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Prof. Dr. Christa Rohde-Dachser ...

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3. Die Bedeutung der Gegenwart<br />

14<br />

Der dritte und vielleicht wichtigste Vergleich zwischen Buddhismus und Psychoanalyse, den<br />

ich zum Schluss erwähnen möchte, liegt in der herausgehobenen Bedeutung der Gegenwart<br />

im Gegensatz zu Vergangenheit und Zukunft, in der sich die therapeutische Beziehung<br />

abspielt. Mit Stern (2005) könnte man auch von Momenten der Begegnung zwischen<br />

Psychoanalytiker und Analysand sprechen, in denen beide eine emotionale Erfahrung von<br />

Wahrheit miteinander teilen, nach der nichts mehr so ist, wie es vorher war. Immer handelt es<br />

dabei um eine Erfahrung im Hier und Jetzt, bei der die Frage nach der Ursache der Erfahrung<br />

in der Vergangenheit keine Rolle mehr spielt. Darin trifft sich die Psychoanalyse mit der<br />

buddhistischen Vorstellung von der Überwindung des Leidens, wie sie in dem berühmten<br />

Gleichnis vom vergifteten Pfeil ihren Ausdruck findet:<br />

Wenn jemand – so Buddha - von einem vergifteten Pfeil getroffen wird und Freunde ihn zu<br />

einem Arzt bringen, um sein Leben zu retten, so wird dieser die ärztliche Hilfe nicht davon<br />

abhängig machen, zuerst zu erfahren, wer den Pfeil abgeschossen hat, sondern – seiner<br />

ärztlichen Rolle gemäß - versuchen, das Leiden des Patienten zu lindern. Die Frage nach dem<br />

Ursprung des Leidens könne demgegenüber endlose Antworten produzieren, die das Leiden<br />

nur weiter hinauszögern, ohne es zu heilen.<br />

Eine Parallele dazu zeigt sich in der Art und Weise, wie der Analytiker dem Patienten zur<br />

Verfügung stehen soll: mit freischwebender Aufmerksamkeit, ganz den Einfällen des<br />

Patienten folgend, so Freud; oder - mit Bion – „ohne Erinnerung und Begehren (no memory,<br />

no desire), was nichts anderes heißt, als dass eine Analysestunde sich weder an Vergangenheit<br />

noch an der Zukunft orientieren soll. Das einzige, was in der Stunde wichtig ist, ist die<br />

Entdeckung von etwas bis dahin Unbekanntem, Neuem (Bion 1967, S. 22 f.). Die emotionale<br />

Wahrheit einer Sitzung, die daraus entstehen kann und von Analytiker und Analysand geteilt<br />

wird, hat für Bion eine spirituelle Qualität.<br />

Realiter findet eine solche Begegnung auch in der psychoanalytischen Behandlung eher selten<br />

statt. Aber allein die Idee der Möglichkeit einer solchen Begegnung zeigt, wohin die<br />

psychoanalytische Behandlung führen kann und welche über das Alltägliche hinausführenden<br />

Erfahrungen dabei möglich sind, wenn beide, Analytiker und Analysand, es wagen, sich ganz<br />

auf die Erfahrung von Gegenwart einzulassen. Die psychoanalytische Behandlung ersetzt

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