen.<br />
Zum einen wird die Software-Lieferkette zunehmend<br />
komplexer und beinhaltet eine Mischung von Inhouse- und<br />
Third-Party Open Source Code über eine Vielzahl von Anwendungen<br />
und Geräte hinweg. Zum anderen gibt es eine wachsende<br />
Zahl von Schwachstellen in jeglicher Software – jede<br />
eine potenzielle Einstiegsstelle für Hacker.<br />
Die Unternehmen können indes nicht verifizieren, inwieweit<br />
sie durch Open-Source-Sicherheitsrisiken gefährdet sind.<br />
Gleichzeitig verschärfen viele Behörden und Regierungen<br />
die Compliance-Standards zur finanziellen Cyber-Sicherheit:<br />
Die ISO 27000-Familie internationaler Standards verlangt<br />
die kontinuierliche Bewertung des Informationssicherheitsrisikos<br />
und die Priorisierung der Beseitigungsmaßnahmen<br />
basierend auf dem Risikolevel, und Basel II adressiert operationelle<br />
Risiken im Zusammenhang mit Systemsicherheit,<br />
Hackerschaden, Informationsdiebstahl und Softwaresystem-<br />
Fehlern. Mit ihrem Inkrafttreten im Mai 2018 verlangt die<br />
EU-Datenschutzgrundverordnung das proaktive Bestreben,<br />
Prozesse zur regelmäßigen Bewertung und Überprüfung<br />
der Anwendungssicherheit zu schaffen. Die Nichteinhaltung<br />
kann zu Geldbußen in Höhe von bis zu 20 Mio. € oder vier<br />
Prozent des Jahresumsatzes des gesamten Unternehmens<br />
sowie zur Restriktion der Datenverarbeitung bis zum Erreichen<br />
einer Lösung führen.<br />
Verringerung der Gefährdung der<br />
Anwendungssicherheit<br />
Die Aufgabe für die Entwicklungsmanager lautet daher: Verstehen<br />
Sie, wo der Code anfällig ist, und handeln Sie, bevor<br />
Kundendaten verloren gehen. Das Konzept besteht darin, das<br />
Gefahrenpotenzial künftig zu minimieren, indem der Open-<br />
Source-Code ab dem Moment kontrolliert wird, in dem er ins<br />
Unternehmen kommt. Es lässt sich ein strukturierter Prozess<br />
für die Verwaltung von Open-Source-Komponenten etablieren<br />
– von der Entwicklung bis zur Produktion – und sobald<br />
Schwachstellen erkannt werden, sind diese zu beseitigen.<br />
Die Aufgabe, die Kontrolle über Open Source zu gewinnen,<br />
erscheint nicht leicht. Verschiedene und dezentralisierte Prozesse<br />
zum Tracking von Open-Source-Komponenten und ein<br />
Mangel an Einblick, was die Code-Entwickler in ihre Projekte<br />
einbringen, untergraben das Vorhaben. Ein paar zentrale Entscheidungen<br />
sind nötig, um die Sicherheitslage grundlegend<br />
zu ändern, ohne die Entwicklungsteams zu hemmen.<br />
Schritt 1: Verwaltung von Open-Source-Code automatisieren<br />
Führende Finanzinstitute haben längst erkannt, dass sie die<br />
Anwendungssicherheitsrisiken minimieren müssen und das,<br />
ohne die agile Entwicklung zu beeinträchtigen, denn diese<br />
ermöglicht den Einsatz innovativer Finanzlösungen. Durch<br />
einen tieferen Einblick und die Kontrolle über die Bausteine
82<br />
<strong>02</strong> | <strong>2017</strong><br />
der Applikationen haben Sicherheits-, Risiko- und Entwicklungsteams<br />
maßgeblichen Einfluss auf die <strong>digital</strong>e Integrität<br />
der Anwendungen hinter der Geschäftsidee. Die Automatisierung<br />
des Open-Source-Management-Prozesses ist das<br />
Vehikel, um dies zu erreichen.<br />
Schritt 2: Detaillierte Inventarlisten von Open-Source-<br />
Code anlegen<br />
Um verlässliche Anwendungssicherheit zu haben, müssen<br />
die Unternehmen sicherstellen, dass sie ein genaues Profil<br />
der Open-Source-Komponenten und deren Abhängigkeiten<br />
innerhalb ihrer Anwendungen haben. Dies schafft ein Abbild<br />
der kompletten Open-Source-Landschaft. Wenn also Sicherheitslücken<br />
veröffentlicht werden, können Sicherheits-, Risiko-<br />
und Entwicklungsteams auf die riskanten Anwendungen<br />
und die betroffenen Open-Source-Komponenten hingewiesen<br />
werden. Die Ergebnisse: Schnelle und effektive Beseitigung<br />
und eine stärkere Position gegenüber einer Verletzung<br />
der Datensicherheit.<br />
Schritt 3: Schwachstellen identifizieren,<br />
priorisieren und beseitigen<br />
Mit einem Open-Source-Inventar sind Unternehmen darauf<br />
vorbereitet, Risiko-Komponenten zu identifizieren und lokalisieren,<br />
sobald Schwachstellen entdeckt werden. So kann die<br />
Bedrohungslage durch jede Schwachstelle eingeschätzt und<br />
nach Risikograden eingestuft werden, um Prioritäten bei den<br />
