Printversion vergriffen: Freier Download BA 60 als PDF - Bad Alchemy
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formed.records (Chicago)<br />
B. Beins M. Vorfeld<br />
Für SLW (Formed 108) hat sich mit BEINS -<br />
CAPECE - DAVIES - NAKAMURA eine Allstarformation<br />
des Dröhnminimalismus oder<br />
Reduktionismus, oder wie immer man das<br />
Surfen auf Mikrowellen nennen will, zusammengetan.<br />
Burkhard Beins (Selected percussion,<br />
Objects) <strong>als</strong> Vertreter von ‚Berliner<br />
Luft‘, der argentinische Neuberliner Lucio<br />
Capece (Soprano saxophone, bass clarinet,<br />
Preparations), dazu Beins Partner in The Sealed<br />
Knot, der Waliser Rhodri Davies (Harp,<br />
electro acoustic devices), & Onkyomeister<br />
Toshimaru Nakamura (No-input mixing<br />
board) streifen hier durch das dröhnende,<br />
sirrende, schäbige Flachland, das sie selber<br />
ausbreiten, Flora & Fauna all inclusive. Finessenreich<br />
wird jedes Grau in Grau <strong>als</strong> Nuance<br />
präpariert, da fiept es, dort zirpt es,<br />
Flöhe husten, Fische singen ihren Nachtgesang,<br />
das Gras wispert, der Wind heult ‚Mary<br />
had a little lamb, it was very very very little,<br />
ging einer Küchenschabe kaum bis ans<br />
Knie.‘ Die federleichte Viererbande tickelt<br />
und bitzelt, giekst und ab und zu twangt einer<br />
sogar, man flattert und tuckert und<br />
Capece portioniert Luft mit spitzen Lippen in<br />
5 g-Päckchen. Nach einer halben Stunde hat<br />
sich allerhand zusammengebraut, das so<br />
flach und mini garnicht ist. Die Verdichtungskurve<br />
ist längst ein anschwellender<br />
Spannungsbogen, ein zunehmendes Fluten,<br />
das bei Minute 35 überquillt. Die Bassklarinette<br />
schnarrt, Beins pingt mit nachhallenden<br />
Metallscheiben. Das Soprano schrillt<br />
schillernd, Sinuswellen stechen, Beins lässt<br />
die Roulettekugel rotieren, es wird geknispelt<br />
und geschabt. Die Vier wissen schon<br />
ganz genau, was sie da tun & lassen. Die 50.<br />
Min. setzt einen noch einmal auf ein brummiges<br />
Hochplateau, bis SLW mit leisem Pfeifton<br />
sanft sich ganz in Luft auflöst.<br />
39<br />
Die ersten Töne von Snake‘s Eye (Formed<br />
109) lassen einen weder an Sumoringer denken,<br />
wie sie das Cover zeigt, noch, dass zwei<br />
Perkussionisten da zu Gange sind. Aber hinter<br />
VORWOLF stecken mit Michael Vorfeld<br />
(*1956, Berlin) & Christian Wolfarth zwei<br />
Könner, die weder Blasinstrumente noch<br />
Elektronik nötig haben, um so zu klingen wie<br />
sie klingen. Vorfeld hat ein Faible für perkussive<br />
Zwiegespräche, zuletzt mit W. Schliemann<br />
und Alle Neune (Creative Sources),<br />
aber er improvisierte auch mit Chris Heenan<br />
an der Kontrabassklarinette oder am Analogsynthesizer<br />
oder mit Reinhold Friedl und<br />
seiner Geräuschwelt aus dem Innern des<br />
Klaviers. Der Schweizer Wolfarth seinerseits<br />
hat mit Mersault seine bruitistische Spielwiese<br />
(zusammen mit seinen Landsleuten Korber<br />
& Weber), nachdem er sich mit J. W.<br />
Brennans Momentum in die vordere Reihe<br />
gespielt hatte. Sein Einklang mit Vorfeld ist<br />
so fein und nahtlos, dass das Bild zweier<br />
Fettklöse, die miteinander ringen, so ziemlich<br />
das krasseste Gegenbild darstellt, zu<br />
dem, was hier eigentlich das Bemerkenswerte<br />
ist. Ein vierhändiges Miteinander, das weniger<br />
von Kontrasten <strong>als</strong> von Nuancierungen<br />
und kleinen Differenzen, von Übergängen,<br />
lebt. Als ob ein Superhirn einfach nur genug<br />
Gliedmaßen hat, um die Fülle seiner Gedanken<br />
und Intuitionen augenblicklich vollständig<br />
zu realisieren, zum Klingen zu bringen.<br />
Als pointillistisches Tüpfeln, zartes Knarzen,<br />
gestrichene Schwingungen. Durchwegs sind<br />
Farbtöne wichtiger <strong>als</strong> Beats, die es allenfalls<br />
poly-, ach nicht einmal rhythmisch, einfach<br />
nur poly gibt. Metall dröhnt, Plastik sirrt,<br />
Steinchen klickern, Fell tockt, manchmal<br />
scheinen Motörchen zu brummen und<br />
manchmal der ganze Luftraum selbst zu<br />
schillern. Weiß der Teufel, was da abgeht.