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Aufbruch 89 - Die Friedliche Revolution in Sachsen

Diese Dokumentation erschien erstmals 1999 als Begleitband zu einer Ausstellung, die anlässlich des 10. Jahrestages der Friedlichen Revolution im Sächsischen Landtag gezeigt wurde. Es werden die Veränderungen des Jahres 1989 auf einzigartige und nachvollziehbare Art und Weise erlebbar gemacht.

Diese Dokumentation erschien erstmals 1999 als Begleitband zu einer Ausstellung, die anlässlich des 10. Jahrestages der Friedlichen Revolution im Sächsischen Landtag gezeigt wurde. Es werden die Veränderungen des Jahres 1989 auf einzigartige und nachvollziehbare Art und Weise erlebbar gemacht.

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Entlarvung<br />

der gefälschten<br />

Wahlen<br />

Zum größten politischen Erfolg der Op posi tion wurde im Mai 19<strong>89</strong> die<br />

Aufdeckung der Wahlfälschung anlässlich der Kom mu nalwahlen. In vielen<br />

Wahllokalen nahmen Oppositionelle an der Auszählung der Stimmen<br />

teil und protestierten anschlie ßend gegen die geschönten Zahlen. In<br />

Leipzig de monstrierten am 7. Mai fast 1 000 Menschen auf dem Markt<br />

ge gen die Wahlfarce. Viele wurden verhaftet, und am nächsten Tag bildete<br />

die Polizei e<strong>in</strong>en Kessel um die Nikolai kirche, <strong>in</strong> der das gefürch tete<br />

Friedensgebet gehalten wurde. Zum ersten Mal wurde das SED-Regime<br />

öffentlich der Lüge und des Ver stoßes gegen se<strong>in</strong>e eigenen Gesetze<br />

über führt und damit delegitimiert.<br />

Abstimmung<br />

mit den Füßen<br />

Foto: Röder<br />

Fotos: Giersch (auch rechte Seite)<br />

Foto: Kühne<br />

Das Rechtsthema rückte nun immer mehr <strong>in</strong> den Mittelpunkt oppositio -<br />

nel len Han delns. E<strong>in</strong>gaben häuften sich, die ihre Pro teste und Forde -<br />

rungen mit DDR-Ge setzen begründeten oder mit der DDR-Unterschrift<br />

unter den Hels<strong>in</strong>ki-Papieren. Immer öfter wur den Forderungen nach e<strong>in</strong>er<br />

offenen, zi vi len und pluralistischen Gesellschaft, nach politischer<br />

Mitbestimmung, Gewalten teilung, <strong>in</strong> dividuellen Freiheitsrechten und<br />

Rechts staat lichkeit laut. Im Februar 19<strong>89</strong> unterbrei tete der Friedens -<br />

arbeit skreis der Ev ange li schen Stu dentengeme<strong>in</strong>de Karl-Marx-Stadt<br />

e<strong>in</strong>en öffentlichen Vorschlag, der zum Dia log über die <strong>in</strong>nere<br />

Krise die Idee des »Run den Tisches« vorwegnahm.<br />

E<strong>in</strong> ähnlicher Vor schlag für »autorisierte Gesprächsrunden«<br />

kam nach der Wahlfälschung von der<br />

»Initiative Absage an Praxis und Pr<strong>in</strong>zip der<br />

Abgrenzung«. Als Ziel nannte dieser Text, der<br />

auf dem Kirchentag im Juli verbreitet wurde,<br />

e<strong>in</strong> »reformiertes Wahlrecht«. <strong>Die</strong>ses Thema<br />

war besonders gefährlich für das SED-Re gime,<br />

denn mit der Rechtsfrage stellte sich immer<br />

auch die Machtfrage. <strong>Die</strong> Leip ziger »Demo kra -<br />

tische Initiative« schlug so gar e<strong>in</strong>e Verfassungs -<br />

änderung vor.<br />

<strong>Die</strong> Zuspitzung der <strong>in</strong>nenpolitischen Situation hatte mit dem zweiten<br />

mächtigen Strom zu tun, der das Macht gefüge der DDR unterhöhlte<br />

und schließlich die <strong>Revolution</strong> auslöste: der Ausreisebewegung, die<br />

im ersten Halbjahr 19<strong>89</strong> so gewaltig anschwoll, dass sie für SED und<br />

MfS kaum noch beherrschbar war. Während an der Grenze weiterh<strong>in</strong><br />

Schüsse fielen (am 6. Februar starb der 20-jährige Chris Gueffroy), verstärkte<br />

das MfS mit Ver haftungen und Ermittlungsverfahren den offenen<br />

Druck auf die Ausreisewilligen, die sich immer öfter zu Gruppen zu -<br />

sammen schlos sen und hier und da Demonstrationen wagten. Das<br />

Warten auf die Ausreise, nachdem der Antrag gestellt war, bedeutete<br />

für viele, die sofort ihre Arbeit verloren, extreme Unsicherheit und Härte.<br />

Oft lebten sie von der Solidarität ihrer Freunde, die sie unterstützten und<br />

ermutigten, obwohl sie für sich selbst ganz bewusst entschieden hatten,<br />

dass es besser sei, im Lande zu bleiben und Widerstand zu leisten.<br />

In den ersten drei Monaten des Jahres gab es schon fast 800 Bot schaftsbesetzer,<br />

die so ihre Ausreise, m<strong>in</strong>destens aber Öffentlichkeit erzw<strong>in</strong>gen<br />

wollten. Weiße Schleifen an Autoantennen, das große A für Ausreise<br />

gehörten zum Straßenbild. Familien, Freundeskreise, Arbeitskollektive<br />

trauerten um den Verlust derer, die wegg<strong>in</strong>gen. Fast jeder war beteiligt,<br />

half jemandem bei der Haushaltsauflösung und beim Packen, nahm auf<br />

Bahnsteigen Abschied »auf Nimmerwiedersehen«, fühlte sich verlassen<br />

und jeden Tag e<strong>in</strong> bisschen hoffnungsloser. Während die Staats führung<br />

tönte, dass man ihnen »ke<strong>in</strong>e Träne nachwe<strong>in</strong>e«, flossen allabendlich<br />

bei den Fluchtbildern aus dem Westfernsehen <strong>in</strong> vielen Wohnzimmern<br />

der DDR bittere Tränen.<br />

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