20.04.2023 Aufrufe

Der alte Forstmann

Geschichte über das Leben eines Forstmanns.

Geschichte über das Leben eines Forstmanns.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Der alte Forstmann

Er war das, was man sich unter

einem alten Förster vorstellt. Ein

stattlicher Mann, von aufrechter

Statur, breit gebaut und mit Armen

und Händen denen man ansah, dass

sie es gewohnt waren zuzupacken.

Die hellen blauen Augen unter den

buschigen Augenbrauen betonten

trotz des Alters den aufmerksamen,

ungetrübten Blick. Quer über die

Stirn verlaufende Falten ließen einen

Menschen dahinter vermuten, der

gewohnt ist viel nachzudenken.

Meist trug er seine grüne, etwas

abgewetzte Lodenjoppe und traf man

ihn im Wald, so hatte er den

Rucksack und sein Gewehr, einen

Drilling, über der Schulter. An der

Brust hing sein altes Fernglas, noch

aus den Zeiten wo er als Soldat an

der Ostfront seine Träume begrub.

Sein ganzes übriges Leben lang war

er Förster gewesen und seine Liebe

galt dem Wald und den Tieren.

1


Er lebte allein im alten Forsthaus.

Seine Frau war schon vor einigen

Jahren gestorben. Er vermisste sie

und auch die kräftige Kartoffelsuppe,

die sie im Winter immer kochte. Und

er vermisste auch die Gespräche mit

ihr neben dem Herd am offenen

Feuer. Sie sprachen nie über etwas

Besonderes oder Weltbewegendes.

Aber es war schön mit ihr zu reden,

ihr zuzuhören und über das Gesagte

und Gehörte nachzudenken bevor

man eine Antwort gab oder eine

Frage stellte; und das vertraute

Zusammensitzen ohne etwas zu

sagen.

Sie war aus der Stadt zu ihm

gekommen und hatte sich langsam

an das etwas einsame Leben im

Forsthaus ohne Strom und Telefon

gewöhnt. Anfangs war ihr dieses

Leben fremd, sie wusste nicht viel

über die Tiere, die Bäume und das

Leben dazwischen. Doch sie war

lernbegierig und sog all das Wissen

einer neuen Welt in sich auf. Bald

wusste sie, dass das Reh nicht die

Frau des Hirsches ist und dass der

2


Fuchs an der Rehfütterung kein Heu

frisst, dass manche Vögel über den

Winter in den Süden fliegen und

andere wiederum die harte Zeit hier

meistern. Sie lernte die Stimmen des

Waldes zu erkennen und zu

unterscheiden und freute sich jedes

Jahr wieder auf den Frühling und die

Schneeschmelze.

Im Garten am Forsthaus hinter dem

Brunnen hatte sie Kartoffel und

Gemüse gepflanzt; aus den Früchten

der Obstbäume und den Beeren der

Sträucher machte sie Marmelade

oder kochte sie ein. Beide hatten sie

ihre Aufgaben. Er, der Förster,

kümmerte sich draußen um den

Wald, die Tiere und die Bäume. Er

sorgte für genügend Brennholz für

den Winter, reparierte das Dach und

ging in die Stadt wenn es nötig war

um Dinge zu besorgen, die sie selbst

nicht hatten wie Zucker und Salz,

Mehl, Reis, Schmalz und Wolle zum

Stricken. Gerne brachte er auch

etwas Schokolade mit nach Hause; er

wusste, dass er ihr damit eine

besondere Freude machen konnte.

3


Aber das alles war plötzlich anders

geworden. Sie klagte gelegentlich

über ein Stechen in der Brust, meinte

aber im gleichen Atemzug, daß es

nicht so schlimm und auch schon

wieder vorbei sei.

Erst später, als es immer häufiger

wurde, kamen sie auf den Gedanken,

in der Stadt einen Arzt aufzusuchen.

