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Denim Days - Fashion Daily TV

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10 Essay<br />

City Cowboy<br />

Anpassungsunwillige 1 Meter 90: der Urtyp des City Cowboys Asphalt Cowboy oder City Cowboy? Egal, Hauptsache die Stiefel stimmen<br />

Von Jan Joswig<br />

Der ganze<br />

Kerl bestimmt<br />

seit einigen<br />

Saisons die<br />

Männermode<br />

mit ihrer<br />

Fixierung aufs<br />

Rustikale. in<br />

Zukunft wird es<br />

noch kerliger:<br />

Der City<br />

Cowboy steht<br />

mit gewienerten<br />

Boots in den<br />

Startlöchern.<br />

Marc Jacobs macht sich in<br />

Schnallenschuhen und Spitzenkleid<br />

für die weiche Seite<br />

im Mann stark. Wir wagen<br />

eine andere Prognose: Der<br />

Trend zum Rustikalen wird<br />

sich zuspitzen. Schon jetzt<br />

mimen die Männer in Drillichhosen,<br />

Schnürstiefeln und<br />

mit Rucksack den Vorkriegs-<br />

Pionier, der statt Notebook<br />

und Smartphone in der einen<br />

Hand das Schweißgerät und<br />

in der anderen die Axt hält<br />

(na gut, in der Praxis läuft es<br />

auf einen zwölfteiligen Leatherman<br />

am Gürtel hinaus).<br />

Keine Männerboutique ohne<br />

Eichendielen und Oldtimermotorrad<br />

im Schaufenster.<br />

Aber diese Pioniermänner<br />

machen auf halbem Weg zur<br />

Rollenerfüllung halt. Sie kuscheln<br />

im Kumpelkollektiv<br />

wie auf Charles Ebbets ikonischer<br />

Fotografie „Lunch atop<br />

a skyscraper“ von 1932 mit<br />

den elf Arbeitern auf einem<br />

Stahlträger. Dabei ist der<br />

wahre Mann vor allem eines:<br />

einsam (weshalb er in unseren<br />

Soft-Skills-Zeiten auch so<br />

ins Hintertreffen gegenüber<br />

den Frauen gerät). Ihren coolen<br />

Macker-Autismus leben<br />

die Männer noch einmal, bevor<br />

sie wegen des Personalmangels<br />

als empathische<br />

Kita-Erzieher zwangsverpflichtet<br />

werden, aus – als<br />

City Cowboys.<br />

Der City Cowboy verschärft<br />

den Habitus des Pioniermannes,<br />

statt Schweißgerät in der<br />

Hand trägt er den Patronengurt<br />

an der Hüfte – bestückt<br />

mit Jägermeister-Minis (ein<br />

Schluck für Karl May, ein<br />

Schluck für Jack London, ein<br />

Schluck für Mutti). Statt mit<br />

den Kumpels abzuklatschen,<br />

latscht er finster durch den<br />

Regen. Ja, der City Cowboy<br />

hat durchaus seine desperate<br />

Seite. Seine Genealogie reicht<br />

von Jon Voight als „Midnight<br />

Cowboy“ über Robert de Niro<br />

als Travis Bickle in „Taxi Driver“<br />

bis zu Ryan Gosling als<br />

„Driver“. Diese Männer haben<br />

so wenig Soft Skills, dass es<br />

nur einen Befund für sie gibt:<br />

Soziopathen. Darauf stehen<br />

die Frauen (was diesen Soziopathen<br />

egal ist in ihrer existentiellen<br />

Verlorenheit, aber<br />

die Männer in den Kinosesseln<br />

nehmen es als Versprechen<br />

mit).<br />

Ryan Gosling vermittelt als<br />

Driver perfekt zwischen den<br />

Welten. Die Attitüde ist schon<br />

ganz City Cowboy, der Look<br />

aber noch den Pioniermännern<br />

verhaftet. Ein Mann im<br />

Übergang. Statt Cowboystiefeln<br />

