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experimenta-09_23_September_DS

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Essay<br />

Essay<br />

dicht beieinander liegen (können).<br />

die ängste<br />

water<br />

Zum Vergleich vielleicht hier noch ein Gedicht von<br />

wie honig aus<br />

beside the white<br />

Friedericke Mayröcker aus dem Jahre 1981, als<br />

den wohnwaben<br />

chickens<br />

Ausblick in die „vergangene Gegenwartslyrik“.<br />

in welch klebrige zukunft<br />

es salutieren<br />

Wir haben es hier mit einem genialen Gedicht des<br />

die mumien<br />

amerikanischen Poeten William Carlos Williams zu<br />

Zypressen<br />

von gassenhauern<br />

tun. Aber unternehmen wir einfach einmal den<br />

× Rüdiger Heins<br />

geprügelt<br />

Versuch, dieses Poem in eine andere Form zu<br />

es windet<br />

und Dichterinnen aktuell zu einem weltpolitischen<br />

zu wehrlosen<br />

bringen:<br />

weisz, der<br />

Thema in lyrischer Form äußerten. Ein kleiner<br />

substanzen<br />

so much depends upon a red wheelbarrow glaced<br />

vogel<br />

Versuch, der gigantischen Medienmaschinerie mit<br />

Fritz Reutemann<br />

with rain water beside the white chickens<br />

Knarrt im<br />

leisen Tönen zu antworten.<br />

Dieses im Ursprung so geniale Gedicht verliert<br />

Wald –<br />

seinen Glanz, da wir die Zeilen nicht wie Williams<br />

umhalsend<br />

manhattan<br />

Vom Klangbild der Zeilenumbrüche<br />

gebrochen haben. Das Gedicht wurde als Prosatext<br />

zarte Fremdheit wenn<br />

die träume<br />

Um die zeitgenössische Lyrik, also die Lyrik um<br />

wiedergegeben. Somit entsteht eine andere<br />

die Knospe<br />

im katalog verbucht<br />

die Jahrtausendwende zu begreifen, müssen<br />

Wahrnehmung des Textes.<br />

welkt<br />

werden die mohren<br />

wir uns zunächst in die USA begeben, denn<br />

Der Zeilenbruch ermöglicht uns, die lyrischen Bilder<br />

noch da sein<br />

dort wurde kontinuierlich am Klang der Sprache<br />

in unserem Gehirn anders entstehen zu lassen. Der<br />

Nach dieser Exkursion zu den Wurzeln der Lyrik des<br />

ihre schuldigkeit tun<br />

weiter gearbeitet. Die Ergebnisse dieser<br />

Dichter gibt uns die Tonleiter, und der Leser spielt<br />

20. Jahrhunderts machen wir jetzt einen Sprung in<br />

wo gehen sie hin<br />

lyrischen Experimente wurden besonders von<br />

mit seiner eigenen Fantasie die Melodie. Das ist das<br />

die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />

danach<br />

deutschsprachigen Lyrikern und Lyrikerinnen<br />

eigentlich Grandiose am Zeilenbruch, erlaubt er<br />

Wobei hier noch anzumerken wäre, dass die beiden<br />

in asche und sack<br />

übernommen und individuell weiterentwickelt.<br />

doch eine Vielzahl von Interpretationsmöglichkeiten.<br />

Weltkriege eine Fülle von Themen, aber auch Formen<br />

nach manhattan<br />

Der amerikanische Poet William Carlos Williams war<br />

So viele Leser eines Gedichtes, so viele Gedichte.<br />

der Sprache hervorgebracht haben. Aber auch jener<br />

der skyline<br />

ein Meister des Zeilenbruchs. In mancher Form der<br />

Es gibt sie also: die Muse der Zeilen und die<br />

11. <strong>September</strong> 2001, der vermutlich alle bis dahin<br />

ein paar zähne ziehen<br />

Poesie kann das Zeilenbrechen dazu beitragen, die<br />

Muse des Zeilenbruchs. Einige zeitgenössische<br />

geltenden Maßstäbe ins Wanken brachte, machte<br />

aus stahl und beton<br />

Brillanz eines Gedichtes zu bestimmen. Zum Beispiel<br />

Dichterinnen und Dichter verfügen über ein<br />

sich auch in der Lyrik bemerkbar. Es tauchte, ähnlich<br />

endlose feuerleitern<br />

das berühmte Gedicht des William Carlos Williams:<br />

ausgeprägtes Talent, den Punkt zu bestimmen, an<br />

wie in den Jahren nach Ausschwitz, die Frage auf:<br />

im kalten<br />

dem die Zeile gebrochen wird, um eine neue Zeile<br />

„Gibt es noch eine Lyrik nach dem 11. <strong>September</strong>?“<br />

himmel<br />

The Red Wheelbarrow<br />

zu beginnen. Das ist die Kunst oder die Muse des<br />

Es gibt sie: Der Lyriker Anton G. Leitner, der auch<br />

vor selbstmörderstaub<br />

so much depends<br />

Zeilenbruchs (Ed Senders in einem Vortrag aus dem<br />

Herausgeber der Zeitschrift „Das Gedicht“ ist, bringt<br />

schwarz<br />

upon<br />

Jahre 1998).<br />

seine Betroffenheit auf den Punkt: „Nach dem<br />

durch die ritzen<br />

a red wheel<br />

Eine weitere Muse ist die des Versmaßes und des<br />

Terroranschlag religiöser Fanatiker auf das World-<br />

der toten häuser<br />

barrow<br />

Reims. Die heutigen Gedichte sind in sehr komplexen<br />

Trade-Center in New York am 11. <strong>September</strong> 2001<br />

geblasen<br />

glaced with rain<br />

Versmaßen geschrieben. Dichtergenerationen der<br />

gewann unser gegen Gewalt gerichtetes Thema eine<br />

die halbmastigen fahnen<br />

vergangenen Epochen bedienten sich strukturierter<br />

neue, furchtbare Dimension. Jener Spätsommertag<br />

aus denen die sterne<br />

Formen, etwa des Sonettes, die lyrische<br />

schlug sich in fast allen lyrischen Beiträgen nieder,<br />

vom kalten<br />

Kompositionen zu einem kalkulierbaren Klang- und<br />

die danach bei uns eingetroffen sind.“<br />

himmel gefallen<br />

Rhythmuserlebnis machten:<br />

Fritz Reutemann, ebenfalls Lyriker und Herausgeber<br />

dahinbleichen<br />

Ein Blick auf William Shakespeare, ein Meister der<br />

von Anthologien, reagierte schnell. Bereits kurz<br />

krallen sich fest<br />

Sonettkunst, lässt uns an diesem rhythmischen<br />

nach den Ereignissen des 11. <strong>September</strong> lud er<br />

zwischen stripes<br />

Klangeschehen teilhaben.<br />

Dichterkollegen zu einer Anthologie mit dem Titel:<br />

in den träumen<br />

Fluchtzeiten – Das Ende der Totlachgesellschaft ein.<br />

nicht zu vergessen<br />

Die schönsten Wesen, sie solln sich vermehren,<br />

Mit dieser Publikation läutete er eine neue Ära der<br />

deutschsprachigen Lyrik ein, bei der sich Dichter<br />

aus dem trauma<br />

geschleudert<br />

× Rüdiger Heins<br />

Damit die Rose Schönheit nie verdorrt.<br />

Muss auch die Zeit den reifen Mann verheeren.<br />

16 <strong>09</strong>/20<strong>23</strong> www.<strong>experimenta</strong>.de 17

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