Der machte ein bedenkliches Gesicht,

schrieb ein Rezept und sagte, dass

weitere Untersuchungen im

Krankenhaus notwendig wären. Aber,

als es ihr auf dem Heimweg schon

wieder besser ging, war der Rat des

Arztes schon wieder vergessen. Sie

sprach auch nicht mehr darüber und

als sie immer kurzatmiger wurde und

im Wald beim Pilze sammeln immer

schlechter Luft bekam, schob sie es

auf die Vorboten des Älterwerdens.

So vergingen die Tage und eines

Morgens wachte sie nicht mehr auf.

Ihr Gesicht war von einem

zufriedenen und glücklichen Lächeln

umspielt als der alte Förster sie

aufzuwecken versuchte.

4


Er war traurig und fühlte sich

verlassen. Gelegentlich besuchte ihn

eine Dame, die er am Grab seiner

Frau kennengelernt hatte und die

sich ihm als Jugendfreundin seiner

Frau vorstellte. Sie fragte jedesmal

höflich nach seinem Befinden und ob

sie etwas für ihn tun könne. Er hatte

sich an die Einsamkeit gewöhnt,

freute sich aber dennoch über die

gelegentlichen Besuche. Eine

besondere Art von Freundschaft

empfand er zu ihr. Meist kochte sie

dann etwas für ihn, erzählte

Geschichten aus dem Leben ihrer

Jugendfreundin und was es Neues in

der Stadt gab.

Einmal war sie sogar über Nacht im

alten Forsthaus geblieben. Sie hatte

eine Flasche Wein mitgebracht und

kochte Kartoffelsuppe für ihn. Am

nächsten Morgen ging er wie

gewöhnlich in den Wald doch als er

zurückkam war sie verschwunden.

So wurde er mehr und mehr zum

Einzelgänger der seinen Gedanken

5


nachhing und sich nur noch um den

Wald und die Tiere kümmerte.

Zur Beobachtung hatte er tief im

Wald an einer Lichtung eine winzige

Hütte gebaut in der er übernachten

und die Tiere durch einen

Fensterspalt beobachten konnte.

Dort hatte er auch eine Futterstelle

mit Heu eingerichtet damit die Rehe

und Hirsche in den Notzeiten des

Winters überleben konnten. Auch an

die Hasen hatte er gedacht und

einige Gelbe Rüben für sie im

Wurzelstock der alten Eiche

versteckt.

Etwas früher als sonst hatte er sich

heute auf den Weg zu seiner Hütte

gemacht denn er wollte wieder die

Nacht im Wald verbringen. Denn es

war ja nicht irgendein Abend. Nein,

Weihnachten stand vor der Türe.

In der Hütte war es eng aber

gemütlich, auf dem Klapptisch vor

dem Fenster konnte er sein Fernglas

abstellen und seine Handschuhe

ablegen, am großen Haken in der

6


Ecke unter dem Dach hing sein

Rucksack. Der Drilling lehnte in der

Ecke an der Wand. Zu seinen Füßen

brannte die kleine blaue Flamme des

Heizgerätes das nach geraumer Zeit

angenehme Wärme verbreitete. Das

Gefühl der Geborgenheit umfing ihn

wenn er durch die Scheiben auf die

kleine Lichtung mit der Futterstelle

blickte.

Eingepackt in wollene Decken war

ihm wohlig warm und er konnte

gemütlich vor sich hin schlummern.

Gelegentlich machte er die Augen auf

und blickte durch den Fensterspalt

ob er irgendein Tier an der Fütterung

sehen könne. Und gleich darauf

schloss er die Augen wieder, die Stille

und Ruhe genießend, vor allem aber

das Gefühl, sich im Strom der

Gedanken und Gefühle treiben zu

lassen.