trägt er zur Jeans Boots<br />

mit Schlittschuhschnürung<br />

und gelochter Kappe im Vorkriegsstil.<br />

Aber genauso haben<br />

auch Jon Voight und Robert<br />

de Niro den Typus immer<br />

gebrochen. Denn der größte<br />

Feind des City Cowboys ist<br />

der Faschingscowboy. Die<br />

Bread & Butter hatte schon<br />

früh das Yippie Yeah am Horizont<br />

vernommen, als sie die<br />

Messe im Winter 2010 von<br />

den Stetson-Trägern „Boss<br />

Hoss“ eröffnen ließ. Aber sie<br />

hatte damit auch gleich den<br />

falschen Ton angeschlagen.<br />

Niemand erniedrigt den City<br />

Cowboy so zum plakativen<br />

Kostümhampelmann wie die<br />

Dünnbrettposer von „Boss<br />

Hoss“. Man tut besser daran,<br />

sich eine Scheibe von der<br />

ehrlichen Lederhaut Gunter<br />

Gabriel abzuschneiden – oder<br />

von solchen Wüstenrockern<br />

wie The Killers, Wolfmother<br />

oder Triggerfinger, die genau<br />

wie Gunter Gabriel eine spezielle<br />

Spielart des City Cowboys<br />

kultivieren: den Casino<br />

Cowboy, der Cowboystiefel<br />

mit einem Sakko kombiniert.<br />

Einer der frühesten und hartnäckigsten<br />

Propagandisten<br />

dieses Looks lebt in Berlin,<br />

der Stadt mit den meisten<br />

Pferdekutschen gleich nach<br />

Wien (40 zu 140, immerhin).<br />

Der Musiker und Filmemacher<br />

Christoph Dreher, der unter<br />

anderem die Band „Die Haut“<br />

leitete, Videos für „Blumfeld“<br />

und „Nick Cave & The Bad<br />

Seeds“ drehte und die Dokureihe<br />

„Lost in Music“ auf arte<br />

verantwortete, imponierte<br />

schon zu Zeiten, als noch „in<br />

jeder Imbissstube ein Spion“<br />

(DAF 1980) steckte, mit astreinerCasino-Cowboy-Montur.<br />

Die Techno-90er über<br />

hatte er damit einen schweren<br />

Stand. Aber macht nicht<br />

genau das den City Cowboy<br />

aus: das Beharren wider al-<br />

Donnerstag, 05. Juli 2012<br />

len Zeitgeist? Charaktere wie<br />

Christoph Dreher sind es,<br />

an die man sich jetzt wieder<br />

ehrfurchtsvoll erinnern wird.<br />

Aktuell wird diskutiert, ob der<br />

ikonischste aller Cowboys,<br />

der Marlboro-Mann, per Gesetz<br />

von den Plakatwänden<br />

der Städte verschwinden solle<br />

(wie zuvor schon aus den<br />

Zeitschriften). Er wird genau<br />

dann abtreten, wenn seine lebenden<br />

Pendants wieder die<br />

Bürgersteige bevölkern. Was<br />

für ein schöner Treppenwitz<br />

der Geschichte. Wenn in den<br />

ersten Schaufenstern die Motorräder<br />

gegen ausgestopfte<br />

Pferde getauscht werden,<br />

dann denkt an meine Worte.<br />

Jan Joswig<br />

Jan Joswig schreibt als freier<br />

Journalist über Mode, Menschen<br />

und Sensationen. Wenn er nicht<br />

gerade für das <strong>Fashion</strong> <strong>Daily</strong> in<br />

die Tasten haut, schreibt er unter<br />

anderem für Zoo Magazine, Zitty,<br />

Intersection oder De:Bug. Neben<br />

seinen spannenden und humorvollen<br />

Texten, ist er vor allem für<br />

seine außergewöhnlichen Outfits<br />

bekannt und viel unterwegs als<br />

Kurator, Art Director, Popspezialist<br />

und DJ.

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