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vom Sterben, dem Tod, der Trauer und dem Leben damit Ausgabe 05-20
vom Sterben, dem Tod, der Trauer und dem Leben damit
Ausgabe 05-20
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IN DIR BLIEB ES<br />
Herbst<br />
Auch als der Schnee zu Tau wurde.<br />
In dir blieb es Herbst.<br />
Wenn die Blätter im Herbst fallen,<br />
denk‘ ich sofort an dich.<br />
Und daran, was Oma immer sagte.<br />
Auch als die Sonne an Kraft gewann.<br />
In dir blieb es Herbst.<br />
Und als du von uns gingst,<br />
blieb es in mir Herbst.<br />
Auf deinem Grabstein ist ein Baum.<br />
Ein Baum, der seine Blätter verliert.<br />
Ich denke oft an Omas Worte.<br />
Und daran, dass du wie der Baum warst<br />
Und langsam deine Blätter verlorst.<br />
Bis ich eines Tages feststellte:<br />
Der Herbst ist nicht nur kalt und nass und<br />
dunkel.<br />
Der Herbst ist ziemlich bunt.<br />
Im Herbst geboren -<br />
hast du den Frühling nicht ausgehalten mit all<br />
seiner Pracht.<br />
Denn in dir drin blieb es immer Herbst.<br />
Auch als die Knospen sprossen.<br />
In dir blieb es Herbst.<br />
Auch als die Vögel sangen.<br />
In dir blieb es Herbst.<br />
Ich habe mich immer gefragt, warum meine Mutter sich<br />
im Mai das Leben nahm.<br />
Heute weiß ich, dass sich Suizide – entgegen der<br />
landläufigen Meinung – in den Monaten Mai und Juni<br />
häufen. Warum genau das so ist, ist noch nicht fundiert<br />
erforscht, auch wenn es viele Theorien gibt.<br />
Ich werde nie eine Antwort von meiner Mutter<br />
bekommen, aber manchmal frage ich mich, ob sie<br />
den Frühling und aufkeimenden Sommer schlicht<br />
nicht ausgehalten hat. Ob das sprießende Leben<br />
um sie herum und die Freude, die in der Luft lag, so<br />
gegensätzlich zu ihrem eigenen Gemütszustand waren,<br />
dass der Kontrast zu groß wurde und ihr ihr eigenes<br />
Elend einmal mehr vor Augen führte.<br />
In ihr blieb es Herbst, während es für alle <strong>andere</strong>n<br />
Frühling wurde.<br />
Auch meine Trauer hat sich lange wie Herbst angefühlt,<br />
zumindest wie der Herbst, an den ich nach ihrem Tod<br />
dachte. Kalt, nass, verregnet, dunkel, schwer. Doch je<br />
länger mein Trauerweg wurde, desto mehr Schätze<br />
fand ich auch darin und desto bewusster wurde mir,<br />
dass der Herbst und damit auch meine Trauer mit der<br />
Zeit mehr zu bieten hatten als Schwere, Dunkelheit und<br />
Kälte.<br />
Mama, wenn der Herbst kommt, fühle ich mich dir noch<br />
ein Stück näher, auch wenn dein Herbst nicht meiner ist,<br />
denn meiner ist bunt.<br />
Auch als das Grün zurückkam.<br />
In dir blieb es Herbst.<br />
Jenny Otte<br />
Trauerbegleiterin<br />
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Illustrationen - Jenny Otte<br />
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