Beseitigungsmaßnahmen der Entwicklungsteams zu setzen.<br />
Aufgrund der Automatisierungs- und Managementmechanismen,<br />
die durch Schritt 1 eingeführt wurden, können diese<br />
Aktivitäten schnell und reibungslos erfolgen. Dabei ist nur<br />
der unbedingt notwendige Fokus von den Beteiligten erforderlich<br />
und resultiert in einer beschleunigten Behebung<br />
und Limitierung der Gefährdung durch Exploits und Lücken.<br />
Berichte werden automatisch innerhalb von Stunden nach<br />
jedem Scan generiert und verteilt, sodass Sicherheits- und<br />
Risikoteams die Ergebnisse überprüfen und mit den Entwicklungsteams<br />
daran arbeiten können, auf neuere und sichere<br />
Versionen zu aktualisieren oder die gefährdeten Komponenten<br />
durch sichere Alternativen zu ersetzen.<br />
Schritt 4: Gefährdungen über den ganzen Entwicklungsprozess<br />
beobachten<br />
Bei der Weiterentwicklung ihrer Open-Source-Sicherheitsverfahren<br />
haben Finanzdienstleister die Möglichkeit, ihre Risikoexposition<br />
zu reduzieren und gleichzeitig ihren Entwicklungsprozess<br />
zu optimieren. Durch die Integration automatisierter<br />
Open-Source-Management-Lösungen im Software-Entwicklungszyklus<br />
(Software Development Life Cycle, SDLC) können<br />
sie häufig und bereits frühzeitig anfällige Komponenten<br />
identifizieren und beseitigen, bevor diese in Serie gehen oder<br />
von vornherein verhindern, dass Komponenten mit bekannten<br />
Schwachstellen in die Anwendung gelangen. Für Finanzdienstleistungsunternehmen<br />
bedeutet dies, dass sie alles<br />
tun, was möglich ist, um Ihre sensiblen Finanzinformationen<br />
und Identität zu schützen.<br />
Ein persistenter Ansatz funktioniert<br />
Ohne eine prozedurale und strategische Herangehensweise<br />
an die Open-Source-Anwendungssicherheit sind die Finanzdienstleister<br />
und FinTech-Unternehmen Risiken ausgesetzt<br />
und sehen sich mit erheblichen Konsequenzen bei Nichteinhaltung<br />
der Vorschriften konfrontiert. Ohne eine leistungsfähige<br />
und skalierbare Lösung für dieses Problem öffnen diese<br />
Unternehmen Tür und Tor für Bedrohungen durch Hacker;<br />
Ausfallzeiten der Applikation, verlorene Daten, Geldbußen im<br />
Zusammenhang mit Non-Compliance und ein beschädigtes<br />
Markenimage.<br />
Das Fehlen eines Prozesses für Open-Source-Software- und<br />
Schwachstellen-Management hat einen signifikanten Einfluss<br />
auf das Geschäft. Es ist ein persistenter, integrierter<br />
Ansatz für Open-Source-Anwendungssicherheit nötig, um<br />
das Risiko zu minimieren. Die Integration mithilfe geeigneter<br />
Tools während des gesamten SDLC ermöglicht einen<br />
ständigen Einblick in den Open-Source-Code innerhalb der<br />
kritischen Anwendungen, damit Schwachstellen behoben<br />
werden können, noch bevor die Applikation in Serie geht,<br />
während ein rascher und automatischer Alarm bei neuen<br />
Schwachstellen das Zeitfenster für Hacker schließt.<br />
Autor<br />
Patrick Carey, Vice President Product Strategy bei<br />
Black Duck Software.<br />
Fazit<br />
Das Sicherheitsmanagement von Open-Source-<br />
Anwendungen bietet eine stark verbesserte<br />
Sicherheitslage bei Anwendungen. Es fördert die<br />
Sichtbarkeit von Open Source in der Codebasis,<br />
spart Ressourcen durch Effizienz und Automatisierung<br />
und unterstützt Richtlinien, die Finanzinstitute<br />
bei der Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und<br />
Audits vorteilhafter positionieren.
Sponsoren<br />
Reputationsrisiken meistern – aber wie?<br />
Erkennen – Bewerten – Handeln<br />
Das RepRisk Forum ist eine Veranstaltung des Institute of Operational Risk (IOR) und der Zeitschrift<br />
RISIKO MANAGER. Experten von Banken und Versicherungen, aus anderen Branchen, von<br />
der Aufsicht und der Beratung widmen sich der Analyse des derzeitigen Stands im Reputationsrisiko-Management<br />
und erörtern die vor den Beteiligten liegenden Herausforderungen.<br />
Das RepRisk Forum dient generell der Förderung persönlicher Kontakte und dem intellektuellen<br />
Austausch mit Geschäftspartnern und Kollegen sowie dem Transfer von Fachwissen und der Identifizierung<br />
zukunftsrelevanter Themen im RepRisk-Management.<br />
Information & Anmeldung:<br />
Stefan Lödorf | Bank-Verlag GmbH<br />
Telefon: <strong>02</strong>21/5490-133 | events@bank-verlag.de<br />
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