2018-11___Pfarrbrief___Sankt-Martin-Wegberg
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Seite 3 · November <strong>2018</strong><br />
Pfarr Brief<br />
Die Stellungnahme des Bischofs<br />
Der Ernst der Stunde verlangt es, Konsequenzen folgen zu lassen<br />
Die Stellungnahme von Bischof Dr. Helmut Dieser zu den Ergebnissen der Missbrauchsstudie:<br />
„In vielen Ländern haben Priester und<br />
andere kirchliche Personen über lange<br />
Zeiträume hinweg ihre Machtstellung<br />
dazu missbraucht, sexuelle Gewalt<br />
an Minderjährigen auszuüben. Die<br />
Verantwortlichen in der Kirche haben<br />
das alles in vielen Ländern nicht wirksam<br />
verhindert, sondern lange verdeckt<br />
und vertuscht und die Opfer im Stich<br />
gelassen. Deshalb kann und muss es<br />
uns dazu antreiben, alles dafür zu<br />
tun, dass die Wahrheit ans Licht<br />
kommt, und das ist wie ein riesiger<br />
Berg mühsamer und schmerzlicher<br />
Trauerarbeit, den die Opfer aufgeladen<br />
bekamen und den wir mit ihnen abarbeiten<br />
müssen. Doch keiner weiß,<br />
wie schwer das für die Opfer selber<br />
ist, außer ihnen selbst.<br />
Was ihnen angetan wurde, hat das<br />
Zeug dazu, vom Glauben abzufallen!<br />
Ich traue es uns Bischöfen und unseren<br />
Beraterinnen und Beratern noch zu,<br />
dass wir gemeinsam die richtigen<br />
Schlüsse ziehen und die Weichen für<br />
die Zukunft richtig stellen. Wenn ich<br />
das nicht mehr könnte, wäre auch<br />
ich vom Glauben abgefallen.“<br />
Zunächst muss ich aber in sehr<br />
ernüchternder Weise bekennen:<br />
ein einfacher Befreiungsschlag ist<br />
nicht möglich!<br />
Wie viele Andere stehe auch ich<br />
noch immer unter der Wucht der<br />
verdichtet vorgetragenen Ergebnisse<br />
und leide mit Ihnen an den beschämenden<br />
Gewissheiten über das was<br />
in vielen Jahren in unserer Kirche<br />
geschehen ist. Der Ernst der Stunde<br />
verlangt es, weitere Konsequenzen<br />
folgen zu lassen.<br />
Dies gilt vor allem für die Betroffenen:<br />
Was ihnen als Minderjährigen<br />
durch sexuellen Missbrauch von<br />
kirchlichen Amtsträgern angetan<br />
wurde, wirkt in ihrem ganzen Leben<br />
nach. Ihr Leid ist unermesslich und<br />
unabschließbar.<br />
Ich möchte den Betroffenen, die sich<br />
bisher dazu noch nicht in der Lage<br />
gefühlt haben, Mut machen, sich zu<br />
öffnen und den sexuellen Missbrauch<br />
zu melden, den sie erlitten haben.<br />
Zu den wichtigsten Ergebnissen<br />
der Studie zählt für mich, dass das<br />
Problem nicht nur ein Versagen der<br />
Beschuldigten darstellt, sondern<br />
auch systemische Zusammenhänge<br />
aufweist, die tief in das kirchliche<br />
Leben hineinragen.<br />
Es gibt nicht nur Täter. die schwere Verbrechen<br />
begangen haben und schuldig<br />
wurden, sondern es gibt auch Vorgesetzte<br />
und andere Personen im Umfeld der Taten<br />
und deren kirchliche Selbstverständnisse<br />
und übliche Vorgehensweise, die zur Verharmlosung<br />
der Verbrechen führten, die<br />
Täter schützten und so weitere Verbrechen<br />
möglich machten. Mit all dem wurde<br />
sehr häufig der Selbstschutz der Institution<br />
Kirche über den Schutz der Opfer<br />
gestellt, die im Stich gelassen wurden.<br />
Auch wir im Bistum Aachen werden<br />
uns deshalb der Herausforder ung<br />
stellen, die systemischen Ursachen<br />
und Verantwortlichkeiten von sexuellem<br />
Missbrauch umfassend aufzuarbeiten<br />
und die nötigen Konsequenzen<br />
zu vollziehen. Dazu wird auch gehören,<br />
dass wir die Betroffenen selbst<br />
mit einbeziehen und die Hilfe von<br />
externen Fachleuten in Anspruch<br />
nehmen.<br />
Darum möchte ich als einen nächsten<br />
Schritt die Ergebnisse der MHG-<br />
Studie und die Erklärung der<br />
Deutschen Bischofskonferenz mit<br />
den diözesanen Gremien unseres<br />
Bistums diskutieren und das weitere<br />
Vorgehen im Bistum Aachen auch mit<br />
ihnen beraten.<br />
Dabei werden wir uns auch den<br />
spezifischen Herausforderungen<br />
stellen müssen, die die Studie aufweist,<br />
nämlich den Problemen der<br />
zölibatären Lebensform der Priester<br />
und den Anfragen an die katholische<br />
Sexualmoral.<br />
2014 hatte die Deutsche Bischofskonferenz<br />
das interdisziplinäre Forschungsverbundprojekt<br />
„Sexueller Missbrauch<br />
an Minderjährigen durch katholische<br />
Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige<br />
im Bereich der Deutschen<br />
Bischofskonferenz“ in Auftrag<br />
gegeben.<br />
Das Forscherteam aus Mannheim, Heidelberg<br />
und Gießen (MHG-Studie)<br />
analysierte den Zeitraum zwischen<br />
1946 bis 2014. Die Personal- und<br />
Handakten aller Bistümer wurden ausgewertet;<br />
ebenso wie die Anträge auf<br />
Anerkennung des Leids. Insgesamt<br />
wurden 38.156 Akten durchgesehen.<br />
Dabei fanden sich bei 1.670 Klerikern<br />
Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen<br />
Missbrauchs Minderjähriger:<br />
1.429 (5,1%) davon waren Diözesanpriester,<br />
159 (2,1%) Ordenspriester<br />
mit Gestellungsvertrag und 24 (1%)<br />
hauptamtliche Diakone. Bei 58 Beschuldigten<br />
war der Klerikerstatus aufgrund<br />
der Aktenlage unbekannt.<br />
Bei nur rund 50 Prozent derjenigen,<br />
die einen Antrag auf Anerkennung<br />
des Leids gestellt haben und deren<br />
Antrag von der Kirche anerkannt wurde,<br />
erfolgte ein entsprechender Eintrag in<br />
die Personalakte. Hätte man nur diese<br />
analysiert, wäre nur die Hälfte der<br />
Taten entdeckt worden.<br />
Den 1.670 Beschuldigten ließen sich<br />
3.677 Kinder und Jugendliche als von<br />
sexuellem Missbrauch betroffen zuordnen.<br />
Sie waren zumeist männlich<br />
und Kinder bis 13 Jahre alt; die meisten<br />
Beschuldigten waren bei der Ersttat<br />
im Alter zwischen 30 und 50 Jahre alt.<br />
Die Studie zum sexuellen Missbrauch<br />
in der Katholischen Kirche ( MHG-Studie)<br />
in ihrem Gesamttext und in einer<br />
Zusammenfassung online über die<br />
Homepage der Bischofskonferenz verfügbar<br />
unter: www.dbk.de/themen/<br />
sexueller-missbrauch