001_2017_008_0_060_064_LOWRES_DS
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Wie? Was ist zu tun?<br />
Die größte Gefahr sind die, die ideologisch<br />
nach wie vor gefestigt sind.<br />
Die werden uns alles Mögliche vorspielen,<br />
weil sie die Absicht haben,<br />
uns weiter Schaden zuzufügen.<br />
Woran erkennt man die?<br />
Diese Gruppe lässt sich zumindest<br />
eingrenzen: Alter zwischen 18 und<br />
etwa 26, Konvertiten oder Flüchtlinge.<br />
Wir müssen ihre Biografien<br />
überprüfen, ihre Sprache, wo sie<br />
gewesen sind.<br />
Stellen Sie damit nicht alle Flüchtlinge<br />
unter Generalverdacht?<br />
Wer die Bevölkerung schützen will,<br />
muss mit diesem Vorwurf leben.<br />
Man sollte niemandem unrecht tun.<br />
Aber man kann erwarten, dass<br />
Flüchtlinge selbst daran interessiert<br />
sind, einen etwaigen Verdacht auszuräumen,<br />
indem sie kooperieren.<br />
Und wie unterscheidet man den<br />
syrischen IS-Terroristen vom syrischen<br />
Flüchtling vor dem IS?<br />
Man müsste zum Beispiel feststellen,<br />
wo sich die Person in den letzten<br />
drei Jahren aufgehalten hat. Bei<br />
einem Syrer, der in Raqqa war, aber<br />
nicht aus Raqqa stammt, ist das Risiko<br />
höher, entsprechend genauer<br />
muss man hinschauen. Aus Mossul<br />
bekommen wir jetzt eine Vielzahl<br />
von Geheimdienstinformationen,<br />
aber auch zahlreiche Zeugenaussagen<br />
über Täter, über Strukturen.<br />
Künftig wird man uns nicht mehr so<br />
leicht anlügen können wie noch vor<br />
zwei Jahren.<br />
Womit fallen diese Menschen im<br />
Alltag auf ?<br />
Wer einen konkreten Auftrag hat,<br />
wird alles versuchen, um gerade<br />
nicht aufzufallen. Die zu finden ist<br />
Aufgabe der Geheimdienste. Aber<br />
um die Anfälligen müssen wir alle<br />
uns kümmern. Diese Menschen<br />
stammen aus einer kollektiven Gesellschaft,<br />
also werden sie sich auch<br />
hier Zirkel suchen, kleine Gruppen,<br />
am Rande der Moscheen. Dort ist<br />
der Nährboden dieser Ideologie.<br />
Welche Flüchtlinge sind besonders<br />
empfänglich für diese Ideologie?<br />
Solche mit Kriegserfahrung. Solche,<br />
die aus einer „Kultur der Gewalt“<br />
kommen, in der sie gelernt haben,<br />
dass sie Probleme mit Gewalt lösen<br />
– familiäre, religiöse, ethnische<br />
Probleme. Anfällig sind auch Flüchtlinge,<br />
die traumatisiert sind, die mit<br />
ihren Emotionen nicht umgehen<br />
Dschabar al-Bakr<br />
nahm sich in der<br />
JVA Leipzig das<br />
Leben. Suizid<br />
ist Muslimen verboten,<br />
doch in<br />
seiner Logik<br />
wählte der Dschihadist<br />
den Märtyrertod,<br />
glaubt<br />
Kizilhan, denn<br />
nur so konnte er<br />
dem Westen<br />
noch schaden<br />
„SIE KÄMPFEN,<br />
UM ZU STERBEN.<br />
WIE WILL MAN<br />
IHNEN DROHEN?“<br />
können und zu aggressiven Impulsen<br />
neigen.<br />
Sie glauben, dass etwa jeder dritte<br />
Flüchtling ein Trauma erfahren<br />
hat. Wer soll die alle therapieren?<br />
Nicht jeder Mensch, der Traumatisches<br />
erlebt hat, muss behandelt<br />
werden. Die meisten lernen damit<br />
umzugehen, sie brauchen einfach<br />
Zeit. Wer jedoch unter einer posttraumatischen<br />
Belastungsstörung<br />
leidet, der braucht wirklich Hilfe.<br />
Der 17-jährige Afghane, der in<br />
einem Regionalzug mit der Axt auf<br />
Mitreisende einschlug, galt als<br />
traumatisiert. Auch der Syrer, der<br />
sich in Ansbach in die Luft sprengte.<br />