Er hatte lange vor sich hingedöst

und über Vieles nachgedacht, als er

wieder die Augen öffnete. Der Mond

verbreitete ein fahles Licht, die

hohen Stämme der Bäume warfen

7


lange Schatten. Der weiße Schnee

zeichnete den Hintergrund in dem

jeder Ast zu sehen war. Die auf einem

der Äste sitzende Eule warf ihre

Konturen scharf in den Himmel. Sie

saß wie schon so oft auf ihrem Ast

und blickte regungslos auf den Boden

unter sich. Der Förster kannte sie

schon lange. Oft hatte er sie dort auf

ihrem Ast sitzen gesehen. Manchmal

hatte er sich gefragt, ob sie ihn wohl

kenne. Vertraut nickte sie mit ihrem

Kopf wenn sie ihn sah und blieb auf

ihrem Ast sitzen. Er war Eins

geworden mit der Natur und den

Tieren, doch heute war sie plötzlich

weggeflogen.

Er betrachtete das Spiel des Lichts

und es kam ihm so vor, als wäre der

Wald um ihn heute heller und

leuchtender als sonst in den klaren

Sternennächten. Ein Kegel aus

gleißendem Licht war direkt neben

der Futterstelle aufgetaucht. Das

Licht stand ruhig und still und

bewegte sich kaum. Ein leichter Wind

berührte die Äste und trieb

Schneeflocken zu ihm. Verwundert

schaute der Förster in das Licht. Er

8


glaubte, darin eine Bewegung

wahrgenommen zu haben. Oder

täuschte er sich?

Seine Augen hatten sich an den

Kontrast gewöhnt. Langsam und

vorsichtig um kein Geräusch zu

machen nahm er das Fernglas an die

Augen. Doch wohin er auch blickte,

es war nichts zu sehen. Die Äste und

Zweige der Bäume zeichneten sich

klar im Mondlicht ab. Auch am Boden

im Schnee sah er nur einige kleine

Erdhügel vor dem Wurzelstock,

wahrscheinlich Maulwurfshaufen.

Doch jetzt plötzlich, auf einmal kam

Bewegung ins Geschehen!

Ein lautloser Schatten schwebt durch

die Wipfel der Bäume herab und

nimmt direkt vor ihm auf einem

knorrigen Ast Platz. Er erkannte

seinen alten Freund, die Eule, die ihm

nun zunickte. Immer noch das

Fernglas an den Augen nimmt er

wahr, wie sich Äste eines Baumes

leicht im Winde wiegen. Hell

zeichnen sich die Bewegungen im

Mondlicht ab. Und plötzlich bemerkt

9


er, daß das keine Äste sind was er

sieht! Es ist das Geweih eines

kapitalen Hirsches.

Er steht ganz ruhig in einiger

Entfernung da und blickt gespannt zu

ihm hin. Dann lösen sich seine

Umrisse aus dem Schatten und er

bewegt sich langsam auf ihn zu. Hell

glänzen die Sprossen seines

mächtigen Geweihes im Mondlicht.

Einzelne, von Reif bedeckte Haare

seiner Mähne sind zu erkennen, in

seinen Augen spiegeln sich die

Sterne. In weißen Schwaden steigt

sein gefrorener Atem in die

Winternacht.

Neben ihm erscheint ein weiterer

Schatten, die Hirschkuh. Auch sie

blickt immerwährend den Förster an.

Und auch die Erdhaufen am Boden

bewegen sich plötzlich. Mit dem Glas

am Auge erkennt er die Hasen nahe

dem Wurzelstock. Es ist, als ob alle

Tiere ihn anblicken. Doch es liegt

keine Furcht in ihren Blicken. Eine

freundliche, friedliche Stimmung liegt

10


über ihnen. Die große Ruhe der

Weihnachtsnacht hat Einzug

gehalten.

„Du bist unser Freund“ hört er ganz

nahe und zugleich entfernt eine leise

Stimme. „Unser Frieden sei auch Dein

Frieden“. Der Förster lauschte jedem

Wort. Immer noch das Glas an den

Augen erkennt er mehr und mehr

Tiere des Waldes vor ihm die auf die

kleine Lichtung treten. Schweigend,

ohne irgendein Geräusch waren sie

gekommen und blicken ihn an.

