60 nach 45 - Landesjugendring Hamburg eV
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Der [andere] Untergang<br />
Wie ein Film die Geschichte Nazideutschlands auslöscht und neu erfindet<br />
Von Hannes Heer, <strong>Hamburg</strong><br />
Begeisterte Rezipienten. Hermann Graml ist<br />
altgedienter Mitarbeiter des Münchner Instituts<br />
für Zeitgeschichte, das in den 50er Jahren<br />
zur Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus<br />
gegründet wurde. Er fand den Film<br />
Der Untergang »ganz hervorragend«: Die Mischung<br />
aus »Wahnsinn, grausiger Komik und<br />
Normalität« habe ihn tief beeindruckt: »Ich<br />
glaube, daß viele Zuschauer aus diesem Film<br />
viel lernen können, nämlich Einsicht gewinnen<br />
in das Wesen des Nationalsozialismus.« Daß<br />
sein Institutskollege Christian Hartmann ihm<br />
beipflichtete, verwundert nicht: dieser zeichnete<br />
für die wissenschaftliche Beratung des<br />
Films verantwortlich. Mehr erwartete man,<br />
weil unparteiisch, von der Besprechung Jens<br />
Jessens in der Zeit. Aber auch er lobte den<br />
historischen Nutzwert des Films: der Kindermord<br />
der Magda Goebbels zeige en miniature<br />
den millionenfachen Judenmord: »So gelingt<br />
es, den Holocaust, der naturgemäß in der<br />
Bunkergeschichte selbst keinen Platz hat,<br />
doch in einer Abbreviatur und in der Mentalität<br />
des Vernichtungsfanatismus erschreckend<br />
aufscheinen zu lassen.« Wenn das so wäre,<br />
handelte es sich bei dem Film um ein ganz<br />
normales, wenn auch aufwendigeres Exemplar<br />
der Gattung historische Aufklärung und der<br />
wochenlange gigantische Medienzirkus wäre<br />
unverständlich.<br />
Techniken des Melodrams. Es muß also etwas<br />
anderes an dem Film sein, als die beiden zitierten<br />
biederen Kommentare. Die Welt schlägt denn<br />
auch ganz andere Töne an: »Der ›Untergang‹ ist<br />
ein Zeichen der Emanzipation« und Frank Schirrmacher<br />
nennt den Film in der FAZ eines der<br />
»wichtigsten Geschichtsprojekte der letzten Jahre.«<br />
Warum diese Prädikate »bahnbrechend« und<br />
»besonders wertvoll«? Was der Zuschauer sofort<br />
feststellt und weshalb er sich beruhigt auf das<br />
Unternehmen einlassen kann, ist eine vertraute<br />
Tatsache: wie in jedem Melodram besteht die Welt<br />
des Bunkers aus einer Handvoll Schurken und einer<br />
Masse anständiger, sympathischer Menschen.<br />
Zur ersten Gruppe gehören Hitler und Goebbels,<br />
zur zweiten der Rest der Bunkerbesatzung und<br />
die Berliner Bevölkerung übertag.<br />
Diese Aufspaltung in gute und böse Deutsche, in<br />
Schuldige und Schuldlose ist keine Erfindung des<br />
Filmproduzenten Bernd Eichinger und des Historikers<br />
Jochim Fest, der die Vorlage für das Dreh-<br />
buch geliefert hat. Sie greift zurück auf eine<br />
Erzähltechnik, die eigentlich als längst überholt<br />
galt.<br />
Alte Mechanismen. In der frühen Bundesrepublik<br />
gab es drei Manöver, mit denen die Deutschen<br />
sich die Geschichte der Nazizeit vom Hals<br />
zu schaffen versuchten: zunächst wies man daraufhin,<br />
daß man von den Verbrechen in den KZs<br />
und Vernichtungslagern nichts gewußt habe;<br />
wenn das nicht ausreichte, die Selbstzweifel oder<br />
das Nachfragen still zu stellen, verfuhr man so:<br />
Der Masse der guten Deutschen, zu denen die 19<br />
Millionen Wehrmachtssoldaten mit ihren Familien<br />
und natürlich man selber gehörten, wurde ein<br />
kleiner, böser Rest gegenübergestellt – Hitler<br />
und seine Helfer. Meist verband man das mit dem<br />
Selbstmitleid oder Nachsicht weckenden Argument,<br />
die Deutschen seien Opfer geworden zuerst<br />
von Versailles, dann von Inflation und Weltwirtschaftskrise,<br />
schließlich des Terrors des NS-<br />
Regimes, der anglo-amerikanischen Bomberflotten,<br />
der Siegerjustiz, von Kriegsgefangenschaft<br />
und Vertreibung.<br />
Die klassische Vorlage für das Modell der mehrheitlich<br />
guten und der wenigen bösen Deutschen<br />
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