Heißt das, man hätte diese Taten<br />
verhindern können, hätte man<br />
die Männer rechtzeitig therapiert?<br />
Es wäre vermessen, das im Nachhinein<br />
zu behaupten. Ich sage lediglich,<br />
dass ein Trauma einer Radikalisierung<br />
Vorschub leisten kann. Wir<br />
wissen von einigen führenden IS-<br />
Terroristen, dass sie in früherer Gefangenschaft,<br />
etwa im berüchtigten<br />
Gefängnis Abu Ghraib, am eigenen<br />
Leib Traumatisches erlitten haben,<br />
Folter, Vergewaltigung, Demütigung,<br />
Entmenschlichung. Es würde<br />
erklären, warum sie selbst nun zu<br />
keinerlei Empathie mehr fähig sind.<br />
Was ist mit den IS-Rückkehrern?<br />
Lassen die sich überhaupt resozialisieren?<br />
Einige sind sicher vom IS enttäuscht,<br />
sie hatten völlig andere Vorstellungen.<br />
Ich habe mit einem<br />
IS-Mann gesprochen, der sich in die<br />
Türkei abgesetzt hat und mit dem IS<br />
nichts mehr zu tun haben wollte.<br />
Weil ihm der IS zu grausam war?<br />
Überhaupt nicht. Er fand es einfach<br />
ungerecht, dass sein Freund zum<br />
Emir befördert worden sei, ein<br />
dickes Auto und eine große Villa<br />
bekommen habe – und er nicht. Für<br />
die Resozialisierung dieser Leute<br />
werden wir sicherlich längere Zeit<br />
brauchen als bei Leuten, die sich<br />
entsetzt vom IS abgewendet haben.<br />
Wie müsste so eine Resozialisierung<br />
vonstatten gehen?<br />
Nehmen wir jemanden, der vom IS<br />
desertiert ist, der glaubwürdig belegen<br />
kann, niemanden getötet zu<br />
haben, dann kann man mit diesem<br />
Mann arbeiten. Wir sprechen von<br />
kognitiver Umstrukturierung. Allein<br />
durch Fragen zwingt man ihn<br />
zum Nachdenken.<br />
Wir sehen schon die Leserbriefe:<br />
Jetzt sollen wir diesen Leuten<br />
auch noch eine Psychotherapie<br />
bezahlen!<br />
Das ist ein Problem. Wir erleben das<br />
Gleiche, wenn es um die Therapie<br />
von Sexualstraftätern geht. Aber<br />
sollen wir die ewig wegsperren?<br />
Zurückbringen?<br />
Das geht unter Umständen bei Ausländern.<br />
Viele der IS-Rückkehrer<br />
sind jedoch deutsche Staatsbürger.<br />
Wer nachweislich schwere Straftaten<br />
begangen hat, gehört ins<br />
Gefängnis, keine Frage. Aber dort<br />
dürfen wir sie nicht allein lassen …<br />
… wie den terrorverdächtigen<br />
Syrer Dschabar al-Bakr, der im<br />
Oktober in der JVA Leipzig Suizid<br />
beging.<br />
Als ich von seiner Verhaftung erfuhr,<br />
sagte ich in einer Vorlesung:<br />
Hoffentlich passen sie auf den auf.<br />
Die Gefängnispsychologin konnte<br />
keine Suizidgefahr erkennen.<br />
Natürlich wirkte er nicht labil oder<br />
depressiv. Wahrscheinlich war er<br />
mit sich sogar im Reinen. Zwar ist<br />
Muslimen der Suizid verboten, nach<br />
dem Koran bestimmt einzig Gott<br />
über Leben und Tod. Aber so einfach<br />
ist es eben nicht: Der Mann befand<br />
sich im Dschihad. Er wollte den<br />
feindlichen Westen bekämpfen.<br />
Nach der Verhaftung konnte er<br />
diesem Feind nur noch mit seinem<br />
Tod Schaden zufügen. Nach dieser<br />
Logik beging er keinen Suizid, er<br />
wählte den Märtyrertod. 2<br />
Frauke Hunfeld<br />
und Jan Rosenkranz<br />
sahen sich zur Vorbereitung<br />
auf das<br />
Interview auch Hinrichtungsvideos des<br />
IS an. Sie fragten sich, warum die Opfer<br />
oft so friedlich wirkten. Kizilhan sagt,<br />
die meisten hätten sich aufgegeben<br />
FOTO: CHRISTIAN ZANDER/DPA<br />
64 16.2.<strong>2017</strong>