Langsam und bedächtig um sie nicht

durch eine hastige Bewegung zu

erschrecken setzt er das Glas ab. Er

spürt plötzlich die Nähe und

Verbundenheit.

„Wir alle wollen Dir danken“ hört er

aufs Neue die Stimme sagen. Der

Mond beleuchtete die Szene. Der

ganze Futterplatz ist nun voll mit

Rehen, Hirschen, Füchsen und allen

anderen Tieren, die still dastehen

oder sich hingesetzt haben und ihn

anblicken. „Bleibe Du unser Freund

und wir bleiben die Deinigen“. „Wir

11


werden immer auf Dich aufpassen“.

„So gehe jetzt heim und nimm

unseren Frieden und unsere Liebe

mit in Dein Haus“. Er hört die

Botschaften, blickt verwirrt in die

Runde und sucht zu verstehen.

Das Licht des Mondes wurde immer

heller, die Konturen verschwimmen

und lösen sich auf. Keines der Tiere

war mehr zu sehen. Sogar als er das

Glas wieder an die Augen setzt kann

er nichts mehr erkennen. Auch die

Eule war weg und die Erdhaufen vor

dem Wurzelstock sind

verschwunden. Vergeblich suchte er

irgendetwas zu erkennen. Totenstille.

Nur der Mond warf sein gleißendes

Licht auf den Schnee. Hatte er das

alles nur geträumt?

Er versuchte, alles genau aus seinem

Gedächtnis wieder hervorzuholen.

„Gehe jetzt heim und nimm unseren

Frieden und unsere Liebe mit in Dein

Haus“. Das hatte die Stimme gesagt

und klar und deutlich stand die

Erinnerung an diese Worte vor ihm.

12


Eine Weile noch grübelte er, dann

aber packte er seine Sachen in den

Rucksack und machte sich auf den

Weg. Leise knirschte der Schnee

unter seinen Stiefeln. Still war der

Wald. Nur ein gelegentliches

Rascheln im Laub links und rechts

neben ihm ließ ihn ahnen, daß auch

noch das ein oder andere Tier seinen

Weg durch den Wald begleitete. Als

er kurz stehenblieb um nach den

Sternen zu blicken, hörte er den

vertrauten Ruf der Eule aus den

Wipfeln der Bäume. Bedächtig setzte

er seinen Weg durch die Nacht fort.

Das milde Mondlicht zeigt ihm die

Richtung. Ihm ansonsten fremde

Gedanken und Gefühle kreisen in

seinem Kopf. Und er weiß, er will

heim in sein Haus.

Langsam näherte er sich dem

Forsthaus. Leichter Rauch stieg aus

dem Kamin und zeichnete eine dünne

helle Spur in den dunklen Himmel.

„Ich habe wohl zuviel Holz in den

Ofen gelegt, daß er immer noch

brennt“, so dachte er bei sich.

13


Er klopfte den Schnee von seinen

Stiefeln, zog sie aus und trat in den

Vorraum. Träumte er oder hatte er

nicht gerade eine Eule auf dem

Holzstoß vor der Türe sitzen

gesehen? Sie schien ihm zugenickt zu

haben. Seinen Rucksack und den

Drilling hängte er wie gewohnt an

den Türpfosten und trat ein in die

Stube.

Verwundert nahm er wahr, daß

zwei Kerzen brannten welche die

Stube sanft und schummerig

erleuchteten. Auf dem Herd stand ein

Topf. Der verlockende Geruch von

Kartoffelsuppe durchzog den Raum.

Neben dem Tisch stand seine alte

Freundin und lächelte ihn an.

Er war heimgekommen.

Dezember 2020

Hermann Weil

14

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!